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Andreas Urban


Ein weiteres Kapitel im globalen Barbarisierungsprozess

 



Vorbemerkung der Redaktion:


Der folgende Beitrag versteht sich als unabgeschlossener und – angesichts der Komplexität des israelisch-palästinensischen Konflikts – bescheidener Versuch, die jüngste Nahost-Eskalation in den Kontext der finalen Krise und der damit einhergehenden zivilisatorischen Verwilderungsprozesse einzuordnen. Es besteht innerhalb der Redaktion durchaus kein Konsens und ist Gegenstand lebhafter Diskussionen, ob und wie gut die „Verwilderungsthese“ zur Erklärung der aktuellen Ereignisse taugt bzw. ob der Nahost-Konflikt und seine derzeitige Eskalation geeignet sind, etwas über Verwilderungs- und Barbarisierungstendenzen im Allgemeinen auszusagen. Davon abgesehen, dass Kriege immer einen Verwilderungs- bzw. Entzivilisierungsdrall entwickeln, relativ unabhängig von der im Verwilderungstheorem postulierten historischen Meta-Tendenz zur Barbarisierung, ist im konkreten Fall u.a. zu berücksichtigen, dass der Staat Israel auf eine militärische Abschreckungsdoktrin setzt, die eine Tendenz zu grausamen medienwirksamen Strafaktionen und menschenverachtender Rhetorik mit sich bringt.


Anlass für weitere Debatten ist auch das im Beitrag etwas apodiktisch vorgetragene Argument, auf dem erreichten Stand der Entzivilisierung sei jegliche immanente Parteinahme – sei es für die Palästinenser, sei es für Israel – „nur noch eine Entscheidung für die eine oder die andere Partei auf deren Marsch in die Barbarei“. So manchem Redaktionsmitglied scheint derlei theoretische Äquidistanz angesichts der jahrzehntelangen Geschichte von einseitiger militärischer Dominanz und entsprechender Unterdrückung der einen durch die andere Seite nicht angebracht.


Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass der Schreib- und redaktionsinterne Diskussionsprozess einige Zeit in Anspruch nahm. Der Beitrag, der in etwa den Stand von Mitte November 2023 reflektiert, ist daher in manchen Aspekten mittlerweile durch den Kriegsverlauf überholt worden. Er wird trotzdem ohne weitere Aktualisierung veröffentlicht (zumal auch diese Aktualisierung angesichts der dynamischen Entwicklung in Bälde nicht mehr aktuell wäre).

 



 

Mit der jüngsten Eskalation des sogenannten Nahost-Konflikts erreicht die zivilisatorische Verwilderung im Kontext der finalen Krise des Kapitalismus abermals einen neuen Höhepunkt. Die nicht anders als barbarisch zu nennenden Angriffe der Hamas ab 7. Oktober 2023 können mit Fug und Recht als der größte Massenmord an Juden seit Jahrzehnten bezeichnet werden – auch wenn dieses Argument von der stramm rechten israelischen Regierung unter Netanjahu zur Rechtfertigung massiver Vergeltungsschläge benutzt und der Angriff darüber hinaus propagandistisch zum größten Judenmord seit dem Holocaust hochgespielt und damit explizit oder implizit mit den deutschen Nazi-Verbrechen assoziiert wird (sueddeutsche.de, 11.10.2023). Allein die Massaker an israelischen Zivilisten – besonders abscheulich etwa jenes an hunderten Besuchern eines Musikfestivals in der Negev-Wüste sowie in einem nahegelegenen Kibbuz – und die von Hamas-Kämpfern in „sozialen Medien“ verbreiteten Aufrufe zum „Abschlachten von Juden“ sowie Videos ihrer brutalen Tötungsakte zeugen vom unbedingten Vernichtungswillen eines offen eliminatorischen Antisemitismus. Auch explizit israelfeindliche Parolen auf pro-palästinensischen Demonstrationen (so etwa die als Vernichtungswunsch interpretierbare Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“[1], vgl. sueddeutsche.de, 13.10.2023) sowie eine deutliche Zunahme antisemitischer Vorfälle auch hierzulande seit dem Beginn der Hamas-Angriffe machen deutlich, dass der Antisemitismus als „letzte krisenideologische Reserve“ (Robert Kurz) sich mit Fortschreiten der Krise zunehmend Geltung zu verschaffen droht.


 

Barbarisierung auf allen Seiten


Trotz dieser unbestreitbaren Zeugnisse von Verrohung und Barbarisierung wäre es jedoch verfehlt, diese allein auf palästinensischer Seite zu verorten. Die als Reaktion auf die Angriffe erfolgenden, ausdrücklich auch als solche bezeichneten Vergeltungsschläge Israels sind nicht weniger barbarisch als die Greueltaten der Hamas-Milizen, zumal sich die Bombardements in erster Linie und ganz offen auch gegen die palästinensische Zivilbevölkerung richten. Die von der Regierung zunächst verhängte Totalblockade über den Gazastreifen, durch die die Bevölkerung de facto von Wasser, Strom, Nahrungsmitteln und Medikamenten abgeschnitten wurde (und trotz zwischenzeitlicher Lockerungen bis heute weitgehend davon abgeschnitten ist), erfüllt den Tatbestand eines Kriegsverbrechens. Unter diese Kategorie fällt auch die Bombardierung von zivilen Einrichtungen (u.a. Krankenhäuser). Auch wenn noch nicht alle Fälle unabhängig untersucht werden konnten und israelisches Militär und Hamas sich immer wieder gegenseitig beschuldigen (so etwa im Fall des besonders verheerenden Angriffs auf ein Krankenhaus in Gaza-Stadt am 17. Oktober, bei dem mindestens 500 Menschen ums Leben gekommen sein sollen, darunter zahlreiche Patienten und medizinisches Personal; telepolis.de, 18.10.2023), liegen bereits genug andere bestätigte Fälle sowie zahlreiche weitere Belege für schwere Vergehen Israels vor, z.B. der Beschuss von Flüchtlingskonvois oder der Einsatz weißer Phosphormunition (ohcr.org, 12.10.2023; hrw.org, 12.10.2023; amnesty.org, 20.10.2023; nbcnews.com, 14.10.2023). Israels Aufforderungen an die palästinensische Bevölkerung, den nördlichen Gazastreifen zu verlassen, wird von manchen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen wohl nicht zu Unrecht als Zwangsumsiedlung, zuweilen sogar als eine sich abzeichnende „ethnische Säuberung“ betrachtet (theguardian.com, 16.10.2023). Etwa 70 Prozent der Bevölkerung befinden sich mit Stand vom 7. November 2023 auf der Flucht (orf.at, 7.11.2023), ohne allerdings den Gazastreifen verlassen zu können, solange nicht die Grenze nach Ägypten geöffnet wird. Das israelische Militär gibt dabei offen zu, dass es bei den Vergeltungsschlägen nicht um Präzision, sondern um die Erzielung des größtmöglichen Schadens geht (commondreams.org, 10.10.2023). Israelische Regierungsvertreter sprechen dabei auch schon mal davon, Gaza in eine „Zeltstadt“ verwandeln zu wollen (telegraph.co.uk, 11.10.2023). Manche plädieren sogar für den Einsatz von Atombomben (orf.at, 5.11.2023).


Im Klartext heißt das: Die Tötung von Zivilisten stellt nicht etwa einen Kollateralschaden der israelischen Reaktion dar, sondern ist bewusst einkalkuliert, wenn nicht beabsichtigt. Die Verrohung auch auf israelischer Seite wird nicht zuletzt an der menschenverachtenden Rhetorik von Regierungsvertretern ersichtlich, etwa der Aussage des Verteidigungsministers Yoav Gallant, Israel kämpfe gegen „menschliche Tiere“ und handle dementsprechend (timesofisrael.com, 9.10.2023); gemeint ist damit besagte Totalblockade des Gazastreifens und das Abschneiden der von internationalen humanitären Hilfslieferungen abhängigen Bevölkerung von Strom, Nahrungsmitteln, Treibstoff usw., womit unmissverständlich klargestellt ist, dass mit Gallants Aussage keineswegs nur die Hamas, sondern die Bevölkerung des Gazastreifens insgesamt gemeint ist.[2]  


Auch das sind also unleugbare Anzeichen einer fortgeschrittenen Barbarisierung, die vor dem Hintergrund der allgemeinen Verwilderung und Entzivilisierung in der Krise des warenproduzierenden Patriarchats betrachtet werden müssen, und über die aus der Perspektive einer radikalen Gesellschaftskritik nicht hinweggesehen werden kann. Selbst wenn man geneigt ist, angesichts der Brutalität und der außerordentlichen Dimensionen der jüngsten palästinensischen Angriffe Israel jedes Recht auf Selbstverteidigung zuzubilligen, kann einem bei der nicht minder barbarischen, den Rahmen der Selbstverteidigung weit übersteigenden Qualität der israelischen Vergeltungsschläge nur das Blut in den Adern gefrieren.



Die innere Krise der israelischen Gesellschaft


Barbarisierungsprozesse nicht nur auf palästinensischer, sondern auch auf israelischer Seite zur Kenntnis zu nehmen, ist nicht gleichbedeutend damit, die Schuld an der jüngsten Eskalation oder überhaupt am Nahost-Konflikt nur oder primär Israel zuzuschreiben, wie es etwa unter Anhängern eines inzwischen völlig desorientierten und verwahrlosten Antiimperialismus gang und gäbe ist, der jede noch so barbarische Aktion von Palästinensern mit legitimem Widerstand gegen eine „imperiale“ israelische Besatzung und die durch und durch islamistische Hamas mit einer Befreiungsbewegung verwechselt.[3] Erst recht nicht wird damit die besondere Legitimation und Daseinsberechtigung des israelischen Staates in Frage gestellt, wie es für offen antizionistische Erscheinungsformen der Israel-Kritik charakteristisch ist. Es geht vielmehr darum, in der Analyse dem von Robert Kurz so genannten „Doppelcharakter“ des israelischen Staates Rechnung zu tragen. Dieser besteht darin, dass Israel einerseits als Zufluchtsort für die vom Antisemitismus verfolgten Juden einen Sonderstatus unter allen bürgerlichen Staaten genießt und daher auch kein Staat wie jeder andere ist. Andererseits besitzt eben auch Israel als Staat im bürgerlich-kapitalistischen Sinne alle kritikwürdigen Eigenschaften eines solchen und unterliegt daher unter den Bedingungen der fundamentalen Kapitalismuskrise denselben Krisenprozessen wie alle anderen Staaten. Robert Kurz hat dies bereits vor 20 Jahren in seinem Buch Weltordnungskrieg wie folgt beschrieben:


„Israel […] wird als kapitalistischer Staat unter kapitalistischen Staaten nicht nur die absolute Alterität nicht los, sondern durchläuft gleichzeitig im planetarischen kapitalistischen Raum dieselben Krisenprozesse wie alle anderen Staaten auch; und aufgrund seiner prekären, alimentierten ökonomischen Existenz mit im Vergleich zum Westen besonderen Gefährdungspotentialen. Da Israel jedoch, um kapitalistischer Staat sein zu können, seine wahre Legitimation selber nicht wissen darf oder nur in einer ganz äußerlichen Weise (zwar positiv als Zufluchtsort für die vom Antisemitismus verfolgten Juden, aber nur mit einem selber äußerlichen, verkürzten Verständnis von der Natur dieses Antisemitismus), muss es ebenso regressiv und bösartig auf die Krise reagieren wie alle anderen […]. Bleibt der antiarabische Rassismus im Westen eine rassistische Äußerung neben anderen und ist nicht dafür geeignet, in der drohenden Selbstzerstörung des bürgerlichen Subjekts als Projektion der Selbstentfremdung auf ein äußeres Objekt zu dienen, so muss er in Israel als Notbehelf und Ersatz für die dort nicht mögliche antisemitische Krisenform kapitalistischer Subjektivität dienen. Insofern geht Israel seinen eigenen Weg in die Barbarei, der sich allerdings in seinen Erscheinungsformen von dem der arabischen feindlichen Nachbarn kaum unterscheidet.“ (Kurz 2003, S. 136f.)


Die von Kurz angesprochenen Parallelen zu den spezifischen Verwilderungsformen in arabischen Ländern zeigen sich in Israel insbesondere darin, dass in den vergangenen Jahrzehnten, gleichsam analog zur Zunahme islamistischer Fundamentalismen, „die sektenhafte, religionspolitische Verarbeitung der gesellschaftlichen Krisenerscheinungen auch in der gesamten jüdischen Welt und in Israel quantitativ zu[nehmen] (ebd., S. 139). Diese Tendenz äußert sich vor allem in einer starken Ausbreitung (ultra-)orthodoxer und nationalreligiöser Gruppen, in deren Gestalt das „religionspolitische Ferment der israelischen Gesellschaft zu einem typisch postmodernen religiösen Fundamentalismus auszuwuchern [begann] (ebd., S. 138). Politisch ist diese Entwicklung vor allem verbunden mit dem Aufstieg des Likud-Blocks, der – nicht zuletzt in Verbindung mit den neoliberalen Exzessen seit den 1980er Jahren, in deren Folge alle Momente des Linkszionismus (so etwa die Idee der Kibbuzim) ihre Bindekraft einbüßten – „mit einer systematischen Delegitimierung des ursprünglichen zionistischen Denkens einher[ging] und […] nahezu identisch [war] mit einem doppelten, sowohl nach außen wie nach innen gerichteten Zersetzungsprozess der israelischen Gesellschaft“ (ebd., S. 141).


Nach außen nahm dieser Zersetzungsprozess darin Gestalt an, dass sich die (zumindest phasenweise nach der alles andere als gewaltlosen Staatsgründung 1948[4]) tendenziell defensive Haltung gegenüber den Arabern im Allgemeinen und den Palästinensern im Besonderen „in militante Feindseligkeit, kulturalistische Arroganz und aggressive Eroberungsideen“ (ebd.) verwandelte und diese ideologische Ausrichtung sich praktisch „in einem neuen, rechtsextremistisch formierten Siedlungsprogramm“ (ebd., S. 141f.) niederschlug, das bewusst Siedlungsneugründungen in Gebieten mit dichter arabischer Bevölkerung und sogar in großen arabischen Städten wie Nablus, Ramallah oder Hebron vorsah, also de facto eine „ethno-politische ‚Säuberungs‘- und Enteignungspolitik“ (ebd., S. 142) gegen die arabische Bevölkerung repräsentierte. Die offen rassistische Grundlage dieser Siedlungspolitik äußert sich daher nicht zufällig in einer seither nicht abreißenden Serie von Gewalttaten israelischer Siedler. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International und sogar israelische NGOs wie B’Tselem sprechen angesichts der sich stetig verschlechternden Situation der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen und im Westjordanland mittlerweile offen von einem Apartheidsystem (vgl. Amnesty International 2022; hrw.org, 27.4.2021; btselem.org, 12.1.2021).[5]


Nach innen „ging die Rechtswende der israelischen Gesellschaft wie auch sonst in der Welt mit einem steigenden Grad von Korruptionsfällen und vor allem mit einer unversöhnlichen Spaltung einher, die bereits in den 80er Jahren zu einer immer aggressiveren rechten Gewaltrhetorik gegen die israelische Linke führte“ (Kurz 2003, S. 142). Die Anfeindungen gegen israelische Linke, zu deren Selbstverständnis traditionell eine kritische Position zum israelisch-palästinensischen Konflikt und zu den jüdisch-arabischen Beziehungen gehört, haben sich seit dem 7. Oktober nochmals deutlich verschärft (vgl. Scheindlin 2023). Der israelische Sozialstaat ist mittlerweile weitgehend heruntergewirtschaftet, vor allem junge Menschen in Israel haben wenig Perspektiven und wachsen in einer schwer militarisierten, überwachten und schon von daher mehr als andere traumatisierten Gesellschaft auf. Angesichts der die israelische Gesellschaft selbst plagenden und stetig zunehmenden inneren Krisenprozesse und Spaltungstendenzen ist es auch wenig überraschend, dass sich vergleichsweise wenige für die Zustände hinter der (in den 1990er Jahren errichteten und seither stark ausgebauten) Sperranlage rund um den Gazastreifen interessieren.


Was im Zusammenhang mit der Geschichte Israels und des Nahost-Konflikts auch innerhalb der Wertkritik häufig vernachlässigt wird, für das Verständnis des Konflikts wie auch für eine vollständige theoretische Bestimmung des „Doppelcharakters“ Israels jedoch wesentlich ist, sind manche historischen und ideologischen Grundlagen und Hintergründe der israelischen Staatsgründung. Zumindest der Idee nach, wenngleich erst ab den 1920er Jahren verwirklicht, stellt Israel de facto das Produkt eines weißen, europäischen (Siedler-)Kolonisationsprojekts aus der Zeit des Hochimperialismus dar. Einiges von dem, was Robert Kurz als Phänomene des „verwildernden“ Israels im Kontext der finalen Krise beschreibt, insbesondere diverse Grausamkeiten im Zusammenhang mit israelischen Siedlungsgründungen, gehört im Prinzip bereits unmittelbar zur Gründungsgeschichte Israels. Über den „kolonialen“ Charakter der „zionistischen Idee“ geben die Schriften von Theodor Herzl, dem Hauptbegründer des politischen Zionismus, reichlich Auskunft (vgl. Herzl 1920, hier S. 247).[6] Dieser Befund wird auch nicht in Frage gestellt durch die Tatsache, dass die Staatsgründung Israels auf der Grundlage einer UN-Resolution (dem am 29. November 1947 beschlossenen „UN-Teilungsplan für Palästina“) umgesetzt wurde, dass dieser Teilungsplan ausdrücklich eine (bis heute gerne als Mittel zur Konfliktbeilegung gehandelte, jedoch längst illusorische) Zwei-Staaten-Lösung vorsah, die von den Palästinensern und den arabischen Ländern in der Region vehement abgelehnt wurde, oder dass Palästina vor der jüdischen Besiedlung ein heruntergekommenes Territorium des zerfallenen(d)en Osmanischen Reiches war.[7] Richtig ist und bleibt jedoch, dass die Idee eines „Judenstaates“ (Herzl) unter den Vorzeichen des modernen (europäischen) Antisemitismus geboren wurde, der in Nazi-Deutschland eliminatorische Formen annahm und im Holocaust kulminierte. Eben das macht den Widerspruch, den der von Kurz theoretisierte „Doppelcharakter“ des israelischen Staates markiert, wesentlich aus und im Übrigen auch so monströs. Und dieser extreme, aus der kapitalistischen Fetischkonstitution und den massenmörderischen Konsequenzen des europäischen und insbesondere deutschen Antisemitismus geborene Widerspruch – Israel einerseits als Zufluchtsort für verfolgte Juden, woraus es seine besondere Legitimation bezieht, andererseits als Staat auf siedlerkolonialistischen Grundlagen mit entsprechenden inneren Verwerfungen und Grausamkeiten – ist es auch, der heute (vielleicht endgültig) eskaliert.


Die aktuelle Eskalation ist also zum einen eine Folge der im Nahost-Konflikt mittlerweile über mehr als sieben Jahrzehnte aufgehäuften Widersprüche, zum anderen und darüber hinaus aber auch vermittelt mit der heute auf allen Ebenen eskalierenden Krise des warenproduzierenden Systems und den damit einhergehenden staatlichen und gesellschaftlichen Zersetzungsprozessen – Prozesse, von denen Israel genausowenig verschont bleibt wie andere Staaten. Die derzeitige Regierung unter Benjamin Netanjahu stellt nur einen neuen Höhepunkt im vorangeschrittenen Rechtsruck in Israel dar, ebenso die in den letzten Jahren immer noch rabiater betriebene Siedlungspolitik. (Das israelische Militär scheint anfangs auch deshalb von den massiven Angriffen der Hamas-Milizen überrascht worden zu sein, weil ein großer Teil der Kräfte für die „Sicherheit“ der Siedlungsgebiete im Westjordanland abgestellt war [prospect.org, 20.10.2023] – allein das zeigt, welcher Stellenwert den rassistischen israelischen Siedlungsprogrammen politisch zukommt.) Ähnliches gilt für den auf dem Vormarsch befindlichen religiösen Fundamentalismus, der sich nicht nur in der Legitimation jener Siedlungsprojekte niederschlägt, indem die Lage neuer Siedlungen oftmals mit der Identifizierung biblischer Stätten und Siedlungen begründet wird, sondern z.B. auch in den Phantasien ultranationalistischer Großisrael-Ideologen und fanatischer Nationalreligiöser, an der Stelle der Al-Aqsa-Moschee in Ostjerusalem (das 1980 von Israel völkerrechtswidrig annektiert wurde) den von den Römern zerstörten Zweiten Tempel wiederaufzubauen. Es kann freilich ein Zufall sein, aber nur wenige Tage vor dem Angriff der Hamas haben offenbar mehrere hundert israelische Siedler unter dem Schutz der israelischen Streitkräfte das Gelände der Al-Aqsa-Moschee gestürmt (newarab.com, 5.10.2023). Auch wenn ein derart groß angelegter Angriff, wie ihn die Hamas am 7. Oktober startete, von langer Hand geplant gewesen sein muss, könnte dies zumindest bis zu einem gewissen Grad eine Erklärung für den konkreten Zeitpunkt der Attacken liefern – zumal die Hamas ihrer „Operation“ auch den Namen „Al-Aqsa Storm“ gab (cnn.com, 7.10.2023).[8]


Wahrscheinlicher ist allerdings, dass für den Zeitpunkt des Angriffs ein anderer, allgemeinerer Umstand ausschlaggebend ist, der zu Kurz‘ Zeiten möglicherweise noch nicht unmittelbar absehbar war, nämlich dass mittlerweile auch die inneren Widersprüche in Israel auf ein Niveau angewachsen waren, auf dem ihre drohende Entladung nicht mehr zureichend durch die „Zuspitzung des äußeren Konflikts mit den Palästinensern“ (Kurz 2003, S. 149) hintangehalten werden konnte. Noch kurz vor den jüngsten Eskalationen zeigten etwa die Proteste gegen eine geplante Justizreform den inzwischen erreichten Grad der Spaltung zwischen eher liberalen und rechtsnationalen Gruppen in Israel an (tagesschau.de, 18.7.2023). Auch der Konflikt mit den Palästinensern birgt innerhalb Israels durchaus politischen Zündstoff, was nicht zuletzt daran abgelesen werden kann, dass die Thematisierung der Lage in Gaza und der Westbank, etwa auf Demonstrationen, staatlich massiv unterdrückt wird. Die sich zunehmend auch im Inneren der israelischen Gesellschaft entfaltende Krise (die wiederum zeitlich mit einem rasch voranschreitenden geopolitischen Abstieg des Westens und damit einer tiefen Krise der westlichen Verbündeten Israels zusammenfällt – siehe unten) könnte daher von der Hamas als idealer Zeitpunkt für neue, großangelegte Angriffe wahrgenommen worden sein.


Hinzu kommen fortgeschrittene Erosionsprozesse auf institutioneller Ebene: So ist das israelische Militär offenbar von den Angriffen völlig überrumpelt worden, was auf ein massives Versagen des israelischen Geheimdienstes hinweist (tagesschau.de, 12.10.2023). Israelischen Medienberichten zufolge (z.B. haaretz.com, 20.10.2023) dürfte auch ein Teil der offiziell als Opfer der Hamas geführten Toten in Wahrheit auf das Konto des israelischen Militärs gehen, das – möglicherweise in einer Panikreaktion angesichts des überraschend erfolgten Angriffs – israelische Einrichtungen und Häuser unter Beschuss nahm, um die Angreifer abzuwehren, und dabei die Tötung zahlreicher Israelis, unter ihnen auch Geiseln der Hamas, in Kauf nahm.


In den Zusammenhang der innerisraelischen „Verwilderung“ gehört aber letztlich auch die Tatsache, dass die Hamas über Jahre hinweg maßgeblich von israelischen Regierungen mitaufgebaut und unterstützt wurde in der Absicht, die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) als offizielle politische Vertretung der Palästinenser zu schwächen (monde-diplomatique, 10.9.2015). Dies entspricht in etwa der Strategie, die die USA in den 1980er Jahren im Stellvertreterkonflikt mit der Sowjetunion angewandt hatten, indem sie z.B. in Afghanistan die islamisch-fundamentalistischen Taliban finanziell und militärisch aufpäppelten. Und ähnlich wie in den USA, die sich damit am Ende 9/11 einhandelten (und in Afghanistan nach 20 Jahren Besatzung einen völlig verwüsteten Staat hinterließen, den heute erst recht die Taliban kontrollieren), sind es gegenwärtig auch in Israel mit der Hamas nicht unwesentlich die Geister, die man selbst (mit) gerufen hatte und die man nun nicht nur nicht mehr loswird, sondern von denen man auf grausamste Weise heimgesucht wird.


Freilich gilt Ähnliches auch umgekehrt für die palästinensische Seite. Denn das heutige Regime der Hamas im Gazastreifen ist letztlich auch das Produkt eines blutigen Bürgerkrieges, in dem die säkulare Fatah (eine Fraktion innerhalb der PLO) im Jahr 2007 de facto ausgeschaltet wurde, nachdem im Jahr davor, bei den bislang letzten Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten, die Hamas die Stimmenmehrheit errang. Die Sympathien, die die Hamas in nicht geringen Teilen der palästinensischen Bevölkerung genießt, haben wiederum ähnliche Grundlagen wie in zahlreichen anderen peripheren Zusammenbruchsregionen des kapitalistischen Weltsystems, zumal es auch dort ein bekanntes Phänomen ist, dass religiös- oder ethnofundamentalistische Gruppen, Warlords und mafiöse Clans Leistungen erbringen, die aufgrund der Erosion (oder, wie im Fall der Palästinenser, infolge der grundsätzlichen Ermangelung) staatlicher Strukturen ansonsten nicht (mehr) gewährleistet wären (vgl. Bedszent 2014). Wie wenig Emanzipatorisches dem anhaftet, kann u.a. daran abgelesen werden, dass insbesondere Islamisten dafür bekannt sind, Kritiker, allen voran Linke, gnadenlos zu verfolgen und Frauen wie Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Gerade auch die am 7. Oktober von der Hamas angegriffenen Kibbuzim waren häufig linksgerichtet, in einigen lebten auch bekannte Friedensaktivisten (vgl. Scheindlin 2023, S. 8). Schon allein deshalb ist jede implizite oder explizite Parteinahme für islamistische Gruppen wie die Hamas vonseiten linker bzw. sich als links identifizierender Kräfte völlig unverständlich und kann nur als Indiz für die theoretische und ideologische Verwahrlosung beträchtlicher Teile der Linken gewertet werden. Allerspätestens die voraussehbaren massiven Folgen für die palästinensische Bevölkerung, die die jüngsten, groß angelegten Angriffe der Hamas auf Israel nach sich ziehen, verdeutlichen, dass die Hamas in keiner Weise einen „Befreiungskampf“ im Interesse der unter den schrecklichen Verhältnissen im Gazastreifen leidenden Menschen führt, sondern schlicht ein barbarisches Zerfallsprodukt des postmodernen Krisenkapitalismus ist, das für die palästinensische Bevölkerung eine kaum geringere Heimsuchung darstellt als für die israelische. Überhaupt gilt für die Hamas sowohl hinsichtlich ihres Charakters als auch ihrer Zusammensetzung so ziemlich dasselbe wie für alle anderen islamistischen, ethnofundamentalistischen, mafiösen und sonstigen Verwilderungsprodukte des Krisenkapitalismus, deren Gemeinsamkeiten Robert Kurz folgendermaßen beschrieb:


„Längst sind die Übergänge zwischen Mafia, Sekte, ethnischem Separatismus, Nazi-Bande, Räuberhorde, Guerilla etc. fließend geworden. Und der Phänotyp der Gemetzel ist überall derselbe: der moralisch und kulturell verwahrloste, völlig bindungslose ‚junge Mann‘ zwischen 15 und 35 als Exekutor der Krisenkonkurrenz […]. Es ist eine ‚verlorene Generation‘ ebenso tatkräftiger wie desorientierter junger Männer, die auf ihre kapitalistische ‚Überflüssigkeit‘ bösartig reagiert und sich in den hoffnungslosen Milizen dieser Welt wiederfindet.“ (Kurz 2003, S. 48f.)



Selbstzerstörungstrieb


Das mittlerweile erreichte Niveau der Barbarisierung und zivilisatorischen Zersetzung ist insbesondere an den kaum noch zu übersehenden selbstzerstörerischen Tendenzen abzulesen. An den jüngsten Angriffen der Hamas ist dieser Trieb zur Selbstzerstörung ohnehin mit Händen zu greifen, treffen doch die vorhersehbaren israelischen Vergeltungsschläge die palästinensische Bevölkerung mit voller Wucht und haben mittlerweile die großflächige Zerstörung der dicht besiedelten Gebiete im Gazastreifen nach sich gezogen. Selbst wenn die massive Gegenreaktion einkalkuliert und eine gewisse Spekulation auf die innerisraelischen Krisenprozesse Teil der Strategie gewesen sein sollte, um im Angesicht der barbarischen Vergeltungsschläge zumindest die muslimische Welt gegen Israel zu vereinen, hinterlässt das Vorgehen der Hamas den Eindruck eines auf die große, gesellschaftliche Maßstabsebene gehobenen Selbstmordattentats.


In hohem Maße selbstzerstörerisch ist aber auch die Reaktion Israels. Bereits die vorhin erwähnte, jahrelange Unterstützung islamistischer Kräfte wie der Hamas im politischen Kampf gegen nationalistische und sozialistische Strömungen in der PLO kann in diesem Zusammenhang gesehen werden, da die Aggression gegen die israelische Bevölkerung nicht erst heute, sondern schon seit Jahren vor allem von diesen Kräften ausgeht. Auch die Vorschläge mancher Regierungsvertreter, im Kampf gegen die Hamas ggf. Atombomben einzusetzen, zeigen den Grad an Irrsinn an, der auch auf israelischer Seite inzwischen erreicht ist – würde dies doch de facto nicht Geringeres als den Einsatz von Atomwaffen im eigenen Land bedeuten. Etwas Autodestruktives haben die massiven Vergeltungsschläge des israelischen Militärs in Reaktion auf die jüngsten Hamas-Attacken aber auch aus dem schon angedeuteten Grund an sich, dass die Inhumanität und Brutalität des israelischen Vorgehens tatsächlich dazu angetan sind, ansonsten keineswegs in Harmonie miteinander lebende islamische Länder in der Unterstützung der Palästinenser zusammenzuschweißen. Die entsetzlichen Bilder und Videos von massiven Zerstörungen und zerfetzten Körpern, darunter zahlreiche Kinder, mögen von westlichen Medien weitgehend ignoriert werden, finden aber u.a. über „soziale Medien“ weite Verbreitung und rufen enorme Empörung unter Arabern und Muslimen auf der ganzen Welt hervor. Diesen können sie leicht als Beweis dafür dienen, dass Israel versucht, die Palästinenser auszurotten oder wenigstens vollständig von ihrem Land zu vertreiben. Dazu tragen nicht zuletzt auch die freimütigen Geständnisse mancher israelischer Offizieller bei, wie etwa die Aussagen des ehemaligen israelischen Generalmajors Giora Eiland, der die Blockade des Gazastreifens damit rechtfertigte, dass Israel „keine andere Wahl“ habe, „als den Gazastreifen in einen Ort zu verwandeln, der vorübergehend oder dauerhaft unbewohnbar ist, und die Schaffung einer schweren humanitären Krise in Gaza als ein notwendiges Mittel bezeichnete, um dieses Ziel zu erreichen (nytimes.com, 10.11.2023). Als ein Indiz für die potentiell verbindende Kraft, welche die extreme Antwort Israels auf die Angriffe der Hamas unter islamischen Ländern entfalten könnte, kann etwa die Tatsache genommen werden, dass Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien – drei Länder, die in der Vergangenheit zumindest hinter den Kulissen relativ verlässliche Ansprechpartner der USA waren, wenn es darum ging, palästinensische Aufstände niederzuschlagen – öffentliche Erklärungen abgaben, in denen sie Israel wegen seiner Vergeltungsschläge scharf verurteilen. Jordanien hat sogar ein anberaumtes Gipfeltreffen mit US-Präsident Biden aus Protest gegen die israelischen „Massaker an Palästinensern“ abgesagt (aljazeera.com, 17.10.2023). Ebenfalls als deutliches Statement kann das Treffen arabischer Staats- und Regierungschefs inklusive des iranischen Präsidenten am 11. November in Riad genommen werden, mit dem eine „einheitliche kollektive Position“ zur Eskalation in Gaza und insbesondere zu den israelischen Vergeltungsschlägen ausgedrückt werden sollte (ndtv.com, 11.11.2023). Auch in vielen anderen Teilen der Welt stößt das Vorgehen Israels zunehmend auf Ablehnung. Mit Ausnahme Indiens haben etwa die BRICS-Staaten geschlossen die Vergeltungsschläge Israels verurteilt. Länder wie Südafrika, Chile oder Venezuela haben sogar ihre Diplomaten aus Israel abgezogen oder, wie etwa Bolivien, überhaupt alle diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen (zdf.de, 4.11.2023).


Auch militärisch gesehen erweist sich das Vorgehen Israels überwiegend als irrational und potentiell autodestruktiv. Die massiven Luftschläge im Gazastreifen sind hocheffektiv in der Zerstörung ziviler Infrastruktur und der Tötung von Zivilisten. Das Ziel, mit dem diese Zerstörungen gerechtfertigt werden – die Eliminierung der Hamas – lässt sich damit aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erreichen, da die Hamas über ein weitverzweigtes, unterirdisches Tunnelnetz verfügt, das sie vor den Zerstörungen an der Oberfläche (jedenfalls bislang) weitgehend schützt (zdf.de, 17.10.2023). Inzwischen hat Israel begonnen, den angekündigten Plan einer Bodenoffensive in die Tat umzusetzen. Auch das ist zumindest eine hochriskante Strategie. Denn Israel nimmt dabei große Verluste in Kauf aufgrund der zu erwartenden erbitterten Häuser- und Straßenkämpfe und der taktischen Vorteile, welche die Hamas aus ihrem Tunnelsystem und ihrer Ortskenntnis zu ziehen vermag. Die durch die Angriffe der Hamas vorübergehend wieder hergestellte israelische Geschlossenheit – so von einer solchen überhaupt die Rede sein kann[9] – könnte so sehr bald zu bröckeln beginnen, und die seit Jahren aufgebauten inneren Spannungen könnten wieder zunehmend durchschlagen, sich vielleicht sogar noch verschärfen und schließlich auch nach innen gewaltsam entladen.


Ein Zeugnis der Irrationalität und eines regelrechten Todestriebes wäre es übrigens auch und gerade dann, wenn sich die Spekulationen mancher Kommentatoren bewahrheiten sollten, die Israel wieder einmal bevorzugt als Hauptschuldigen an der jüngsten Eskalation sehen wollen: Demnach sei dem palästinensischen Angriff gar kein Geheimdienstversagen vorausgegangen, sondern der israelische Sicherheitsapparat müsse von den Planungen der Hamas gewusst haben und habe die Attacke in Kauf genommen, um selbst eine Eskalation herbeizuführen und so eine Legitimationsgrundlage für eine gewaltsame „Lösung“ des Nahost-Konflikts zu schaffen (z.B. nachdenkseiten.de, 10.10.2023). In der Tat scheint es Strategiepapiere israelischer Thinktanks zu geben, die zumindest belegen, dass es konkrete Überlegungen gibt, die aktuelle Eskalation als „seltene Gelegenheit“ zu nutzen, um die Palästinenser dauerhaft aus dem Gazastreifen ab- und nach Ägypten umzusiedeln und so den Konflikt ein für alle Mal zu beenden (thegrayzone.com, 24.10.2023).[10] Die israelische Rechte hat aus solchen Umsiedlungsphantasien und Plänen zur Verwirklichung eines Großisrael auf dem gesamten einstigen Mandatsgebiet Palästina inklusive Westjordanland und Gazastreifen ohnehin noch nie ein großes Geheimnis gemacht (vgl. Achcar 2023). Unabhängig davon, ob an solchen Mutmaßungen etwas dran ist oder nicht, wäre ein solches Vorgehen aus israelischer Sicht jedoch der reine Wahnsinn, denn damit riskierte Israel einen Krieg, den es aus den oben genannten Gründen sehr wahrscheinlich nicht gewinnen kann und der leicht zu einem regionalen Krieg hoher Intensität eskalieren könnte. Im Südlibanon liefert sich Israel längst Kämpfe mit der Hisbollah. Sollten weitere Länder des Nahen Ostens in diesen Konflikt mit hineingezogen werden oder diesen gar als willkommene Gelegenheit wahrnehmen, selbst gegen Israel vorgehen zu können (z.B. der bereits heftige Drohungen ausstoßende Iran), könnte der Krieg Ausmaße annehmen, die die Existenz Israels (aber mitunter auch anderer Länder[11]) ernsthaft bedrohen könnten. Selbst die Eskalation zu einem globalen Flächenbrand ist nicht auszuschließen, wenn der aktuelle Kriegszustand in Israel zum Anlass für geopolitische Machtdemonstrationen und „weltordnungskriegerische“ Militärinterventionen in der Region genommen werden sollte (etwa wenn sich die USA zu einem Angriff auf den Iran hinreißen lassen).



Die Eskalation des Nahost-Konflikts im Kontext der Krise des Westens


Die derzeit beobachtbaren Barbarisierungsprozesse im Nahen Osten, insbesondere die daran einen maßgeblichen Anteil habenden Zersetzungsprozesse im Inneren der israelischen Gesellschaft, sind auch im Kontext allgemeinerer Verwilderungstendenzen vor dem Hintergrund der finalen Krise und hier vor allem des sich gegenwärtig stark beschleunigenden Verfalls und geopolitischen Abstiegs des Westens zu sehen. Bereits die extreme und potentiell selbstzerstörerische Reaktion Israels auf die jüngsten Angriffe der Hamas erinnert zuweilen an die Irrationalität und „suizidale Drift“ (Urban 2022), die besonders die Länder der westlichen Hemisphäre in der letzten Zeit an den Tag legten, etwa in Gestalt des irrationalen und hochgradig destruktiven „Pandemie-Managements“ im Kampf gegen das Coronavirus oder im Zusammenhang mit dem Debakel im Russland-Ukraine-Krieg, in das sich der Westen beharrlich manövriert hat. Während der Corona-Krise gehörte übrigens auch Israel zu jenen Ländern mit den rigidesten Maßnahmen und fungierte dabei nicht nur als „Weltlabor“ (Albert Bourla) für die neuartigen mRNA-Impfstoffe, sondern auch als Experimentierfeld für diverse Strategien und Mechanismen des indirekten Impfzwangs, wie sie später in vielen anderen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß zum Einsatz kamen (z.B. „Grüner Pass“). Es erscheint nicht abwegig, dass der Corona-Ausnahmezustand gerade in einer ohnehin schon extrem gespaltenenen Gesellschaft wie der israelischen noch zusätzlich Spuren hinterlassen und die Gräben weiter vertieft hat. Eine zum Autodestruktiven tendierende oder die zunehmenden Krisentendenzen durch irrationale Reaktionen, Realitätsverlust und einen Hang zu Pseudoaktivität zumindest noch zusätzlich verschärfende Krisenverwaltung scheinen jedenfalls auf dem mittlerweile erreichten Krisenniveau zum Regelfall, gewissermaßen zur „neuen Normalität“, geworden zu sein.


Auch der Zeitpunkt der massiven Angriffe durch die Hamas fällt, wie schon angedeutet, wohl nicht zufällig mit der immer offensichtlicheren Erosion der Weltmachtstellung des Westens und insbesondere der USA in ihrer Funktion als „Weltpolizei“ zusammen. Auch in anderen Teilen des Planeten leben eingefrorene Konflikte im Windschatten des Verfalls der US-Weltmacht zusehends wieder auf, so etwa kürzlich zwischen Serbien und dem seinerzeit von den USA herbeigebombten und seither ein Dasein als gescheiterter, mafiöser „De-Facto-Staat“ führenden Kosovo (dazu Bedszent 2007). Der Westen, angeführt von den USA, trägt denn auch in seinen immer verzweifelteren Bemühungen, seine erodierende Weltdominanz zu behaupten, nach Kräften zur weiteren Eskalation des Konflikts bei: Die USA verlegen, u.a. als Drohgebärde gegen den seinerseits drohenden Iran, Flugzeugträgergeschwader in die Region und begründen dies – mit der bewährt bestechenden Logik des westlich-demokratischen Sicherheitsimperialismus – mit der Sorge vor einer weiteren Eskalation des Konflikts (fr.de, 17.10.2023). Bemühungen um einen Waffenstillstand wird kategorisch eine Absage erteilt, denn dies nütze ausschließlich der Hamas, und die muss eliminiert werden, koste es was es wolle (und das heißt in diesem Fall: koste es so viele palästinensische Leben wie erforderlich) (orf.at, 24.10.2023). Besonders letzteres verdeutlicht, dass die abgetakelte „Weltpolizei“ auch und gerade in ihrer eigenen Krise den schon bei früheren Gelegenheiten (z.B. in Afghanistan) nur verbrannte Erde hinterlassenden Methoden des Weltordnungskrieges treu zu bleiben gedenkt. Es gilt weiterhin das Paradigma der (selbst immer gespenstischer anmutenden) „demokratischen Bombergemeinschaft“ (Robert Kurz), die im Namen des Guten das Böse vom Erdboden tilgt und dabei leider unvermeidliche „Kollateralschäden“ in Kauf nehmen muss. In diesem Punkt besteht volles Einverständnis zwischen einem Rechtsextremen wie Netanjahu und seinen demokratischen Gesinnungsfreunden im „zivilisierten“ Westen, wenn er den Krieg gegen die Palästinenser zu einem „Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei“ (orf.at, 25.10.2023) stilisiert. Immerhin hatte vor nicht allzu langer Zeit bereits der EU-Chefdiplomat Josep Borrell, in gewohnter westlicher Arroganz, Europa mit einem „Garten“ und den Rest der Welt mit einem „Dschungel“ verglichen (telepolis.de, 18.10.2022). Wohin man blickt, „Barbaren“ und „Wilde“, die die ach so schöne und blühende westliche „Zivilisation“ bedrohen. Folglich gilt auch im aktuellsten Kampf um die „Zivilisation“ (zumindest von offizieller Seite) das ebenfalls bestens bewährte Konzept der „Solidarität“, natürlich ausschließlich mit Israel, und dies umso bedingungsloser, je umfassender und brutaler das israelische Militär seine Vergeltungsaktionen ins Werk setzt. Nicht einmal ein offener Affront gegenüber den Vereinten Nationen und die Verweigerung von Visa für UN-Offizielle – eine Maßnahme, mit der Israel beabsichtigte, den Vereinten Nationen „eine Lektion zu erteilen“, da diese nicht umstandslos bereit sind, über die „eindeutigen Verletzungen des humanitären Völkerrechts“ einfach hinwegzusehen (n-tv.de, 25.10.2023) – regt sich in den Zentren von „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“ noch ernsthafter Widerspruch. Etwas anderes zu erwarten, wäre aber auch allzu naiv, zumal sich inzwischen kaum jemand so beharrlich und dreist über das, freilich nach wie vor gerne in Sonntagsreden beschworene, Völkerrecht hinwegsetzt wie der „kollektive Westen“.


Besonders beeindruckend dabei ist das schon im Rahmen des Ukraine-Kriegs auf neue Niveaus gekletterte Ausmaß an Heuchelei unter den westlichen Weltordnungskriegern. Galt im Ukraine-Krieg noch jeder auf das Konto Russlands gehende tote Zivilist als Kriegsverbrechen, werden die zu Tausenden den israelischen Luftangriffen zum Opfer fallenden Palästinenser implizit oder explizit unter besagte, leider nicht vermeidbare „Kollateralschäden“ im Kampf gegen die Hamas verbucht (wie ja schon die von der ukrainischen Armee im Donbass seit 2014 beständig unter Beschuss genommenen Zivilisten niemanden interessierten).[12] Wurde Russland wegen der Aufkündigung des Getreideabkommens und der damit einhergehenden Verhinderung ukrainischer Getreideexporte für die angeblich dadurch drohende Hungerkatastrophe vor allem in armen Ländern verantwortlich gemacht (wobei der größte Teil der über dieses Abkommen abgewickelten Getreideexporte ohnehin nicht in arme Länder, sondern in den Westen und nach China ging und dort die Getreidesilos füllte, während, wenn es tatsächlich um die Ernährungslage der Ärmsten gegangen wäre, auch über eine Aufhebung oder Lockerung der Sanktionen auf die für die globale Ernährungssituation nicht minder relevanten russischen Getreide- und Düngemittelexporte zu diskutieren gewesen wäre), wird eine derart verheerende und inhumane Maßnahme wie die Totalblockade des Gazastreifens mehr oder weniger gleichgültig hingenommen. Wurde über die bekannte Praxis der ukrainischen Streitkräfte und insbesondere der für die Ukraine kämpfenden Nazi-Regimenter, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu verwenden und militärische Einrichtungen in oder in unmittelbarer Nähe von zivilen Gebäuden wie Schulen unterzubringen, stillschweigend hinweggesehen, um Russland den Beschuss ziviler Einrichtungen vorwerfen zu können, wird nun mehr oder weniger dieselbe, ohne Frage menschenverachtende Praxis der Hamas dazu verwendet, die Zerstörung ziviler Infrastruktur und die enormen Opferzahlen durch die israelischen Luftschläge der Hamas anzukreiden. Und galt im Krieg gegen Russland die unbedingte „Solidarität“ noch einem Regime, das von Elementen durchsetzt ist, die tatsächlich die Verwendung des Prädikats „Nazi“ rechtfertigen, solidarisiert man sich heute umstandslos und ohne jede kognitive Dissonanz gegen die als „neue Nazis“ (tagesschau.de, 24.10.2023) deklarierte Hamas, die – so sehr diese für ihr barbarisches Handeln, ihren Islamismus und ihren offen zum Eliminatorischen tendierenden Antisemitismus auch zu verurteilen ist – mit dem historischen Nationalsozialismus so gut wie nichts gemein hat. (Freilich sind diejenigen, die von den Asow-Brigaden oder dem Prawyj Sektor in der Ukraine noch nie gehört haben wollen, zumeist dieselben, die Putin als „neuen Hitler“ bezeichnen. So gesehen ist die Willkürlichkeit in der Verwendung von Nazi-Zuschreibungen auch im Kontext des Nahost-Konflikts im Grunde nur konsequent.)


Apropos Ukraine: In „sozialen Medien“ halten sich hartnäckig Gerüchte, wonach die Hamas bei ihren Angriffen auch westliche Waffen einsetze, die aus der Ukraine geschmuggelt worden und in die Hände der Hamas gefallen seien. Auch von offizieller russischer Seite wird dergleichen behauptet (euronews.com, 19.10.2023). Freilich sind solche Behauptungen mit der ihnen gebührenden Vorsicht zu genießen und könnten sich ohne weiteres als Propaganda erweisen. Allerdings äußerte bereits im vergangenen Juni niemand anderes als Israels Ministerpräsident Netanjahu Bedenken, dass an die Ukraine gelieferte westliche Waffen feindlich gesinnten Ländern wie dem Iran in die Hände fallen und gegen Israel eingesetzt werden könnten. Er verwies auch darauf, dass diese Möglichkeit keineswegs nur theoretisch sei, da westliche Panzerabwehrwaffen bereits an den israelischen Grenzen aufgetaucht seien (jpost.com, 22.6.2023). Die Ukraine und westliche Medien behaupten freilich, es sei Russland, das im Krieg erbeutete westliche Waffen der Hamas zur Verfügung stelle (n-tv.de, 17.10.2023). Auch das kann nicht kategorisch ausgeschlossen werden, wäre aber – so es sich dabei nicht selbst um eine Falschinformation im westlich-russischen Informationskrieg handelt – letztlich auch nur eine Folge der besinnungslosen westlichen Waffenlieferungen und würde den Westen keineswegs von seiner Verantwortung freisprechen. Wahrscheinlicher dürfte aber (wenn überhaupt) die erste Variante sein, da das Problem des Verschwindens von Waffenlieferungen für die bekanntlich unter enormer Korruption leidende Ukraine schon seit längerem bekannt ist (und selbst manchen US-Thinktanks Kopfzerbrechen bereitet) und westliche Waffen aus der Ukraine bereits in anderen Krisenregionen der Welt zum Einsatz gekommen sein sollen (economictimes.com, 18.7.2022; moderndiplomacy.eu, 6.12.2022; cato.org, 24.5.2023). Auch dies wäre also letztlich ein weiteres Indiz für den hohen Grad an (Auto-)Destruktivität, den der westliche Kampf gegen die eigene Dauerkrise inzwischen erreicht hat, und insbesondere auch dafür, wie sich die spezifisch westlichen Krisen- und Verfallstendenzen auf die Verlaufsformen der allgemeinen globalen Verwilderungs- und Entzivilisierungsprozesse auswirken.


Es wäre im Übrigen auch keineswegs überraschend – auch dies zum Thema der westlichen Heuchelei –, wenn der „kollektive Westen“ die Nahost-Eskalation als Vehikel für den medialen und finanziellen Ausstieg aus dem kaum noch abweisbaren Ukraine-Debakel nutzen würde, um die Ukraine in Bälde ihrem Schicksal zu überlassen. Der ukrainische Präsident Selenskyj ist angesichts der unter den westlichen Verbündeten schon länger bröckelnden Ukraine-„Solidarität“ nicht von ungefähr besorgt, dass durch den aktuellen Kriegszustand in Israel die mediale und politische Aufmerksamkeit und damit auch die „Solidarität“ mit der Ukraine (insbesondere in Gestalt von Finanz- und Waffenhilfe) noch weiter schwinden könnte (tagesschau.de, 12.10.2023). Ginge es nicht ausgerechnet um Israel, könnte man förmlich erwarten, dass im Westen demnächst die (mittlerweile ohnehin spärlicher gewordenen) Ukraine-Fahnen abgenommen und geschlossen durch Israel-Fahnen ersetzt werden. Da in der ubiquitären Fahnenschwenkerei, egal auf welcher Seite und zu welchem Anlass, nur die postmoderne Regression des Denkens ihren zeitgemäßen (und zugleich, angesichts der global voranschreitenden Erosion nationalstaatlicher Strukturen, zutiefst anachronistischen) Ausdruck findet, verhält es sich mit der darin symbolisch dargestellten „Solidarität“ ebenso postmodern: Die Objekte der „Solidarität“ wechseln, abhängig davon, was gerade opportun ist, und dem identitären (und oft genug schlicht sozialen und ökonomischen) „Mehrwert“, den dies für das postmoderne Subjekt abzuwerfen verspricht, ungefähr so leicht und schnell wie alle anderen Moden, deren Wechsel sich wiederum bekanntlich genauso oft, schnell und unkompliziert vollzieht wie der Wechsel eines T-Shirts, das An- oder Abstecken eines Buttons oder eben das Auf- oder Abhängen einer Fahne. Es braucht daher auch nicht allzu sehr überraschen, wenn so mancher Angehöriger der „We stand with Ukraine“-Fraktion nach Ablegen der blaugelben Solidaritätssymbole (und der entsprechenden Emojis auf X/Twitter, Instagram und Co.) statt zur Israel- zur Palästina-Flagge greift und für die „Befreiung“ Palästinas demonstriert.


Auch der offiziellen Israel-„Solidarität“ sollte gerade hierzulande mit dem größtmöglichen Misstrauen begegnet werden; ist doch nirgendwo die Bereitschaft größer, gegen alle möglichen, als „neue Nazis“ deklarierten Kräfte „Solidarität“ zu demonstrieren, um so vergessen zu machen, dass der Holocaust ein spezifisch deutsches Massenmordprogramm war. Eben deshalb ist man auch nirgendwo schneller mit Nazi- und Antisemitismusetiketten zur Hand, egal wie unpassend diese im konkreten Kontext sind und ungeachtet der Verharmlosung tatsächlicher Nazi-Verbrechen, der damit Vorschub geleistet wird. (Freilich dient das Antisemitismus-Thema vor dem Hintergrund der Nahost-Eskalation politisch wieder einmal bestens dazu, eine repressivere Migrations- und Asylpolitik zu fordern und insbesondere Druck auf muslimische Migranten auszuüben, vgl. pars pro toto orf.at, 7.11.2023; telepolis.de, 7.11.2023.) Robert Kurz hat auch immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, dass Israel im Grunde nur einen „Bauer auf dem Schachbrett des globalen Krisenimperialismus“ (Kurz 2013, S. 148) darstellt, der von seinen westlichen Verbündeten, allen voran den USA, ohne weiteres preisgegeben werden könnte, wenn es die Situation erfordert. Das Schicksal, das die Ukraine demnächst (wie schon genug andere Staaten, die von den USA für diverse Stellvertreterkriege gepäppelt wurden) ereilen dürfte, könnte unter Umständen auch Israel drohen, wenn der Preis der „Israel-Solidarität“ für den Westen (finanziell, militärisch, geopolitisch etc.) zu hoch wird. Gerade in den USA stellt sich die mediale Berichterstattung zur Nahost-Eskalation in den letzten Wochen zunehmend kritischer dar. Die derzeit offiziell noch auf „Solidarität“ geeichte Stimmung im Westen könnte also möglicherweise noch kippen und Israel am Ende weitgehend isoliert hinterlassen – eine für Israel extrem gefährliche Aussicht angesichts der zahlreichen feindlich gesinnten islamischen Staaten und islamistischen Gruppen in der Region, deren Feindseligkeit im Zuge der jüngsten Eskalation noch deutlich zugenommen haben dürfte; gefährlich und von einem enormen Eskalationspotential aber auch in allgemeiner Hinsicht, zumal Israel eine Atommacht ist und in einer solchen Situation zu Verzweiflungsaktionen verleitet sein könnte.


Nicht nur die Heuchelei, auch die sprachliche Verrohung, die ebenfalls schon während der Corona-Krise und des westlichen Stellvertreterkriegs mit Russland besichtigt werden konnte, tobt sich im „zivilisierten“ Westen vor dem Hintergrund der Eskalation zwischen Israel und den Palästinensern nicht weniger aus als anderswo. Es ist keineswegs eine Spezialität israelischer Politiker, über Palästinenser in einer Untermenschen-Rhetorik zu sprechen („menschliche Tiere“). Auch ehemalige oder aktuelle Präsidentschaftskandidaten in den USA können im Fernsehen ungehindert Palästinenser als „Wilde“ bezeichnen, die „ausgerottet“ werden müssten, und Israel dazu auffordern, den Gazastreifen „dem Erdboden gleich zu machen“ (nachdenkseiten.de, 12.10.2023). Die Hamas wie auch manche pro-palästinensische Sympathisanten stehen dem freilich um nichts nach, wie an impliziten oder expliziten Vernichtungsphantasien gegenüber Juden und Israel abzulesen ist. Aber auch das sind letztlich nur Artikulationen derselben Barbarisierung innerhalb einer globalen, fortschreitenden Tendenz zur Entzivilisierung und Verwilderung.



Die endgültige Blamage bedingungsloser Palästina- und Israel-Solidarität


Angesichts dieser kaum mehr zu leugnenden ubiquitären Barbarisierungsprozesse blamiert sich eine bedingungslose Israel-Solidarität inzwischen nicht weniger als die in ihren konkreten Erscheinungsformen ohnehin seit jeher häufig problematische Palästina-Solidarität. Über pro-palästinensische und israelkritische Erscheinungsformen wie die oben zitierten martialischen Aufrufe einer Freien Linken zur „Intifada bis zum Sieg“ oder die Neigung mancher pro-palästinensischer Aktivisten, islamistische Verfallsprodukte des postmodernen Krisenkapitalismus wie die Hamas für quasi-emanzipatorische Befreiungs- und Widerstandskämpfer zu halten (manche entblödeten sich nicht einmal, nach den Hamas-Angriffen vom „Erwachen des palästinensischen Volkes“ zu schwadronieren), erübrigt sich ohnehin jede Diskussion. Aber auch die weiter verbreiteten, durchaus verständlichen, letztlich jedoch durchgehend auf einer moralischen Ebene verbleibenden Anklagen Israels angesichts der verheerenden Vergeltungsaktionen gegen die Bevölkerung des Gazastreifens werden der Komplexität und dem Wesen des Konflikts nicht gerecht – insbesondere dann nicht, wenn die moralische Anklage asymmetrisch bleibt und über die israelischen Opfer der Hamas-Attacken mehr oder weniger hinweggesehen wird bzw. diese lediglich alibihaft Berücksichtigung finden. Es wäre ein Leichtes, den Bildern getöteter palästinensischer Kinder ebensolche auch auf israelischer Seite entgegenzuhalten. Nicht zufällig bedient man sich aufseiten Israels derselben Strategie und verweist z.B. besonders gerne auf von der Hamas massakrierte Babys. Mit einer solchen „moralischen Gegenbuchhaltung“ (Kurz 2009, S. 188) wäre aber genauso wenig gewonnen und erst recht nichts erklärt. Generell ist die bereits von Robert Kurz formulierte Kritik an derart moralisch grundierter Israelkritik auch heute noch gültig und schwer von der Hand zu weisen, wenn er feststellte, dass bei kaum einem anderen Krieg – selbst beim Irakkrieg 2003, in dem noch sehr viel mehr Zivilisten und Kinder ums Leben kamen als in Gaza (ganz zu schweigen von den zahlreichen Bürgerkriegen in der zerfallenden kapitalistischen Peripherie, die hierzulande kaum jemand registriert) – die Bewertung „mit solcher Emphase auf Kindermord und Kriegsverbrechen an einer unschuldigen Zivilbevölkerung“ (ebd., S. 190) reduziert wird und es offenbar „eine andere Qualität des moralischen Ekels“ erzeuge, wenn es Juden seien, „die ihre Feinde bombardieren und aus Panzerkanonen beschießen“ (ebd., S.191). Es erscheint daher auch seine Vermutung nicht gänzlich unberechtigt, dass diese „affektive Differenz“ (ebd.) auf gewisse antijüdische Affekte hinweisen könnte, auch wenn diese nicht auf derselben Ebene wie antisemitische Ideologien liegen.[13]


Auf der anderen Seite ist auch die Barbarisierung Israels offenkundig auf ein Niveau fortgeschritten, das aus radikal gesellschaftskritischer Perspektive nicht einfach negiert werden kann. Es scheint sich somit im Hinblick auf den Nahost-Konflikt und insbesondere auf die Solidarität mit Israel zusehends zu bestätigen, was Robert Kurz vor 20 Jahren noch primär in Bezug auf das Verhältnis von „westlichen Werten“ und islamischem Fundamentalismus konstatierte: „Jetzt ist es nicht mehr möglich, auf der Ebene einer historischen Binnendifferenzierung Partei zu ergreifen, weil die Subjektform als solche in Welt- und Selbstzerstörung übergeht.“ (Kurz 2003, S. 433) Ist auf dem heutigen Stand der Krise die Parteinahme für die „westlichen Werte“ nicht weniger obszön zu nennen als eine Parteinahme für islamistische „Gotteskrieger“ – schon allein deshalb, weil der Grad der Barbarisierung auch im Westen inzwischen weit fortgeschritten und der islamische Fundamentalismus darüber hinaus nur ein Zerfallsprodukt von Demokratie und Marktwirtschaft selbst ist –, muss man spätestens heute im Prinzip dasselbe für die Israel- und Palästina-Solidarität konstatieren. Jede Parteinahme, egal für welche der beiden Seiten, ist nur noch eine Entscheidung für die eine oder die andere Partei auf deren Marsch in die Barbarei und taugt selbst immanent – wovon gerade die aktuellen Debatten über die jüngste Nahost-Eskalation zeugen – nur noch für einen immer absurderen identitären „Stellvertreterkonflikt“, in dem sich „eine mehr oder weniger heftige [potentiell antisemitische, A.U.] ‚israelkritische’ Haltung und ein auf historische Analogien beschränkter, mechanisch-definitorischer Antisemitismus-Vorwurf gegenüber[stehen] (Kurz 2009, S. 187).


Das bedeutet, wie gesagt, nicht im Geringsten eine Einschränkung der für eine radikale Kapitalismuskritik unerlässlichen Kritik des modernen Antisemitismus und ebenso wenig eine grundsätzliche Infragestellung der besonderen Legitimation Israels als Zuflucht für die vom Antisemitismus verfolgten Juden. Diese Form der „Israel-Solidarität“ bleibt von den Implikationen des oben Gesagten im Wesentlichen unberührt – wenngleich diese durch eine konsequente kritische Theoretisierung des „Doppelcharakters“ des israelischen Staates und der dadurch gesetzten immanenten, heute eskalierenden Widersprüche hindurchgehen muss, zu denen eben auch die (siedler-)kolonialistische Grundlage und Geschichte Israels gehört; ein Aspekt, der auch seitens der Wertkritik bislang zu wenig kritisch gewürdigt wurde, weshalb der massive Widerspruch, der dem Nahost-Konflikt inhäriert und (nachdem er sich schon bisher regelmäßig gewaltsam entlud) heute möglicherweise endgültig eskaliert, noch keineswegs hinreichend auf kritisch-theoretische Begriffe gebracht wurde. Hinzu kommen die „innere Krise der israelischen Gesellschaft“ (Kurz) und die damit zusammenhängenden Zersetzungs- und Barbarisierungsprozesse. Eine radikale Gesellschaftskritik würde schlicht aufhören, eine solche zu sein, wenn sie die Verwilderung auch der israelischen Gesellschaft im Kontext des fortschreitenden Verfalls des warenproduzierenden Systems nicht zur Kenntnis nehmen und daraus keine Konsequenzen ziehen würde. Es kann aus kritisch-theoretischer Perspektive keine Option sein, ein derartiges Grauen, wie es sich derzeit im Gazastreifen abspielt, unter Verweis auf den Sonderstatus Israels und unbeeindruckt vom sich darbietenden Grad an Barbarisierung auch auf israelischer Seite, einfach als „berechtigten Verteidigungskrieg“ abzutun.


Auch ist die hier ausgedrückte kritische Einsicht nicht so misszuverstehen, dass damit jegliche Solidarität mit den Opfern und Leidtragenden dieses Konflikts per se unmöglich sei oder zwingend der global um sich greifenden Barbarisierung anheimfalle. Eine kritische Perspektive, die dem Leid auf beiden Seiten, sei es auf der israelischen, sei es auf der palästinensischen, gerecht werden möchte, entzieht sich aber bereits von vornherein der Parteinahme für eine der beiden Konfliktparteien. Es gehört zur Dialektik der Solidarität, dass wahre Solidarität nicht so sehr in der unmittelbaren Solidarisierung und Parteinahme für konkret Leidende sich realisiert, sondern im Bemühen um ein hinreichendes Verständnis der gesellschaftlichen Ursachen und Voraussetzungen des Leidens; ein kritisches Verständnis, das wiederum die Bedingung der Möglichkeit darstellt, die Verhältnisse so zu verändern, dass das Leiden ein Ende habe. Die Einsicht, dass „das Ganze“ sich ändern muss, gehört zu den zentralen Prämissen kritischer Theorie. Die Tatsache, dass im Nahost-Konflikt bis hinein in kritisch-theoretische Kontexte die Tendenz besteht, für eine der Konfliktparteien (dort zumeist für die israelische[14]) implizit oder explizit Partei zu ergreifen, verweist eben sehr wahrscheinlich darauf, dass der Konflikt Funktionen insbesondere auf ideologischer Ebene erfüllt (etwa im Sinne des oben angesprochenen „Stellvertreterkonflikts“), die über den eigentlichen Konflikt hinausgehen bzw. jenseits davon liegen.


Die Aporien einer bedingungslosen, immanent bleibenden Israel-Solidarität auf dem derzeitigen Stand der Entzivilisierung können exemplarisch an den diskursiven Interventionen des linken Publizisten Peter Nowak besichtigt werden. Dieser kritisiert zu Recht die unter zahlreichen Linken verbreiteten Reflexe, die Schuld am Nahost-Konflikt und so auch an seiner derzeitigen Eskalation allein oder primär bei Israel zu verorten. Nowak problematisiert dabei auch die mediale Debatte, vor allem in Deutschland, in der recht wenig von Empathie und Mitgefühl für die ermordeten Jüdinnen und Juden zu spüren und auch von Antisemitismus kaum jemals die Rede sei (was m.E. eine nur teilweise zutreffende Beobachtung ist, zumindest aber in einem gewissen Kontrast zu den offiziellen politischen und medialen Solidaritätsbekundungen und dem in diesem Zusammenhang auf fragwürdige Weise als Staatsräson präsentierten „Kampf gegen Antisemitismus“ steht, den Nowak ebenfalls zu Recht kritisiert, vgl. telepolis.de, 30.10.2023). Prinzipiell zuzustimmen ist ihm darin, dass der Widerstand der Linken, insbesondere der palästinensischen, auch und gerade der Hamas zu gelten hätte, da diese keineswegs die Interessen und Bedürfnisse der palästinensischen Bevölkerung vertrete und darüber hinaus Linke, Feministinnen und Liberale verfolge, wo immer es ihr möglich sei. Nicht von der israelischen „Besatzung“, so die Schlussfolgerung Nowaks, sondern vor allem von der Hamas sei Gaza zu befreien: „Eigentlich hätte die Parole ‚Befreit Gaza von der Hamas‘ für alle Linken eine Selbstverständlichkeit sein müssen – aus eigener Betroffenheit und auch der palästinensischen. Sie hätten statt dessen auch mit den Linken und Liberalen in Israel […] im Kampf gegen die islamistische Konterrevolution kooperieren müssen.“ (telepolis.de, 12.10.2023) Es sollte laut Nowak zum „linken Minimalkonsens“ gehören, „dass eine Welt ohne Hamas eine bessere Welt wäre, nicht nur für die Juden, sondern auch für die Menschen in Gaza, die mit der Hamas nichts zu tun haben wollen.“ (telepolis.de, 18.10.2023)


So einleuchtend dies auf den ersten Blick klingen mag: Was impliziert aber die Parole „Befreit Gaza von der Hamas“ am Ende anderes als die Affirmation der inhumanen Logik des westlich-demokratischen Krisen- und Sicherheitsimperialismus und seines Paradigmas des Weltordnungskriegs, von dem schon Robert Kurz sagte, dass dieses „weitaus mehr Menschenleben auf dem Gewissen [habe] als sämtliche Warlords, Gotteskrieger, Neonazis, Selbstmordattentäter und Amokläufer zusammengenommen“ (Kurz 2003, S. 426)?[15] Auch bei Nowak sind daher folgerichtig die „Kollateralschäden“ der anzustrebenden „Befreiung“ von der Hamas bereits einkalkuliert:


„Es ist auch eine Folge dieses Versagens [der Linken, A.U.], dass die israelische Armee nun mit der Kraft ihres Militärs versuchen wird, Gaza von der Hamas zu befreien. Dabei werden wieder viele, auch unschuldige Menschen sterben und sofort wird wieder Israel die alleinige Schuld gegeben. Dabei ist die Hamas der Grund, die sich nie für die Bedürfnisse der Menschen im Gaza interessierte. Für sie war und ist es nur eine Basis für ihren antisemitischen Kampf.“ (telepolis.de, 12.10.2023)


Diese bedingungslose Israel-Solidarität, die die zivilisatorische Verwilderung der israelischen Gesellschaft und die dem Nahost-Konflikt inhärenten, heute eskalierenden massiven Widersprüche im selben Maße ignoriert wie viele Palästina-Sympathisanten die spiegelbildliche Barbarisierung unter den Palästinensern und den durch und durch barbarischen Charakter der Hamas, geht in der gegenwärtigen Lage bereits deshalb an sich selbst zuschanden und ist Teil der universalen Barbarisierung, da eine Befreiung von der Hamas bzw. vom Islamismus und Antisemitismus, den sie verkörpert, angesichts der rasch voranschreitenden zivilisatorischen Verfallsprozesse vor dem Hintergrund der finalen Krise gar kein realistisches Ziel ist. Denn Islamismus und Antisemitismus sind selbst unmittelbare Produkte und Begleiterscheinungen jener Krise. Systemimmanent – solange das System einstweilen noch krisenhaft vor sich hin prozessiert und dabei immer mehr in strukturellen und zivilisatorischen Verfall übergeht – besteht die einzige Option darin, mit immer noch größerer Gewalt und unter Vernichtung von immer noch mehr Menschenleben gegen die „Krisengespenster“ des in Agonie befindlichen Kapitalismus vorzugehen; dies allerdings bei krisenbedingt stetig schwindendem Pouvoir der westlich-demokratischen „Weltpolizisten“, die sich selbst kontinuierlich den verzweifelt bekämpften Krisengespenstern annähern und sich daher auch gemessen am Grad der Verrohung immer weniger von diesen unterscheiden.


Die Zielstrebigkeit, mit der die Krise des warenproduzierenden Systems auf die Barbarei zusteuert, impliziert freilich nicht, dass die Akteure jedweder Verantwortung für ihr Handeln enthoben wären. Diese Verantwortlichkeit gilt jedoch für Israel nicht weniger als für die Palästinenser bzw. die Hamas oder den „kollektiven Westen“. Israel hat Teil an der unaufhaltsamen globalen Verwilderung, die der erodierende Kapitalismus aus sich hervortreibt, auch wenn es, wie es Robert Kurz ausdrückte, seinen eigenen Weg in die Barbarei beschreitet.




Literatur


Achcar, Gilbert (2023): Die israelische Rechte und ihre Pläne für Gaza, in: Le Monde diplomatique, Dezember 2023, S. 6-7.


Amnesty International (2022): Israel’s Apartheid against Palestinians. Cruel system of domination and crime against humanity, London. Online verfügbar auf amnesty.org


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Bedszent, Gerd (2014): Zusammenbruch der Peripherie. Gescheiterte Staaten als Tummelplatz von Drogenbaronen, Warlords und Weltordnungskriegern, Berlin.


Böttcher, Herbert (2023): Mit dem Terror der Hamas entlädt sich Antisemitismus weltweit, exit-online.org


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Herzl, Theodor (1920): Zionistische Schriften, hrsg. von I. Kellner, Berlin (zitiert nach der online verfügbaren Version auf Internet Archive).


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Kurz, Robert (2013): Der Krieg gegen die Juden. Warum sich die globale Öffentlichkeit in der ökonomischen Krise gegen Israel wendet, in: ders.: Der Tod des Kapitalismus. Marxsche Theorie, Krise und Überwindung des Kapitalismus, Hamburg, S. 147-149.


Marx, Karl (1961/1854): Die Kriegserklärung – Zur Geschichte der orientalischen Frage, in: MEW 10, Berlin, S. 168-176, online unter mlwerke.de


Scheindlin, Dahlia (2023): Die israelische Linke nach dem 7. Oktober. Im Inland attackiert, vom Ausland verlassen, in: Le Monde diplomatique, Dezember 2023, S. 8-9.


Shindler, Colin (2008): A history of modern Israel, Cambridge.


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Weinstock, Nathan (2019): Der zerrissene Faden. Wie die arabische Welt ihre Juden verlor 1947-1967, Freiburg.




Internetquellen


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Endnoten


[1] Die Betonung liegt auf „interpretierbar“. Auch wenn bei weitem nicht alle, die diese Parole skandieren, die physische Vernichtung der in der Region lebenden Juden im Sinn haben mögen, impliziert der Satz dennoch unmissverständlich den Wunsch, Israel möge mitsamt seiner Bevölkerung verschwinden.


[2] Wiewohl die rhetorische Entmenschlichung von Palästinensern durch israelische Politiker nichts per se Neues ist. Bereits der von 1977 bis 1983 als Ministerpräsident amtierende Likud-Vorsitzende Menachem Begin sprach von Palästinensern als „zweibeinigen Tieren“. Der berüchtigte orthodoxe Rabbiner und rechte Politiker Meir Kahane, der für die Abschaffung der liberalen Demokratie zugunsten einer jüdischen Theokratie eintrat und sich für die Vertreibung der meisten Nichtjuden aus Israel aussprach, bezeichnete überhaupt alle Araber als eine „Epidemie“ und als „Bakterien“, die Israel bzw. die Juden „vergiften“ würden (vgl. Kurz 2003, S. 144).


[3] Den Vogel schießt ein Ableger der Freien Linken („Freie Linke Zukunft“) ab, der nicht davor zurückscheut, in martialischer Manier die Parole „Intifada bis zum Sieg“ auszugeben (vgl. freie-linke-zukunft.org).


[4] Die sogenannte Nakba, die Flucht und Vertreibung von 700.000 arabischen Palästinensern im Zuge der israelischen Staatsgründung, gilt im palästinensischen Geschichtsbild, aber auch innerhalb der israelischen Rechten als „ethnische Säuberung“, auf die nicht zufällig auch heute vor dem Hintergrund der Nahost-Eskalation von beiden Seiten auf ihre je eigene Weise Bezug genommen wird: Während Palästinenser und ihre Sympathisanten Israel angesichts der massiven Vergeltungsschläge vorwerfen, eine „zweite Nakba“ im Sinn zu haben, wird mitunter auch von israelischer Seite genau das gefordert und eine abermalige Nakba beschworen, die die erste von 1948 in den Schatten stellen soll (alarabiya.net, 8.10.2023). Im Zusammenhang mit der Nakba muss aber ebenso erwähnt werden, dass es auch eine „jüdische Nakba“ gab, in deren Zuge seit der israelischen Staatsgründung bzw. als Reaktion darauf zwischen 1948 und den 1970er Jahren zwischen 800.000 und einer Million Juden aus arabischen und islamischen Ländern vertrieben wurden oder von dort flüchten mussten (vgl. Shindler 2008, S. 63f.; ausführlich auch Weinstock 2019). Zur Geschichte der gewaltsamen israelischen Staatsgründung gehört darüber hinaus die Tatsache, dass Israel unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung von einer militärischen Allianz bestehend aus Armeeeinheiten der Staaten Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Irak angegriffen wurde, was im „Palästinakrieg“ mündete.


[5] Ob „Apartheid“ ein für den israelisch-palästinenschen Kontext passender Begriff ist, sei hier dahingestellt. Nimmt man das (zum Glück der Vergangenheit angehörende) Apartheidsystem in der Republik Südafrika und im heutigen Simbabwe als Maßstab, in dem der farbigen Bevölkerung praktisch alle Staatsbürgerrechte abgesprochen wurden, kann die Begriffswahl zumindest als problematisch eingeschätzt werden.


[6] Herzl versäumte auch nicht, Europa den in Palästina zu gründenden „Judenstaat“ ausdrücklich als „Stück des Walles gegen Asien“ und als „Vorposten[…] der Kultur gegen die Barbarei“ (Herzl 1920, S. 41) anzupreisen.


[7] Über Palästina als vergammelnde Provinz des im Niedergang befindlichen Osmanischen Reiches äußerte sich bereits Karl Marx in einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1854 (vgl. Marx 1961).


[8] Erwähnenswert ist allerdings auch, dass der Hamas-Angriff fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem am 6. Oktober 1973 beginnenden Jom-Kippur-Krieg stattfand. Auch das spricht möglicherweise für ein nicht ganz zufälliges Timing.


[9] Wie bereits erwähnt, stoßen die Situation im Gazastreifen ebenso wie die israelischen Siedlungsprogramme auch innerhalb Israels durchaus auf Kritik, insbesondere seitens der israelischen Linken. Es ist in jedem Fall anzunehmen, dass die Geschlossenheit in Israel nach den jüngsten Angriffen der Hamas keineswegs so umfänglich ist, wie sie in westlichen Medien dargestellt wird. 


[10] Mangels Kenntnis der hebräischen Sprache und Schrift war es dem Autor leider nicht möglich, das im Artikel verlinkte Strategiepapier des Institute for National Security and Zionist Strategy im Original zu studieren (inzwischen wurde der Zugriff auf das Dokument auch eingeschränkt). Es scheint aber authentisch zu sein. Wenn die im – ansonsten in einiger Hinsicht (z.B. der inflationären Verwendung des Genozid-Begriffs) durchaus fragwürdigen – Artikel vorlegte Zusammenfassung der zentralen Inhalte und die aus dem Dokument zitierten Passagen auch nur annähernd korrekt sind, wiegt dieser Beleg schwer und wirft ein bezeichnendes Licht auf den inzwischen erreichten Grad an Verderbtheit unter den israelischen Funktionseliten.


[11] Hier ist zu bedenken, dass Israel bis dato das einzige Land in der Region ist, das über Atomwaffen verfügt.

[12] Wiewohl solche Doppelstandards keineswegs ausschließlich eine westliche Spezialität sind. Auch auf die Klage von Ländern wie Russland oder der Türkei über zivile Opfer in Gaza braucht man wenig zu geben angesichts der Tötung von Zivilisten auf beiden Seiten des Russland-Ukraine-Krieges oder der permanenten türkischen Angriffe auf kritische Infrastruktur in kurdischen Gebieten (vgl. hrw.org, 26.10.2023).


[13] Manches an Kurz‘ Kritik scheint auf der heutigen Eskalationsstufe im Nahost-Konflikt hingegen nicht mehr ohne weiteres haltbar. So etwa sein Argument, das er (damals noch vor dem Hintergrund der unter dem Namen „Operation Gegossenes Blei“ laufenden israelischen Angriffe auf Einrichtungen und Mitglieder der Hamas im Gazastreifen) gegen die von Israel-Kritikern gerne ins Feld geführten palästinensischen Kinder als Opfer israelischer Luftschläge vorbrachte, und wonach der israelischen Militärmaschine in Gaza „keine unschuldigen Kinder [...], noch nicht einmal überhaupt friedfertige Menschen“ gegenüberstünden, sondern Gruppen wie die Kassam-Brigaden als „militärische Organisation der Hamas“, die „stolz darauf [sind], den Tod zu bringen und den Tod zu suchen“ (Kurz 2009, S. 188). Dieses Argument hatte zum damaligen Zeitpunkt sicher seine Berechtigung (wenngleich es in dieser, zivile Opfer tendenziell verharmlosenden Diktion schon damals durchaus befremdlich wirken konnte). In der gegenwärtigen Situation erschiene eine solche Aussage angesichts der systematisch gegen die palästinensische Zivilbevölkerung geführten Vergeltungsschläge jedoch fast so zynisch wie die offen menschenverachtende Propaganda israelischer Regierungsvertreter, die die massiven Bombardements damit rechtfertigen, dass es in Gaza keine unschuldigen Zivilisten und daher ausschließlich „legitime Ziele“ gebe.


[14] Siehe hierzu im deutschsprachigen Raum vor allem die einschlägigen Publikationen im Kritiknetz (z.B. Gess 2023). Ähnliche Tendenzen bestehen aber auch innerhalb der Wert- und Wert-Abspaltungskritik, vor allem in der von EXIT! vertretenen Position (siehe dazu bereits Kurz 2009 sowie anlässlich der aktuellen Eskalation den Kurzkommentar von Böttcher 2023).


[15] Allerdings schrieb Kurz einige Jahre später selbst, „dass die Vernichtung von Hamas und Hisbollah eine elementare Bedingung nicht nur für einen prekären kapitalistischen Frieden in Palästina ist, sondern auch für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse“ (Kurz 2013, S. 149). Gemessen an zentralen Aussagen und Befunden des 2003 erschienenen Weltordnungskriegs, in dem der Kampf gegen islamistische „Gotteskrieger“ noch unmissverständlich als aussichtsloser, selbst in den Horizont der globalen Barbarisierung gehörender Krieg gegen die eigenen, aus dem Schoß des zerfallenden Kapitalverhältnisses hervorkriechenden „Krisengespenster“ beschrieben wurde, wobei im Hinblick auf den Nahost-Konflikt auch der spiegelbildlichen Barbarisierung Israels entsprechend Raum gewidmet wurde, erscheinen solche Sätze höchstens in der Unmittelbarkeit krisenkapitalistischer Immanenz und eines ebenso immanenten Abwehrkampfs gegen den in der Krise grassierenden Antisemitismus einigermaßen verständlich, aber theoretisch allemal wie ein Rückfall hinter früher erarbeitete kritische Einsichten. Zumindest der an die obige Passage anschließende letzte Satz aus dem zitierten Text von Kurz sollte sich auf tragische – wenn auch vielleicht nicht ganz auf die von Kurz gemeinte – Weise bewahrheiten: „Wenn die Chancen dafür [für die Vernichtung von Hamas und Hisbollah, A.U.] schlecht stehen, stehen sie gut für den Zerfall der Weltgesellschaft in die Barbarisierung.“ (ebd.)