Gerd Bedszent
Die Wiederkehr der Zensur
Hannes Hofbauer über die Wandlung der Meinungsunterdrückung in Geschichte und Gegenwart
Rezension von:
Hannes Hofbauer: Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung. Wien, Promedia, 2022
Zuerst erschienen am 13. Februar 2023 in der linken Tageszeitung junge welt, S. 15
Das Buch Zensur von Hannes Hofbauer ist eine grundlegende Abhandlung über Beschränkungen der Pressearbeit im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft. Es ließe sich trefflich darüber streiten, ob eine Gängelung durch stumpfsinnige Beamtenapparate oder Vorgaben von an Profit orientierten Medienkonzernen das größere Übel für einen kritischen Journalismus sind. Marx und Engels machten sich mehrfach über die Fixierung des liberalen Bürgertums auf die „Pressfreiheit“ lustig, betrachteten die Medienzensur aber letztlich als erstzunehmendes Hindernis für die weitere Verbreitung sozialistischen Gedankenguts.
Die kürzlich von Hofbauer vorgelegte Abhandlung ist vor allem eine Übersicht zu den härtesten Fällen von Zensur vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Für den Autor begann die offen praktizierte Medienzensur im Anschluss an die Erfindung des Buchdrucks. Die Kirche fürchtete um ihr Monopol in Sachen ideologischer Diskurse und drohte allen Druckern nicht genehmigter Bücher mit Exkommunikation und hohen Geldstrafen. Die mit der Herausbildung der frühbürgerlichen Gesellschaft anstehende Kirchenreformation konnte dies nicht verhindern. Der evangelische Klerus erwies sich bei der Zensur jedoch als gelehriger Schüler der Papstkirche. Im Zeitalter des Absolutismus wurde die Kirche als Zensurinstanz schrittweise von der sich herausbildenden staatlichen Bürokratie abgelöst.
Hofbauer bezieht sich positiv auf den englischen Dichter John Milton (1608-1674), einen entschiedenen Parteigänger des bürgerlichen Republikanismus; er schrieb unter anderem das erste Buch, welches sich explizit gegen Zensur wandte. Allerdings konnte im Ergebnis der zu Lebzeiten von Milton in England siegreichen bürgerlichen Revolution von Meinungsfreiheit keine Rede sein – unter anderem wurde damals der gesamte Theaterbetrieb verboten.
Hofbauer schildert die Zensurpraxis im Zeitalter der Aufklärung – Zensur war damals sowohl ein Werkzeug „aufgeklärter“ Kabinette als auch Werkzeug von Regimen der Gegenaufklärung. Mit der Herausbildung der Arbeiterbewegung waren sich Liberale und Konservative einig, dass sich staatliche Zensur auf deren Publikationen zu konzentrieren hatte. Die Entwicklung von Gewerkschaften und sozialistischen Parteien konnte auch härteste Zensurmaßnahmen nicht verhindern. Hofbauer thematisiert den geradezu grotesken Widerspruch zwischen verfassungsmäßig festgeschriebenen Zensurverboten und der Praxis, in diesem Zusammenhang zitiert er mehrfach Marx.
Gesonderte Kapitel des Buches beschäftigen sich mit der ganz unverhüllten Medienzensur unter den Nazis und der subtilen Wiederkehr dieser Zensur unter den Bedingungen des Kalten Krieges. Die sozialistischen Staaten werden von Hofbauer in dieser Hinsicht ebenfalls kritisiert.
Der während der letzten Jahrzehnte erfolgte Übergang von staatlich-bürokratischen Ge- und Verboten hin zu subtileren, dafür aber ungleich wirksameren Formen der Meinungsunterdrückung, etwa durch die großen Digital- und Plattformkonzerne wird im Buch an einigen Beispielen thematisiert. Zu nicht wenigen dieser unterdrückten und marginalisierten Meinungen kann man natürlich sehr unterschiedlicher Ansicht sein. Die Tücke dieser „neuen“ Medienzensur besteht allerdings darin, eine Diskussion über die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Positionen erst gar nicht zuzulassen. Und natürlich handelt es sich, wie der Autor schreibt, bei dieser neuen Medienzensur um „Herrschaftsinstrumente zur Durchsetzung von wirtschaftlichen Interessen, politischer Macht und kultureller Hegemonie.“
Ob nun, wie Hofbauer schreibt, diese systemische Wiederkehr von Zensur ihre Wurzel in der „ökonomischen Schwäche des Transatlantischen Raums“ hat oder aber den inneren Entwicklungsgesetzen der spätkapitalistischen Gesellschaft geschuldet ist – darüber ließe sich streiten.