Andreas Urban
De-dollarization und das Ende von US-Weltmacht und Weltgeld
Der seit Februar 2022 in das Stadium eines offenen Stellvertreterkrieges zwischen „kollektivem Westen“ und Russland übergegangene Konflikt in der Ukraine stellt ohne Zweifel einen neuen Höhe- und Kulminationspunkt der finalen Krise des kapitalistischen Weltsystems dar. Dies zeigt sich nicht nur an den unübersehbaren Verfallserscheinungen in den westlichen Zentren von „Demokratie & Marktwirtschaft“, etwa in Gestalt eines auf allen Ebenen um sich greifenden Realitätsverlusts, einer zunehmenden Dysfunktionalität und geradezu institutionalisierten Inkompetenz in Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Militär etc. und einer Tendenz zu irrationalen und autodestruktiven Reaktionen (vgl. Urban 2022a & 2023; Urban/Uhnrast 2022; Uhlschütz 2023). Es ist auch daran abzulesen, dass im und durch den Krieg und insbesondere durch seinen für den Westen desaströsen Verlauf das Ende der globalen US-Hegemonie und vor allem des bislang primär militärisch gedeckten Dollar als „Weltgeld“ endgültig ratifiziert werden dürfte. Das Stichwort hierzu lautet de-dollarization – ein Prozess, der gegenwärtig enorm an Dynamik zu gewinnen scheint. Gemeint sind damit Bestrebungen zahlreicher nicht-westlicher Staaten, aus dem Dollar als Weltleitwährung quasi „auszusteigen“ und alternative Zahlungs- und Verrechnungssysteme zu etablieren. Diese Bestrebungen sind wiederum vermittelt mit dem Ziel, die bisherige globale US-Dominanz zu brechen und an ihre Stelle eine „multipolare Weltordnung“ zu setzen.
Dass der Ukraine-Krieg in erster Linie ein Krieg des Westens und allen voran der USA gegen ihren geopolitischen Abstieg ist, war von Kriegsbeginn an mit Händen zu greifen und im Grunde bereits an der jahrelangen westlichen Eskalationspolitik, die den Russland-Ukraine-Konflikt überhaupt erst an die Schwelle zum offenen Krieg führen sollte, erkennbar. Auch dass der Krieg für die geopolitischen Gegner des Westens in diesem krisenimperialistischen Great Game (allen voran Länder wie China und Russland) die Funktion erfüllt, die Schwäche der US-Hegemonialmacht zu nutzen, um die „multipolare“ Idee bedeutend voranzutreiben, und auf diese Weise daher auch einen Katalysator für Prozesse wie die „De-Dollarisierung“ darstellt, zeichnet sich seit der militärischen Eskalation des Konflikts sehr deutlich ab. Bereits im März 2022, also bald nach Kriegsbeginn, hatte z.B. Saudi-Arabien – ein langjähriger Verbündeter und geradezu key ally der USA – angekündigt, einen Teil seiner Ölgeschäfte in Hinkunft in Yuan abzuwickeln (vgl. Urban 2022b, S. 4). Mit Fortgang des Krieges und vor allem vor dem Hintergrund seines konkreten Verlaufs haben sich diese Prozesse dynamisiert und scheinen sich in der derzeitigen Phase des Konflikts zu beschleunigen.
Immer mehr Länder suchen Anschluss an das vor allem von China und Russland angestrebte und repräsentierte „eurasische“ Gegenmodell zum US-dominierten westlichen System, etwa durch eine BRICS-Mitgliedschaft[1] (unter den aktuellen Beitrittsinteressenten sind etwa Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Mexiko, Ägypten, Algerien und Nigeria[2]) oder durch Vereinbarungen über die Nutzung anderer Währungen als den US-Dollar für den internationalen Handels- und Zahlungsverkehr. Erst kürzlich sind z.B. Brasilien und China übereingekommen, den bilateralen Handel mit dem US-Dollar einzustellen und stattdessen ihre eigenen Währungen zu verwenden. Diese Vereinbarung ermöglicht es ihnen, Handels- und Finanztransaktionen direkt abzuwickeln (d.h. Yuan gegen Real und umgekehrt), ohne ihre Währungen in US-Dollar umrechnen zu müssen.[3]
Und die schlechten Nachrichten für den Westen und insbesondere den Dollar als Weltleitwährung häufen sich: Ende März 2023 gab der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) bekannt, er erwäge das „Dumping“ des US-Dollar, des Euro, des Yuan und des britischen Pfund, um stattdessen die Abwicklung von Finanzgeschäften über nationale Währungen zu fördern. Es soll das grenzüberschreitende digitale Zahlungssystem der ASEAN weiter ausgebaut werden, was es den Mitgliedsländern ermöglichen soll, nationale Währungen für den Handel zu verwenden.[4]
Die Frage, wie realistisch und erfolgversprechend die aktuellen Bestrebungen von China und Co. zur „De-Dollarisierung“ oder gar zur Etablierung einer neuen „multipolaren Weltordnung“ sind, sei an dieser Stelle fürs erste noch beiseitegelassen bzw. zurückgestellt. Kein Zweifel kann hingegen an den weltgesellschaftlichen und insbesondere krisentheoretischen Implikationen dieser Entwicklungen bestehen: Diese würden im Erfolgsfall das definitive Ende der USA als Weltmacht und des US-Dollar als „Weltgeld“ markieren. Die derzeitigen Entwicklungen sind daher aus wertkritischer Sicht gerade im Hinblick auf den weiteren, offenbar enorm an Dynamik gewinnenden Verlauf der finalen Krise des Kapitalismus von besonderer Relevanz und entsprechend aufmerksam zu beobachten bzw. krisentheoretisch zu verarbeiten. Die folgenden Ausführungen bleiben dabei thesenhaft und haben eher programmatischen Charakter, dienen also lediglich als Grundlage und Ausgangspunkt für weitere Analysen, die sich im Laufe der Zeit daran anzuschließen hätten, um diese Thesen zu bestätigen, weiterzuentwickeln oder ggf. auch zu revidieren.
Der Dollar als Weltgeld
Der Zusammenhang von US-(Militär-)Macht und dem Status des Dollar als Weltleitwährung bzw. „Weltgeld“ wird vielleicht am prägnantesten in einem von Robert Kurz erstmals 2008 in der Debattenzeitschrift Widerspruch veröffentlichten und nach seinem Tod in der Schriftensammlung Der Tod des Kapitalismus (Kurz 2013, S. 35-46) wiederabgedruckten Beitrag mit dem Titel „Weltmacht und Weltgeld“ herausgearbeitet. Kurz zeichnet darin zunächst den historischen Werdegang des Dollar zur Weltleitwährung nach, den er bereits in einer längeren, „seit dem Ersten Weltkrieg schwelende[n] Krise des Geldes“ (ebd., S. 37) verortet. Bis dahin mussten die „Währungen der großen kapitalistischen Länder […] durch Goldvorräte in den Zentralbanken ‚gedeckt‘ sein. Das Gold war das eigentliche Weltgeld, die ‚lingua franca‘ des Weltmarkts; und das Pfund Sterling der damaligen Weltmacht Großbritannien konnte nur aufgrund seines ‚Goldstandards‘ als Weltwährung fungieren.“ (ebd.) Die beiden Weltkriege mit ihren industriellen Kriegswirtschaften und die daraus resultierende massive Steigerung der Produktivkräfte (fordistische Massenproduktion etc.) hätten jedoch dazu geführt, dass das wirtschaftliche Geschehen bei dem erreichten Produktivitätsniveau nicht mehr durch eine Goldbindung des Geldes darstellbar war. Die Goldbindung wurde sozusagen durch die erforderliche Geldmenge aufgesprengt und war nicht länger aufrechtzuerhalten. Nachdem bereits die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre laut Kurz nicht unwesentlich mit dem „Fehlen eines anerkannten Weltgeldes“ (ebd.) zu tun hatte und alle Versuche, zu einer Goldbindung zurückzukehren, gescheitert waren, wurden in Bretton Woods 1944 „die Weichen für eine Wirtschafts- und Währungsordnung der Nachkriegszeit unter dem Dach der ‚Pax Americana‘ gestellt“, die „ganz auf den Dollar als neue Welthandels- und Reservewährung zugeschnitten“ war (ebd.). Grundlage dafür war nicht allein die ökonomische Stellung der USA als nunmehr führende Industrienation, sondern auch die Tatsache, dass unter allen Währungen nur der Dollar „goldkonvertibel“ war (Kurz weist in dem Zusammenhang auf das legendäre Fort Knox hin, in dem damals drei Viertel der globalen Goldvorräte lagerten). Weitgehend außer Betracht lässt Kurz Faktoren wie die Übernahme der Sterling- und Franc-Zone am Ende des Zweiten Weltkriegs, mit der die Rolle des Dollar als „Weltgeld“ im Grunde erst besiegelt wurde und letztlich durch die Institutionen des Systems von Bretton Woods und des späteren Washington Consensus (Weltbank, IWF) mit ihren berühmt-berüchtigten „Strukturanpassungsprogrammen“ global ausgebaut und bis in die Gegenwart verlängert wurde.
Doch auch diese „Lösung“ konnte nur eine vorübergehende sein. Zwar ermöglichte die neue Währungsordnung mit ihrem ganz auf den Dollar zugeschnittenen System relativ fixer Wechselkurse das „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit.
„Aber der Wiederaufstieg Europas und Japans auf dem prosperierenden Weltmarkt begann schon bald an der ökonomischen Dominanz der USA und damit an der Goldsubstanz des Dollar zu nagen. In demselben Maße, wie sich die Anteile am Waren- und Kapitalexport zu Ungunsten der USA verschoben, verlor auch der Dollar an Stärke und wurde zunehmend in Gold umgetauscht. […] 1973 sah sich Präsident Nixon gezwungen, die Goldkonvertibilität des Dollar aufzukündigen.“ (ebd., S. 38)
Dies bedeutete nach gerade einmal drei Jahrzehnten das Ende des Systems von Bretton Woods: „Die Wechselkurse mussten frei gegeben werden und ‚floaten‘ seither je nach Lage auf den Märkten, was den Ausgangspunkt bildet für eine völlig neue Art der Devisenspekulation aufgrund von Schwankungen der Wechselkurse mit gefährlichen Rückwirkungen auf die Realwirtschaft.“ (ebd.) Die damit auf ein neues Niveau gehobene Krise des Geldes ist wiederum vermittelt mit der Entsubstantialisierung des Werts infolge des Überflüssigwerdens von Arbeit im Zuge der ebenfalls zu dieser Zeit einsetzenden „mikroelektronischen Revolution“ (vgl. Kurz 2009, S. 622ff.) und der seither angetretenen Flucht des Kapitals in die virtuelle bzw. spekulative Verwertung auf den globalen Finanzmärkten (vgl. Kurz 1995 & 2005). In der Tat wären die von einer oberflächlichen Neoliberalismus-, Globalisierungs- und Finanzmarktkritik häufig zur Ursache für die Krisentendenzen der letzten Jahrzehnte erklärten spekulativen Exzesse nicht ohne die entsprechenden Entwicklungen auf der Geldebene bzw. ohne die endgültige Aufhebung der „Goldkonvertibilität“ denkbar gewesen. Diese folgte allerdings einer unhintergehbaren, durch den finalen Krisenprozess vorgegebenen Logik, war also nicht etwa das Resultat einer politischen Fehlentscheidung. Nur durch diese endgültige „Emanzipation“ des Geldes von seiner „Goldsubstanz“ und die dadurch erst ermöglichte völlige Entkoppelung von Realökonomie und Finanzmarkt konnte die Krise quasi durch das „gigantischste kreditfinanzierte Konjunkturprogramm, das es je gegeben hat“ (Meinhard Miegel, zit. nach: Ortlieb 2019, S. 314) effektiv, wenn auch unter großen Friktionen, um mehrere Jahrzehnte hinausgezögert werden. Andernfalls wäre der Weltmarkt wahrscheinlich schon in den 1970er Jahren, allein vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Weltwährungskrise, implodiert.
Auf der Ebene des Geldes bzw. der notwendigen Weltleitwährung wurde das Problem dadurch „gelöst“, dass der Dollar „vom Golddollar zum Rüstungsdollar“ (Kurz 2013, S. 38) mutierte: „An die Stelle der im Gold fundierten Wertsubstanz des Weltgelds trat nun tatsächlich eine Art ‚politische‘ Garantie, allerdings nicht eine bloß formal-juristische, sondern im wesentlichen eine militärische. Die Währung der Weltmacht oder ‚Supermacht‘ der westlichen Hemisphäre nahm ihre Weltgeldfunktion nun allein aufgrund dieser Machtbasis ein.“ (ebd., S. 38f.) Die „Machtbasis“ der USA bestand dabei immer weniger in ihrer überlegenen ökonomischen Stellung auf dem Weltmarkt – im Gegenteil, diese verschlechterte sich zusehends (heute sind die USA eine in hohem Maße deindustrialisierte Volkswirtschaft[5]) –, sondern in einem gigantischen, durch regelrechten „Rüstungskeynesianismus“ geschaffenen militärisch-industriellen Komplex, der die USA (zumindest auf dem Papier[6]) zur unangefochtenen militärischen „Supermacht“ aufsteigen ließ. Auch die Sowjetunion fiel laut Kurz zumindest zum Teil dieser massiven Militarisierung der USA zum Opfer, da sie den Rüstungswettlauf weder ökonomisch noch militärisch durchhalten habe können und quasi „totgerüstet“ worden sei. Zugleich, so Kurz, schlug der Aufbau der US-Militärmaschine „in eine gewaltige ökonomische Potenz um“, da der „ohnehin schon aufgeblähte militärisch-industrielle Komplex in vieler Hinsicht (auch in abgeleiteten Formen) zum Wachstumsträger und zur Jobmaschine [wurde]. Die US-Ökonomie zeigte nominelle innere Stärke, obwohl sie auf dem Weltmarkt immer schwächer wurde.“ (ebd., S. 39) Finanzierbar war dies freilich nur durch astronomische Verschuldung, aber „die ökonomische Potenz der Militärmaschine schlug sich auch in den Außenbeziehungen nieder. Die Militärmacht der USA als ‚Weltpolizei‘ war es gerade, die den globalen Finanzmärkten einen ‚sicheren Hafen‘ zu bieten schien. Dieser Eindruck verstärkte sich noch wesentlich nach dem vermeintlichen Sieg über das östliche Gegensystem.“ (ebd., S. 39f.) Die von den USA speziell seit den 1990er Jahren geführten Weltordnungskriege im Nahen Osten, auf dem Balkan, in Afghanistan etc. sind strategisch nicht zuletzt in diesem Kontext zu sehen. Zwar waren diese (wie auch bereits die Wahl des jeweiligen „Schurkenstaates“) durchaus auch durch konkrete geopolitische und ökonomische Interessen motiviert (so im Irak z.B. durch den Zugang zu Erdöl, vgl. Kurz 2003, S. 419ff.). Im Wesentlichen ging es jedoch darum, „mittels der Demonstration globaler militärischer Interventionsfähigkeit den Mythos des ‚sicheren Hafens‘ und damit den Dollar als Weltleitwährung zu bewahren“ (Kurz 2013, S. 40).
Der „sichere Hafen“ für das in immer größerer Menge auf den Finanzmärkten vagabundierende „fiktive Kapital“ (Marx) bildete sodann das Fundament für einen weiteren ökonomischen Stützpfeiler, auf dem die hegemoniale Stellung der USA seither ruhte: Er schuf die Voraussetzungen für das US-amerikanische „Konsumwunder“ der letzten Jahrzehnte, das gerade nicht durch ein dazu komplementäres „Jobwunder“ infolge eines massenhaften Ansaugens von menschlicher Arbeitskraft in den Produktionsprozess gespeist wurde. Im Gegenteil: Das Lohneinkommen großer Teile der Bevölkerung sank in den USA seit den 1980ern real, da Jobs, abgesehen von jenen im militärisch-industriellen Komplex und dem hypertrophen FIRE-Sektor („Finanzindustrie“, Versicherungen, Immobilien), überwiegend im Billiglohnsegment des Dienstleistungssektors entstanden (vgl. Püschel 2021). Der trotz Deindustrialisierung und des Abschmelzens wertproduktiver Arbeit massiv anschwellende Konsum und das darauf beruhende „irreguläre“, weil bloß scheinbare Wachstum konnte daher nur auf Pump erfolgen und hat in den vergangenen 30 bis 40 Jahren, quasi parallel zur explodierenden Staatsverschuldung, zu einem enormen Anstieg der Privatverschuldung geführt.[7] Eine zentrale Rolle spielte hier die exorbitante Kreditkarten- und Hypotheken-Verschuldung auf der Grundlage der Finanzblasenökonomie auf den Aktien- und Immobilienmärkten, die 2008, zum Zeitpunkt des Erscheinens von Kurz’ Artikel, gerade dabei war, sich in einem globalen Finanzcrash aufzulösen.
Letztlich war es aber nicht allein die US-Ökonomie, sondern die gesamte Weltwirtschaft, die durch den „Rüstungsdollar“ und die durch ihn ermöglichte Verschuldungsdynamik getragen wurde, indem auf diese Weise ein von Kurz so genannter „pazifischer Defizitkreislauf“ in Schwung kam: Die USA fungierten gleichsam als Weltstaubsauger[8] für die globale Überproduktion, vor allem aber für die Massenware aus China. Die „US-Konsumenten (Staat und Private) leihen sich das Geld, mit dem sie die Warenflut bezahlen, bei den Lieferanten. Die USA sind so zum schwarzen Loch der Weltwirtschaft geworden.“ (Kurz 2013, S. 41) Der Preis dafür aus US-amerikanischer Sicht war (und ist) freilich die bereits angesprochene Deindustrialisierung im eigenen Land sowie ein gigantisches Handelsbilanzdefizit (China etwa sitzt auf Billionen von Dollarreserven[9]). Eingeschlossen ist darin laut Kurz allerdings eine „doppelte wechselseitige Abhängigkeit“ (ebd.):
„Würden die wundersamen US-Konsumenten nicht die weltweite Überproduktion sozusagen heroisch verknuspern, wäre die Weltwirtschaftskrise der dritten industriellen Revolution schon längst durchschlagend manifest geworden. Außerdem handelt es sich keineswegs um Warenströme zwischen getrennten Nationalökonomien, sondern um Bewegungen innerhalb der betriebswirtschaftlichen Globalisierung. Es sind neben japanischen und europäischen vor allem US-Konzerne selbst, die China aufgrund der Billiglohn-Strukturen als Drehscheibe für transnationale Wertschöpfungsketten benutzen und von dort aus die Märkte in den USA und anderswo beliefern. Die entsprechenden Investitionen beschränken sich daher auf ‚Exportwirtschaftszonen‘ und haben nichts mit einer traditionellen nationalökonomischen ‚Entwicklung‘ Chinas, Indiens usw. zu tun.“ (ebd., S. 42)
Kurz prophezeite vor dem Hintergrund der sich damals gerade entfaltenden Finanzkrise von 2007/08 eine bevorstehende Kredit- und Dollarkrise, durch die die Weltgeldfunktion des Dollar in Frage gestellt und damit auch die finale Krise des kapitalistischen Weltsystems in ein neues Stadium eintreten würde. Mit dem drohenden Einbruch des US-Konsums würde „nicht nur der Rückschlag auf die globalen Aktienmärkte wirksam werden, sondern auch der pazifische Defizitkreislauf und damit die Weltkonjunktur zum Stehen kommen“ (ebd., S. 43). Eine deutliche Verschärfung der Krise sei unter diesen Voraussetzungen schon deshalb unausweichlich, da keine andere Volkwirtschaft wie etwa China oder die EU in der Lage sei, an die Stelle der USA zu treten, um den „US-Konsum als Staubsauger der überschüssigen Warenströme ab[zu]lösen“ (ebd.). Denn deren Ökonomie sei nicht „selbsttragend“, sondern eben in hohem Maße exportabhängig. Auch könne keine andere Währung an die Stelle des Dollar als Weltgeld treten. Kurz hatte 2008 (wie viele damalige Wirtschaftskommentatoren auch) in diesem Kontext freilich noch nicht den Yuan, sondern den Euro im Auge: „Da der Euro weder eine Gold- noch eine Rüstungsgrundlage hat, wird er den Platz des Dollar nicht einnehmen können. Die Krise des Weltgelds und das damit verbundene Inflationspotential verweisen auf eine herangereifte Krise des Geldes überhaupt.“ (ebd., S. 43f.) Als Indikator dafür betrachtete Kurz insbesondere den unaufhaltsamen Anstieg des Goldpreises, der die aufziehende Währungskrise begleiten würde. In der Tat hat der Goldpreis seit der Jahrtausendwende bis heute um fast 600 Prozent
zugelegt.[10] Laut Kurz macht sich darin der „Warencharakter des Geldes mit eigener Wertsubstanz“ geltend:
„Das Gold wird [in der Krise, A.U.] vom bloßen Rohstoff wieder zum ‚eigentlichen‘ Geld bzw. Weltgeld, aber auf Goldbasis können die Produktivkräfte der dritten industriellen Revolution nicht mehr als Weltmarktbewegung vermittelt werden. Genausogut könnte man versuchen, den Ozean mit einem goldenen Kaffeelöffel auszuschöpfen. Die Situation der Zwischenkriegszeit droht wiederzukehren, aber auf viel höherer Entwicklungsstufe.“ (ebd.,
S. 44)
Das Ende des „Rüstungsdollar“ und seiner Funktion als „Weltgeld“
Eben diese von Kurz beschriebene welthistorische Konstellation des „Rüstungsdollar“, d.h. des Dollar als militärisch gedeckten „Weltgelds“, ist es, die gegenwärtig mit dem Ukraine-Krieg und vor allem vor dem Hintergrund seines für den Westen desaströsen Verlaufs mit geradezu beeindruckender Geschwindigkeit zu erodieren scheint. Diese Erosion vollzieht sich auf beiden Ebenen, auf denen sich laut Kurz der Dollar bislang als „Weltgeld“ konstituierte: der US-amerikanischen Militärmacht und der Funktion des Dollar als Weltleitwährung.
Das Wegbrechen der US-Militärmacht als Grundlage für die Weltgeldfunktion des Dollar hat Kurz nicht vorhergesehen. Er ist, wie dargestellt, davon ausgegangen, dass dem Dollar als „Weltgeld“ durch die in der Verschuldungsdynamik, an deren Tropf der Spätkapitalismus hängt, angelegte und bereits am Horizont aufziehende Kredit- und Währungskrise der Garaus gemacht werden würde, ohne dass eine andere Währung an die Stelle des Dollar treten könnte. Diese Prognose wird nicht zwingend durch die Ereignisse der letzten Zeit widerlegt – im Gegenteil –, seit dem Finanzcrash von 2007/08 konnte der endgültige Zusammenbruch jedoch durch historisch beispiellose Gelddruckoperationen der Notenbanken und die Bildung immer neuer „Liquiditätsblasen“ (dazu Konicz 2016) weiter und überraschend lange hinausgezögert werden. Freilich wurde damit die Fallhöhe nur noch weiter hinaufgeschraubt[11], und wenn etwa Fabio Vighi mit seinen Thesen Recht behält, haben die desperaten Versuche zur Systemrettung mittels massiver Geldschöpfung mittlerweile Dimensionen erreicht, die immer destruktivere und zynischere Strategien, etwa in Gestalt einer „kontrollierten Zerstörung“ der ohnehin stagnierenden Realwirtschaft, erforderlich machen (vgl. Vighi 2023). Das Ende des Dollar als „Weltgeld“ wäre also sehr wahrscheinlich in absehbarer Zeit auch auf die von Kurz vorgezeichnete Weise gekommen.
Die aktuellen Tendenzen zur „De-Dollarisierung“ werden jedoch in besonderem Maße durch den offen zutage tretenden Verfall der USA als militärische Weltmacht angetrieben. Der Verlust der militärischen Überlegenheit der bisherigen US-Hegemonialmacht hat sich zwar schon seit längerem abgezeichnet (vgl. Martyanov 2018), das westliche Debakel im Stellvertreterkrieg gegen Russland bestätigt den militärischen Verfall der USA aber auf eindrucksvolle Weise und in einem bislang ungeahnten Ausmaß (vgl. ausführlicher Urban/Uhnrast 2022; Urban 2022a & 2023). Wie sehr die USA militärisch und geheimdienstlich heruntergekommen sind, könnte vielleicht kaum besser illustriert werden als durch das kürzlich aufgetretene, Aufsehen erregende Leak streng geheimer US-Militärdokumente über die Lage in der Ukraine.[12] Dieses Leak ist nicht nur deshalb brisant und für die USA peinlich, weil es auf eine undichte Stelle in hochsensiblen Bereichen des US-Militärs hinweist, sondern vor allem, weil die in den Dokumenten enthaltenen Informationen belegen, dass sich US-Geheimdienste und Militär in wesentlichen, auch strategisch relevanten Fragen unkritisch auf Informationen aus Kiew stützen (z.B. über die Höhe ukrainischer und russischer Verluste) und damit einen erschreckenden Mangel an analytischer Kompetenz offenbaren.[13] Vor diesem Hintergrund kann der bisherige Verlauf des Krieges, die offenkundige Unterschätzung des geopolitischen und militärischen Gegners und das allem Anschein nach nicht bloß propagandistische, sondern tatsächlich auf Glauben beruhende Narrativ, wonach „Russland verliert“ und die „Ukraine gewinnt“, nicht mehr wirklich überraschen. Nicht nur mit Blick auf die hochgradig dysfunktionale Sanktionspolitik des Westens gegen Russland, sondern auch auf militärischer bzw. militärstrategischer Ebene scheinen der Westen bzw. die USA in diesem Krieg weitgehend abgehoben von der objektiven Realität zu operieren, und dies deutet auf gravierende Verfallserscheinungen im westlichen Institutionengefüge, insbesondere auch im militärischen Bereich, hin.
Der militärische Niedergang der USA wird nicht zuletzt in jenem Bereich manifest, auf den sich bis heute der Mythos von den USA als konkurrenzloser militärischer „Supermacht“ stützt, nämlich ihrer (angeblichen) waffentechnologischen Überlegenheit. Sollte diese jemals bestanden haben (wovon auch Robert Kurz stets ausging), so ist davon heute nicht mehr viel übrig. Mit Ausnahme einiger klar abgrenzbarer Waffengattungen (etwa der Unterwasserflotte) sowie des Atomwaffenarsenals scheint es mit der US-Militärmacht heute nicht mehr allzu weit her zu sein. Vor allem auf dem Gebiet der „konventionellen“ Kriegsführung sind die USA heute zumindest Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit unterlegen – man denke hier z.B. an die von Russland entwickelten Hyperschallwaffen, gegen die es keine wirksame Verteidigung gibt. Aber selbst auf nuklearem Gebiet sind die USA heute angreifbarer als z.B. noch vor 20 Jahren. So verfügen die USA nach dem Rückzug aus dem sogenannten ABM-Vertrag über die „Abwehr von ballistischen Flugkörpern“ noch unter George W. Bush mittlerweile offenbar nicht einmal über ein Raketenabwehrsystem, mit dem ein Nuklearschlag auf US-Territorium erfolgreich abgewehrt werden
könnte.[14]
Der bislang vorherrschende und sich allerspätestens mit dem westlichen Debakel im aktuellen Ukraine-Krieg blamierende (Irr-)Glaube an die militärische Überlegenheit der USA kommt wohl nicht zuletzt dadurch zustande, dass die USA im weltweiten Vergleich mit Abstand am meisten für ihren Militärapparat ausgeben. 2021 machten die Militärausgaben der USA mit 801 Milliarden US-Dollar fast die Hälfte der globalen Militärausgaben (2,1 Billionen) aus und betrugen fast das Dreifache der chinesischen (293 Milliarden) und weit mehr als das Zehnfache der russischen Ausgaben (66 Milliarden).[15] Dem entspricht aber, wie der „kollektive Westen“ im derzeitigen „Krieg gegen Russland“ zu seinem Leidwesen erfahren muss, nicht notwendigerweise eine tatsächliche militärische Überlegenheit. Man könnte hier den oben zitierten Befund von Robert Kurz über die „nominelle Stärke“ bei gleichzeitiger „realer Schwäche“ der US-Ökonomie auf dem Weltmarkt aufgreifen und auf den militärischen Bereich übertragen: Nominell, d.h. ausgehend von den Militärausgaben, ist die US-Militärmaschine in der Tat konkurrenzlos. Real übersetzt sich das aber nicht in eine überlegene militärische Schlagkraft. Eher im Gegenteil: In vielen Bereichen scheinen die westlichen Kriegstechnologien und Waffensysteme jenen des nominell deutlich „schwächeren“ Russland qualitativ unterlegen zu sein. Hier schlägt insbesondere zu Buche, dass das im Westen produzierte Kriegsgerät im internationalen Vergleich häufig auch überteuert ist. Ein Beispiel unter vielen, die zur Illustration herangezogen werden können, ist etwa das im Ukraine-Krieg eine Zeit lang als „game changer“ beschworene mobile Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesystem HIMARS, mit dem die USA seit Sommer 2022 die Ukraine beliefern: Eine einzige GMLRS-Rakete, mit denen das HIMARS-System bestückt wird, kostet nach Angaben des Herstellers Lockheed Martin rund 100.000 US-Dollar, die Erfolge, die die ukrainischen Streitkräfte damit bislang erzielen konnten, sind hingegen mehr als bescheiden, da die russische Luftabwehr die meisten dieser Raketen vom Himmel zu holen vermag (vgl. Urban 2022a, S. 23f.). Die militärische Überlegenheit der USA ist also in der Tat (und vermutlich schon lange) ein Mythos, der vor allem auf den immens hohen Ausgaben für teures, aber in vielen Belangen qualitativ unterlegenes Kriegsgerät (zumindest im Einsatz gegen ernstzunehmende Gegner) beruht.[16]
Die Performance im Ukraine-Krieg, in den der „kollektive Westen“ nicht zuletzt auf Basis einer maßlosen Selbstüberschätzung im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert ist, hat diesen Mythos von der überlegenen US-Militärmacht – wo er nicht ohnehin schon längst am Abbröckeln war – endgültig entzaubert und den geopolitischen Abstieg der USA, gegen den sie im Stellvertreterkrieg mit Russland eigentlich ankämpfen wollten, noch zusätzlich beschleunigt. Wie es um die (nichtmilitärische) geopolitische Macht der USA mittlerweile steht, konnte etwa im April 2023 an der Ankündigung von Saudi-Arabien und anderen großen Ölproduzenten abgelesen werden, die Ölförderung um insgesamt bis zu 1,15 Millionen Barrel pro Tag im Zeitraum von Mai bis Ende des Jahres 2023 zu reduzieren, was ohne Übertreibung als langausgestreckter Stinkefinger in Richtung Westen aufgefasst werden kann. Denn die Reduktion der Fördermenge würde die Ölpreise weltweit wieder in die Höhe treiben und damit – wie auch das US-Nachrichtenportal ABC News zu konstatieren weiß – dazu beitragen, „die Kassen des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu füllen“. Darüber hinaus (und eben deshalb) würde dies „wahrscheinlich die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten weiter belasten, die Saudi-Arabien und andere Verbündete aufgefordert haben, die Produktion zu erhöhen, um die Preise zu senken und Russlands Finanzen unter Druck zu setzen.“[17] Als eine Zäsur kann in diesem Zusammenhang wohl auch das historisch erstmalige Anlegen eines russischen Kriegsschiffes in Saudi-Arabien am 5. April 2023 betrachtet werden. Das Schiff befand sich auf dem Rückweg von einer Übung im Indischen Ozean nach Russland, „als es im Islamischen Hafen von Jeddah einen Zwischenstopp einlegte, um ‚die Besatzung zwei Tage lang ausruhen zu lassen und aufzutanken‘, wie ein Vertreter der russischen Botschaft mitteilte.“[18] Nicht zuletzt ist an dieser Stelle das reaktive chinesische Säbelrasseln vor dem Hintergrund der offenkundigen Versuche der USA, Taiwan zu einer Art ostasiatischer Ukraine für einen Stellvertreterkrieg gegen China aufzubauen, zu betrachten. Vor kurzem führte China ein dreitägiges Manöver durch, bei dem die militärische Blockade Taiwans geprobt wurde.[19] Auch dies ist als ein deutliches Signal an die USA zu werten, dass China nicht länger bereit ist, die konfrontative Politik der Biden-Administration zu tolerieren.
Ein weiterer wesentlicher Indikator für den voranschreitenden geopolitischen Abstieg der USA und des Westens insgesamt ist die schon seit langem zu beobachtende Verlotterung der westlichen Diplomatie, die seit der Eskalation des Ukraine-Kriegs endgültig ins Stadium der völligen Demontage übergegangen ist. Der Verfall der „Staatskunst“ im Westen ist insbesondere an den schlechten Manieren seines Führungspersonals, am Fehlen jeglichen diplomatischen „Handwerks“ (Zwischentöne, Etikette, Sprach- und Kulturkenntnisse etc.) sowie an der Abwesenheit eines auch nur ansatzweise konsistenten „strategischen“ Vorgehens abzulesen. Diplomatische Bemühungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine kommen inzwischen ohnehin fast nur noch von außerhalb der westlichen Einflusssphären, so etwa von China, das im Februar 2023 einen Zwölf-Punkte-Friedensplan vorgelegt hat.[20] Aber auch jenseits des Krieges werden zunehmend diplomatische Beziehungen geknüpft, die die US-Hegemonialmacht und die von ihr installierte „rules based order“ offen herausfordern. Unter dem Gesichtspunkt einer weitgehend erodierten US-Weltmacht ist in diesem Zusammenhang etwa die von China bereits im März vermittelte, für den Westen sehr überraschend gekommene Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien zu sehen, die aus der Sicht der Beteiligten nicht zuletzt dazu beitragen soll, die Region von „externer Einmischung“ zu befreien.[21] Mit „externer Einmischung“ sind freilich vor allem die USA mit ihrer Nah- und Mittelost-Politik gemeint, die bislang darauf abzielte, den Iran zum „Feind der arabischen Welt“ aufzubauen und so von anderen Ländern in der Region zu isolieren. Die von China vermittelte Einigung zwischen Iran und Saudi-Arabien scheint bereits zu konkreten Ergebnissen zu führen: Laut der Nachrichtenagentur Reuters trafen am 9. April 2023 saudische und omanische Gesandte im Jemen ein, um Friedensgespräche mit den Huthi-Führern aufzunehmen und den dort tobenden Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien zu beenden[22] – auch dies ein Ereignis, das in Washington mit Bestürzung zur Kenntnis genommen wurde, da dieser Konflikt den USA bisher als Mittel zur Schwächung des Iran diente.[23]
Gemeinsam mit den Saudis arbeiten China und Russland derzeit auch daran, Syriens Status in der Arabischen Liga wiederherzustellen. Die bisherige Unterstützung der golfarabischen Staaten für die vor allem von den USA angeführten Bemühungen, den syrischen Präsidenten Assad durch die Unterstützung von als „gemäßigte Rebellen“ firmierenden Dschihadisten zu stürzen, ist somit stark im Schwinden begriffen. Dies würde – wie auch westliche Medien nicht umhinkönnen festzustellen – „eine weitere große politische Verschiebung in der Region“ bedeuten und dabei zugleich „die Chancen auf eine Entspannung des Konflikts in Syrien“ erhöhen.[24]
China beschränkt sich dabei nicht auf diplomatische Gespräche. So traf etwa am Ostersonntag ein chinesisches Schiff mit 57 Wohneinheiten und 429 Tonnen Hilfsgütern für die Überlebenden des jüngsten Erdbebens in Syrien ein.[25] Während die USA in erster Linie militärische Operationen gegen die syrische Regierung durchführen, weiß sich China mit humanitärer Hilfe als „freundliche“ Macht in Szene zu setzen.
Noch weniger angesehen als die USA und von völliger geopolitischer Irrelevanz bedroht ist inzwischen die EU. Dies hätte kaum eindrucksvoller demonstriert werden können als durch den Affront gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem gemeinsamen Staatsbesuch in China mit Emmanuel Macron Anfang April 2023. Von der Leyen wurde von zahlreichen während des Staatsbesuchs stattfindenden Veranstaltungen ausgeschlossen, überhaupt unterließen es die chinesischen Gastgeber, ihr diplomatische Gefälligkeiten zu erweisen. So musste sie z.B. am Flughafen die reguläre Passagierkontrolle durchlaufen.[26]
Unabhängig davon, wie man diese Entwicklungen im Einzelnen bewerten mag: Sie verdeutlichen das Ausmaß, in dem die (Militär-)Macht der USA und des kollektiven Westens mittlerweile erodiert ist; ein Prozess, der sich vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und seines Verlaufs tendenziell immer weiter beschleunigt. Und eben dieser offen zutage liegende, rasche Verfall der USA als Weltmacht ist es auch, der die derzeitigen Tendenzen zur „De-Dollarisierung“ maßgeblich befeuert. Daran zeigt sich, dass der Dollar als „Weltgeld“ in der Tat nur noch auf einer „politischen Garantie“ (vgl. Kurz 2013, S. 39) beruhte, nämlich auf der Stellung (oder zumindest einer entsprechenden Fremd- und Selbstwahrnehmung) der USA als militärische „Supermacht“. Das Ende der USA als globale Hegemonialmacht bedeutet damit das Ende des „Rüstungsdollar“ als militärisch gedecktes „Weltgeld“, zumal die Macht der USA wesentlich in ihrer Kontrolle über den Dollar als Weltleitwährung besteht. Es ist daher wenig überraschend, dass die Herausforderung der USA als Weltmacht und die Herausforderung des Dollar als Weltleitwährung gewissermaßen Hand in Hand gehen.
Auf einige Entwicklungen der jüngeren Zeit im Zusammenhang mit den Bestrebungen diverser Länder unter Federführung Chinas und Russlands, aus dem Dollar als Transaktionswährung und privilegiertem Zahlungsmittel „auszusteigen“, wurde bereits eingangs hingewiesen, so etwa auf die Vereinbarung zwischen Brasilien und China von Ende März 2023, im internationalen Handels- und Zahlungsverkehr in Hinkunft die eigenen Währungen (Yuan und Real) zu verwenden, oder auf das Vorhaben des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN), die Abwicklung von Finanzgeschäften über nationale Währungen zu fördern. All dies sind keine Einzelereignisse. Allein im vergangenen Jahr (2022) haben die internationalen Überweisungen in Yuan nach Angaben der People’s Bank of China um mehr als 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen – Tendenz steigend.[27] Die 2014 von den BRICS-Staaten als Alternative zu US-dominierten internationalen Finanzinstitutionen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) gegründete New Development Bank (NDB) hat Mitte April 2023 in einer Erklärung ihrer neuen Präsidentin Dilma Rousseff mitgeteilt, bis 2026 mindestens 30 Prozent der Kredite in den Währungen ihrer Mitgliedsländer vergeben zu wollen, um auf diese Weise die Abhängigkeit vom US-Dollar zu reduzieren.[28] Vor wenigen Wochen wurde mit dem Banco Bocom BBM die erste lateinamerikanische Bank als direkter Teilnehmer des Cross-Border Interbank Payment System (CIPS), der chinesischen Alternative zum westlich geführten Abrechnungssystem SWIFT, angemeldet. Der chinesische Mineralölkonzern China National Offshore Oil (CNOOC) und die französische Total schlossen Ende März 2023 ihren ersten LNG-Handel auf Yuan-Basis ab. Laut dem russischen Finanzministerium werden bereits über 70 Prozent der Handelsgeschäfte zwischen Russland und China in Rubel oder Yuan abgewickelt. Auch die Ölgeschäfte zwischen Russland und Indien werden in Rupien getätigt. Und der bilaterale Handel zwischen Russland und Bolivien kann nunmehr auch in Boliviano abgewickelt werden. Dies ist insofern von Bedeutung, als Rosatom, der staatliche russische Atomenergiekonzern, eine entscheidende Rolle bei der Erschließung der Lithiumvorkommen in Bolivien spielen will.[29]
Selbst westliche Medien wie das Wirtschaftsmagazin Forbes können nicht mehr darüber hinwegsehen, dass speziell der Petrodollar derzeit im wahrsten Sinne des Wortes hinweggefegt wird. Das Magazin zitiert etwa einen New Yorker Ökonomen und Direktor bei der Credit Suisse, der von der „Abenddämmerung des Petrodollar“ und der „Morgendämmerung des Petroyuan“ spricht.[30] Anlass dafür waren nicht zuletzt der Staatsbesuch von Xi Jinping bei Wladimir Putin Ende März 2023 und die dabei getroffenen Abkommen zwischen China und Russland. In dem Artikel erfährt man übrigens auch einiges über das aktuelle Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern: „Allein in den ersten beiden Monaten des Jahres 2023 beliefen sich Chinas Importe aus Russland auf insgesamt 9,3 Milliarden Dollar und übertrafen damit in Dollar ausgedrückt die Einfuhren des gesamten Jahres 2022. Allein im Februar importierte China über 2 Millionen Barrel russisches Rohöl, ein neuer Rekordwert.“ Ähnliches gilt auch für chinesische Exporte: Am 13. April 2023 meldet der ORF überrascht, dass Chinas Exporte im März „unerwartet kräftig“ gewachsen seien, nämlich um 14,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, während Fachleute mit einem Exportrückgang gerechnet hätten (was wieder einmal verdeutlicht, was von den Prognosen westlicher „Experten“ zu halten ist). Dabei ist es vor allem der Handel mit Russland, der aktuell „boomt“: Dieser „stieg im März um fast 72 Prozent. Die Exporte an den – unter westlichen Sanktionen leidenden – Nachbarn stiegen sogar um 136,4 Prozent.“[31] Mit Blick auf die sich gegenwärtig vollziehenden De-Dollarisierungs-Prozesse warnt Forbes im oben zitieren Artikel ausdrücklich davor, diese Entwicklungen zu unterschätzen, denn es sei zu bedenken, „dass andere wichtige OPEC-Staaten und BRICS-Mitglieder (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) den Yuan entweder bereits akzeptieren oder stark in Erwägung ziehen. Auf Russland, den Iran und Venezuela entfallen etwa 40 Prozent der nachgewiesenen Ölfelder der Welt, und die drei verkaufen ihr Öl im Tausch gegen Yuan. Die Türkei, Argentinien, Indonesien und der schwergewichtige Ölproduzent Saudi-Arabien haben alle die Aufnahme in die BRICS-Staaten beantragt, und Ägypten wurde diese Woche als neues Mitglied aufgenommen.“ Dies deute darauf hin, „dass die Rolle des Yuan als Reservewährung weiter gestärkt wird, was eine breitere Verschiebung des globalen Machtgleichgewichts bedeutet und China möglicherweise mehr Einfluss auf die Gestaltung der Wirtschaftspolitik gibt, die uns alle betrifft.“
Auch die Financial Times sieht dunkle Wolken über der US-Dollar-Hegemonie aufziehen.[32] Sie zitiert einen bekannten Währungsanalysten, der konstatiert, dass unter Berücksichtigung von Preissteigerungen der Anteil des Dollar an den offiziellen globalen Reservewährungen von etwa 73 Prozent im Jahr 2001 auf rund 55 Prozent im Jahr 2021 gesunken ist, um allein im Jahr 2022 um weitere acht Prozentpunkte auf einen Anteil von 47 Prozent zu fallen. Der Analyst kommentiert:
„Der US-Dollar verliert seinen Marktanteil als Reservewährung viel schneller, als allgemein angenommen. Nachdem sein globaler Marktanteil in den vergangenen zwei Jahrzehnten stetig gesunken war, verlor der Dollar im Jahr 2022 zehnmal so schnell an Marktanteil. Analysten haben diese große Veränderung nicht erkannt, weil sie den Nominalwert der Dollarbestände der Zentralbanken berechnen, ohne die Preisänderungen des Dollar zu berücksichtigen. Bereinigt um diese Preisänderungen hat der Dollar nach unseren Berechnungen seit 2016 etwa 11 Prozent seines Marktanteils verloren und seit 2008 doppelt so viel.“
Diese Erosion des Reservewährungsstatus des Dollar hat sich also seit Beginn des Krieges in der Ukraine rasant beschleunigt. Grund dafür ist laut Financial Times, dass die „außergewöhnlichen Maßnahmen der USA und ihrer Verbündeten gegen Russland […] große Reserveländer aufgeschreckt [haben], von denen die meisten aus dem Globalen Süden stammen.“
Hier ist vor allem das „Einfrieren“ von russischen Devisenreserven in der Höhe von 800 Milliarden Dollar durch den „kollektiven Westen“ zu nennen.[33] Noch stützt man sich auf die Hoffnung, dass der Globale Süden nicht in der Lage ist, sich so schnell vom Dollar als internationaler Währung zu trennen. Gleichwohl wird festgehalten, dass die USA gegenlenken müssten und sich keine weiteren politischen Fehler erlauben dürften, andernfalls würde „eine Zeit kommen, in der ein Großteil der übrigen Welt die Verwendung des Dollar aktiv vermeiden wird. Letztlich müssen die Anleger erkennen, dass der Globale Süden zwar nicht völlig auf den Dollar verzichten kann, dass aber ein großer Teil schon jetzt bereit ist, dies zu tun.“
In der französischen Zeitung Le Figaro ist am 3. April 2023 gar von einer „irreversiblen De-Dollarisierung der Welt“ die Rede.[34] Auch hier werden als wesentliche Ursache für diese Entwicklungen die massiven Sanktionen des Westens und insbesondere der USA gegen Russland ausgemacht, mit denen die USA den Bogen gewissermaßen überspannt hätten. Die USA hätten den Dollar in den letzten Jahrzehnten zu einer wirtschaftlichen Waffe gemacht – eine Waffe, deren Schlagkraft sich mit dem Ukraine-Krieg nun langsam, aber sicher erschöpfe. Denn angesichts der massiven Sanktionen gegen Russland, insbesondere des Einfrierens der auf Dollar lautenden Devisenreserven der russischen Zentralbank, würden sich nicht-westliche Politiker zunehmend sagen: „Wenn ich mit einem Nachbarn Krieg führe und dieser Konflikt Washington nicht gefällt, kann ich einen großen Teil meiner Devisenreserven verlieren. Also werde ich meinen Handel in Dollar drastisch reduzieren.“ Dies tue nun nicht nur Russland, sondern auch Saudi-Arabien, dessen letzte Ölrechnung an China auf Yuan lautete. „Darüber hinaus erwägen die BRICS-Staaten […] die Einführung einer eigenen Währung zur Finanzierung ihres Handels. China hat bereits sein eigenes elektronisches Abrechnungssystem für den Interbankenhandel entwickelt. Es bietet eine Alternative zum SWIFT-System, einer vom Westen kontrollierten Genossenschaft.“ Und der Artikel schließt: „Die De-Dollarisierung der Welt wird nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein. Aber sie ist eindeutig eine unumkehrbare Bewegung.“
Selbst die US-Finanzministerin Janet Yellen scheint allmählich nervös zu werden. Gegenüber dem Fernsehsender CNN räumte sie ein, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland mit der Zeit die Hegemonie des US-Dollar schwächen könnten.[35] Auch sie verlässt sich freilich einstweilen noch darauf, dass „der Dollar aus Gründen als globale Währung verwendet wird, die es anderen Ländern nicht leicht machen, eine Alternative mit denselben Eigenschaften zu finden“. Vor allem die robusten US-Kapitalmärkte und die „Rechtsstaatlichkeit“ der USA seien „unerlässlich für eine Währung, die weltweit für Transaktionen verwendet werden soll. […] Und wir haben noch kein anderes Land gesehen, das über die grundlegende institutionelle Infrastruktur verfügt, die es seiner Währung ermöglichen würde, der Welt auf diese Weise zu dienen.“[36]
In der Tat stehen dem Vorhaben, aus dem Dollar als Weltleitwährung „auszusteigen“, größere Hürden entgegen und wird seine Realisierung mehr Zeit und Mühe in Anspruch nehmen, als es sich manche kritische Kommentatoren sowie Beschwörer einer angeblich unmittelbar bevorstehenden „multipolaren Weltordnung“, die auch hierzulande bereits ihre Abgesänge auf den US-Dollar anstimmen, vorstellen wollen. Ein nur selten adäquat berücksichtigter Aspekt ist beispielsweise, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Funktion des Dollar als „Transaktionswährung“ und seiner Funktion als „Reservewährung“. Wenn Staaten nun zunehmend dazu übergehen, für ihren Handel und die dabei anfallenden Transaktionen, z.B. im Ölgeschäft, eine andere Währung als den US-Dollar zu verwenden, dann ist das für den Status des Dollar als Weltleitwährung gewiss nicht unerheblich, aber letztlich von untergeordneter Bedeutung. Es entfällt damit lediglich die Umrechnung der Transaktion in US-Dollar, ökonomisch kommt dies allerdings (und kam dies schon immer) einem Nullsummenspiel gleich, da nach Abschluss der Transaktion dieselbe Menge an Geld wieder auf den Markt geworfen wird, egal in welcher Währung die Transaktion vollzogen wurde. Was die Macht des US-Dollar als „Weltgeld“ ausmacht, ist vielmehr seine Funktion als Reservewährung, also als jene Währung, in der nationale Zentralbanken ihre Devisenreserven halten. Und dieser Reservewährungsstatus ist historisch gewachsen und bis heute abgesichert dadurch, dass das Weltfinanzsystem amerikanisch geprägt ist und man daher bis dato im internationalen Handel schwer am US-Dollar vorbeikommt. Nicht zufällig nutzen auch Länder, denen die USA nicht gerade freundlich gesinnt sind, für ihren Außenhandel häufig nach wie vor den US-Dollar. Es ist daher durchaus nicht so, dass der Dollar deshalb die Weltwährungsreserve Nummer Eins wäre, weil er die bevorzugte Transaktionswährung ist, weil also z.B. Rohstoffe oft in Dollar gehandelt werden, sondern umgekehrt: „Rohstoffe werden oft in Dollar gehandelt, weil der Dollar Weltwährungsreserve Nummer Eins ist.“[37]
Wie wir bereits gesehen haben, ist der Dollar inzwischen aber auch als Reservewährung angezählt und sein globaler Marktanteil auf unter 50 Prozent gesunken – Tendenz stark und rasch fallend.[38] Die „De-Dollarisierung“ ist also keineswegs eine Chimäre, sondern wird zweifellos ihren Lauf nehmen. Die Frage ist nur, wie rasch und wie umfassend sich dieser Prozess vollziehen wird.
Neues „Weltgeld“ auf der Grundlage einer „multipolaren Weltordnung“?
Für die Wertkritik sind der Verfall der USA als Weltmacht und die sich gegenwärtig beschleunigenden Prozesse der „De-Dollarisierung“ höchst bedeutsame und in gesellschafts- bzw. krisentheoretischer Hinsicht auch außerordentlich „spannende“ Entwicklungen, da damit die Krise des warenproduzierenden Systems vermutlich an einen entscheidenden Kipppunkt gelangt, an dem das Ende des Kapitalismus als Weltsystem in greifbare Nähe rücken könnte. Diese Entwicklungen bilden so gesehen also auch eine Art Prüfstein, an dem sich erweisen wird, von welcher Tragfähigkeit und prognostischen Kraft die wertkritische Krisentheorie ist und in welchen Punkten nicht nur eine Weiterentwicklung auf der Höhe der Zeit, sondern womöglich auch (partielle) Revisionen erforderlich sind.
Wenn Robert Kurz mit seiner theoretischen Bestimmung des Zusammenhangs von US-Weltmacht und „Dollar-Weltgeld“ Recht behält, dann macht der Krisenkapitalismus aktuell einen entscheidenden Schritt in Richtung Zusammenbruch. Denn damit würden alle Voraussetzungen wegfallen, die eine Implosion der Weltwirtschaft bisher (mehr schlecht als recht) verhindert haben: Die USA würden ihre Stellung als „sicherer Hafen“ für das frei flottierende Finanz- und Spekulationskapital verlieren, dessen fiktive Verwertung in Gestalt einer gigantischen Blasenbildung in den vergangenen Jahrzehnten die Konjunktur befeuerte und damit die Weltwirtschaft in Gang hielt, wobei hier wiederum vor allem das auf Pump finanzierte US-amerikanische „Konsumwunder“ eine tragende Rolle spielte. Freilich hat Kurz noch eine Konstellation beschrieben, die bereits mit der Finanzkrise von 2007/08 tendenziell zu Ende gegangen ist. So ist die Rolle des US-Konsums als „Staubsauger“ der globalen Überproduktion heute wahrscheinlich geringer als noch vor 15 Jahren, als Kurz seinen hier im Zentrum stehenden Artikel veröffentlichte – schon allein deshalb, weil nach dem Finanzcrash und infolge der dadurch ausgelösten Weltwirtschaftskrise besonders in den USA (aber durchaus auch in der EU) starke Pauperisierungsprozesse in Gang gesetzt wurden (vgl. Konicz 2016, S. 84). Die seither als Reaktion auf den Crash durch massive Geldschöpfung der Notenbanken geschaffene „Liquiditätsblase“, auf der die Weltkonjunktur in den letzten Jahren maßgeblich beruhte, versieht daher, anders als die vor 2008 wesentlich durch massive Privatverschuldung erzeugte Defizitkonjunktur, den Spekulationsboom nicht mehr „mit der Illusion eines breiten realwirtschaftlichen Aufschwungs“ (ebd., S. 84). Die Verbindung zur „Realökonomie“ ist damit noch weiter gekappt worden. Die Blasenbildung wird heute auch nicht mehr, wie z.B. noch während des Dotcom-Booms Ende der 1990er Jahre in den USA, durch große Teile der Mittelschicht angetrieben, die ihr Erspartes in Aktien anlegen, sondern in erster Linie durch einige wenige institutionelle Großanleger (vor allem Vermögensverwalter wie BlackRock oder Vanguard).[39] In den vergangenen drei Jahren war es überhaupt eine durch massive staatliche Subventionen finanzierte „Pandemieindustrie“ (Massenimpfungen, Massentests, Masken etc.) sowie aktuell der Ukraine-Krieg (Rüstungsindustrie, Energiekonzerne etc.), die realwirtschaftlich für die Konjunktur wesentlich verantwortlich zeichneten (ein Fünftel des deutschen Wirtschaftswachstums im Jahr 2021 entfiel alleine auf BioNTech mit seinem mRNA-Corona-Impfstoff[40]). Freilich verweisen die „große Liquiditätsblase“ (ebd., S. 81) und die jüngste „politische Ökonomie der Pandemie und des Ukraine-Kriegs“ nur auf das neue Niveau, das der kapitalistische Krisenprozess mittlerweile erreicht hat. Es bestätigt sich damit nachträglich die Einschätzung von Robert Kurz, dass das damals schon absehbare Ende der insbesondere durch einen exorbitanten US-Konsum angetriebenen Defizitkonjunktur zu einer beträchtlichen Verschärfung der Krise führen würde. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass dies nicht unmittelbar zum Zusammenbruch der Weltwirtschaft geführt hat und das System offenbar noch (zum Teil auch unerwartete) Strategien und Instrumente für einen weiteren Krisenaufschub zur Verfügung hat – wenngleich diese Strategien, wie gerade der Ausnahmezustand der letzten Jahre eindrucksvoll gezeigt hat, immer desperatere, zynischere und destruktivere Formen annehmen.
Was die Rolle als „sicherer Hafen“ für die globalen Finanzmärkte angeht, welche die USA gegenwärtig zu verlieren drohen, wäre zwar theoretisch durchaus vorstellbar, dass ein anderes Land an ihre Stelle treten und diese Rolle übernehmen, das Finanzkapital also einen anderen Hafen finden könnte, zumal ja schon der „Rüstungsdollar“ letztlich nur noch auf einer „politischen Garantie“ beruhte. Es ist aber anzunehmen, dass dies nicht ohne erhebliche Turbulenzen in der Finanzsphäre ablaufen würde, da gerade auch die weltgrößten Vermögensverwalter wie BlackRock und Vanguard, von denen die gegenwärtig das Weltwirtschafts- und Finanzsystem (noch) maßgeblich stützende „Liquiditätsblase“ überwiegend getragen wird, ihren Sitz zum größten Teil in den USA haben. Beim schon jetzt höchst volatilen Zustand des Finanzsystems[41] könnte dies massive Auswirkungen, bis hin zur endgültigen finanzkapitalistischen Kernschmelze, nach sich ziehen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welches Land oder welcher Wirtschafts- bzw. Währungsraum den Finanzmärkten einen solchen neuen „Hafen“ bieten könnte und auf welcher Grundlage, die an die Stelle der bisherigen Militärdeckung des Dollar treten könnte. Hier kommt noch hinzu, dass bereits das Modell des „Rüstungsdollar“ letztlich nur deshalb (und auch nur zeitweilig) funktionieren konnte, weil das in den „sicheren Hafen“ strömende Geld dort die Defizitkonjunktur befeuerte, von der nicht nur die USA, sondern am Ende die ganze Weltwirtschaft lebte. Welches Land bzw. welche Währung könnte dies heute noch gewährleisten?
Für Robert Kurz war das sich abzeichnende Ende des Dollar als „Weltgeld“ gleichbedeutend mit dem Ende des „Weltgeldes“ überhaupt. Dasselbe galt für ihn (aus denselben Gründen) mit Blick auf das Ende der US-Hegemonialmacht. Die USA waren für ihn die letzte Weltmacht, an deren Stelle keine andere mehr treten könne, da sich der Abstieg der USA „an den Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise und damit der modernen Weltmachtfähigkeit“ schlechthin vollziehe (Kurz 2003, S. 432). Einige Gründe, weshalb Kurz eine Alternative zum Dollar als „Weltgeld“ kategorisch ausschloss, wurden oben bereits genannt: Keine der in Frage kommenden oder häufig als solche genannten Volkswirtschaften bzw. Währungsräume (zu Kurz’ Zeiten noch primär die EU, mittlerweile vor allem China) verfügt über eine selbsttragende Ökonomie. „Selbsttragend“ würde in diesem Zusammenhang insbesondere heißen: eine hinreichende Kaufkraft in der Bevölkerung und eine geringe Abhängigkeit von Exporten. Bei dem mittlerweile erreichten Produktivitätsniveau des warenproduzierenden Systems trifft dies freilich auf keine Volkswirtschaft mehr zu. Eben deshalb brauchte es ja auch eine Konstellation wie den von Kurz beschriebenen „pazifischen Defizitkreislauf“, der das hyperproduktive kapitalistische System noch einigermaßen in Gang zu halten vermochte. China mag zwar in den vergangenen Jahren beeindruckende Fortschritte bei der Entwicklung des Binnenkonsums gemacht haben.[42] Auch dürfte China heute ökonomisch weniger von Auslandsinvestitionen abhängig sein und hinsichtlich der Kapitalbildung mehr auf eigenen Füßen stehen als noch zu Kurz’ Zeiten. Wenngleich ausländisches und insbesondere westliches Kapital speziell im Exportsektor nach wie vor eine zentrale Rolle spielt und viele chinesische Unternehmen „als untergeordnete Teile in die transnationalen Produktionsverbünde großer westlicher Unternehmen eingebunden“ sind (ten Brink 2021), hat China mittlerweile einen international konkurrenzfähigen Hochtechnologiesektor aufgebaut, der einige große einheimische Tech-Konzerne umfasst, die den chinesischen Binnenmarkt heute dominieren. China ist also „von der verlängerten Werkbank der Welt zum ernstzunehmenden Konkurrenten avanciert“ (ebd.). Insofern ist wohl auch die oben zitierte Einschätzung von Robert Kurz etwas zu relativieren, wonach China lediglich „Drehscheibe für transnationale Wertschöpfungsketten“ sei und seine Entwicklung „nichts mit einer traditionellen nationalökonomischen ‚Entwicklung‘“ zu tun habe (Kurz 2013, S. 42). „Traditionell“ mag die Entwicklung in der Tat nicht sein, aber eine Entwicklung ist es allemal, und mit Sicherheit ist die heutige ökonomische Stellung Chinas nicht mehr umstandslos mit jener von vor 15 Jahren zu vergleichen. Dass diese Entwicklung ausreicht, um die Weltwirtschaft zu tragen, darf jedoch nach wie vor stark bezweifelt werden.
Auch andere Länder verfügen nicht über die erforderliche Kaufkraft, um die USA quasi als Zugmaschine des Weltkonsums beerben zu können – zumal bei der aufgrund der immanenten kapitalistischen Wachstumslogiken zwangsläufig immer weiter steigenden Produktivität und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass bereits das US-amerikanische „Konsumwunder“ der letzten Jahrzehnte nur auf Pump zu finanzieren war, was wiederum nur auf der Grundlage des „Rüstungsdollar“ und der USA als „sicherem Hafen“ für die globalen Finanzmärkte möglich wurde. Auch und gerade andere Schwellenländer neben China, unter ihnen die meisten BRICS-Mitglieder, die sich derzeit für eine „multipolare Weltordnung“ stark machen, verdanken ihre wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre überwiegend den „Liquiditätsblasen“ in der hypertrophen Finanzsphäre. In diese Länder („emerging economies“) hat sich das anlagesuchende Kapital nach 2008 in Ermangelung anderer renditeträchtiger Investitionsmöglichkeiten bevorzugt geflüchtet und dort dasselbe produziert wie die Schuldenexzesse vor 2008 in den kapitalistischen Zentren: einen schuldenfinanzierten Boom (vgl. Konicz 2016, S. 85ff.). Es ist schwer vorstellbar, woher diese Länder die erforderliche Kaufkraft nehmen sollen, um mit ihrem Konsum auf Dauer eine derart produktive und auf immer größer dimensionierte Defizitkonjunkturen angewiesene Weltwirtschaft tragen zu können – noch dazu, wenn womöglich Europa und die USA als Konsumenten wegfallen (sei es infolge von Deindustrialisierung und einer damit einhergehenden Pauperisierung ihrer Bevölkerungen, sei es infolge einer globalen Blockbildung und entsprechenden Abschottung der Wirtschaftsräume). Man sollte sich dabei auch nicht zu sehr von den zwischendurch immer wieder recht eindrucksvoll aussehenden Wirtschaftsdaten blenden lassen, etwa dem derzeit „boomenden“ Handel zwischen China und Russland. Bereits in der Vergangenheit wurden diverse Schwellenländer von der bürgerlichen Wirtschaftspresse periodisch als „künftige ‚Lokomotive[n] der Weltwirtschaft‘“ (ebd., S. 86) gefeiert. Der Boom entpuppte sich jedoch stets als Schein, da er eben nur das Produkt einer Defizitkonjunktur war, also auf der sattsam bekannten Verschuldungsdynamik beruhte.
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die aktuellen De-Dollarisierungs-Bestrebungen bislang nicht auf die Installation eines neuen „Weltgeldes“ in Form einer neuen Weltleitwährung abzielen. Zwar nimmt der Yuan eine zentrale Rolle ein, schon allein aufgrund der führenden wirtschaftlichen Stellung Chinas unter den sich derzeit gegen den Westen verbündenden Staaten. Einstweilen scheint der Weg jedoch eher in Richtung einer Stärkung nationaler Währungen zu gehen, wie an den jüngsten Verlautbarungen der ASEAN oder der New Development Bank abzulesen ist. Ähnliches gilt für die Weltmacht-Frage: Das ausgegebene Ziel der „Multipolarität“, mit dem sich (jedenfalls hierzulande in den entsprechenden Kreisen) alle möglichen Illusionen von „mehr Demokratie“ und einer „gerechteren Weltordnung“ verbinden (vgl. exemplarisch Rauls 2023), impliziert im Grunde das Dementi eines jeden Weltmachtanspruchs und eines Strebens nach der Ablösung der USA als Welthegemon. Sollte sich darin etwa eine gewisse Ahnung reflektieren, dass die Zeit von Weltmacht und „Weltgeld“ vorbei ist? Kein „Weltgeld“ ist allerdings vermutlich auch keine Lösung – jedenfalls, wenn man die Thesen von Robert Kurz beim Wort nimmt. Kurz hat u.a. darauf hingewiesen, dass die Abwesenheit einer Weltleitwährung nicht unwesentlich zur verheerenden Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre beigetragen hat. Er befürchtete daher, dass das Ende des Dollar als „Weltgeld“ zu ähnlichen und sogar noch schlimmeren Verwerfungen führen könnte (vgl. Kurz 2013, S. 44). Wahrscheinlich stehen wir derzeit an einer historischen Schwelle, an der sich die Tragfähigkeit seiner Prognose empirisch erweisen wird. Damit wäre zwar nicht gesagt, dass der Zusammenbruch unmittelbar bevorsteht, aber in jedem Fall wäre mit einer drastischen Verschärfung der Krisendynamik zu rechnen. Es wird eine vordringliche Aufgabe der Wertkritik sein, den weiteren Krisenverlauf und insbesondere die im Gange befindlichen De-Dollarisierungs-Prozesse aufmerksam zu beobachten und krisentheoretisch einzuordnen. Es lässt sich dabei auch nicht gänzlich ausschließen, dass wir zumindest zeitweilig eine Phase ohne „Weltgeld“ oder – im Falle einer sich bereits deutlich am Horizont abzeichnenden globalen Blockbildung – eine Teilung der Welt in einen westlichen, nach wie vor Dollar-dominierten Währungsraum und in einen von China und Russland angeführten Block mit einer oder mehreren anderen „Leitwährungen“ erleben und sich daraus vielleicht sogar ein weiterer Krisenaufschub ergeben könnte; auch wenn dafür aus wertkritischer Sicht einstweilen wenig bis nichts spricht. Der von Letzteren angestrebte Ausstieg aus dem Dollar ist nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der nicht mehr zu leugnenden, extremen Instabilität der US-dominierten Finanzarchitektur zu sehen, also als immanente Strategie zur Krisenbewältigung mit dem Ziel, nicht mit dem Dollar und dem gegenwärtig rasch verfallenden „kollektiven Westen“ in den Abgrund gezogen zu werden. Ob und wie lange sich der Zusammenbruch auf diese Weise hinausschieben lässt, wird vor allem auch davon abhängen, wie sich eine absehbare – nicht zuletzt durch die „De-Dollarisierung“ beförderte – Implosion der Dollar-denominierten Finanzmärkte global auswirken wird und ob China und Co. die daraus resultierenden Folgen durch den Aufbau eines alternativen Banken-, Währungs- und Finanzsystems (zumindest für sich) einigermaßen abzufedern vermögen. Selbst dann dürfte dabei aber kaum mehr als eine Krisenbewältigung auf Zeit herausspringen, weil es nun einmal der Kapitalismus mit seiner Verwertungs- und Geldlogik selbst ist, dessen systemimmanente Widersprüche derzeit auf allen Ebenen eskalieren.
Vielleicht wird aber auch mittelfristig, angesichts der voraussichtlichen Unhaltbarkeit eines „weltgeldlosen“ Zustands, doch noch der Versuch unternommen werden, eine einheitliche Währung als neues „Weltgeld“ zu etablieren. Eine große Rolle dürften dabei, vor dem Hintergrund der gegenwärtig stark vorangetriebenen Tendenzen zur Digitalisierung des Geldes und zur Bargeldabschaffung, Digitalwährungen spielen. Schon die derzeitigen Pläne von China und Co. zur Förderung nationaler Währungen sehen die Stärkung internationaler digitaler Zahlungssysteme vor. Auch im Westen laufen die Vorbereitungen für die Bargeldabschaffung und die Einführung eines digitalen Zentralbankgeldes (Central Bank Digital Currency, kurz: CBDC)[43], vermittelt mit Bemühungen zur Etablierung digitaler Identifikationssysteme (z.B. ID2020[44]), auf Hochtouren. Gerade bei Letzterem wurden im Zuge der „Pandemie“ bedeutende Fortschritte erzielt: Die Corona-Impfkampagne mag schon allein aufgrund der mangelnden Wirksamkeit der mRNA-Impfstoffe letztlich als gescheitert angesehen werden können, der mit den digitalen Impfzertifikaten („Grüner Pass“) unternommene Probelauf für die digital verfeinerte Menschenverwaltung ist jedoch zweifellos gelungen – in Ländern wie Deutschland und Österreich nicht zuletzt dank der tätigen Mithilfe großer Teile der Bevölkerung (vgl. Urban/Uhnrast 2023, S. 82). Nicht zufällig begründet die EU ihre aktuellen Pläne zur Abschaffung von Reisepässen und zur Einführung biometrischer Grenzkontrollen damit, dass die Bürger spätestens seit der Corona-Pandemie „den Einsatz kontaktloser Technologien als grundlegende Voraussetzung für ein sicheres und reibungsloses Reisen“ erwarten würden.[45] Ohne Zweifel würden digitale IDs, allenfalls gekoppelt an eine Art Sozialkreditsystem, wie es China umzusetzen plant und in Pilotprogrammen bereits realisiert hat (vgl. Strittmatter 2018; Raphaël/Xi 2019), in Kombination mit einem voll digitalisierten Zahlungsverkehr – der es dann z.B. ermöglichen würde, die Auszahlung von Sozialleistungen unmittelbar an das Sozialranking zu binden oder überhaupt den Kontozugriff für „unbotmäßige“ Personen zu sperren – den Funktionseliten ganz neue technische Möglichkeiten im Rahmen der kapitalistischen Krisen- und Notstandsverwaltung eröffnen. Dass sich die Krise damit bewältigen und der Kapitalismus noch einmal vor sich selber retten lässt, ist aber stark zu bezweifeln (dies gilt im Prinzip analog für die damit Hand in Hand gehenden Bestrebungen, auf Basis der Digitaltechnologien ein neues kybernetisches Akkumulationsregime zur Durchsetzung zu bringen, vgl. Komlosy 2022). Bereits an den in den vergangenen Jahren zeitweilig gehypten, jedoch als Alternative zu den gängigen Währungen letztlich auf ganzer Linie gescheiterten Kryptowährungen lässt sich ablesen, welche Schwierigkeiten eine quasi als neues „Weltgeld“ eingeführte Digitalwährung zu gewärtigen hätte (aus wertkritischer Perspektive zur wohl bekanntesten Kryptowährung „Bitcoin“ siehe bereits Ortlieb 2014). Im Grunde zeigt der anscheinend unaufhaltsame Trend zu digitalen Währungen bloß an, wie schlecht es um das Geldmedium als solches mittlerweile steht. Mit der vollständigen Digitalisierung des Geldes wird die „Emanzipation“ von seiner Substanz, dem Gold, perfekt und damit auch die Abkoppelung des Kapitalismus von der realen Welt endgültig vollzogen. Auch hier gilt daher, dass der Zusammenbruch bestenfalls, wie schon bisher und mit entsprechenden Friktionen sowie stetig steigenden sozialen und ökologischen Kollateralschäden, noch ein wenig hinausgeschoben werden kann. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Ende das Kapitalismus schon rein logisch einen großen Schritt näher rückt, denn das damit erreichte Stadium der Entsubstantialisierung des Geldes ist mit einer kapitalistischen Produktionsweise schlichtweg nicht mehr vereinbar.[46]
Dieses Problem der Entsubstantialisierung stellt sich übrigens unabhängig davon, ob der Versuch der Etablierung eines neuen „Weltgeldes“ unternommen wird oder nicht. Auch im derzeit wahrscheinlicheren Fall, dass China und Co. es mit einem „weltgeldlosen“ Alternativsystem auf Basis mehrerer nationaler Währungen probieren, hätten alle diese Währungen mit der aus dem kapitalistischen Krisenprozess resultierenden Entsubstantialisierung des Geldmediums zu kämpfen. Allerdings könnten sich daraus jeweils unterschiedliche Szenarien für den weiteren Krisenverlauf ergeben – diesen theoretisch nachzugehen und daraus entsprechende Prognosen abzuleiten wäre ebenfalls eine anstehende Aufgabe für die Wertkritik.
Oder erleben wir derzeit womöglich gar den Übergang in eine dystopische Version einer postkapitalistischen Gesellschaft? Auch diese Möglichkeit sollte in den theoretischen Überlegungen nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Angesichts der sich gegenwärtig abzeichnenden, rasch voranschreitenden Entwicklungen („De-Dollarisierung“, Bargeldabschaffung, Digitalisierung des Geldes etc.), die vor allem auch eine immer größere Entfernung des warenproduzierenden Systems von seinen eigenen Grundlagen mit sich bringen, drängt sich zuweilen der Gedanke auf, der Kapitalismus könnte sich womöglich selbst bereits so sehr überlebt haben, quasi soweit über seine eigenen Verhältnisse hinausgewachsen und die Erosion seiner Kategorien (die Entsubstantialisierung des Geldes, die Entwertung des Werts etc.) soweit fortgeschritten sein, dass sich am Horizont unter Umständen schon eine neue Form von Herrschaft abzeichnet, die zwar vielleicht immer noch (schon allein aufgrund der selber vollends im Kapitalfetisch befangenen Funktionärsklasse) so tut, als wäre sie eine kapitalistische, in der die kapitalistischen Kategorien aber nicht mehr als solche gültig und wirksam sind; in der also z.B. immer noch mit „Geld“ operiert wird, während dieses bereits aufgehört hat, als Geld im kapitalistischen Sinne, d.h. als allgemeines Äquivalent und als ausgesonderte „Königsware“ (Marx), zu fungieren, und primär dazu dient, mithilfe digitaler IDs und digitaler Zahlungssysteme den Zugang zu Gütern und anderen Leistungen zu regeln. Ein denkbares Modell könnte etwa das der aus Kriegswirtschaften bekannten „Bezugskarten“ sein – zumindest auf etwas Ähnliches scheint das bereits eifrig vorangetriebene System von QR-Codes, Irisscans usw. ja letztlich
hinauszulaufen.[47] Es ist übrigens wohl auch nicht ganz zufällig, dass ausgerechnet die sich schon seit drei Jahren autoritär und kriegsgeil gebärdenden (links-)liberalen „Bildungsbürger“ mit Hang zu Postwachstums- und anderen Ideologien[48] derzeit ihr Faible für die Kriegswirtschaft entdecken – siehe hierzu etwa das 2022 veröffentlichte Buch Das Ende des Kapitalismus von Ulrike Herrmann. Darin wird die britische Kriegswirtschaft von 1939ff. als Modell angepriesen (die deutsche, die ja praktischerweise zusätzlich noch Zwangsarbeiter aufzubieten hatte, getraut man sich dann doch (noch) nicht als Modell vorzuschlagen). Die PR für dieses Modell – quasi als Vorbild für einen geordneten „Rückbau des Kapitalismus“ – fällt denn auch entsprechend verschwurbelt aus: „Es entstand ein Kapitalismus ohne Markt, der bemerkenswert gut funktioniert hat. Die Fabriken blieben in privater Hand, aber die Produktionsziele von Waffen und Konsumgütern wurden staatlich vorgegeben – und die Verteilung der Lebensmittel öffentlich organisiert. Es gab keinen Mangel, aber es wurde rationiert.“[49] Das klingt doch schon sehr verdächtig nach einer Art totalitärer Hightech-Kommandowirtschaft, was da als potentielles Exit-Szenario aus dem heutigen Krisenkapitalismus entworfen wird.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen und den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen, diese zugegebenermaßen spekulativen Fragen ausführlicher zu erörtern. Diese Diskussion wäre in einem eigenständigen Artikel zu führen – nicht zuletzt deshalb, da die Möglichkeit einer gleichsam autoritären Überwindung des Kapitalismus, wie sie hier in Betracht gezogen wird, in der wertkritischen Theoriebildung bislang nicht vorgesehen ist. Für die Wertkritik war die Überwindung des Kapitalismus stets nur als emanzipatorischer Akt vorstellbar – oder, als Alternative dazu, der gemeinsame Untergang mit ihm in Anomie und Barbarei; eine Annahme, für die es gute Gründe gibt. Hier soll es daher einstweilen genügen, abschließend festzuhalten: Eine voll digitalisierte Gesellschaft mit digitalem „Geld“, biometrischen IDs, Sozialkreditsystem usw. ist als möglicherweise nicht mehr allzu ferne Zukunft durchaus denkbar – sie wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine kapitalistische mehr sein. Eine in Zukunft zu führende theoretische Diskussion solcher möglichen Szenarien wird zunächst vor allem auch die grundsätzliche Frage zu klären haben, an welchem Punkt der Kapitalismus aufhört, Kapitalismus zu sein, und woran sich dies konkret festmachen ließe. Keinesfalls wäre das Ende des Kapitalismus und der Übergang in eine autoritäre bzw. totalitäre Form einer postkapitalistischen Gesellschaft voluntaristisch zu denken, d.h. als bewusster Akt der Funktionseliten (gegen diese Vorstellung verwehrte sich die Wertkritik bislang zu Recht). Aber es stellt sich, wie gesagt, die Frage, ob das warenproduzierende System sich soweit von seinen eigenen Grundlagen entfernen und insbesondere durch eine auf immer absurdere Mittel zurückgreifende Krisenverwaltung quasi soweit über sich hinausgetrieben werden kann, dass es womöglich an einem bestimmten Punkt in einen Aggregatzustand hinüberkippt, in dem die kapitalistischen Kategorien nicht mehr gültig sind – und ob dieser Punkt möglicherweise schon bald erreicht werden könnte.
Literatur
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Hermann, Ulrike (2022): Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden, Köln.
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Urban, Andreas (2022b): Ukraine-Krieg, Propaganda und der geopolitische Abstieg des Westens. Einige Thesen aus wertkritischer Perspektive, wertKRITIK.org (zitiert nach der Druckversion).
Urban, Andreas (2023): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westens im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 3: Systemische Lebensmüdigkeit – Mit wehenden Fahnen in den Dritten Weltkrieg, wertKRITIK.org
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Endnoten
[1] Die BRICS sind in ihrer jetzigen Form zumindest quantitativ bereits bedeutender für die Weltwirtschaft als die G7. Aus den jüngsten Zahlen des IWF geht hervor, dass die fünf bestehenden BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) 32,1 Prozent zum globalen Wirtschaftswachstum beitragen, verglichen mit 29,9 Prozent der G7 (vgl. „BRICS set to surpass G7 in economic growth“, thecradle.co, 19.4.2023).
[5] Siehe paradigmatisch hierfür den sogenannten rust belt im Nordosten der USA.
[6] Weshalb die Militärmacht der USA vermutlich schon lange relativ überschätzt sein dürfte, wurde in früheren Beiträgen gelegentlich thematisiert, z.B. Urban/Uhnrast 2022 oder Urban 2023 (insbesondere Kapitel 3).
[7] Angeblich sind in den USA mittlerweile 80 Prozent der Bevölkerung verschuldet und/oder prekär beschäftigt (vgl. Temin 2017). Im vierten Quartal des Jahres 2019 lastete statistisch auf jedem US-Haushalt ein Schuldenberg von durchschnittlich 115.000 Dollar. Die Corona-Krise hat die Verschuldung der Privathaushalte noch zusätzlich verschärft (vgl. „Ein Volk aus Schuldnern“, zeit.de, 11.1.2021).
[8] Gültig beschrieben wird diese weltwirtschaftliche Rolle der USA auch von Yanis Varoufakis in seinem Buch The Global Minotaur (Varoufakis 2011), in dem er ebenfalls vom US-Konsum als einem „global vacuum cleaner“ spricht.
[11] Man braucht sich hier nur vor Augen zu halten, dass die Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank (EZB) seit Anfang 2008 bis Ende 2022 von rund 1,3 Billionen Euro auf knapp 8,5 Billionen regelrecht explodierte. Einen bedeutenden Schub hat diese Entwicklung freilich im Zuge der sogenannten Corona-Krise der letzten drei Jahre erfahren. Allein in diesem Zeitraum hat sich die Bilanzsumme annähernd verdoppelt (https://www.tagesgeldvergleich.net/statistiken/bilanzsummen-der-zentralbanken.html). Die US-Notenbank Fed schuf allein zwischen Ende 2008 und Anfang 2010 1,2 Billionen Dollar und damit im Zeitraum von rund einem Jahr mehr als in den fast hundert Jahren seit ihrer Gründung im Jahr 1913 insgesamt (vgl. Vighi 2023, S. 22).
[12] „Leaked Documents Suggest Ukrainian Air Defense Is in Peril if Not Reinforced“, nytimes.com, 9.4.2023
„Discord member details how documents leaked from closed chatgroup“, washingtonpost.com, 12.4.2023
„‚Militärmitarbeiter‘ steckt hinter US-Leak“, orf.at, 13.4.2023
Über die Hintergründe dieses Leaks gibt es zahlreiche Spekulationen. Es spricht einiges dafür, dass es sich dabei nicht, wie zuweilen gemutmaßt, um eine Desinformationskampagne entweder der USA oder Russlands handelt. Auch der mittlerweile offiziell als Täter vorgeführte junge „Militärmitarbeiter“ scheint eher eine Sündenbock-Funktion zu erfüllen. Mir erscheint die unter manchen kritischen Beobachtern und Kennern der US-Militär- und Geheimdienststrukturen verbreitete These nicht unplausibel, dass das Leak auf Funktionäre aus dem inneren Kreis des US-Militärs und/oder der Geheimdienste zurückzuführen sein könnte, mit der Absicht, die Wahrheit über das Debakel der USA im Ukraine-Krieg publik zu machen und auf diese Weise ggf. einen policy change in den USA herbeizuführen (z.B. „Some of the leaked military slides show hat Ukraine is in trouble, despite Austin & Milley insisting things are swell“, sonar21.com, 12.4.2023).
[13] „What are the Russians saying about the intelligence leak in the USA?“, gilbertdoctorow.com, 13.4.2023
[14] „Putin’s nuclear power cruise missile is bigger than Trump’s“, foreignpolicy.com, 1.3.2018
[16] Ähnliches gilt übrigens für die Berechnungsgrundlagen des Bruttoinlandsprodukts (BIP), mit deren Hilfe sich der Westen seine weitgehend deindustrialisierten und überwiegend auf kapitalistisch unproduktiven Dienstleistungen beruhenden Volkswirtschaften schönrechnet. Daraus ergeben sich wiederum absurde, an der Realität weit vorbeigehende Einschätzungen, wonach etwa die Wirtschaftskraft Russlands in der Größenordnung von Ländern wie Südkorea oder Italien oder dem US-Bundesstaat Texas liege – eine Einschätzung, die sich derzeit ebenso an der Realität blamiert, wie der Glaube an die militärische Überlegenheit des Westens. Zu den irreführenden Berechnungsmethoden, die diese westliche Ignoranz nähren, vgl. Martyanov 2018, S. 35ff.
[17] „Saudis, other oil giants announce surprise production cuts“, abcnews.go.com, 2.4.2023, Übersetzung A.U.
[18] „A Russian military vessel docks in Saudi Arabia for the first time ever“, arabnews.com, 5.4.2023, Übersetzung A.U.
[21] „Praising Iran-Saudi Pact, China Says Agreement Will Help Rid Region of ‘External Interference’“, sputnikglobe.com, 12.3.2023
[22] „Saudi, Omani envoys hold peace talks with Houthi leaders in Sanaa“, reuters.com, 9.4.2023
[23] Die Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien bedeutet im Übrigen auch schlechte Nachrichten für Israel, denn die nun wegfallende, vor allem durch die USA betriebene Konstruktion des Iran als „Feind der arabischen Welt“ bildete nicht zuletzt eine wesentliche Grundlage für die „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen Israel und anderen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens in den vergangenen Jahren.
[26] „Ursula von der Leyen muss in China durch Ausgang für normale Passagiere“, berliner-zeitung.de, 7.4.2023
[27] „Increase in international payments in Chinese yuan“, amsterdamfox.com, 25.3.2023
[28] „BRICS-Entwicklungsbank verkündet konkrete Schritte, um Dominanz des US-Dollars aufzubrechen“, nachdenkseiten.de, 18.4.2023
[29] „De-dollarization kicks into high gear“, thecradle.co, 27.4.2023
[30] „Petrodollar Dusk, Petroyuan Dawn: What Investors Need To Know“, forbes.com, 27.3.2023, Übersetzungen aus dem Artikel hier und im Folgenden A.U.
[33] Man könnte hier im Grunde auch von Diebstahl sprechen. Ein komisches Detail am Rande dieser beispiellosen „Maßnahmen“ ist übrigens, dass die EU einen großen Teil der von ihr eingefrorenen russischen Devisenreserven offenbar „nicht finden“ kann (vgl. „The EU can’t find most of Russia’s $300bn of frozen reserves“, intellinews.com, 27.2.2023).
[34] „Renaud Girard: ‚La dé-dollarisation du monde‘“, lefigaro.fr, 3.4.2023, Übersetzung A.U.
[35] „Sanktionen gegen Russland: Yuan kratzt am US-Dollar“, telepolis.de, 26.4.2023
[36] „Sanctions may risk hegemony of US dollar: Yellen“, english.almayadeen.net, 16.4.2023, Übersetzung A.U.
[37] „Hintergrund: Denkfehler ‚Dollarhegemonie‘“, nachdenkseiten.de, 20.1.2023
[38] Dies scheint z.B. Jens Berger, der Autor des zitierten Nachdenkseiten-Artikels, zu unterschätzen, wenn er immer noch von einem Dollar-Anteil von fast 60 Prozent ausgeht. Mag sein, dass er besagter Verzerrung durch nicht preisbereinigte Berechnungen des Dollar-Anteils aufsitzt, oder aber es standen ihm noch nicht die aktuellsten Daten zur Verfügung, die einen rapiden Verfall des Dollar-Marktanteils seit der Eskalation des Ukraine-Kriegs anzeigen.
[39] Freilich verwalten institutionelle Großanleger nach wie vor zu einem großen Teil auch das Geld der Mittelschicht, z.B. über Pensionsfonds. Worauf es an dieser Stelle ankommt, ist allerdings, dass es sich bei den heutigen spekulativen Exzessen und daraus resultierenden Blasenbildungen nicht mehr um jene „Dienstmädchenhausse“ aus der Zeit vor dem Finanzcrash von 2007/08 handelt, als große Teile der Bevölkerung, vor allem in den USA und zum Teil bis hinein in relativ niedrige Einkommensschichten, ihr Erspartes in Aktien anlegten und damit die Spekulation maßgeblich befeuerten. Seit der Finanzkrise ging der Aktienbesitz in der erodierenden Mittelschicht stark zurück (vgl. Konicz 2016, S. 84).
[40] „Biontech steht für fast ein Fünftel des deutschen Wirtschaftswachstums“, manager-magazin.de, 14.1.2022
[41] Siehe etwa den nur durch massive geldpolitische Interventionen abgewendeten Zusammenbruch des Repo-Marktes am Vorabend der Corona-Krise (dazu Vighi 2023) oder die sich derzeit angesichts starker inflationärer Tendenzen abzeichnende Bankenkrise (vgl. Konicz 2023).
[42] 2018 trug der Binnenkonsum bereits 76,2 Prozent zum chinesischen BIP-Wachstum bei („China revitalisiert den Binnenkonsum durch neues Reformpaket“, china-briefing.com, 21.3.2019).
[46] Wenngleich die Wertkritik dies bereits seit geraumer Zeit behauptet. Vielleicht hält sich das System also auch nach dem nächsten, bevorstehenden Entsubstantialisierungsschub noch länger, als man ihm zutrauen würde. Die inzwischen auf groteske Niveaus gehobenen Maßnahmen zur Systemrettung sind jedoch ein Indiz dafür, dass die wertkritische Prognose nicht grundsätzlich zurückzunehmen sein dürfte.
[47] In manchen Flüchtlingslagern ist dies bereits seit Jahren Realität (vgl. Autheman 2017).
[48] Auf den reaktionären und autoritären Kern der Postwachstums-Bewegung hat aus wert-abspaltungskritischer Sicht bereits Daniel Späth hingewiesen (Späth 2016).
[49] „Das Ende des Kapitalismus“, postwachstum.de, 17.3.2021
Dasselbe Zitat findet sich gleichlautend auch in einem bereits 2019 veröffentlichten Artikel der Autorin in der taz, für die sie als „wirtschaftspolitische Korrespondentin“ tätig ist („Abschied vom Wachstum: Schrumpfen in Schönheit“, taz.de, 12.10.2019).