Andreas Urban
Im Jahr 4 n. C.
Ein vorläufiges Resümee über die Corona-Krise
Am 5. Mai 2023 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Corona-Notstand – sprich: „die Pandemie“ – für beendet erklärt. Viel ist in den Jahren dieses zweifellos zu den „bizarrste[n] Episoden[n] der jüngeren Geschichte“ (Urban/von Uhnrast 2023a, S. 20) zählenden gesellschaftlichen Ausnahmezustandes über Corona geschrieben worden, so manches auch auf dieser Website.
Grob zusammengefasst lautet die hier entwickelte wertkritische bzw. krisentheoretische Position, dass die Corona-Krise grosso modo auf eine fatale Überreaktion einer intellektuell und nervlich zerrütteten spätkapitalistischen Gesellschaft auf ein grippeähnliches Atemwegsvirus zurückzuführen ist – eine Überreaktion, die mit der Zeit durch verschiedene, sich selbst verstärkende Effekte in eine Art von Massenpsychose mündete und durch diverse polit-ökonomische Faktoren (z.B. ganz banale kapitalistische Profitinteressen einer hypertrophen „Pandemie-Industrie“, welche die Angstmache mit „gefährlichen Pandemien“ und die Vermarktung von Impfstoffen und Medikamenten für deren „effektive“ Bekämpfung zu ihrem bevorzugten Geschäftsmodell gemacht hat) zusätzlich befeuert wurde (vgl. Urban/von Uhnrast 2022a, 2022b, 2023b). Besonders den sozialpsychologischen Faktoren, welchen wir für die Erklärung jenes „schweren Verlaufs“ der Corona-Krise ein entsprechendes Gewicht zuzubilligen geneigt sind, widmete sich ein gleichnamiger, 2023 veröffentlichter Sammelband, der zehn Beiträge (auch von nicht-wertkritischen Autorinnen und Autoren) versammelte, die auf unterschiedliche Art und Weise und mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen dazu beitragen sollten, Corona als Krisensymptom zu dechiffrieren (Urban/von Uhnrast 2023c). Die bereits während der Corona-Krise offen zutage getretene Irrationalität und die damit einhergehende Tendenz zu selbstzerstörerischen Reaktionen, die im bald darauf folgenden Ukraine-Krieg nochmals ein neues Niveau erklommen zu haben schienen, veranlassten dazu, unsere anhand der „Pandemie“ gewonnenen Thesen zum verallgemeinerten krisentheoretischen Befund eines vor dem Hintergrund der weit gediehenen kapitalistischen Systemkrise und der daraus resultierenden gesamtgesellschaftlichen Erosions- und Verfallsprozesse besonders (jedenfalls aber in spezifischer Weise) in den westlichen Zentren um sich greifenden Realitätsverlusts und einer regelrechten „suizidalen Drift“ zu verdichten (vgl. Urban 2022a, 2023a, 2023b). Stark zugespitzt und nicht ohne Polemik formuliert: Auf dem aktuellen Stand der Krisenreife und des gesellschaftlichen Verfalls wird das bürgerliche Subjekt, zumal seine westlichen Mittelschichtsexemplare, endgültig an sich selber irre und geht tendenziell zur finalen Welt- und Selbstvernichtung über.
Diesen Texten und den darin enthaltenen Erklärungsversuchen, wie es zu jener beispiellosen, als Corona-Krise bezeichneten „gesellschaftlichen Naturkatastrophe“[1] kommen konnte, gibt es im Grunde nur wenig hinzuzufügen. Sicherlich, man könnte einige Einzelaspekte noch genauer, gewissermaßen „für sich“ betrachten – etwa die polit-ökonomischen Mechanismen und Hintergründe besagter „Pandemie-Industrie“, sozusagen die „politische Ökonomie der Impfkampagnen, Massentests und Maskenpflichten“, mit der das destruktive Prinzip des Rüstungskeynesianismus auf perverse Art und Weise und mit entsprechend grotesken Effekten (endlich[2]) auf den Bereich der Gesundheit übertragen worden zu sein scheint. Aber was die allgemeine Einschätzung der Corona-Krise im Horizont der fundamentalen Krise des Kapitalismus angeht, ist (jedenfalls aus meiner Sicht) so ziemlich alles gesagt, was es zu sagen gibt. Das gilt letztlich auch und erst recht für die immanenten Zerwürfnisse und Spaltungen, von denen die Wertkritik als theoretischer Zusammenhang in den Corona-Jahren so wenig verschont geblieben ist wie genügend andere berufliche und private Beziehungen, Freundschaften, mitunter sogar Familien-beziehungen (vgl. Urban 2022b). Dass nun dennoch dieses „Resümee“ über die Corona-Krise vorgelegt wird, hat mehrere Gründe:
Im Folgenden sollen daher einige zusammenfassende (wenn auch keineswegs erschöpfende) Schlussfolgerungen zur Corona-Krise formuliert werden.
1. Es gab keine Pandemie
Die erste und allgemeinste Schlussfolgerung, die sich im Prinzip bereits aus den früher veröffentlichten Thesen zu „Corona als Krisensymptom“ (Urban/von Uhnrast 2022a), vor allem aus der zu diesem Zweck unternommenen Diskussion der damals vorliegenden Daten- und Faktenlage ziehen ließ, lautet: COVID-19 war zu keiner Zeit eine Pandemie.
Diese Aussage ist in keiner Weise identisch damit – wie es bis hinein in wert-abspaltungskritische Zusammenhänge so beharrlich wie wahrheitswidrig behauptet wird –, das Coronavirus als solches zu „leugnen“ (Stichwort „Coronaleugner“). Sie ist auch nicht gleichbedeutend damit, zu behaupten, es seien in den letzten Jahren keine Menschen an Corona erkrankt und in einem sehr geringen Anteil der Fälle daran auch verstorben. Es ist damit nicht mehr, aber auch nicht weniger gesagt, als dass Corona niemals den Tatbestand einer Pandemie erfüllte und das „Krankheits- und Sterbegeschehen“ (wie die fachwissenschaftliche Terminologie der Public Health lautet) sich nicht signifikant von dem unterschied, was wir von schwereren saisonalen Grippewellen kennen. Selbst das Kriterium der „Neuartigkeit“ von SARS-CoV-2 steht infrage – dagegen spricht der hohe Anteil asymptomatischer Infektionen wie auch der längst wissenschaftlich bestätigte Umstand (z.B. Loyal et al. 2021), dass in der Bevölkerung schon in der Frühphase der „Pandemie“ offensichtlich eine breite Kreuzimmunität existierte, die vom regelmäßigen Kontakt mit den anderen saisonalen Coronaviren herrührte. Ich lasse hier gänzlich außer Betracht, dass als maßgebliches Kriterium zur Definition als „Pandemie“ – wie etwa in Fachwörterbüchern des RKI nachgelesen werden kann – eine hohe Zahl von Erkrankungen gilt, „i. d. R. auch mit schweren Krankheitsverläufen“ (RKI 2015, S. 99). Dass schwere Krankheitsverläufe bei Corona nicht die Regel sind, insbesondere nicht für jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen, kann einerseits an der relativ niedrigen Infektionssterblichkeit abgelesen werden, die laut einschlägigen Metastudien selbst in den Phasen mit der höchsten Mortalität zu Beginn der Corona-Krise im Bereich mittelschwerer Grippewellen lag, andererseits am hohen, über der allgemeinen Lebenserwartung liegenden Durchschnittsalter der mit COVID-19 assoziierten Sterbefälle.
Was wir in den Jahren 2020ff. erlebt haben und sich ins Bewusstsein vieler Menschen als „tödliche Pandemie“ eingebrannt hat, ist primär ein Artefakt eines fehlgeleiteten „Pandemie-Managements“ und der in dessen Rahmen eingesetzten Methoden zur Erfassung und Beurteilung der „pandemischen Lage“. Das vorherrschende Bild der „Pandemie“ beruht wesentlich auf der so besinnungslos betriebenen wie epidemiologisch fragwürdigen Praxis anlassloser Massentests, mit der eine Unmenge an „Krankheitsfällen“ regelrecht herbeigetestet wurde, unabhängig vom Vorliegen klinisch relevanter Krankheitssymptome. Dass die dafür verwendeten Testverfahren (ob nun PCR- oder Antigentests) gar nicht dafür geeignet sind, eine Infektion, geschweige denn eine Erkrankung nachzuweisen, und darüber hinaus bei massenhafter anlassloser Anwendung eine Unzahl falsch-positiver Testresultate produzieren (vgl. Illa 2021), vervollständigt den dubiosen Charakter jener Methodik, mit der die objektive Realität so zielsicher wie nachhaltig zugunsten einer apokalyptischen Killervirus-Parallelwelt aufgegeben wurde.[3]
Gipfel und zugleich Vehikel dieser methodischen (Selbst-)Täuschung war und ist die nicht anders als verrückt zu nennende Zählung von Todesfällen als „an und mit Corona verstorben“. Wie schon bei „Erkrankungen“ bildete auch bei „Todesfällen“ überwiegend und über lange Zeiträume hinweg das Vorliegen eines positiven Corona-Tests das maßgebliche Kriterium zur Definition als „Corona-Toter“, ungeachtet der tatsächlichen Todesursache oder für die Todesumstände relevanter bzw. kausaler Vorerkrankungen. Letztere fanden ihren Niederschlag in der Kategorie „mit Corona“, ohne dass dies jedoch für die Zählung als „Corona-Todesfall“ einen Unterschied machte. Bis heute herrscht weitgehende Unklarheit über das tatsächliche Verhältnis von „an“ und „mit Corona“ Verstorbenen, da in der klinischen Praxis nur in den seltensten Fällen und erst in der Spätphase der „Pandemie“ annähernd systematisch dazwischen unterschieden wurde, vollständige und korrekte Angaben in den meisten Fällen also schlicht nicht vorliegen.[4] Übertroffen wurde dergleichen nur noch durch manche mit der Zeit neu erfundene Kategorisierungen wie „Todesfälle im Zusammenhang mit Corona“ oder durch die Praxis der WHO, sogar Personen, die durch die Maßnahmen zur „Pandemiebekämpfung“ zu Tode gekommen sind – etwa aufgrund von Fehlbehandlung oder aufgrund einer ausbleibenden oder zu späten Behandlung von Krankheiten bzw. gesundheitlichen Notfällen infolge geschlossener oder zu Festungen mutierter Krankenhäuser –, ebenfalls unter „Pandemie-Tote“ zu verbuchen (faz.net, 5.5.2022). Den Rest erledigten methodisch nicht minder dubiose „Modellierungen“, die den auf diese Weise zustande gekommenen Datensalat (pseudo)mathematisch zu allen möglichen und unmöglichen Prognosen weiterverarbeiteten – Prognosen, deren ebenso regelmäßige wie vorhersehbare Blamage an der Realität niemals zum Anlass genommen wurde, das eigene methodische Instrumentarium einer kritischen Prüfung zu unterziehen, um damit vielleicht zu einer valideren Datengrundlage zu gelangen, sondern stets nur dafür, eine realitätsfremde Modellierung durch ein anderes, nicht selten noch realitätsfremderes Modell zu ersetzen.
Man kann die Kontraproduktivität und Verrücktheit dieses „Pandemie-Managements“ leicht anhand eines Gedankenexperiments ermessen. Man braucht sich nur vorzustellen, was geschehen würde, wenn auf eine der saisonal auftretenden Schnupfenwellen mit derselben methodischen Herangehensweise reagiert würde: Jeder durch anlasslose Massentests erzielte Nachweis eines genetischen Fragments des für den gemeinen Schnupfen verantwortlichen Rhinovirus ginge mit und ohne laufende Nase als „Krankheitsfall“ in die Statistik bzw. in die eiligst aufgezogenen und medial multiplizierten „Rhino-Dashboards“ ein, ebenso würde jeder Todesfall bei Vorliegen eines entsprechenden Testresultats als „Rhinovirus-Toter“ verbucht. Da Rhinoviren in der Regel einen erheblich größeren Anteil an den saisonalen Atemwegsviren und den davon verursachten Erkrankungen ausmachen als Coronaviren, ergäbe sich durch ein solches Vorgehen regelmäßig und mit Zwangsläufigkeit das Bild eines durch Rhinoviren ausgelösten Gesundheitsnotstands, der schon rein quantitativ die „Corona-Pandemie“ mit hoher Wahrscheinlichkeit übertreffen würde. Dieses Gedankenspiel ist schon deshalb nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, da Rhinoviren zwar – wie ja Corona auch – in den allermeisten Fällen schlicht eine banale Erkältung hervorrufen, für hochbetagte und vorerkrankte Menschen jedoch durchaus lebensbedrohend sein können (siehe hierzu etwa die Informationen der US-Seuchenschutzbehörde CDC zum Thema Rhinoviren).
Für die Geschehnisse im Rahmen der „Corona-Pandemie“ gibt es – jedenfalls in diesen Dimensionen – keinen Präzedenzfall, wohl aber eine etablierte fachwissenschaftliche Bezeichnung, ebenfalls nachlesbar in infektionsepidemiologischen Wörterbüchern: Der Fachbegriff dafür lautet „Scheinepidemie“ bzw. „Pseudoepidemie“ und bezeichnet eine „[s]tärkere Erfassung von Erkrankungsfällen im Vergleich zu vorherigen Perioden ohne Ablauf eines epidemischen Prozesses (z.B. durch eine erhöhte diagnostische Aktivität […])“ (RKI 2015, S. 34). Mit den Erfahrungen aus der Corona-Krise müsste diese Definition in Hinkunft freilich ergänzt werden um den Sachverhalt einer in Permanenz betriebenen, methodisch inkorrekten diagnostischen Aktivität, bei gleichzeitigem Unterlassen jedweder Differentialdiagnostik.
Man braucht dergleichen nicht einfach zu behaupten – es lässt sich relativ leicht belegen, weil es praktisch seit Beginn der Corona-Krise zahlreiches Datenmaterial und Studien gibt, die dem offiziellen „Pandemie-Narrativ“ fundamental widersprechen und deren methodische Grundlagen nicht schon von vornherein als dermaßen insuffizient erkennbar sind. Dazu zählen etwa (Meta-)Studien zur Infektions-sterblichkeit (z.B. Meyerowitz-Katz/Merone 2020; Ioannidis 2021a, 2021b; Pezzullo et al. 2022), Daten über Krankenbettenbelegungen (z.B. Busse/Nimptsch 2021; Statistik Austria 2022), Monitoringdaten bezüglich Atemwegserkrankungen (z.B. Buda et al. 2021) oder Daten zur (Über-)Sterblichkeit (dazu allgemein Ioannidis et al. 2023). Einiges davon wurde bereits, wie gesagt, in früheren Beiträgen erörtert, als es zunächst einmal darum ging, sich einen Reim auf das zunehmend befremdliche Geschehen zu machen (vgl. Urban/von Uhnrast 2022a) – es besteht daher kein Grund, das Material an dieser Stelle erneut zu referieren. Viele dieser Daten stammen gerade auch von solchen Institutionen, die ansonsten an vorderster Front am Aufbau des „Pandemie-Narrativs“ beteiligt waren, etwa vom RKI oder von nationalen Statistikämtern. Und sie finden sich auch in den erwähnten, nunmehr öffentlich zugänglichen RKI-Files, wo sie freilich oftmals unvermittelt neben den dazu in Widerspruch stehenden Zahlenaggregaten der Corona-Dashboards und den abenteuerlichen Pandemie-Modellrechnungen stehen und von den Mitgliedern des Krisenstabs allenfalls mit einem ratlosen Achselzucken quittiert werden. Den Schluss, die Widersprüche könnten womöglich durch die täglich herbeigetesteten Krankheits- und Todesfallzahlen und durch die Effekte der auf dieser Grundlage verabschiedeten „Maßnahmen“ zustande kommen, wollte im Krisenstab selbstredend niemand ziehen.[5]
Mag sein, dass sich die Situation nicht überall auf der Welt gleich darstellte und es in manchen Ländern und Regionen (zeitweilig) tatsächlich einen „Gesundheitsnotstand“ gab. Wenn dort dasselbe Virus gewütet haben soll wie hierzulande (und sofern die Zusammenhänge nicht ebenfalls durch eine katastrophale Corona-Statistik bis zur Unkenntlichkeit verzerrt sind[6]), müssen dafür jedoch (auch oder primär) andere Faktoren ausschlaggebend gewesen sein. Allein die disruptiven Maßnahmen zur „Pandemiebekämpfung“, an erster Stelle Lockdowns, waren allemal dazu angetan, massive Schäden auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen, auch an Leib und Leben, zu verursachen – und haben dies erwiesenermaßen auch. Welche Faktoren etwa in Italien, das speziell zu Beginn als ein besonders schwer von der „Pandemie“ getroffenes Land galt (und bis heute gilt), für den dort herrschenden Notstand (mit)verantwortlich gewesen sein könnten, war im März 2020 – bevor die Medien, nicht zuletzt befeuert durch die berühmt-berüchtigten „Bilder aus Bergamo“, endgültig in den Pandemiemodus umschalteten – sogar noch in der Süddeutschen Zeitung zu lesen: „Die Gründe sind in der Demografie, der Luftverschmutzung und Einsparungen im Gesundheitssystem des Landes zu suchen“ (sueddeutsche.de, 19.3.2020). Im selben Artikel ist auch zu erfahren, dass von insgesamt zu diesem Zeitpunkt in Italien gezählten 3.400 „Corona-Toten“ lediglich drei(!) ausschließlich „an“ einer Corona-Erkrankung verstorben waren. Der Rest hatte unter mindestens einer schweren Vorerkrankung gelitten. Das Durchschnittsalter der Todesfälle lag bei 79,5 Jahren, nur fünf Menschen unter 40 Jahren befanden sich unter den Toten, alle von ihnen mit schweren Vorerkrankungen. Dass in Italien außerdem gravierende Fehler im Krisenmanagement begangen wurden – z.B. durch Verlegung von Corona-Patienten mit milden Symptomen in Pflegeheime oder durch systematische Fehlbehandlung von Erkrankten – wurde erst später bekannt (vgl. tagesschau.de, 28.5.2020; focus.de, 23.12.2020; spiegel.de, 22.3.2021), gehört aber ebenfalls zu den Faktoren, die für den zeitweiligen (und im Übrigen regional begrenzten) Notstand zu berücksichtigen sind.
Bliebe noch Long Covid. Es steht selbstverständlich nicht infrage, dass eine Corona-Erkrankung, wie andere Atemwegserkrankungen auch (z.B. Influenza[7]), Langzeitbeschwerden verursachen kann, insbesondere nach schweren Krankheitsverläufen oder gar einer Intensivbehandlung mit invasiver Beatmung. Welche, über Langzeitschäden anderer Ursache hinausgehende, Bedeutung das als Long Covid bezeichnete Krankheitsbild epidemiologisch wie gesellschaftlich tatsächlich hat, ist aber schon deshalb schwer einzuschätzen, da darunter eine Unzahl ganz verschiedener und unspezifischer Symptome subsumiert wird, deren ursächlicher Zusammenhang mit einer Corona-Erkrankung mitunter fraglich, zum Teil auch unwahrscheinlich ist. Zeitweilig waren es sage und schreibe über 200 verschiedene Symptome, die unter dem Label „Long Covid“ zusammengefasst waren (aerztezeitung.de, 16.7.2021). Es gibt vermutlich nicht viele medizinische Diagnosen, die ähnlich unspezifisch, um nicht zu sagen: unwissenschaftlich und unseriös sind wie jenes Long Covid – übertroffen vielleicht nur noch durch ADHS, das vor allem als Etikett dient, um „verhaltensauffällige“, u.a. durch permanente mediale Reizüberflutung konzentrationsunfähig und hyperaktiv gemachte Kinder zu pathologisieren und einer medikamentösen Behandlung zuzuführen (zu ADHS als „Kulturpathologie“ vgl. Türcke 2012).[8] Wie viele Menschen tatsächlich unter Langzeitbeschwerden nach einer Corona-Erkrankung leiden, ist aber nicht nur deswegen schwer zu bestimmen, weil schon die Diagnose so unspezifisch ist, sondern auch, weil die einschlägigen
wissenschaftlichen Studien zu Long Covid durchweg methodisch mangelhaft sind (es gibt vor allem kaum Studien mit Vergleichsgruppen)[9] und weil darüber hinaus die Long-Covid-Diagnose beharrlich und offensiv mit Impfschadensbildern, etwa im Zusammenhang mit dem sogenannten Post-Vac-Syndrom, vermengt wird. Mit Sicherheit als Humbug zu bezeichnen ist die oft (auch von der WHO) kolportierte, wohl ebenfalls auf den üblichen Modellrechnungen beruhende Long-Covid-Rate von 10-20 Prozent aller Corona-Infektionen (who.int, 28.3.2023) – wäre dies zutreffend, müsste jeder von uns statistisch mehrere Personen im Bekanntenkreis haben, die unter Long Covid leiden.
Vielleicht wird sich eines Tages herausstellen, dass die Häufigkeit von Langzeitbeschwerden nach COVID-19-Erkrankungen tatsächlich höher ist als bei anderen Atemwegserkrankungen. In dem Fall wäre manches des hier Gesagten zu relativieren. Am allgemeinen Befund werden solche möglicherweise irgendwann erforderlichen Relativierungen aber mit Sicherheit nichts mehr ändern: Mit einer „tödlichen Pandemie“, wie sie über Jahre hinweg gezeichnet wurde und als die sie in Teilen der Gesellschaft bis heute gilt, hatte Corona nichts zu tun. Hierbei handelte es sich in erster Linie um eine Pseudo- bzw. „Testpandemie“.
2. Weder Zoonose- noch Labortheorie
Wenn man zu dem Schluss kommt, dass die „Corona-Pandemie“ keine Pandemie war, hat das auch Konsequenzen im Hinblick auf Fragen nach der Herkunft des „neuartigen“ Coronavirus. Hierzu existieren bekanntlich zwei verschiedene, miteinander konkurrierende Theorien: Die vorherrschende, im „Corona-Mainstream“ als Konsens geltende Theorie geht davon aus, dass SARS-CoV-2 das Produkt einer Zoonose ist, indem es von Wildtieren, mutmaßlich Fledermäusen, über ein Zwischenwirtstier auf den Menschen übergesprungen ist und so die „Pandemie“ ausgelöst hat. Als Ursprungsort wird ein Wildtiermarkt in Wuhan vermutet, jener chinesischen Stadt, in der die ersten COVID-19-Fälle aufgetreten sein sollen (vgl. Andersen et al. 2020; Shah 2020; Crits-Christoph et al. 2024). Die andere, ebenfalls bereits sehr früh zirkulierende Theorie besagt hingegen, dass die „Pandemie“ durch einen Unfall bzw. ein Leck in einem biomedizinischen Labor verursacht wurde und somit nicht auf ein natürliches, durch Mutation oder Zoonose entstandenes, sondern künstlich erzeugtes Virus zurückgeht. Als Ursprungsort gilt (jedenfalls in der am weitesten verbreiteten Version der Labortheorie) ebenfalls Wuhan bzw. ein dort ansässiges Biolabor, das erwiesenermaßen, unter US-amerikanischer Beteiligung, Forschung an Coronaviren durchführte, insbesondere auch sogenannte Gain-of-Function-Forschung, die darauf abzielt, Viren für Menschen infektiöser und/oder pathogener zu machen. In der Tat verdichteten sich im Laufe der Zeit die Hinweise, dass es sich bei SARS-CoV-2 um ein „künstliches“ Virus handeln könnte und die Labortheorie nicht bloß eine „Verschwörungstheorie“ ist, als die sie umgehend gelabelt wurde, sondern eine durchaus valide Alternative darstellen könnte.[10]
Auch wir haben diese Theorien in unseren Thesen zur Corona-Krise berücksichtigt (und dabei auch die sich zunehmend verdichtenden Indizien, die eher für ein künstlich hergestelltes Virus sprechen könnten, zur Kenntnis genommen). Aus einer krisentheoretischen Perspektive haben wir beide Möglichkeiten unter dem Gesichtspunkt einer zunehmend (auto)destruktive Effekte zeitigenden modernen Naturbeherrschungsrationalität betrachtet (vgl. Urban/von Uhnrast 2022b, S. 22). Die aus Sicht der Zoonose-Theorie favorisierte Herkunft von SARS-CoV-2 aus einem Überspringen vom Tier auf den Menschen ließe sich aus dieser Perspektive auf das stetig zunehmende ökologische Destruktivpotential des Kapitalismus (ökologischer Raubbau, Agrarindustrie, Massentierhaltung, Verstädterung etc.) zurückführen, wodurch der Lebensraum vieler Tiere vernichtet oder zumindest stark eingeengt wird, was wiederum Zoonosen und damit auch den Ausbruch neuer Epidemien bzw. Pandemien begünstigen könnte. Auch (und gerade) in anderen wert-abspaltungskritischen Kontexten wird diese krisentheoretische Erklärung bevorzugt und gilt seither sozusagen, neben dem Klimawandel, als ein weiterer empirischer Beleg dafür, dass der Kapitalismus nicht nur an seine inneren, sondern auch an seine äußeren Schranken stoße, indem er seine eigenen ökologischen Existenzgrundlagen in zunehmendem Maße zerstört (ausdrücklich z.B. in Pitta/Silva 2023).
Als Ausdruck einer überbordenden und potentiell selbstzerstörerische Ausmaße annehmenden kapitalistischen Naturbeherrschungslogik ist aber auch die immer neue Grenzen überschreitende „Zauberlehrlingsforschung“ an Viren und anderen Krankheitserregern aufzufassen – sei diese medizinisch begründet, etwa mit dem Ziel einer Verhinderung künftiger „Pandemien“ und/oder mit der Entwicklung neuer Impfstoffe, sei diese (was zumeist nicht feinsäuberlich davon zu trennen ist) im Kontext der Biowaffenforschung verortet. Corona wäre aus dieser Perspektive – wenn sich die These vom Laborursprung von SARS-CoV-2 bestätigen sollte – gewissermaßen „das Tschernobyl oder Hiroshima der Gentechik“ (Urban 2023, S. 24) und zusammen mit der ebenfalls auf Gentechnologie beruhenden Corona-Impfung gleichsam „ein neuer Höhepunkt in der Dialektik der Aufklärung“: „Eine Pandemie, die durch ein von Menschenhand erzeugtes, genetisch manipuliertes Coronavirus ausgelöst wurde und nun mithilfe derselben Gentechnologie, in Gestalt genetischer Impfstoffe, bekämpft und besiegt werden soll […]“ (Urban/von Uhnrast 2022b, S. 22).
Beide Theorien – die Zoonose- wie die Labortheorie sowie ihre jeweiligen krisentheoretischen Kontextualisierungen – verlieren allerdings an Substanz und Erklärungskraft, wenn man zu der begründeten Einsicht gelangt, dass es sich bei Corona gar nicht um eine Pandemie, sondern lediglich um eine „Pseudopandemie“ gehandelt habe. Wenn Corona keine Pandemie war, wird sowohl der Erklärungsansatz einer durch fortschreitende ökologische Zerstörung verursachten globalen Seuche als auch die These einer durch ein gentechnisch verändertes Virus ausgelösten Pandemie obsolet oder rückt zumindest deutlich in den Hintergrund.
Damit ist freilich nicht gesagt, dass die Inhalte dieser Erklärungsansätze dadurch per se gegenstandslos werden. Der Tatbestand der fortschreitenden ökologischen Zerstörung wird damit ja mitnichten infrage gestellt, ebenso wenig die Möglichkeit dadurch begünstigter Pandemien; wenngleich es wohl gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der jüngsten „Corona-Pandemie“ geboten erscheint, die Wahrscheinlichkeit tödlicher Pandemien und die unmittelbar davon ausgehenden Gefahren – entgegen den allenthalben unternommenen Versuchen, bereits die nächste „Pandemie“ auszurufen (Vogelgrippe, „Affenpocken“; vgl. kurier.at, 1.7.2024; faz.net, 14.8.2024) – zu relativieren. Nicht erst Corona erwies sich bei genauerer Betrachtung als eine (mit Blick auf die Gesamtbevölkerung) mäßig gefährliche Infektionskrankheit bzw. wurde zu einer „gefährlichen Pandemie“ erst durch die hinlänglich bekannten, auf dubiosen Methoden beruhenden Systeme der Pandemie-Erkennung und -Bekämpfung. Auch andere, mit einigem propagandistischen Aufwand an die Wand gemalte und mit einem drohenden Massensterben assoziierte „Pandemien“ der jüngeren Vergangenheit – SARS, Vogelgrippe, Schweinegrippe – verliefen allesamt im Sande und stellten sich letztlich als blinder Alarm heraus. So manche als besonders bedrohlich dargestellte Seuche ist zum Teil sogar längst in Vergessenheit geraten, wie etwa BSE.
Vielleicht sollten aus krisentheoretischer Perspektive unter dem Gesichtspunkt möglicher zukünftiger Epidemien eher andere Gefahrenpotentiale im Fokus stehen als die bislang sehr theoretische und empirisch wenig erhärtete Gefahr durch neue Viren und dadurch ausgelöste Pandemien. Im Hinblick auf die fundamentale Kapitalismuskrise und die damit einhergehenden, mit weiterem gesellschaftlichem Zerfall zu erwartenden Verelendungsprozesse geht eine weitaus realere Gefahr womöglich weniger von „neuen“ als vielmehr von altbekannten Seuchen aus – Seuchen, die heute in unseren Breiten kaum noch eine Rolle spielen, aber den Kapitalismus in seiner Früh- und Durchsetzungsphase sowie in Krisen- und Kriegszeiten (etwa während der Great Depression der 1930er Jahre oder der Weltkriege I und II) bis hinein ins 20. Jahrhundert begleiteten und auch in der Gegenwart noch überall dort auf der Welt auftreten, wo die allgemeinen Lebensbedingungen (Hygiene, Ernährungslage, Wohnverhältnisse etc.) sehr schlecht sind: Cholera, Ruhr, Typhus, Tuberkulose, unter Umständen auch Pest. Auch manche Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps, Diphtherie, Keuchhusten oder Scharlach, die ihren Schrecken keineswegs durch die „Segnungen“ der modernen Medizin (insbesondere Impfungen), sondern primär durch die im Laufe des 20. Jahrhunderts erfolgende signifikante Verbesserung der „Lebensstandards“ und einen entsprechend besseren gesundheitlichen Allgemeinzustand der Menschen verloren (vgl. McKeown 1982), könnten mit Fortgang der Krise wieder erheblich an Bedeutung gewinnen. Es ist also durchaus denkbar, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass es nicht so sehr „neue Pandemien“ sind, die uns in Hinkunft zu schaffen machen werden, sondern die alten, mit einer vermeintlich weit zurück liegenden Vergangenheit assoziierten Krankheiten und Seuchen der Armen und Verelendeten.
Auch eine Kritik an Gain-of-Function-Forschung und anderen Formen des gentechnischen Herumdokterns an Viren und sonstigen Krankheitserregern würde nichts von ihrer Berechtigung und Relevanz verlieren, bloß weil Corona aufgrund seiner geringen Pathogenität ein wenig taugliches Beispiel für die davon ausgehenden Gefahren darstellt. Dass Corona insgesamt und auf die Gesamtbevölkerung bezogen ein wenig gefährliches Virus war, beweist nicht (unter der Voraussetzung, dass es tatsächlich aus einem Labor stammt), dass diese Art der Forschung unproblematisch ist und ein abermaliger Laborunfall (oder ein Biowaffenangriff) ebenso glimpflich ablaufen würde. Vielleicht wäre aber auch hier das eine oder andere zu relativieren oder zumindest mit einer gewissen Nüchternheit zu betrachten. Gerade im Feld der Biomedizin und der Gentechnologie toben sich wie kaum woanders moderne Hybris und Allmachtsphantasien von nahezu unbegrenzten menschlichen Eingriffsmöglichkeiten in natürliche Prozesse aus. Darin besteht einerseits die Gefährlichkeit jener „Zauberlehrlinge“, die über weite Strecken ihren Gegenstand und mögliche Konsequenzen ihres Tuns kaum hinreichend überblicken und daher mit ihren Experimenten – potentiell – Resultate mit katastrophalen, nicht-intendierten Effekten hervorbringen könnten. Andererseits bringt es die schwer bewältigbare Komplexität ihres Gegenstandes auch mit sich, dass sich bei weitem nicht alle Vorhaben und Ziele von Gentechnologen tatsächlich realisieren lassen dürften und sich einer beliebigen genetischen Manipulierbarkeit, z.B. von Krankheitserregern, wahrscheinlich (glücklicherweise) auch manche Hürden entgegenstellen.
Vielleicht ist ja gerade Corona das beste und aktuellste Beispiel dafür: Wenn SARS-CoV-2 wirklich das Produkt von Gain-of-Function-Forschung sein sollte, möglicherweise sogar im Kontext der Biowaffenforschung, dann wird man den „Erfolg“ der an Coronaviren vorgenommenen genetischen Manipulationen, gemessen an der Gefährlichkeit des Erregers (und sofern sich mittel- bis langfristig nicht noch aus den genetischen Veränderungen des Virus resultierende, derzeit nicht absehbare Spätfolgen ergeben), als eher bescheiden einstufen dürfen. Was Corona allerdings auch eindrucksvoll veranschaulicht hat, ist, dass selbst ein Erreger mit einer geringen Pathogenität wie der von SARS-CoV-2 ausreichend war, um global enorme Schäden zu verursachen – auch wenn dies freilich keine Leistung war, die primär dem Virus zuzuschreiben ist.
3. Naturbeherrschung als Farce: „Pandemic Preparedness“ als höchste Stufe des modernen Viruswahns
Relevanter für die gesellschaftstheoretische Erklärung der Corona-Krise und ihres konkreten Verlaufs ist jedoch ein anderer Aspekt der modernen Naturbeherrschungsrationalität: die in einem tief in die moderne Gesellschaft eingewachsenen Hygienismus angelegte Mikrobenphobie und die damit verbundene Wahnvorstellung, Krankheiten und Krankheitserreger ausrotten zu können bzw. zu müssen. Dieser Wahn ist nicht zuletzt mit der Entstehung der modernen Medizin im 18. und 19. Jahrhundert verbunden und lässt sich mindestens bis zum Wirken von medizinischen „Heroen“ wie Louis Pasteur (1822-1895) und Robert Koch (1843-1910) zurückverfolgen. (Dass das wichtigste deutsche Institut im Bereich der öffentlichen Gesundheitspflege den Namen Robert Kochs trägt, ist weder zufällig noch unpassend.) Pasteur gilt als Begründer der sogenannten Keimtheorie, die besagt, dass Krankheiten wesentlich durch Krankheitserreger verursacht werden. Abstrahiert wird in dieser geradezu bestechend schlichten „theoretischen“ Setzung von allen anderen potentiellen Faktoren für die Entstehung von Krankheiten, etwa dem gesundheitlichen Allgemeinzustand des Wirts, seinen Lebensverhältnissen oder dem Status seines Immunsystems. Es ist ebenso wenig ein Zufall, dass ein Zeitgenosse und Gegenspieler Pasteurs, der eine wesentlich komplexere Theorie verfocht und mit dem er sich etliche wissenschaftliche Kontroversen lieferte, einen bedeutend geringeren Bekanntheitsgrad genießt: Antoine Béchamp (1816-1908). Diesem wird der Satz zugeschrieben: „Die Mikrobe ist nichts, das Milieu ist alles!“ Der Krankheitserreger ist in diesem Verständnis von Krankheit nicht der einzige, sondern nur einer von vielen und dabei keineswegs der wichtigste Faktor für die Krankheitsentstehung, da es eben auch auf das „Milieu“ ankommt, das der Erreger zu besiedeln versucht, also darauf, ob der Erreger ideale Voraussetzungen dafür vorfindet, sich in seinem Wirt vermehren zu können.[11]
Dass sich die Keimtheorie mit ihrem eindimensionalen Krankheitsverständnis letztlich durchsetzte, hat in der Logik einer Medizin unter kapitalistischen Bedingungen, in der Gesundheit eine Ware und jedwede medizinische bzw. ärztliche Tätigkeit ein Geschäft darstellt, eine gewisse Folgerichtigkeit – setzt ein so beschaffener medizinischer Betrieb doch die Existenz einer von ärztlicher „Expertise“ und pharmazeutischen Produkten abhängigen Klientel voraus. Die so schlichte wie enorm erfolgreiche und vor allem profitable Logik der modernen Medizin, die in der Keimtheorie im Prinzip bereits angelegt ist, oder für die letztere jedenfalls eine besonders tragfähige Legitimationsgrundlage bietet, lautet daher seit gut 150 Jahren: Es gibt gefährliche Krankheitserreger, gegen die ihr euch nicht wehren könnt und die euch krank machen – wir haben für euch die therapeutischen und prophylaktischen Mittel, die ihr braucht, um gesund zu bleiben oder im Krankheitsfall wieder gesund zu werden. Wie und mit welch durchschlagendem Erfolg es der modernen Medizin gelungen ist, die Menschen ihrer Gesundheit zu „enteignen“ und zu abhängigen Konsumenten medizinischer Produkte und Dienstleistungen zu machen, davon handelt Ivan Illichs wegweisendes Werk Die Nemesis der Medizin (Illich 1977).[12] Illich spricht in diesem Zusammenhang von „sozialer Iatrogenesis“. In der Kritik an derart eindimensionalen und mechanistischen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit besteht im Übrigen auch das Wahrheitsmoment jeder oberflächlichen Schulmedizin-Kritik und von alternativmedizinischen, teils esoterischen Konzepten von „Ganzheitlichkeit“. Systemimmanent, d.h. unter kapitalistischen Prämissen, ist das Verhältnis der Alternativmedizin zur Schul- und Apparatemedizin jedoch nur das der berühmten anderen Seite derselben Medaille – erkennbar allein schon daran, dass die Alternativmedizin, nicht weniger als die Schulmedizin, die „Gesundheit“ zu einem Geschäft macht. Was man der Alternativmedizin immerhin zugutehalten kann, ist, dass ihre Mittel, über deren Wirksamkeit man geteilter Ansicht sein darf, allemal weniger Schaden anrichten als jene der Schulmedizin. Ärztliche Fehlbehandlung, Übermedikation und andere iatrogene Effekte stehen nicht zufällig an dritter Stelle der häufigsten Todesursachen (vgl. Gøtzsche 2021) und gehören zum ganz normalen, alltäglichen Betrieb der Schulmedizin und ihrer Pharmaindustrie.
Das „segensreiche“ Wirken der Medizin richtet sich aber keineswegs nur auf den Einzelnen, der dazu angehalten ist, unter medizinischer Anleitung an seiner oder ihrer Gesundheit zu arbeiten, sondern auch und vielleicht sogar vorrangig auf die Gesellschaft insgesamt. Überhaupt erfolgt die individuelle Arbeit an der Gesundheit gar nicht so sehr bzw. nur indirekt zum Wohle des Einzelnen, sondern vielmehr im gesellschaftlichen Interesse – sei es durch die Erhaltung von Arbeitskraft oder sei es einfach nur dadurch, dass der Einzelne dem Staat bzw. dem Gesundheitssystem nicht aufgrund von Krankheit (oder Alter) über Gebühr auf der Tasche liegt. Bereits Michel Foucault definierte die spezifische Rolle, die der modernen Medizin in der kapitalistischen Gesellschaft zukommt, in seiner Abhandlung über die Geburt der Klinik treffend als die einer „Lehrmeisterin für die physischen und moralischen Beziehungen zwischen dem Individuum und seiner Gesellschaft“ (Foucault 1973, S. 52). Die Funktion der Medizin ist somit nicht zuletzt eine biopolitische.
Hier kommt wiederum der Seuchenbekämpfung eine besondere Bedeutung zu – nicht nur aufgrund der bereits konstatierten, bis in die subkutanen Tiefenschichten bürgerlich-moderner Subjektivität eingewachsenen Mikrobenphobie, sondern auch vor dem historischen Hintergrund, dass die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft in ihrer Durchsetzungsphase, infolge der sozial katastrophalen Verhältnisse und der damit einhergehenden Verelendung breiter Bevölkerungsschichten, tatsächlich mit einiger Regelmäßigkeit von Seuchen heimgesucht wurde. (Es scheint naheliegend, dass der moderne Viruswahn zum Teil auch in diesen historischen Zusammenhängen begründet liegt.) Die sich in der Medizin austobende Naturbeherrschungsrationalität könnte nirgendwo deutlicher zum Ausdruck kommen als in den modernen Praktiken der Seuchenbekämpfung, die zugleich Extremform und Paradigma jenes allgemeinen, im Kern paranoiden modernen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit darstellen: Die Gesellschaft erscheint dabei selbst als ein Körper – sozusagen ein „Volkskörper“ –, der mit Zähnen und Klauen gegen (in der Regel unsichtbare) äußere Feinde zu verteidigen sei. Es wäre ein eigenständiges, den Rahmen dieses Beitrags sprengendes Unternehmen, die spezifische Rolle und Bedeutung von Impfungen innerhalb dieser Logik historisch zur würdigen (für eine instruktive Analyse der Geschichte von Impfungen unter biopolitischen Gesichtspunkten vgl. Thießen 2013). Das Resultat ist eine Gesellschaft, die sich permanent gesundheitlichen Bedrohungen gegenübersieht – von denen sie freilich die meisten durch ihre destruktive Funktionsweise selbst produziert (z.B. Suchtkrankheiten, chronische Atemwegserkrankungen, pathologische Fettleibigkeit, Diabetes, Depressionen, Burn-out, einige Formen von Krebs) – und gegen die sie im wahrsten Sinne des Wortes und mit entsprechend martialischer Rhetorik zu Felde zieht. Unmittelbar abgelesen werden kann dies an zahlreichen gesundheitspolitischen Initiativen, in denen ausdrücklich von „Krieg“ gesprochen wird – siehe etwa prominent den bereits in den 1970er Jahren ausgerufenen „Krieg gegen Krebs“ (war on cancer). Selbst dem Alter(n) hat die kapitalistische Gesellschaft mittlerweile den Krieg erklärt (dazu Stückler 2024, S. 237ff. sowie 315ff.).
Was sich während der Corona-Krise zugetragen hat, ist somit dem Prinzip nach keineswegs neu, sondern unmittelbar und schon seit langem in den Strukturen und der Logik einer durch und durch „medikalisierten“ Gesellschaft angelegt (vgl. Samerski 2023). In der „Pandemie“ kam diese aus der modernen Naturbeherrschungsrationalität geborene Logik lediglich vollends zu sich. Eindrucksvoll zu beobachten war dies nicht nur an der diskursiven Verknüpfung der „Pandemie“ und ihrer Bearbeitung mit einem Kriegszustand, was wiederum in einer organisatorischen und personellen Verschränkung mit dem militärischen Apparat Gestalt annahm (derstandard.at, 16.3.2020; aerzteblatt.de, 13.3.2020; tagesschau.de, 30.11.2021; derstandard.at, 19.12.2021). Sie zeigte sich auch in der Umstandslosigkeit und Beharrlichkeit, mit der sämtliche Prozesse der gesellschaftlichen Reproduktion dem so unrealistischen wie destruktiven Ziel der radikalen Viruseindämmung untergeordnet wurden, insbesondere auf dem Wege von Lockdowns und rigiden Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Selbst Maßnahmen, die im Pandemiefall – zumal bei einer derart eindeutigen Risikostratifikation – Priorität hätten haben sollen (etwa der gezielte Schutz von Alten als Hauptrisikogruppen), wurden systematisch zugunsten einer gesamtgesellschaftlich ausgerollten Eindämmungsstrategie vernachlässigt. Ihre groteske Extremform nahmen derartige Bestrebungen in Initiativen wie dem von Allmachtsvorstellungen regelrecht durchdrungenen und in seinen Formen und Inhalten offen autoritären Zero Covid an, das eine Zeitlang recht prominent mit Forderungen nach einer strikten, de facto globalen Quarantäne und einer vollständigen Ausrottung des Coronavirus in Erscheinung trat. Was an Zero Covid besonders beeindruckte, war die „Fähigkeit“ zur völligen Abstraktion von den absehbaren gesellschaftlichen Folgen und „Kollateralschäden“, die schon allein der Versuch der Umsetzung entsprechender Forderungen in die Praxis nach sich ziehen würde. Man kann der Kritik von René Bohnstingl und Kolleg/innen, die sie in ihrem (traditions)marxistisch grundierten Buch Corona als gesellschaftliches Verhältnis formulieren, nahezu uneingeschränkt zustimmen, wenn sie die Vorstellung, „eine organisch gewachsene Produktionsweise, zumal die kapitalistische, deren anarchischer Charakter sich ohnehin in permanenten Krisen und Katastrophen entlädt, könne von heute auf morgen kontrolliert heruntergefahren werden“, als „wahrlich kindlich und naiv“ bezeichnen und den Zero-Covid-Propagandisten eine „Komplexitätsleugnung“ bescheinigen, die „jede Verschwörungstheorie in den Schatten“ stellt (Bohnstingl et al. 2023, S. 281).
Demselben Muster folgte die globale Impfkampagne. Die Wahnhaftigkeit des von den Staaten, mit tatkräftiger Unterstützung der in diversen Corona-Krisenstäben versammelten wissenschaftlichen „Experten“, ins Werk gesetzten „Pandemie-Managements“ zeigte sich im Zusammenhang mit der Corona-Impfung nicht erst daran, dass dabei bevorzugt neuartige genetische Impfstoffe zum Einsatz kamen, die unter Umgehung aller sonst üblichen (und bereits im „Normalbetrieb“ eher zweifelhaften) Sicherheitsstandards in Windeseile auf den Markt geworfen wurden, über deren Wirksamkeit und Sicherheit daher kaum hinreichendes Wissen bestehen konnte und die darüber hinaus unter Anwendung von direktem und indirektem Zwang massenhaft verabreicht wurden. Die Verrücktheit der Impfkampagne konnte auch daran ermessen werden, dass damit (jedenfalls über eine lange Zeitspanne hinweg) ebenfalls das ganz und gar unrealistische Ziel einer Ausrottung des Virus verfolgt wurde – eines Atemwegsvirus, das nicht nur permanent mutiert und (sofern es sich dabei jemals um ein völlig „neuartiges“ Virus gehandelt haben sollte) längst dabei war, endemisch zu werden, sondern darüber hinaus durch eine intramuskulär verabreichte Impfung mangels steriler Immunität bereits von vornherein nicht an seiner Weiterverbreitung gehindert, somit auch nicht „ausgerottet“ werden kann (berliner-zeitung.de, 23.9.2024). Dass die Massenimpfungen trotz der sich bald zeigenden geringen Wirksamkeit und eines
dafür umso größeren, ebenfalls schon nach kurzer Zeit erkennbaren Schadenspotentials der verwendeten genetischen Impfstoffe[13] unbekümmert fortgesetzt und sogar noch intensiviert wurden, fügt sich harmonisch in das irrationale und wahnhafte Vorgehen, durch das sich bereits die destruktive Lockdown-Politik ausgezeichnet hatte.
Auch die im Kern faschistoide Logik des Gesellschafts- bzw. „Volkskörpers“ kam während der Corona-Krise eindrucksvoll und in ihrer ganzen Hässlichkeit zum Ausdruck. Sie war besonders an der Feindseligkeit und Aggression gegenüber Maßnahmenkritikern und, in noch gesteigerter Form, gegenüber „Ungeimpften“ ablesbar. Die Feindseligkeit ist dadurch erklärbar, dass aus der Perspektive des „Volkskörpers“, der gegen einen äußeren Feind – im konkreten Fall ein Virus – verteidigt werden muss, Kritik an den „Maßnahmen“ und Impfverweigerung einer (womöglich sogar mutwillig betriebenen) Schwächung der gesellschaftlichen Verteidigungslinien und damit ihrer Abwehrfähigkeit, sozusagen einer „Abwehrkraftzersetzung“, gleichkommt. Der Maßnahmenkritiker und Impfverweigerer ist somit ein Verräter am eigenen Gesellschaftskörper und daher selbst ein Feind. Wie im Krieg sieht sich die Gesellschaft auch im Fall einer Seuche nicht nur äußeren, sondern auch inneren Feinden gegenüber, die quasi an der „Heimatfront“ mit nicht geringerer Kraft und Vehemenz bekämpft werden müssen wie das Virus selbst. Während der „Pandemie“ reichte dies von der öffentlichen Denunziation und Zensur der „Coronaleugner“ und „Impfkritiker“ bis hin zum systematischen Ausschluss von „Ungeimpften“ aus dem sozialen Leben mittels digitaler Zertifikatsysteme, 1G/2G/3G-Maßnahmen u.ä.
All dies verdeutlicht, dass die Corona-Krise und insbesondere die dabei zum Einsatz gekommenen autoritären Maßnahmen nicht aus dem Nichts kamen, sondern schon lange und unmittelbar in der Naturbeherrschungslogik der kapitalistischen Moderne angelegt waren. Gleichwohl verweisen die Geschehnisse im Rahmen der Corona-Krise auch auf eine neue Qualität – vor allem, wenn man auch hier wieder berücksichtigt, dass es sich bei Corona nicht um eine Pandemie, sondern um eine „Pseudopandemie“ handelte, das autoritäre „Pandemie-Management“ sich also nicht auf eine reale, außerordentlich gefährliche Seuche und deren Bekämpfung richtete, sondern vielmehr auf ein mit einer realen Seuche verwechseltes Artefakt der eigenen Methoden und Technologien der Seuchenkontrolle und -bekämpfung. Man könnte sagen, dass der moderne Viruswahn mit Corona ein neues Niveau erklommen hat, auf dem die gesellschaftlichen Mittel der Naturbeherrschung gleichsam ein Eigenleben entwickelt haben und zunehmend dysfunktional und autodestruktiv werden, und auf dem die moderne Virenparanoia selbst mit zunehmender Wahrscheinlichkeit zur Ursache gesellschaftlicher Katastrophen wird.
Die Schlagworte im Kontext dieser auf selbstzerstörerische Höhen gekletterten Virenparanoia lauten „biosecurity” und „pandemic preparedness“. Biosecurity (dt.: Biosicherheit) bezeichnet laut Wikipedia jene (medizinische) Disziplin, „die sich mit der sicheren Handhabung und Eindämmung von infektiösen Mikroorganismen und gefährlichen biologischen (auch gentechnischen) Materialien beschäftigt“. Dazu zählen „Eindämmungsprinzipien, Technologien und Praktiken, die den Kontakt mit Pathogenen und Giften sowie deren Freisetzung verhindern sollen“ (Wikipedia, Schlagwort: Biosicherheit). Pandemic Preparedness ist gewissermaßen ein Spezialgebiet der Biosecurity und bezieht sich auf die Erkennung, Verhinderung und Bekämpfung von Pandemien. Die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC beschreibt das Prinzip der Pandemic Preparedness – am Beispiel der Influenza – wie folgt: „Die Vorbereitung auf eine Grippepandemie ist ein kontinuierlicher Prozess der Planung, Übung, Überarbeitung und Umsetzung von nationalen und subnationalen Bereitschafts- und Reaktionsplänen für eine Pandemie“ (ecdc.europa.eu, Übersetzung A.U.). In diesem de facto globalen, von nationalen und supranationalen Akteuren wie der WHO getragenen System zur Vorbereitung auf potentielle Pandemien[14] erreicht der moderne Viruswahn sein zeitgemäßes Niveau und – in Vermittlung mit dem heute erreichten Stand der Technologieentwicklung und der technischen Möglichkeiten zur Erfassung, Überwachung und Kontrolle potentieller Seuchenherde – seine so umfassende wie folgenreiche gesellschaftliche Institutionalisierung. In diesen Zusammenhang gehören etwa Methoden und Technologien zum permanenten Monitoring sowie zur genetischen Sequenzierung von Viren oder die im Rahmen der „Corona-Pandemie“ besinnungslos betriebene Praxis von Massentests mit hochsensitiven und entsprechend fehleranfälligen Testinstrumenten zum Nachweis von Infektionen. Seit Corona setzt man zunehmend auch auf ein sogenanntes Abwassermonitoring, bei dem im Abwasser nach Spuren bestimmter Viren, bevorzugt SARS-CoV-2, gesucht wird, um so auf die Virusverbreitung in der Bevölkerung zu schließen – eine Methode, mit der der Bezug zu jedwedem realen Infektions- und Krankheitsgeschehen noch konsequenter gekappt und damit der während der Corona-Krise betriebene, wissenschaftlich verbrämte Unfug auf die nächste Stufe gehoben wird.[15] Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zählt inzwischen zu den Methoden, mit denen der ganze Planet wie besessen nach bislang unbekannten Viren abgegrast wird (nature.com, 11.10.2024). Zur Pandemic Preparedness gehört aber auch die im vorigen Abschnitt bereits erwähnte Gain-of Function-Forschung an „hochpathogenen“ Viren, auch wenn diese für gewöhnlich nicht als solche benannt wird, sondern als „Grundlagenforschung“ im Interesse einer Verbesserung der „Fähigkeiten zur Bekämpfung von Epidemien und Pandemien“, vor allem auf dem Wege der „schnellen Entwicklung von Impfstoffen und antiviralen Wirkstoffen“, verniedlicht wird (n-tv.de, 13.10.2024).
Auch die sogenannten Pandemie-Planspiele, die während der Corona-Krise unter Kritikern einige Aufmerksamkeit erlangten (so etwa das im Vorfeld der Corona-Krise im Herbst 2019 in New York abgehaltene Planspiel Event 201, in dem eine Coronavirus-Pandemie simuliert wurde), sowie die forcierten Bemühungen um einen globalen „Pandemieplan“, der Behörden wie der WHO im Interesse eines in Zukunft noch „effektiveren“ Pandemie-Managements mehr Befugnisse einräumen soll, sind im Kontext der Pandemic Preparedness und des dahinter stehenden, aus der modernen Naturbeherrschungsrationalität geborenen Wahns zu sehen, Krankheitserreger mit allen Mitteln aufspüren und bekämpfen zu müssen. Dass sich dies keineswegs mehr nur auf natürlich vorkommende, z.B. durch Mutation oder Zoonose entstandene Viren beschränkt, sondern zunehmend auch solche Erreger umfasst, die durch die Virus- und Impfstoffforschung oder gar im Rahmen der Biowaffenforschung[16] künstlich erzeugt wurden, also aus derselben blinden, destruktiven Logik der Naturbeherrschung hervorgegangen sind, verdeutlicht nur das Ausmaß an Irrationalität und Hybris, das der Pandemic Preparedness von vornherein inhärent ist.
Gerade auch die in diesem Zusammenhang durchgeführten Planspiele zeugen, wie ich bereits an anderer Stelle betont habe, von einer nur mit „paranoid“ hinreichend bezeichneten Disposition ihrer Macher, „und allein die mit der Zeit technisch immer ausgefeilteren und auf immer noch mehr ‚Realismus’ getrimmten Szenarios (z.B. wird durch extra produzierte Fernsehansagen […] auch die mediale Berichterstattung simuliert) hinterlassen beim kritischen Beobachter zuweilen den Eindruck, man befinde sich im Wohnzimmer jugendlicher Gaming-Nerds, die angesichts der grafisch hochentwickelten und mittlerweile entsprechend realistisch wirkenden Computerwelt, in der sie leben, bekanntlich manchmal Probleme haben, adäquat zwischen ihrer virtuellen und der sie umgebenden objektiven Realität zu unterscheiden. Hier ist also dieselbe postmoderne Virtualisierung am Werke, und es spricht wenig dafür, dass diese bei den Eliten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien weniger verheerende Auswirkungen auf Realitätssinn und Weltbezug entfaltet als beim Rest der Bevölkerung.“ (Urban 2022b, S. 10)
Unter dem Gesichtspunkt einer selbstzerstörerische Züge annehmenden Naturbeherrschungsrationalität ist die Corona-Krise also – angesichts der Abwesenheit einer „tödlichen Pandemie“ – weder als Ergebnis einer durch ökologische Zerstörung begünstigten Zoonose, noch als Produkt einer wahnwitzigen, durch „Fortschritte“ im Bereich der Gentechnologie möglich gewordenen Gain-of-Function-Forschung an Viren und anderen Krankheitserregern adäquat erfasst und beschrieben. Vielmehr – und relativ unabhängig davon – ist sie das Resultat einer durch und durch medikalisierten und von Krankheitserregern sowie deren Bekämpfung regelrecht besessenen Gesellschaft, die ein Opfer ihrer eigenen Naturbeherrschungslogik und den aus dieser Logik geborenen Denkformen, Praktiken und Technologien geworden ist.
Die überbordende Naturbeherrschungsrationalität, die zu jener historisch beispiellosen Katastrophe geführt hat, ist freilich vermittelt mit zahlreichen anderen Erscheinungen und Tendenzen im Kontext der fundamentalen Kapitalismuskrise und damit einhergehenden Erosionserscheinungen der bürgerlichen Gesellschaft. Eine Farce wie die „Corona-Pandemie“ ist kaum hinreichend erklärbar ohne weitere, zu dem auf immer neue (technologische) Niveaus gehobenen modernen Viruswahn quasi hinzutretende Faktoren, so etwa die bereits angedeutete postmoderne Virtualisierung mit ihren zersetzenden Effekten auf die intellektuellen Kapazitäten und die durch sie bewirkte weitgehende Abkoppelung von der Realität. Auch die nervliche Zerrüttung der krisengebeutelten spätkapitalistischen Gesellschaft und ein bereits seit geraumer Zeit aufgebautes, nicht zuletzt durch den medialen Apparat multipliziertes Klima der Angst haben das ihre dazu beigetragen, dass ein grippeähnliches Atemwegsvirus mit einem tödlichen „Killervirus“ verwechselt werden konnte, das es mit allen aufzubietenden Mitteln und ungeachtet aller dabei anfallenden Kollateralschäden zu bekämpfen und zu besiegen galt.
4. Wissenschaft als Legitimationsideologie: Das Elend der Corona-Krisenstäbe
Ein Aspekt, über den vor allem die nunmehr offen zugänglichen RKI-Files eindrücklich Auskunft geben, ist die Rolle der Wissenschaft während der Corona-Krise, insbesondere mit Blick auf ihre Funktion als Legitimationsbeschaffungsmaschine für das staatliche Maßnahmenregime. Auch daran ist per se wenig Neues; ihre Legitimationsfunktion gehört gewissermaßen zur Grundausstattung, ja zum Wesen moderner Wissenschaft, entfernt vergleichbar der Rolle und Bedeutung, die in vormodernen Gesellschaften der Religion zukam. Eine der gesellschaftlichen Hauptfunktionen der Wissenschaft ist mithin eine ideologische. Bereits Max Horkheimer bezeichnete beispielsweise die Soziologie treffend als eine „Bande von Ideologen, welche die Aufgabe erfüllen, das Denken der Menschen über gesellschaftliche Dinge auf Gegenstände abzulenken, die ungefährlich sind” (Horkheimer 1988, S. 241). Diese ideologische Funktion moderner Wissenschaft steht noch vor ihrer (ebenfalls von Anfang an gegebenen) Verflechtung mit „der Wirtschaft“ bzw. der Industrie und der ihr im Kapitalismus zugeschriebenen Rolle als „Produktivkraft“ und Garantin des technologischen „Fortschritts“.
Gleichwohl gibt es auch hier durchaus qualitative Verschiebungen, die zum Teil in der fundamentalen Krise der kapitalistischen Gesellschaft und damit zusammenhängenden institutionellen Erosionserscheinungen begründet sind. Einige Aspekte in diesem Kontext haben wir bereits an anderer Stelle angesprochen (vgl. Urban/von Uhnrast 2022b, S. 17ff.): Hier ist der in einer Zeit der in unzählige Spezialdisziplinen zergliederten Hochleistungs-Detailforschung beinahe schon ubiquitär auftretende Fachidiotismus ebenso zu nennen, wie die u.a. durch postmodernes Denken auch innerhalb des Wissenschaftsbetriebs weitgehend verkümmerten intellektuellen Kapazitäten und methodischen Fertigkeiten – eine Tendenz, von der ja gerade die zu einer „Jahrhundertseuche“ hochgerechnete und -modellierte „Pseudopandemie“ ein mehr als beredtes Zeugnis ablegt. Als eine Verfallsform des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebs ist dergleichen schon deshalb zu werten, da dies auf eine weitgehende Erosion zentraler wissenschaftlicher Standards des Positivismus – traditionell das leitende erkenntnistheoretische Prinzip moderner Wissenschaft und nicht von ungefähr ein wesentlicher Angriffspunkt der Kritischen Theorie (vgl. hierzu wegweisend Horkheimer 1937; ebenso die durch Adorno vertretene Position im sogenannten Positivismusstreit, vgl. Adorno 2003/1969) – hindeutet. Mittlerweile scheint sogar schon die im Verhältnis von bürgerlicher Gesellschaft und moderner Wissenschaft seit jeher angelegte, als „Szientismus“ zu bezeichnende Wissenschaftsidolatrie zu ihrer eigenen Parodie verkommen zu sein – hatte dieser „Wissenschaftsglaube“ doch immerhin einmal die Form einer Vergötzung wissenschaftlicher Methodik und der durch sie hervorgebrachten „Fakten“. In der heutigen Ära der „Postfaktizität“ (welche die Szientisten freilich bevorzugt sogenannten „Wissenschaftsleugnern“ attestieren) besteht der Szientismus hingegen nur noch im um methodische Standards völlig unbekümmerten, dafür umso autoritärer vorgetragenen Dekret, „der Wissenschaft“ bedingungslos zu „vertrauen“ („Follow the Science!“).[17]
Dem entspricht schließlich auch ein parallel dazu verlaufender Verfall wissenschaftlicher „Expertise“, wie sie im Corona-Kontext vor allem in den notorischen „Experten“-Gremien und „Corona-Taskforces“ versammelt wurde. Diese zeichneten sich nicht nur dadurch aus, dass bereits mit ihrer konkreten Zusammensetzung das Problem – hier: „die Pandemie“ – auf primär virologische und quantifizierbare Aspekte reduziert und die „Expertise“ interessengeleitet und stromlinienförmig auf eine dem „Pandemienarrativ“ entsprechende Sicht verengt wurde, sondern dass dafür auch fast ausschließlich solche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ausgewählt wurden (und sich zur Verfügung stellten), die über ein entsprechendes, „zeitgemäßes“ Wissenschaftsverständnis verfügen. Alternative oder kritische Perspektiven auf das staatliche „Pandemie-Management“ wurden dadurch, wenn nicht systematisch ausgeschlossen, so doch zumindest weitgehend marginalisiert bzw. neutralisiert.
Beispielhaft und gewissermaßen symptomatisch dafür steht der Corona-Krisenstab des deutschen Robert Koch-Instituts, in dessen Arbeitsweise nun die geleakten RKI-Files so manchen instruktiven Einblick geben. Die Auseinandersetzung mit diesen Protokollen ist ob ihres Umfangs mühsam und zeitaufwendig, aber lohnend gerade unter dem angesprochenen Gesichtspunkt bzw. als schriftliches Zeugnis der Legitimationsfunktion von Wissenschaft unter Bedingungen ihrer eigenen fortschreitenden Erosion. Die bislang, soweit ich sehe, umfassendste (und dank der feinen Klinge des Autors immer wieder auch zum Schmunzeln anregende) Aufarbeitung der RKI-Protokolle findet sich auf der Website kodoroc.de. Den aus der intensiven Beschäftigung damit gezogenen Schlussfolgerungen gibt es m.E. wenig hinzuzufügen, weshalb es ausreichend erscheint, sich auf eine grobe Zusammenfassung und einige Zitate aus dem entsprechenden Beitrag zu beschränken („RKI-Protokolle, After-Leak (34, Ende und Fazit)“, kodoroc.de, 24.8.2024).[18]
Was bei einer Auseinandersetzung mit den Protokollen zunächst auffällt, ist, dass es in der Anfangsphase der „Pandemie“ im RKI-Krisenstab durchaus noch manche kritische Stimmen gab. Dies betraf die zu Beginn sehr dürftige Datenlage ebenso wie manche methodische Fragwürdigkeit bei der Zählung von Corona-Fällen und das bis Frühjahr 2020 unter seriösen Wissenschaftlern praktisch konsensfähige zweifelhafte Nutzen-Schaden-Verhältnis extremer Maßnahmen wie Lockdowns. Zwar machte sich der Krisenstab „vollständig die offizielle Herleitung einer Pandemie über PCR-Tests und daraus resultierende ‚Inzidenzen‘ zu eigen“, dennoch gab es stets „Positionen, die den konkreten ‚Maßnahmen‘ widersprachen“. Die kritischen Stimmen wurden aber „zunehmend leiser“, und zwar in dem Maße, wie die dem Krisenstab zugedachte Rolle als wissenschaftliche Begleitmusik für beliebige, von der Politik erlassene „Maßnahmen“ für die „Experten“ zunehmend transparent und von den meisten auch widerstandslos akzeptiert wurde.
Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Führungsriege des RKI, die „[n]ahezu unberührt von den Erörterungen im Krisenstab […] öffentlich eine Politik der Dramatisierung und der bedingungslosen Unterstützung aller staatlichen ‚Maßnahmen‘ [verfolgte]. Nicht selten erwies sich insbesondere Lothar Wieler [der damalige Präsident des RKI, A.U.] als Scharfmacher, der Bedenken des eigenen Hauses mit Füßen trat.“ Dass es sich beim RKI um eine dem Gesundheitsministerium direkt unterstellte, weisungsgebundene Behörde handelt, ist möglicherweise nur ein rechtliches Detail, das nicht automatisch auf die Qualität der Arbeit der Behörde Einfluss haben muss. Es entspricht allerdings exakt dem Bild, das der Corona-Krisenstab des RKI hinterlässt, zumal die Protokolle an verschiedenen Stellen unmittelbare politische Einflussnahmen aus dem Gesundheitsministerium dokumentieren.
Dass das RKI widersprechende Positionen und sogar wissenschaftliche Evidenz aus dem eigenen Haus systematisch ignorierte, ist im Übrigen auch ein Hinweis darauf, dass auf den unteren und mittleren Ebenen der Hierarchie, unbeeindruckt von den öffentlichen Verlautbarungen der Politik und der RKI-Führung, Dienst nach Vorschrift gemacht und wie gewohnt der Arbeit nachgegangen wurde. Einige der bereits erwähnten Widersprüche zwischen der offiziellen, nach außen hin etwa bei Pressekonferenzen vertretenen Position des RKI und aus dem RKI selbst stammenden Veröffentlichungen und Datenmaterialien kommen dadurch zustande. Ein Beispiel dafür ist das am RKI angesiedelte „Grippemonitoring“ der „Arbeitsgemeinschaft Influenza“, das Atemwegserkrankungen (inkl. COVID-19) sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich erfasst, und in dessen regelmäßig erscheinenden Berichten man die „Pandemie“ vergeblich sucht. Im Bericht der Kalenderwoche 10/2021, also vom Ende des ersten Corona-Winters, ist etwa zu lesen: „Die ARE-Rate [ARE = akute respiratorische Erkrankung, A.U.] liegt weiterhin unter den Werten der Vorsaisons auf einem extrem niedrigen Niveau.“ (Buda et al. 2021, S. 1). Mit anderen Worten: Die epidemiologische Lage mit Blick auf Atemwegserkrankungen war im Winter 2020/21 den Daten des RKI zufolge so entspannt wie selten zuvor.[19] Zwar fanden diese Berichte Eingang in den Krisenstab, diskutiert oder gar zum Anlass genommen für eine kritische Prüfung des offiziellen Zahlenwerks und der darauf begründeten „Maßnahmen“ wurden die sich daraus ergebenden Widersprüche zum offiziellen „Pandemienarrativ“ jedoch nie. Dem entsprach generell die Arbeitsweise des Krisenstabs, die im kodoroc-Beitrag wie folgt beschrieben wird:
„Die Arbeit des Krisenstabs war von einer wohlüberlegten Regie geprägt. Den Auftakt jeder Sitzung bildete die ‚Aktuelle Lage‘ […]. Die dort gezeigten Folien fokussierten sich auf Trends, die irgendwo auf der Welt immer stiegen. Sinkende Tendenzen, wenn sie überhaupt dargestellt wurden, waren stets mit Vorbehalten versehen. Gegen die visuelle Überwältigung hatten die Berichte aus dem realen Leben in Krankenhäusern und Praxen in späteren TOPs [Tagesordnungspunkten, A.U.] keine Chance.“
Eine wissenschaftliche Debatte kam schon deshalb kaum zustande, da seit Ende März 2020 die Sitzungen ausschließlich online als Videokonferenzen stattfanden. Der weitgehende Verzicht auf eine wissenschaftliche Diskussion wird auch „an der überaus schlampigen Protokollführung erkennbar. Es gab keine Korrektur und Genehmigung der Protokolle, wie sie bei den anderen Gremien der Coronapolitik durchaus gängig war. Auch das ermöglichte es [der RKI-Führung], auf zahlreichen Pressekonferenzen anderes zu vertreten, als im Krisenstab diskutiert wurde.“
Im Laufe der Zeit und im Zuge dieser Entwicklungen „zeigte sich ein erschreckendes zunehmendes Auseinanderfallen von präsentierten Daten und deren Verbalisierung in den Protokollen. Eindeutig sinkende Tendenzen bei Hospitalisierung und Todesraten wurden im Text in ihr Gegenteil verkehrt oder, entgegen der tatsächlichen Entwicklung, als temporär oder mit ausbleibenden Meldungen zu erklären bezeichnet.“ Geradezu „fatale Folgen“ hatte der notorische Hang zu Modellierungen:
„Sämtliche Faktoren wie ‚Inzidenzen‘, ‚R‑Werte‘, selbst die Belegung auf den Intensivstationen und die ‚Impfquoten‘ dort und woanders beruhten auf fragwürdigen Modellen noch fragwürdigerer Modelliergruppen. Es wurde geschätzt und ‚imputiert‘, ominöse Telefonbefragungen und vermutlich illegale Mobilitätsverfolgungen [mittels Tracking, A.U.] bildeten dafür Grundlagen. So grotesk wie diese Modelle waren, erhielten sie im Krisenstab ein weitaus höheres Gewicht als die Betrachtung von tatsächlichen Erkrankungen. Zu keinem Zeitpunkt wurden die regelmäßig nicht eintretenden Prognosen kritisch thematisiert.“
Es fällt schwer, angesichts der in den Protokollen dokumentierten Darbietung des Corona-Krisenstabes zu einer anderen Schlussfolgerung zu gelangen als jener, die der Autor des zitierten Beitrags aus seiner Analyse zieht:
„Ob man den ‚einfachen‘ Mitgliedern des Krisenstabs und des RKI Erschöpfung und Resignation zubilligen mag oder ihre Verantwortungslosigkeit anprangern will, fest steht: Sie konnten gegen die Agenda ihrer Führung nicht ankommen. Für diese stand der Fahrplan von vornherein fest. Die [hohen RKI-Funktionäre] verfolgten von Beginn an das Ziel, die Welt ‚durchzuimpfen‘. Dafür war der mediale Aufbau eines Katastrophenszenarios mit allen redlichen und unredlichen Mitteln unabdingbar. Wo dies nicht wirkte, mußte staatlicher Druck eingesetzt werden.“
Wie sehr „Wissenschaftlichkeit“ mittlerweile zu einem reinen PR- und Marketing-Asset heruntergekommen ist, konnte in der Corona-Zeit auch an Figuren wie Albert Bourla, einem CEO des Pharmakonzerns Pfizer und damit federführend in der Vermarktung einer jener gentechnischen „Wunderwaffen“ im Kampf gegen das Virus, besichtigt werden. Es handelt sich dabei übrigens um denselben Pfizer-CEO, der zu Beginn der Impfkampagne in einem Interview Israel, wo das Impfprogramm weltweit als erstes ausgerollt worden war, als „Weltlabor“ bezeichnete und damit in dankenswerter Offenheit aussprach, wie die Pharmaindustrie die globale Massenimpfkampagne wahrnahm, nämlich als Experiment (jpost.com, 27.2.2021).[20] Bourla war bei öffentlichen Auftritten häufig mit einer schwarzen Maske mit der Aufschrift „Science will win“ zu sehen. So lautete auch der Werbeslogan des Konzerns für sein mRNA-Vakzin (dw.com, 17.2.2021). „Science will win“ gehört in denselben Horizont und ist letztlich auch die Essenz der nicht nur im Corona-, sondern auch im Klimawandel-Kontext ständig bemühten Parole „Follow the Science!“ und sagt im Zusammenhang der Corona-Impfkampagne nichts anderes aus als: „Pfizer will win“ – was sich im strengen Sinn der kapitalistischen Konkurrenz ja auch als zutreffend erwiesen hat.
5. Institutionalisierter Realitätsverlust: Die Welt als Wille und Modellrechnung
Ein Aspekt im Zusammenhang mit der Rolle der Wissenschaft während der Corona-Krise verdient eine etwas genauere Betrachtung, da damit auf eine allgemeine Tendenz verwiesen ist, die nicht nur für den konkreten Verlauf der „Pandemie“, sondern für die aktuelle gesellschaftliche Entwicklungs- oder vielmehr Verfallsgeschichte insgesamt gleichermaßen symptomatisch wie paradigmatisch zu sein scheint – nämlich der rasch voranschreitende Trend zu Modellierungen und die darin vergegenständlichte Neigung, die (wissenschaftliche) Erfassung der objektiven Wirklichkeit durch virtuelle, auf Methoden der mathematischen Naturwissenschaft beruhende Computersimulationen zu ersetzen. Die Ersetzung der Empirie durch „mathematische“[21] Modellierungen ist dabei nicht einmal das Hauptproblem; dieses besteht vor allem darin, dass letztere zunehmend mit ersterer verwechselt werden. An kaum etwas anderem lässt sich daher die postmoderne Virtualisierung mit ihren destruktiven Effekten auf Realitätsbezug, intellektuelle Kapazitäten und methodische Fähigkeiten in derart reiner, beinahe idealtypischer Form ablesen wie an der virulenten, mittlerweile auf fast alle gesellschaftlichen Bereiche angewandten Modellrechnerei. Gerade mit Blick auf den Verlauf der Corona-Krise und die enorme Rolle, die Modellierungen für die Bewertung des „pandemischen“ Geschehens sowie zur Begründung und Beurteilung der staatlichen Corona-Maßnahmen spielten, erscheint es gerechtfertigt, das Prinzip der Modellrechnung gleichsam als Paradigma und ihren zunehmend zum Regelfall werdenden Einsatz zur Bestimmung und Bearbeitung aller möglichen gesellschaftlichen Probleme als Symptom einer spätpostmodernen Gesellschaft aufzufassen, die den Bezug zur Realität mittlerweile weitgehend verloren hat – und womöglich sogar verlieren möchte.
Dass dergleichen nicht ohne einen gewissen Willen zum Realitätsverlust und ohne damit Hand in Hand gehende intellektuelle und methodische Verfallserscheinungen denkbar ist, wird daran ersichtlich, dass es bei genauerer Betrachtung nicht allzu schwer ist, einen Großteil der im Corona-Kontext zirkulierenden Modellrechnungen als den Humbug zu erkennen, der sie objektiv sind. Wir sprechen dabei auch nicht von offenkundigen, gleichwohl gerne medial aufgegriffenen Bullshit-Studien, denen zufolge z.B. „Ungeimpfte“ ein höheres Risiko für Verkehrsunfälle hätten (fortune.com, 13.12.2022) oder wonach Corona das Gehirn um 20 Jahre altern lasse (t-online.de, 1.10.2024).[22] Es genügt, sich auf die gängigen, insbesondere durch Modellierungen gestützten Mythen des hegemonialen „Pandemienarrativs“ zu fokussieren, etwa auf vorherrschende Schätzungen über die Zahl der Corona-Todesopfer oder auf Modellrechnungen zur Wirksamkeit von Lockdowns sowie Impfungen. Es gibt, neben dem eigentlichen Rechenansatz, im Wesentlichen zwei Hauptkriterien, an denen die Qualität und Validität einer „mathematischen Modellierung“ gemessen werden kann: 1.) die der Modellierung zugrunde liegende Datenbasis und 2.) die in die Rechnung eingehenden Modellannahmen.
Das Kriterium der Datenbasis ist so einfach wie logisch: Die Aussagekraft eines Modells hängt unmittelbar von der Qualität der Daten ab, die ins Modell eingehen. Es gilt hier gewissermaßen die bekannte Redewendung aus der Informatik „Garbage In, Garbage Out“, was so viel heißt wie: Wenn ich Mist ins Modell hineinstecke, wird auch Mist herauskommen. Ein vortreffliches Beispiel dafür sind die dominanten Schätzungen über die Zahl der weltweiten „Corona-Toten“. Auf der oben beschriebenen, durch absurde Messmethoden und Zählweisen zustande gekommenen Datengrundlage und zusätzlich noch unter der (gewiss nicht falschen) Annahme, dass trotz Massentestungen nicht jeder „an oder mit Corona Verstorbene“ detektiert wurde und daher von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen ist, kann die WHO mit Leichtigkeit zu dem Ergebnis kommen, dass es weltweit „mindestens 20 Millionen Corona-Tote“ gibt (faz.net, 5.5.2023). Mit der Realität haben solche Schätzungen allerdings sehr wenig zu tun. Eine methodisch saubere (oder zumindest weniger invalide) Zählweise von Corona-Toten, etwa auf Basis von Daten zur Infektionssterblichkeit, und bei gleichzeitiger Berücksichtigung der mit der Zeit deutlich abnehmenden
Pathogenität des Virus[23], würde mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bedeutend geringere Todesfallzahl ergeben. Dass die Datenqualität bei Corona miserabel ist, geben im Übrigen auch die während der „Pandemie“ zu „Covid-Erklärern“ (science.apa.at, 10.1.2022) avancierten und nicht selten mit allerhand Auszeichnungen überhäuften Corona-Modellierer offen zu und fordern mit Nachdruck Verbesserungen in der „medizinischen Datenlandschaft“ (csh.ac.at, 16.5.2021), was sich wiederum umstandslos als Forderung nach besserem Zugang zu sensiblen Gesundheitsdaten übersetzen lässt. Die schlechte Datenqualität hat sie freilich nicht daran gehindert, mit immer neuen Modellrechnungen immer neue Prognosen zu erstellen, mit denen immer neue und immer rigidere „Maßnahmen“ legitimiert werden sollten, wie sich auch ihre staatlichen Auftraggeber durch die sich regelmäßig erweisende Fehlerhaftigkeit der Prognosen nicht davon abhalten ließen, die Modellierer mit stets neuen, sich ebenso bald an der Realität blamierenden Modellierungen zu betrauen.
Das zweite Kriterium neben der Datengrundlage ist die Beschaffenheit und Qualität der Modellannahmen. Auch dieses Kriterium und die damit zusammenhängende Problematik zahlreicher Modellierungen im Corona-Kontext lässt sich einfach veranschaulichen: Wenn beispielsweise ein Modell bereits in den Modellannahmen unterstellt, dass Lockdowns einen signifikanten Beitrag zur Eindämmung eines Infektionsgeschehens leisten, wird die Modellrechnung genau dies zum Ergebnis haben (allenfalls differenziert in unterschiedliche Szenarien mit „hohem“, „mittlerem“ oder „niedrigem Effekt“). Wenn die Modellierung darüber hinaus potentielle Schäden durch Lockdowns unberücksichtigt lässt und aus der Rechnung ausklammert, kann das Ergebnis schon von vornherein niemals negativ sein, und das Modell wird stets nur einen Nutzen von Lockdowns und vergleichbaren Maßnahmen belegen. Die meisten wissenschaftlichen „Belege“ eines Nutzens von Lockdowns zur Pandemiebekämpfung beruhen auf eben solchen Modellierungen und so gut wie nie auf empirischen Erhebungen über die tatsächlichen positiven oder negativen Effekte. Die selbst nach den alles andere als unproblematischen positivistischen Standards zu konstatierende Unwissenschaftlichkeit dieser Art von Beweisführung ist evident, da es sich dabei der Struktur nach um eine Tautologie handelt: Die Modellierungen setzen in ihren Annahmen schon voraus, was sie zu belegen vorgeben. Studien, die empirische Daten verwenden, ergeben praktisch durch die Bank, dass eine Wirksamkeit von Lockdowns, etwa in Gestalt einer Verhinderung von Infektionen oder einer Verringerung von Todesfällen, nicht messbar ist, dass sie dafür aber enorme gesellschaftliche Kollateralschäden verursachen (vgl. Bendavid et al. 2021; Joffe 2021; Herby et al. 2022, Bendavid/Patel 2024).
Ähnliches gilt für gängige Modellierungen über die Wirksamkeit der Corona-Impfung und darauf beruhende Schätzungen hinsichtlich der durch die Impfung angeblich geretteten Menschenleben: Wenn a priori als Modellannahme gesetzt wird, dass Corona ein sehr gefährliches Virus mit einer entsprechend hohen Mortalität ist – etwa auf der Grundlage der offiziellen Zählweise „an und mit Corona Verstorbener“ oder, noch schlimmer, auf Basis anderer, die Corona-Sterblichkeit um ein Vielfaches überschätzender Modellrechnungen (dailysceptic.org, 27.10.2022) –, und wenn darüber hinaus, z.B. durch unkritische Übernahme der zweifelhaften Wirksamkeitsangaben aus den klinischen Studien der Impfstoffhersteller, angenommen wird, dass die Impfung hochwirksam in der Verhinderung von Erkrankungen und sogar Infektionen ist, dann wird die Modellierung exakt dies „belegen“, auch wenn das Ergebnis offensichtlich in Konflikt mit der objektiven Realität steht. Auf diese Weise kommen etwa die medial kolportierten Zahlen zustande, die besagen, dass die Impfung allein in Europa 1,6 Millionen und global rund 20 Millionen Leben gerettet habe (vgl. Meslé et al. 2024; Watson et al. 2022; Callaway 2023). Die wenigen randomisierten, d.h. mit zufällig zustande gekommenen, repräsentativen Vergleichsgruppen arbeitenden Studien, die auch aussagekräftige Endpunkte wie die Gesamtsterblichkeit (und nicht nur Todesfälle „an und wegen Corona“) im Studiendesign berücksichtigen, finden praktisch durchgehend keine Evidenz für einen positiven Effekt der Impfung (vgl. Graña et al. 2022). Hierbei handelt es sich wohlgemerkt nur um die gravierendsten Fehler, die den gängigen Impfmodellierungen attestiert werden können. Es gäbe noch zahlreiche andere Punkte, die alle für sich geeignet wären, die Aussagekraft der Ergebnisse erheblich zu beschädigen, etwa die Tatsache, dass praktisch keine der bekannteren und am meisten zitierten Modellierungsstudien zu diesem Thema Impfnebenwirkungen und Impfschäden berücksichtigt.[24] Abermals besteht die „Methodik“ der Modellrechnungen also darin, in den Modellannahmen bereits vorauszusetzen, was durch das Modell erst nachzuweisen wäre – sich bei einer valideren und weniger manipulativen Methodik aber wohl nicht nachweisen lässt.
Es ist wenig erstaunlich, dass wissenschaftliche „Experten“, insbesondere Angehörige der Modellierer-Zunft, derartige Zahlenwerke ernst nehmen und als valides Abbild der Realität zu verkaufen trachten – wenngleich sich angesichts der miserablen Qualität der gängigen Modellierungen durchaus die Frage stellt, ob hier von vorsätzlicher Schlamperei oder gar Täuschung ausgegangen werden muss (aufgrund von wissenschaftlicher Profilierungssucht, Konkurrenz um Forschungsgelder, finanzieller Abhängigkeit von Staat und/oder Pharmaindustrie und damit einhergehenden Interessenskonflikten), oder ob diese eher auf eine – in ihren konkreten Erscheinungsformen und Ausmaßen allerdings beeindruckende – Inkompetenz ihrer Urheber verweist, die wiederum vor dem Hintergrund des fortschreitenden Verfalls der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Institutionen zu sehen wäre, zu denen eben auch die Wissenschaft zu zählen ist. Völlig unverständlich und ausschließlich durch eine Verkümmerung kritischen Denkens zu erklären ist es hingegen, wenn in einem theoretischen Zusammenhang wie der Wert-Abspaltungskritik, welche über eine lange wissenschaftskritische Tradition verfügt, die u.a. auf derartigen Modellrechnungen basierende Beschreibung der „pandemischen Lage“ umstandslos für die Realität genommen (und ausgerechnet Kritikern der herrschenden Zahlen und Statistiken sowie der darauf beruhenden Corona-Politik ein „Statistikreligionismus“ attestiert[25]) wird. Es waren immerhin Wert-Abspaltungskritiker wie Claus Peter Ortlieb, die die mit Statistik und Modellrechnungen tagtäglich betriebene „mathematisierte Scharlatanerie“ (Ortlieb 2006) zum Gegenstand der Kritik und die gesellschaftliche Fixierung auf Zahlen als „Fetisch“ (Ortlieb 2005) und als „Mathematikwahn“ (Ortlieb 2018) kenntlich machten. Nur wenige Jahre vor der „Pandemie“ wusste Thomas Meyer in einem kritischen Beitrag über Big Data noch Folgendes über die Anwendung von Modellierungen in der Volkswirtschaftslehre zu schreiben:
„Schaut man sich gängige Lehrbücher der VWL an, so kann festgestellt werden, dass Modellannahmen oft nicht ausgewiesen oder überprüft werden, wenn ein Modell auf eine neue Situation angewandt wird. Zudem werden Modellannahmen immer so gelegt, dass sie in das Konzept des Marktgleichgewichtes passen: ein starres Gleichgewichtsschema wird auf diese Weise allen erdenklichen Phänomenen übergestülpt. Die Modellannahmen werden daher dergestalt gewählt, dass wir immer einen Schnittpunkt zweier gegenläufiger Tendenzen erhalten, dargestellt durch das sog. Marshall-Kreuz (würden Modellannahmen ein wenig realistischer gewählt werden, erhielten wir eventuell keinen Schnittpunkt, also kein Gleichgewicht […]). Weiterhin vermitteln diese Modelle und ihre Annahmen ein ökonomisches Bild, das mit dem realen Kapitalismus, mit industrieller Massenproduktion usw. nichts zu tun hat. Es sind eben kaum mehr als ‚Marktmärchen‘“. (Meyer 2018, S. 113)
Genauso ist es! Bei Corona sollen aber plötzlich die von der Realität völlig abgehobenen Machwerke von Modellierern und die mit offensichtlich dubiosen und fehlerhaften Methoden zustande gekommenen Zahlenaggregate als eine adäquate Beschreibung der Wirklichkeit durchgehen, deren kritische Hinterfragung den Tatbestand der „Verschwörungstheorie“ und des „Querdenkertums“ erfüllen soll? Das ist wahrlich „märchenhaft“! Dabei ist auch Meyers einschränkender Hinweis keineswegs infrage zu stellen, wonach es durchaus sinnvolle Anwendungen von Mathematik, u.a. auch in der Wirtschaftstheorie, geben könnte, dass aber zur Kenntnis zu nehmen sei, „dass mathematische Modelle in der Wirtschaftstheorie im Allgemeinen nicht die gleiche Aussagekraft und Reichweite haben können wie die in der Physik“ (ebd.), wo Modellierungen ja wissenschaftlich ursprünglich beheimatet sind. Es kommt eben auf den Gegenstandsbereich und die Qualität der Modellierungen, insbesondere auf die ins Modell eingehenden Vorannahmen an, und dies gilt es in jedem Einzelfall zu prüfen. Die einzige, mit kritischer Theorie in keiner Weise mehr zu vereinbarende Alternative ist, vor dem Gegenstand zu kapitulieren und, gleich dem szientistischen Mainstream, „der Wissenschaft“ und damit auch der „mathematisierten Scharlatanerie“ von Modellierern und anderen „Experten“ bedingungslos zu „vertrauen“.
Vielleicht sollte man, nicht zuletzt in Anbetracht der Erfahrungen aus der Corona-Krise, eine ähnliche Vorsicht und Skepsis auch bei anderen Themen walten lassen, bei denen innerhalb der Wert-Abspaltungskritik ein vergleichbar ausgeprägter und mit ähnlichem denunziatorischem Furor verteidigter „Konsens“ besteht wie beim Thema Corona, etwa dem Klimawandel. Auch beim Klimawandel beruhen Problembestimmungen und insbesondere Prognosen, fast mehr noch als bei Corona, auf Modellrechnungen. Der Klimawandel mag freilich nicht ohne weiteres mit Corona vergleichbar sein, da, im Vergleich zur „Pandemie“, an der Existenz des Klimawandels ungleich weniger Zweifel bestehen können. Welche konkreten Ausmaße und Folgen der Klimawandel haben wird und ob CO2-Emissionen die Hauptursache oder gar der alleinige Faktor dafür sind, ist aber bereits viel weniger eindeutig – schon allein deshalb, weil das Klima, wie Klima-„Experten“ durchaus einräumen, sehr komplex ist und wir über die Mechanismen und Dynamiken des Klimas und seiner Veränderungen kaum etwas wissen. Die Möglichkeit, dass wir den Klimawandel, seinen weiteren Verlauf und die sich daraus ergebenden Folgen unterschätzen (Stichwort „Kipppunkte“), ist so gesehen nicht zwangsläufig größer oder unwahrscheinlicher als der gegenteilige Fall einer Überschätzung. Wenn die Klimamodelle auch nur annähernd dieselbe miserable Qualität haben sollten wie die „Pandemie“-Modellierungen, ist man, besonders als kritischer Gesellschaftstheoretiker, jedenfalls gut beraten, sich eine angemessene Skepsis und kritische Distanz zu bewahren – zumal der mithilfe dieser Modellierungen befeuerte Klimaalarmismus unverkennbar als propagandistisches Vehikel zur Durchsetzung eines neuen, auf erneuerbaren Energien, Biotechnologien und Kybernetik beruhenden Akkumulationsregimes dient, also schon allein aus diesem Grund nicht umstandslos mit einer unvoreingenommenen, validen Beschreibung der objektiven Realität verwechselt werden sollte.
6. Corona und „autoritäre Formierung“
Unter krisentheoretischen Gesichtspunkten ist Corona nicht zuletzt als neuer Höhepunkt und enormer Katalysator einer „autoritären Formierung“ (Tomasz Konicz) der krisengebeutelten spätkapitalistischen Gesellschaft zu betrachten. Diese zunehmend autoritäre und repressive Tendenz zeigt sich zunächst einmal und in besonderem Maße auf der Ebene der Staatsapparate.
Die mit der Bekämpfung der „Pandemie“ und der Eindämmung der Virusausbreitung begründeten staatlichen Corona-„Maßnahmen“, insbesondere Lockdowns und rigide Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, können mit Fug und Recht als „die schwerwiegendste Einschränkung der Freiheiten seit 1945“ (Jappe 2022, S. 1) bezeichnet werden. Begünstigt durch die weitgehend unkritische Hinnahme (und unter dem Eindruck der ubiquitären Pandemie-Panikmache oft genug auch ausdrückliche Einforderung) derart tiefgreifender Grundrechts- und Freiheitseinschränkungen durch große Teile der Bevölkerung, leistete die Corona-Episode einer immensen Normalisierung autoritären Staatshandelns Vorschub. Diese Normalisierung, d.h. das zum neuen, unhinterfragten gesellschaftlichen Regelfall (quasi zur „neuen Normalität“) Werden einer autoritär(er)en Verfassung bürgerlich-kapitalistischer Demokratien beschränkt sich dabei nicht nur auf die während der Corona-Krise zu beobachtende Praxis des autoritären Durchregierens der Staaten und die damit einhergehende tendenzielle Aushebelung historisch gewachsener demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien (z.B. Grundrechte, Gewaltenteilung[26]), sondern umfasst auch und vielleicht sogar vorrangig die allem Anschein nach weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz von offen illiberalen und repressiven Maßnahmen, insbesondere gegen Andersdenkende und politische Gegner – Maßnahmen, die bis vor relativ kurzer Zeit noch überwiegend als typische Merkmale von Diktaturen und totalitären Regimen wahrgenommen worden wären. Zu nennen ist hier im Corona-Kontext beispielsweise der soziale Ein- und Ausschluss mittels digitaler Zertifikatsysteme, wie sie vor allem beim „Grünen Pass“ zur Anwendung kamen, oder die offen betriebene Zensur von sowie mediale und politische Hetze gegen „Maßnahmenkritiker“ und „Impfskeptiker“. Darin artikuliert sich die weiter oben bereits angesprochene Logik des „Volkskörpers“, der seine Kräfte nicht nur gegen äußere Feinde, wie etwa ein Virus, sondern nicht zuletzt gegen innere Feinde mobilisiert. Proteste gegen das irrationale und autoritäre Corona-Maßnahmenregime wurden daher folgerichtig nicht nur medial angegriffen und pauschal diffamiert (als „rechtsextrem“, „verschwörungstheoretisch“ etc.), sondern gerieten letztlich sogar ins Visier des Verfassungsschutzes und wurden als „demokratie-“ bzw. „verfassungsfeindlich“ und dementsprechend als große gesellschaftliche „Bedrohung“ eingestuft und damit de facto kriminalisiert (derstandard.at, 13.12.2021; swr.de, 30.1.2024).
In Deutschland kulminierte dies in dem während der Corona-Krise und vor dem Hintergrund der Proteste vom Verfassungsschutz neu geschaffenen „Phänomenbereich“ einer sogenannten „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“. Definiert wird dieser Tatbestand als eine aggressive „Agitation gegen Repräsentanten und Institutionen des Staates, um dessen Legitimität systematisch zu untergraben“ (verfassungsschutz.de). Dass sich auch zahllose Linke in ihrem Kampf gegen „Coronaleugner“ und „Querdenker“ diese Position zu eigen machten – was seine nahtlose Fortsetzung im derzeitigen Abwehrkampf gegen AfD und Co. findet und u.a. im Ruf nach Parteiverboten[27] Gestalt annimmt (dazu kritisch Urban 2024a) –, ist nicht nur ein kräftiges Indiz für die Reichweite jener „autoritären Formierung“ der westlichen Demokratien, sondern zeigt insbesondere auch das terminale Stadium an, das der schon lange zu beobachtende Verfall der Linken inzwischen erreicht hat. Es scheint völlig in Vergessenheit geraten zu sein, dass der Staat seinen Hauptfeind traditionell und bis heute vor allem links verortet – um dessen gewahr zu werden, genügt ein Blick in aktuelle Verfassungsschutzberichte (z.B. BMI 2022). Ganz zu schweigen von der haarsträubenden Kurzsichtigkeit einer solchen „Querfront“ gegen rechts und gegen „verfassungs- und demokratiefeindliche Coronaleugner“, so als wäre das Label der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ nicht auch und gerade auf linke Zusammenhänge anwendbar. Der nächste logische Schritt kann nur und wird wohl darin bestehen, dass in absehbarer Zeit jedwede radikale Kapitalismus- und damit notwendig auch Staatskritik als „verfassungsfeindlich“ gebrandmarkt und strafrechtlich verfolgt wird.
Seinen Höhepunkt erreichte das autoritäre und repressive Vorgehen der „wehrhaften Demokratie“ gegen ihre inneren Feinde während der „Pandemie“, zumal in Deutschland und Österreich, in der Hetze gegen „Ungeimpfte“ und deren systematischem Ausschluss vom sozialen Leben. In Österreich liefen diese offen als Strafaktion gegen unfolgsame und renitente „Impfskeptiker“ erkennbaren Maßnahmen unter dem Titel „Lockdown für Ungeimpfte“ (bundeskanzleramt.gv.at, 14.11.2021). Dass solche Maßnahmen zu keiner Zeit einen epidemiologischen Zweck im Sinne der „Pandemiebekämpfung“ erfüllten (und zwar selbst dann nicht, wenn es sich dabei tatsächlich um eine außerordentlich gefährliche Pandemie gehandelt hätte), sondern in erster Linie der Bestrafung und Drangsalierung der „Ungeimpften“ dienten, also bereits ihrem Wesen nach autoritär waren, wird schon daran ersichtlich, dass zum Zeitpunkt, als diese Maßnahmen verhängt wurden, die Unwirksamkeit der Impfung im Hinblick auf eine Verhinderung von Infektionen (von einer Verhinderung der Virustransmission ganz zu schweigen) längst evident war. Dasselbe gilt für die in Deutschland lange Zeit diskutierte, in Österreich im Februar 2022 sogar gesetzlich in Kraft getretene, letztlich jedoch wegen Undurchführbarkeit und aufgrund starker Proteste nie exekutierte allgemeine Impfpflicht. Die medizinische Widersinnigkeit und offen zur Schau gestellte Unbekümmertheit um das zweifelhafte Nutzen-Schaden-Verhältnis der Corona-Impfstoffe sowie um den massiven Eingriff in die (dem demokratischen und rechtsstaatlichen Anspruch nach immerhin menschenrechtlich geschützte) körperliche Integrität der Einzelnen, den eine allgemeine Impfpflicht impliziert, weist derartige Vorhaben nicht nur als völlig abgehoben von jedweder objektiven Realität und bar jeder rationalen Abwägung von Mitteln und Zwecken, sondern auch als durch und durch autoritär und repressiv aus. (Das Geschrei von der Verfassungs- und Demokratiefeindlichkeit der „Coronaleugner“ erweist sich spätestens an dieser Stelle als lupenreine Projektion der „aufrechten Demokraten“ und ihrer „Koalition der Solidarischen“.)
Freilich gilt auch mit Blick auf solche autoritäre Tendenzen, dass damit lediglich eine mit dem Fortschreiten des kapitalistischen Krisenprozesses Hand in Hand gehende Entwicklung einen neuen Höhepunkt erreicht, die schon seit längerer Zeit beobachtet werden kann. „Demokratieabbau“ und der staatliche Angriff auf Grund- und Freiheitsrechte mag für viele, die sich während der Corona-Krise auf der Seite der Kritiker wiederfanden und gegen rigide „Maßnahmen“ sowie direkte und indirekte Formen des Impfzwangs auf die Straße gingen, eine neue Erfahrung gewesen sein, weil sie nun vielleicht zum ersten Mal selbst von staatlichen Übergriffen betroffen waren, während sie sich für die schon lange bestehende Drangsalierung und Entrechtung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, etwa im Zuge von Hartz IV (vgl. Rentschler 2004), oder für die immer untragbarer werdende Situation von Flüchtlingen und Asylwerbern und die menschenverachtende asylpolitische Abschottungspolitik der EU (vgl. Kurz 2016) bis dahin herzlich wenig interessiert hatten. Reale Einschränkungen von Freiheits- und Menschenrechten waren vernachlässigbar oder vielleicht sogar erwünscht, solange es „die Anderen“ betraf, insbesondere die kapitalistisch „Überflüssigen“. Es ist kein Zufall, dass ein beträchtlicher Anteil derjenigen, die sich vehement gegen das vom Staat mit der Bekämpfung diverser „Corona-Wellen“ begründete Maßnahmenregime stellten, zu den entschiedensten Befürwortern staatlicher „Maßnahmen“ gehört, wenn es um die von rechten und liberalen Parteien gleichermaßen beschworenen (in jüngster Zeit vor allem unter dem Stichwort „irreguläre Migration“ verhandelten) „Migrationswellen“ geht.
Nicht weniger problematisch als diese bornierte und selbst menschenverachtende Haltung zahlreicher Kritiker des Corona-Maßnahmenregimes ist aber auch die Neigung mancher wert-abspaltungskritischer Kreise, die empirisch evidente Feststellung historisch beispielloser Eingriffe des Staates in demokratische Grund- und Freiheitsrechte während der Corona-Krise pauschal als „Demokratiefetischismus“ und als borniertes Festhalten am „Standpunkt des bürgerlichen Subjekts“ zu denunzieren (vgl. EXIT 2022; kritisch dazu Urban/von Uhnrast 2022b, insbesondere Endnote 18). Dieses Verdikt mag für weite Teile der maßnahmenkritischen Protestbewegung zutreffend sein. Sofern aber kritische Gesellschaftstheorie darin zu bestehen hat, gesellschaftliche Tendenzen zu analysieren, kann und muss auch die voranschreitende Erosion von Demokratie und Rechtsstaat sowie der damit einhergehende Abbau von Grund- und Freiheitsrechten ein würdiger Gegenstand kritischer Theoriebildung genannt werden, gibt es also überhaupt keinen Grund (und erfüllte es im Gegenteil eher sogar den Tatbestand der Realitätsverweigerung), solche Entwicklungen aus der krisentheoretischen Analyse auszuklammern.
Hinzu kommt, dass die Corona-Krise unter dem Gesichtspunkt einer fortschreitenden Tendenz zum Autoritären in vielerlei Hinsicht einen bedeutenden Qualitätssprung markiert, der aus der Perspektive einer kritischen Theorie zur Kenntnis zu nehmen ist. Dies betrifft beispielsweise das rasche Vordringen der Zensur. Die Unterdrückung dissidenter Inhalte hat mit dem Ukraine-Krieg seit Februar 2022 nochmals stark zugenommen. Wurde bereits während der „Pandemie“ zunehmend rabiat gegen Kritiker der „Maßnahmen“ und der Corona-Impfung vorgegangen – bis hin zur Löschung von YouTube-Kanälen und der Entfernung von Kritikern aus ihren öffentlichen bzw. beruflichen Positionen (z.B. aus Redaktionen oder aus Universitäten) –, reicht die Zensur inzwischen bis zum EU-weiten Verbot russischer Medien. Personen, die die offizielle Sicht auf Kriegsursachen und Kriegsverlauf nicht teilen, sind, wie schon bei Corona die „Coronaleugner“ und „Impfgegner“, massiven medialen und politischen Anfeindungen ausgesetzt und werden als „Putinversteher“, „Putinknechte“ u.ä.
diffamiert.[28] Unter der Begründung der Bekämpfung von „Desinformation“ und „Fake News“ schreitet die Zensur mit immer größerer Geschwindigkeit voran und werden immer weiter gehende Eingriffe in die Meinungsfreiheit vorgenommen, wobei unter „Desinformation“ freilich nicht die leicht als Halb- und Unwahrheiten erkennbaren und selbst in den Horizont der (Kriegs-)Propaganda gehörenden Verlautbarungen und „Narrative“ der Regierungen sowie ihrer staatstreuen Journaille verstanden werden, sondern jede wie auch immer geartete (dumme oder fundierte) Regierungskritik oder von der offiziellen Linie abweichende Meinung, sei es Kritik an der staatlichen Corona-Politik, sei es Kritik am irrationalen und selbstmörderischen Kurs des Westens im auf stets neue Eskalationsstufen gehobenen Stellvertreterkrieg mit Russland. Das umfassendste und schwerwiegendste Gesetzesvorhaben der jüngsten Zeit in diesem Zusammenhang ist der im November 2022 in Kraft getretene Digital Services Act (DSA) der EU, der u.a. Online-Plattformen und „soziale Medien“ wie Google, Facebook, Twitter/X oder YouTube an die kürzere Leine nimmt, indem er ihnen ein konsequenteres Vorgehen gegen als „Falschinformationen“ und „Fake News“ definierte Inhalte abverlangt (für eine Kritik am DSA aus einer immanent rechtswissenschaftlichen Sicht vgl. Peukert 2022).
Eine bemerkenswerte Zäsur und zugleich ein weiteres kräftiges Indiz für die autoritäre Entwicklung der kapitalistischen Demokratien westlicher Prägung stellt schließlich die während der Corona-Krise ebenfalls auf neue Niveaus gekletterte Militarisierung dar. Auch die fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft ist freilich per se kein neues Phänomen. Einmal abgesehen von der ohnehin unmittelbar zur Geschichte und zum Wesen des Kapitalismus gehörenden Verquickung mit dem Militärischen – vom Ursprung des Kapitalismus in der frühneuzeitlichen „Feuerwaffenökonomie“ (vgl. Kurz 2002 & 2012, S. 112ff.) über die seit jeher tragende ökonomische Rolle der Rüstungsindustrie bis hin zur faktischen Verlängerung der Kriegswirtschaft durch Keynesianismus und Massenkonsumkultur nach dem Zweiten Weltkrieg –, ist eine Tendenz zur (Re)Militarisierung der Gesellschaft spätestens seit 9/11 und dem damit begründeten war on terror evident. Vehikel dieser Entwicklung ist eine Politik der „Versicherheitlichung“, die relevante Themen, vor allem aber die an allen Ecken und Enden sichtbar werdenden und politisch zu verwaltenden Krisenerscheinungen des warenproduzierenden Systems, primär als „Sicherheitsprobleme“ definiert, um auf diese Weise „gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Unterstützung für deren ‚Lösung‘ zu mobilisieren. Unter Verweis auf eine angebliche sicherheitsgefährdende Ausnahme- bzw. Bedrohungssituation wird suggeriert, dass die Probleme nur mit außerordentlichen Maßnahmen unter Umgehung demokratischer Regeln und Verfahren kontrolliert und gelöst werden können“ (Glossar der Bundeszentrale für politische Bildung, Schlagwort: Versicherheitlichung). Neben der „Terrorgefahr“ sind es insbesondere organisierte Kriminalität und Migration bzw. die nicht abreißenden Fluchtbewegungen aus der kapitalistischen Peripherie, die unter dem Paradigma der „Versicherheitlichung“ zunehmend repressiv bearbeitet und gleichzeitig als Legitimation für weitere „außerordentliche Maßnahmen“ und eine Verstetigung der repressiven Krisenverwaltung instrumentalisiert werden. Hand in Hand damit geht nicht nur eine schleichende Punitivierung des Strafrechts, d.h. eine Tendenz zu Strafrechtsverschärfungen und verstärkter Kriminalisierung (vgl. Urban 2018), sondern auch eine forcierte Aufrüstung des Polizeiapparats und eine zunehmende Einbindung des Militärs in die Krisenverwaltung. In der Corona-Krise erreichte diese schon länger erkennbare Entwicklung (und insbesondere ihre zunehmende Akzeptanz in der Gesellschaft) in der offensiven Einbindung des Militärs in die zivile Seuchenbekämpfung einen neuen Höhepunkt (rp-online.de, 17.1.2021). Zu erinnern ist hier abermals an die personelle Verschränkung von Militär und „Pandemie-Management“, die sich vor allem in der Leitung nationaler Corona-Krisenstäbe durch – bisweilen sogar im Tarnanzug auftretende – Generäle darstellte (derstandard.at, 16.3.2020; aerzteblatt.de, 13.3.2020; tagesschau.de, 30.11.2021; derstandard.at, 19.12.2021). Selbst die Impftrupps zur „Durchimpfung“ der Bewohner von Pflegeheimen rückten häufig in Begleitung der Bundeswehr an (bundeswehr.de, 15.1.2021). Auch die Einhaltung von „Maßnahmen“ wurde zuweilen durch hochmilitarisierte Polizei sichergestellt (ganz zu schweigen vom oftmals brachialen Vorgehen besonders der bundesdeutschen Polizei gegen Corona-Demonstranten). Polizeibeamte mit Maschinenpistolen gehörten phasenweise zum ganz normalen Straßenbild, wenn es z.B. darum ging, G-Regeln und den damit verbundenen Ausschluss von „Ungeimpften“ zu exekutieren, so etwa auf Weihnachtsmärkten (ruhrnachrichten.de, 19.11.2021). Seit der Eskalation des Konflikts in der Ukraine findet die (Re)Militarisierung ohnehin ganz offen statt und muss sich das Militär nicht mehr, wie noch bei Corona, um einen „Imagewandel“ in der Bevölkerung bemühen. „Kriegstauglichkeit“ steht nunmehr wieder ganz oben auf der gesellschaftlichen Prioritätenliste.
Die nächste Krise, die mit dem während der „Pandemie“ von den Funktionseliten erheblich verfeinerten und geschärften Instrumentarium autoritär verwaltet werden wird, dürfte die Klimakrise sein. Wie Anselm Jappe bereits in seinem Corona-Text Haben Sie „Gesundheitsdiktatur“ gesagt? zu Recht betonte, könnte der von der Politik und einigen Kapitalfraktionen forcierte „ökologische Wandel“ eine „weitere wunderbare Gelegenheit sein, diejenigen zu überwachen und zu bestrafen, die ihren Müll nicht ausreichend trennen oder zu viel Energie verbrauchen“ (Jappe 2022, S. 5). Im Angesicht der zunehmenden Instabilität und Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Weltsystems war das staatliche Maßnahmenregime während der Corona-Krise also allenfalls ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird – eine Gelegenheit, „ein Klima der Unterwerfung [zu] schaffen und die Kontrollinstrumente [zu] präparieren, die die Staaten brauchen, wenn die wirklichen Krisen kommen“ (ebd.).
Auf subjektiver Ebene nimmt die zunehmend autoritäre Tendenz der spätkapitalistischen Gesellschaft besonders auch in einem um sich greifenden Extremismus Gestalt an. Hier sind freilich zunächst rechte und rechtsextreme Einstellungen zu nennen, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Ereignisse der vergangenen Jahre stark an Zulauf gewonnen haben, insbesondere in Form eines Vordringens von Rassismus, Sozialdarwinismus, Sexismus usw. Auch in Teilen der „maßnahmenkritischen“ Bewegung war dergleichen zu beobachten, ebenso eine Neigung zu mehr oder weniger abstrusen Verschwörungstheorien. Wie gerade die Corona-Episode, aber auch der daran anschließende Krieg in der Ukraine deutlich machen, beschränken sich extremistische Tendenzen jedoch keineswegs auf Rechtsextremismus oder auf Verschwörungstheorien von Maßnahmen- und Impfkritikern, sondern treten auch in anderen Formen und darüber hinaus in Milieus in Erscheinung, die bislang weniger unter Extremismusverdacht standen. Am deutlichsten war dies im Corona-Kontext abermals an der in ihren Formen und Inhalten schwerlich anders als faschistoid zu nennenden Hetze gegen „Ungeimpfte“ abzulesen. Allein mit den Belegen für den über einen langen Zeitraum hinweg ganz „normalen“, zuweilen an einen Untermenschen-Diskurs erinnernden öffentlichen Umgangston gegenüber Personen, die sich gegen das staatliche „Impfangebot“ entschieden, ließen sich ganze Bücher füllen. Auch darauf wurde bereits in früheren Beiträgen eingegangen. Die verbreitete Vergesslichkeit und das unter tätiger Mithilfe der Linken etablierte Schweigekartell, die Corona-Zeit und insbesondere die damals veranstaltete Hexenjagd gegen „Ungeimpfte“ betreffend, lassen es jedoch als angebracht erscheinen, zumindest an manche „Highlights“ zu erinnern: Von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ war die Rede (n-tv.de, 8.11.2021), die ganze Gesellschaft befinde sich in der „Geiselhaft“ (spiegel.de, 17.3.2022) von renitenten und im Grunde „asozialen“ Personen, die eine Impfung verweigerten und damit alle Bemühungen um eine Bewältigung der „Pandemie“ hintertrieben. Implizit und oft genug auch explizit wurden „Ungeimpfte“ zu Parias erklärt, auf die die „gesamte Republik […] mit dem Finger […] zeigen“ sollte (spiegel.de, 7.12.2020). Sie sollten durch systematischen Ausschluss aus dem sozialen Leben „bis zum bitteren Ende genervt“ werden (nzz.ch, 5.1.2022), um sie letztlich doch noch klein zu kriegen und zur Impfung zu nötigen. Der damalige österreichische Bundeskanzler Schallenberg verkündete den „Lockdown für Ungeimpfte“ unverhohlen und wortwörtlich mit der Begründung, „die Zügel für Ungeimpfte straffer ziehen“ zu wollen (kurier.at, 5.11.2021), und versprach kurz darauf: „Weihnachten wird für Ungeimpfte ungemütlich“ (heute.at, 11.11.2021). Medizinethiker überboten sich mit Vorschlägen für immer weiter gehende Schikanen gegen „Impfverweigerer“, etwa Verzicht auf bzw. Ausschluss von intensivmedizinischer Behandlung im Krankheitsfall (rtl.de, 21.12.2020), selbst Ausreiseverbote (presse-augsburg.de, 15.11.2021) und Haftstrafen (youtube.com, 26.1.2022) wurden diskutiert. Damit Hand in Hand ging eine ausdrückliche und offensive Psychopathologisierung der „Ungeimpften“, insbesondere derjenigen, die es wagten, sich gegen ihre staatliche Drangsalierung und gegen eine Impfpflicht zur Wehr zu setzen. Der sich für einen Punk haltende Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo etwa attestierte Personen, die gegen die geplante Impfpflicht demonstrierten, eine „Denkpest“ (spiegel.de, 5.1.2022). Der sich als links identifizierende Autor und Journalist Robert Misik schlug via Twitter vor, die „nicht mehr in die Gesellschaft der Normalen“ integrierbaren „Impfkritiker“ durch „Maßnahmenvollzug“ aus dem Verkehr zu ziehen, sie also einfach wegzusperren. Hier dürfe es „keine Denktabus“ geben (x.com, 29.7.2022). So manche/r bediente sich sogar offen Nazi-Rhetorik. Die ZDF-Komikerin Sarah Bosetti entmenschlichte „Ungeimpfte“ durch deren Vergleich mit einem für das „Überleben des Gesamtkomplexes“ entbehrlichen „Blinddarm“. So wie man diesen ganz einfach wegschneiden könne, so könne es auch sinnvoll und angebracht sein, die Gesellschaft zu „spalten“ und „Ungeimpfte“ praktisch aus der Gemeinschaft der „Vernünftigen“ und „Solidarischen“ auszusondern (youtube.com, 3.12.2021). Der deutsche Soziologe Heinz Bude, der seine autoritäre Gesinnung bereits im März 2020 als Mitautor des berühmt-berüchtigten „Panikpapiers“ aus dem deutschen Innenministerium unter Beweis gestellt hatte, das die gezielte Verbreitung von Angst als bevorzugte Krisenstrategie propagierte (welt.de, 22.3.2024), verlieh in einem Interview seinem Bedauern darüber Ausdruck, dass man die „Ungeimpften“ nicht „nach Madagaskar verfrachten“ könne (thepioneer.de, 7.12.2021), und rief damit Reminiszenzen an den (letztlich nie realisierten) Madagaskar-Plan der Nationalsozialisten wach, der die Deportation europäischer Juden auf jene ferne Insel im Indischen Ozean vorsah.
Die faschistoide Ideologie des „Volkskörpers“ ist hier mit Händen zu greifen. Gewiss nicht inhaltlich, wohl aber in der Struktur und der Dynamik erinnert die veranstaltete Hetze gegen „Ungeimpfte“ an die finstersten Perioden in der (europäischen) Geschichte des warenproduzierenden Systems. Strukturell besteht wenig Unterschied zwischen dem Wahlspruch des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer – „Die Juden sind unser Unglück“ – und der Sündenbock-Rhetorik in Parolen wie jener von der „Tyrannei der Ungeimpften“, wie auch die Differenz zwischen der vorrangig in (links)liberalen und grünen Milieus virulenten Hetze gegen „Ungeimpfte“ und der von Rechten betriebenen Hetze gegen Migranten und Asylwerber marginal ist und das eine sich vom anderen nur in der Wahl des jeweiligen Sündenbocks und hinsichtlich der Kriterien des sozialen Ein- und Ausschlusses unterscheidet.
Auch hinsichtlich einer keineswegs zu leugnenden zunehmenden Verbreitung von Verschwörungstheorien ist zu konstatieren, dass der den Mainstream bildende Viruswahn und die regelrechte Besessenheit von „Verschwörungstheoretikern“ dem unter manchen Maßnahmen- und Impfkritikern verbreiteten Verschwörungswahn an Paranoia um nichts nachsteht (dazu Schink 2023). Die zum gesellschaftlichen Regelfall werdende Paranoia hat sich im Zuge des Ukraine-Kriegs noch weiter gesteigert, abzulesen etwa an diversen Verschwörungstheorien über eine praktisch auf allen Ebenen stattfindende „russische Einmischung“. Demzufolge seien etwa die AfD und das linkspopulistische Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) von Russland „gekauft“ (1.wdr.de, 25.4.2024; fr.de, 12.9.2024). Selbst die Veröffentlichung der lange Zeit geheim gehaltenen RKI-Files führten manche ernsthaft auf eine „Einflussnahme ausländischer Nachrichtendienste“ zurück (nordkurier.de, 27.3.2024). Überhaupt wäre, wenn von einer Zunahme von Extremismus die Rede ist, gerade auch an den geifernden Bellizismus vor dem Hintergrund des verloren gehenden Stellvertreterkriegs mit Russland zu denken. Es sind dabei besonders einstmals „friedensbewegte“ grüne Politiker und deren Wähler, die heute bei jeder Gelegenheit einer Eskalation des Krieges das Wort reden, ggf. auch bis an die Schwelle eines nuklearen Schlagabtausches – erkennbar etwa an der Begeisterung, die die jüngst verkündete Entscheidung der USA, der Ukraine endlich den Einsatz weitreichender Raketen für Angriffe auf russisches Territorium zu gestatten, vor allem in diesen Milieus auslöste, ebenso an den damit Hand in Hand gehenden Forderungen nach einer Lieferung deutscher Taurus-Raketen an Kiew (tagesspiegel.de, 18.11.2024; berliner-zeitung.de, 18.11.2024). Auch die im Zuge des Krieges stark steigende Nachfrage nach Bunkern und privaten Schutzräumen (deutsche-wirtschafts-nachrichten.de, 4.9.2022; faz.net, 30.11.2024) ist, im Gegensatz etwa zu den weitestgehend auf Rechtsextremismus verengten Darstellungen bei EXIT, längst kein Phänomen mehr, das sich auf eine „rechtsextreme Szene sogenannter ‚Prepper‘“ (Konicz 2022, S. 73) beschränkt, sondern geht zunehmend von entsprechend gut situierten Segmenten der sogenannten gesellschaftlichen Mitte aus.
Der galoppierende Verfall kritischer Theorie vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen ist nicht nur an der Wert-Abspaltungskritik bzw. der EXIT-Gruppe abzulesen, die sich praktisch seit Beginn der Corona-Krise mit Vorliebe an den dümmsten und fragwürdigsten Erscheinungsformen der Maßnahmen- und Impfkritik, insbesondere an den sogenannten „Querdenkern“, abarbeitet, um auf diese Weise jegliche Kritik an den autoritären Corona-Maßnahmen und überhaupt an einem hochgradig irrationalen „Pandemie-Management“, ganz im Einklang mit dem bürgerlichen Mainstream, als „Verschwörungstheorie“, „Rechtsextremismus“, „Sozialdarwinismus“ und „Antisemitismus“ zu denunzieren. Jüngstes Zeugnis dieser verzerrten Wahrnehmung ist ein Artikel von Leni Wissen (2024), in dem sie die „Querdenker“ – sicherlich nicht nur zu Unrecht – als Beispiel für eine zunehmende gesellschaftliche Verrohung und (zumindest rhetorische) Gewaltbereitschaft behandelt, während die nicht minder in diesen Zusammenhang gehörende massive Hetze gegen „Ungeimpfte“ bei ihr völlig anathema und offenbar nie passiert ist. Tomasz Konicz bringt sogar das Kunststück fertig, in einem sonst durchaus instruktiven Artikel über aktuelle Verlaufsformen der finalen Kapitalismuskrise, in dem er einen ganzen Abschnitt der sich deutlich abzeichnenden „autoritären Formierung“ der Staatsapparate widmet, das autoritäre Maßnahmenregime der vergangenen Jahre nicht einmal in einem Nebensatz zu erwähnen, so als sei all dies kein empirischer Ausdruck eines fortschreitenden „Demokratieabbaus“ und eines forcierten „Ausbaus des Überwachungsstaates“ gewesen – Tendenzen, die Konicz ansonsten explizit mit jener „autoritären Formierung“ verbindet (vgl. Konicz 2024, S. 66ff.; siehe hierzu auch meine Kritik in Urban 2024b, S. 18ff.).
Das Ausmaß (und vermutlich auch die Endgültigkeit) der geradezu leidenschaftlich betriebenen Selbstdemontage kritischer Theorie könnte kaum eindrucksvoller vorgeführt werden als durch das 2022 veröffentlichte Buch Gekränkte Freiheit von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey. Es ist weder lohnenswert noch notwendig, sich ausführlich mit diesem Machwerk auseinanderzusetzen, zumal aus der Sicht einer sich selbst noch ernst nehmenden Kritischen Theorie bereits andernorts alles Nötige dazu gesagt und insbesondere das an diesem Buch nachzuvollziehende „Abdriften“ kritischer in „konformistische Theorie“ adäquat benannt worden ist (Wallat 2022). Ähnlich wie EXIT haben auch Amlinger und Nachtwey in den letzten Jahren offensichtlich nicht viel Kritikwürdiges wahrgenommen, mit Ausnahme der Proteste von „Coronaleugnern“ und „Querdenkern“ gegen das staatliche Maßnahmenregime. Was ihnen immerhin, im Gegensatz zu EXIT, zugutegehalten werden kann, ist, dass ihre „Analyse“ ihren Ausgang von der Einsicht nimmt, dass sich die maßnahmen- und impfkritische Protestbewegung in ihrer Gesamtheit, angesichts ihrer enorm diversen Zusammensetzung, kaum oder nur sehr unzureichend unter „Rechtsextremismus“ subsumieren lässt. Amlinger und Nachtwey entwickeln sodann mit aller aufzubietenden postmodernen Pfiffigkeit den Begriff eines „libertären Autoritarismus“ – ein Konstrukt, das offenkundig einen dialektischen Anspruch erhebt, in Wahrheit aber nur das voll ausgebildete Unvermögen der Autor/innen zu dialektischem Denken anzeigt. Die Quintessenz dieser nur noch in homöopathischer Dosierung kritisch-theoretische Substanz enthaltenden Begrifflichkeit ist (oder soll sein), dass sich hinter der bei Maßnahmen- und Impfkritikern im Zentrum stehenden Betonung von Freiheit, Selbstbestimmung und körperlicher Integrität ein neuer Autoritarismus verberge. Der autoritäre Charakter der Gegenwart zeige sich gewissermaßen in libertärem Gewand:
„Libertär ist ihr Autoritarismus, weil er eine Abwehr gegen jede Form der Einschränkung individuellen Verhaltens darstellt. In ihm wirkt eine negative Freiheitsidee fort, in der sich das Individuum im Gegensatz zur gesellschaftlichen Ordnung verortet. Die libertären Autoritären identifizieren sich nicht mit einer Führerfigur, sondern mit sich, ihrer Autonomie. […] [S]elbst wenn es hier zu einer Auflehnung gegen Autoritäten kommt, bleibt die Charakterstruktur wesentlich autoritär. Der libertäre Autoritarismus führt seinen Kampf gegen die falsche Autorität im Namen einer wahren: der Freiheit. Sie wird nun aber nicht länger von einer mächtigen Führerfigur verwirklicht, sondern das Individuum ermächtigt sich selbst.“ (Amlinger/Nachtwey 2022, S. 16f.)
Soll heißen: Nicht die Corona-Maßnahmen waren autoritär oder diejenigen, die sich der bedingungslosen Verteidigung des „Volkskörpers“ gegen Viren und Maßnahmenkritiker verschrieben, ja nicht einmal diejenigen, die sich der Hetze gegen „Ungeimpfte“ hingaben und nach immer noch rigideren und umfangreicheren Ausschluss- und Strafmaßnahmen schrien. Die eigentlichen Autoritären waren und sind jene, die sich erdreisteten, gegen Lockdowns, G-Regeln und Impfpflicht auf die Straße zu gehen.
Vorweggenommen hatte diese sich als kritische Theorie ausgebende Verdrehung der gesellschaftlichen Realität bereits etwas früher Jürgen Habermas. Habermas arbeitet bekanntlich schon seit den 1970er Jahren eifrig daran, der Kritischen Theorie ihren Stachel zu ziehen und sie u.a. durch ihre Verwässerung zu einer „Theorie des kommunikativen Handelns“ gleichsam gesellschaftsfähig zu machen (kritisch dazu Bolte 1989). Ähnlich wie Amlinger und Nachtwey meinte Habermas in den „scheinliberal begründeten Proteste[n] der Corona-Leugner“ ein „Anzeichen für das wachsende Potential eines ganz neuen, in libertären Formen auftretenden Extremismus der Mitte“ zu erkennen (Habermas 2021, S. 68). In dasselbe Horn stößt sodann Jörg Später in seinem aktuellen Buch über die zweite Generation der Kritischen Theorie (Adornos Erben, Später 2024), in dem auch er es für nötig und geboten erachtet, sich über die Kritiker der Corona-Maßnahmen zu äußern und sie ganz in Übereinstimmung mit der Diagnose eines „libertären Autoritarismus“ kritisch-theoretisch korrekt einzuordnen. An postmoderner „Kreativität“ steht er Amlinger und Nachtwey um nichts nach, wenn er die Maßnahmen- und Impfkritiker als „Wutdenker und Querbürger“ bezeichnet, welchen er mit der herablassenden Attitüde des „aufgeklärten“ Halbgebildeten attestiert, „nach einem Einsemesterstudium an der YouTube-Universität [zu] wissen, dass das Robert Koch-Institut von der Pharmaindustrie bezahlt wird“ (ebd.). Er bringt im Anschluss daran ein schönes Zitat von Max Horkheimer über den „autoritären Charakter“, das für Später an den heutigen „Querdenkern“ nachgerade seine ungebrochene Aktualität unter Beweis stelle: „Er [der autoritäre Charakter, A.U.] ist zugleich aufgeklärt und abergläubisch, stolz, Individualist zu sein und in ständiger Furcht, nicht so zu sein wie alle anderen, eifersüchtig auf seine Unabhängigkeit bedacht und geneigt, sich blindlings der Macht und Autorität zu unterwerfen.“ (Horkheimer, zit. n. Später 2024, S. 38)
Keine Frage, so einiges davon trifft auf erhebliche Teile der maßnahmen- und impfkritischen Bewegung zu, wie auch die Befunde von Amlinger und Nachtwey nicht gänzlich aus der Luft gegriffen sind: Ohne Zweifel sind Maßnahmen- und Impfkritiker überwiegend postmoderne „Individualisten“ und geradezu fixiert auf ihre „Autonomie“ und ihre demokratisch verbürgten „Grund- und Freiheitsrechte“, weshalb z.B. der Protest gegen Lockdowns primär durch den bornierten Wunsch nach einer Rückkehr zur gewohnten kapitalistischen „Normalität“ motiviert war. Nicht wenige von ihnen halten sich für „aufgeklärt“ und besonders all den „Schlafschafen“, die es „nicht begriffen“ haben und dem staatlichen Maßnahmenregime blind folgten, intellektuell und punkto Kritikfähigkeit für weit überlegen, während sie selbst oft genug auf die abstrusesten Verschwörungstheorien hereinfallen, wenn diese nur aus hinreichend berufenem Munde (z.B. eines Prof. Bhakdi[29]) kommen oder im alternativen Medium ihres Vertrauens ausgebreitet werden. Sie stellen (zu Recht) die Corona-Zahlen und die Art und Weise ihres Zustandekommens infrage, finden aber gleichzeitig nichts dabei, beinahe jeden Krebsfall oder Herzinfarkt mit Todesfolge („plötzlich und unerwartet“) ohne irgendeine valide wissenschaftliche Evidenz für eine Nebenwirkung der Corona-Impfung zu halten und auf dieser Grundlage die Impfkampagne mitunter zu einem „genozidalen Bevölkerungsreduktionsprogramm“ zu erklären. Aufgeklärtheit und Aberglaube, Ablehnung (offizieller) Autoritären und Autoritätsgläubigkeit (gegenüber „alternativen Experten“) gehen hier also in der Tat häufig Hand in Hand.
Nur: Man muss als Anhänger oder Vertreter kritischer Theorie schon unter einer bemerkenswerten Denkschwäche leiden und von jedweder Fähigkeit zu kognitiver Dissonanz befreit sein, um nicht zu erkennen, dass der für die eigene Argumentation in Anspruch genommene und von Horkheimer sozusagen vorweggenommene Befund eines „libertären Autoritarismus“ mindestens ebenso sehr, wenn nicht sogar noch umfänglicher auf die Gruppe der überzeugten „Corona-Gläubigen“ und unbedingten Maßnahmen- und Impfverfechter – und damit letztlich wohl auch auf einen selbst – anwendbar ist. Produkte postmoderner Individualisierung und Fetischisten der „Unabhängigkeit“ und „Freiheit“ sind die „Coronisten“ ja kaum weniger als die „Coronaleugner“. Zwar gehörte es zu den größten Auffälligkeiten der Corona-Zeit, mit welcher Inbrunst sich zahlreiche Menschen dem Gesundheits- und Sicherheitsbedürfnis hingaben sowie der Lust, sich und andere zu reglementieren, mit welcher Vehemenz also das Pendel – wie man es mit Foucault formulieren könnte – vom Dispositiv der Freiheit zu dem der Sicherheit ausschlug; ein Sachverhalt, über den allein eine kritische Theorie, die diesen Namen noch verdient, unmöglich hinwegsehen und -gehen dürfte. Spätestens mit der globalen Impfkampagne machte sich jedoch zunehmend wieder, wenngleich in autoritär gewendeter und entsprechend pervertierter Form, der fetischisierte, bürgerliche Freiheitsbegriff geltend. Nicht von ungefähr galt die Impfung als „solidarischer“, ja „patriotischer“ Akt im Interesse einer baldigen Rückkehr zur „Freiheit“ und mithin zur selben kapitalistischen „Normalität“, welche die Kritiker durch Lockdowns, Impfzwang, Zensur usw. in Gefahr gebracht sahen. Ein großer Teil der gesellschaftlichen Aggression, die „Ungeimpften“ besonders im Winter 2021/22 entgegenschlug, entzündete sich gerade an deren Wahrnehmung als Saboteure des gemeinsamen Kampfes gegen die „Pandemie“ und für die Wiederherstellung der (vor allem individuellen!) „Freiheit“.[30] Die Gleichzeitigkeit von Aufgeklärtheit und Aberglaube könnte wiederum nirgendwo eindrucksvoller zur Geltung kommen als in der Stupidität, mit der die „Coronisten“ bis zum heutigen Tag unverstandene und inkonsistente Corona-Zahlen, Statistiken und Modellierungen als unwiderlegbare „Fakten“ identifizieren; in ihrem geradezu magischen Glauben an die Wirksamkeit von „Maßnahmen“ (Lockdowns, Masken, Impfung), die niemals wissenschaftlich belegt wurde und in vielen Fällen wohl auch gar nicht belegbar ist[31]; in der Blindheit, mit der sie gegen jedes seriöse Verständnis von „Wissenschaftlichkeit“ (von grundlegender Wissenschaftskritik im Stile der Kritischen Theorie ganz zu schweigen) dekretieren, man müsse „der Wissenschaft“ bedingungslos vertrauen; und in der bodenlosen Ignoranz und einer nur mit Dummheit oder Denkfaulheit adäquat zu bezeichnenden Haltung, mit der sie unterstellen, „die Wissenschaft“ bzw. die wissenschaftlich „richtige“ Sicht der Dinge seit identisch mit der Berichterstattung von Tagesschau und Co. und alles davon Abweichende sei „Coronaleugnung“, „Querdenkerei“ und „Verschwörungstheorie“, ohne jemals auch nur einen Blick in die RKI-Files oder auf die massenhaft vorliegenden, im Widerspruch zum herrschenden „Pandemienarrativ“ stehenden wissenschaftlichen Befunde geworfen zu haben. Wenn Adornos und Horkheimers Diagnose aus der Dialektik der Aufklärung über den Rückfall der Aufklärung in den Mythos irgendwo zutreffend und uneingeschränkt anwendbar ist, dann auf diese ganz und gar unerschütterliche, sich allzu aufgeklärt dünkende Selbstgewissheit, mit der Wissenschaft von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit auf ein gleichermaßen autoritäres und verrücktes Glaubenssystem heruntergebracht wird. Und was die von Horkheimer in seinem Zitat über den autoritären Charakter angesprochene „ständige Furcht, nicht so zu sein wie alle anderen“ und die damit einhergehende „Unterwerfung unter die Macht und die Autorität“ betrifft, so wird man dieses Urteil bestimmt nicht bevorzugt über jene Bevölkerungsgruppe fällen können, die durch ihre Opposition gegen die Corona-Politik gesellschaftliche Häme und Anfeindung, zum Teil sogar Jobverlust und die Zerstörung ihrer Existenz in Kauf nahm, sondern wird dabei eher an den autoritären Konformismus der „Coronisten“ zu denken haben, mit dem sie eine repressive Gruppennorm installierten und sich (endlich!) wieder einmal, zumindest eine Zeit lang, als eine „solidarische“ Gemeinschaft imaginieren konnten – mit allen widerwärtigen Begleiterscheinungen der Denunziation, Verfolgung und Bestrafung der „Unbotmäßigen“.
Es ist immer wieder beeindruckend, wie sehr, nach dem bekannten Satz von Marx, das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt. Denn unverkennbar stellt dieser Verfall kritischer Theorie selbst ein Krisensymptom dar und spiegelt den allerorten grassierenden postmodernen Realitätsverlust ebenso wider wie die gegenwärtige, gesamtgesellschaftliche Tendenz zu autoritärem Moralismus und Konformismus. Adorno müsste sich in seinem Grabe winden, wenn er wahrnehmen könnte, wie seine (oftmals ohnehin bloß selbsternannten) Epigonen unbedingten Konformismus, einen methodisch abgewirtschafteten wissenschaftlichen Positivismus und die unkritische Reproduktion der Narrative von Mainstreammedien, Fernseh-„Experten“ und „Faktencheckern“ als Grundlage für kritische Theorie (und Kritik daran pauschal als „Schwurbelei“, „Verschwörungstheorie“, „(Rechts-)Extremismus“, „Autoritarismus“ etc.) auszugeben versuchen. Auch in dieser Hinsicht, dem Verfall kritischen Denkens, bildet Corona somit eine Zäsur und den neuen Höhe- oder vielmehr Tiefpunkt einer Entwicklung, die schon lange zu beobachten ist, nunmehr aber ratifiziert worden zu sein scheint und, so steht zu befürchten, sich auf dem erreichten Niveau als irreversibel erweisen wird.
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youtube.com (26.1.2022): „Impfpflicht gegen Corona: Was spricht dafür, was dagegen?“ (3sat kulturzeit), https://www.youtube.com/watch?v=i4v1dFBOKYI&t=327s
Endnoten
[1] Das vorangestellte Epitheton „gesellschaftlich“ soll ausdrücken, dass es sich um eine Katastrophe handelt, die aus der irrationalen und (auto)destruktiven Rationalität der kapitalistischen Gesellschaft selbst resultiert, auch wenn sie aus der bornierten, fetischistischen Binnensicht als eine der Natur erscheint – eine Eigenschaft, die auf die meisten Katastrophen der an Katastrophen so reichen kapitalistischen Antizivilisation zutrifft. Die hier vertretene Auffassung von Corona als einer „gesellschaftlichen Naturkatastrophe“ unterscheidet sich freilich von derjenigen, die in anderen wert(abspaltungs)kritischen Zusammenhänge bevorzugt wird und in der die „Pandemie“ das Resultat einer durch die ökologischen Destruktivkräfte des Kapitalismus verursachten Zoonose darstellt. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
[2] Man sollte hier freilich auch nicht übersehen, dass das sogenannte Gesundheitswesen schon lange vor Corona eine der größten ökonomischen „Wachstumsbranchen“ darstellte, in die entsprechend viele öffentliche Gelder fließen. In den USA ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP von 5 Prozent im Jahr 1960 auf über 17 Prozent im Jahr 2010 angewachsen (statista.com, 16.2.2024). Corona stellt in dieser (wie auch in manch anderer, noch zu besprechender) Hinsicht also allenfalls einen neuen Höhepunkt in einer sich schon länger abzeichnenden Entwicklung dar.
[3] Um die von „Verschwörungsideologien“ geradezu Besessenen in den notorischen „Faktenchecker“-Redaktionen wie auch innerhalb der Wert-Abspaltungskritik nicht unnötig zu triggern, verzichte ich auf Spekulationen darüber, ob und inwiefern die Bestimmtheit und Zielsicherheit, mit der jenes realitätsfremde Pandemie-Paralleluniversum aufgebaut wurde, auch auf eine gewisse Planmäßigkeit im Handeln zumindest bestimmter Akteure hindeuten könnte. Ich belasse es stattdessen beim Hinweis auf die eingangs schon erwähnte „Pandemie-Industrie“, die den Alarmismus rund um „gefährliche Pandemien“ und insbesondere die profitträchtige Vermarktung der im Pandemiefall „lebensrettenden“ Arzneien (bevorzugt Impfstoffe) zu ihrem ureigenen Geschäftsmodell gemacht hat. Wer derartiges als „Verschwörung“ und Kritik daran als „Verschwörungstheorie“ erachtet, sollte aufhören, das Label „Kapitalismuskritik“ für sich in Anspruch zu nehmen.
[4] So sehen denn auch die wissenschaftlichen Versuche aus, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Ich zitiere hier nur exemplarisch eine im Auftrag des österreichischen Gesundheitsministeriums erstellte Auswertung, die sich zwar nicht Todesfällen, aber Hospitalisierungen „wegen oder mit Corona“ widmet (vgl. Trauner et al. 2023). Aufgrund der miserablen Datengrundlage sind die Studienautoren gezwungen, auf allerhand intransparente Methoden und Einschlusskriterien zurückzugreifen. So definieren sie etwa eine Auswahl von Hauptdiagnosen, bei denen eine Corona-Beteiligung als wahrscheinlich angenommen werden könne und es daher gerechtfertigt sein soll, eine nur als Nebendiagnose kodierte Corona-Erkrankung als (mit)ursächlich für die Krankenhausaufnahme zu werten. Selbst mit dieser fragwürdigen Methodik kommt die Auswertung zu dem Ergebnis, dass in Österreich zwischen Frühjahr 2020 und Anfang 2023 ein Viertel bis ein Drittel aller hospitalisierten „Corona-Fälle“ nicht „wegen“, sondern nur „mit“ Corona im Krankenhaus behandelt wurde.
[5] Zur Übersterblichkeit – um an dieser Stelle nur ein Beispiel aus zahllosen zu nennen – heißt es etwa im RKI-Protokoll vom 19. März 2021 mit Blick auf die damals vorliegende Datenlage: „[E]s ist keine Übersterblichkeit sichtbar.“ Wenige Zeilen später wird gar ein Satz vermerkt, für den Kritiker der Corona-Politik bis heute unter die Kategorie „Coronaleugner“ subsumiert werden: „COVID-19 sollte nicht mit Influenza verglichen werden, bei normaler Influenzawelle versterben mehr Leute.“
[7] Auch Infektionen mit den bereits erwähnten, üblicherweise nur einen lästigen Schnupfen hervorrufenden Rhinoviren können mit unangenehmen Komplikationen und Langzeitfolgen einhergehen (medical-tribune.de, 21.1.2020; dock.hkk.de, 27.10.2023).
[8] Vermutlich gilt dies für eine ganze Reihe sogenannter psychischer „Erkrankungen“ seit der berühmten, erstmals um 1900 diagnostizierten Neurasthenie (z.B. Burnout, Depressionen etc.).
[9] Das musste inzwischen selbst in den medialen Hochburgen des ultraorthodoxen „Coronismus“, wie etwa dem Standard, zur Kenntnis genommen werden (derstandard.at, 27.9.2023). Für eine wissenschaftliche Kritik an gängigen Long-Covid-Definitionen und den methodischen Mängeln einschlägiger Studien vgl. Høeg et al. 2023.
[10] Selbst die WHO stufte die Labortheorie mit der Zeit als „wahrscheinliche Hypothese“ ein (diepresse.com, 13.8.2021). Zur Entwicklung der Labortheorie und insbesondere den gezielten Versuchen, sie zu marginalisieren und aus dem öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskurs über die Herkunft des „neuen“ Coronavirus fernzuhalten, vgl. ausführlicher Lichtaus 2023.
[11] Pasteur soll Béchamp übrigens auf seinem Sterbebett schlussendlich recht gegeben haben.
[12] Die Erstfassung dieses Buches erschien unter dem Titel Die Enteignung der Gesundheit.
[13] Hierzu seien lediglich exemplarisch folgende Veröffentlichungen zum Thema genannt: allgemein zu schweren Impfnebenwirkungen sowohl im Rahmen der klinischen Studienphase als auch im sogenannten Postmarketing-Prozess vgl. Fraiman et al. 2022; Faksova et al. 2024; zum Post-Vac-Syndrom vgl. Kamm/Limbach 2024; zu impfinduzierten Myokarditiden vor allem bei Kindern und Jugendlichen vgl. Jain et al. 2024; zum möglichen Zusammenhang von Corona-Impfung und erhöhter (Über)Sterblichkeit vgl. Fenton et al. 2022; Kuhbandner/Reitzner 2023.
[14] Einen instruktiven Überblick über die wichtigsten Akteure und Netzwerke im Feld der Pandemic Preparedness liefern René Bohnstingl, Linda Lilith Obermayr und Karl Reitter in ihrem bereits zitierten Buch Corona als gesellschaftlichen Verhältnis (Bohnstingl et al. 2023, S. 66ff.).
[15] Siehe beispielhaft das Abwassermonitoring von Bayern (https://www.bay-voc.lmu.de/abwassermonitoring) oder von Österreich (https://abwassermonitoring.at/dashboard). Wie wenig das auf diese Weise aggregierte Datenmaterial über irgendein reales Infektions- und Krankheitsgeschehen aussagt, verdeutlichen allein die dort präsentierten Tabellen und Grafiken. Übertroffen wird solcher Unsinn höchstens noch durch den ebenfalls während der „Pandemie“ erprobten Einsatz von „Virenspürhunden“, die Corona-Infektionen erschnüffeln können sollen (tagesschau.de, 16.11.2022). Man darf froh sein, dass aufgrund der Aufwendigkeit dieser „Methode“ noch niemand auf die Idee gekommen ist, daraus ein eigenständiges Monitoringsystem zu entwickeln.
[16] Die ersten Pandemie-Planspiele in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren simulierten nicht von ungefähr hauptsächlich Gesundheitsnotfälle nach einem Biowaffenangriff. Hier zeigt sich abermals und in besonders eindrucksvoller Weise die (den modernen Formen und Praktiken der Seuchenbekämpfung seit jeher inhärente) militärische Logik von „Biosicherheit“ und verwandten „gesundheitspolitischen“ Strategien.
[17] Immer wieder sehenswert in diesem Zusammenhang ist ein Video mit dem selbstentlarvenden Titel „Science ist meins“ von Mai Thi Nguyen-Kim, ihres Zeichens Chemikerin, Wissenschaftsvermittlerin und während der Corona-Krise in Deutschland eine der prominentesten „Fakenews“-Jägerinnen, das eindrücklich über das in Wissenschaft und medialer Öffentlichkeit virulente, postmoderne Wissenschaftsverständnis Auskunft gibt (bis Oktober 2027 noch abrufbar unter zdf.de). Faszinierend an dieser Darbietung ist nicht zuletzt das offensichtliche Fehlen jeglicher Schamgrenzen sowie jedes ästhetischen Missempfindens.
[18] Die in diesem Abschnitt folgenden Zitate stammen, soweit nicht anders gekennzeichnet, sämtlich aus dem hier angeführten Beitrag.
[19] Noch eindrucksvoller sind aktuelle RKI-Publikationen. So enthält der „GrippeWeb-Wochenbericht“ des RKI vom 5. November 2024 eine Abbildung (Abbildung 1), die die geschätzten ARE-Inzidenzen der Saisons 2018/19 bis 2024/25 wiedergibt. Die Pandemiejahre 2020 und 2021 erscheinen dabei als die Zeiträume mit der weitaus geringsten ARE-Aktivität (vgl. Buchholz et al. 2024).
[20] Überhaupt sind es häufig hohe Funktionäre der Pharmaindustrie, die ganz ungeschminkt und frei von der Leber weg die Dinge beim Namen nennen – man müsste ihnen bloß zuhören. So sprach der Vorstand eines anderen Pharmakonzerns (Bayer), Stefan Oelrich, offen aus, wofür andere bis heute als „Verschwörungstheoretiker“ und „Impfleugner“ denunziert werden, nämlich dass es sich bei den neuen mRNA-„Impfstoffen“ de facto um Gentherapeutika handelt. So geschehen am Berliner World Health Summit im Oktober 2021, als Oelrich mit Blick auf den Verlauf der Impfkampagne frohlockte: „Ich sage immer gerne: Wenn wir vor zwei Jahren eine Umfrage in der Öffentlichkeit gemacht hätten – ‚Wären Sie bereit, eine Gen- oder Zelltherapie in Ihren Körper zu injizieren?‘ – hätten wir wahrscheinlich eine Ablehnungsquote von 95 Prozent gehabt.“ (corodok.de, 11.11.2021)
[21] Claus Peter Ortlieb, der selbst Mathematiker war, hat sich stets dagegen verwahrt, Modellierungen als „Mathematik“ zu akzeptieren. Ihm zufolge gibt es einen Unterschied zwischen „Mathematik“ und „mathematischer Naturwissenschaft“ und erst recht zur besinnungslosen Anwendung mathematisch-naturwissenschaftlicher Methoden in nicht-naturwissenschaftlichen Bereichen: „Anders als die Mathematik ist die mathematische – und damit ‚exakte‘ – Naturwissenschaft und der mit ihr verbundene Weltzugang eine Erfindung der Neuzeit. […] Über ihren ursprünglichen Gegenstandsbereich hinaus hat die mathematisch-naturwissenschaftliche Methode inzwischen als Methode der ‚mathematischen Modellierung‘ in fast allen anderen Wissenschaftszweigen und in vielen nichtwissenschaftlichen Sektoren Fuß gefasst. Offenbar führt der Erfolg dieser Methode in Physik, Chemie und neuerdings Biologie sowie den mit diesen Naturwissenschaften verbundenen technischen Fächern zu ihrer unreflektierten Adaption auch in solchen Bereichen, in denen die Verwendung mathematischer Methoden doch zumindest auf Zweifel stoßen sollte, weil sie bestimmte Voraussetzungen der ‚exakten‘ Wissenschaften nun einmal nicht erfüllen.“ (Ortlieb 2018, S. 27) Es erscheint daher angebracht, das Wort „mathematisch“ an dieser Stelle unter Anführungszeichen zu setzen.
[22] Wobei Letzteres, wenn man boshaft sein möchte, immerhin manchen Un- und Irrsinn der vergangenen Jahre erklären könnte.
[23] Die Infektionssterblichkeit nahm von durchschnittlich 0,3 Prozent bei der ursprünglichen Wuhan-Variante (Ioannidis 2021a) auf ca. 0,06 Prozent bei Omikron ab (Liu et al. 2022).
[24] Solche und noch einige andere Kritikpunkte können exemplarisch in einer kritischen Besprechung der Impfstudie von Meslé et al. nachgelesen werden (berliner-zeitung.de, 26.9.2024).
[25] So vor allem Roswitha Scholz bei diversen Gelegenheiten (z.B. EXIT 2023, S. 10; Scholz 2024, S. 233).
[26] Immerhin hat während der „Pandemie“ de facto die Exekutive die nahezu alleinige Handlungsmacht übernommen und wurde jahrelang per Verordnung, unter Ausschaltung oder vielmehr Selbstentmachtung des Parlaments, regiert. Formal gesehen ließe sich mit Blick auf das staatliche Maßnahmenregime also durchaus von einer Art „kommissarischen Diktatur“ (im Sinne Carl Schmitts) sprechen.
[27] Selbst innerhalb der Wert-Abspaltungskritik wird gelegentlich in die Rufe nach einem Verbot der AfD eingestimmt, so etwa von Tomasz Konicz in der Einleitung seines neu aufgelegten Buches Faschismus im 21. Jahrhundert (Konicz 2024a).
[28] Eine auf phänomenologischer Ebene und auch in historischer Hinsicht durchaus instruktive Abhandlung über die Wiederkehr der Zensur liefert das Buch Zensur von Hannes Hofbauer (2022). Ob Hofbauer alle damit zusammenhängenden Entwicklungen adäquat einordnet – er sieht die Wurzel des aktuellen Vordringens der Zensur vor allem in der ökonomischen Schwäche des transatlantischen Raums –, darüber lässt sich, wie auch Gerd Bedszent (2023) in seiner Rezension zu diesem Buch schreibt, streiten.
[29] Sucharit Bhakdi gehört wahrscheinlich zu den prominentesten wissenschaftlichen Stimmen, bei denen sich die berechtigte Skepsis und Kritik an den neuartigen mRNA-Impfstoffen und die zunehmende Evidenz für deren Schadenspotential zur „Gewissheit“ verfestigte, dass es sich dabei, nicht zuletzt angesichts der Beharrlichkeit und der autoritären Methoden, mit denen die Politik die Menschen zur Impfung nötigte, um einen gezielten Anschlag der Eliten auf unser Leben handeln muss (vgl. exemplarisch uncutnews.ch, 17.11.2022),
[30] „Ich will meine Freiheit zurück!“ war denn auch der Sukkus eines Tobsuchtsanfalls der grünen Bundestagsabgeordneten Emilia Fester im Rahmen der parlamentarischen Debatten über eine allgemeine Impfpflicht im März 2022. Ein an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglassendes Video ihrer Parlamentsrede ist auf YouTube abrufbar.
[31] Seine höchste Stufe erreichte dieses magische Denken wahrscheinlich in der unter Verfechtern der Impfung zuhauf begegnenden Überzeugung, ein einigermaßen milde verlaufener Impfdurchbruch, also eine Corona-Erkrankung trotz Impfung, sei nur dank der Impfung so milde verlaufen. Das Versagen der Impfung wird in dieser jeder Logik spottenden Denke nachgerade zum Beweis für ihre Wirksamkeit (vgl. merkur.de, 5.4.2022).