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Andreas Urban

 

Der Niedergang des Westens als neue Phase im globalen Krisenprozess

Zugleich ein Kommentar zu Tomasz Koniczs Artikel Krise der Hegemonie

 

 

Die derzeit zu beobachtende rapide Erosion der westlichen Hegemonie stellt auf phänomenologischer Ebene eine wesentliche Zäsur, um nicht zu sagen: ein zentrales Charakteristikum der gegenwärtigen Phase des kapitalistischen Krisenprozesses dar. Vor allem die Corona-Krise – und hier in erster Linie das westliche bzw. besonders von westlichen Institutionen wie der WHO ins Werk gesetzte und weiten Teilen der Welt aufgezwungene irrationale und destruktive „Pandemie-Management“ – sowie das sich immer deutlicher abzeichnende Debakel im in der Ukraine ausgetragenen Stellvertreterkrieg mit Russland erweisen sich zugleich als Symptome sowie enorme Katalysatoren jenes spezifisch westlichen Abstiegs- und Verfallsprozesses. Besonders symptomatische Verfallserscheinungen in all den genannten „Krisen“ der letzten Jahre waren und sind etwa die eindrucksvoll zutage getretenen (über das kapitalistische „Normalmaß“ weit hinaus gehenden) selbstzerstörerischen Tendenzen sowie beeindruckende Hinweise auf einen auch und gerade unter Funktionseliten um sich greifenden, irrationale Reaktionen und autodestruktives Handeln geradezu befeuernden Realitätsverlust, gepaart mit einer fortgeschrittenen, die zunehmende Erosion des westlichen Institutionengefüges anzeigenden Inkompetenz auf praktisch allen gesellschaftlichen Ebenen (Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft, Militär etc.) – Erscheinungen, die auf dieser Website bereits in mehreren Beiträgen ausführlich thematisiert wurden (vgl. Urban/von Uhnrast 2022a, 2022b, 2022c; Urban 2022a, 2023a, 2023b; zu Corona siehe auch den Sammelband Schwerer Verlauf, Urban/von Uhnrast 2023). Insbesondere der für den Westen desaströs verlaufende Krieg in der Ukraine hat eine enorme Beschleunigung des westlichen Abstiegs u.a. auf geopolitischer und militärischer Ebene zur Folge. Auch der seit Oktober 2023 wütende Krieg in Gaza trägt das seine zur tiefen Krise des Westens bei oder ist jedenfalls auf vielfältige Weise damit vermittelt (vgl. Urban 2023c).

 

Ein wesentlicher Indikator für den insbesondere geopolitischen Niedergang des Westens – neben bzw. im Verbund mit der im Zuge des Ukraine-Krieges verstärkten ökonomischen und militärischen Kooperation zwischen Russland und China und den in nicht-westlichen Teilen des Planeten stark forcierten Versuchen zur Etablierung einer alternativen, „multipolaren“ Weltordnung, etwa im Rahmen einer Erweiterung der BRICS – sind auch die deutlich an Dynamik gewinnenden Bestrebungen zur De-Dollarisierung, also zum Ausstieg aus dem Dollar als Weltleitwährung. Damit könnte das Ende der bisher unangefochtenen Weltmachtstellung der USA und letztlich des Westens insgesamt besiegelt werden, zumal die US-Hegemonie wesentlich vom Dollar als „Weltgeld“ (R. Kurz) abhängt. Der Status des Dollar als „Weltgeld“ war in den vergangenen Jahrzehnten wiederum eng verknüpft mit der (tatsächlichen oder vermeintlichen) Militärmacht der USA und deren Rolle als „Weltpolizei“ – ein Status, der mit der sich abzeichnenden Niederlage im westlich-russischen Stellvertreterkrieg ebenfalls in Erosion begriffen ist und vor dem Hintergrund des konstitutiven Zusammenhangs von Dollar-Weltgeld und US-(Militär-)Weltmacht nicht zufällig mit einer zunehmenden Herausforderung des Dollar als Weltleitwährung einhergeht.

 

Einige grundsätzliche, wenngleich kursorische Überlegungen hierzu habe ich bereits in einem Beitrag mit dem Titel De-dollarization und das Ende von US-Weltmacht und Weltgeld angestellt (Urban 2023d). Darin werden – auf grundlegende Thesen von Robert Kurz über besagten Zusammenhang von Weltmacht und Weltgeld rekurrierend (Kurz 2013) – Implikationen der aktuellen, spezifisch westlichen Krisenprozesse für die allgemeine kapitalistische Krisendynamik und den weiteren Verlauf der finalen Krise erörtert. Wenn man von den krisentheoretischen Befunden von Kurz ausgeht, so ist anzunehmen, dass der Verlust der US-amerikanischen Weltmachtstellung und insbesondere der Niedergang des Dollar als Weltleitwährung zu einer drastischen Verschärfung des kapitalistischen Krisenprozesses insgesamt führen wird. Denn mit dem Ende des Dollar als Weltgeld würden sämtliche Voraussetzungen verloren gehen, die bisher die Verzögerung der Endkrise gewährleisteten, insbesondere in Gestalt der globalen Defizitkreisläufe (vor allem zwischen den USA und China), durch die die Weltwirtschaft ohnehin mehr schlecht als recht getragen wird. Eine Alternative zum Dollar als Weltleitwährung (etwa der Euro oder der Yuan) und eine darauf gestützte Weltmachtposition eines an die Stelle der USA tretenden Hegemons wären aus dieser Perspektive ausgeschlossen, da es keine Nationalökonomie und/oder Währung mehr gibt, die die Voraussetzungen dafür erfüllt. Dass eine heute allenthalben beschworene neue, durch China bzw. die BRICS vorangetriebene „multipolare Weltordnung“ an die Stelle der bisherigen US-dominierten „unipolaren Weltordnung“ treten und auf dieser Grundlage die Kapitalismuskrise nochmals nennenswert verzögert oder gar bewältigt werden könnte, wurde in jenem Beitrag als höchst unwahrscheinlich eingeschätzt. 

 

Mit dem Ende der US-Weltmacht und des Dollar als „Weltgeld“ wird allerdings auch, so meine Argumentation im zitierten Beitrag, eine Zäsur im globalen Krisenprozess erreicht, die gewissermaßen eine Art Lackmustest für die wertkritische Krisentheorie selbst und vor allem für deren prognostisches Potential abgeben wird. Es werde sich zeigen, ob der sich überdeutlich abzeichnende Verfall des Westens und insbesondere die Erosion des Dollar als Weltleitwährung das warenproduzierende System, wie von Robert Kurz prophezeit, an die Schwelle zur Endkrise befördern wird, oder ob der Kapitalismus noch einmal Mittel und Wege finden wird, seinen Zusammenbruch weiter hinauszuschieben, und ob es sich vor diesem Hintergrund als erforderlich erweisen wird, die Krisentheorie (partiellen) Revisionen zu unterziehen. Beides, sowohl eine signifikante Verschärfung der Krisendynamik als auch deren Ausbleiben und der Eintritt in eine neue Runde der Krisenverwaltung, hätten in Zukunft Gegenstand intensiver wertkritischer Analysen zu sein. Dieselbe Forderung hat jüngst Anselm Jappe in seiner Bestandsaufnahme über 38 Jahre Wertkritik bekräftigt und dazu aufgefordert, „die zahlreichen ‚unorthodoxen‘ Formen [zu] untersuchen, in denen die weltweite Warengesellschaft von einer Notlösung zum nächsten Provisorium weiterwurstelt“ (Jappe 2024, S. 5). Er spricht dabei ausdrücklich auch die Rolle Chinas und anderer „aufstrebender Ökonomien“ an, die in wertkritischen Kontexten bislang nur wenig bzw. nicht systematisch untersucht worden sei.

 

Der vorliegende Text versteht sich als ein erster und bestenfalls bescheidener Beitrag zu einer solchen weiterführenden Analyse. Es soll dabei zunächst primär darum gehen, die Thesen und Befunde aus meinem früheren Beitrag über die De-Dollarisierung wieder aufzugreifen und punktuell zu aktualisieren und zu ergänzen. Hierfür möchte ich Tomasz Koniczs aktuellen[1] Beitrag Krise der Hegemonie aus dem exit!-Heft Nr. 21 (Konicz 2024a) zum Anlass nehmen, diesen mit meinen eigenen Analysen zu konfrontieren und im Hinblick auf Übereinstimmungen sowie brauchbare Ergänzungen, aber auch im Hinblick auf Differenzen und abweichende Einschätzungen zu diskutieren. Konicz analysiert in seinem Text, mit vergleichbarer argumentativer Stoßrichtung, den Niedergang der (westlichen) Hegemonie als neuen Höhepunkt im finalen Krisenprozess. Die Konsultation dieses Artikels lohnt sich (wie bei den meisten Texten von Konicz zu polit-ökonomischen Themen) insbesondere mit Blick auf manche empirischen Daten und Befunde auf der politischen und ökonomischen Erscheinungsebene. Er liefert vor allem wertvolle Analysen zu Aspekten, die in meinem Text zur De-Dollarisierung nicht systematisch oder jedenfalls nicht in dieser Ausführlichkeit abgehandelt wurden, so etwa zur Rolle Chinas im gegenwärtigen Stadium der Krise. Zum Teil erhebliche Differenzen bestehen freilich in der Einschätzung der jüngsten Großkrisen und ihrer theoretischen Einordnung im Kontext der aktuellen tiefen Krise des Westens. Dies betrifft in besonderem Maße die Corona-Krise[2], zumindest partiell aber auch den Ukraine-Krieg, dessen Verlauf[3] sowie Bedeutung für den geopolitischen Abstieg des Westens Konicz m.E. überwiegend falsch ein- bzw. unterschätzt.



Das Ende des Neoliberalismus und seiner Mechanismen zur Krisenverschleppung


Das zentrale, sich auf Thesen von Robert Kurz zur fortschreitenden „Entsubstantialisierung des Geldes“ stützende Argument in meinem De-Dollarisierungs-Artikel hebt, wie eingangs schon kurz umrissen, darauf ab, dass die seit den 1970er Jahren ausgebildeten neoliberalen Mechanismen der kapitalistischen Krisenverwaltung und -verschleppung zunehmend an ihre Grenzen stoßen und mit dem derzeit zu beobachtenden Niedergang des Westens im Allgemeinen und den Fahrt aufnehmenden Tendenzen zur De-Dollarisierung im Besonderen praktisch an ihr Ende kommen. Daraus würde wiederum (voraussichtlich) eine drastische Verschärfung des Krisenprozesses insgesamt resultieren, wenn nicht sogar der Zusammenbruch des warenproduzierenden Systems überhaupt in greifbare Nähe rücken, zumal damit sämtliche Voraussetzungen wegbrechen würden, durch die die bisherige Verschleppung der Endkrise überhaupt bewerkstelligt werden konnte.


In wesentlichen Punkten dieselbe Argumentation entfaltet auch Konicz in seinem Beitrag. Im Mittelpunkt steht bei ihm die Frage – so der Wortlaut im überlangen Untertitel seines Artikels –, ob [a]ngesichts der erschöpften Mechanismen neoliberaler Krisenverschleppung […] die Finanzsphäre noch eine stabile Reproduktionsform des spätkapitalistischen Weltsystems ausbilden [kann] (Konicz 2024a, S. 22). Was bei ihm – so viel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen – keine oder höchstens eine untergeordnete Rolle spielt, ist die eigene Qualität der gegenwärtigen, spezifisch westlichen Krisen- und Verfallsprozesse, wie sie bereits an der Corona-Krise, besonders aber am aktuellen Debakel im Ukraine-Krieg abgelesen werden können, sowie deren Beitrag für und konkrete Aus- und Rückwirkungen auf die weitere Entfaltung der finalen Krise. Bei Konicz erscheint speziell die Corona-Krise als ein bloß „periphere[r] Faktor“ (ebd., S. 31), um nicht überhaupt zu sagen: als ein externes Ereignis, d.h. als eine gleichsam von außen über den kriselnden Spätkapitalismus hereinbrechende (wenngleich durch die ökologischen Destruktivkräfte des warenproduzierenden Systems verursachte) Naturkatastrophe, die sodann eine beträchtliche Zuspitzung der Krisendynamik bewirkte. Dass es weniger das Virus selbst, sondern eher die irrationale Reaktion vor allem der westlichen Welt auf Corona war, die überhaupt erst, vermittelt durch ein unverhältnismäßiges und (auto)destruktives Maßnahmenregime, zu jener massiven Verschärfung der Krise führte, ist bei Konicz aufgrund der inzwischen sattsam bekannten, weitestgehend dem offiziellen „Pandemienarrativ“ verpflichteten Position zur Corona-Krise innerhalb der EXIT-Gruppe (dazu Urban 2022b) ganz und gar anathema. Auch der Ukraine-Krieg erscheint bei ihm zwar – soweit zutreffend – als Symptom der sich zuspitzenden Kapitalismuskrise und dadurch befeuerter krisenimperialistischer Konflikte. Der für den Westen desaströse Verlauf des Krieges und insbesondere die den Weg ins Desaster säumenden, inzwischen vielfach dokumentierten eklatanten strategischen Fehlleistungen und beeindruckenden Erscheinungsformen von Irrationalität und Inkompetenz auf Seiten des „kollektiven Westens“ und seines Führungspersonals werden jedoch von Konicz kaum als eigenständiger Faktor der von ihm thematisierten „Krise der Hegemonie“ gewürdigt oder überhaupt nur hinreichend zur Kenntnis genommen – sei es die in hohem Maße kontraproduktive und selbstzerstörerische antirussische Sanktionspolitik (vgl. Urban 2023b, insbesondere Abschnitt 2), sei es das, angesichts der am laufenden Band eingefahrenen strategischen Rückschläge, umso beharrlichere Eskalieren des Krieges bis an die Schwelle eines atomaren Infernos (vgl. Urban 2024a).


Gültig beschrieben ist hingegen der allgemeine historische Prozess der Krisenentfaltung seit der „neoliberalen Wende“, den Konicz in seinem Beitrag überblicksartig rekapituliert. Seine zusammenfassende Darstellung schildert dieselben Etappen und Mechanismen der systemimmanenten Krisenverschleppung, die auch in meinem Text unter Rekurs auf Kurz hervorgehoben werden: Deregulierung der Finanzmärkte, Globalisierung, Fiktionalisierung der Verwertung durch eine gigantische „Blasenökonomie“ (Spekulationsblasen), Konsum auf Pump mit einer entsprechenden massiven Zunahme der öffentlichen und privaten Verschuldung, die Ausbildung globaler Defizitkreisläufe vor allem zwischen China und den USA, wobei Letztere gleichsam als „Weltstaubsauger“ der globalen Überproduktion fungieren, gestützt durch den (militärisch gedeckten) Dollar als Weltleitwährung (vgl. Konicz 2024a, S. 24f.). Konicz fasst dieses krisenkapitalistische Arrangement der neoliberalen Phase wie folgt zusammen: „Das spätkapitalistische Weltsystem befindet sich eigentlich seit dem Durchmarsch des Neoliberalismus und der damit einhergehenden ‚Finanzialisierung‘ des Kapitalismus in einer beständig wachsenden Blasenökonomie, mit der die Schuldenberge generiert werden, die eine hyperproduktive Warenproduktion mittels kreditfinanzierter Nachfrage überhaupt am Laufen halten.“ (ebd., S. 25).


Die Instabilität dieses Arrangements zeigte sich bereits in den 1990er Jahren in diversen Finanz- und Währungskrisen in verschiedenen Teilen des Globus, z.B. Mexiko 1994, Süd-Ost-Asien 1997, Russland 1998, Brasilien 1999. 2000 platzte die sogenannte Dotcom-Blase, was die Geldpolitik zu bis dahin beispiellosen Interventionen zwang, insbesondere zu einer massiven Senkung der Leitzinsen. Spätestens mit der globale Dimensionen annehmenden, durch ein Platzen der Investitionsblasen im Immobiliensektor („Subprime-Krise“) verursachten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007/08 schienen sich die etablierten Mechanismen zur Verzögerung der Krise endgültig zu erschöpfen (Robert Kurz prophezeite damals vor diesem Hintergrund eine Kredit- und Dollarkrise, durch die die finale Krise des kapitalistischen Weltsystems auf ein neues Niveau gehoben würde, vgl. Kurz 2013). Folgerichtig stellten auch die (insbesondere geldpolitischen) Maßnahmen zur Bearbeitung dieser Krise alle vorhergehenden politischen Interventionen in den Schatten:


„Bei diesem Krisenschub hat die Politik nicht nur Billionen Dollar im Rahmen von Konjunkturmaßnahmen zur Bekämpfung der 2009 einsetzenden Rezession aufgewendet. Zugleich wurde eine historisch einmalige, expansive Geldpolitik betrieben, mit der die Zinsen massiv abgesenkt wurden. Zwischen 2009 und 2015 herrschte faktisch eine Nullzinspolitik. Doch selbst das reichte nicht mehr, um einen Zusammenbruch des Weltfinanzsystems zu verhindern. Die Hypothekenverbriefungen, die zuvor einer Lizenz zum Gelddrucken gleichkamen, wandelten sich mit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers 2008 zu toxischem Finanzmarktschrott, der die Finanzsphäre in Schockstarre versetzte, bei der der Interbankenhandel zum Erliegen kam. Und dieser Finanzmarktschrott musste von den Notenbanken entsorgt werden, damit die Weltwirtschaft aufgrund der Schockstarre des Finanzsystems […] nicht kollabiert.“ (Konicz 2024a, S. 26f.)


Das Ende der Fahnenstange war damit gleichwohl, entgegen den Erwartungen von Kurz und weiten Teilen der Wertkritik, nicht erreicht. Die von den Notenbanken zwecks Aufkaufs des Finanzmarktschrotts nunmehr in Permanenz betriebene, als quantitative easing bezeichnete Gelddruckerei verfestigte sich im Laufe der folgenden Jahre und wurde zur Grundlage dessen, was Konicz eine „große Liquiditätsblase“ (ebd., S. 27) nennt. Die Ausbildung dieser Liquiditätsblase und vor allem die geldpolitischen Mechanismen und Strategien dahinter sind im Übrigen ein gutes Beispiel für die oben zitierten „unorthodoxen“ Formen und Methoden, mit denen der Krisenkapitalismus „von einer Notlösung zum nächsten Provisorium weiterwurstelt“ (Jappe): Als „spontane Krisenmaßnahme“ (ebd.) eingeführt, wurden Nullzinspolitik und Quantitative Easing bald zu einer Art „neuen Normalität“, die es dem am Tropf des fiktiven Kapitals hängenden Spätkapitalismus ermöglichte, noch ein wenig, wenn auch krisenhaft und unter großen Friktionen, weiter zu prozessieren. Die lockere Geldpolitik der Notenbanken beschränkte sich bald auch nicht mehr nur auf den Aufkauf toxischer Hypothekenpapiere, sondern erstreckte sich auch auf Staatsanleihen, um staatliche Hilfs- und Konjunkturprogramme zu finanzieren. Was die Liquiditätsblase von früheren Formen der Blasenökonomie unterschied, ist darüber hinaus, dass sich die Blasenbildung nicht mehr auf einzelne Sektoren und Anlageklassen beschränkte, sondern viele solcher Sektoren umfasste – „Anleihen, Immobilien, Kryptowährungen, Kunstgegenstände und andere Vermögenswerte“ (ebd., S. 28). Die Liquiditätsblase war im wahrsten Sinne des Wortes eine „everything bubble“, die Geldflut der Notenbanken war damit praktisch „in fast alle Bereiche der Finanzsphäre vorgedrungen, um die entsprechende Inflation der Finanzmarktpreise hervorzurufen“ (ebd.). „Die Notenbanken“, so fasst Konicz diese auf die Finanzkrise von 2007/08 folgende Phase des Krisenkapitalismus prägnant zusammen, „waren faktisch zur zentralen Triebkraft des spätneoliberalen Finanzblasenkapitalismus geworden, was letztendlich nur Ausdruck des bis ins Extrem getriebenen neoliberalen Krisenmanagements ist, das sich selbst dementierte“ (ebd.). Ausführlicher hat Konicz diese Krisenphase bis etwa zur Mitte der 2010er Jahre in seinem Buch Kapitalkollaps beschrieben (Konicz 2016).



Die „Pandemie“ als Ursache eines neuen Krisenschubs?


Auf dieses bereits sehr wackelige krisenkapitalistische Kartenhaus traf schließlich im Frühjahr 2020 die „Pandemie“. Wie bereits erwähnt, besteht besonders in der Wahrnehmung und krisentheoretischen Einordnung der Corona-Krise größtmöglicher Dissens zwischen Konicz und der hier vertretenen Position. Übereinstimmung besteht lediglich darin, dass mit der Corona-Krise auch die Krise des warenproduzierenden Systems insgesamt in ein neues Stadium eintrat – abzulesen nicht nur an den während der „Pandemie“ eifrig erprobten neuen Formen und Methoden der Krisen- und insbesondere Menschenverwaltung („Grüner Pass“ etc.), sondern vor allem auch an der regelrechten Explosion der Bilanzsummen der Notenbanken. Zu dieser kam es schon allein aufgrund der enormen Geldmengen, die die Staaten zur Finanzierung von Lockdowns, Impfkampagnen, Massentests, Maskenanschaffungen und dergleichen aufwendeten, bei gleichzeitiger Beschädigung der ohnehin stagnierenden realwirtschaftlichen Prozesse. So stieg die Bilanzsumme der US-Notenbank Federal Reserve (kurz: Fed), wie Konicz zutreffend darlegt, im Zuge der Corona-Krise (bis etwa Mitte 2022) auf astronomische 8,5 Billionen Dollar, während sich jene der Europäischen Zentralbank (EZB) zwischen Anfang 2019 und Anfang 2022 von etwa 4,5 Billionen auf fast neun Billionen Euro verdoppelte (vgl. Konicz 2024a, S. 30).[4]


Abgesehen von der weitgehend akkuraten Beschreibung der verheerenden Effekte der „Pandemie“ (bzw. der Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung) auf ökonomischer und geldpolitischer Ebene, sind die krisentheoretischen Erörterungen Koniczs reichlich dürr und zeichnen sich durch etliche Auslassungen und Ungenauigkeiten aus. Selbst wenn man die durch eine notorische Fehleinschätzung von Corona als „Jahrhundertseuche“ zustande kommende Externalisierung der Krisenfolgen („Der neue Krisenschub ist verursacht durch die Pandemie!“) außer Betracht lässt – und damit auch die nicht minder als Krisensymptom zu interpretierende Irrationalität und Destruktivität der staatlichen Reaktionen auf das Coronavirus (eine Irrationalität, die im westlichen Vorgehen im Stellvertreterkrieg mit Russland auf ein noch höheres Niveau geklettert ist) –, erweisen sich die Ausführungen von Konicz als äußerst mangelhaft. So etwa, wenn er mit keinem Wort die bereits im Herbst 2019 einsetzende Krise des Repo-Marktes[5] erwähnt, welche die Fed dazu zwang, bis März 2020 (also noch bevor irgendwo, mit Ausnahme Chinas, der erste Corona-Lockdown verhängt wurde!) die astronomische Summe von neun Billionen Dollar ins System zu pumpen, um einen Zusammenbruch abzuwenden. Diese Geldsumme bewegt sich immerhin in derselben Größenordnung wie (und geht vermutlich zu einem beträchtlichen Teil auch ein in) die rund zehn Billionen US-Dollar, die Konicz, unter Berufung auf einen McKinsey-Bericht, für die ersten zwei Monate nach „Pandemieausbruch“ an Aufwendungen für die notwendig gewordenen Krisenmaßnahmen veranschlagt – Maßnahmen, die für Konicz nachgerade das „durch die Pandemie“ und ihre „Bekämpfung“ verursachte neue Krisenniveau anzeigen, da sie „weitaus größere Dimensionen erreicht“ (ebd., S. 29) hatten als im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007/08.


Die Repo-Krise mitsamt den extremen geldpolitischen Maßnahmen zu ihrer Bewältigung am Vorabend der „Pandemie“ hat vor allem Fabio Vighi beschrieben (vgl. Vighi 2023). Man muss dabei nicht zwingend Vighis Spekulationen folgen, wonach die Corona-Lockdowns primär eine Maßnahme gewesen seien, um angesichts der enormen Geldsummen, die zur Stützung des Repo-Marktes geschöpft werden mussten, quasi auf dem Wege einer „kontrollierten Zerstörung“ (ebd., S. 25) der bereits stagnierenden Realwirtschaft, eine Hyperinflation zu verhindern. Es erscheint aber, vor allem wenn man den eklatanten Widerspruch zwischen der mittlerweile hinreichend durch Studien und anderes offizielles Datenmaterial nachgewiesenen tatsächlichen (moderaten bis geringen) Gefährlichkeit des Coronavirus und der, gemessen daran, extrem unverhältnismäßigen staatlichen Reaktion auf die „Pandemie“ und des zur Bekämpfung des Virus installierten Maßnahmenregimes in Rechnung stellt, auch nicht völlig abwegig und kann nicht umstandslos als Verschwörungstheorie abgetan werden (vgl. Urban 2023e). Warum soll einem derart irrationalen System wie dem warenproduzierenden und den an seinem Sterbebett herumdokternden kapitalistischen Funktionseliten ein solcher Irrsinn und Zynismus nicht zugetraut werden, wo doch allein die Geschichte des letzten Jahrhunderts reiches Anschauungsmaterial darüber liefert, welche extremen Formen die Irrationalität und Autodestruktivität der kapitalistischen Antizivilisation annehmen kann – zumal unter den gegenwärtigen Bedingungen ihrer eigenen fundamentalen Krise und eines stetig steigenden Krisendrucks? Aber ganz unabhängig davon, wie man sich in diesem Punkt positioniert (und ob man z.B. geneigt ist, das „Pandemie-Management“ der Staaten selbst als Symptom der finalen Krise und ihrer Verwaltung einzuordnen, oder nicht), ist es jedenfalls sachlich unzulässig und fragwürdig, den offensichtlich schon früher einsetzenden Krisenschub nicht zur Kenntnis zu nehmen und, gleich dem bürgerlichen Mainstream, als allein durch die „Pandemie“ verursacht auszugeben.


Von auffälligen – wenn auch wohl ebenfalls durch seine Position zu Corona und zur Impfkampagne erklärlichen – Auslassungen geprägt sind in diesem Zusammenhang auch Koniczs Ausführungen über diverse „Konjunkturtreiber“ vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenschübe. So erwähnt er zwar Künstliche Intelligenz als Gegenstand von (spekulativen) Investitionen, die zumindest kurzzeitig einen Boom in diesem Sektor bewirken (vgl. Konicz 2024a, S. 36), ebenso spricht er an, weshalb bestimmte Bereiche und Branchen, anders als in früheren Phasen der Krise, keine Konjunkturtreiber mehr darstellen, z.B. der Immobilienmarkt (ebd., S. 37). Über die tatsächlichen Konjunkturtreiber der letzten Jahre verliert er jedoch kein Sterbenswörtchen, so etwa die hypertrophe „Pandemie-Industrie“ mit ihren zig Milliarden Testkits für die gleichermaßen besinnungslos betriebene wie epidemiologisch fragwürdige Massentesterei (inkl. der zeitweilig wie Pilze aus dem Boden geschossenen Testzentren und Labore), der regelrechten Flut an nicht minder besinnungslos verordneten und nicht zuletzt ökologisch katastrophalen FFP2- und anderen Masken sowie den ebenfalls milliardenfach verimpften und dabei nicht nur mäßig wirksamen, sondern auch noch mit beträchtlichem Schadenspotential ausgestatteten genetischen Impfstoffen. Alleine BioNTech war 2021 für fast ein Fünftel des deutschen Wirtschaftswachstums verantwortlich.[6] Auch über die inzwischen wieder massiv mit öffentlichen Geldern gefütterte Rüstungsindustrie[7] oder die horrende Gewinne einfahrenden Energiekonzerne ist bei Konicz nichts zu lesen. In früheren Beiträgen auf dieser Website (z.B. Urban 2023a, S. 14) wurden diese Phänomene im Zusammenhang eines aus der Verwertungskrise resultierenden, permanent anwachsenden Drangs zur kapitalistischen „Sinnlosproduktion“ interpretiert, die, auf der Grundlage massiver staatlicher Subventionierung und in Gestalt staatlichen Konsums von weitgehend nutzlosen, dafür umso schädlicheren Produkten, einzelnen Kapitalfraktionen und Leitsektoren kurzfristige Profitsteigerungen verschaffen soll.



Die Rückkehr der „Stagflation“

 

Wiederum zutreffend beschrieben wird hingegen in Konicz Abhandlung die mit der Corona-Krise zurückkehrende und durch den Ukraine-Krieg nochmals auf höhere Niveaus gehobene Inflation. Ironischerweise, so Konicz, kehrt hier gewissermaßen eine Konstellation wieder, die historisch für den Vorabend des Neoliberalismus charakteristisch war bzw. auf die die „neoliberale Wende“ eine Antwort geben sollte, als hohe Inflationsraten zeitgleich mit einer stagnierenden Wirtschaftsleistung und hohen Arbeitslosenzahlen auftraten (Stagflation) – eine Situation, die vor allem der Zunft der Ökonomen damals erhebliches Kopfzerbrechen bereitete (vgl. Konicz 2024a, S. 31).

 

Laut Konicz sind innere und äußere Faktoren für die Rückkehr der Inflation bzw. Stagflation zu unterscheiden und analytisch zu berücksichtigen: Zum einen resultiert die Inflation aus der „inneren Schranke“ des Kapitals und den „in absurde Dimensionen angeschwollenen Weltfinanzmärkte[n] (ebd., S. 32). Dies ist freilich evident: Allein die Explosion der Geldmenge der letzten vier Jahre birgt bereits logisch ein enormes inflationäres Potential. Als äußere Faktoren schlagen insbesondere der stetig steigende Ressourcenhunger des Kapitals und die hohe Nachfrage nach Rohstoffen[8] zu Buche sowie damit einhergehende Lieferengpässe. Letztere werden laut Konicz derzeit durch den Ukraine-Krieg, aber auch durch die Klimakrise zusätzlich verschärft.

 

Die objektive Paradoxie, welche die Stagflation markiert – hohe Inflation einerseits, stagnierende Wirtschaftsleistung andererseits – schlägt sich in einer „geldpolitische[n] Schizophrenie“ (ebd., S. 33) nieder, in der die kapitalistische Krisenpolitik in zunehmendem Maße befangen ist: Soll die Inflation bekämpft werden, müssten die Leitzinsen signifikant und dauerhaft erhöht werden. Dies geht allerdings nur um den Preis einer Vertiefung der Rezession und einer drohenden deflationären Spirale. Die Alternative dazu ist die Beibehaltung der expansiven Geldpolitik sowie staatlicher Konjunkturmaßnahmen, wodurch aber umgekehrt wiederum das inflationäre Potential weiter ansteigen würde. Konicz hat dieses geldpolitische Dilemma bereits in seinem Buch Kapitalkollaps als die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera beschrieben: Auf dem heutigen Krisenniveau bleibt den Funktionseliten des warenproduzierenden Systems nur noch die Wahl zwischen gleichermaßen schlechten Alternativen, die bloß zu verschiedenen Verlaufsformen der Krise, aber nicht mehr zu deren Bewältigung führen können (vgl. Konicz 2016, S. 83ff.).

 

Wie gering der geldpolitische Spielraum mittlerweile ist, verdeutlicht Konicz an einer drohenden Bankenkrise vom Frühjahr 2023 (Konicz 2024a, S. 33f.): Wegen der zur Inflationsbekämpfung eingeführten Hochzinspolitik gerieten zahlreiche Banken in den USA und in Europa in eine Schieflage. Die Notenbanken reagierten darauf mit Zinssenkungen, wodurch die Bilanzsummen (wieder) rasch in die Höhe schossen. Nach nur wenigen Wochen – und einer (vorläufigen) Abwendung des Bankenbebens – kehrten die Notenbanken wieder zu höheren Zinsen zurück, um so dem wiederum angewachsenen inflationären Potential entgegenzuwirken. Diese „Notwendigkeit eines geldpolitischen Lavierens zwischen expansiver und restriktiver Geldpolitik“ (ebd., S. 37) hält Konicz – wohl zu Recht – sowohl für einen aussagekräftigen Indikator für das neue Niveau des kapitalistischen Krisenprozesses als auch für eine zentrale (letztlich freilich zum Scheitern verurteilte) geldpolitische Strategie, die die kapitalistische Krisenverwaltung für die nächsten Jahre prägen dürfte:

 

„Die Stagflation wird zur ‚neuen Normalität‘ der weiteren Krisenentfaltung werden. Abhängig vom aktuellen Krisengeschehen, je nachdem, ob gerade Geld gedruckt oder die Zinsschraube angezogen wird, dürften die unterschiedlichen Momente der Stagflation vorherrschend sein: Stagnation in Phasen restriktiver Geldpolitik, Inflationsbeschleunigung im Gefolge expansiver geldpolitischer Krisenmaßnahmen. […] Dieses Lavieren der Krisenpolitik, das sich in […] widersprüchlichen Stabilisierungsbemühungen einer zunehmend labilen Finanzsphäre manifestiert, die im Neoliberalismus als kreditgetriebener Konjunkturmotor fungierte, läuft letztendlich auf den Versuch hinaus, den sozialen und ökonomischen Abstieg kontrolliert ablaufen zu lassen, was angesichts der Verwertungszwänge des Kapitals letztendlich nur scheitern kann.“ (ebd., S. 37f.)

 

Ein interessanter Aspekt, den Konicz am Bankenbeben vom Frühjahr 2023 unterstreicht und der ebenfalls auf die fortschreitende Krisendynamik verweist, ist, dass dieses nicht durch riskante Finanzgeschäfte hervorgerufen wurde, wie seinerzeit noch die Subprime-Krise von 2007/08, die bekanntlich auf dubiosen Hypothekenverbriefungen beruhte, sondern durch „biedere, als risikolos geltende Staatsanleihen“, also Papiere, die „nicht zwecks Spekulation gekauft“ werden, sondern „als Sicherheiten – gerade in unsicheren Zeiten“ (ebd., S. 34). Es war gerade die zur Inflationsbekämpfung notwendig gewordene Hochzinspolitik der Notenbanken, die „zu einem massiven Wertverlust bei Staatsanleihen“ führte, da bei steigendem Zinsniveau die Anleihekurse sinken, was in weiterer Folge „den Finanzierungsbedarf von Großkunden der betroffenen Banken ansteigen“ ließ (ebd., S. 35).

 

Zwei Aspekte, die Konicz abermals durch sein offenkundiges Desinteresse für symptomatische, insbesondere am westlichen Agieren im Stellvertreterkrieg mit Russland ablesbare Erscheinungsformen des Niedergangs der westlichen Hegemonie außer Betracht lässt, scheinen mir in dieser Analyse der jüngsten inflationären Tendenzen einer Ergänzung würdig: Die Rückkehr der Inflation war freilich, wie dargestellt, bereits in der exorbitanten Gelddruckerei vor und während der Corona-Krise unmittelbar angelegt. Einen bedeutenden Schub zur Entfaltung bzw. zur realökonomischen Manifestation des angehäuften inflationären Potentials bekam diese Entwicklung aber erst mit dem Krieg in der Ukraine, dies aber wiederum nicht – wie Konicz in stillschweigender Übereinkunft mit dem bürgerlichen Mainstream zu insinuieren scheint – durch den Krieg schlechthin („Putins Angriffskrieg!“), sondern in besonderem Maße (auch) durch eine fehlgeleitete und kontraproduktive westliche Sanktionspolitik; eine Sanktionspolitik, die zwar mit dem gleichermaßen hochtrabenden wie tief blicken lassenden Ziel verabschiedet wurde, „Russland zu ruinieren“, aber, wie sich bald zeigte, enorme Kollateralschäden zuungunsten westlicher und insbesondere europäischer Volkswirtschaften entfaltete, u.a. durch massive Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln. Auch und gerade die von Konicz unter „äußere Faktoren“ der Inflation verbuchten Lieferengpässe bei Rohstoffen und anderen Gütern sind nicht umstandslos bzw. allein auf den Ukraine-Krieg als solchen zurückzuführen, sondern ebenfalls auf die (auto)destruktiven westlichen Sanktionsexzesse, deren stets recht bald erkennbares bescheidenes Potential zur Schädigung Russlands, dafür umso größere Schädlichkeit

für die eigenen Volkswirtschaften (sowie für Staaten in der kapitalistischen Peripherie[9]), lediglich Anlass gaben für immer neue und umfassendere, dementsprechend noch schädlichere Sanktionspakete.


Darüber hinaus scheint es bei Konicz so, als sei die bislang mehr oder weniger erfolgreiche Bekämpfung der Inflation primär auf die oben beschriebene, im Vergleich zu den vorhergehenden neoliberalen Jahrzehnten vergleichsweise restriktive (wenngleich immer prekärere) Geldpolitik der Notenbanken zurückzuführen. Diese mag sicherlich ihren Anteil daran haben, dass die Inflation bisher einigermaßen in Zaum gehalten werden konnte, insbesondere durch eine konsequente Reduktion der Bilanzsummen (die gleichwohl immer noch deutlich über dem Niveau vor der Corona-Krise liegen[10]). Ein m.E. nicht zu unterschätzender Faktor, den Konicz in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, ist jedoch auch die faktische Rezession, in der sich die westlichen und insbesondere europäischen Volkswirtschaften befinden und die (jedenfalls in diesem Ausmaß) ebenfalls auf die massive ökonomische Selbstbeschädigung zurückzuführen ist, die sich diese mit ihrer kontraproduktiven antirussischen Sanktionspolitik zugefügt haben. Besonders die hohen Energiepreise infolge des weitgehenden Boykotts von russischem Öl und Gas schlagen hier massiv zu Buche, weil mit dem Verlust der vergleichsweise preiswerten russischen Energieträger ein wesentlicher Stützpfeiler der europäischen Industrien wegfällt und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt erheblich beeinträchtigt wird. Dies schlägt sich in einer schwindenden Nachfrage nieder – auf industrielle Endprodukte ebenso wie auf Zwischenprodukte und Komponenten von Zulieferern –, und diese niedrige Nachfrage wirkt wiederum dämpfend auf die Inflation. Ich habe dies bereits in einem früheren Artikel am Beispiel Deutschlands unter Berücksichtigung eines für die Wirtschaftslage besonders aussagekräftigen Indikators illustriert, des sogenannten Purchasing Managers Index (PMI). Dieser misst das Aktivitätsniveau der Einkaufsmanager im verarbeitenden Gewerbe. In Deutschland ist der PMI seit Kriegsbeginn im Februar 2022 kräftig gesunken, was darauf hindeutet, dass deutsche Unternehmen signifikant weniger produzieren (vgl. Urban 2023b, S. 16). Daran hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren seit Erscheinen jenes Artikels nichts Wesentliches geändert[11] – und es ist aus derzeitiger Sicht auch nicht zu erwarten, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird, eher im Gegenteil.[12]



Protektionismus und „Deglobalisierung“


Eine sich immer deutlicher abzeichnende Strategie vor allem in den kapitalistischen Zentren, angesichts der sich enorm verschärfenden systemischen Krisentendenzen und insbesondere vor dem Hintergrund des eigenen geopolitischen und ökonomischen Abstiegs, besteht in einem zunehmend offen betriebenen Protektionismus. Dieser Trend ist seit längerem absehbar – bereits die Präsidentschaft Donald Trumps war geprägt von einer lautstarken protektionistischen Rhetorik, mit der die Reindustrialisierung der USA, die in den vorangegangenen neoliberalen Jahrzehnten im großen Stil deindustrialisiert und auf ihre Rolle als Zentrum des Finanzkapitals zugerichtet worden waren, als politisches Ziel formuliert wurde („Make America Great Again!“). Seinen Niederschlag fand dies vor allem in einer aggressiven Handelspolitik gegen China. Die Biden-Administration hat diesen protektionistischen Kurs, ungeachtet aller sonstigen politischen Unterschiede zum „Trumpismus“[13], weiter vorangetrieben, u.a. in Gestalt von US-Unternehmen begünstigenden „Buy American“-Klauseln, so etwa im 2022 zur Inflationsbekämpfung verabschiedeten – und seitens der EU heftig beklagten – Inflation Reduction Act (vgl. Konicz 2024a, S. 39; ebenso Urban 2023b, S. 15f.).


Eine wesentliche, vor allem von den USA verfolgte Krisenstrategie besteht in diesem Zusammenhang im sogenannten Nearshoring. Das Nearshoring als Krisenstrategie beschreibt Konicz in seinem Beitrag recht ausführlich (vgl. Konicz 2024a, S. 56ff.). Darunter versteht man die „zunehmenden Tendenzen zum Aufbau regionaler Produktionsketten, mit denen die globalen Organisationsformen in der Warenproduktion, wie sie sich im neoliberalen Zeitalter herausgebildet haben, revidiert werden“ (ebd., S. 56f.). Anders als in der von Globalisierung und Neoliberalismus geprägten Phase des Krisenkapitalismus, in der „Exportorientierung, […] horizontale Organisation globaler Fertigungsketten und […] Outsourcing dominierten“, sind es nunmehr „Protektionismus, […] vertikale Integration und […] Nearsourcing“, die zunehmend als „effektive Konkurrenzmittel“ fungieren sollen (ebd., S. 38). Am stärksten lasse sich die Tendenz zum Nearshoring laut Konicz derzeit in Mexiko beobachten, wo überwiegend US-amerikanisches Kapital große Investitionen tätigt und dabei nicht mehr nur – wie noch unter dem neoliberalen Paradigma des Outsourcings – arbeitsintensive, sondern vermehrt auch kapitalintensive Bereiche (z.B. Forschung) ansiedelt und damit einen entsprechenden Industrieaufschwung im südlichen Nachbarland anfacht (ebd., S. 57f.). Der Unterschied zur früheren, horizontal organisierten Exportindustrialisierung lässt sich Konicz zufolge am Beispiel Mexikos auch daran ablesen, dass es „in Mexiko nicht mehr darum geht, Konkurrenzvorteile auf globalisierten Märkten zu erlangen“. Vielmehr würden die Industrieinvestitionen in Mexiko von dem Kalkül geleitet, „hierdurch eine bessere Stellung – oder einen zollfreien Zugang – auf dem großen, sich immer weiter abschottenden US-Markt zu erlangen“ (ebd., S. 58). Nicht zufällig seien zunehmend auch europäische und sogar chinesische Konzerne in Mexiko aktiv, um so den US-Protektionismus möglichst zu unterlaufen. Auch die EU sucht ihr Heil mittlerweile in einer verstärkten ökonomischen Abschottung, vor allem gegenüber China – siehe etwa die kürzlich verhängten Strafzölle auf chinesische E-Autos.[14]


Im Wesentlichen laufen diese protektionistischen Bestrebungen darauf hinaus, die Globalisierung der letzten Jahrzehnte (zumindest partiell) wieder rückgängig zu machen. Freilich war bereits die damalige Entwicklung zur Globalisierung als ein kapitalistisches Krisenphänomen zu werten. Robert Kurz hat die systemimmanente Logik der Globalisierung ausführlich in seinem Buch Das Weltkapital beschrieben (Kurz 2005). Sie folgte einerseits aus den unhintergehbaren Wachstumszwängen des Kapitals und seinem Drang, sich bis in die hintersten Winkel der zum bloßen Material für den irrationalen Selbstzweck der Wertverwertung degradierten Welt auszudehnen, und andererseits aus der im Zuge der mikroelektronischen Revolution einsetzenden Verwertungskrise und dem daraus resultierenden Kalkül der Kapitale, arbeitsintensive Betriebsteile in Billiglohnländer auszulagern und so die Renditen auf einem hinreichend hohen Niveau zu halten. Die derzeit zu beobachtenden Tendenzen zur Revision der kapitalistischen Globalisierung verweisen daher im Prinzip gleich in zweierlei Hinsicht auf eine enorme Verschärfung der Krisendynamik: Zum einen ist dies als ein Hinweis darauf zu werten, dass die selbst aus der fundamentalen Krisentendenz des Kapitalismus geborene Globalisierung sich in ihren krisenverschleppenden Mechanismen weitgehend erschöpft hat. Der Kapitalismus stößt zunehmend sowohl auf innere als auch äußere Schranken, wozu auch die Endlichkeit des Planeten gehört, die der logisch auf Unendlichkeit angelegten Expansionsbewegung des Kapitals auf räumlicher wie stofflicher Ebene Grenzen setzt. Zum anderen – und gleichzeitig – zeigen die Bestrebungen zur „Deglobalisierung“ auch eine Sackgasse der kapitalistischen Krisenverwaltung selbst an, da dies gleichbedeutend damit ist, das warenproduzierende System sozusagen gewaltsam auf ein Niveau zurückzudrücken, über das es und insbesondere seine Produktivkräfte längst hinausgewachsen sind. Das allein lässt massive krisenhafte Verwerfungen erwarten.


Auch Konicz geht von einer bevorstehenden „neue[n] Krisenphase“ aus, „in der die neoliberale Globalisierung durch verstärkte staatskapitalistische Konkurrenz abgelöst wird“ (Konicz 2024a, S. 39). Hierbei wird es, wie auch schon in den vorangegangenen neoliberalen Jahrzehnten, primär darum gehen, die Krise auf andere, unterlegene Wirtschaftsräume abzuwälzen (in der neoliberalen Ära vor allem noch durch den „Export“ von Verschuldung und Arbeitslosigkeit auf Grundlage der etablierten Defizitkreisläufe, so etwa vom exportorientierten, sowohl auf Hightech als auch auf Billiglöhne setzenden Deutschland in die südlichen Länder der EU). In der sich ankündigenden staatskapitalistisch-protektionistischen Phase – die im Übrigen per se kein historisches Novum darstellen würde (bereits die 1930er Jahre der „Großen Depression“ waren in den kapitalistischen Zentren von Staatsdirigismus, Protektionismus und Nationalismus geprägt) – werden laut Konicz vor allem solche Wirtschaftsräume im Vorteil sein, „die für eine protektionistische Konkurrenz prädestiniert sind“, also vor allem „große, einheitliche Wirtschaftsräume wie die USA, die über nennenswerte eigene Ressourcen verfügen“ (ebd.) – dies aber auch nur so lange, wie der Protektionismus noch nicht global verallgemeinert wurde.


Wer in diesem Szenario wohl mit Sicherheit zu den Unterlegenen gehören wird, liegt auf der Hand: Europa bzw. die EU. Konicz weist zu Recht auf die „zunehmende ökonomische Divergenz zwischen den prekär reanimierten USA und der dahinsiechenden Eurozone“ (ebd., S. 39f.) hin. Vor allem die exportabhängige deutsche Wirtschaft wird schwer von diesen Entwicklungen getroffen. Auch dazu trägt nicht zuletzt wieder – neben einer nicht minder dysfunktionalen „Energiewende“-Politik[15] – die unter allen europäischen Staaten besonders enthusiastisch von Deutschland exekutierte ökonomische Selbstbeschädigung bei, welche der gegen Russland entfachte Wirtschaftskrieg und hier vor allem der selbst auferlegte Verzicht auf preiswertes russisches Öl und Gas nach sich zieht. Eine in Ansätzen bereits beobachtbare Konsequenz daraus besteht in der Abwanderung von Unternehmen – dies wiederum bevorzugt in die USA oder nach China.[16] Es ist daher vor diesem Hintergrund durchaus zu erwarten – auch darin kann Konicz zugestimmt werden –, dass es gerade auch innerhalb des „kollektiven Westens“ zu erheblichen Konflikten kommen und nicht zuletzt die im aktuellen Krieg gegen Russland einstweilen noch nach außen hin demonstrierte – aufgrund des desaströsen Kriegsverlaufs allerdings bereits schwer ramponierte – westliche „Geschlossenheit“ mittelfristig weitestgehend erodieren wird; ganz zu schweigen von der absehbaren Zuspitzung der Konflikte innerhalb der ohnehin von beträchtlichen sozioökonomischen Disparitäten zerrissenen EU.


Global gesehen ist von einer Phase zunehmender, heftiger Verteilungskämpfe auszugehen, in denen sich die „staatskapitalistische Konkurrenz“ regelmäßig gewaltsam entladen wird – also dem genauen Gegenteil der von einigen erhofften friedlicheren Ära in einer „multipolaren Weltordnung“. Diese Kämpfe werden in erster Linie um Zugang zu knapper werdenden Rohstoffen und Ressourcen geführt und vor allem unter denjenigen Staaten oder Wirtschaftsräumen ausgetragen werden, die unter diesen Bedingungen die „konkurrenzfähigsten“ sind – dazu zählt neben (und wohl sogar noch vor) den USA besonders China. China verfügt nicht nur über eigene große Rohstoffvorkommen, sondern darüber hinaus – im Gegensatz zu den heutigen USA und quasi als Erbmasse der Globalisierungsära – über das weltweit größte produktive Aggregat und damit einhergehende industrielle Kapazitäten. Zumindest unter dem Kriterium der Größe und der Einheitlichkeit des Wirtschaftsraums sowie des Ressourcenreichtums müsste wahrscheinlich auch Russland zu jenen Ländern gezählt werden, die „für eine protektionistische Konkurrenz prädestiniert sind“. Eine offene Frage ist hier eher, ob die seit der Eskalation des Ukraine-Konflikts und dem vom Westen entfachten all-out economic war demonstrierte, durchaus beeindruckende ökonomische Resilienz Russlands auf einer breiteren (insbesondere industriellen) Grundlage ruht oder aber sich in der gegenwärtigen Kriegswirtschaft (Rüstung) erschöpft. Koniczs Einschätzung ist vor diesem Hintergrund allenfalls dahingehend zu relativieren, welche Länder und Wirtschaftsräume man in der derzeitigen Situation unter „Zentren“ rechnet und/oder inwieweit man potentielle, aktuell sich vollziehende Verschiebungen zwischen Zentrum und Peripherie in die Analyse einbezieht: „In der Endphase des kapitalistischen Weltsystems scheint imperialistische Herrschaft auf bloße Aufrechterhaltung von Extraktionswegen hinauszulaufen, durch die Ressourcen und Energieträger aus den ökonomischen und ökologischen Zusammenbruchsgebieten in die verbliebenen, erodierenden Zentren befördert werden sollen, die sich in offener Krisenkonkurrenz befinden.“ (ebd., S. 55)


Vielleicht ist schon der aktuelle, auf immer neue Eskalationsstufen gehobene Stellvertreterkrieg mit Russland, zumindest zum Teil, in diesem Zusammenhang einer sich abzeichnenden Tendenz zu globalen Verteilungskämpfen um Rohstoffe und Ressourcen zu sehen. Dass bereits die maßgeblich zur Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs gehörende westliche Expansion in den postsowjetischen Raum durch NATO und EU – wenn auch noch auf Basis des inzwischen obsoleten Paradigmas neoliberaler Globalisierung – unter dem Gesichtspunkt einer krisenimperialistischen „Dynamik von innerer Krise und äußerer Expansion“ (Konicz 2022, S. 14) zu sehen ist, liegt auf der Hand und scheint innerhalb der Wertkritik weitgehend Konsens zu sein. Hier waren es zunächst Großunternehmen, die ab 1990, nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus, massiv in Richtung Osten expandierten. Darauf folgten später EU und NATO, um das wirtschaftlich eroberte Terrain zu sichern.[17] Wie in manchen kritischen, geopolitisch und militärisch informierten Kreisen (z.B. Baud 2023) behauptet – und dem Westen auch von russischer Seite bereits seit längerem vorgeworfen[18] – wird, sollen der Westen und insbesondere die USA schon seit dem Zerfall der Sowjetunion konkrete Pläne hegen, Russland zu zerschlagen und in viele kleinere Staaten aufzuteilen, um diese nach Installation prowestlicher Regierungen mitsamt den reichen russischen Rohstoffvorkommen der westlichen Einflusssphäre einzuverleiben. Bereits der frühere nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, beschrieb in seiner bekannten geopolitischen Schrift The Grand Chessboard die „Vorteile“ einer „Dezentralisierung“ und damit einhergehenden Aufteilung Russlands in mehrere Staaten. Er wies dabei auf die „Potentiale“, die in den „enormen natürlichen Ressourcen des Landes“ schlummern würden, ebenso hin wie auf die „geringere Anfälligkeit“ eines dezentralisierten Russlands für eine „imperiale Mobilisierung“ (Brzezinski 1997, S. 202, Übersetzung A.U.) – was so viel heißt wie: Russland wäre geopolitisch nicht mehr in der Lage, die USA herauszufordern. Die Virulenz wie auch Aktualität solcher Vorstellungen zeigt sich u.a. auch in Aussagen wie jener der im Juni 2024 (ausgerechnet!) zur Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik ernannten, bis ins Mark russophoben ehemaligen estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas, die erst vor kurzem verlauten ließ, eine Zerschlagung Russlands wäre „keine schlechte Sache“.[19] Zumindest würde dies – abgesehen von sonstigen geopolitischen Kalkülen im Kampf des Westens gegen die eigene „Hegemoniekrise“ – einen plausiblen Erklärungsansatz liefern für die Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, mit der spätestens seit 2014 auf die Eskalation in der Ukraine hingearbeitet wurde und gegenwärtig, angesichts des sich abzeichnenden militärischen Debakels, sogar die Möglichkeit eines weltvernichtenden Atomkriegs in Kauf genommen wird. Neuer Höhepunkt in der sich immer schneller drehenden Eskalationsspirale ist der – entgegen ohnehin nur noch recht halbherziger Beteuerungen – mit hoher Wahrscheinlichkeit von westlichen Kräften mit geplante, jedenfalls sowohl durch westliches Kriegsgerät als auch Personal unterstützte Einmarsch ukrainischer Truppen in die russische Oblast Kursk Anfang August 2024.[20]



China als neuer Hegemon und Garant einer „multipolaren Weltordnung“?

 

Besonders brauchbares empirisches Material sowie darauf gestützte krisentheoretische Erörterungen liefert Konicz, wie eingangs schon erwähnt, im Hinblick auf die Rolle Chinas im aktuellen Krisenprozess und die Aussichten der derzeit zu beobachtenden Entwicklungen im Rahmen der BRICS. Grundsätzliche Überlegungen hierzu habe ich bereits in meinem Text zur De-Dollarisierung angestellt vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Niedergangs der USA als militärischer Weltmacht und der damit Hand in Hand gehenden Erosion des Dollar als „Weltgeld“.

 

Die Herausforderungen, vor der solche Bestrebungen einer heute gerne im Mund geführten „multipolaren Weltordnung“, auf der Grundlage einer Ablösung der USA als „Welthegemon“, stehen, wurden in diesem Beitrag bereits recht klar benannt: Diese würden sich nicht darin erschöpfen, die Dominanz der USA als Weltmacht sowie des US-Dollar als Weltleitwährung zu brechen. Es müsste auch ökonomisch eine Konstellation geschaffen werden, die in der Lage wäre, jene selbst schon prekäre Konstellation der neoliberalen Phase abzulösen, in der die USA als „sicherer Hafen“ für das globale Finanzkapital und, auf der Grundlage ihres „militärisch gedeckten“, d.h. durch ihre tatsächliche oder vermeintliche militärische Überlegenheit gestützten US-Dollar, als „Staubsauger der überschüssigen Warenströme“ (Kurz 2013, S. 43) und auf diese Weise als „schwarze[s] Loch der Weltwirtschaft“ (ebd., S. 41) fungieren konnten. Eben dies bildete die Basis jenes „pazifischen Defizitkreislaufs“, auf dem die Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten maßgeblich beruhte, indem die globale Überproduktion (insbesondere die Massenware aus China) nicht nur, aber vorrangig in den USA durch schuldenfinanzierten Konsum gleichsam „verknuspert“ wurde. Und genau dieses krisenkapitalistische Arrangement ist es, das sich mittlerweile erschöpft hat und mit dem Niedergang der USA als globaler Hegemonialmacht endgültig wegzubrechen droht. Die sich abzeichnenden protektionistischen Tendenzen kommen hier noch erschwerend hinzu und sind, wie dargestellt, bereits eine immanente Reaktion auf die Erschöpfung der bisherigen krisenpolitischen Strategien. Die Frage ist also, auf welche ökonomische Grundlage sich die angestrebte „multipolare Weltordnung“ stützen soll.

 

Man kann darüber streiten, ob Konicz alle damit zusammenhängenden Entwicklungen in seinem Text richtig einschätzt oder ob er nicht zuweilen manchen westlichen Projektionen (aufseiten der „Transatlantiker“ ebenso wie auf jener der Kritiker des US-Imperialismus) über konkrete Absichten Chinas oder der BRICS aufsitzt – etwa mit Blick auf das angebliche „Hegemoniestreben“ Chinas und entsprechende Versuche, die geopolitisch absteigenden USA als „Welthegemon“ zu beerben. Dass die USA dergleichen behaupten, ist keine Überraschung – befleißigen sie sich doch schon seit Jahren einer entsprechend aggressiven und konfrontativen Politik gegen das geopolitisch und ökonomisch aufstrebende China. Aus China selbst vernimmt man wenig über derlei Ambitionen. Bereits die u.a. von China propagierte Idee der „Multipolarität“ steht in gewissem Widerspruch zum Aufbau einer neuen Hegemonie eines einzelnen Staates oder Staatenblocks. Was die BRICS betrifft, so sind diese meiner Wahrnehmung nach eher eine aus der Not geborene Defensivaktion, um sich dem Einfluss der USA entziehen zu können und sich besser gegen geopolitische und ökonomische Angriffe (z.B. Sanktionen) zu wappnen. Dass daraus ein echtes Gegenmodell zum US-dominierten Westen oder gar ein alternativer „hegemonialer Block“ entstehen soll (oder dies auch nur theoretisch könnte), mag eine Befürchtung des absteigenden Westens und eine Hoffnung von Ländern des Globalen Südens sowie unter Anhängern der „multipolaren“ Idee sein, entspricht aber nicht notwendigerweise der Realität. Darüber hinaus kapriziert sich Konicz in seinem Text allzu stark auf (angebliche) Pläne der BRICS, eine eigene Währung zu entwickeln. Wie ich bereits in meinem De-Dollarisierungs-Artikel geschrieben habe, macht es einstweilen eher den Eindruck, als würde das Ziel darin bestehen, ein von den USA unabhängiges und nicht sabotierbares Zahlungssystem aufzubauen, das auf Basis der nationalen Währungen funktionieren soll (vgl. Urban 2023d, S. 15).

 

Man kann auf der empirischen Erscheinungsebene also im Einzelnen einiges durchaus anders einschätzen als Konicz. Die aus der finalen Krise des Kapitalismus selbst resultierenden Hürden, die der Etablierung einer alternativen, „multipolaren“ Weltordnung oder gar eines neuen „hegemonialen Blocks“ mit China an der Spitze bereits theoretisch entgegenstehen und die Konicz in seinem Beitrag sehr detailliert herausarbeitet (vgl. Konicz 2024a, S. 40ff.), erscheinen mir allerdings weitestgehend plausibel. Er verweist schon eingangs zu Recht darauf, dass angesichts der zahlreichen und tendenziell weiter zunehmenden regionalen, zwischenstaatlichen Konflikte in weiten Teilen der Welt höchstens von einer „multipolaren Weltunordnung“ die Rede sein könne, die gerade Ausdruck dessen sei, dass es im aktuellen Stadium der Krisenreife „keinen Welthegemon mehr geben kann“ (ebd., S. 40). Es ist ihm vor diesem Hintergrund auch zuzustimmen, wenn er die mit allerhand utopischen Illusionen (etwa einer „gerechteren“ und „demokratischeren“ Welt) aufgeladene Vorstellung einer „multipolaren Weltordnung“ als eine Krisenideologie bezeichnet (ebd.).

 

Konicz beginnt seine Analyse mit den BRICS, die im Szenario einer „multipolaren Weltordnung“ eine tragende Rolle spielen (sollen). Er widerspricht dabei zunächst solchen Kommentatoren der aktuellen globalen Entwicklungen, die in den BRICS bereits aufgrund der Tatsache einen Hoffnungsträger sehen möchten, dass sie quantitativ, gemessen an der Wirtschaftsleistung, mittlerweile die G7 überflügeln. Konicz weist darauf hin, dass der mit Abstand größte Beitrag zum ökonomischen Aufstieg der BRICS auf China zurückzuführen ist. Die BRICS als Wirtschaftsraum seien von ungeheuren Disparitäten sowohl im Hinblick auf Wirtschaftsleistung als auch auf Einkommen geprägt, vor denen „selbst die berüchtigten Ungleichgewichte in der Euro-Zone verblassen“ (ebd., S. 42). Diese Ungleichgewichte werden wohl mit jeder Erweiterung der BRICS durch die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten tendenziell noch weiter anwachsen – dies wird allein bei einem Blick auf die Liste der in den vergangenen Jahren neu hinzugestoßenen Mitgliedsländer ersichtlich, die in ökonomischer Hinsicht so verschiedene Volkswirtschaften wie Ägypten, den Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate und Äthiopien umfassen. Neben gewiss nicht zu vernachlässigenden „gemeinsamen ökonomischen Interessen“ – Intensivierung von Handelsbeziehungen, geopolitische Kooperation, Verringerung der Abhängigkeit von den westlichen Zentren, Aufbau eines alternativen Zahlungssystems oder sogar einer eigenen Währung etc. – bestehen allein aufgrund dieser Disparitäten also auch erhebliche „Zentrifugalkräfte“ (ebd., S. 43).

 

Letztendlich, so Konicz, würde es darauf hinauslaufen (müssen), „dass die Schwellenländer sich in einer finanziellen Abhängigkeit von China wiederfinden würden, das mit der Schaffung einer BRICS-Währung und eines alternativen Finanzsystems auch alternative Investitionsmöglichkeiten aufbauen will, um die Anfälligkeit gegen US-Sanktionen abzumildern“ (ebd.). Selbst wenn es gelingen sollte – woran Konicz starke Zweifel anmeldet[21] –, die meisten dieser Vorhaben umzusetzen, insbesondere die mögliche Etablierung einer gemeinsamen BRICS-Währung, so wäre diese nur als „monetäres Vehikel einer hypothetischen nationalen Hegemonie denkbar, ähnlich dem US-Dollar“ (ebd.), wobei China letztlich „die Hegemoniekosten tragen [müsste], die im krisengeplagten […] Spätkapitalismus zwangsläufig anfallen“ (ebd., S. 44). Konkret bedeutet das laut Konicz:


„Die chinesischen Handelsüberschüsse müssten abgebaut werden und sich in Defizite verwandeln, während der chinesische Finanzmarkt geöffnet werden müsste. […] China müsste gewissermaßen zu einem ‚Schwarzen Loch‘ der Weltwirtschaft werden, wie es die USA sind, dessen Anziehungskraft mittels Handelsbilanz- und Haushaltsdefiziten die Überschussproduktion einer an ihrer Hyperproduktivität erstickenden spätkapitalistischen Weltwirtschaft aufsaugt – um den Preis von Deindustrialisierung und destabilisierender Spekulationsblasenbildung.“ (ebd.)


Mit anderen Worten: China müsste tatsächlich an die Stelle der USA treten, und zwar auch bzw. gerade in deren Funktion für die im heutigen Krisenstadium notwendigen Defizitkreisläufe, d.h. als „Weltstaubsauger“ der globalen Warenströme – ohne dies jedoch unter den heutigen Bedingungen noch effektiv leisten zu können, zumal sich die Defizitkreisläufe als Mechanismen der Krisenverschleppung inzwischen offensichtlich weitgehend erschöpft haben.


Die einzige dazu denkbare, noch unrealistischere Alternative, die Konicz folgerichtig erst gar nicht erwähnt, bestünde darin, dass ein anderer Staat der BRICS-Gruppe diese Rolle übernimmt. Dann könnte China an seiner gegenwärtigen Position als „Werkstatt der Welt“, seinen Handelsüberschüssen usw. festhalten, und die vor allem in China anfallende Überschussproduktion müsste weiterhin anderswo aufgesaugt werden. China selbst wird dies auf dem heutigen Produktivitätsniveau, trotz beeindruckender Entwicklungen im Bereich des Binnenkonsums[22], nicht leisten können. Auch von anderen (aktuellen und in Zukunft möglicherweise noch hinzu kommenden) BRICS-Ländern ist auf „regulärem“ Weg keine Massennachfrage in der entsprechenden Größenordnung zu erwarten, zumal der wirtschaftliche „Boom“, den die Schwellenländer in den vergangenen Jahren verzeichneten, selbst nur ein Produkt der globalen Defizitkreisläufe, also schuldenfinanziert war (vgl. Konicz 2016, S. 85ff.). Wenn die USA als Zugmaschine des Weltkonsums ausfallen sollten, schon allein infolge der zunehmenden wirtschaftlichen Abschottungstendenzen, wird es einen neuen Defizitkreislauf brauchen, um das nur noch auf Pump laufende warenproduzierende System weiterhin in Gang zu halten. Doch welcher Staat außer China könnte so einen Defizitkreislauf gewährleisten? Russland? Dass Russland die USA als führende Militärmacht ablöst, wäre ihm schon zuzutrauen und ist de facto bereits im Gange. Ein auf dieser Grundlage „militärisch gedeckter“ Rubel (oder eine sonstige, erst noch zu schaffende gemeinsame BRICS-Währung) als Weltleitwährung – analog zum längst nicht mehr ökonomisch, sondern ebenfalls nur noch militärisch gedeckten US-Dollar – ist hingegen weit weniger vorstellbar. Selbst theoretisch hätte dies – wieder analog zu den USA – den Aufbau eines hypertrophen, bei der aktuellen Weltlage geradezu dystopisch anmutenden Militär- und Rüstungsapparats zur Voraussetzung, der Russland nicht nur militärisch, sondern auch ökonomisch eine gewisse Basis verschafft, indem er als Konjunkturmotor fungiert. Und selbst dann bliebe immer noch das Problem, dass Russland die USA auch als „sicherer Hafen“ für das globale Finanzkapital beerben müsste, um auf dieser Grundlage einen Defizitkreislauf zu etablieren, der den bisherigen „pazifischen Defizitkreislauf“ zwischen den USA und China ersetzt, und so die Verschuldungsdynamik, an deren Tropf der Kapitalismus auf dem heutigen Produktivitätsniveau hängt, weiter zu perpetuieren.


Dass bereits das weitaus realistischere Szenario mit China an der Spitze einer neuen „multipolaren Weltordnung“ illusorisch sein dürfte, zeigt sich daran, dass auch China längst von schweren Finanz- und Wirtschaftskrisen erschüttert wird. Konicz veranschaulicht dies insbesondere an der Entwicklung des ehrgeizigen chinesischen Projekts einer „Neuen Seidenstraße“ (Belt and Road Initiative), das inzwischen praktisch bankrott sei (Konicz 2024a, S. 44ff.). Dabei handelt es sich um „‚das größte transnationale Infrastrukturprogramm‘, das jemals von einem einzelnen Land in Angriff genommen wurde“ (ebd., S. 45) und das von den Dimensionen her selbst den berühmten Marshallplan der USA im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg weit übersteigt. 838 Milliarden Dollar investierte China bis Ende 2021 in dieses Projekt und avancierte damit zum „größten bilateralen Kreditgeber der Welt“ und zu einem „ernst zu nehmenden Konkurrenten für den IWF [Internationaler Währungsfonds, A.U.], wie es die Financial Times einmal ausdrückte (ebd., S. 45f.). Gerade dieses gigantische Investitionsprogramm, das ebenfalls in den verbreiteten utopischen Vorstellungen einer „multipolaren Weltordnung“ eine zentrale Rolle spielt, bescherte China seine erste große Schuldenkrise. Laut Berechnungen von US-Thinktanks (die freilich mit der entsprechenden Vorsicht zu genießen sind) „sollen schon 2022 chinesische Kredite in Höhe von rund 118 Milliarden Dollar von Zahlungsausfall bedroht gewesen sein, was in etwa 16 Prozent der gesamten Investitionen im Rahmen der ‚Neuen Seidenstraße‘ entspricht“ (ebd.). Wenn diese Zahlen auch nur annähernd der Realität entsprechen sollten, deutet das freilich auf eine Schieflage hin, die das Projekt ernsthaft gefährden könnte. Betroffen von Zahlungsausfällen waren insbesondere Länder in Afrika, Südasien und Lateinamerika, die „durch den pandemiebedingten Krisenschub ökonomisch zurückgeworfen“ (ebd., S. 46) wurden und sich durch die als Reaktion auf die Krise vorgenommene Zinswende der Notenbanken in einer „existenziellen Wirtschaftskrise“ (ebd., S. 47) wiederfanden. Dabei handelte es sich also um eine „klassische Schuldenfalle“, die mit dem neuen Krisenschub gnadenlos zuschnappte: „Mit der Zinswende der US-Notenbank floss das Kapital wieder zurück in die Zentren, was die Konjunktur der Schwellenländer erlahmen ließ, während die damit einhergehende Währungsabwertung und die höheren Zinsen den Schuldendienst verteuerten oder untragbar machten. Chinas Neue Seidenstraße führte geradewegs in eine veritable Wirtschafts- und Schuldenkrise.“ (ebd.)


China hat somit das Problem – anders als noch die USA während ihres Aufstiegs zum Welthegemon im 20. Jahrhundert, als auch der Kapitalismus sich noch in einer Aufwärtsbewegung befand und mit dem Fordismus nachgerade seinen historisch größten Akkumulationsschub verzeichnete –, dass es „in einem krisengeplagten Weltsystem operieren [muss] (ebd., S. 48), in dem kein neues, tragfähiges Akkumulationsregime (mehr) in Aussicht ist und die Hyperproduktivität der kapitalistischen Produktionsweise beständig steigende Schuldenberge erzeugt, um in Ermangelung einer kaufkräftigen Nachfrage in der entsprechenden Größenordnung die Warenproduktion auf Pump weiterlaufen lassen zu können.


„Und eben daraus resultieren auch die kaum zu bewältigenden Hürden, die sich dem Aufbau eines Hegemonialsystems in der derzeitigen Weltkrise des Kapitals in den Weg stellen. Hegemonie, also die von den untergeordneten Mächten eines Machtsystems akzeptierte oder tolerierte Führungsstellung, ist nur noch um den Preis der Kreditfinanzierung denkbar, da es kein ökonomisches Fundament in Gestalt eines neuen Akkumulationsregimes für ein stabiles Hegemonialsystem mehr gibt.“ (ebd., S. 49)


Dass transnationale Infrastrukturvorhaben wie die „Neue Seidenstraße“ auch ökologisch eine Katastrophe sind, wie Konicz im Weiteren ausführt (ebd., S. 47f.) – schon allein im Hinblick auf den Rohstoffbedarf oder die dabei zwangsläufig anfallenden CO2-Emissionen – dürfte ohnehin auf der Hand liegen und bedarf wohl keiner gesonderten Kommentierung.


Auch in China selbst machen sich die mit der Verwertungskrise einhergehenden Probleme zunehmend geltend. Konicz führt dafür, gleichsam symptomatisch, das „ewige Siechtum des chinesischen Immobiliensektors“ (ebd.) ins Feld. Berühmt-berüchtigt sind in diesem Zusammenhang die „chinesischen Geisterstädte aus hastig erbauten, oft schon im Verfall befindlichen Hochhaussiedlungen“ (ebd., S. 50). Diese sind faktisch das Produkt einer gewaltigen Spekulationsdynamik, „die in ihren gigantischen Ausmaßen alles in den Schatten stellt, was in den USA oder in Teilen Westeuropas sich vor dem Immobiliencrash 2007/08 abspielte“ (ebd.). Der Umfang dieser Spekulationsdynamik wird insbesondere daran ersichtlich, dass Chinas Bau- und Immobiliensektor mittlerweile sage und schreibe 29 Prozent des BIP ausmacht. Ebenso gewaltig sind im Übrigen auch hier wieder die ökologischen Gestehungskosten: Seit 2003 hat China z.B. alle drei Jahre mehr Beton in die Landschaft geschüttet als die USA während des gesamten 20. Jahrhunderts – nicht nur für die besagten Geisterstädte, sondern auch für megalomanische Infrastrukturprojekte (vgl. Jappe 2023, S. 71).


Einen deutlichen Hinweis auf das drohende Platzen der chinesischen Immobilienblasen gibt der Fall des zweitgrößten chinesischen Immobilienentwicklers Evergrande, der im September 2021 mit einem Schuldenberg von 300 Milliarden Dollar aufgefangen werden musste und seither vom chinesischen Staat alimentiert wird (vgl. Konicz 2024a, S. 49). Evergrande bildet dabei laut Konicz nur die Spitze des Eisbergs – tatsächlich laufe der gesamte „autoritäre Staatskapitalismus“ Chinas, ebenso wie seine westlich-„demokratische“ Konkurrenz, nur noch auf Pump:


„Der chinesische Staatskapitalismus ist […] denselben zunehmenden Widersprüchen des spätkapitalistischen Krisenprozesses ausgesetzt wie der Rest der kapitalistischen One World. Die umfassenden staatlichen Interventionsmöglichkeiten Pekings haben nur dazu geführt, dass im kapitalistischen China diese Spekulationsdynamik – ohne die Entladung in einem Krisenschub wie 2008 – in weitaus höhere Dimensionen getrieben werden konnte als im Westen. Der Staat konnte bei Schuldenkrisen ‚erfolgreich‘ intervenieren – was die Spekulations- und Verschuldungsdynamik prolongierte […]“. (ebd., S. 51)


China ist also selbst in der krisenkapitalistischen Verschuldungsdynamik gefangen, aus der es genauso wenig einfach nach Belieben aussteigen kann, ohne dabei massive ökonomische, soziale und politische Verwerfungen zu riskieren, wie es ihm auch unmöglich sein wird, den Schuldenturmbau aufgrund der eskalierenden kapitalistischen Widersprüche dauerhaft aufrechtzuerhalten. Auf dieser instabilen Grundlage wird aber auch kein tragfähiges Gegenmodell zum US-dominierten westlichen System, geschweige denn ein alternatives Hegemonialsystem anstelle der erodierenden US-Hegemonie etabliert werden können. In gewisser Weise könnte man sagen, dass der ökonomische und geopolitische Aufstieg Chinas, angesichts der global voranschreitenden Krise des warenproduzierenden Systems, historisch zu spät kommt, China seine Chance auf „Hegemonie“ also gleichsam „verpasst“ hat, wie es Konicz (ebd., S. 52ff.) unter Rekurs auf den marxistischen Theoretiker Giovanni Arrighi und dessen Buch Adam Smith in Beijing ausdrückt: „Ökonomisch hat der hegemoniale Abstieg der Volksrepublik aufgrund der globalen Systemkrise bereits eingesetzt, obwohl sie ihre Hegemonialposition geopolitisch noch gar nicht erringen konnte. […] China wirkt […] aufgrund seiner im In- und Ausland einstürzenden Schuldentürme, als ob es schon vor dem Erringen der Hegemonie im Abstieg befindlich wäre.“ (ebd., S. 53f.)


Oder um es recht frei mit Robert Kurz zu sagen: Chinas Aufstieg zur Weltmacht und eine allfällige, darauf beruhende „multipolare Weltordnung“ scheitern daran, dass bereits der Niedergang des Westens bzw. der USA „an den Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise und damit der modernen Weltmachtfähigkeit“ (Kurz 2003, S. 432) schlechthin aufscheint.


Koniczs Analyse bestätigt somit den bereits an anderer Stelle (Urban 2023d, S. 12ff.) formulierten Befund: Aus wertkritischer Sicht spricht so gut wie nichts dafür, dass die Krise des Kapitalismus durch eine neue, „multipolare“ Weltordnung langfristig verzögert oder gar bewältigt werden könnte.



Aussichten: „Autoritäre Formierung“ und „multipolare Dauerkrise“


Welche Aussichten bieten sich nun laut Konicz angesichts dieser vollentfalteten „Krise der Hegemonie“ auf dem mittlerweile erreichten Reifegrad der fundamentalen Krise des warenproduzierenden Systems? Eine sich abzeichnende, von Konicz besonders hervorgehobene Tendenz wurde bereits im Rahmen der Auseinandersetzung mit protektionistischen Krisenstrategien und aktuellen Versuchen zur „Deglobalisierung“ vorweggenommen: Die neoliberale Globalisierung mitsamt den für sie charakteristischen ökonomischen Mechanismen (Freihandel, Exportorientierung, Outsourcing, horizontale Organisation der Warenproduktion etc.) scheinen zunehmend durch „staatskapitalistische Konkurrenz“ (Konicz 2024a, S. 39) abgelöst zu werden, einhergehend mit an Intensität gewinnenden Verteilungskämpfen um global (nicht zuletzt durch die zunehmende Abschottung der Wirtschaftsräume) knapper werdende Rohstoffe und Ressourcen. Der aktuelle Krieg in der Ukraine könnte damit in der Tat ein „entscheidende[r] qualitative[r] Kipppunkt [sein], der diese neue Krisenphase auf geopolitischer Ebene einleitete“ (ebd., S. 56) – wenngleich diese Phase wohl nicht erst, worauf sich Konicz beschränkt, mit dem „russischen Angriff“ eingeleitet wurde, sondern bereits durch die jahrelange, faktisch auf militärische und ökonomische Expansion ausgerichtete, konfrontative Russland- und Osteuropa-Politik des Westens – umso mehr, wenn sich Hinweise auf angebliche westliche Pläne zur Zerschlagung Russlands als zutreffend herausstellen sollten.


Zu erwarten ist also tatsächlich eine Phase der „Multipolarität“, allerdings eher als Realdystopie einer [m]ultipolare[n] Auflösung der Hegemonie“ in eine global „eskalierende Krisenkonkurrenz“ (ebd., S. 64):


„Die nun Kontur gewinnende Krisenperiode ist folglich durch ein in Auflösung übergehendes kapitalistische[s] Weltsystem geprägt, das aufgrund der zunehmenden ökonomischen und ökologischen Einschläge keine feste Hegemonie oder Blockbildung mehr erlaubt, während offen kriegerische Auseinandersetzungen auch zwischen den sich zunehmend gegen die Peripherie abschottenden Großmächten um essenzielle Ressourcen zunehmen dürften. […] Da die Deglobalisierung mit dem Zusammenbruch der globalen Defizitkonjunktur einhergeht, was den neoliberalen Schuldenberg der Entwertung zuführen wird, scheinen schwerste wirtschaftliche und soziale Verwerfungen, wie sie im neoliberalen Zeitalter weite Teile der Peripherie in Gestalt von Schuldenkrisen und Wirtschaftszusammenbrüchen verheerten, diesmal auch in den Zentren unvermeidlich. Sollte den kapitalistischen Funktionseliten keine weitere Methode der Krisenverzögerung zur Verfügung stehen, die bislang nicht in Erscheinung traten, würde der von der Peripherie in die Zentren seit den 80ern schubweise voranschreitende Krisenprozess somit bei seinem logischen Endpunkt ankommen.“ (ebd., S. 64f.)


Diese neue Krisenqualität könnte letztlich laut Konicz – wovon der auf immer höhere Eskalationsstufen getriebene Krieg in der Ukraine ja längst kündet – in einen „nuklearen Schlagabtausch“ münden; eine Aussicht, die „mit zunehmender ökologischer und ökonomischer Krisenintensität, mit immer neuen, heftigeren ‚Kriseneinschlägen‘, immer wahrscheinlicher wird“ (ebd., S. 65).


Instruktiv sind manche Parallelen, die Konicz zwischen der aktuell in ein neues Stadium eintretenden Krise des Kapitals und empirischen Erscheinungsformen aus der Endphase des Realsozialismus herausarbeitet – etwa im Hinblick auf die mit der derzeitigen „Deglobalisierung“ einhergehenden Strategien und Tendenzen zum Nearshoring und zum Aufbau regionaler anstelle der bisherigen globalen Produktionsketten:


„Das Kapital kopiert nur ein industrielles Organisationsmodell, das in der Endphase des real existierenden Sozialismus weit verbreitet war: das industrielle Kombinat. Es beruhte auf der aus der Not geborenen Idee, möglichst viele Vorprodukte in einem Unternehmen herzustellen, um so den allgegenwärtigen Versorgungsproblemen im Staatssozialismus zu begegnen. Niemand traute seinem Lieferanten im Ostblock, da Lieferengpässe ein Dauerzustand waren – weshalb die Kombinate schlicht möglichst viele Materialien horteten und Produktionsschritte in Eigenregie zu organisieren versuchten.“ (ebd., S. 63)


In diesem Zusammenhang sieht Konicz daher auch die zunehmende Abkehr von der bisherigen, die letzten Jahrzehnte prägenden Just-in-Time-Produktion zugunsten des Aufbaus von Lagerkapazitäten. Zugespitzt formuliert: Auf dem aktuellen Krisenniveau langt das kapitalistische System bei gleichsam planwirtschaftlichen Methoden des – im bürgerlichen Denken bis heute mit einem konkurrierenden, letztendlich unterlegenen Alternativsystem verwechselten – Staatssozialismus an. Das für die Wertkritik wegweisende Buch von Robert Kurz (1991) über den Kollaps der Modernisierung und den Zusammenbruch des Kasernensozialismus, in dem er den Zerfall des Realsozialismus nur als Vorschein des an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde gehenden Kapitalismus insgesamt interpretierte, gewinnt vor diesem Hintergrund womöglich eine ganz neue Aktualität.[23]


Hand in Hand mit den offenkundigen Tendenzen zum protektionistischen „Staatskapitalismus“ geht laut Konicz eine „autoritäre Formierung“ der Staatsapparate – dies sowohl nach außen als auch nach innen –, in Verbindung mit einem um sich greifenden „Extremismus“, in letzter Instanz gefolgt von Prozessen des „Staatszerfall[s] (Konicz 2024a, S. 66ff.), wie sie in peripheren Regionen des kapitalistischen Weltsystems längst an der Tagesordnung sind (dazu Bedszent 2014). Auch an diesem Befund und der daraus abgeleiteten Prognose gibt es freilich an und für sich wenig zu beanstanden. Im Detail sind Koniczs Ausführungen jedoch abermals von etlichen, keineswegs vernachlässigbaren Auslassungen geprägt, die aber natürlich in einem engen inhaltlichen Zusammenhang mit so manch anderen, bereits an früherer Stelle thematisierten Leerstellen in seinem Artikel stehen.


Zweifellos, die „autoritäre Formierung“ ist evident und geradezu mit Händen zu greifen, und zwar keineswegs nur in Ländern wie Russland, das Konicz in dieser Hinsicht, gleich dem Mainstream, an erster Stelle nennt und sozusagen als „paradigmatisch“ (Konicz 2024a, S. 55) betrachtet[24], sondern längst auch im „demokratischen“ Westen. Den hierzulande bedeutendsten und kräftigsten autoritären Schub seit dem Zweiten Weltkrieg – namentlich das staatliche Maßnahmenregime während der sogenannten Corona-Krise – hat Konicz freilich, ganz wie seine übrigen EXIT-Genossinnen und Genossen, nicht wahrgenommen. Er ist folgerichtig auch nicht Gegenstand seiner Thesen bezüglich einer sich abzeichnenden „autoritären Formierung“, mit der Konicz doch eigentlich ganz explizit „Demokratieabbau“ und einen „Ausbau des Überwachungsstaates“ verbindet (ebd., S. 66) – autoritäre staatliche Bestrebungen, die schon während des Neoliberalismus „präsent“ gewesen seien, aber nunmehr „offen zutage treten“ würden (ebd., S. 66f.). Anzunehmen ist, dass er der bei EXIT durchaus konsensfähigen Sichtweise folgt, wonach die „Pandemie“, vergleichbar etwa 9/11 und dem war on terror, als Rechtfertigung für eine weiter forcierte Versicherheitlichung und den Ausbau von staatlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen instrumentalisiert wird (vgl. in diesem Sinne etwa das Editorial der exit! Nr. 19, 2022, S. 6f.). Die Corona-Maßnahmen selbst, und waren diese in ihren Begründungen und der Art ihrer Durchsetzung noch so autoritär und mit historisch beispiellosen Eingriffen in demokratische Grund- und Freiheitsrechte verbunden (Lockdowns, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, direkter und indirekter Impfzwang, sozialer Ein- und Ausschluss mittels digitaler Zertifikatsysteme, 1G/2G/3G, Demonstrationsverbote etc.), waren aus Koniczs Perspektive aber wohl durch die pandemische Bedrohungslage gedeckt (es ging ja um „Menschenleben“!) und damit per definitionem nicht „autoritär“, sondern vielmehr notwendig und „solidarisch“ – und daher womöglich in der Umsetzung sogar noch zu inkonsequent; gilt doch bei EXIT das wirre „Hin und Her zwischen halbherzigem Lockdown und Lockerungen“ als ein während der „Pandemie“ deutlich zutage getretenes Krisensymptom, da sich darin die „Grenzen eines kohärenten politischen Agierens“ widergespiegelt hätten (Böttcher 2022). Problematisch und eigentlich selber Ausdruck einer „rechten“ und damit auch „autoritären“ Gesinnung war aus dieser Perspektive vielmehr die Kritik an all diesen „Maßnahmen“. Auch die im Zuge der Corona-Krise und des Ukraine-Kriegs unter der Begründung der „Bekämpfung von Desinformation und Fake News“ enorm ausgeweiteten Formen und Methoden der Zensur und der Meinungskontrolle finden in Koniczs Darstellung der „autoritären Formierung“ keinerlei Erwähnung.


Wenn Konicz von „Extremismus“ spricht, so meint er denn auch in erster Linie „Rechtsextremismus“. Auch das mit Fortschreiten der Krise stetig anwachsende „faschistische Potential“ (Konicz 2024a, S. 67) geht aus seiner Sicht primär von rechten „Rackets“ aus, deren „Beute“ die „autoritäre Formierung des Staates“ letztlich werde (ebd.). Nun ist auch das nicht per se verkehrt – vor allem in längerer Frist, bei weiter fortgeschrittenem Staatszerfall und einem Übergang des gesellschaftlichen Zusammenhangs in offene Anomie, werden es mit hoher Wahrscheinlichkeit vor allem rechtsextreme Kräfte sein, die das Heft in die Hand nehmen. Auch das sind Tendenzen, die in den Zerfallsregionen des kapitalistischen Weltsystems längst beobachtet werden können. Bereits heute erfahren rechte Parteien, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Entwicklungen der vergangenen Jahre, massiven Zulauf und deutet sich überhaupt eine kräftige Verschiebung des gesamten politischen Spektrums nach rechts an.

 

Gerade die Krisen der letzten Jahre haben jedoch sehr eindrucksvoll gezeigt, dass sich „extremistische“ Tendenzen längst nicht nur auf Rechtsextremismus beschränken, sondern in spezifischen Erscheinungsformen bis weit hinein in die sogenannte gesellschaftliche Mitte virulent sind (Stichwort: „Extremismus der Mitte“) und heute de facto den Mainstream bilden. Zwar ist dies nicht per se eine neue Entwicklung – die Wert- und Wert-Abspaltungskritik thematisiert die „Mittelschichtsangst“ und den daraus abgeleiteten „Extremismus der Mitte“ seit gut 20 Jahren (vgl. Scholz 2008). Die jüngsten Ereignisse im Kontext der Corona-Krise und, daran anschließend, des Ukraine-Kriegs zeigen jedoch durchaus signifikante qualitative Verschiebungen an, und zwar insofern, als ein beträchtlicher Teil der dabei zutage getretenen extremistischen Erscheinungsformen sich prima vista nicht an rechte Inhalte heftete und darüber hinaus primär von Angehörigen gesellschaftlicher Milieus getragen wurde, die sich selbst mehrheitlich als „(links)liberal“ und „grün“ identifizieren, Milieus also, die bis dahin eher nicht mit einem „Extremismus der Mitte“ in Verbindung gebracht wurden. Im Corona-Kontext war dies etwa abzulesen an den gleichermaßen von Allmachtsphantasien durchdrungenen wie stockreaktionären ZeroCovid-Ideologien oder, noch deutlicher, an der sowohl in ihren Formen als auch in ihren Inhalten schwerlich anders als faschistoid zu nennenden Hetze gegen „Ungeimpfte“ (dazu Rosner 2023). Im Kontext des Ukraine-Kriegs ist es wiederum der (besonders in Deutschland) um sich greifende Bellizismus und offen verfochtene Militarismus, oftmals einhergehend mit einer aggressiven Rhetorik gegenüber Kriegsgegnern und Friedensbewegungen; auch dies „extremistische“ Erscheinungsformen, die gerade nicht (oder jedenfalls nicht hauptsächlich) von rechten oder rechtsextremen Kreisen ausgehen, wie im Übrigen auch die für die beharrliche Eskalationspolitik gegen Russland verantwortlichen und einen neuen Militarismus propagierenden und vorantreibenden Regierungen in Europa und den USA überwiegend keine „rechten“ Regierungen sind. Mag sein, dass die Rechten, wie Konicz schreibt, gespalten sind in der Frage, wem sie in diesem Krieg ihre Unterstützung zukommen lassen sollen – „den ukrainischen Nazis oder dem russischen Präfaschismus“ (Konicz 2024a, S. 67). Mit welchem der beiden autoritären Regime es der in wahnhafter Selbstauflösung befindliche demokratische Mainstream im Westen und besonders in Deutschland hält, ist hingegen kein Geheimnis. Es ist in diesem Lichte keineswegs ausgemacht, dass die Höckes und Weidels gefährlicher sind als die Baerbocks und Strack-Zimmermanns. Zumindest in kurzer und mittlerer Frist geht von dem in der Tat beängstigenden „faschistischen Potential“ von AfD und Co. womöglich eine geringere Bedrohung aus als von den gleichermaßen beharrlichen wie irrationalen und selbstmörderischen Bemühungen jener bellizistischen Querfront aus Grünen, Liberalen, Sozial- und Christdemokraten, den Krieg bis an die Schwelle eines nuklearen Schlagabtausches zu eskalieren. 


Sofern bei Konicz solche, sich bis weit hinein in die Linke erstreckenden Erosionsprozesse des Demokratischen Erwähnung finden, beschränkt sich dies überwiegend auf ideologisch verwahrloste Antiimperialisten, die er wegen ihrer (inhaltlich in einiger Hinsicht gewiss kritikablen) oppositionellen Haltung zum Ukraine-Krieg zur „Avantgarde der Barbarei“ (Konicz 2022, S. 15) erklärt – und nicht etwa die nach immer noch mehr Waffenlieferungen und mittlerweile sogar nach einer Wiederherstellung der deutschen „Kriegstauglichkeit“ schreienden Bellizisten. Oder es geht um „Querfronttendenzen“ und die zunehmende Übernahme rechter Inhalte innerhalb der Linken, insbesondere in Asyl- und Migrationsfragen – dies bevorzugt anhand der offensichtlich zu Koniczs Lieblingsfeindbild avancierten Sahra Wagenknecht (vgl. Konicz 2024b). Ansonsten sind es in erster Linie „Verschwörungsideologen“ oder die bei EXIT vor dem Hintergrund der Corona-Krise zu einer regelrechten Obsession gewordenen „Querdenker“, deren Kritik zweifellos in vielerlei Hinsicht ebenso berechtigt und notwendig ist wie die an einer zunehmend nach rechts offenen Linken, die jedoch bei EXIT systematisch auf ihre dubiosesten und fragwürdigsten Elemente reduziert werden, um auf dieser Grundlage jedwede Coronamaßnahmen-Kritik als Ausdruck eines in der Krise stetig um sich greifenden Sozialdarwinismus, Antisemitismus, Verschwörungswahns und Rechtsextremismus zu denunzieren.[25]


In den unter Wert-Abspaltungskritikern, zumal in der EXIT-Gruppe, geradezu verhassten Streifzügen findet man mitunter Einschätzungen der sich gegenwärtig abzeichnenden autoritären Tendenzen, die weitaus stichhaltiger, weil umfassender und damit auch realitätsgerechter sind als alles, was es bei EXIT inkl. Tomasz Konicz zu diesem Thema zu lesen gibt:


„Ist die Position der FPÖ zum Ukraine-Krieg extremistischer als die der Grünen? Oder ist sie bloß realistischer? […] Protegieren EU-legitimierte Parteien (Christkonservative, Sozialdemokraten, Liberale, Grüne) eine restriktive Asylpolitik, ist sie geboten, zulässig, ja zusehends gewünscht, machen die Freiheitlichen dasselbe oder wollen etwas mehr davon, ist es gesichert rechtsextrem. Einmal wird es verharmlost und ein andermal wird es mit den schärfsten Attributen bedacht. Dass beide Varianten Spielarten eines autoritären Zerfalls westlicher Gesellschaften darstellen, das kann gar nicht sein und wird daher auch kaum diskutiert.“ (Schandl 2024)


Möglicherweise zeigt der längst zum Mainstream gewordene „Extremismus“ und die damit einhergehende zunehmende Ununterscheidbarkeit linker, liberaler, konservativer und rechter Inhalte und politischer Ausdrucksformen einfach nur den mittlerweile erreichten Grad der Erosion der Politik insgesamt an, die ja nie etwas anderes als ein abgeleitetes Subsystem der vom Wert beherrschten bürgerlichen Gesellschaft war. Es ist vor diesem Hintergrund nur folgerichtig, dass mit der sich zuspitzenden Krise des warenproduzierenden Systems auch ihre politischen und demokratischen Formen und Institutionen zusehends zerfallen und im Zuge dieses Zerfallsprozesses die immanenten Parteiungen und politischen Identitäten von links, liberal, konservativ bis rechts immer mehr durcheinandergehen. Schon seit langem und in geradezu paradigmatischer Form kann dieser politische Erosionsprozess an der jüngeren Entwicklungsgeschichte der Linken besichtigt werden. Einst als emanzipatorisch gemeinte Dissidenz zu und aus den Liberalen hervorgegangen, die wiederum selbst nur einen Pol innerhalb der bürgerlichen Demokratie in Konkurrenz zu den Konservativen darstellten, ist die Linke in den vergangenen Jahrzehnten zusehends in den Schoß der (Neo-)Liberalen zurückgekrochen und schon längst nur mehr mit Mühe von diesen zu unterscheiden. Auf dem heute erreichten Niveau der Krise des Kapitalismus und seiner politischen Formen löst sich nun auch die für die kapitalistische Demokratie charakteristische Differenz zwischen Liberalismus und Konservatismus mehr und mehr auf und damit in letzter Instanz auch jene zwischen links und rechts. Das bereits unmittelbar absehbare Endstadium dieser Entwicklung ist ein totalitärer Staatsapparat, der die kapitalistische Krisen- und Notstandsverwaltung mit immer autoritäreren und repressiveren Mitteln ins Werk setzt und in dem sich die politischen Programme nur noch in Nuancen[26] und das an den Schalthebeln der Macht sitzende Führungspersonal allenfalls oberflächlich durch die jeweils in Anschlag gebrachte, objektiv jedoch vollends gegenstandslos gewordene Legitimationsideologie voneinander unterscheiden.


Hinsichtlich der allgemeinen systemischen Entwicklungstendenz ist Koniczs Prognose ganz bestimmt zutreffend:


„Mit dem Verelendungsschub [den das Ende der kreditfinanzierten neoliberalen Krisenverschleppung zusehends auch in den Zentren nach sich ziehen wird, A.U.] wird die seit Dekaden ablaufende, graduelle Verrohung der bürgerlichen Metropolengesellschaften in offen faschistische Barbarisierung übergehen, angetrieben von einer eskalierenden, ins Anomische treibenden Krisenkonkurrenz auf allen Ebenen. Der krisenbedingte sozialpolitische Rückzug des Staates dürfte diesen auf seine ursprüngliche Rolle als Repressionsinstrument reduzieren. Der neue Krisenschub wird somit eine entsprechende staatliche Reaktion nach sich ziehen. Die autoritären staatlichen Bestrebungen, im Neoliberalismus in Form von Demokratieabbau und Ausbau des Überwachungsstaates präsent, werden offen zutage treten.“ (Konicz 2024a, S. 66f.)


Ein vollständiges Bild dieser in „offen faschistische Barbarisierung“ übergehenden „Verrohung“ der bürgerlichen Gesellschaft und der sich am Horizont bereits deutlich abzeichnenden „autoritären Formierung“ ergibt sich aber erst dann, wenn hier auch jene Erscheinungsformen der bürgerlichen Verrohung und der sich daraus entwickelnden Tendenz zum Autoritären und Faschistischen berücksichtigt werden, über die sich Konicz und seine EXIT-Genossinnen und Genossen beharrlich ausschweigen.


Worüber man bei Konicz übrigens auch nichts erfährt – dies nur als abschließende Bemerkung zum Thema Zukunftsaussichten –, ist eine Frage, zu der ich am Ende meiner früheren Abhandlung über die De-Dollarisierung einige sehr kursorische Überlegungen angestellt habe: Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Erschöpfung der krisenkapitalistischen Mechanismen zur Krisenverzögerung habe ich die Frage aufgeworfen, ob wir möglicherweise in absehbarer Zeit Zeugen des Übergangs in eine gleichsam dystopische Form einer postkapitalistischen Gesellschaft werden könnten (vgl. Urban 2023d, S. 17f.). Mit derartigen Fragen befasst sich Konicz in seinem Beitrag in keiner Weise, wenngleich diese vor dem Hintergrund seines Befunds, dass mit dem Zusammenbruch der kreditfinanzierten Krisenverschleppung und dem endgültigen Durchschlagen der finalen Krisendynamik auf die kapitalistischen Zentren der Krisenprozess letztlich „bei seinem logischen Endpunkt“ ankommen würde (Konicz 2024a, S. 65), durchaus wie der sprichwörtliche Elefant im Raum stehen. Was folgt, wenn der „logische Endpunkt“ – möglicherweise schon bald – erreicht ist und die Verwertungsbewegung des Kapitals endgültig kollabiert? Konicz scheint, ausgesprochen oder unausgesprochen, davon auszugehen, dass die kapitalistische Gesellschaft einfach immer weiter in Auflösung und strukturellen Zerfall übergeht und schlussendlich in Anomie und Barbarei versinkt – was zunächst keineswegs abwegig und eines von mehreren realistischen Szenarien ist. Aber stellt sich nicht doch die Frage, ob aus der finalen Auflösung des Kapitalverhältnisses, gleichsam aus den rauchenden Ruinen der kapitalistischen „Antizivilisation“ (R. Kurz), und auf der Grundlage der aus dem Kapitalismus ererbten bzw. zum Zeitpunkt seines Zusammenbruchs bestehenden Eigentums- und Machtverhältnisse (etwa mit Blick auf die Verfügung über Produktions- und Gewaltmittel) neue Herrschaftsverhältnisse hervorgehen könnten? Verhältnisse, die möglicherweise (zumindest zeitweilig) immer noch so tun, als wären sie kapitalistische, etwa indem sie bestimmte Organisations- und Produktionsformen des Kapitalismus übernehmen oder nach wie vor (auf den ersten Blick) mit kategorialen kapitalistischen Formen operieren, die jedoch ihre Rolle und Funktion, die sie im Kapitalismus hatten, im strengen kategorialen Sinn bereits verloren haben (z.B. mit einem „Geld“, das nicht mehr als allgemeines Äquivalent und als ausgesonderte „Königsware“ fungiert, sondern in erster Linie dazu dient, mithilfe digitaler Zahlungssysteme und digitaler IDs den Zugang zu Gütern und anderen Leistungen zu regeln)? Verhältnisse, die so gesehen also durchaus zutreffend als Auflösungs- und Zerfallsprodukte des warenproduzierenden Systems betrachtet werden können, die aber dennoch nicht mehr zureichend als „kapitalistisch“ zu beschreiben wären?


Zumindest über mögliche bzw. sich bereits andeutende Verlaufsformen der krisenhaften Auflösung der kapitalistischen Gesellschaft hat sich Konicz in früheren seiner Beiträge Gedanken gemacht, so etwa in seinem Buch Kapitalkollaps (Konicz 2016, S. 241ff.). Er spricht darin recht plakativ von zwei gleichermaßen dystopischen Alternativen, die sich mit dem Ende der kapitalistischen Tretmühle – so diese nicht emanzipatorisch überwunden wird – ergeben könnten: „1984“ oder „Mad Max“. Ersteres wäre das Szenario eines staatlichen Hightech-Repressionsapparats, der nach innen mit autoritären und repressiven Mitteln seine Bevölkerung überwacht und kontrolliert und nach außen die überflüssigen Menschenmassen in Schach zu halten versucht. Mit zweiterem bezeichnet Konicz die Willkürherrschaft von Banden, Rackets und Milizen in von Anomie und Staatszerfall gezeichneten Regionen – ein Zustand, der in zahlreichen Zusammenbruchsgebieten und failed states des kapitalistischen Weltsystems de facto bereits Realität ist (vgl. Konicz 2013). „Der Leviathan und das Racket“ quasi als „die beiden Mahlsteine, die im kapitalistischen Barbarisierungsprozess die zivilisatorischen Errungenschaften der letzten 10.000 Jahre zu zermahlen drohen“ (Konicz 2015) – dies sind laut Konicz die Aussichten, die der aus sich heraus zerfallende Kapitalismus für die Zukunft bereithält.


Gerade mit Blick auf eine möglicherweise am Horizont aufziehende dystopische Form einer postkapitalistischen Gesellschaft scheinen mir dies zwei sehr realistische Szenarien zu sein, wobei beide durchaus nebeneinander bzw. parallel existieren könnten: einerseits eine Mad-Max-Plünderungsökonomie in den vom Zusammenbruch verheerten und der Anomie preisgegebenen peripheren Weltregionen, die von Banden, Mafiaclans und Rackets kontrolliert wird, sowie andererseits ein (mitunter von Oligarchen beherrschter) autoritärer Überwachungsstaat in den globalen Ballungsräumen und ehemaligen Wirtschafts- und Industriezentren des verfallenen Systems, in Kombination mit einer Hightech-Kommandowirtschaft, die auf „Arbeits“- und Organisationformen beruht, die als sklavenähnlich oder – in Ermangelung eines adäquateren Begriffs – als „neofeudal“ bezeichnet werden könnten. Auch innerhalb der jeweiligen „Zonen“ könnte es mitunter Mischformen geben, wie sie sich laut Konicz ebenfalls heute schon abzeichnen, so etwa in technologisch und organisatorisch hochentwickelten Netzwerken, wie sie z.B. durch manche mexikanische Drogenkartelle repräsentiert werden, die aus der anomischen Verselbständigung des Staatsapparats hervorgegangen sind (vgl. Konicz 2016, S. 242f.).


Die rasch voranschreitende Krise des kapitalistischen Weltsystems und die mit Händen zu greifende Erosion seiner Kategorien (Geld, Wert, Arbeit etc.) macht es erforderlich, solche möglichen Entwicklungen, d.h. den potentiellen Übergang des Krisenkapitalismus in eine neue, postkapitalistische Form von Herrschaft, in Betracht zu ziehen und krisentheoretisch zu diskutieren. Neben der fortgesetzten kritisch-analytischen Begleitung des Krisenprozesses in seinem weiteren Verlauf sollte auch die theoretische Auseinandersetzung mit solchen Fragen zu den vordringlichen Aufgaben für die künftige wertkritische Theoriebildung gehören.



Fazit


Der Beitrag von Tomasz Konicz zur „Krise der Hegemonie“ bestätigt im Wesentlichen die bereits an anderer Stelle auf dieser Website skizzierten Überlegungen hinsichtlich der Konsequenzen des gegenwärtig zu beobachtenden Niedergangs des Westens und insbesondere des damit einhergehenden Verfalls des Dollar als Weltleitwährung für den weiteren Verlauf des globalen Krisenprozesses. Auch Konicz sieht mit diesen Entwicklungen die Endkrise ein beträchtliches Stück näher rücken, da damit sämtliche Voraussetzungen der bisherigen Mechanismen zur Krisenverschleppung endgültig wegbrechen würden. Die Etablierung alternativer Mechanismen zur weiteren Verzögerung oder gar nachhaltigen Bewältigung der Krise, etwa durch eine Ablösung der bisherigen US-dominierten „unipolaren“ von einer „multipolaren Weltordnung“, erscheint höchst unwahrscheinlich, da sich aus den BRICS vermutlich kein hegemonialer Block formen lassen wird und auch China, das in diesem „multipolaren“ Szenario bisher eine treibende Kraft darstellt und wohl auch in Zukunft darstellen müsste, in der spätkapitalistischen Schuldendynamik gefangen ist und sich nicht ohne weiteres daraus befreien können wird.


Die insgesamt sehr gewinnbringende Konsultation von Koniczs Beitrag erlaubte es, meinen Thesen vor allem in zweierlei Hinsicht zusätzliche Substanz zu verleihen: Zum einen rückten damit Aspekte in den Blick, die in meinen bisherigen Auseinandersetzungen nicht, zumindest aber nicht systematisch berücksichtigt wurden, etwa die Tendenzen zum Protektionismus und zur „Deglobalisierung“. Zum anderen lieferte sein Text wertvolles empirisches Material, mit dem manche Thesen zusätzlich erhärtet und bekräftigt wurden, insbesondere zur Rolle Chinas im aktuellen Krisenstadium und im Hinblick auf die Aussichten der derzeitigen Bestrebungen zur Etablierung einer „multipolaren Weltordnung“. Zum Teil erhebliche Differenzen hat die Rezeption seiner krisentheoretischen Erörterungen hingegen dahingehend offenbart, dass Konicz die eigene Qualität der spezifisch westlichen Verfallsprozesse, insbesondere mit Blick auf den konkreten Verlauf des westlich-russischen Stellvertreterkriegs in der Ukraine, kaum hinreichend würdigt. Ebenso fällt seine Analyse der inzwischen auch in westlichen Demokratien mit Händen zu greifenden Faschisierung und „autoritären Formierung“ einseitig verkürzt auf Rechtsextremismus aus, während er zahlreiche andere Erscheinungsformen eines längst in den demokratischen Mainstream hineinreichenden bzw. von dort ausgehenden Extremismus und Autoritarismus systematisch ausblendet oder nicht zur Kenntnis nimmt. Volle Übereinstimmung besteht jedoch in der allgemeinen Einschätzung des künftigen Krisenverlaufs: Die Krise des Kapitalismus ist dabei, in eine neue Phase einzutreten, die massive sozioökonomische Verwerfungen erwarten lässt und mit einer Zunahme kriegerisch ausgetragener Verteilungskämpfe einhergehen wird.


Freilich kann nicht kategorisch ausgeschlossen werden, dass sich das warenproduzierende System doch noch einmal vorübergehend (für einen eher kürzeren als längeren Zeitraum) „berappelt“ – und sollte wohl auch nicht ausgeschlossen werden in Anbetracht der zahlreichen „unorthodoxen“, um nicht zu sagen: abenteuerlichen Krisenstrategien der letzten Jahrzehnte, die die Wertkritik niemals vorherzusagen gewagt hätte und mit denen es zumindest gelungen ist, dem kriselnden Kapitalismus gegen jede Erwartung doch noch ein wenig „Atem zu gewähren“ (Jappe 2024, S. 5). Wer weiß, unter Umständen könnten wir vielleicht doch noch eine Phase erleben, in der China oder den BRICS zeitweilig eine Art Führungsrolle in der weiteren Abwicklung des an seinen Widersprüchen zugrunde gehenden Kapitalismus zuteilwird. Eine längerfristige Verschleppung oder Bewältigung der fundamentalen Kapitalismuskrise ist davon aber nicht zu erwarten.


Was hingegen mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden kann, weil sich dies ungeachtet aller vorübergehend wirksamen und unwirksamen, orthodoxen und unorthodoxen Krisenmaßnahmen praktisch über den gesamten Verlauf der vergangenen Jahrzehnte bestätigt hat:


  1. Keine wie auch immer geartete und von den Funktionseliten des Systems ausgeheckte Krisenstrategie wird auch nur eines der Grundprobleme des Kapitalismus lösen können, da diese aus den immanenten Widersprüchen des warenproduzierenden Systems selbst resultieren.

  2. Keine dieser Maßnahmen und Strategien wird, aus denselben Gründen, zu einer Bewältigung der Krise führen. Die Frage ist somit nach wie vor nicht – unabhängig von manchen sich vielleicht als notwendig erweisenden Revisionen der Krisentheorie –, ob, sondern nur wann die ultimative Endkrise kommt und der Kapitalismus endgültig unter der Last seiner himmelschreienden Widersprüche zusammenbricht.

  3. Mit jeder Verschleppung der Krise wächst auch das Krisenpotential, steigt sozusagen die Fallhöhe, von der aus irgendwann der Zusammenbruch erfolgen wird. Mit jedem weiteren Krisenschub erhöht sich die Potenz der sozialen, ökonomischen und ökologischen Verwerfungen, die ein Zusammenbruch des Kapitalismus nach sich ziehen wird.

  4. Mit jeder weiteren Verschleppung der Endkrise steigen auch die sozialen und ökologischen Kollateralschäden der von den Funktionseliten verabschiedeten Krisenmaßnahmen. Gerade die Entwicklungen der vergangenen Jahre, insbesondere die autoritären Maßnahmen während der Corona-Krise, können und müssen wohl als Vorgeschmack auf die repressiven Formen und Mittel der Krisenverwaltung betrachtet werden, die zumindest in den Zentren mit den bevorstehenden Krisenschüben noch kommen werden.


Richtig ist und bleibt damit die krisentheoretische Position, mit der die Wertkritik vor fast 40 Jahren angetreten ist, um „mit Marx über Marx hinaus“ zu gehen und eine zeitgemäße kritische Theorie des Kapitalismus und seiner finalen Krise zu entwickeln: Der Kapitalismus ist ein unhaltbares System, das aufgrund seiner immanenten Widersprüche auf die eine oder andere Weise zu Ende gehen wird – durch seine bewusste, emanzipatorische Abschaffung oder durch seine krisenhafte Auflösung in Anomie und Barbarei bzw. neue dystopische Formen von Herrschaft.





Literatur


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Uhlschütz, Kurt B. (2023): Inkompetenzgesellschaft. Konturen einer Zeitdiagnose, in: Urban/von Uhnrast (Hg.): Schwerer Verlauf. Corona als Krisensymptom. Wien: Promedia, S. 195-218.


Urban, Andreas (2022a): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westens im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 1: „Killervirus“ und „Mad Vlad“ – Die postmoderne Krisenwelt als Wille und Irrenhaus, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2022b): Ein Gespenst geht um in der Wertkritik. Anmerkungen zur wert(abspaltungs)kritischen Corona-„Debatte“, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2023a): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westens im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 2: Systemische Lebensmüdigkeit – Die „Pandemie“ als krisenkapitalistische Abrissbirne, wertKRITIK.org (zitiert nach der Druckversion)


Urban, Andreas (2023b): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westens im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 3: Systemische Lebensmüdigkeit – Mit wehenden Fahnen in den Dritten Weltkrieg, wertKRITIK.org (zitiert nach der Druckversion)


Urban, Andreas (2023c): Ein weiteres Kapitel im globalen Barbarisierungsprozess, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2023d): De-dollarization und das Ende von US-Weltmacht und Weltgeld, wertKRITIK.org (zitiert nach der Druckversion)


Urban, Andreas (2023e): Kapital im Katastrophenmodus. Bemerkungen zu Fabio Vighi und seinen Thesen eines „emergency capitalism“, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2024a): Atomarer Todestrieb, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2024b): Wie weit darf „tabula rasa“ gehen? Anmerkungen zur Diskussion um Sandrine Aumerciers Die Energieschranke des Kapitals, wertKRITIK.org


Urban, Andreas/von Uhnrast, F. Alexander (2022a): Corona als Krisensymptom? Thesen zu Ursachen und historischen Bedingungen eines globalen Nervenzusammenbruchs. Teil 1: Auf der Suche nach dem „Killervirus“, wertKRITIK.org


Urban, Andreas/von Uhnrast, F. Alexander (2022b): Corona als Krisensymptom? Thesen zu Ursachen und historischen Bedingungen eines globalen Nervenzusammenbruchs. Teil 2: Pandemischer Nervenzusammenbruch, wertKRITIK.org


Urban, Andreas/von Uhnrast, F. Alexander (2022c): Down the rabbit hole. Bemerkungen zum Ukraine-Krieg und zu seiner wertkritischen Diskussion, wertKRITIK.org


Urban, Andreas/von Uhnrast, F. Alexander (Hg.) (2023): Schwerer Verlauf. Corona als Krisensymptom. Wien: Promedia.


Vighi, Fabio (2023): Die Untergangsschleife. COVID-19 und das Zeitalter der kapitalistischen Dauerkrise, in: Urban/von Uhnrast (Hg.): Schwerer Verlauf. Corona als Krisensymptom. Wien: Promedia, S. 21-46.


Wissen, Leni (2024): Männliche Gewaltbereitschaft und Amok vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden kapitalistischen Krisendynamik, in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 21, S. 71-88.





Endnoten


[1] Aktuell zumindest mit Blick auf sein Publikationsdatum (Mai 2024). Inhaltlich dürfte der Beitrag in etwa den Stand von Mitte/Ende 2023 reflektieren.


[2] Bekanntlich gehört(e) Konicz jener Fraktion in der EXIT-Gruppe an, die Kritik an den Corona-Maßnahmen und Skepsis gegenüber den massenhaft und zum Teil mittels Zwangs verabreichten neuartigen genetischen Impfstoffen pauschal als „Verschwörungstheorie“ und „rechtsextrem“ brandmarkte.


[3] Konicz reproduziert in seinem Beitrag immer noch die lange Zeit von westlichen Medien verbreiteten Illusionen, wonach der Kriegsverlauf vor allem für Russland ein Desaster sei – und nicht etwa für die Ukraine bzw. den mit der Ukraine verbündeten Westen (vgl. Konicz 2024a, S. 67). Dass es für die Ukraine überaus schlecht läuft, dürfte sich inzwischen aber auch bis zu Konicz herumgesprochen haben, wenn man manche seiner etwas später verfassten (wenn auch zeitlich früher publizierten) Texte berücksichtigt (z.B. Konicz 2023).


[4] Man muss sich dabei auch stets vor Augen halten, auf welche Dimensionen die Geldmenge schon vor Corona angeschwollen war. Allein daran kann abgelesen werden, welch schwindelerregendes Niveau bereits früher notwendig gewordene Systemrettungsversuche angenommen hatten. Noch Anfang 2008, also zu Beginn der großen Finanzkrise von 2007/08, betrug die Geldmenge der EZB „nur“ 1,3 Billionen Euro, um bis Mitte 2012 auf drei Billionen anzusteigen (https://www.tagesgeldvergleich.net/statistiken/bilanzsummen-der-zentralbanken.html). Die US-Notenbank Fed schuf allein zwischen Ende 2008 und Anfang 2010 1,2 Billionen Dollar und damit im Zeitraum von rund einem Jahr mehr als in den fast hundert Jahren seit ihrer Gründung im Jahr 1913 insgesamt (vgl. Vighi 2023, S. 22).


[5] Repos sind Rückkaufvereinbarungen, also Finanztransaktionen, die den Verkauf und späteren Rückkauf eines Gutes oder Wertpapieres kombinieren. Der Repo-Markt ist in der heutigen Finanzmarktarchitektur ein wesentlicher Stützpfeiler, da auf ihm täglich Hunderte Milliarden von Dollar von Kreditgebern (Banken) an Kreditnehmer (z.B. Hedgefonds) gegen entsprechende Sicherheiten, insbesondere Staatsanleihen, vergeben werden.


[6] „Biontech steht für fast ein Fünftel des deutschen Wirtschaftswachstums“, manager-magazin.de, 14.1.2022

[7] Der aktuell wichtigste deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall – der es inzwischen vor dem Hintergrund des fröhliche Urständ feiernden Militarismus und der auf der Prioritätenliste wieder ganz oben rangierenden „Kriegstauglichkeit“ sogar zum Hauptsponsor des deutschen Top-Fußballklubs Borussia Dortmund gebracht hat – schickt sich etwa an, seinen diesjährigen Jahresumsatz im Vergleich zum Jahr 2021 annähernd zu verdoppeln. Seine Vorstandsbosse dürfen sich über ein „jährliches Wachstum von rund 40 Prozent“ und Aufträgen „auf Rekordniveau“ freuen („Dieser Mann will den Umsatz von Rheinmetall vervierfachen“, handelsblatt.com, 22.8.2024).


[8] Wobei hier deutlich stärker differenziert werden müsste, als es Konicz in seinem Beitrag tut. Er nennt an erster Stelle „traditionelle fossile Rohstoffe“ wie Kohle und Erdöl und erst an zweiter Stelle andere, vor allem mit der politisch und medial propagierten „ökologischen Transformation“ in Zusammenhang stehende Rohstoffe wie Seltene Erden oder Lithium. Faktisch steigt die Nachfrage nach Erdöl global nur leicht, etwa entsprechend des Bevölkerungswachstums (https://www.statista.com/statistics/271823/global-crude-oil-demand). Die Nachfrage nach Kohle stagniert bereits seit etwa 2010 (https://www.iea.org/reports/coal-information-overview/consumption). Wo hingegen der Befund eines „steigenden Ressourcenhungers“ derzeit ohne Zweifel zutrifft, ist die Nachfrage nach Seltenen Erden (https://www.iea.org/reports/rare-earth-elements).


[9] Eine Farce ersten Ranges war in diesem Zusammenhang etwa das zwischen der Ukraine sowie deren westlichen Verbündeten und Russland ausgehandelte „Getreideabkommen“, das den Export ukrainischen Getreides in die davon abhängigen peripheren Länder regeln bzw. sicherstellen sollte. Als Russland das Abkommen im Juli 2023 auslaufen ließ mit der Begründung, dass die Vertragspartner in der Ukraine und im Westen beharrlich gegen zentrale Vereinbarungen des Abkommens verstoßen würden, war der mediale Aufschrei groß und wurde Russland umgehend für die „drohende Hungerkrise“ im Globalen Süden verantwortlich gemacht. Dass lediglich der allergeringste Anteil der Getreidelieferungen überhaupt für die ärmsten und am meisten von Hunger bedrohten Länder vorgesehen war, sondern überwiegend in die EU (und nach China) ging und dort die Getreidesilos füllte (was dann wiederum in Ländern wie Polen, Slowakei und Ungarn aufgrund der bedeutend niedrigeren Preise für ukrainisches Getreide die hiesigen Landwirte in die Bredouille brachte), wurde geflissentlich unterschlagen. Ganz zu schweigen davon, dass bei Vorliegen eines tatsächlichen Interesses an der Lage im Globalen Süden und an der Verhinderung einer „Hungerkrise“ unter Umständen auch über eine Lockerung der Sanktionen auf russische Getreide- und Düngemittelexporte zu diskutieren gewesen wäre, die für die globale Ernährungssituation nicht minder relevant sind wie jene der Ukraine. Auch dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie Lieferengpässe, die durch den Krieg ohnehin begünstigt werden, durch eine so aggressive wie dysfunktionale westliche Sanktionspolitik systematisch befeuert wurden (und bis heute werden). Wie weit das „Interesse“ am Wohlergehen des Globalen Südens geht, war im Übrigen bereits an den Lockdowns während der „Pandemie“ zu besichtigen, die peripheren Ländern ungeachtet der weitgehenden Abwesenheit eines „pandemiebedingten“ Gesundheitsnotstands (siehe etwa Afrika) u.a. mittels Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgezwungen wurden und dort massive sozioökonomische Verwerfungen verursachten.


[12] Dafür sprechen vor allem die nicht abreißenden Hiobsbotschaften, die in den Medien angesichts der anhaltenden und tendenziell weiter zunehmenden Schwäche der deutschen Industrie verkündet werden:

„Industrieaufträge brechen ein“, tagesschau.de, 5.5.2023

„Unerwartet starker Auftragseinbruch in der deutschen Industrie“, handelsblatt.com, 8.3.2024

„Deutsche Industrie kommt nicht in Fahrt und verliert weiterhin Aufträge“, derstandard.at, 6.6.2024

„Industrie-Schock: Produktion in Deutschland bricht dramatisch ein“, telepolis.de, 6.9.2024


[13] Trump repräsentiert für Konicz überhaupt die perfekte Personifikation der Kapitalismuskrise im heutigen Stadium und der dabei eskalierenden „Widersprüche kapitalistischer Warenproduktion“ (Konicz 2024a, S. 56), wie sie sich vor allem in den aktuellen protektionistischen Bestrebungen ausdrücken. Darin kann man Konicz kaum widersprechen. Generell verweisen bereits Trumps Persönlichkeit und sein im Grunde selbst schon eine Karikatur des Populismus darstellender Politikstil auf die fortgeschrittene Erosion der westlichen Demokratien und ihrer politischen Formen. Wie ich bereits an anderer Stelle angedeutet habe (vgl. Urban 2023b, Endnote 56), lässt sich freilich mit Recht dasselbe von seinem Amtsnachfolger Joe Biden behaupten: Wer könnte das erreichte politische Verfallsstadium und insbesondere den Niedergang der USA als „Welthegemon“ besser verkörpern, als eine Person im Amt des US-Präsidenten, die offensichtlich unter einer Demenzerkrankung leidet, erhebliche Wortfindungsstörungen aufweist, nicht einmal mehr richtig vom Teleprompter ablesen kann und häufig schwere Orientierungsprobleme beim Verlassen des Rednerpults hat? An der weltweit Aufsehen erregenden Blamage in einem TV-Duell mit Trump im Juni 2024, die am Ende zum Rückzug Bidens aus dem aktuellen Präsidentschaftswahlkampf führte, war vor diesem Hintergrund nur überraschend, dass sie für viele, insbesondere unter Anhängern der Demokraten, offenbar überraschend kam. Bidens Nachfolgerin als Präsidentschaftskandidatin, Kamala Harris, fügt sich harmonisch in dieses trübe Panorama ein.


[14] „EU führt vorläufige Strafzölle auf E-Autos aus China ein“, handelsblatt.com, 4.7.2024

[15] Kurt B. Uhlschütz (2023) führt die sogenannte Energiewende in seiner Abhandlung zur „Inkompetenzgesellschaft“ nicht von ungefähr als eines von vielen kräftigen Indizien für eine besonders im Westen um sich greifende, zunehmend sogar das bornierte betriebswirtschaftliche Realitätsprinzip aushebelnde Inkompetenz in Wirtschaft und Politik: Dass es vom Standpunkt einer derart von Export abhängigen Volkswirtschaft wie der deutschen eine mindestens riskante Strategie ist, zwei bisherige Stützen des nationalen Energieregimes (Atomkraft und Kohle) praktisch gleichzeitig stillzulegen, um sie durch unzuverlässige, wetterabhängige – und im Übrigen auch ökologisch kaum weniger problematische (dazu Aumercier 2023; Urban 2024b) – „erneuerbare Energieträger“ (Solarenergie und Windkraft) zu ersetzen, haben nicht nur „Experten“ wiederholt betont, sondern ist auch für Laien unmittelbar einsichtig. Dass mit dem seit 2022 laufenden (Wirtschafts-)Krieg gegen Russland dann auch noch die lange gehegte, für die „Energiewende“ zentrale Übergangstechnologie der Nutzung von Erdgas de facto demontiert wurde, bildet unter diesem Gesichtspunkt nur den folgerichtigen Gipfel einer immer irrationaleren kapitalistischen Krisenverwaltung, die zunehmend dazu übergeht, dem eigenen, ohnehin durch die systemische Krise vorgezeichneten ökonomischen Verfall nach Leibeskräften selbst nachzuhelfen.


[16] „So viele deutsche Firmen wie seit 15 Jahren nicht wandern aus Kostengründen ab“, handelsblatt.com, 11.4.2023

„Immer mehr deutsche Firmen denken an Abwanderung“, n-tv.de, 1.8.2024


[17] Inwieweit man Vergleichbares auch von Russland behaupten kann, hängt vor allem davon ab, wie man „Expansion“ definiert. Jedenfalls Unsinn und eher in einer Gemengelage aus westlicher Kriegspropaganda, überbordender Paranoia, psychologischen Projektionsleistungen und einer weitgehenden Abkoppelung von der Realität zu verorten sind die im Westen virulenten Vorstellungen eines „großrussischen Expansionsstrebens“ oder gar eines beabsichtigten, quasi in der Ukraine begonnenen russischen „Eroberungsfeldzugs“ gen Westen (vgl. exemplarisch Simon 2022). Dass es beim russischen Angriff auf die Ukraine vor allem darum ging, „den Westen mit Waffengewalt zurück[zudrängen] (Konicz 2022, S. 14) und sich (wieder) als Großmacht in der Region zu behaupten, ist hingegen nicht von der Hand zu weisen.


[18] „Putin: Westen führt Zerschlagung Russlands im Schilde“, n-tv.de, 16.3.2022

[19] Ein Videoausschnitt mit der entsprechenden Aussage – getätigt am 18. Mai 2024 auf einer außen- und sicherheitspolitischen Tagung in Estland – ist auf YouTube abrufbar.


[20] „Selenskyjs riskantes Spiel: Zieht er den Westen tiefer in den Konflikt?“, telepolis.de, 28.8.2024

„For Russia, recovering Kursk is no walk in the rose garden“, gilbertdoctorow.com, 27.8.2024


[21] Besonders einer gelingenden De-Dollarisierung stehen laut Konicz beträchtliche praktische und institutionelle Hürden entgegen – womit er sicherlich recht hat. Die Dynamik der derzeitigen Versuche Chinas und anderer Länder der nicht-westlichen Welt, aus dem Dollar als Weltleitwährung auszusteigen, scheint er dennoch etwas zu unterschätzen. So geht er in seinem Beitrag immer noch davon aus, dass der Anteil des US-Dollar an den globalen Währungsreserven bei etwa 60 Prozent und damit nicht allzu viel unter dem Allzeithoch von über 70 Prozent in den frühen 2000er Jahren liegt (vgl. Konicz 2024a, S. 43). Was Konicz hier unterschlägt – oder nicht wahrgenommen hat –, ist, dass der Marktanteil des US-Dollar speziell seit der Eskalation in der Ukraine (zumindest vorübergehend) einen bemerkenswerten Einbruch erlebt hat. Im April 2023 berichtete sogar die Financial Times, dass allein im Jahr 2022 der Dollar-Anteil um acht Prozentpunkte gesunken und damit unter Berücksichtigung von Preissteigerungen auf einen Anteil von nur noch 47 Prozent gefallen ist – Tendenz weiter sinkend (vgl. auch Urban 2023d, S. 10f.). Mag eine erfolgreiche De-Dollarisierung also in der Tat nicht umstandslos erfolgen und ganz gewiss nicht von heute auf morgen vollzogen werden können, weil der Status des Dollar als Weltleitwährung institutionell u.a. dadurch abgesichert ist, dass das Weltfinanzsystem amerikanisch geprägt ist und man daher im internationalen Handel nur schwer am Dollar vorbeikommt: Angezählt ist der Dollar allemal, und die laufenden De-Dollarisierungs-Prozesse könnten auf längere Sicht durchaus eine Dynamik entfalten, die den Dollar als „Weltgeld“ zunehmend infrage stellen. Die Frage ist eher, welche Auswirkungen dies auf das ohnehin schon krisengebeutelte kapitalistische Weltsystem haben wird.


[22] 2023 betrug der Anteil des Binnenkonsums am chinesischen Wirtschaftswachstum, laut offiziellen Angaben, fast 74 Prozent, was eine beachtliche Quote ist (vgl. „Roaring consumption engine powers China‘s economy ahead“, englisch.www.gov.cn, 20.4.2024).


[23] Es erschiene mir in diesem Kontext generell als ein lohnendes krisentheoretisches Unternehmen, Parallelen zwischen dem Krisenkapitalismus in seinem heutigen Stadium und manchen empirischen Erscheinungen der späten Sowjetunion oder DDR systematisch herauszuarbeiten – von Parallelen auf organisatorischer Ebene, wie sie Konicz hinsichtlich der Industrieproduktion und ihrer Organisationsformen beschreibt, bis hin zum (heute nicht weniger als damals evidenten) zunehmenden Auseinanderfallen von objektiver Realität und systemimmanenten Legitimationsideologien, inklusive der immer groteskere Formen annehmenden Bemühungen eines staatlichen und medialen Propaganda- und Zensurapparates, die an allen Ecken und Ende sichtbar werdenden Zerfallserscheinungen zu übertünchen.


[24] „Paradigmatisch“ ist Russland für Konicz vor allem hinsichtlich der „Wechselwirkung“ von „autoritäre[r] Formierung und soziale[m] Zerfall“, die besonders „an der russischen Staatsoligarchie und Mafiaherrschaft“ sichtbar sei (Konicz 2024a, S. 55). Dasselbe ließe sich freilich auch von der mit dem Westen verbündeten und hierzulande offiziell als „Demokratie“ und als tapfere Verteidigerin „westlicher Werte“ geltenden Ukraine behaupten, was, beim Wort genommen, vielleicht ebenfalls einen gewissen „paradigmatischen“ Charakter für die weitere „autoritäre Formierung“ des Westens anzunehmen erlaubt. So wie die Dinge derzeit liegen, wird die Ukraine wahrscheinlich auch relativ deutlich vor Russland ins Stadium des „Staatszerfalls“ eintreten.


[25] Beredtes Zeugnis von dieser an Realitätsverweigerung grenzenden selektiven Wahrnehmung legt abermals ein Beitrag im aktuellen exit!-Heft ab, nämlich der Text Männliche Gewaltbereitschaft und Amok vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden kapitalistischen Krisendynamik von Leni Wissen (2024). Dieser behandelt als aktuelle Erscheinungsform jener zunehmenden Gewaltbereitschaft – wie sollte es anders sein? – auch die „Querdenker“. Die ganze Fragwürdigkeit der Analyse wird offenbar, wenn in der Zusammenfassung des Beitrags im Editorial (auf S. 17) eingeräumt wird, dass sich hierzulande die insbesondere bei „Querdenkern“ festzustellende „wachsende Gewaltbereitschaft“ noch nicht in offener Gewalt, sondern „eher in einer aggressiver werdenden Rhetorik“ zeige, während etwa die zur selben Zeit stattgefundene Hetze und explizite soziale Ächtung von „Ungeimpften“ selbstverständlich, und wie schon bisher, in dem von Wissen skizzierten Panoptikum „wachsender Gewaltbereitschaft“ und „aggressiver werdender Rhetorik“ gänzlich außer Betracht bleibt. Man muss selbst unter „Querdenkern“, vielleicht mit Ausnahme einer offen rechtsextremen Minderheit, ziemlich lange suchen, um in vergleichbarer Dichte und Qualität Belege für eine „aggressiver werdende Rhetorik“ zu finden, die an Menschenverachtung an das heranreicht, was im öffentlichen Sprechen über „Ungeimpfte“ über einen langen Zeitraum hinweg den „ganz normalen“, hegemonialen Diskurs, speziell in Deutschland und Österreich, bildete.


[26] Auch das ist längst erkennbar: Eine deutliche Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik befürworten mittlerweile de facto alle Parteien – die einen mehr, die anderen weniger, die Rechten offen rassistisch, die Liberalen, Sozialdemokraten, Grünen und Linken mit „humanem“ Anstrich; für „mehr Sicherheit“ und damit in letzter Instanz mehr Überwachung, Kriminalisierung und repressiveres Strafrecht treten ebenfalls alle ein, zumal in „unsicheren“ Zeiten wie diesen; wirtschafts- und sozialpolitisch sind die Programme von AfD und FPÖ genauso neoliberal, d.h. um Sicherung des „Wirtschaftsstandorts“ auf dem Rücken von Arbeitnehmern, Arbeitslosen und Armen bemüht, wie die von CDU/CSU, FDP oder SPD in Deutschland bzw. ÖVP, NEOS oder SPÖ in Österreich; und für Aufrüstung und Militarisierung ist die beim Thema Ukraine oppositionelle AfD nicht weniger zu haben als die Bellizisten in der Bundesregierung, nur nicht unbedingt gegen „den Russen“.