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Andreas Urban


Wie weit darf „tabula rasa“ gehen?
Anmerkungen zur Diskussion um Sandrine Aumerciers Die Energieschranke des Kapitals



 

Sandrine Aumercier hat mit ihrem Buch Die Energieschranke des Kapitals (erstmals erschienen 2021 auf Französisch, 2023 in deutscher Übersetzung) einige Diskussionen innerhalb der Wert- und Wert-Abspaltungskritik ausgelöst. Aumercier legt darin – soweit in bester wertkritischer Tradition – eine radikale Kritik der modernen Fortschrittsmetaphysik vor, wobei sie die in wertkritischen Zusammenhängen im Zentrum stehende Kritik des Werts und der abstrakten Arbeit mit einer – und das ist, je nach Sichtweise, das Innovative oder aber Problematische daran – grundsätzlichen Industrie- und Technikkritik verbindet; zwei Formen der Kritik, die, wie die Autorin betont, „für einander mehr oder weniger taub sind und defensiv über die Radikalität ihrer jeweiligen Standpunkte polemisieren“ und quasi gegenseitig „am blinden Fleck der anderen Anstoß [nehmen] (Aumercier 2023a, S. 9). Zu den Klassikern einer Industrie- und Technikkritik, die auch Aumercier ausdrücklich nennt (ebd., S. 8), gehören beispielsweise Ivan Illich, Jacques Ellul, Günther Anders oder Lewis Mumford. In der Tat lässt sich sagen, dass deren „grundlegenden Einwände gegen eine ‚Neutralität der Technik‘ […] von marxistischer Seite nicht zufriedenstellend beantwortet“ (ebd.) und deren Beiträge zu einer fundamentalen Kritik der modernen Industriegesellschaft auch von wertkritischer Seite bislang zu wenig gewürdigt wurden.[1] Das mag natürlich auch damit zu tun haben, dass Technikkritiker häufig über keine elaborierte Kapitalismuskritik verfügen, jedenfalls nicht auf dem Abstraktionsniveau der Wertkritik und in Verbindung mit einer kategorialen Kritik an kapitalistischen Formen wie Arbeit, Wert, Ware, Geld, Staat usw. Diese Vermittlung von kategorialer Kritik und antiindustrieller bzw. Technikkritik ist der (oder jedenfalls ein wesentlicher) Anspruch, mit dem Aumercier in ihrem Buch antritt. Nicht von ungefähr lautet der Untertitel des Buches „Technikkritik als Kapitalismuskritik“.


Im Mittelpunkt des Buches steht das Energieproblem, mit dem die kapitalistische Gesellschaft aufgrund ihrer immanenten Verwertungs- und Wachstumslogik konfrontiert sei und das sich heute einerseits in der absehbaren Erschöpfung natürlicher Ressourcen (z.B. fossiler Energieträger wie Erdöl[2]) und andererseits in einem stetig steigenden Energiehunger des mittlerweile zu einem Weltsystem aufgespreizten Kapitalismus mitsamt den daraus resultierenden ökologischen Schäden (ökologischer Raubbau, Klimawandel etc.) darstelle. Die Energiefrage müsse laut Aumercier „in ihrer engen Beziehung zur historischen Entstehung der abstrakten Arbeit untersucht werden. Energie und abstrakte Arbeit lassen sich nicht entkoppeln, allen Visionen einer postkapitalistischen Gesellschaft zum Trotz, die die gesamte Effizienz der Neuzeit übernehmen möchten, aber ohne deren schädliche Auswirkungen“ (ebd., S. 16). Ein ganzes Kapitel widmet sie in diesem Zusammenhang den gegenwärtig so penetrant wie vergeblich propagierten Illusionen eines „grünen Kapitalismus“ und einer Bewältigung der durch den Kapitalismus erzeugten ökologischen Krisenerscheinungen durch „erneuerbare Energien“, mit denen das gesellschaftliche Energieproblem letztlich auf eine noch höhere Stufe gehoben werde (ebd., S. 19-77). Die Propaganda einer „nachhaltigen“ und „klimaneutralen“ Gesellschaft durch die Umstellung des gesamtgesellschaftlichen Energieregimes von fossilen auf „erneuerbare Energien“ verdanke ihre (an sich schon eher geringe) Überzeugungskraft dem Umstand, dass wesentliche Teile des dafür notwendigen Aufwands an Energie, materieller Infrastruktur und Werkstoffen (z.B. für die Produktion und den Betrieb von Photovoltaikanlagen, Windrädern oder Staudämmen, für die Speicherung und den Transport der erzeugten Energie (in Form von Strom, Wasserstoff etc.), für das Recycling der verbrauchten Werkstoffe, für die Herstellung und den Betrieb der entsprechenden Endgeräte) außerhalb der Betrachtung und der zugrunde gelegten Kosten-Nutzen-Rechnungen blieben. Die Berücksichtigung dieser sogenannten „grauen Energie“, „die in der Regel auf zwei Drittel des Gesamtverbrauchs geschätzt wird“, führe energetisch, wie Aumercier anschaulich zeigt, „in eine schwindelerregende Spirale“ (ebd., S. 27), ganz egal, wie viel man daran herumrechne. Das System werde auf diese Weise also zwangsläufig noch energie- und ressourcenintensiver, mit allen damit verbundenen ökologischen „Kollateralschäden“. Aumercier liefert mit ihrem Buch somit eine nicht nur erfrischende, sondern über weite Strecken auch sachlich fundierte Kritik an den unter dem Label des Green New Deal firmierenden Strategien und Praktiken zur „Bewältigung der Klimakrise“, die in Wahrheit nichts anderes sind, als verzweifelte Versuche, einem neuen digitalen und dabei wie durch Zauberhand auch „grünen“ Akkumulationsregime zum Durchbruch zu verhelfen, also streng genommen auch eher ökonomisch und bestenfalls in zweiter Linie ökologisch motiviert sind.


 

Sitzt die Wertkritik einem verkappten Technologie- und Produktivkraft-Fetischismus auf?


Nun gibt es an diesem Buch sicherlich einige Punkte, die man kritisieren kann. Interessanterweise (wenn auch durchaus vorhersehbar) entzündet sich die Kritik, die das Buch zuletzt in wert-abspaltungskritischen Kontexten – namentlich in der EXIT-Gruppe – hervorgerufen hat, an einem Aspekt bzw. an einer Argumentation der Autorin, die meines Erachtens zu den überzeugendsten des ganzen Buches gehört. Im letzten Buchabschnitt (S. 143-204) erörtert Aumercier Perspektiven einer Überwindung des Kapitalismus und die (aus ihrer Sicht) dafür notwendigen Voraussetzungen sowie die sich daraus ergebenden Implikationen. Sie steigt damit in eine Debatte ein, die innerhalb der Wertkritik (man kann sagen: naturgemäß) einen relativ großen Stellenwert hat, ohne dabei bislang zu wirklich konkreten Aussagen und einer theoretisch begründeten Position gelangt zu sein, wie der Kapitalismus praktisch überwunden werden kann und was genau eine solche Überwindung voraussetzt – z.B. was es eigentlich konkret bedeutet, kapitalistische Kategorien wie die abstrakte Arbeit oder das Geld abzuschaffen, oder welche „Errungenschaften“ des Kapitalismus, etwa Produktionsmittel oder bestimmte Technologien, in eine anzustrebende „postkapitalistische“ Gesellschaft übernommen und dabei vielleicht überhaupt erstmals für sinnvolle Zwecke, d.h. zur Befriedigung konkreter, sinnlicher Bedürfnisse (anstatt zur selbstzweckhaften Verwertung von Kapital), eingesetzt werden können.


Dafür gibt es freilich einerseits gute Gründe: Kritische Theorie hat sich davor zu hüten, einen anderen, „besseren“ Zustand gleichsam konkretistisch „auszupinseln“, da aus der kapitalistischen Immanenz heraus ein vom Wert- und Kapitalfetisch befreiter gesellschaftlicher Zustand gar nicht hinreichend antizipiert werden kann. Wie die historische Erfahrung mit genügend „kapitalismuskritischen“ Ansätzen und Bewegungen der Vergangenheit und Gegenwart lehrt, werden „konkrete Utopien“ und deren unmittelbar praktische Versuche zur Umsetzung in aller Regel erkauft um den Preis schlechter Kompromisse mit dem gesellschaftlichen Status quo, und am Ende weisen die „emanzipatorischen“ Bestrebungen nicht etwa über das warenproduzierende System hinaus, sondern führen geradewegs und meist auch umso tiefer in selbiges zurück. (Der Horizont der gesellschaftsverändernden Praxis ist dann etwa nicht mehr die Abschaffung des Geldes, sondern die Einführung eines „besseren“ Geldes[3] oder eines bedingungslosen Grundeinkommens, im allerbesten Fall Konzepte einer „Umsonstökonomie“[4], Commons oder dgl.; nicht mehr die Abschaffung der abstrakten Arbeit, sondern eine „Demokratisierung“ derselben, eine freiere Gestaltung der Lohnarbeit mit „sinnvolleren“ Tätigkeiten und weniger „Bullshit-Jobs“, bis hin zur Beschwörung der „immateriellen Arbeit“ des digitalen Kapitalismus als „lebendige Arbeit“, wie seinerzeit in den viel rezipierten Machwerken von Hardt und Negri[5]). Dass kritische Theorie sehr zurückhaltend ist mit praktischen Perspektiven oder gar Handlungsanleitungen für eine Überwindung des Kapitalismus, liegt mithin in der Natur der Sache und hat nicht nur seine Berechtigung, sondern ist vom Standpunkt einer kritischen Theorie notwendig. Andererseits ist es durchaus die Aufgabe einer kritischen Theorie, sich theoretische Gedanken um Bedingungen und Voraussetzungen zu machen, die für die Etablierung einer „befreiten“, postkapitalistischen Gesellschaft erfüllt sein müssen – und sei es nur ex negativo, indem sie Aussagen darüber trifft, unter welchen Voraussetzungen von keiner emanzipatorischen Aufhebung des kapitalistischen Wert-Abspaltungs-Verhältnisses die Rede sein kann. Selbst in dieser Hinsicht kann der Wertkritik attestiert werden, dass der Diskussionsstand bis dato eher dürftig ist. Aumercier weist in ihrem Buch auch darauf hin, dass die Wertkritik in dieser Frage – nämlich vor allem in der Frage nach der Rolle der Technologien in einer anzustrebenden postkapitalistischen Gesellschaft – „unterschiedlich positioniert“ ist und dass es offensichtlich „Unklarheiten über die Frage der Technologien“ gibt; Unklarheiten, die möglichst ausgeräumt werden sollten, „wenn man nicht abstrakt die Bewahrung der Natur, sondern eben die ‚revolutionäre‘ Forderung ernst nimmt, die durch die Abschaffung der Arbeit [und damit eine Abschaffung des Kapitalismus, A.U.] gestellt wird“ (Aumercier 2023a, S. 9).


Auch Robert Kurz, den Aumercier insbesondere mit seinem im Jahr 2004 (im Band Blutige Vernunft) veröffentlichten Text Tabula Rasa zitiert – ein Text, in dem Kurz sich vielleicht am ausdrücklichsten und umfassendsten zu dieser Problematik geäußert hat – beließ es meist bei eher abstrakt und unbestimmt gehaltenen Aussagen zur Frage, wie weit das kapitalismuskritische „Programm der Abschaffungen“ (Kurz), sozusagen das „Tabula-Rasa-Machen“ mit dem warenproduzierenden System, zu gehen hätte, und was das wiederum im Hinblick auf Produktionsmittel, Technologien und Fertigkeiten bedeutet, die der Kapitalismus auf der Grundlage seiner blinden, den Zwängen der Wertverwertung unterworfenen bzw. durch diese Verwertungszwänge angetriebenen Produktivkraftentfaltung hervorgebracht hat. Im Wesentlichen läuft Kurz‘ Position auf die (zunächst alles andere als unplausible) Feststellung hinaus, dass sich diese Fragen nicht im Vorhinein und sozusagen abstrakt klären lassen, also nicht a priori bestimmt werden kann, welche Technologien den Kapitalismus überdauern werden und welche nicht. Es gelte strikt zwischen Form und Inhalt zu unterscheiden. Demnach kommt es auf die konkreten Inhalte an, also darauf, ob eine bestimmte Technologie in einer postkapitalistischen Gesellschaft einem sinnvollen Zweck (insbesondere der Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse) zugeführt werden kann, wenn diese Technologie gleichsam ihrer ursprünglichen kapitalistischen Formbestimmung entkleidet wurde. Aus dem Bestreben, den Kapitalismus zu überwinden, kann daher laut Kurz nicht folgen, „die Aggregierung von Technologien, Fertigkeiten und Kenntnissen per se und ‚en bloc‘ zu verwerfen.“ Dies entspräche sonst selbst bloß einer „Umkehrung des naiven arbeiterbewegungsmarxistischen Produktivkraft-Fetischismus“ (Kurz 2004, S. 120; in der 2024 neuveröffentlichten Fassung in exit! 21: S. 163).


„Die Negation von Inhalten und Artefakten kann nicht apriorisch einsetzen, unabhängig von der Bestimmung dieser Inhalte. Auch die Aggregierungen und Verkettungszusammenhänge müssen im Einzelnen und in ihrer Spezifik durchforstet, aussortiert, umgruppiert, teils negiert und teils anders zusammengesetzt werden usw. […] [D]ie Aggregierungen industrieller Produktionsprozesse, informationeller Vernetzungen und Steuerungstechnologien sind nicht per se derart eindimensional oder monolithisch, dass das Urteil unabhängig von der inhaltlichen Durchdringung, Aussortierung etc. aufgrund einiger dürrer, apriorischer Allgemein-Aussagen über den Zusammenhang von Form und Inhalt gefällt werden könnte.“ (Kurz 2004, S. 120; 2024, S. 163f.)


Etwas frei und zugespitzt lässt sich diese Position vielleicht so zusammenfassen: Im Prinzip kann jede im Kapitalismus entwickelte Technologie, wenn sie erst vom Kapitalfetisch befreit wurde, einen sinnvollen Zweck in und für eine postkapitalistische Gesellschaft erfüllen, sofern ihr Einsatz gesellschaftlich und ökologisch vertretbar ist. Ausgenommen werden können daher Technologien, die von vornherein destruktiv sind, wie z.B. Waffensysteme, oder deren Einsatz unkalkulierbare Risiken in sich birgt, wie z.B. Atomkraft, Künstliche Intelligenz oder Gentechnik(?)[6]. Grundsätzlich ist aber aus der bislang vorherrschenden wertkritischen Sicht – zumindest so viel kann aus den Kurz’schen Ausführungen abgeleitet werden – eine postkapitalistische Gesellschaft ohne Weiteres als eine nach wie vor industrialisierte und sogar weitgehend digitalisierte denkbar.


Vielleicht ist es zum Teil auch dieser Unbestimmtheit der wertkritischen Theoriebildung in dieser Frage geschuldet, dass sich in letzter Zeit andere Wertkritiker mit Diskussionsbeiträgen hervorgetan haben, die sehr viel weniger zurückhaltend argumentieren als Kurz und bereits sehr konkrete Vorstellungen vom technologischen Niveau einer postkapitalistischen Gesellschaft zu haben scheinen – Vorstellungen, denen man eine gewisse offene Flanke zu einem Technologie- und Produktivkraft-Fetischismus kaum absprechen kann. Aumercier arbeitet sich in ihrem Buch (nicht nur, aber besonders[7]) an entsprechenden Elaboraten von Tomasz Konicz ab, insbesondere an seinem im Jahr 2020 erschienenen Buch Klimakiller Kapital (Konicz 2020). Konicz widmet darin ein ganzes Kapitel möglichen „Wege[n] in den Postkapitalismus“ und der Utopie einer Gesellschaft [j]enseits der Apokalypse“ (ebd., S. 302-367). Laut Konicz könne das „enorme Produktivitätspotential, das im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise die Umweltzerstörung beschleunigt, […] jenseits des Kapitalverhältnisses zur Errichtung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise beitragen“. Es gehe daher gerade auch vor dem Hintergrund der Klimakrise „um die Befreiung der Produktivkräfte aus den Fesseln der kapitalistischen Produktionsweise“ (ebd., S. 101; vgl. auch Aumercier 2023a, S. 14). Er plädiert sogar dafür, „Reformvorhaben wie den ‚Green New Deal‘ taktisch zu unterstützen, insofern sie tatsächlich daran gehen, die infrastrukturellen Grundlagen einer ökologisch nachhaltigen Reproduktion der Gesellschaft zu schaffen – auch wenn das dahinterstehende ökonomische Kalkül nicht aufgehen kann. […] Immerhin würden damit die Grundlagen einer ökologisch nachhaltigen Infrastruktur geschaffen, die im Rahmen einer Systemtransformation vom Postkapitalismus beerbt werden könnte“ (ebd., S. 99; Aumercier 2023a, S. 14). Am Ende geht Konicz gar so weit, diesen volldigitalisierten und auf „erneuerbaren Energien“ beruhenden „Postkapitalismus“ als greifbare Utopie einer „kommunistischen Echtzeit-Ökonomie“ zu beschwören: „Es zeichnet sich ein neues Paradigma ab: eine effiziente Produktion zwecks Bedürfnisbefriedigung – und nicht um der Kapitalverwertung willen. Die Rechenkapazitäten, um das System in Echtzeit zu betreiben, sind längst gegeben. Es ist nur noch die kapitalistische Produktionsweise, die diese in ihrem Schoß gereiften Produktivkräfte fesselt und an ihrer freien Entfaltung hindert.“ (ebd., S. 313; Aumercier 2023a, S. 178).


Es braucht kein besonders geschultes wertkritisches Sensorium, um in solchen Sätzen eine Abart jenes „Produktivkraft-Fetischismus“ zu erblicken, den Kurz völlig zu Recht am Arbeiterbewegungs-Marxismus kritisiert hatte. In Anbetracht der bemerkenswert geringen kritischen Distanz, die Konicz gegenüber der auf stetig neue Niveaus gehobenen Produktivkraftentwicklung walten lässt, stellt sich beim Lesen eher sogar ein gewisses Unbehagen ein – zumal Konicz nicht einmal davor zurückschreckt, ausgerechnet (aber vielleicht auch konsequenterweise) China quasi als Vorbild für die Umsetzung einer volldigitalisierten Planwirtschaft zu stilisieren (vgl. Konicz 2020, S. 313f.).


Ich gestehe an dieser Stelle offen, bis vor kurzem im Kern ähnliche Vorstellungen von einer Überwindung des Kapitalismus vertreten zu haben – wenn auch sicherlich nicht in den absurden Dimensionen jenes (zuweilen ein wenig an Wunschträume aus dem Star Trek-Universum[8] erinnernden) „Digitalkommunismus“, den sich Konicz zusammenphantasiert. Aber meine Vorstellungen entsprachen durchaus der innerhalb der Wertkritik bislang weitgehend konsensfähigen Annahme, wonach es darum gehen müsse, das bereits erreichte Produktivitätsniveau in eine vom Kapitalfetisch befreite und nach dem Kriterium der Befriedigung konkreter menschlicher Bedürfnisse organisierten Form der materiellen Reproduktion zu überführen (was daher auch, nach Abschaffung der irrationalen kapitalistischen „Sinnlosproduktion“, einhergehen müsste mit einer massiven Verringerung der gesellschaftlichen Produktionstätigkeit).[9] Aumercier macht deutlich – und wie ich finde, auf überzeugende Weise –, dass diese Idee auf falschen Vorannahmen beruht oder dass zumindest die diesen Vorstellungen zugrunde liegenden Fragen „falsch gestellt“ sind (Aumercier 2023a, S. 155). Sie ruft in Erinnerung (oder, mit Blick auf den bisherigen wertkritischen Debattenstand, vielleicht korrekter: sie rückt das bislang ausgeblendete Problem in den Fokus), dass sich die Frage der Technologie in einem postkapitalistischen Gemeinwesen nicht darin erschöpft, welche der im Kapitalismus entwickelten Technologien und Produktionsmittel nach ihrer Abtrennung von der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie möglicherweise für sinnvolle Zwecke eingesetzt werden und damit den Kapitalismus überleben könnten, sondern dass diese Frage auf einer viel grundsätzlicheren Ebene und sozusagen vorgelagert auch, wenn nicht primär das Problem berührt, ob diese Technologien von ihren technischen und energetischen Voraussetzungen her in einer Gesellschaft, die nach anderen Prinzipien als den kapitalistischen Fetischformen Arbeit, Geld, Wert usw. organisiert ist, überhaupt noch eingesetzt werden können. Aumercier fasst diesen blinden Fleck der wertkritischen Theoriebildung zum Thema „Überwindung des Kapitalismus“ – wiederum mit Blick auf Koniczs Vorstellungen eines volldigitalisierten Postkapitalismus – prägnant so zusammen: „Im Zentrum dieses Konzepts steht die Idee eines guten ‚Gebrauchswerts‘, der eben nicht mehr kapitalistisch ist. Insbesondere die Maschine könnte in den richtigen Händen wieder positiv genutzt werden – ungeachtet des Energieaufwands (sowohl des menschlichen als auch des automatischen, des lokalen wie des systemischen) und der globalisierten Ströme, die ihre Existenz erst ermöglichen.“ (Aumercier 2023a, S. 178)


Aumercier, deren Argumentation sich zentral um die Frage der Energie bzw. des energetischen Umsatzes dreht, wendet ein gutes Drittel des Buches (S. 79-142) auf, um ihren Problemzugang meines Erachtens unnötig weitschweifig und naturwissenschaftlich voraussetzungsreich (d.h. für zahlreiche Leser/innen wahrscheinlich relativ schwer verständlich) unter Rekurs auf Grundlagen der Thermodynamik zu fundieren und zu begründen. Das Problem, um das es ihr geht, ist im Grunde auch ohne diese umständlichen thermodynamischen Herleitungen nachvollziehbar und unmittelbar einsichtig (oder auch nicht, wie bald noch zu besprechen sein wird, aber dabei scheitert es sicherlich nicht an einem unzureichenden Verständnis thermodynamischer Grundlagen). Dieses Problem, das die Wertkritik bisher offenbar nicht bedacht oder zumindest nicht „bis zum logischen Ende“ (ebd., S. 169) verfolgt und fertiggedacht hat, besteht darin, dass die im Kapitalismus entwickelten Technologien und Produktivkräfte ein energetisches Niveau voraussetzen, das in einer postkapitalistischen Gesellschaft nicht vorausgesetzt werden kann und – vielleicht noch entscheidender – unter dem Kriterium gesellschaftlicher Emanzipation möglicherweise auch gar nicht sollte, sofern nicht gleichzeitig auch an bestimmten Organisationsformen und Modi der gesellschaftlichen Vermittlung festgehalten werden soll, die historisch im Kapitalismus gewachsen sind und jenes energetische und technologische Niveau überhaupt erst möglich gemacht haben.


Es geht Aumercier also mitnichten darum – worauf sich die relativ abstrakten theoretischen Bestimmungen in der wertkritischen Diskussion bislang vorrangig konzentrieren –, „dass bestimmte Kenntnisse und Verfahren, die im Kapitalismus entdeckt wurden, nicht auch in einer anderen gesellschaftlichen Organisation überleben könnten“ (ebd., S 171), sondern vielmehr um „die Bedingungen der technischen Möglichkeiten […], die durch eine bestimmte gesellschaftliche Organisation gegeben sind“ (ebd., S. 169). Um es etwas konkreter zu machen:


„Es reicht, die Gesamtheit der Artefakte zu betrachten, die im 21. Jahrhundert – direkt oder indirekt – unseren Alltag prägen, um festzustellen, dass keines von ihnen einer ernsthaften Prüfung standhält, wenn man es am Kriterium der gesellschaftlichen Emanzipation misst. Kann man von Emanzipation sprechen, wenn es [sich] um künstliche Intelligenz, Smart Cities oder sogar Smart Planet handelt, um Nanotechnologie, Kernenergie oder Genom-Veränderung? Und was ist mit den Produktionsketten rund um die Welt, die zur Herstellung des kleinsten Gadgets nötig sind? Im Allgemeinen verrennt sich Kritik allerdings beim Versuch, die bestehenden technischen Verfahren und Objekte Revue passieren zu lassen, um diejenigen herauszufinden, die den Kapitalismus überleben könnten, oder wenn dies nicht möglich ist, sich mit der Annahme zu trösten, eine solche Auswahl müsste wohl nach dem Sturz des Kapitalismus möglich sein. Denn obgleich manche im Kapitalismus angewandte Verfahren zweifellos schon lange vorher existiert haben oder in einer anderen Gesellschaftsformation fortbestehen könnten, stellt sich die Frage nach dem Maßstab, dem eine sinnvolle Sortierung genügen müsste.“ (ebd., S. 155)


Die „sinnvolle Sortierung“ bezieht sich ausdrücklich auf die oben zitierten theoretischen Setzungen und die bis dato gewissermaßen den wertkritischen Konsens (zumindest innerhalb der EXIT-Gruppe) bildende Position von Robert Kurz. Für Aumercier verfehlt Kurz damit das sich mit einer Überwindung des Kapitalismus zwangsläufig und viel grundsätzlicher stellende Problem. Aus ihrer Sicht kann es so eine „sinnvolle Sortierung“ nicht geben, zumindest nicht in der bei Kurz vorausgesetzten Form, dass diese Sortierung allein anhand des inhaltlichen Kriteriums der damit zu ermöglichenden Bedürfnisbefriedigung vorgenommen werden könnte:


„Wenn jeder Gegenstand des technischen Systems tatsächlich […] vom gesamten technischen System abhängig ist, gibt es aus einer emanzipatorischen Perspektive keine sinnvolle Sortierung. […] Kurz scheint wider Willen in eine Marotte der Technikontologie zurückzufallen, wenn er Techniken wie das Schreiben und die Weinherstellung, die historische Epochen bis zu uns überdauert haben, mit den neuesten Technologien gleichsetzt, die seiner Meinung nach anhand von mehr oder weniger moralischen, utilitaristischen oder gesundheitlichen Erwägungen bewertet werden sollten. […] Die von Robert Kurz vorgebrachten Sortierkriterien sind eben im Hinblick auf das, was da systemimmanent einfach vorausgesetzt wird, nicht ausreichend analysiert. Die vom Industriekapitalismus entwickelten Techniken setzen das Ganze des Systems voraus, das sie hat entstehen lassen. […] In einer vom Kapitalismus befreiten Welt würde das technische System entweder veralten, weil es nicht über die Infrastruktur verfügen würde, die es vorher voraussetzte, oder es würde fortbestehen, aber dann würden auch die Übel, die zu ihm gehören, auf andere Weise fortbestehen.“ (ebd., S. 175f.)


Auch hierfür bringt Aumercier konkrete Beispiele, die veranschaulichen, warum es nicht zielführend ist, konkrete Gegenstände und Techniken aus der Welt des Industriekapitalismus allein auf ihren möglichen „sinnvollen“ Gebrauch in einer postkapitalistischen Gesellschaft abzuklopfen, warum also eine entsprechende Auswahl und „Sortierung“ nicht allein (wenn überhaupt) eine Frage des Inhalts ist. Sie verwendet an einer Stelle etwa das Beispiel des elektrischen Mixers:


„Zum Beispiel spart das Schlagen von Eiweiß mit einem elektrischen Mixer zwar Zeit und Mühe […]. Es stimmt zwar, dass dieses Gerät nichts zu bieten scheint, was individuell unvereinbar mit einem Leben in Freiheit wäre. Aber gesellschaftlich bedeutet dies, Millionen von elektrischen Rührgeräten, die produziert, verteilt, repariert, recycelt, mit Strom versorgt werden müssen usw. Die in der Küche ‚eingesparte‘ Energie wird also reichlich an anderer Stelle ‚verbraucht‘: Dies ist, wie gezeigt, die Grundlage der Gesetze der Thermodynamik. Das ist viel für ein so kleines Gerät, das Teil einer Unzahl ähnlicher Geräte ist.“ (ebd., S. 168)


An einem einzigen Gerät wie dem elektrischen Mixer – egal, ob man dieses nun als sinnvoll oder entbehrlich beurteilt, ob man es einer „befreiten“ Gesellschaft für würdig erachtet oder ob man es eher zur Entsorgung auf dem Müllhaufen der Geschichte vorsieht – hängt also ein ganzes industrielles, technisches und energetisches Großsystem, das von der Produktion und Distribution über den Betrieb und die Reparatur bis hin zur Entsorgung reicht. Und dieses Großsystem müsste mit all seinen Funktionen und technischen sowie energetischen Voraussetzungen – so jenes Gerät (und andere, ähnlich funktionierende Geräte) auch weiterhin verwendet werden wollen – in den erforderlichen Dimensionen auch dann aufrechterhalten werden, wenn es nicht mehr durch die kapitalistische Wertverwertungsmaschinerie angetrieben würde. Man vermag allein anhand dieses kleinen, geradezu banalen Beispiels vielleicht zu erahnen, in welchen energetischen Höhen sich Koniczs bevorzugtes „postkapitalistisches“ Zukunftsmodell einer volldigitalisierten „kommunistischen Echtzeit-Ökonomie“ bewegen würde. Fragt sich nur, wie er auf die Illusion verfallen kann, eine solche Gesellschaft könnte auch nur im Ansatz ökologisch „nachhaltig“ sein.


Vor diesem Hintergrund ist Aumerciers an Robert Kurz adressierte und auf seinen Tabula-Rasa-Text gemünzte Frage durchaus nicht unberechtigt: [W]arum muss man, nachdem man das Pantheon der Aufklärungsphilosophen gnadenlos über Bord geworfen hat, nun eine teilweise Rettung der Technik vornehmen?“ (ebd., S. 169)



Setzt Aumercier (kapitalistische) Form und Inhalt der modernen Technik gleich?


Aumerciers Argumentation wäre im Einzelnen durchaus noch genauer zu erörtern und zu konkretisieren, um die darin begründete Position noch ein wenig zu schärfen und auch die gesellschaftstheoretische „Sprengkraft“ im Hinblick auf die wertkritische Diskussion über die Möglichkeiten und Voraussetzungen einer Überwindung des Kapitalismus noch stärker zu verdeutlichen. Zuvor soll allerdings, um allzu unnötige Redundanzen zu vermeiden, auf die Kritik eingegangen werden, die Aumercier und ihr Buch in jüngster Zeit seitens der EXIT-Gruppe erfahren haben. Aumerciers Argumentationsführung hat offensichtlich nicht alle Wert-Abspaltungskritiker/innen so überzeugt wie den Autor der vorliegenden Zeilen. Im aktuellen EXIT-Heft (exit! Nr. 21) wurde dazu ein Beitrag von Thomas Meyer veröffentlicht, der sich kritisch genau mit der hier im Zentrum stehenden Frage der Technologie und Aumerciers Kritik an der bisherigen wertkritischen Position bezüglich einer Überwindung des Kapitalismus auseinandersetzt (Meyer 2024). Meyers Kritik lässt sich im Wesentlichen auf zwei Argumente kondensieren, die im Folgenden jeweils für sich besprochen werden sollen, weil sie aufeinander aufbauen und sich der zweite Kritikpunkt (sachlich zwar nicht zwingend, aber in der Argumentationsführung Meyers) recht unmittelbar aus dem ersten ergibt.


Mit seinem ersten und zentralsten Kritikpunkt wiederholt Meyer im Grunde bloß die oben grob skizzierte Position von Robert Kurz bezüglich Form und Inhalt der modernen Technik. Er wirft Aumercier mithin vor, Form und Inhalt der im Kapitalismus entwickelten Produktivkräfte und Technologien gleichzusetzen und mit ihrer Forderung, auch die moderne Technik einer radikalen Kritik zu unterziehen, letztlich nur den arbeiterbewegungsmarxistischen Produktivkraft-Fetischismus zu invertieren, anstatt ihn zu überwinden. Diese Herangehensweise ist insofern bemerkenswert, als seine Kritik sich damit auf einen Standpunkt stützt, der bei Aumercier nachgerade Gegenstand der Kritik ist. Das ist zwar legitim, allerdings müssten dann in der Replik Aumerciers Kritikpunkte selbst einer inhaltlichen Kritik unterzogen und argumentativ entkräftet werden, und zwar mit anderen Argumenten als jenen, die Aumercier der Kritik aussetzt. Meyer fährt in seinem Beitrag sämtliche Geschütze auf, er bedient sich über weite Strecken einer geradezu bestechenden Rhetorik, er bringt viel an Material und konkreten Beispielen, um seine Argumentation zu fundieren und vor allem zu begründen, weshalb zahlreiche Technologien und Verfahren der kapitalistischen Produktionsweise nicht pauschal verworfen werden können. Man erhält als Leser eingangs sogar eine schöne wertkritische Zusammenfassung „einiger Aspekte der fetischistischen Bewegung G – W – G‘“ (ebd., S. 193ff.). Dennoch kann man schwer umhin, festzustellen, dass er an dem von Aumercier aufgeworfenen Problem vorbei argumentiert – und zwar so gezielt, dass sich die Vermutung aufdrängt, dass er ihre Argumentation entweder nicht versteht oder einfach nicht zur Kenntnis nehmen will. Dieser Eindruck wird übrigens zusätzlich verstärkt durch den kaum zufälligen Umstand, dass Kurz‘ grundlegender Tabula-Rasa-Text ebenfalls im selben EXIT-Heft (wieder)abgedruckt ist (wogegen an sich nichts einzuwenden ist, zumal der Band, in dem der Text ursprünglich publiziert wurde, längst vergriffen ist). Soll hier womöglich – was nicht das erste Mal wäre – eine in die Kritik geratene wert-abspaltungskritische Position mit allen Mitteln als sakrosankt gesetzt und vor Kritik immunisiert werden?


Meyer eröffnet seine Kritik an Aumercier, wie es sich gehört, mit einem kurzen und prägnanten Referat der von Kurz vor allem in Tabula Rasa entwickelten und bis heute als wertkritischer Konsens geltenden Position hinsichtlich einer Überwindung des Kapitalismus. Die modernen Produktivkräfte und die Technologie seien „nicht einfach zu positivieren, wie es im Marxismus noch üblich war, und zugleich auch nicht abstrakt zu negieren […] (wie es Dorf-Idylle-Ideologen aller Art mehr oder weniger einfordern).“ Es komme vielmehr „auf den Inhalt an, an dem man bemessen könne, was man sinnvollerweise abschaffen, umorganisieren, transformieren und entwickeln müsse. Der Inhalt sei zwar durch die gesellschaftliche Form bestimmt, gehe in der Form jedoch nicht auf“ (ebd., S.201). Immerhin gesteht Meyer ein, dass Kurz „es bei einigen Andeutungen“ beließ und es „zu einer breiten Entfaltung dieses Inhaltes (welche Produktionen und Techniken konkret und warum usw.) […] von Seiten Kurz‘ nicht [kam] (ebd.). Letztlich bilden die Thesen von Kurz jedoch, ohne dass Meyer diesen eine zusätzliche Facette oder ein Argument hinzugefügt hätte, das Aumerciers Argumentation von Grund auf entkräften würde, die Grundlage für sein Urteil, dass die „Unterscheidung zwischen Form und Inhalt, die Tendenz, dass das Kapital alles unter sich zu subsumieren strebt und seiner Form gleich zu machen versucht, der Widerspruch zwischen Stoff und Form […] von Aumercier […] aufgelöst [werde] (ebd., S, 202). Roswitha Scholz spitzt dieses Verdikt an anderer Stelle im selben Heft (in einem geradezu schauerlichen Pamphlet, in dem Scholz über Aumercier wegen deren Kritik am

Auftreten der EXIT-Gruppe während der Corona-Krise herfällt[10] und dabei ihr Energieschranken-Buch en passant gleich mitzuerledigen trachtet) noch weiter zu auf das Generalurteil einer „abstrakten Technikkritik“ (Scholz 2024, S. 236).


Dabei ist es keineswegs so, dass Meyer zentrale Aspekte von Aumerciers Argumentation gänzlich entgangen wären oder er sie komplett ausblenden würde. Er zerlegt sie nur in dermaßen viele einzelne Segmente, dass er über den Umweg der Widerlegung einzelner isolierter Bestandteile die eigentliche, mit den Einzelaspekten keineswegs identische Gesamtargumentation pauschal vom Tisch wischen kann. So fertigt er die bei Aumercier in der Tat hoch gewichtete Rolle „globaler Produktionsketten“ (vgl. Aumercier 2023a, S. 171) mir nichts dir nichts mit dem Argument ab, dass „unklar“ sei, „ob transnationale Lieferketten, wie sie die Globalisierung hervorgebracht hat, wirklich (immer) eine technische Notwendigkeit sind oder schlicht aus dem betriebswirtschaftlichen Kalkül folgen“ (Meyer 2024, S. 202). Freilich hat Aumercier nichts dergleichen behauptet, sondern dies davon abhängig gemacht, welches technologische und energetische Niveau eine postkapitalistische Gesellschaft beansprucht. Unter Bedingungen einer auf hohem industriellem oder gar digitalisiertem Niveau angesiedelten Form der materiellen Reproduktion hält sie die Notwendigkeit „transnationaler Lieferketten“ (schon allein aufgrund der dafür benötigten, nicht überall gleichermaßen verfügbaren Rohstoffe) allerdings für möglich und sogar wahrscheinlich.


Meyer macht auch durchaus so manches inhaltliche Zugeständnis an die Position von Aumercier. So stimmt er ihr zu, dass es unsinnig sei, einzelne Artefakte (z.B. konkrete Technologien) „herauszupicken“, „ohne das ganze Produktionsgewebe mitzudenken“ (ebd., S. 203), dem diese ihre Existenz verdanken. Auch sei es zutreffend, dass „die globalisierten Produktionsnetzwerke in der heutigen Form und alle ihre Produktionsinhalte nicht aufrechterhalten werden können“ (ebd.). Daraus folge aber nicht, „dass nirgends und zu keinem Zweck diese oder jene Technologie produziert und verwendet werden kann, ohne dass damit der Planet ruiniert wird“ (ebd.) Dies als wesentliche Einschränkung der zumindest in mancher Hinsicht als zutreffend akzeptierten Thesen von Aumercier ausgesprochen, kann Meyer endlich dazu übergehen, zu tun, was er soeben selbst noch als kritikwürdig bezeichnete, nämlich „einzelne Artefakte“ „herauszupicken“ und auf ihr Potential für eine postkapitalistische Gesellschaft abzuklopfen, „ohne das ganze Produktionsgewebe mitzudenken“. Diese reichen von Beton und Ziegelsteinen (ebd.), über den Verbrennungsmotor (ebd., S. 204), industriell hergestellten, auf fossilen Energieträgern beruhenden Kunstdünger (ebd., S. 213) bis hin zur Gentechnik(!) (ebd.). (Auf einzelne dieser „Artefakte“ und ihre Behandlung durch Meyer wird noch einzugehen sein.)


Was Meyer als Verkünder der als solche vor sich hergetragenen und mit Zähnen und Klauen verteidigten „Kurz-Orthodoxie“ freilich besonders sauer aufstößt, ist, dass Aumercier es für ausgeschlossen hält, „sinnvolle Entscheidungen zu treffen“ (ebd., S. 204), d.h. die „Artefakte“, also die vorliegenden, im Kapitalismus entwickelten Produktionsmittel und Technologien, „im Einzelnen und in ihrer Spezifik [zu] durchforste[n], aus[zu]sortier[en], um[zu]gruppier[en], teils [zu] negier[en] und teils anders zusammen[zusetzen] (Kurz 2004, S. 120; 2024, S. 163). Er begibt sich an dieser Stelle in eine belanglose Scheindiskussion, ob eine Entscheidung über sinnvolle Technologien (wie er es Aumercier als Argument unterschiebt) „eine Sache des Individuums“ oder eine „gesellschaftliche Aufgabe“ (Meyer 2024, S. 204) wäre, wobei er freilich für Letzteres votiert. Nun kann man über das von Meyer an dieser Stelle herangezogene und beanstandete Aumercier-Zitat sicherlich streiten. Aumercier spricht darin unter Rekurs auf die „psychoanalytische Kritik am Ich“ davon, dass „die Entscheidungen des Ich nicht das Bewusstsein als Quelle haben“ und gleichermaßen „eine gesellschaftliche Synthesis nicht eine mentale Angelegenheit“ sei. Deshalb sei es „unmöglich, mit einem wie immer gearteten Verfahren zu einer rationalen, wohlüberlegten und moralischen Übereinkunft über ‚echte Bedürfnisse‘ oder ‚sinnvolle Nutzung‘ zu gelangen“ (Aumercier 2023a, S. 194). Ob aus diesem Zitat ableitbar ist, was Meyer daraus schließt, nämlich dass für Aumercier solche Entscheidungen eher „eine Sache des Individuums“ und nicht eine „gesellschaftliche Aufgabe“ wären, wage ich jedoch sehr zu bezweifeln. Viel entscheidender ist aber ohnehin, dass Aumercier derartige Entscheidungen gar nicht für möglich hält, weil es aus ihrer Sicht nicht allein auf die konkreten Inhalte der Technologien und deren „Potentiale“ für eine postkapitalistische Gesellschaft ankommt, sondern ebenso sehr, wenn nicht primär auf deren technologische und energetische Voraussetzungen – Voraussetzungen, die die Menschen auf dem heutigen Stand der Verflechtung und Aggregierung gar nicht hinreichend zu überblicken vermögen (wofür wiederum Meyer ja in gewisser Weise den lebendigen Beweis antritt).


Es ist dies vielleicht die passende Gelegenheit, um zur zumindest teilweisen Verteidigung Meyers festzuhalten, dass manches bei Aumercier in der Tat etwas umständlicher vorgetragen ist als nötig (so wie etwa schon die ein gutes Drittel des Buches beanspruchende Erörterung thermodynamischer Grundlagen meines Erachtens nicht notwendig gewesen wäre) und begrifflich stellenweise auch etwas unpräzise und missverständlich formuliert wird, wodurch sie es Meyer unnötig leicht macht, sie permanent falsch zu verstehen oder ihre Argumentation bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen (ob dies allein auf Aumerciers Kappe geht oder ob manche Ungenauigkeiten im Sprachgebrauch vielleicht teilweise auch durch die Übersetzung zustande kommen, vermag ich nicht zu beurteilen). Beispielsweise wenn sie davon spricht, dass die abstrakte Arbeit – eine spezifisch kapitalistische Kategorie – nach einer Überwindung des Kapitalismus als gesellschaftliches Organisationsprinzip womöglich in der einen oder anderen Form beibehalten werden müsse, wenn das technologische Niveau, das der Kapitalismus hervorgebracht hat, auch nur annähernd aufrechterhalten werden soll, um auf dieser Grundlage endlich ein „gutes Leben für alle“ zu ermöglichen. So etwa in dem bereits eingangs zitierten Satz aus der Einleitung des Buches, in dem sie schreibt, dass „Energie und abstrakte Arbeit […] sich nicht entkoppeln [lassen], allen Visionen einer postkapitalistischen Gesellschaft zum Trotz, die die gesamte Effizienz der Neuzeit übernehmen möchten, aber ohne deren schädliche Auswirkungen“ (Aumercier 2023a, S. 16). Stellvertretend für zahlreiche andere sei noch eine weitere charakteristische Passage angeführt:


„Als inhaltsleerer Produktivismus könnte er [der Kapitalismus, A.U.] vielleicht zu Ende gehen und sich in eine nützliche und auf gegenseitigen Absprachen beruhende Produktion verwandeln, wie sie bislang in so vielen frommen Wünschen gefordert wird. Aber wie könnte eine solche Produktion den Anspruch erheben, die abstrakte Kategorie der Arbeit auf diese Weise zu überwinden – die Arbeit und alle ihre konkreten Ausprägungen wie die Arbeitsteilung, die Notwendigkeit globaler Lieferketten und politischer Strukturen zu ihrer Regulierung, das Fortbestehen des Geldaustauschs, die Aufsplitterung von Verantwortlichkeiten usw.? Entweder werden die Produktionsaktivitäten bezahlt und sind notwendigerweise Gegenstand einer abstrakten Rationalisierung als Basis eines Verwertungsprinzips; oder sie werden nicht mehr bezahlt und erfolgen entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen, und dann verliert die industrielle Maschine ihre konkrete Funktionsgrundlage.“ (ebd., S. 151)


Wenn man es darauf anlegt und solche Passagen aus dem Gesamtzusammenhang herauslöst, kann man sie mit Leichtigkeit so lesen wie Meyer: als eine Gleichsetzung von (kapitalistischer) Form und Inhalt, und als würde Aumercier damit ausdrücken, dass sie sich eine Abschaffung der abstrakten Arbeit nicht vorstellen kann und damit auch keinen anderen Inhalt von Technologien außerhalb bzw. jenseits ihrer kapitalistischen Formbestimmung. Gleichwohl muss man schon sehr selektiv lesen und jede Menge anderer, unmissverständlicher Textstellen überlesen oder unter den Tisch fallen lassen, um das für die Kernaussage ihres Buches zu halten.


Fundamentale Widersprüche ortet Meyer sodann auch im Hinblick auf Aumerciers Aussagen zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Diese Widersprüche sollen darin bestehen, dass laut Aumercier die „Produktion von Gütern“ in einer postkapitalistischen Gesellschaft „in Größenordnungen erfolgen [müsste], die es jedem ermöglichen würden, den gesamten Produktionszyklus zu überblicken“ (ebd., S. 202). Es müssten die gesellschaftlichen Notwendigkeiten „Gegenstand einer anderen kollektiven Vermittlung“ sein, also nicht mehr durch Geld vermittelt werden. So würde die „Auslagerung von Aufgaben […] unmöglich gemacht“ (ebd., S. 201). Laut Meyer sei mit dieser Auslagerung „überregionale bzw. internationale Arbeitsteilung gemeint (die etwa ganze Weltregionen auf Rohstofflieferanten und Container billiger Arbeit reduziert)“ (Meyer 2024, S. 205). Während Aumercier also „überregionale bzw. internationale Arbeitsteilung“ ablehne, solle ihr zufolge eine „‚gewisse Arbeitsteilung‘ […] andererseits in einer freien Gesellschaft auf ‚lokaler Ebene durchaus möglich‘ […] sein“ (ebd., S. 206).


Diese Kritik kulminiert schließlich im Vorwurf des „Lokalismus“. Aumercier könne sich eine kollektive Vermittlung nicht auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Maßstabs- und Vermittlungsebenen (lokal, regional, überregional, global), sondern im Grunde nur lokal vorstellen (ebd., S. 205). Meyer macht dies zwar nicht so explizit, aber de facto labelt er sie damit als eine der an früherer Stelle im Text von ihm so bezeichneten „Dorf-Idylle-Ideologen“ (ebd., S. 201), die die moderne Technik abstrakt negieren und sozusagen zu Pflug und Sense zurückkehren wollen. Allemal nähere sie sich damit „den Postwachstumsideologen an[…], die sie andererseits kritisiert“ (ebd., S. 206), Vertretern einer in der Tat problematischen Version einer verkürzten Kapitalismuskritik, die mittlerweile offen zum Autoritären tendieren und sich zuweilen sogar schon dazu versteigen, die britische Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg gleichsam als Vorbild für einen geordneten „Rückbau des Kapitalismus“ zu stilisieren (Herrmann 2021; vgl. ebenso Herrmann 2022) – also abermals ein performativer Widerspruch Aumerciers, den Meyer entdeckt zu haben meint. Weitaus expliziter ist abermals Roswitha Scholz in ihrem wütenden Abrechnungsartikel über Aumercier, wenn sie dieser ausdrücklich eine „Agrarromantik“ unterstellt und ihr eine Nähe zu „rechten Ökokonzepten“ attestiert (Scholz 2024, S. 235). Von hier aus führt sodann ein gerader Weg zum zweiten zentralen Kritikpunkt in der wert-abspaltungskritischen Auseinandersetzung mit Aumerciers Buch, auf den im nächsten Abschnitt noch einzugehen sein wird.


Beenden wir aber zunächst die Analyse der bis hierher ausgebreiteten Kritik von Meyer, die im Wesentlichen auf besagtem Vorwurf der Gleichsetzung von Form und Inhalt moderner Technologien beruht und letztendlich auch nur auf Basis dieser axiomatischen Grundannahme Bestand haben kann. Meines Erachtens kann allerdings kein Zweifel daran bestehen, dass Meyer mit seiner Kritik den Kern von Aumerciers Argumentation systematisch (und vielleicht absichtsvoll) verfehlt. Nach meinem Dafürhalten geht es Aumercier eben gerade nicht darum, wie Meyer ihr permanent unterstellt, die potentiell „sinnvolle“ Anwendung moderner Technik in einer postkapitalistischen Gesellschaft per se in Abrede zu stellen. Worauf Aumercier hinaus will, ist, dass die im Rahmen der kapitalistischen Entwicklung entstandenen Technologien und Produktionsmittel ein energetisches Niveau voraussetzen, das mit der Vorstellung einer befreiten und dabei auch in ökologischer Hinsicht „nachhaltigen“, nicht weiterhin destruktiven, postkapitalistischen Form der gesellschaftlichen Reproduktion in Konflikt steht. Viele der technischen „Errungenschaften“ des Kapitalismus werden nicht in eine postkapitalistische Gesellschaft übernommen werden können – es sei denn, um den Preis einer Beibehaltung von Organisations- und Arbeitsformen jenes kapitalistischen Systems, aus dem die technischen Voraussetzungen dieser Technologien und Produktivkräfte hervorgegangen sind, ebenso wie die nötige materielle Infrastruktur für deren Herstellung und Betrieb.


Man kann dies in einem einfachen Gedankenexperiment beispielhaft an Koniczs Phantasien einer digitalen „Echtzeit-Ökonomie“ durchspielen: Um diese zu realisieren, müssen sämtliche dafür erforderlichen digitalen Infrastrukturen im globalen Maßstab weiterhin unterhalten oder vielmehr noch weiter ausgebaut werden; es müssen die notwendigen Endgeräte produziert werden; es muss die Energie produziert und überallhin transportiert werden, die für den Betrieb der digitalen Infrastruktur und der Geräte nötig ist (und wir sprechen hier von großen Energiemengen – bereits heute entfallen auf die digitale Welt zwischen 10 und 15 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs[11], vgl. Jappe 2024, Endnote 1); es müssen die Ressourcen und Rohstoffe bereitgestellt werden, die Herstellung und Betrieb von Infrastruktur und Geräten erfordern. All dies zu gewährleisten setzt wiederum die Arbeit (oder im Hinblick auf eine dem Anspruch nach postkapitalistische Gesellschaft formuliert: Tätigkeit) einer wahrscheinlich großen Zahl von Menschen voraus: Abgesehen von der Herstellung, dem Betrieb und der Wartung der digitalen Systeme und Geräte, müssen z.B. weiterhin Menschen für den Abbau der notwendigen Rohstoffe (u.a. seltene Erden) abgestellt werden – in einer nicht-kapitalistisch organisierten Gesellschaft sicherlich kein weniger harter Knochenjob und im Übrigen auch ökologisch kaum weniger problematisch als heute.[12] Nicht zu vergessen die giftigen Abfälle, die bei der Herstellung digitaler Geräte und beim Recycling der verbrauchten Werkstoffe anfallen. Wir reden hier wohlgemerkt noch gar nicht über die eigentlichen Zwecke, die diese digitale Infrastruktur in dem von Konicz erträumten „digitalen Kommunismus“ erfüllen soll, von den konkreten Produkten und Lebensmitteln, die unter diesen Bedingungen hergestellt werden sollen, oder wie die Produktion und Verteilung der Produkte konkret organisiert und in welcher Art und Weise darüber gesellschaftlich abgestimmt werden soll. Bei all dem handelt es sich bislang einzig und allein um die technischen und energetischen Grundlagen dieser allzu schlichten und offenbar recht wenig durchdachten wertkritischen Gesellschaftsutopie. Daran ändern auch, entgegen Koniczs Hoffnung, die vielbeschworenen „erneuerbaren Energien“ nichts, denn für diese – ob nun Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft oder alle zusammen – gilt im Prinzip dasselbe wie für die digitalen Netzwerke und Infrastrukturen: Aufbau, Betrieb und Wartung der entsprechenden Infrastrukturen und Geräte sind (jedenfalls in den angestrebten oder notwendigen globalen Dimensionen) in hohem Maße energie- und ressourcenintensiv.


Man muss sich zur Veranschaulichung des Problems keineswegs nur an Koniczs Vorstellungen einer volldigitalisierten Gesellschaft jenseits von Wert und abstrakter Arbeit abarbeiten. Man kann es auch an etwas so Banalem und für uns Selbstverständlichem wie Elektrizität bzw. der Stromversorgung abhandeln. Aufbau, Betrieb und Erhaltung eines Stromnetzes – umso mehr, wenn damit die hintersten Winkel des Planeten mit Strom versorgt werden sollen – benötigen Ressourcen, Arbeitsleistungen und ein entsprechendes Quantum an Energie, noch bevor überhaupt die Frage im Raum steht, wofür der erzeugte Strom verwendet werden soll, in welche Formen der Produktion die dabei erzeugte Energie eingehen soll und ob die Produktion kapitalistisch, d.h. allein unter dem Kriterium der Wertverwertung, oder „postkapitalistisch“ entlang von stofflichen Kriterien und konkreten menschlichen Bedürfnissen erfolgen soll.


Oder nehmen wir – weil Meyer dieses Beispiel in seinem Beitrag selbst bringt – die industrielle Landwirtschaft, die Meyer freilich nicht abschaffen, sondern lediglich auf ökologisch verträgliche Weise umgestalten möchte:


„Für den Stoffwechselprozess mit der Natur in der Landwirtschaft käme es mit Blick auf ökologische Belange darauf an, etwa die technische Zusammensetzung der Landwirtschaft zu ändern (was im Kapitalismus nur in Richtung höherer technischer Zusammensetzung zwecks der Bewegung G-W-G‘ geht). Statt großflächiger Monokulturen kleine(re) Parzellen, d. h. großflächige Polykulturen samt nicht landwirtschaftlich genutzter Zwischenflächen (Gebüsch, Tümpel, Waldstücke, Moore usw.). Dies hätte aber weder damit zu tun, jedwede industrielle Düngemittelproduktion zu stoppen, noch damit, auf Maschinen vollständig zu verzichten (obgleich sicherlich deutlich mehr Menschen in der Landwirtschaft tätig wären als in der heutigen industriellen Landwirtschaft). Eine Änderung der technischen Zusammensetzung impliziert nicht die Abschaffung aller Techniken in dieser Zusammensetzung.“ (Meyer 2024, S. 207f.).


Noch etwas deutlicher wird er in einem abschließenden Abschnitt über den „Stoffwechselprozess mit der Natur und seine[n] Notwendigkeiten“, in dem er sich letztlich sogar zu einer Naturalisierung einer auf fossilen Energieträgern basierenden Landwirtschaft versteigt:


„Pflanzen benötigen für ihr Wachstum Stickstoffverbindungen, die in ausreichendem Maße im Boden vorhanden sein müssen […]. Einige Pflanzenarten (Leguminiosen [sic] wie Klee, Sojabohnen) können [die] Stickstofffixierung in Symbiose mit Bakterien (Rhizobien) selbst bewerkstelligen […]. Viele Kulturpflanzen, wie Weizen und Reis, können das leider nicht. Die prinzipielle Frage des Stoffwechsels besteht also darin, wie man für ausreichende und sich regenerierende Bodenfruchtbarkeit sorgen kann, einfach um die Ernährung sicherzustellen. […] [E]in kompletter Umstieg auf nicht fossile Energieträger [ist] deswegen unmöglich […], da für die Produktion von Zement, Stahl, Düngemitteln und Transport, Produktion von Schmieröl, Kunststoffen u.a., fossile Energieträger notwendig bleiben und nicht komplett substituiert werden können (da entsprechende Technologien (noch?) nicht [existieren] […]).“ (ebd., S. 212f.)


Wir sehen an dieser Stelle darüber hinweg, dass Meyers Blick auf die Landwirtschaft der Gegenwart und erhofften Zukunft eher eurozentristisch geprägt erscheint und primär von den Gegebenheiten in den kapitalistischen Zentren des Globalen Nordens ausgeht. Bereits heute – oder bis heute – leben rund 40 Prozent der Weltbevölkerung von der Landwirtschaft (vgl. Weltagrarbericht 2013, S. 22). Zum Vergleich: In Deutschland beträgt der Anteil aller Beschäftigen in der Landwirtschaft gerade einmal zwei Prozent.[13] Dies verdeutlicht, für welchen Teil der Weltbevölkerung eine Transformation der Gesellschaft im Allgemeinen und der Landwirtschaft im Besonderen die meisten Veränderungen bringen (und voraussetzen) würde. Im Übrigen wird der größte Teil der globalen Nahrungsmittelproduktion schon unter den heutigen kapitalistischen Bedingungen durchaus nicht von der großen Agroindustrie mit ihren großflächigen Monokulturen und ihrer hohen Kapitalintensität erbracht, sondern von den 85 Prozent Klein- und Kleinstbauern, insbesondere in der kapitalistischen Peripherie und Semiperipherie, die eine Fläche von jeweils weniger als zwei Hektar bewirtschaften (vgl. Salzer 2018, S. 5). In Asien und Afrika werden 80 Prozent aller Lebensmittel von solchen Kleinbauern produziert (Weltagrarbericht 2013, S. 22).


Auch die sich angesichts von Meyers Darlegungen fast von selbst aufdrängende Frage, wie die Menschen vormoderner Epochen in der Landwirtschaft jemals ohne Kunstdünger und fossile Energieträger auskommen konnten, wollen wir beiseitelassen, da Meyer damit tatsächlich einen wichtigen Punkt trifft, über den später noch zu sprechen sein wird: Die Ernährung einer Weltbevölkerung von derzeit rund acht Milliarden Menschen ist mit den landwirtschaftlichen Methoden und der Produktivität vormoderner Kulturen mit ziemlicher Sicherheit nicht zu gewährleisten. Aber eben genau darin besteht doch das Problem, um das Meyer sich herumdrücken möchte, obwohl er es selbst so präzise beschreibt: Allein mit Blick auf die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelproduktion im angestrebten bzw. erforderlichen Maßstab ist ein industrielles, technologisches und damit energetisches Niveau erforderlich, das für eine dem Anspruch nach postkapitalistische Gesellschaft – sofern man damit nicht bloß die traditionsmarxistische Vorstellung verbindet, die „Springquellen des Reichtums“ (Marx) fließen zu lassen – schwer zu halten sein wird, und wenn, dann nur mit den entsprechenden Zugeständnissen an die für die Aufrechterhaltung dieses Niveaus notwendigen gesellschaftlichen Organisations- und Arbeits- bzw. Tätigkeitsformen. Meyer ist nicht zu widersprechen, wenn er die Ansicht äußert, dass ein völliger Ausstieg aus fossilen Energieträgern, allein im Hinblick auf die Landwirtschaft, auch in einer postkapitalistischen Gesellschaft schwer möglich sein wird. Selbst die für den Großteil der globalen Nahrungsmittelproduktion verantwortlichen Kleinbauern sind heute (in unterschiedlichem Ausmaß) von fossiler Energie, von Maschinen, von Kunstdünger und dergleichen abhängig und würden dies wohl auch bei einer postkapitalistischen Transformation der Landwirtschaft bleiben, sofern die Produktivität auf dem erforderlichen Niveau gehalten werden soll. Aber aus dieser Notwendigkeit folgt gerade (und eben deshalb) nicht, dass diese umstandslos (oder überhaupt) mit dem Ziel einer radikalen Überwindung des Kapitalismus vereinbar ist, wenn man nämlich als Kriterium dafür auch eine radikale Veränderung der energetischen Grundlage der Gesellschaft veranschlagt, die dem Anspruch ökologischer „Nachhaltigkeit“ und gesellschaftlicher „Emanzipation“ auch nur ansatzweise genügen soll. Welche Implikationen dies hat und welche Probleme diese Anforderungen z.B. mit Blick auf die Nahrungsmittelversorgung einer Weltbevölkerung in der heutigen Größe mit sich bringen, steht nochmals auf einem ganz anderen Blatt. Aber man gibt sich Illusionen hin, wenn man so tut, als gäbe es das von Aumercier beschriebene energetische Problem nicht oder als sei es im Hinblick auf eine Überwindung des Kapitalismus vernachlässigbar.


All das verdeutlicht, dass das von Aumercier in ihrem Buch aufgeworfene Problem sich eben nicht im Widerspruch von Form und Inhalt erschöpft, auf den Meyer es (unter sturem Rekurs auf Kurz) reduzieren will. Digitale Technologien oder einfach nur das Stromnetz oder eine (in welcher „technischen Zusammensetzung“ auch immer) industriell betriebene Landwirtschaft behalten ihre technischen Eigenschaften und energetischen Voraussetzungen auch dann, wenn sie vom Wert und dem kapitalistischen Zwang zur Wertverwertung befreit sind und stattdessen zu anderen Zwecken eingesetzt bzw. auf anderen gesellschaftlichen Grundlagen betrieben werden sollen. Eben das ist es, was Aumercier meint (und was Meyer beharrlich falsch als Subsumierung der modernen Technik unter die kapitalistische Form interpretieren will), wenn sie schreibt: „Wenn die Erben dieser Gesellschaftsform zum Beispiel das Stromnetz oder ein bestimmtes Medikament aufrechterhalten wollen, ist dies dann ohne die kapitalistischen Vermittlungen möglich? Wenn ja, unter welchen Bedingungen?“ (Aumercier 2023a, S. 155) Dieses Problem ist von einer anderen Qualität als die Frage, ob ein Gerät oder eine Technik außerhalb der kapitalistischen Produktionsweise noch einer anderen, sinnvolleren Verwendung zugeführt werden kann. Wie viel bereits an einzelnen, möglicherweise als sinnvoll, brauchbar oder wünschenswert für eine postkapitalistische Gesellschaft erachteten Geräten oder Techniken hängt, sollte das oben zitierte Beispiel des elektrischen Mixers verdeutlicht haben – zu dem Meyer übrigens nicht mehr einfällt als diese mit sachlich ganz und gar unbegründeter Nonchalance hingeworfene Entgegnung: „Dass auch ‚nichtelektrische Rührgeräte‘ (Löffel + Schale) ‚produziert, verteilt, recycelt‘ werden müssen, wird hier glatt unterschlagen.“ (Meyer 2024, S. 209) Was Meyer hier unterschlägt, ist, dass Löffel und Schale im Prinzip auch unter nicht-industriellen Bedingungen, allein auf der Grundlage von Handwerk und unter Umständen sogar in Eigenproduktion, mit lokal oder regional verfügbaren Rohstoffen (Holz, Ton etc.) hergestellt werden können – was im Übrigen auch schon lange vor dem Kapitalismus so praktiziert wurde –, während die Herstellung elektrischer Mixer nicht ohne industrielle Kapazitäten und, je nach regionaler Verfügbarkeit der dafür erforderlichen Rohstoffe, nicht ohne überregionale bis hin zu globalen Produktions- und Lieferketten auskommt. Dass Meyer die für den Betrieb nichtelektrischer Rührgeräte, ganz im Gegensatz zu dem von Elektromixern, entbehrliche Stromversorgung in seiner von Aumercier übernommenen Aufzählung ganz außer Betracht lassen kann, ist dabei nur konsequent, bringt seinen Vergleich aber vollends ins Hinken.  


Man kann diese Problematik an praktisch jedem beliebigen Gerät und jeder Technologie, die in den Postkapitalismus „hinübergerettet“ bzw. „sinnvoll sortiert“ werden soll, durchexerzieren. Ein Beispiel, das in wertkritischen Kreisen in dem Zusammenhang immer wieder gerne gebracht wird (und auch Meyer in seinem Text bringt), ist der Verbrennungsmotor. Ja, es ist zutreffend, dass der Verbrennungsmotor „nicht dem Individualverkehr [entspricht] (Meyer 2024, S. 204), also auch für weniger destruktive Zwecke als das Autofahren genutzt werden kann. Aber es ist denkbar (und, wenn Aumercier recht hat, wahrscheinlich), dass der Verbrennungsmotor in einer postkapitalistischen Gesellschaft aufgrund seiner industriellen, technischen und energetischen Voraussetzungen (Erdölförderung/Biosprit, Motorenproduktion etc.) gar nicht mehr verwendet werden kann – und wenn doch, mit wahrscheinlich enormen Implikationen im Hinblick auf die Aufrechterhaltung entsprechender industrieller Kapazitäten, der Rohstoffgewinnung und damit zusammenhängender Arbeiten bzw. Tätigkeiten sowie deren Organisation und Verteilung. Das Problem ist also weniger auf der Formebene (und damit zusammenhängenden Inhalten) als vielmehr auf einer handfesten materiell-stofflichen Ebene angesiedelt. Es geht nicht so sehr darum, was sich mit einem Verbrennungsmotor alles anstellen lässt und ob es für ihn sinnvollere Einsatzgebiete gibt als jene, auf die ihn die kapitalistische Gesellschaft vergattert, sondern es geht um die (u.a. technischen) Eigenschaften des Verbrennungsmotors und die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um ihn betreiben zu können – völlig egal zu welchem Zweck –, und ob diese Voraussetzungen in einer vom Kapitalfetisch befreiten Gesellschaft erfüllt werden können bzw. überhaupt sollten.


Wie voraussetzungsreich all dies ist, wird nicht nur daran ersichtlich, dass schon einzelne Technologien und Gerätschaften bei genauerer Betrachtung einen ganzen Rattenschwanz an technischen und energetischen Voraussetzungen und Anforderungen nach sich ziehen, sondern auch daran, dass das inhaltliche Kriterium der potentiell sinnvollen postkapitalistischen Verwendbarkeit unter dem Gesichtspunkt der „Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse“ auf unzählige andere Technologien mit nicht minder voraussetzungsreichem Anforderungsprofil anwendbar ist – und in der wertkritischen Diskussion ja auch munter angewandt wird. Tomasz Konicz möchte, wie gesagt, mehr oder weniger die ganzen Segnungen der derzeit laufenden Digitalisierung für eine befreite, postkapitalistische Gesellschaft nicht nur nutzbar machen, sondern Letztere sogar unmittelbar darauf gründen. Manche Wertkritiker würden dem umgehend auch den 3D-Drucker hinzufügen (vgl. Galow-Bergemann/Lohoff 2020, S. 198ff.; Aumercier 2023a, S. 162f.). Thomas Meyer hält offenbar sogar eine „apokalyptische Technologie“ (Kurz 2001) wie die Gentechnik[14] (zumindest partiell) für bewahrenswert und in einer befreiten Gesellschaft für sinnvolle Anwendungen einsetzbar, so z.B. in der schon besprochenen „postkapitalistischen“ Landwirtschaft, in der die Gentechnik laut Meyer etwa dazu beitragen könnte, die „Düngemittelabhängigkeit von Nutzpflanzen zu reduzieren“, indem man sie gentechnisch so verändert, dass sie in der Lage sind, Stickstoff zu fixieren (Meyer 2024, S. 213). Ganz abgesehen von der Befremdlichkeit der von einigen Wertkritikern umstandslos mit „gesellschaftlicher Emanzipation“ in Zusammenhang gebrachten Technologien und „Artefakte“ aus dem Fundus der kapitalistischen Megamaschine, braucht es nicht viel Vorstellungkraft, um zu erahnen, auf welchem energetischen und industriellen Niveau diese postkapitalistische Gesellschaft ihrem „emanzipierten“ Tagwerk nachgehen müsste, selbst wenn man davon ausgehen kann, dass der stoffliche Output der (industriellen) Produktion im Vergleich zum heutigen, an seiner Überproduktivität erstickenden Kapitalismus deutlich zurückgefahren würde.


Die Fragen, die Aumercier in ihrem Buch aufwirft, sind also mehr als berechtigt, ebenso ihre Kritik an der bisherigen wertkritischen Diskussion über eine notwendige Überwindung des Kapitalismus – eine Diskussion, von der man im besten Fall sagen kann, dass sie viele Leerstellen aufweist und zahlreiche der bisherigen Annahmen zu diesem Problemkomplex längst nicht zu Ende gedacht sind; im schlimmsten Fall aber, dass nicht wenige Wert- und Wert-Abspaltungskritiker/innen erheblichen Illusionen aufsitzen.


Auf der Grundlage eines derart fundamentalen (wenn auch wahrscheinlich interessierten) Unverständnisses zentraler Argumentationslinien Aumerciers sind denn auch manch verquere Lesarten oder auch derart diffamierende Einordnungen wie jene eines (rechtslastigen) Lokalismus seitens der EXIT-Gruppe überhaupt erst erklärlich (dadurch aber umso mehr zu beanstanden). So etwa Meyers Irritation über Aumerciers Kritik an „überregionaler bzw. transnationaler Arbeitsteilung“ bei gleichzeitiger Unterstellung der Möglichkeit „lokaler Arbeitsteilung“, woraus Meyer sogleich einen argumentativen Widerspruch Aumerciers konstruiert. Meyer tut tatsächlich so, als bestünde zwischen beidem keine Differenz. Es macht natürlich einen erheblichen Unterschied, wenn nicht sogar einen ums Ganze, ob konkrete Aufgaben unter den Bedingungen einer insgesamt für alle Beteiligten relativ überschaubaren Form der materiellen Reproduktion nach bestimmten Kriterien unter den Mitgliedern der Gemeinschaft aufgeteilt sind, oder ob, wie im gegenwärtigen Stadium eines globalisierten Hightech-Kapitalismus, selbst für Beschäftigte innerhalb derselben Arbeitsstätte aufgrund des extrem hohen Grads an Arbeitsteilung der Produktionsprozess nicht mehr vollständig (und zumeist nicht einmal ansatzweise) überschaubar ist – von der transnationalen Zersplitterung des Arbeits- und Produktionsprozesses in zahlreiche Subfirmen, Zulieferer und Rohstofflieferanten ganz abgesehen. Eine Arbeitsteilung von dieser Qualität und in diesem Ausmaß ist für eine postkapitalistische Gesellschaft, die diesen Namen verdient, tatsächlich weder anzunehmen noch wünschenswert, ohne dass deshalb jegliche Arbeitsteilung kategorisch ausgeschlossen wäre.[15]


Was den Lokalismus-Vorwurf angeht, so besitzt dieser ein gewisses Wahrheitsmoment darin, dass Aumercier als Kriterium für eine „befreite“ postkapitalistische Gesellschaft, wie dargestellt, eine „kollektive Vermittlung“ sowie eine gesellschaftliche Produktion veranschlagt, die „in Größenordnungen erfolgen [müsste], die es jedem ermöglichen würden, den gesamten Produktionszyklus zu überblicken“ (Aumercier 2023a, S. 202). Dies wird in der Tat nur auf lokaler, höchstens regionaler Ebene wirklich möglich sein. Hier wäre allerdings zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Einschätzung sich als logische und folgerichtige Konsequenz ihrer inhaltlich begründeten Problembestimmung und ihrer darauf aufbauenden Analyse ergibt und nicht, was im Begriff des Lokalismus mitschwingt, aus einer irgendwie willkürlichen, ideologischen Setzung. Es geht Aumercier „nicht um eine emotionale Ablehnung [der modernen Technik oder einer überregionalen bzw. internationalen Arbeitsteilung, A.U.], sondern darum, die Bedingungen der technischen Möglichkeiten zu untersuchen, die durch eine bestimmte gesellschaftliche Organisation gegeben sind“ (Aumercier 2023a, S. 169). Unabhängig davon, ob einem das gefällt oder nicht, kann eine eher lokale Form des Lebens und des Produzierens unter Umständen das wahrscheinlichste und vielleicht sogar das einzig realistische Szenario einer postkapitalistischen Gesellschaft sein. Aumercier auf der Grundlage ihres komplexen und stringent durchgearbeiteten Argumentationsganges a priori Lokalismus auf dem Niveau von „Small is beautiful“-Ideologien[16] zuzuschreiben und sie gar, wie Scholz es tut, eher schon explizit als implizit mit „rechten Ökokonzepten“ in einen Topf zu werfen, hat mit inhaltlicher Kritik schon deshalb nichts gemein, weil das Urteil nicht auf dem Wege einer kritisch-analytischen Durchdringung ihrer Thesen gewonnen wurde, die sich inhaltlich auf der Höhe oder wenigstens auf derselben Ebene wie Aumerciers Argumentationsführung bewegen würde.



Ist Aumerciers Argumentation anfällig für sozialdarwinistische und ökofaschistische Ideologien?


Worum es bei der EXIT-Kritik an Aumercier in Wirklichkeit geht und warum in der Auseinandersetzung mit ihrem Buch sämtliche, auch die unredlichsten und unqualifiziertesten diskursiven Geschütze aufgefahren werden, um ihre Thesen als „indiskutabel“ auszuweisen, wird vollends deutlich am zweiten Hauptargument, das Meyer (und Scholz) gegen Aumercier ins Feld führen – ein Argument, das sich spätestens mit dem Vorwurf des „Lokalismus“ bereits deutlich am Horizont abzeichnete. Dieses läuft darauf hinaus, dass Aumercier mit ihrer (angeblich) „abstrakten Technikkritik“ (Scholz) und ihrem (ebenfalls nur angeblichen) Plädoyer für das „Lokale“ von handfesten Notwendigkeiten des Stoffwechsels mit der Natur und hier vor allem von den sich heute stellenden Anforderungen für das Überleben von Milliarden Menschen abstrahiere. Der Einsatz moderner Technik und das durch sie ermöglichte Produktivitätsniveau seien auch und gerade in einer postkapitalistischen Gesellschaft notwendig, um „eine Beschränkung der Menschheit auf einfachste Subsistenzproduktion [zu] verhindern […], da sie für die meisten der über acht Milliarden Menschen nicht realisierbar ist und folglich mörderische Konsequenzen hätte“ (Meyer 2024, S. 205). An Aumerciers „Technikkritik“ bleibe unklar, „wie Ernährung, medizinische Versorgung usw. von Milliarden Menschen bewerkstelligt werden sollen, ohne dass irgendeine Art von (mittelbarer) Aufgabenteilung (also ‚Arbeitsteilung‘) oder eine überregionale Kooperation, Industrie & Technik vorliegt (wenn auch nicht in der heutigen Form). Die mehr als vier Milliarden Stadtbewohner sind auf Nahrungsmittel- und Wassertransporte angewiesen. Städtische Selbstversorgung der ‚Betroffenen‘ ist in dieser Größenordnung vollkommen ausgeschlossen. Dann womöglich den ‚Betroffenen‘ ‚die Möglichkeit für alle, das Territorium zu wechseln‘[17], vorzuschlagen, wäre blanker Zynismus (und wohin sollten solche Menschenmassen wechseln?).“ (ebd., S. 209f.) Hier ist bereits auch unmittelbar und handgreiflich angelegt, was im weiteren Verlauf der Diskussion noch in größerer Deutlichkeit folgen und im Pamphlet von Scholz zu voller Entfaltung kommen wird, nämlich die Behauptung, Aumercier habe mit ihren Thesen eine offene Flanke zu sozialdarwinistischen und ökofaschistischen Diskursen:


„Hält man für grundsätzlich ausgeschlossen, durch Kommunikation, Debatte und Handeln (im weitesten Sinne) eine Produktionsweise zu organisieren, die nicht in den globalen Selbstmord führt oder die Menschheit auf regionale Genügsamkeit unmittelbarer und überschaubarer Verantwortung reduziert, muss man wohl vermuten, dass die Abschaffung des Kapitalismus eine partielle Abschaffung der Menschen selbst mit beinhalten könnte? Was sonst wäre wahrscheinlich die Konsequenz, wenn die Produktion nur auf mehr oder weniger lokaler und überschaubarer Ebene vonstatten gehen und es eine Zumutung und Ausdruck von Herrschaft an sich sein soll, für andere Menschengruppen zu produzieren, mit denen man sozial erst mal nichts zu tun hat […].“ (ebd., S. 210)


Sehen wir darüber hinweg, dass Meyer in den zitierten Passagen zum Teil (abermals) Spiegelfechterei mit einem Popanz betreibt, den er sich aus Aumerciers Buch selbst zurechtgebastelt hat, indem er sich an vermeintlichen Behauptungen Aumerciers abarbeitet, die sie so nie aufgestellt hat (sie sagt z.B. nirgendwo, dass eine postkapitalistische Form der Vergesellschaftung keinerlei Arbeitsteilung mehr kennen wird oder darf). Ebenfalls außer Betracht lassen wir von Meyer quasi als „Notwendigkeiten“ des gesellschaftlichen Stoffwechselprozesses mit der Natur vorausgesetzte Gegebenheiten, die sich in einer postkapitalistischen Gesellschaft keineswegs mehr so darstellen müssen, z.B. dass die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, womöglich gar in zig Millionen Einwohner zählenden Megacitys, lebt (wenngleich sich hier dann möglicherweise auch das umgekehrte und in der Gegenwart parallel dazu verlaufende Problem der wachsenden Zersiedelung stellen würde). Von solchen offenen Fragen und nicht gänzlich unkommentiert hinzunehmenden Darstellungen Meyers abgesehen, trifft er damit aber durchaus einen sehr wichtigen und im Kontext von Aumerciers Argumentation heiklen Punkt. In der Tat ist es so gut wie ausgeschlossen, dass eine Weltbevölkerung in der Größe von mehr als acht Milliarden Menschen sich auf der Basis lokaler Subsistenzproduktion materiell reproduzieren könnte – umso mehr, wo der Kapitalismus im Laufe seiner Durchsetzung und globalen Ausbreitung historisch gewachsene Subsistenzstrukturen in weiten Teilen der Welt systematisch vernichtet hat, inklusive des dafür notwendigen Wissens und der entsprechenden Fertigkeiten.[18] (Es könnte sein, dass es in naher Zukunft nicht einmal mehr Saatgut gibt, das nicht von Agrarkonzernen im ökonomischen Profitinteresse gentechnisch steril gemacht wurde, um die Wiederaussaat zu verhindern und so Landwirte von sich abhängig zu machen.[19]) Meyers Kritik ist in dieser Hinsicht auch deshalb berechtigt und in gewisser Weise von Aumercier selbst provoziert, da sie in ihrem Buch auf dieses Problem praktisch gar nicht, jedenfalls aber nicht systematisch eingeht. Nun ist es einer kritischen Theorie freilich auch in diesem Fall nicht per se vorzuwerfen, wenn sie keine detaillierten Spekulationen über die konkreten Formen und Modi einer zukünftigen postkapitalistischen Vergesellschaftung anstellt. Einige grundsätzliche Überlegungen über die Implikationen der eigenen Thesen, was also aus den theoretisch erarbeiteten kritischen Einsichten mit Blick auf eine anzustrebende postkapitalistische Transformation folgt und welche Probleme sich dabei möglicherweise stellen, wären allerdings schon wünschenswert gewesen. So manche Kritik, die Aumercier und ihrem Buch entgegenschlägt, wäre dadurch zwar möglicherweise nicht verhindert worden (dies würde voraussetzen, dass Kritiker wie Meyer und Scholz den eigentlichen, viel grundsätzlicheren Gehalt von Aumerciers theoretischer Argumentation zur Kenntnis nehmen würden, wozu sie aber offensichtlich nicht bereit sind), aber man hätte es Kritikern immerhin erschwert, ihre Thesen umstandslos als potentiell „sozialdarwinistisch“ und als anschlussfähig an „rechte Ökokonzepte“ zu markieren. Am ungeschminktesten formuliert derartige Vorwürfe wieder einmal Roswitha Scholz:


„Wie in rechten Ökokonzepten findet sich […] auch bei ihr eine Biozentrierung, ein Ethnopluralismus (die symbolisch-identitäre Ebene ist ihr wichtig) mit malthusianischen Implikationen. So macht sie sich keine Gedanken darum, wie Milliarden von Menschen auf diesem Globus ernährt werden können. Die Überlegungen von Aumercier mit ihren radikalen Entgesellschaftungsforderungen sind nicht nur ein gefundenes Fressen für rechte Diskurspiraterie. Sie muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, wider besseres Wissen durchaus vergleichbare Inhalte zu vertreten, die gerade durch einen impliziten Malthusianismus auch deutlich sozialdarwinistische Momente enthalten.“ (Scholz 2024, S. 235)[20]


Dass nichts von all dem, was Scholz Aumercier hier an den Kopf wirft, den Inhalt und die zentrale Aussage ihres Buches auch nur im Ansatz trifft, kann jeder erkennen, der das Buch wirklich gelesen hat und bereit war, sich zumindest ein Stück weit auf die darin ausgebreiteten Thesen einzulassen. Es mag wohl abermals manche Passagen und Formulierungen geben, mit denen es Aumercier ihren Kritiker/innen allzu leicht macht, sie miss zu verstehen, wenn man diese nur ausreichend und mit entsprechender Gewalt aus ihrem Zusammenhang reißt. Hat man jedoch einmal begriffen (und als Voraussetzung dafür: zur Kenntnis genommen), dass es Aumercier mitnichten um eine bloß „abstrakte Technikkritik“ geht und sie keineswegs – wie Meyer nicht müde wird, zu behaupten – Form und Inhalt der modernen Technik einfach gleichsetzt, sondern dass ihre gesamte Argumentation auf die technischen und energetischen Voraussetzungen moderner Technologien und Infrastrukturen abhebt, wird deutlich, dass der wesentliche Beitrag ihres Buches vor allem darin besteht, ganz handfeste materielle Probleme und Implikationen in den Fokus zu rücken, mit denen eine radikale Gesellschaftskritik im Hinblick auf das Ziel einer Überwindung des Kapitalismus heute konfrontiert ist.


Die Reaktion von EXIT auf Aumerciers Thesen folgt im Grunde der ziemlich schlichten, aber in der bürgerlichen Gesellschaft weit verbreiteten Logik, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Es müssen nun einmal acht Milliarden Menschen ernährt werden, also ist es schlechterdings undenkbar, dass wir auf ein gewisses industrielles und technologisches Niveau verzichten. Darin kann man Meyer und Scholz, wie gesagt, kaum widersprechen, und es ist Aumercier in der Tat vorzuwerfen, dass sie an diese Problematik in ihrem Buch keinen Gedanken verschwendet. So gesehen hat sie sich die heftige Kritik, die sie erfährt, bis zu einem gewissen Grad selbst zuzuschreiben. Ihr deswegen und unter Berücksichtigung ihrer gesamten Argumentation Sozialdarwinismus, Malthusianismus und was sonst noch alles vorzuwerfen, ist aber geradezu albern.[21] Meyer und Scholz stoßen doch selber mit ihrer Feststellung genau an jenes Problem, das Aumercier in ihrem Buch darzulegen versucht: Schon allein im Hinblick auf die Ernährung von Milliarden Menschen müssen die industriellen Kapazitäten und die dafür erforderlichen technischen Systeme und Infrastrukturen in einem entsprechenden Ausmaß aufrechterhalten und in Gang gehalten werden. In diesem Punkt besteht im Prinzip keinerlei Differenz zwischen Aumercier und ihren Kritikern. Der einzige, dafür aber fundamentale Unterschied liegt darin, dass Meyer und Scholz in all dem kein grundsätzliches Problem sehen. Aumercier geht in ihrer Argumentation sozusagen über einen Punkt hinaus, an dem die Wertkritik bislang stets zu denken aufgehört hat (und über den jedenfalls Meyer und Scholz keinesfalls hinausdenken wollen): nämlich die Frage nach den weitreichenden energetischen Voraussetzungen der modernen Systeme und Infrastrukturen sowie nach den daraus resultierenden Implikationen im Hinblick auf eine emanzipatorische Überwindung des Kapitalismus. Allein die Notwendigkeit, im Interesse der Ernährung von acht Milliarden Menschen die dafür erforderlichen industriellen Kapazitäten, Energiesysteme, Infrastrukturen etc. zu unterhalten, steht mindestens mit dem Anspruch einer ökologisch „nachhaltigen“ Gesellschaft in Konflikt, denn der Betrieb und die Erhaltung jener Systeme und Infrastrukturen verlangen energetisch und ressourcenseitig ihren Tribut – ganz egal, ob diese Systeme nun durch den Wert angetrieben werden oder durch gesellschaftliche Planung, und selbst dann, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der stoffliche Output erheblich geringer ausfallen würde als heute, weil nicht mehr ausschließlich nach dem gegenüber sinnlichen Bedürfnissen gleichgültigen Kriterium der Wertverwertung produziert und folglich auch nicht mehr große Teile der Nahrungsmittelproduktion im Müll landen oder aus Rentabilitätsgründen einfach vernichtet würden; zumal die Landwirtschaft nur einer von vielen Sektoren des zu betreibenden industriellen und technischen Systems wäre. Auch auf sozialer Ebene verlangt die Aufrechterhaltung dieser Großsysteme weiterhin vielfältige Tätigkeiten von Menschen auf unterschiedlichen Ebenen – Tätigkeiten, die wir heute unter „abstrakte Arbeit“ subsumieren und die sich in dem von Meyer skizzierten Szenario einer postkapitalistischen Gesellschaft größtenteils nur formal von dieser unterscheiden würden, weil sie nicht mehr bezahlt würden, aber wohl kaum oder nur sehr bedingt inhaltlich – bis hin zur Schufterei in den Bergminen, um die Bodenschätze abzubauen, die für die gesellschaftliche Infrastruktur, die Maschinen, die digitalen Netzwerke etc. weiterhin in relativ großen Mengen benötigt werden. Was Meyer sich unter einer postkapitalistischen Gesellschaft in etwa auf dem technologischen Niveau von heute, jedoch mit anderer „technischer Zusammensetzung“, vorstellt, ist also enorm voraussetzungsreich und vor allem – eben das ist es, was Aumercier verdeutlicht – nicht allein eine Frage der „sinnvollen Sortierung“ und „Umgruppierung“ vorhandener Technologien nach einem neu zu bestimmenden Kriterium. Darüber sollte man sich als Wertkritiker Gedanken machen bzw. dies überhaupt erst einmal als relevantes, bisher noch nicht oder nicht ausreichend gewürdigtes Problem zur Kenntnis nehmen.


Wenn Meyer und Scholz Aumercier unterstellen, sich um den möglichen Hungertod von Milliarden Menschen schlicht nicht zu scheren und für eine „Abschaffung des Kapitalismus“ eine „partielle Abschaffung der Menschen“ für erforderlich zu halten (Meyer 2024, S. 210), um darauf sodann ihren Vorwurf des Sozialdarwinismus zu gründen, geben sie im Grunde nur zu erkennen, wie wenig sie die weitreichenden Implikationen des Buches begriffen haben (oder begreifen wollen). Dieser Vorwurf ist inhaltlich schon deshalb durch nichts gedeckt, da sich eine solche Schlussfolgerung keineswegs (zumindest nicht zwingend) aus der zentralen Argumentation Aumerciers ergibt. Diese macht doch, jedenfalls potentiell, auf etwas ganz anderes aufmerksam: Die Tatsache, dass schon allein die Ernährung von Milliarden Menschen die Aufrechterhaltung zahlreicher im Kapitalismus entstandener technischer Großsysteme mit ihren energetischen und ressourcenseitigen Erfordernissen notwendig macht, sollte die Frage in den Fokus rücken, wie wahrscheinlich unter diesen Voraussetzungen ein (kompletter) Ausstieg aus dem Kapitalismus heute überhaupt noch ist – wenn man darunter auch den Ausstieg aus diesen im großen Stil Energie verschlingenden und mit entsprechenden Anforderungen und Zwängen verbundenen Großsystemen versteht. Der Kapitalismus beschert uns ja nicht nur Zumutungen wie die abstrakte Arbeit, Geld, geschlechtliche Abspaltung usw., er hat auf seinem bisherigen Blindflug durch die Geschichte eben auch technische Systeme und Infrastrukturen hervorgebracht, auf denen die materielle Reproduktion der Menschheit heute in hohem Maße beruht und denen sich übrigens auch, infolge der (u.a.) durch sie bewirkten Verbesserung der „Lebensstandards“ vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts, auch die seither stattgefundene enorme Bevölkerungszunahme maßgeblich verdankt. Die industrielle Landwirtschaft ist nur eines von vielen Beispielen dafür. Sollen diese Systeme über den Kapitalismus hinaus Bestand haben, müssen sie auf dem erforderlichen technologischen und energetischen Niveau weiterbetrieben werden. Sie mögen nicht mehr durch die blinde Wertverwertungslogik angetrieben werden, sie werden zum Teil technisch anders zusammengesetzt sein, wahrscheinlich wird auch durch den Wegfall der kapitalistischen „Sinnlosproduktion“ das gesamte technische und infrastrukturelle Aggregat (sofern das möglich ist) kleiner dimensioniert sein. Aber in diesen – vom Umfang der beizubehaltenden oder notwendigen Technologien, industriellen Kapazitäten, Infrastrukturen, Energiesystemen etc. abhängigen – Dimensionen muss das System betrieben werden, mit allem, was das an Energie, Ressourcen und menschlicher „Arbeitskraft“ erfordert – oder es steht still und verfällt. Das Buch und die darin entfalteten Thesen können also auch (und vielleicht vor allem) als gesellschaftstheoretische Hinweise gelesen werden, welche Hindernisse allein in materieller Hinsicht sich einer radikalen Kapitalismuskritik und ihrem Ansinnen einer Überwindung des Kapitalismus auf dem heute erreichten Stand der technischen und infrastrukturellen Entwicklung und Vernetzung in den Weg stellen. Möglicherweise ist der Ausweg aus dem Kapitalismus noch wesentlich verbauter, als es sich die Wertkritik bislang vorstellen konnte oder wollte. Selbst wenn es uns gelänge – was schon unwahrscheinlich genug ist –, die tief in die Köpfe und die Bedürfnisstrukturen der Menschen eingewachsenen Fetischformen von Ware, Wert, Geld, Arbeit usw. abzustreifen, bliebe immer noch das Problem des materiellen „Erbes“, das der Kapitalismus hinterlässt, sozusagen die „Artefakte der (kapitalistischen Binnen-)Geschichte“ (Kurz), die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht beliebig „abgeschafft, umorganisiert, transformiert und entwickelt“ (vgl. Meyer 2024, S. 201) werden können, sondern die selbst nach einer potentiellen Überwindung des Kapitalismus ihre energetischen und technischen Voraussetzungen behalten, auf deren Grundlage sie überhaupt erst entstehen konnten. Vieles davon wird daher wohl oder übel nur ganz oder gar nicht in den Postkapitalismus „hinübergerettet“ werden und dort seinen (am inhaltlichen Kriterium der „Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse“ gebildeten) Nutzen stiften können.


Meyer gibt es ja selbst zu: Alleine eine Landwirtschaft, mit der acht Milliarden Menschen ernährt werden sollen, wird im Kern eine industrielle sein müssen, sie wird weiterhin auf Landmaschinen und Kunstdünger angewiesen sein, was wiederum die Beibehaltung fossiler Energieträger notwendig macht, mit allem, was an industrieller Kapazität, Ressourceneinsatz, menschlicher Arbeitsleistung und Transport dazu gehört. Wenn es nach Meyer geht, soll die Landwirtschaft der postkapitalistischen Zukunft, wie gesagt, sogar Gentechnik einsetzen. Auch diese wäre ja nicht „einfach da“, sondern bräuchte entsprechende Labore, Arbeitsgeräte, Energie, Fertigkeiten, menschliche Arbeit/Tätigkeit usw., die laufend darin eingehen und gesellschaftlich organisiert und bereitgestellt werden müssten. All dies bringt Anforderungen nicht nur in energetischer (in Gestalt des erforderlichen Energie- und Ressourcenbedarfs, was wiederum ökologische Probleme nach sich zieht), sondern zunächst einmal in ganz handfester materieller Hinsicht mit sich. Irgendwie muss das alles ja gestemmt werden. Wenn man (wofür es gute Gründe gibt), wie Meyer und Scholz und der bislang größte Teil der Wert- und Wert-Abspaltungskritik, die Meinung vertritt, dass es sinnvoll, ja sogar notwendig ist, das technologische und produktive Niveau des warenproduzierenden Systems weitgehend beizubehalten, schon allein um das Überleben von Milliarden Menschen zu gewährleisten, sollte auch die Frage gestattet sein, welche Implikationen diese Notwendigkeit unter dem Gesichtspunkt gesellschaftlicher „Emanzipation“ hat. Vielleicht bedeutet dies einfach nur, dass wir aus dem im Kapitalismus gewachsenen System, zu dem eben auch sein technisches, energetisches und infrastrukturelles Aggregat gehört, nicht mehr so ohne Weiteres aussteigen können.


In Aumerciers Buch gibt es in diesem Zusammenhang eine interessante Stelle, an der sie von einem „Point of no Return“ spricht, einen Punkt der Entwicklung, „wo das Warensubjekt – Produzent oder Konsument – gewissermaßen als Behinderter ein bloßer Nutzer eines technologischen Systems wird, dessen Wiederaneignung ihm absolut verwehrt bleibt. Das kann bedeuten, dass es einer Befreiung durch die Automatisierung nicht nur nicht näher kommt, sondern sich immer weiter von ihr entfernt“ (Aumercier 2023a, S. 157). Sie argumentiert hier wohlgemerkt (nur) auf der Ebene des Subjekts, das immer abhängiger wird von den Technologien und Geräten, die es in wachsendem Ausmaß umgeben und immer größere Bereiche seines Alltagslebens bestimmen. Schon allein das lässt „den Spielraum für Wiederaneignung […] immer geringer werden“ (ebd.), weil der besinnungslose Technikeinsatz u.a. diverse andere Fähigkeiten tendenziell verkümmern lässt[22], von den unmöglich noch hinreichend zu überblickenden Vernetzungen und Verkettungszusammenhängen der verwendeten technischen Systeme ganz abgesehen. Man kann dieses Argument aber auch auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene heben. Demnach ist es der Kapitalismus selbst bzw. seine Tendenz zu immer größeren und auf immer unterschiedlicheren Ebenen miteinander verschränkten und vernetzten Großsystemen, die einen Ausstieg oder überhaupt nur einen kontrollierten Rückbau des technischen Aggregats kaum noch möglich erscheinen lassen, ohne an irgendeiner Stelle ein Glied in der Kette zu zerreißen und damit den Funktionszusammenhang des technischen Systems womöglich irreparabel zu beschädigen. Und diese Tendenz, so Aumercier, hat heute „eine [historische] Reife erreicht […], wo es endgültig klar wird, dass es sich um eine Sackgasse handelt“ (ebd.).


Das Problem des emanzipatorischen Ausstiegs aus diesen historisch gewachsenen Systemen stellt sich im Übrigen auch und nicht minder auf einer anderen Ebene als der Frage, ob und in welchem Umfang wir diese Systeme mitsamt ihren produktiven Potentialen auch in einer „postkapitalistischen“ Gesellschaft weiterbetreiben wollen oder müssen. Der Kapitalismus beschert uns noch eine ganze Reihe anderer „Überbleibsel“, mit denen eine „emanzipierte“ Gesellschaft umgehen wird müssen. Dabei ist nicht einmal nur an die massiven ökologischen Schäden zu denken, die der Kapitalismus bereits angerichtet hat und die ebenso in seine unselige Erbmasse mit eingehen (wie der massive Verlust von Biodiversität oder die enormen chemischen Einträge in die Naturkreisläufe). Es betrifft z.B. auch Sachverhalte wie das oben kurz angesprochene Problem gentechnisch veränderten bzw. sterilisierten Saatguts. Je nachdem, ob und in welchem Ausmaß solche gentechnisch veränderten Organismen „herkömmliche“ Nutzpflanzen in der Landwirtschaft verdrängen, kann daraus folgen, dass wir auf Dauer eine ganze, auf Gentechnologie basierende Industrie nur zu diesem Zweck der Saatgutgewinnung unterhalten müssen (von den Auswirkungen auf die Biodiversität, die diverse in der Praxis bereits angewandte gentechnische Methoden in der Landwirtschaft längst entfalten, einmal ganz abgesehen). Selbst die Hardcore-Variante einer Überwindung des Kapitalismus in Gestalt des Umstiegs auf lokale Formen der materiellen Reproduktion – wenn wir diese mal eine Sekunde lang als möglich oder wünschenswert unterstellen – könnte vor diesem Hintergrund vielleicht ab einem gewissen Punkt (und dann womöglich für immer) verbaut sein. Ein anderes Beispiel ist der seit Jahrzehnten, dank „ziviler“ Nutzung der Kernenergie in Atomkraftwerken, aufgehäufte Atommüll. Die sichere Verwahrung dieser radioaktiven Abfallstoffe wird noch über viele Generationen auf der Tagesordnung einer Gesellschaft stehen, die mit dem Kapitalismus und seinen „apokalyptischen Technologien“ (Kurz) möglicherweise schon lange aufgeräumt haben wird. Dies erfordert auf Dauer und alternativlos den Weiterbetrieb der für die Atommüllendlagerung vorgesehenen Anlagen und technischen Systeme, mit allem, was das an energetischem etc. Aufwand nach sich zieht. Auch diese Aufzählung kapitalistischer „Ewigkeitslasten“ könnte noch lange fortgeführt und um zahlreiche weitere Beispiele ergänzt werden (z.B. um die vielfältigen Langzeitschäden des kapitalistischen Extraktivismus, etwa im Bergbau).


Maybe we won’t get out of this place, um es frei nach dem Song der Animals und dem (sich im Titel wohl gleichfalls darauf beziehenden) Beitrag von Anselm Jappe (2015) auszudrücken. Wir kommen hier womöglich nicht mehr raus – jedenfalls nicht so leicht und möglicherweise, wenn überhaupt, nur mit einer langen, über mehrere Generationen angelegten Übergangszeit, in der die technischen Großsysteme, soweit dies möglich und zweckmäßig ist, sukzessive rückgebaut werden; was jedoch auch einhergehen müsste mit einer entsprechenden Reduktion der Bevölkerungsgröße auf ein mit diesem energetischen Niveau zu vereinbarendes Maß, ggf. durch „biopolitische“ Maßnahmen der Geburtenkontrolle. Dies wäre übrigens nur ein weiteres Beispiel dafür, dass manche gesellschaftliche Organisations- und Vermittlungsformen, die uns der Kapitalismus während seiner, historisch gesehen, relativ kurzen Existenz mit umso größerer Wirkmacht, u.a. in Gestalt biopolitischer Zugriffe auf jeden einzelnen Körper als Rädchen im Getriebe der „schönen Maschine“, beschert hat, auch im Falle einer postkapitalistischen Transformation womöglich nicht ansatzlos im Orkus der Geschichte verschwinden würden.[23] Wiederum auf einem ganz anderen Blatt steht dabei, ob eine derart lange Übergangsfrist mit Blick auf die ökologischen Gestehungskosten des heutigen Energieregimes nicht möglicherweise schon ein zu langer Zeithorizont sein könnte, um seine destruktiven Effekte überhaupt noch auf ein einigermaßen bewältigbares Maß zu beschränken.


Auch das kann also eine erhellende und in intensiven Diskussionen weiter zu erörternde (und ggf. auch wieder zu revidierende) kritische Einsicht sein, die sich aus Aumerciers Buch ergibt. Für die Wert- und Wert-Abspaltungskritik sollte das Buch daher Anlass sein, die eigenen bisherigen Annahmen hinsichtlich der Möglichkeiten und Voraussetzungen einer Überwindung des Kapitalismus zu überdenken – nicht um das Ziel der Abschaffung des warenproduzierenden Systems angesichts der wenig erbaulichen Aussichten, die das Buch eröffnet, preiszugeben, sondern um zu einer realistische(re)n Einschätzung über die Probleme und Hindernisse zu gelangen, die sich dabei zwangsläufig stellen werden. Kritische Theorie ist nun einmal kein Wunschkonzert, sondern bedeutet, zu „sagen, was ist“. Niemandem, am allerwenigsten kritischer Theorie selbst, ist damit gedient, wenn man sich falschen Hoffnungen oder gar Illusionen hingibt, etwa was die „Wiederaneignung“ kapitalistischer Technologien und Produktivkräfte in und für eine postkapitalistische Gesellschaft betrifft. Was mit kritischer Theorie gewiss nichts zu tun hat und einer solchen geradezu unwürdig ist, ist, wenn einfach die Überbringerin einer schlechten Botschaft buchstäblich abgeknallt wird, nur um an den eigenen Illusionen festhalten zu können – und um nichts anderes handelt es sich bei den schlicht denunziatorischen „Kritiken“ von Meyer und Scholz.


Ich bin mir übrigens – dies nur abschließend hierzu – keineswegs sicher, ob Aumercier mit allen meinen Interpretationen ihres Buches und der darin entfalteten Thesen, insbesondere mit jener einer Ausweglosigkeit des (kompletten) Ausstiegs aus dem Kapitalismus bzw. seinen technischen Aggregaten, einverstanden ist. Manches spricht dagegen, so etwa besagter Umstand, dass die Anforderungen an die materielle Reproduktion einer Weltbevölkerung in der heutigen Größe bei ihr so völlig anathema sind. Vielleicht ist ihre Perspektive am Ende tatsächlich (nur) die eines notwendigen Herunterfahrens der materiellen Reproduktion auf eine „überschaubare“ lokale Ebene, sofern an der Idee von Emanzipation weiterhin festgehalten werden soll – mit allem, was man daran problematisieren kann. Das Buch ginge dennoch nicht darin auf. Denn erstens kann die Feststellung, dass auf der energetischen und technologischen Höhe des heutigen Kapitalismus eine „emanzipiert“ zu nennende Form der Vergesellschaftung nicht realisierbar ist, durchaus ein legitimer und diskussionswürdiger Befund kritischer Theoriearbeit sein – zumal Aumercier dies ja nicht bloß behauptet, sondern ausführlich begründet. Zweitens weist das Buch, wie gezeigt, Gehalte auf, die über lokalistische „Plädoyers“, wie sie Meyer und Scholz als Essenz der im Buch angestellten Überlegungen nehmen (wollen), hinausweisen und noch ganz andere Schlüsse nahelegen, mitunter auch solche, die die Autorin womöglich selbst (noch) gar nicht wahrnimmt.

 

 

Fazit


Aumerciers Buch vermittelt Einsichten in Bezug auf wesentliche „Kriterien einer Überwindung des Kapitalismus“, die aus wertkritischer Sicht so erhellend wie unerfreulich sind. Denn wenn Aumercier Recht behält – wofür einiges spricht –, wird eine postkapitalistische Gesellschaft (deren Etablierung ohnehin schon unwahrscheinlich genug ist) nicht, wie bisher überwiegend erhofft, aus dem Vollen der im Kapitalismus entwickelten Produktivkräfte und seines technologischen „Fortschritts“ schöpfen können, nicht einmal in „abgespeckten“ Formen oder unter den Bedingungen einer veränderten „technischen Zusammensetzung“. Es könnte eher sogar, umgekehrt, sein, dass das technologische „Erbe“ des Kapitalismus aufgrund der mittlerweile bestehenden Abhängigkeit der Menschheit vom Funktionieren technischer Großsysteme das kapitalismuskritische Ziel der „Emanzipation“ überhaupt in Frage stellt. Das Buch verdeutlicht, dass Industrie- und Technikkritiker wie Ivan Illich, Jacques Ellul, Günther Anders oder Lewis Mumford möglicherweise recht hatten, wenn sie darauf hinwiesen, dass die technologische Entwicklung eine Eigendynamik entfaltet und sozusagen einer eigenen „Wachstumslogik“ gehorcht, die mit spezifischen Zwängen und Abhängigkeiten einhergeht, insbesondere durch voranschreitende „Technisierung“ der Gesellschaft und die parallel dazu verlaufende wachsende Vernetzung des technischen und infrastrukturellen Aggregats.[24] Diese Entwicklungen sind freilich aus wertkritischer Sicht immer schon vermittelt mit der Logik des Werts und davon ausgehenden Verwertungs- und Produktivitätszwängen, die jenen rasenden „technologischen Fortschritt“ des warenproduzierenden Systems überhaupt erst ermöglichten und hervorbrachten – Zusammenhänge, die von Technikkritikern in ihren Analysen üblicherweise nicht oder nur sehr oberflächlich berücksichtigt werden. Was jedoch die Wertkritik bislang, wie es scheint, nicht (ausreichend) gewürdigt hat, ist jene eigene Qualität der vom technischen System ausgehenden Zwänge, die in der Wertlogik offenbar nicht völlig aufgehen. Zweifellos ist es der Wert mit seiner Selbstzweckbewegung G-W-G‘, die die technologische Entwicklung auf immer neue Höhen treiben. Daraus ergibt sich auch die kapitalistische Formbestimmung moderner Technik (die gleichfalls nicht in dieser aufgeht). Das daraus hervorgehende technische Aggregat ist aber gekoppelt an materielle Voraussetzungen – energetische, infrastrukturelle etc. –, die auch dann bestehen bleiben, wenn seine kapitalistische Formbestimmung aufgelöst wird durch eine bewusste Abschaffung der bis dato die moderne Gesellschaft antreibenden kapitalistischen Kategorien. Das große Verdienst von Aumercier und ihrem Buch Die Energieschranke des Kapitals besteht meines Erachtens vor allem darin, diesen blinden Fleck der Wertkritik offengelegt und daraus resultierende Implikationen im Hinblick auf eine „emanzipatorische“ Überwindung des Kapitalismus dargelegt zu haben (wenngleich auch bei ihr noch keineswegs alles „fertiggedacht“ scheint). Der Wertkritik sollte dies Anlass sein, die im Buch entfalteten Thesen intensiv zu diskutieren – wie auch eine bisher (zumindest im deutschsprachigen Raum) weitgehend unterbliebene breitere Auseinandersetzung mit „technikkritischen“ Autoren wie den oben genannten dringend geboten erscheint (ohne dabei auf eine notwendige Kritik an den in technikkritischen Abhandlungen oftmals enthaltenen kapitalismuskritischen Verkürzungen zu verzichten). Dies könnte und sollte vielleicht auch eine kritische Diskussion und Neubewertung mancher Stränge der Kritischen Theorie beinhalten, die der modernen Naturbeherrschungsrationalität ja ebenfalls eine gewisse Eigenlogik und -dynamik zubilligte und diese nicht ausschließlich aus dem Kapitalverhältnis ableitete. Ganz im Sinne der Wert-Abspaltungskritik sollte eine Auseinandersetzung mit der modernen Technik und ihrer Entwicklung immer auch sensibel sein für solche Momente, die nicht unmittelbar im Wert aufgehen.


Die bisherige EXIT-Kritik an Aumerciers Thesen spricht den Anforderungen an eine solche Diskussion, wie in diesem Beitrag gezeigt werden sollte, freilich Hohn. Vielleicht liefert die im aktuellen EXIT-Heft dokumentierte Auseinandersetzung mit Aumerciers Buch nur einen (weiteren) Beleg dafür, dass von EXIT eine an einer Weiterentwicklung der Wert- und Wert-Abspaltungskritik auf der Höhe der Zeit interessierte Diskussion gar nicht mehr zu erwarten ist. Die groben Verfehlungen im Ton, die sich vor allem Roswitha Scholz gegenüber Aumercier leistet, sind dabei nur eine (und nicht einmal die schwerwiegendste) Sache – was im Übrigen nicht als Absage an rhetorische Stilmittel der Polemik zu verstehen ist, allerdings sollte deren Einsatz inhaltlich gerechtfertigt sein, was wiederum voraussetzt, dass eine adäquate, sich an konkreten Inhalten abarbeitende Kritik vorliegt; wovon bei Scholz‘ für kritische Theorie ganz und gar unwürdigem Elaborat nicht im Mindesten die Rede sein kann. Viel problematischer ist jedoch, wie hier bereits anklingt, dass EXIT grundlegende formale wie inhaltliche Anforderungen an kritische Theoriebildung systematisch negiert. Dazu gehört zunächst und vor allem, dass Kritik eine inhaltliche Auseinandersetzung erfordert in Gestalt einer adäquaten kritisch-analytischen Durchdringung des Gegenstandes auf dem dafür notwendigen Abstraktionsniveau sowie auf der Höhe der jeweiligen Argumentation. Wie wenig die EXIT-Kritik an Aumercier dieses Kriterium erfüllt, sollte aus dem vorliegenden Beitrag hinreichend hervorgegangen sein. Ein wesentliches Kriterium kritischer Theorie ist sodann auch die Offenheit, theoretische Einsichten oder Annahmen ggf. zu revidieren, wenn sie sich z.B. durch bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen als überholt erweisen oder durch neuere Erkenntnisse oder Thesen in Frage gestellt werden. Adorno hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass es für kritische Theoriebildung notwendig sei, die „Courage zu haben, Wesensbegriffe oder Allgemeingesetzlichkeiten, die schlechterdings den Phänomenen inkompatibel, auch nicht dialektisch zu vermitteln sind, preiszugeben“ (Adorno 2012, S. 46f.). Sollte bei EXIT so eine „Courage“ je bestanden haben, so ist sie inzwischen längst verlorengegangen. Heute geht es nur noch darum, sich als Gralshüter der Kurz’schen Theorie aufzuspielen, die mit Zähnen und Klauen gegen jedweden „Revisionismus“ verteidigt werden muss (und das, obwohl – oder weil? – die hohen Ansprüche im Sinne einer radikalen Kritik der Moderne von EXIT selber immer weniger eingelöst werden), und dementsprechend jeden und jede denunziatorisch niederzubügeln, die auch nur einen Millimeter von der „heiligen Lehre“ abweicht (oder, wie etwa beim Thema Corona, einfach nur andere, begründete Wahrnehmungen eines Phänomens hat). So mögen Sekten funktionieren, aber gewiss keine kritische Theorie. Vor allem wird damit systematisch jede mögliche produktive Weiterentwicklung der Theorie von vornherein verhindert. Der Endpunkt der Entwicklung von EXIT ist unter diesen Bedingungen bereits vorgezeichnet: die Versteinerung der Theorie zum Dogma.




Literatur


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Kurz, Robert (2001): Apokalyptische Technologien. Der ökonomisch-naturwissenschaftliche Komplex und die destruktive Objektivierung der Welt,exit-online.org


Kurz, Robert (2004): Tabula Rasa. Wie weit soll, muss oder darf die Kritik der Aufklärung gehen?, in: ders.: Blutige Vernunft. Essays zur emanzipatorischen Kritik der kapitalistischen Moderne und ihrer westlichen Werte. Bad Honnef: Horlemann, S. 89-152.
(Neuabdruck 2024 in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 21, S. 137-192.)


Lohoff, Ernst & Trenkle, Norbert (Hg.) (2020): Shutdown. Klima, Corona und der notwendige Ausstieg aus dem Kapitalismus. Münster: Unrast.


Meyer, Thomas (2024): Tabula Rasa der modernen Technik? Nachtrag und Ergänzung zu den „Artefakten der Geschichte“ und der „Energieschranke des Kapitals“, in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 21, S. 193-221.


Mumford, Lewis (1977): Der Mythos der Maschine. Kultur, Technik und Macht. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag.


Ortlieb, Claus Peter (2008): Absturz einer Debatte. Zu Andreas Exners Versuch einer Auseinandersetzung mit der Krisentheorie, exit-online.org


Salzer, Irmi (2018): Kleinbäuer*innen ernähren die Welt, in: Via Campesina Austria & AgrarAttac (Hg.): Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität! Online unter viacampesina.at


Samerski, Silja (2023): „Kontraproduktiv“ und „todfeindlich“. Zur Aktualität von Ivan Illichs Nemesis der Medizin angesichts der Corona-Krise, in: Urban/von Uhnrast (Hg.): Schwerer Verlauf. Corona als Krisensymptom. Wien: Promedia, S. 219-238.


Scholz, Roswitha (2024): Eine Metatheorie der Verschwörungstheorien? Eine Replik auf Sandrine Aumerciers Überlegungen zu Auseinandersetzung um Corona – bei exit!, in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 21, S. 229-244.


Steinbrecher, Ricarda A. (2009): Terminator-Technologie. Ein Konzept und seine Folgen, in: GID 196, S. 5-8, online unter gen-ethisches-netzwerk.de


Weltagrarbericht (2013): Wege aus der Hungerkrise. Die Erkenntnisse und Folgen des Weltagrarberichts: Vorschläge für eine Landwirtschaft von morgen. Berlin: Zukunftsstiftung Landwirtschaft, online verfügbar unter weltagrarbericht.de


Urban, Andreas (2022): Ein Gespenst geht um in der Wertkritik. Anmerkungen zur wert(abspaltungs)kritischen Corona-„Debatte“, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2024): Atomarer Todestrieb, wertKRITIK.org





Endnoten


[1] Dies gilt vielleicht in besonderem Maße für das Werk von Ivan Illich, dessen hohe Aktualität zuletzt vor allem an der Corona-Krise und deren konkretem Verlauf abgelesen werden konnte (dazu Samerski 2023). Die wertkritische Relevanz von Ivan Illich auszuloten, ist ein Vorhaben, mit dem ich mich schon geraume Zeit trage und das (hoffentlich) in näherer Zukunft in einem eigenständigen Beitrag auf dieser Webseite Gestalt annehmen wird. Zur theoretischen Vermittlung von Industrie- und Technikkritik mit einer radikalen Kapitalismuskritik im Stile der Wert- und Wert-Abspaltungskritik ist wahrscheinlich auch festzuhalten, dass die Rezeption industrie- und technikkritischer Autoren wie Illich und Co. in frankophonen Kontexten der Wertkritik viel weiter verbreitet ist und wesentlich systematischer erfolgt als hierzulande. Es ist von daher kein Zufall, dass es eine Französin ist, die nun den anspruchsvollen Versuch unternimmt, Wertkritik und Technikkritik zusammenzuführen.


[2] Wobei man hier der Autorin keineswegs in jeder Hinsicht folgen muss. Der Peak Oil, also die Erschöpfung der globalen Erdöllagerstätten, der in ihrem Buch eine relativ gewichtige Rolle spielt, scheint durchaus nicht unmittelbar bevorzustehen, und so manche Quelle, auf die sie sich in diesem Zusammenhang bezieht – z.B. der berühmte Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums – ist in dieser Hinsicht längst durch die Realität widerlegt worden. Laut diesem erstmals im Jahr 1972 veröffentlichten Bericht sollte der Peak Oil schon vor Jahrzehnten erreicht worden sein. Damit ist freilich nicht gesagt, dass sich die Erdölreserven (wie alle endlichen Ressourcen) nicht erschöpfen können und vielleicht sogar in absehbarer Zeit noch werden. Richtig ist und bleibt außerdem, dass die Förderung von Erdöl und anderer fossiler Energieträger sich auch in ökonomischer Hinsicht immer schwieriger gestaltet und nur um den Preis immer noch größerer ökologischer Gestehungskosten zu realisieren ist (siehe z.B. die ökologisch verheerende Technologie des Fracking).


[3] Zu den illusionären und zuweilen auch reaktionären und rechtslastigen „alternativen“ Geldtheorien, vom „Vollgeld“ bis zum „demokratischen Geldkonvent“ eines Christian Felber, vgl. Hüller 2014 sowie Hüller 2015, S. 308ff.


[4] Kritisch zum Konzept der „Umsonstökonomie“ vgl. Flatschart 2012.

[5] Siehe dazu Anselm Jappes damalige Besprechung von Hardt/Negris Buch Empire (Jappe 2002).

[6] Die Gentechnik steht hier nicht zufällig mit einem Fragezeichen, da sich so mancher Wert-Abspaltungskritiker die Gentechnik durchaus als eine „Errungenschaft“ des Kapitalismus vorstellen kann, die auch in einer postkapitalistischen Gesellschaft nützlich und sinnvoll sein könnte. Darauf wird zurückzukommen sein.


[7] Ein weiterer Gegenstand ihrer Kritik ist u.a. auch der Band Shutdown der „Rest-Krisis“-Autoren Lohoff und Trenkle (2020), in dessen Beiträgen zuweilen mit dem 3D-Drucker und ähnlichen technischen „Innovationen“ hausieren gegangen wird.


[8] In der schönen neuen Welt der Star Trek-Serien und -Filme existieren beispielsweise sogenannte „Replikatoren“, die es ermöglichen, beliebige Gegenstände und insbesondere Güter des täglichen Bedarfs „in Echtzeit“ und quasi aus dem Nichts herzustellen. Dass diese Anmerkung nicht allzu übertrieben oder gar unnötig polemisch ist, verdeutlicht ein Blick auf den Epilog in Koniczs Buch, in dem er tatsächlich einen ausdrücklichen Bezug zu Star Trek herstellt (vgl. Konicz 2020, S. 376).


[9] Solche Annahmen sind im Übrigen nicht nur auf die Wertkritik beschränkt, sondern bilden, mehr oder weniger deutlich ausgesprochen, auf einer mehr oder weniger elaborierten theoretischen Grundlage, den Vorstellungshorizont der meisten kapitalismuskritischen Ansätze und Bewegungen. Die diesbezüglichen Thesen der Wertkritik bzw. von Robert Kurz stellen lediglich die vielleicht theoretisch elaboriertesten Überlegungen zu der Problematik dar. Bereits die Kritische Theorie (Horkheimer/Adorno) vertrat zumindest implizit vergleichbare Vorstellungen, wenn sie ihr Verdikt einer „irrationalen Rationalität“ der kapitalistischen Moderne darauf gründete, dass die moderne Gesellschaft hochrationale Mittel zu einem letztlich irrationalen Zweck einsetze. Darin aufgehoben ist die Idee, dass die gesellschaftlichen Mittel (Technologien etc.) zumindest potentiell – und mit Ausnahme von Technologien, die schon von vornherein allein aus den irrationalen Zwecken der kapitalistischen Gesellschaft geboren sind, wie z.B. Atomkraft – zu anderen, „sinnvolleren“ Zwecken verwendet werden könnten. Auch die Skandalisierung der Tatsache, dass trotz des erreichten Produktivitätsniveaus immer noch Menschen hungern müssen, gehörte stets zu zentralen Motiven ihrer Gesellschaftskritik – inklusive der darin enthaltenen Unterstellung, die entwickelten Produktivkräfte hätten längst das Potential, ein „gutes Leben für alle“ zu garantieren. Alles Annahmen, die ja an sich keineswegs abwegig und auf den ersten Blick nachvollziehbar sind.


[10] Und das, obwohl Aumercier sich in ihrer Kritik nicht im geringsten „Corona-leugnerisch“ betätigt und COVID-19 kaum weniger als jene außerordentlich gefährliche und menschheitsbedrohende Seuche wahrgenommen hat als die EXIT-Gruppe. Nicht einmal die Subsumtion der wertkritischen „Corona-Kritiker“ unter die Kategorie der „Verschwörungstheoretiker“ fand sie per se zu beanstanden. Das unkritische Einschwenken von EXIT auf die autoritäre Maßnahmenpolitik der Staaten vermochte sie aber dann doch (völlig zu Recht) nicht mit kritischer Gesellschaftstheorie in Einklang zu bringen. Auch war ihr gesellschaftskritisches Sensorium scharf genug, um zu erkennen, dass die regelrechte Besessenheit der EXIT-Gruppe von „Verschwörungstheoretikern“ im Grunde nur die Kehrseite der von jenen Verschwörungstheoretikern betriebenen Dämonisierung der „Eliten“ und anderer „finsterer Mächte“ darstellt und damit nicht minder einer Personalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse gleichkommt, bloß unter umgekehrten Vorzeichen (vgl. Aumercier 2023b). Wenn ich Scholz‘ eher als in die Länge gezogenes Hass-Posting denn als kritisch-theoretischen Kommentar zu bezeichnenden Text richtig lese, bewegt sich ihr zufolge auch Aumercier ganz scharf an der Grenze zum Antisemitismus (vgl. Scholz 2024, S. 235). Unsereins gilt übrigens im Scholz’schen Wahnsystem mittlerweile sogar schon als „präfaschistisch“ (ebd., S. 237). Wäre es nicht so traurig, man könnte über solchen Unsinn herzlich lachen. Aumercier hat bereits auch selbst auf die EXIT-„Kritik“ reagiert (vgl. Aumercier 2024). Man kann ihr nicht widersprechen, wenn sie diese als ein „Gespinst aus Dummheiten und Böswilligkeit“ (ebd., S. 16) bezeichnet.


[11] Wenngleich der größte Teil des heute anfallenden digitalen Datenverkehrs für Unsinn wie YouTube, „soziale Medien“ oder Streaming-Dienste draufgeht. Man darf hoffen, dass eine postkapitalistische Gesellschaft damit aufräumen und der Energieverbrauch entsprechend geringer ausfallen würde. Dies ändert aber nichts daran, dass digitale Netzwerke und Infrastrukturen – noch dazu, wenn der Anspruch einer globalen Vernetzung besteht – per se energieintensiv sind.


[12] Vor diesem Hintergrund wirkt es wie Hohn, wenn Meyer an einer Stelle seines Beitrags argumentiert, dass es, im Gegensatz zu Aumerciers Darstellung, durchaus möglich sei, Bergbau anders, d.h. weniger ökologisch destruktiv und menschenschindend zu betreiben als unter heutigen kapitalistischen Bedingungen (Meyer 2024, S. 207). Das mag schon richtig sein. Aber es kommt eben auch auf die Größenordnung an. Wenn es das Ziel ist, das auf dem Stand der Digitalisierung erreichte Produktivitätsniveau für eine postkapitalistische Gesellschaft nutzbar zu machen, werden auch weiterhin in relativ großem Stil Bodenschätze abgebaut und verarbeitet werden müssen – mit allen (u.a. ökologischen) Problemen, die das mit sich bringt. Da es manche Rohstoffe, wie etwa die für digitale Komponenten unverzichtbaren seltenen Erden, nicht überall auf dem Planeten gibt, wäre auch weiterhin ein Mindestniveau an transnationalen Produktions- und Lieferketten erforderlich. Und schließlich bleibt, gerade unter diesen Voraussetzungen, natürlich auch die von Aumercier nicht zu Unrecht aufgeworfene Frage, wer sich in einer „emanzipierten“ Gesellschaft noch freiwillig ins Bergwerk schicken lassen wird, um den nach wie vor hohen Bedarf an Bodenschätzen für Aufbau, Betrieb und Unterhaltung der (digitalen) Infrastruktur zu gewährleisten (vgl. Aumercier 2023a, S. 209).


[13] „Wie viele Menschen arbeiten in der Landwirtschaft?“, umweltbundesamt.de

[14] Kritisch zur Gentechnik vgl. Jappe 2001.

[15] Claus Peter Ortlieb hat einmal in einem ganz anderen Zusammenhang davon gesprochen, dass es (nicht nur, aber vor allem) in akademischen Debatten eine „Taktik des kritisch daher kommenden Sich-dumm-Stellens“ gibt (Ortlieb 2008). Ein solcher Fall scheint mir an dieser Stelle bei Meyer vorzuliegen.


[16] Wobei man – wenn man sich schon auf diese Ebene begibt – durchaus infrage stellen kann, ob ein im Kleinteiligen und Partikularistischen verhafteter Lokalismus bereits per se bornierter und problematischer sein muss als der „nichtkapitalistische Universalismus“ und die Beschwörung der „Idee einer ‚Einheit des Menschengeschlechts‘“, die Meyer dem in recht verschwurbelter Form entgegenstellen möchte (Meyer 2024, S. 208). Solche Vorstellungen erinnern ein wenig an bürgerliche Phantasien einer „Weltgesellschaft“ oder gar einer „Menschheitsfamilie“, wie auch überhaupt der Dualismus von Universalismus und Partikularismus – bei ausdrücklicher Abwertung von Letzterem als „traditionalistisch“, „tribalistisch“, „lokalistisch“ und „despotisch“ und Stilisierung von Ersterem als „modern“, „liberal“ und „demokratisch“ – wesentlich zur Legitimationsideologie der bürgerlichen Gesellschaft und insbesondere ihrer „westlichen Werte“ gehört. Schon vor diesem Hintergrund lässt sich nicht gerade behaupten, dass Universalismen a priori „besser“ oder gar weniger anfällig wären für Grausamkeiten als Partikularismen bzw. Lokalismen. Es wäre zu hoffen, dass eine emanzipierte Gesellschaft solche Dualismen – wie auch zahlreiche andere, für die bürgerliche Gesellschaft charakteristische Spaltungen (wie Arbeit – Kapital, Markt – Staat etc.) – überwinden und nicht nur in anderer Form prolongieren würde.


[17] Hier handelt es sich um ein Zitat aus Aumerciers Buch, das Meyer bereits an etwas früherer Stelle anführt und an dieser Stelle nicht nochmals gesondert ausweist (vgl. Meyer 2024, S. 206). Bei Aumercier findet sich die zitierte Passage auf S. 202.


[18] Ironischerweise würden die größten Probleme hieraus wohl Ländern auf der höchsten kapitalistischen Entwicklungsstufe, also primär jenen im Globalen Norden, erwachsen, während in peripheren Regionen des kapitalistischen Weltsystems eine große Zahl von Menschen bis heute in einem mehr oder weniger großen Ausmaß (auch) auf Subsistenzproduktion angewiesen ist. Hinzu kommt, dass im Globalen Süden, wie bereits erwähnt, generell sehr viel mehr Menschen von Landwirtschaft leben als in den kapitalistischen Kernländern.


[19] Sogenannte Terminator-Technologien. Diese sind wiederum Bestandteil „genetischer Verwendungsbeschränkungstechnologien“ (Genetic Use Restrictions Technologies, kurz: GURT). Agrarkonzerne wie Monsanto forschen seit den 1990er Jahren intensiv an Möglichkeiten zur Sterilisation von Samen, um sie auf diese Weise als ihr „geistiges Eigentum“ zu schützen. Seit dem Jahr 2000 (und meines Wissens bis heute) besteht zwar de facto ein Moratorium gegenüber GURTs, die davon ausgehenden Risiken sind also bislang eher theoretischer Natur. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass es nicht in absehbarer Zeit doch noch zur Umsetzung solcher Vorhaben kommen könnte, zumal die Forschung zu Terminator-Technologien in den letzten Jahren weit oben auf der Agenda auch von Regierungen und Regulierungsbehörden, vor allem auf EU-Ebene, standen und gerade in jüngster Zeit – wohl nicht zuletzt aufgrund des „Erfolgs“ der neuartigen mRNA-„Impfstoffe“ im „Krieg gegen Corona“ – propagandistisch massiv am Abbau der bisher relativ weit verbreiteten Zurückhaltung und Skepsis gegenüber Gentechnologien gearbeitet wird (siehe symptomatisch hierfür: „Gentechnik, Atomkraft und Impfungen: Ein Blick in die österreichische Seele“, derstandard.at, 21.4.2024). Ob es überhaupt möglich ist, Saatgut gentechnisch völlig steril zu machen, und sich im Konzept der Terminator-Technologien nicht in erster Linie die üblichen, oft genug von der Realität abgehobenen Allmachtsphantasien wissenschaftlicher Zauberlehrlinge ausdrücken, sei hier einmal dahingestellt. Bis jetzt scheint eine vollständige Sterilisierung von Samen in der Praxis noch nicht gelungen zu sein und dürften diesem Ansinnen (glücklicherweise) allein auf genetischer Ebene erhebliche Hürden entgegenstehen. Für einen instruktiven Überblick über Terminator-Technologien vgl. Steinbrecher 2009.


[20] Wer die wert-abspaltungskritische Corona-Debatte einigermaßen verfolgt hat, kennt das Muster solcher denunziatorischen Ergüsse mittlerweile zur Genüge (vgl. Urban 2022). Bereits Anselm Jappe hat damals vergeblich versucht, daran zu erinnern, dass [z]ufällige Übereinstimmungen zwischen linker und rechter Kritik […] absolut nichts [beweisen] und man im Corona-Kontext „nicht darauf verzichten [sollte], die ‚Gesundheitspolitik‘ zu kritisieren, nur weil andere, zweifellos zwielichtige Leute scheinbar Ähnliches sagen – aber aus ganz anderen Gründen!“ (Jappe 2022, S. 3). „Eine Verwechslung von Gesellschaftskritik mit der extremen Rechten“ war schon bei Corona „nicht zu befürchten“ und ist es noch weniger bei Aumerciers Thema, da die Rechten ihre Kritik stets „aus genau entgegengesetzten Gründen“ vorbringen und ganz andere Schlussfolgerungen ziehen. In der Corona-Krise ging es ihnen nie um etwas anderes, als auf magische Weise sofort zur Normalität zurück[zu]kehren“, ohne Rücksicht darauf, dass „genau diese ‚Normalität‘ [...] das Problem“ ist (ebd.). Analog dazu zeichnen sich „rechte Ökokonzepte“ (Scholz) gerade durch die Motivation aus, ökologische Krisenfolgen möglichst weit von sich fern zu halten und auf die „Anderen“ abzuwälzen. Es ist wahrlich eine Zumutung, ständig von Leuten wegen „vergleichbarer Inhalte“ unter „Rechte“, „Verschwörungstheoretiker“ u.ä. eingeordnet zu werden, wo sie doch in ihren Texten am laufenden Band den Beweis erbringen, dass sie selber gar nicht mehr willens oder fähig sind, konkrete Inhalte überhaupt noch als solche in ihrer jeweiligen Logik, Struktur und Aussage zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn „rechte“ von „linken“ bzw. gesellschaftskritischen Inhalten zu unterscheiden. Die EXIT-Kritik an Aumerciers Buch ist hier nur ein weiteres Beispiel unter mehreren.


[21] Nicht weniger albern ist in diesem Zusammenhang die sowohl im Beitrag von Meyer als auch in jenem von Scholz zum Einsatz kommende diskursive Strategie, Aumercier die explizite Abgrenzung von „ökofaschistischen, neopaganistischen und rassistischen Diskursen“ (Aumercier 2023a, S. 216) nachgerade als Eingeständnis einer offenen Flanke zu solchen Diskursen auszulegen (vgl. Meyer 2024, S. 208f.; Scholz 2024, S. 235) – quasi nach dem Motto: Das hat sie angesichts der vielen „vergleichbaren Inhalte“ mit „rechten Ökokonzepten“ wohl nötig. Meyer attestiert ihr in diesem Punkt sogar „Selbstverarschung“ (Meyer 2024, S. 208). Dabei sind Meyer und Scholz doch die besten Beispiele dafür, dass es (leider) tatsächlich notwendig und zweckmäßig sein kann, angesichts der unter linken und sogar unter sich als „kritische Theoretiker“ verstehenden Gruppen grassierenden Lese- und Denkschwächen, ausdrücklich klarzustellen, wie der Inhalt eines Textes oder eines Buches nicht gemeint ist. Die Rechten brauchen eine solche Lesehilfe gewiss nicht. Wenn die Rechten in etwas wirklich gut sind, dann im Erkennen und Instrumentalisieren von für sie nützlichen Inhalten. Dazu gehören die von Aumercier in ihrem Buch entfalteten Thesen, schon allein aufgrund ihrer radikalen Kapitalismuskritik, keinesfalls – und zwar selbst dann nicht, wenn die Rechten das Buch so fundamental missverstehen und ihre Lesart ähnlich verquer ausfallen würde wie die von Meyer und Scholz.


[22] Wer das bezweifelt, betrachte nur einmal die „Generation Smartphone“, die z.B. ohne Google Maps oftmals außerstande ist, sich überhaupt noch ausreichend im öffentlichen Raum zu orientieren.


[23] Im günstigsten Fall könnte sich das Problem der für eine postkapitalistische Gesellschaft derzeit kaum zu stemmenden Bevölkerungsgröße längerfristig vielleicht von selbst erledigen: Wenn man die aktuellsten Prognosen von Demographen ernst nimmt – was man schon aufgrund der bürgerlich-bornierten Schlussfolgerungen, die diese in der Regel aus ihren Prognosen ziehen, nicht vorbehaltlos tun sollte –, geht der Trend global derzeit in Richtung einer signifikanten Abnahme der Geburtenraten, und zwar nicht nur in den ohnehin seit Jahrzehnten bevölkerungsmäßig stagnierenden bzw. schrumpfenden Ländern des (einstweilen noch) „wohlstandsgesättigten“ Globalen Nordens, sondern auch in zahlreichen peripheren Regionen des kapitalistischen Weltsystems, die bislang hauptsächlich für das rasche Wachstum der Weltbevölkerung verantwortlich zeichnen. Demnach könnte der Peak des globalen Bevölkerungswachstums mit einem Maximum von etwa zehn Milliarden im Laufe der nächsten vier Jahrzehnte erreicht werden, um danach wieder abzunehmen (vgl. exemplarisch: „Das Ende des Wachstums“, spiegel.de, 15.7.2020). Vorausgesetzt natürlich, dass die krisengebeutelte kapitalistische Gesellschaft bis dahin nicht ohnehin schon ins Stadium der globalen Barbarei übergangen und/oder die Menschheit einem nuklearen Inferno zum Opfer gefallen ist, woran derzeit ja auf allen Seiten, besonders enthusiastisch aber auf Seiten des „kollektiven Westens“, gearbeitet wird (vgl. Urban 2024).


[24] Vgl. hierzu grundlegende Werke wie Die Antiquiertheit des Menschen von Günther Anders (Band 1: 1992, zuerst 1956, Band 2: 1981) oder Der Mythos der Maschine von Lewis Mumford (1977, zuerst 1967/70). Zu den immanenten „Wachstumslogiken“ moderner Technologien und Systeme hat Ivan Illich mehrere eigenständige Untersuchungen vorgelegt, so etwa zum Gesundheitswesen (Die Nemesis der Medizin, Illich 1977), zum Energiesystem (Die sogenannte Energiekrise oder die Lähmung der Gesellschaft, Illich 1974), zur modernen Technik (Selbstbegrenzung, Illich 1975) oder zum Bildungswesen (Entschulung der Gesellschaft, 1972). Von Jacques Ellul zu nennen wäre insbesondere das, soweit ich sehe, nicht auf Deutsch vorliegende Buch Le système technicien (Ellul 1977).