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Andreas Urban


Was Trump 2.0 über das aktuelle Stadium des Krisenkapitalismus aussagt

 


Über den neuen alten US-Präsidenten Donald Trump gibt es eigentlich wenig zu sagen, das aus wertkritisch-krisentheoretischer Sicht nicht bereits gesagt worden wäre. Trump stellt eine geradezu perfekte Personifikation der Krise des warenproduzierenden Systems auf dem aktuellen Verfallsniveau dar, und zwar sowohl in politischer als auch in politisch-ökonomischer Hinsicht. Gerd Bedszent hat diesen krisenkapitalistischen Zusammenhang bereits 2016, anlässlich Trumps erstem „nicht ganz so überraschenden Wahlsieg“, trefflich zusammengefasst:


„Der US-amerikanische Unternehmerspross Donald John Trump ist zweifelsfrei ein äußerst unangenehmer Zeitgenosse; seine offen rassistischen und frauenverachtenden Ausfälle müssen hier nicht noch einmal kommentiert werden. Auch nicht seine Biographie – allein das, was bei Wikipedia über den mehrfachen Bankrotteur und verhinderten Schauspieler steht, würde an sich reichen, um sich vor Lachen den Bauch zu halten. […]
Sein ungenierter Umgang mit rechten Stammtischparolen ist ein Meilenstein im Prozess des zunehmenden Verfalls des bürgerlichen Politikbetriebes und fügt sich nahtlos ein in das europaweite Phänomen des Aufstiegs dubioser rechtslastiger Splitterparteien sowie in die in mehreren europäischen Staaten vollzogene Installation repressiver Präsidialdiktaturen. Dieser Verfall des Politikbetriebes ist wiederum eine Folge der Krise der bürgerlichen Nationalökonomie.
Freihandel und Flüchtlinge – mit diesen beiden Themen konnte Trump massenhaft Wähler für sich gewinnen. Er kündigte an, die US-Wirtschaft mittels massiver staatlicher Protektion zu stärken; durch Verhängung von Strafzöllen sollten Unternehmen gezwungen werden, ihre ins Ausland verlagerten Industriestandorte zurückzuholen. Außerdem favorisiert er eine rigorose Abschottungspolitik sowie die massenhafte Abschiebung illegaler Migranten. Sein Versprechen, auf diese Weise Arbeitsplätze zu schaffen, war vermutlich für Millionen von Abstiegsängsten geplagter US-Bürger der berühmte Strohhalm, an den sie sich klammerten.
Beim Ergebnis der jüngsten US-Wahl handelt es sich also um eine verquere Krisenreaktion der Bevölkerung. Verquer deshalb, weil zwar die Folgen dieser Krise – Schließung von Industriestandorten, Massenarbeitslosigkeit, Verarmung breiter Bevölkerungsgruppen einschließlich des Mittelstandes – den Wahlkampf dominierten, deren strukturelle Ursache im verrückten Selbstzweck kapitalistischer Produktion jedoch von niemandem thematisiert wurde.“ (Bedszent 2016)


Trumps abermaliger Wahlsieg und seine im Januar 2025 angetretene zweite Amtszeit sowie das sich bis dato abzeichnende Regierungsprogramm stellen daher im Grunde nur eine Zuspitzung seiner ersten Präsidentschaft dar, die selbst wiederum auf eine Zuspitzung der gesamtgesellschaftlichen Krisentendenzen verweist. Mit seinem rabiaten Kurs gegen „illegale Migration“ setzt er fort, was bereits einen zentralen Programmpunkt seiner ersten Amtszeit bildete und womit er übrigens – das fiel in der allgemeinen Entrüstung ob seines Wahlsieges damals ebenso unter den Tisch wie heute – streng genommen nur anknüpft an die Abschiebepolitik seiner Vorgänger im Präsidentenamt von Obama bis Biden.[1] Generell beschreibt ein „Abschieben im großen Stil“ (Olaf Scholz) den politischen Grundkonsens in den USA wie auch hierzulande, von rechts bis christdemokratisch, sozialdemokratisch, liberal und grün. Der im Januar 2025 in Deutschland vom CDU-Spitzenkandidaten und designierten Bundeskanzler Friedrich Merz mitten im Wahlkampf präsentierte „Fünf-Punkte-Plan für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration“[2] – an dem in der Öffentlichkeit skurrilerweise primär kritisiert wurde, dass er mit den Stimmen der AfD beschlossen wurde, was allerdings mittlerweile einen Standardreflex des so erfolglosen wie verlogenen „Kampfes gegen rechts“ darstellt (vgl. Urban 2024a) – liegt im Prinzip auf einer Linie mit Trumps Ankündigung massenhafter Abschiebungen und macht deutlich, dass sich hier eine allgemein wirksame Krisenideologie Ausdruck verschafft, die gleichsam in einer Personifizierung der kapitalistischen Systemkrise darauf setzt, sich an den sozial Schwächsten, den „unnützen Essern“ und „illegalen Migranten“, schadlos zu halten.


Auch die von der Trump-Administration unmittelbar nach Amtsantritt angekündigten und teilweise bereits eingeführten Zölle sind nur eine Fortführung der schon 2017 begonnenen protektionistischen Wirtschaftspolitik („Make America Great Again“). Dass es sich auch hier um keine per se Trump’sche Spezialität, sondern um eine allgemeine Tendenz im aktuellen Stadium der Krise des warenproduzierenden Systems handelt, wird daran ersichtlich, dass diese protektionistische Politik unter Biden praktisch nahtlos fortgesetzt und weiter vorangetrieben wurde, u.a. in Gestalt von US-Unternehmen begünstigenden „Buy American“-Bestimmungen. In diesen Zusammenhang gehören auch die forcierten Bemühungen um den Aufbau regionaler (anstatt globaler) Produktionsketten (Nearshoring). Der sich derzeit abzeichnende, unter Trump 2.0 erneut auf die Spitze getriebene Protektionismus läuft gewissermaßen auf einen totalen globalen Wirtschaftskrieg hinaus, der als Krisenstrategie nicht nur eines geopolitisch und ökonomisch im Abstieg befindlichen Welthegemons, sondern auch vor dem Hintergrund der Erschöpfung der bereits selbst als Krisenphänomen zu wertenden Globalisierung (dazu Kurz 2005) aufzufassen ist. Markiert ist damit der Eintritt in eine „neue Krisenphase“, in der voraussichtlich „die neoliberale Globalisierung durch verstärkte staatskapitalistische Konkurrenz abgelöst wird“ (Konicz 2024, S. 39; ebenso Urban 2024b).


Ebenfalls nur eine neue Qualität erreicht unter der aktuellen Trump-Regierung die Verwandlung der USA in einen Oligarchenstaat. Erstmals in der Geschichte befinden sich mehrere Milliardäre unter den Mitgliedern einer US-Regierung (bisher waren es, mit Ausnahme Trumps, „nur“ Millionäre) – was übrigens abermals ein Schlaglicht auf das fortgeschrittene Niveau der kategorialen Krise des kapitalistischen Weltsystems wirft, sei es im Hinblick auf die in groteske Dimensionen aufgegangene Schere zwischen Arm und Reich, sei es mit Blick auf die voranschreitende Entwertung des Geldmediums. Mit Elon Musk wurde nicht nur eine Person in eine hohe, eigens für ihn kreierte politische Position gehievt, die von der Persönlichkeitsstruktur her große Ähnlichkeit mit dem neuen US-Präsidenten aufweist und ein besonders gruseliges Exemplar des heute praktisch ubiquitären narzisstischen Sozialcharakters darstellt (vgl. Jappe 2025), sondern es wurde damit auch die Differenz zwischen Kapital und Staat bzw. Politik praktisch gänzlich eingeebnet. Mit der ihm übertragenen Leitung einer Behörde für „Regierungseffizienz“ gewinnt insbesondere das Sprichwort „den Bock zum Gärtner machen“ eine ganz neue Bedeutung, zumal Musk selbst nicht unwesentlich als Auftragnehmer des Staates groß geworden ist (Rüstungsindustrie, Raumfahrt etc.), also von diesem subventioniert wurde; mit dem „freien“ Unternehmertum ist es daher auch und gerade bei Musk nicht allzu weit her. Mit Spannung erwartet werden dürfen Konflikte innerhalb dieser (personell auch in anderer Hinsicht „interessanten“) Regierungskonstellation, denn was ein Tech- und Internet-Mogul wie Musk am wenigsten gebrauchen kann – und woraus er auch kein großes Geheimnis macht –, ist ein Ende des globalen Freihandels und eine Abschottung des US-Wirtschaftsraums, wie Trump sie anvisiert.


Dies führt zu einem weiteren Aspekt der Personalie Trump – seiner extremen Widersprüchlichkeit und Unberechenbarkeit: Schon seine erste Präsidentschaft wurde seitens der Wertkritik allein aufgrund seiner Persönlichkeits- und Charakterstruktur als aussagekräftiger Indikator für die galoppierende Erosion von „Demokratie & Marktwirtschaft“ und insbesondere des politischen Feldes aufgefasst. Und so scheint auch seine heute wieder unaufhörlich an den Tag gelegte Unberechenbarkeit und sein oftmals irrational anmutendes Verhalten bloß die gesamtgesellschaftliche Irrationalität zu reflektieren, die das warenproduzierende System, vor allem aber und auf ganz eigene Weise seine westlichen Ableger, in der fundamentalen Krise des Kapitals heimsucht und nicht zuletzt während der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg ein neues Niveau erklommen zu haben schien (vgl. Urban 2022, 2023a, 2023b; ebenso Urban 2024c). Die zahllosen (nicht selten rechtswidrigen) Dekrete und Ankündigungen, die Trump seit seiner Amtseinführung in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit vom Stapel lässt, wirken dermaßen erratisch und zuweilen in einem Maße bizarr, dass man aus dem Staunen kaum herauskommt – so etwa seine Ankündigung, Grönland ggf. mit militärischer Gewalt annektieren zu wollen, Kanada als 51. Bundesstaat in die USA einzugliedern oder Gaza zu übernehmen und in eine „Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln – womit er denn auch so nebenbei und mit bemerkenswerter Offenheit die ethnische Säuberung des Gazastreifens als Lösung des Nahostkonflikts in Aussicht stellt. Der Witz an der Sache ist, dass Trump mit seinem Vorgehen bislang durchaus erfolgreich ist. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, das auf den ersten Blick erratische Vorgehen Trumps könnte doch so etwas wie System haben und auf eine wie auch immer verquere Binnenrationalität verweisen: Er überwältigt sein Gegenüber, Gegner wie Partner, mit der schieren Zahl und der absonderlichen Qualität seiner Dekrete und Verlautbarungen, sodass es ihm gerade deswegen gelingt, in vielen Belangen durchaus beträchtliche Zugeständnisse zu erzielen – was daher am Ende vielleicht weniger über Trump als über die unter dem Eindruck seines forschen Politikstils einknickenden Staaten, insbesondere die zusehends zu Vasallen degradierten europäischen Bündnispartner aussagt. Man wäre inzwischen keineswegs überrascht, wenn es Trump tatsächlich gelänge, sich Grönland einzuverleiben, und zwar ganz ohne jegliche militärische Gewalt. Es ist vor diesem Hintergrund aber wahrscheinlich generell ratsam, Trumps öffentliche Ankündigungen, vor allem seine imperialen Ambitionen betreffend, nicht umstandslos beim Wort zu nehmen. Ob seine Pläne bezüglich Gaza, Grönland, Panama etc. wirklich von seinen verbalen Äußerungen abgebildet werden oder ob er damit andere Zwecke verfolgt, lässt sich, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt, sehr schwer einschätzen.


Zu dieser Unberechenbarkeit, die es besonders schwer macht, sich auf sämtliche von Trumps Aktionen einen Reim zu machen, geschweige denn halbwegs valide Prognosen abzugeben, gehört auch, dass man einzelnen seiner Pläne und Dekrete (zumindest auf den ersten Blick) beinahe positive Seiten abgewinnen könnte. So bedeutet die besonders in Europa mit Entsetzen zur Kenntnis genommene Schleifung der US-Behörde für „Entwicklungshilfe“ USAID auch das mutmaßliche Ende einer Abteilung der amerikanischen Außenpolitik, die maßgeblich für die Vorbereitung der zahlreichen Regime-Change-Operationen der USA in den vergangenen Jahrzehnten verantwortlich zeichnete, indem durch Finanzierung von Medien und NGOs – freilich offiziell verkauft als „Förderung von Demokratie und Zivilgesellschaft“ – Einfluss auf den politischen Willensbildungsprozess in den jeweiligen Ländern genommen wurde; eine Institution, um die es wahrlich nicht schade ist. Es ist vor diesem Hintergrund so verständlich wie verräterisch, wenn die (selbst zum größten Teil durch staatliche Gelder und Zuwendungen von Stiftungen wie National Endowment for Democracy finanzierte) NGO Reporter ohne Grenzen, quasi stellvertretend und unisono mit zahlreichen anderen Medienvertretern weltweit, die Auflösung von USAID als Angriff auf die „Nachhaltigkeit unabhängiger Medien“ geißelt.[3] Genauso wenig überrascht es, wenn dieselbe Organisation in ihrer Presseaussendung zur USAID-Causa verkündet, dass beispielsweise in der Ukraine – sozusagen dem gegenwärtig offensichtlichsten Opfer US-amerikanischer Regime-Change-Aktivitäten der jüngeren Vergangenheit – rund 90 Prozent der Medien von Zuwendungen abhängig sind, wobei USAID der wichtigste Geldgeber sei. Noch nicht absehbar ist freilich der Flurschaden, den die Zerschlagung der Behörde im Hinblick auf solche Tätigkeitsbereiche bedeutet, die der Entwicklungshilfe im engeren Sinne gewidmet waren. Allerdings ist es auch hier ein offenes Geheimnis, dass die wenigsten der aufgewendeten Geldmittel den Menschen vor Ort zugutekommen, sondern größtenteils im gigantischen Verwaltungsapparat einer regelrechten Entwicklungshilfe-Industrie
versanden.[4] Die aktuelle Aufregung um USAID ist also über weite Strecken ähnlich verlogen wie jene über Trumps angekündigte Massenabschiebungen. Das Problem ist eher, dass durch die Auflösung dieser zwar bestimmt nicht praktisch, aber zumindest formal „unabhängigen“ Behörde die entsprechenden Tätigkeiten nunmehr unmittelbar im Außenministerium angesiedelt werden dürften und dadurch noch intransparenter sein und unter direkter politischer Steuerung stehen werden – zumal nicht anzunehmen ist, dass ausgerechnet eine Trump-Regierung auf solche immerhin lange bewährten Instrumente zur Durchsetzung amerikanischer Interessen und zur Verbreitung demokratischer „Werte“ einfach verzichten wird. Bei der Abwicklung von USAID handelt es sich also wahrscheinlich eher um eine Neuorganisation als um seine völlige Abschaffung – eine Neuorganisation, die Teil einer allgemeinen (parteipolitischen) Bereinigung und Verschlankung des US-Interventions-Apparats zu sein scheint. Möglich wäre aber natürlich auch – was aber nicht unbedingt im Widerspruch zum vorher Gesagten steht und worauf gerade die von Trump artikulierten territorialen Begehrlichkeiten hindeuten könnten –, dass das weitgehende Herunterfahren von USAID und der darüber abgewickelten Regime-Change-Tätigkeiten ein Indiz dafür ist, dass sich die USA unter Trump in Hinkunft nicht mehr mit solchen zwar perfiden, aber eher subtilen Methoden abgeben möchten, sondern in der Vertretung ihrer geopolitischen und ökonomischen Interessen zunehmend auf nackte Gewalt zu setzen gedenken.


Generell ist erkennbar, dass mit der neuen Trump-Regierung wieder eine wesentlich stärkere und vor allem offenere Betonung von „Interessen“ Einzug hält. Auch dies ist eine Entwicklung, die man rein immanent betrachtet nicht ausschließlich negativ beurteilen muss, da dies bis zu einem gewissen Grad eine Abkehr von der mittlerweile kaum noch erträglichen Heuchelei rund um „westliche Werte“ bedeutet, hinter welchen sich in aller Regel, lediglich aufgehübscht durch allerlei humanistische und demokratische Phrasen, ohnehin dieselbe knallharte und inhumane Interessenpolitik des Westens verbirgt. Wo in den vergangenen Jahrzehnten bevorzugt von Werten geschwurbelt wurde, reden Trump und Co. nun wieder offen von Geld und Interessen. Dies ist, worauf noch zurückzukommen sein wird, im Übrigen auch der Hauptgrund für die Rage, in die Trump EUropa seit seinem Amtsantritt versetzt. Freilich ist die Alternative zwischen Werteheuchelei und offener Interessenpolitik aus der Perspektive einer kritischen Theorie und unter Berücksichtigung der fortgeschrittenen Krise des warenproduzierenden Systems, bildlich gesprochen, vergleichbar mit der Wahl zwischen zwei Verlaufsformen einer Krebserkrankung im Endstadium und ob man lieber unter Hirn- oder Lebermetastasen leidet. Letal ist am Ende des Tages beides. Wenn hier also davon die Rede ist, es gebe manche „positive“ oder nicht ausschließlich „negative“ Aspekte im Zusammenhang mit Trumps Präsidentschaft, so muss das einzig und allein in diesem Sinne verstanden werden, als eine rein immanente Präferenz unter ganz und gar hundsmiserablen Optionen. Unter diesen Bedingungen (und aus denselben Gründen) ist es aber eben auch keineswegs immer so leicht zu bestimmen, ob Trump und seine Wiederwahl, wovon etwa Tomasz Konicz völlig überzeugt ist, [b]esonders verheerend“ (Konicz 2025) und praktisch in jeder Hinsicht das Schlimmste seien, was uns in der gegenwärtigen Lage bzw. auf dem aktuellen Stand der Krise passieren konnte. Zum Teil mag das stimmen, etwa mit Blick auf die sich auch in westlichen „Demokratien“ schon länger abzeichnenden autoritären Tendenzen; diese Tendenzen dürften mit Trump in der Tat einen neuen Höhepunkt erreichen und eine weitere gesellschaftliche „Normalisierung“ erfahren. Dass Trump sich nicht mehr hinter „Werten“ versteckt, hat aber, so abstoßend sein dabei an den Tag gelegtes Auftreten und seine rüpelhaften Manieren fraglos sind, durchaus gewisse Vorzüge. Denn streng genommen spricht er bloß offener aus und praktiziert auch mit derselben Offenheit, was ohnehin längst auf der Tagesordnung steht. Man braucht dafür nicht nochmals das Migrationsthema zu bemühen, bei dem seine Vorgänger im Präsidentenamt die Latte punkto Abschiebungen in Höhen gelegt haben, die Trump überhaupt erst einmal erreichen muss (die von der Trump-Administration wenige Tage nach Amtsantritt durchgeführte und mit der hinlänglich bekannten Großmäuligkeit so bezeichnete „größte Massenabschiebung in der Geschichte“[5] war im wesentlichen Selbst-PR). Ein vortreffliches Beispiel hierfür ist auch die Klimapolitik, ein anderes Aufregerthema im Zusammenhang mit Trump, vor allem in unseren Breiten: Wie erwartet hat Trump per Exekutivanordnung den abermaligen Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen in die Wege geleitet. Bei Trump war es bereits während seiner ersten Amtszeit und ist es bis heute vor allem seine geradezu aufreizende Nonchalance, mit der er demonstriert, dass er auf ökologische Fragen im Allgemeinen und den Klimawandel im Besonderen einen feuchten Kehricht gibt. Für Trump ist klar, und daraus macht er auch kein Geheimnis, dass die Wirtschaft, zumal die amerikanische, Vorrang hat vor Klima- und Umweltschutz. Das ist gewiss keine sympathische Position, aber sie ist allemal ehrlicher als jene der „Klimapolitiker“ und Verfechter eines (inzwischen wohl obsoleten) Green New Deal, die nicht nur mit missionarischem Eifer propagieren, was schlicht illusorisch ist, nämlich dass Ökonomie und Ökologie unter einen Hut zu kriegen seien, sondern auf der Basis von „Klimaschutz“ auch ein neues kapitalistisches Akkumulationsregime zu etablieren beabsichtigen, das als solches ökologisch kaum weniger schädliche Effekte zu entfalten verspricht als das aktuelle, auf fossilen Energieträgern beruhende. Auch von früheren US-Präsidenten unterscheidet sich Trump in dieser Hinsicht nur durch seine Direktheit und seinen fehlenden Willen zu Camouflage: Bereits George Bush sen. hat niemals Zweifel daran gelassen, dass für ihn der American Lifestyle „nicht verhandelbar“ ist.[6] Gleichzeitig hat er 1992 die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen unterzeichnet – sozusagen einen Vorgänger jenes Abkommens, das Trump heute sabotiert.


In gewisser Weise positiv – jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der vorübergehenden Abwendung einer zeitweise ja durchaus am Horizont aufscheinenden nuklearen Eskalation (vgl. Urban 2024d) – sind schließlich auch die offenbar ernsthaften Bestrebungen Trumps zur Beendigung des längst verlorenen Stellvertreterkrieges in der Ukraine. Freilich ist dies gleichbedeutend damit, die Ukraine (oder vielmehr das Kiewer Regime) vor den sprichwörtlichen Bus zu stoßen – ein Schicksal, das aber absehbar war, da es bislang noch jeden von den USA gepäppelten Staat getroffen hat, wenn dieser nicht „geliefert“ hat oder für die USA schlicht nicht mehr von Nutzen war, weil die Kosten in finanzieller, militärischer und/oder (geo)politischer Hinsicht zu hoch wurden. Auch schlägt sich hier abermals die bereits erwähnte tendenzielle Abkehr von „Werten“ zugunsten einer knallharten Fokussierung auf amerikanische „Interessen“ nieder – welchen es aus Trumps Sicht ganz einfach widerspricht, weiterhin Milliarden für ein militärisches Desaster aufzuwenden, zumal es nicht seine, sondern die Biden-Administration war, die sich darauf eingelassen hat. Nur besonders verbohrte Geisterfahrer der Zeitgeschichte, wie sie vor allem in Europa unterwegs sind, können in Trump nun die Ursache für die ukrainische Niederlage und für den sich abzeichnenden „russischen Diktatfrieden“ sehen (als hätte in einem Krieg schon jemals der Verlierer die Friedensbedingungen bestimmen dürfen). Die Mitte Februar 2025 in Riad ohne Beteiligung der Ukraine (und Europas) begonnenen Friedensgespräche zwischen den USA und Russland verraten im Prinzip alles über die Natur des Ukraine-Krieges: Die Ukraine ist und war in diesem Konflikt – allem Geschwätz über ihren „tapferen Kampf um Souveränität“ zum Trotz – zu keiner Zeit etwas anderes als ein Befehlsempfänger der USA, von denen sie jahrelang zu einem westlichen Bollwerk gegen Russland aufgebaut wurde und in praktisch allen Belangen, finanziell wie militärisch, abhängig ist. Unter dem Strich bleibt nun für die Ukraine weniger als nichts, nachdem sie als westlicher Stellvertreter systematisch in die Konfrontation mit Russland getrieben und ein frühzeitiger, offenbar bereits weitgehend ausgehandelter Friedensvertrag von ihren westlichen Verbündeten (aber auch von ultranationalistischen Kräften im eigenen Land) im April 2022 torpediert wurde. Eine NATO-Mitgliedschaft ist für die Ukraine in weitere Ferne denn je gerückt, darüber hinaus hat sie empfindliche Gebietsverluste sowie enorme Verluste an Menschenleben zu beklagen. Nicht einmal Sicherheitsgarantien wollen (und können) die USA ihrem ausgebluteten Stellvertreter noch gewähren. Zum Dank – der Ukraine an die USA, versteht sich, für die ausgiebige Finanz- und Waffenhilfe – sollen die USA die Rohstoffvorkommen, insbesondere Seltene Erden, der Ukraine ausbeuten dürfen; was Präsident Selenskij auch umgehend seinem neuen Amtskollegen und „Partner“ Trump in vorauseilendem Gehorsam offeriert[7], ohne in Wahrheit allerdings noch viel anzubieten zu haben, da die ukrainischen Vorkommen an Seltenen Erden entweder bereits in der Hand von Konzernen oder aufgrund geologischer Bedingungen kaum profitabel abzubauen sind (oder, soweit es östliche Landesteile betrifft, von Russland einverleibt wurden). Um die Ukraine – oder das, was davon noch übrig ist – sollen sich in Hinkunft die Europäer kümmern, ebenso um die Fortsetzung der Feindseligkeiten gegen „den Russen“. Auch das braucht man EUropa nicht zweimal zu sagen. Das hiesige politische Führungspersonal, zusammen mit ihrem treu ergebenen Medienbetrieb, ist so sehr Opfer der eigenen Kriegspropaganda, der zufolge ein völlig größenwahnsinniger Putin nach der Ukraine auch in andere europäische Länder einfallen möchte, dass sie – jetzt erst recht – einen massiven Militarisierungskurs fahren und die Bevölkerung auf „Kriegstüchtigkeit“[8] einschwören, um auf diese Weise einen großen Krieg mit Russland überhaupt erst zu provozieren, den sie damit verhindern zu müssen glauben. Der schon seit geraumer Zeit umgehende, mit zunehmend offener Paranoia gepaarte Realitätsverlust steigert sich zur wahnhaften Raserei. Man kann für diese Zurschaustellungen paranoiden Wahns nur deshalb nicht umstandslos (oder höchstens mit einigen Skrupeln) Horkheimers und Adornos Beschreibungen der „pathischen Projektion“ in Anschlag bringen, wonach stets „der blind Mordlustige im Opfer den Verfolger gesehen [hat], von dem er verzweifelt sich zur Notwehr treiben ließ“ (Horkheimer/Adorno 2010, S. 196), weil es schlicht unzulässig wäre, Russland in diesem Konflikt zu einem Opfer zu stilisieren, und geradezu grotesk, ausgerechnet Putin von den Mordlustigen auszunehmen (einmal ganz davon abgesehen, dass die EU bei einer direkten militärischen Konfrontation mit Russland sehr wahrscheinlich den Kürzeren ziehen würde). Man müsste außerdem in Kauf nehmen, dass die Verfechter der Propaganda vom „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ in ihrer hinlänglich bekannten, selbst „pathischen“ Vereinfachung der Kriegsursachen den zweiten Teil jenes Satzes von Horkheimer und Adorno dagegenhalten würden, der nämlich so fortgesetzt wird, dass es stets „die mächtigsten Reiche“ seien, die „den schwächsten Nachbarn als unerträgliche Bedrohung empfunden [haben], ehe sie über ihn herfielen“ (ebd.). Es hat generell den Anschein, dass der Befund der „pathischen Projektion“ zunehmend an den immer irrationaleren gesellschaftlichen Verhältnissen des spätpostmodernen Krisenkapitalismus abstumpft, ohne dadurch freilich als Befund gegenstandslos zu werden – im Gegenteil: Die pathische Projektion ist heute allgegenwärtig und findet sich bei linksliberalen und grünen Bellizisten nicht weniger als bei Rechtsextremen und Antisemiten, bei militanten Vertretern „westlicher Werte“ wie Baerbock, Macron, von der Leyen und Co. nicht weniger als bei Rechtspopulisten und diversen (hierzulande bevorzugt so bezeichneten) „Autokraten“ weltweit – was wiederum, ganz im Sinne der Dialektik der Aufklärung, verdeutlicht, dass die pathische Projektion der Aufklärung als solcher inhärent ist und daher nicht zufällig im Zuge des Kollaps der kapitalistischen Modernisierung, deren ideologische Begleitmusik das Aufklärungsdenken im Wesentlichen stets nur war, auf allen Ebenen zum Durchbruch kommt. Was die europäischen Vorbereitungen auf einen Krieg mit Russland und die forcierten Bemühungen um „Kriegstüchtigkeit“ betrifft, bleibt einfach nur zu hoffen, dass es sich dabei bloß um ein letztes, verzweifeltes rhetorisches Rückzugsgefecht der Bellizisten handelt oder sich EU und NATO andernfalls in der Umsetzung ihrer Vorhaben so „kompetent“ zeigen werden, wie bei genügend anderen Gelegenheiten in den vergangenen Jahren.


Überhaupt ist die Reaktion Europas bzw. der EU auf Trump 2.0 mindestens genauso interessant und mit Blick auf das gegenwärtige Krisenstadium, insbesondere aber auf den damit korrespondierenden Grad des politischen Verfalls nicht weniger aussagekräftig als Trump selbst. Dies betrifft nicht nur die eine Mischung aus Hilflosigkeit und Panik reflektierenden Reaktionen auf den vollendeten geopolitischen und ökonomischen Bedeutungsverlust, in den sich die EU durch ihre kurzsichtige Parteinahme im amerikanisch-russischen Stellvertreterkrieg und durch die regelrechte Unterwürfigkeit gegenüber dem immer rabiateren und destruktiveren Krisenimperialismus der abgetakelten „Weltpolizei“ USA manövriert hat – ein Krisenimperialismus, der selbst vor den eigenen Verbündeten immer weniger haltmacht, wovon die mutmaßlich von den USA durchgeführte oder veranlasste Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines ebenso zeugt wie die von Trump heute offensiv erhobenen Ansprüche auf Grönland und Kanada. Geradezu euphorisch hat man sich von den etablierten und für weite Teile der europäischen Wirtschaft essentiellen Versorgungswegen für russische Energieträger (Erdgas, Erdöl) abgeschnitten und so die energetische „Abhängigkeit von Russland“ durch eine umso größere Abhängigkeit von den USA (aber auch von diversen Zwischenhändlern, wie z.B. Indien, die russisches Erdöl und Gas mit Aufschlag an die EU weiterverkaufen) eingetauscht. Und ausgerechnet die USA fallen einem nach der abermaligen Wahl von Donald Trump nun in den Rücken, indem sie die Welt unter Einschluss Europas mit Strafzöllen überziehen und der ohnehin schon geschwächten europäischen Wirtschaftszone (von der die USA übrigens durch die Abwanderung europäischer Unternehmen in die Vereinigten Staaten selbst unmittelbar zu profitieren trachten) zusätzlich Schaden zufügen.


Abgesehen von der fulminanten ökonomischen und geopolitischen Selbstbeschädigung, die Europa (über die ohnehin aus der fortschreitenden Kapitalismuskrise resultierenden Verwerfungen hinaus) an sich selber exekutiert hat und die die Nerven des hiesigen Führungspersonals nun vollends blank liegen lässt, ist es aber vor allem eine andere „Leistung“ der neuen Trump-Administration, die an dieser Stelle hervorgehoben zu werden verdient: Trump und Co. haben rücksichtslos die ohnehin schlechtsitzende und inzwischen gehörig ramponierte demokratische Maske von der Fratze der „westlichen Wertegemeinschaft“ gerissen. Die Empörung, welche nicht erst der „Eklat“ im Rahmen eines Treffens zwischen Trump und Selenskij im Weißen Haus Ende Februar 2025, sondern bereits eine Rede des US-Vizepräsidenten J. D. Vance auf der zwei Wochen früher abgehaltenen Münchner Sicherheitskonferenz hervorrief, ist wohl vor allem vor diesem Hintergrund zu sehen. Zwar liegt der Grund für die Empörung wahrscheinlich nicht nur, wie in einem ansonsten weitgehend treffenden Kommentar auf der Website kodoroc.de über die Reaktionen auf Vances Rede konstatiert wird, in der „Ungeschminktheit“, mit der die neue US-Regierung praktiziert, wofür frühere Regierungen noch stets ihrer leadership wegen gefeiert wurden, nämlich „dem Rest der 

Welt vor[zu]geben, wo es lang geht“.[9] Dieser besteht vielmehr in ihrer ostentativen Abkehr von den „westlichen Werten“, die bis vor kurzem auch von den USA noch hochgehalten wurden, und an denen EUropa auf Gedeih und Verderb festhalten will, inklusive der damit verbundenen, jahrzehntelang eingeübten Heuchelei. Geradezu Schnappatmung löste etwa Vances Chuzpe aus, in seiner Rede auf diverse Erscheinungsformen politischer Gleichschaltung und Zensur innerhalb der EU hinzuweisen – ein unerhörter Affront gegen die „aufrechten Demokraten“, die sich in einem legitimen Abwehrkampf gegen „Rechtsextreme“ und „Autokraten“ und von diesen verbreitete „Desinformationen“ und „Fake News“ wähnen. Vances Zensur-Vorwürfe an die Führungseliten Europas werden auch nicht per se dadurch falsch, dass er als Angehöriger einer rechtspopulistischen, selbst mit autoritärem Habitus auftretenden und darüber hinaus die Unterstützung der wichtigsten Internet-Oligarchen genießenden Regierung einen allzu zweifelhaften Verteidiger liberaler Freiheiten abgibt. In welchem ideologischen Zusammenhang sein Einsatz für die Meinungsfreiheit zu verorten ist, wird schon alleine daran ersichtlich, dass er mit seinem Fokus auf Themen, die seiner Meinung nach besonders unter Einschränkungen der freien Meinungsäußerung zu leiden haben,

inhaltlich einen „Schulterschluß zwischen ‚Mitte‘, rechts und rechtsextrem“[9]vollzieht: Neben der Position zum Ukraine-Krieg und dem Negieren der Corona-Labortheorie (als derzeit besonders gehegtes Liebkind der US-Geheimdienste in der geopolitischen Konfrontation mit China) ist es vor allem die Behinderung radikaler Abtreibungsgegner und von Kritikern einer zu „inkonsequenten“ staatlichen Migrationspolitik, die er beklagt. Dass die Konfliktlinie zwischen Vance und den von ihm angegriffenen EU-Politikern nicht primär auf inhaltlicher Ebene verläuft – mit Ausnahme der Position zum Ukraine-Krieg, in dem die USA ja nun tatsächlich eine Kehrtwende vollziehen –, kann wiederum daran abgelesen werden, dass insbesondere in der Politik gegen „illegale Migration“ die Differenz zwischen EU und USA, wie gesagt, marginal und bestenfalls eine graduelle ist. Nicht von ungefähr wird von europäischer Seite auch eher der Vorwurf geäußert, die Vereinigten Staaten würden sich in europäische Angelegenheiten einmischen – eine Kritik, die vielleicht nachvollziehbar wäre, „wenn sie berücksichtigte, daß in der Vergangenheit Einmischung durchaus erwünscht war, wenn sie denn im gemeinsamen Interesse zu liegen schien“[9]; ganz zu schweigen von der permanenten politischen Einmischung, deren sich auch die EU wie selbstverständlich in Ländern befleißigt, die sie in ihre Einflusssphäre zu ziehen bzw. dort zu halten beabsichtigt (so zuletzt in Moldawien und Georgien, wo Wahlen zuungunsten pro-europäischer Kräfte auszugehen drohten; die Farce rund um die Annullierung einer angeblich von Russland aus beeinflussten Präsidentschaftsvorwahl in Rumänien im Dezember 2024 wurde seitens der EU mindestens gebilligt[10]). Was in Europa so maßlos irritiert und Entsetzen hervorruft, ist also vor allem, dass sich die hinter den „westlichen Werten“ schon immer verbergenden konkreten geopolitischen und ökonomischen Interessen zusehends gegen es selbst richten, weil der transatlantische „große Bruder“ nicht einmal mehr auf seine Verbündeten Rücksicht nimmt und (jedenfalls bis auf weiteres) auf eine (Krisen-)Strategie des „America First“ setzt. Die Reaktionen auf den „Eklat im Weißen Haus“ sind denn von ähnlicher Qualität, wobei sich darin besonders auch die schon angesprochene, nunmehr wieder offen vertretene Priorisierung ökonomischer Interessen reflektiert, die mit der Abkehr Trumps von der „Wertepolitik“ einhergeht. Vorgeworfen wird ihm folgerichtig nicht nur, „gleichgültig“ gegenüber dem „Leid“ in der Ukraine zu sein und durch sein Vorgehen den „russischen Aggressor“ zu „belohnen“, sondern dass er „gute Geschäfte über Demokratie und Freiheit“ stelle, es ihm um „Dollars, nicht um Frieden“ gehe.[11]


Wie es um die „westlichen Werte“ von Demokratie, Freiheit, Menschenrechten usw. mittlerweile steht – oder wie wenig davon schon immer zu halten war und wie sehr jene „westlichen Werte“ heute zur Kenntlichkeit entstellt werden – könnte exemplarisch noch an zahlreichen anderen Beispielen veranschaulicht werden. Dass z.B. in der medialen Öffentlichkeit hierzulande kaum jemals grundsätzlich an Trumps „Ideen“ einer faktischen ethnischen Säuberung des Gazastreifens Anstoß genommen, sondern vor allem auf ihre (u.a. völkerrechtliche) Undurchführbarkeit verwiesen wird[12], sagt im Prinzip alles über das Wesen jener „Werte“ und ihrer Apologeten. In Israel selbst finden solche Überlegungen ohnehin Zuspruch, und zwar nicht nur unter Angehörigen und Anhängern der ultrarechten Regierung Netanjahus, sondern, wie es scheint, in weiten Teilen der israelischen Bevölkerung (vgl. Zuckermann 2025). Eine traurige Entwicklung, die (auch) auf den spezifischen Barbarisierungsprozess der israelischen Gesellschaft im Zuge der Krise des warenproduzierenden Systems verweist (vgl. Urban 2023c).


So ist also die Wiederwahl Trumps und seine kürzlich begonnene zweite Amtszeit in der Tat nur ein Symptom des Fortschritts, den die fundamentale Krise des Kapitalismus und die damit einhergehende Erosion des bürgerlichen Politikbetriebes in den vergangenen Jahren insgesamt gemacht haben. Hier schlägt sich insbesondere nieder, dass die an allen Ecken und Enden zum Vorschein kommenden Krisenphänomene systemimmanent immer weniger verwaltbar, geschweige denn lösbar sind – von der Krise der Arbeit, der Entwertung des Werts mitsamt der daraus resultierenden Instabilität von Weltwirtschaft und Finanzsystem, bis hin zur ökologischen Krise oder der Massenmigration aus den Elends- und Zusammenbruchsregionen der spätkapitalistischen Welt. Es ist gerade diese immanente Ausweglosigkeit, die eine Tendenz zu autoritärer Ordnungsmacherei und Dezisionismus fast schon naturwüchsig aus sich hervortreibt, und die nicht von ungefähr schon seit längerer Zeit von wert- und wert-abspaltungskritischer Seite diagnostiziert wird (vgl. Scholz 2006). Umso dringender wäre eine emanzipatorische Perspektive, die die radikale Kritik und Überwindung jener unlebbaren und sukzessive in Anomie und Barbarei versinkenden kapitalistischen Gesellschafts- und Lebensform auf die Tagesordnung setzt. Davon ist aber heute wahrscheinlich weniger denn je in Sicht. Am allerwenigsten hilfreich und auf ihre Art kaum weniger borniert und bösartig als die offen in Rechtsextremismus und Faschisierung abgleitenden Teile der Bevölkerung ist die gesellschaftliche Mehrheit derer, die in einer strukturell ähnlich gelagerten Personalisierung der Krise und dabei auch mit ähnlich autoritären Methoden und Denkformen zum „Kampf gegen rechts“ blasen, um damit eine „Demokratie“ zu „verteidigen“, deren fortschreitender krisenbedingter Zerfall den neuen Rechtsextremismus und Autoritarismus gerade gebiert. Die Demokratie ist, wie Robert Kurz nicht müde wurde zu betonen, „selbst der Schoß, aus dem das kroch“ (Kurz 1993, S. 11). Es ist daher kein Zufall, dass der allenthalben problematisierte und perhorreszierte Rechtsruck sich nicht allein auf Rechtsextremismus beschränkt (der laut einschlägiger Studien heute offenbar weniger verbreitet ist als noch vor zwanzig Jahren[13]) oder auf den Höhenflug rechter Parteien wie AfD und FPÖ, sondern in Wahrheit ein gesamtgesellschaftlicher ist, der durch das gesamte demokratische Spektrum hindurch verläuft – abzulesen etwa an der inzwischen de facto in allen politischen Lagern konsensfähigen repressiveren Migrations- und Asylpolitik oder an dem ebenfalls von fast allen Parteien befürworteten Militarisierungskurs. Der Unterschied reduziert sich zunehmend darauf, dass die Rechten ihre autoritären und oftmals menschenverachtenden Krisenstrategien offen und ungeschminkt propagieren, während die „aufrechten Demokraten“ sich hinter substanzlos gewordenen humanistischen Phrasen und ihrer gebetsmühlenartigen Beschwörung „westlicher Werte“ verstecken. Eben das zeichnet nicht zuletzt die Reaktionen auf Trump hierzulande aus und macht die an sich zwar sehr berechtigte und notwendige, heute jedoch zu einem bloßen Reflex von selbst weitgehend verwahrlosten und regredierten Demokratiefetischisten heruntergekommene Kritik an Trump, AfD, FPÖ und Co. so verlogen.


Wie sich der weitere konkrete Verlauf der Krise unter Trump in den kommenden Monaten und Jahren darstellen wird, bleibt abzuwarten und ist schwer vorherzusagen. Eine wahrscheinliche Entwicklungstendenz wurde bereits benannt: Der nochmals verschärfte protektionistische Wirtschaftskurs der USA könnte in einen globalen Wirtschaftskrieg münden mit entsprechenden ökonomischen Verwerfungen. In militärischer Hinsicht könnte mit der absehbaren Beendigung des Ukraine-Krieges zumindest vorübergehend eine gewisse Entspannung eintreten – vorausgesetzt, die USA suchen sich nicht umgehend den nächsten Konfliktherd (z.B. China oder Iran). Auch die Entwicklungen im Inneren der USA wird man abwarten müssen. Die von Gerd Bedszent 2016 in Erwägung gezogene Möglichkeit eines Bürgerkrieges in den USA ist in den letzten Jahren zumindest nicht kleiner geworden, wenn man hier vor allem den erreichten Grad der politischen Spaltung und die seither weiter gestiegene Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung berücksichtigt (man denke hier etwa an das fehlgeschlagene Attentat auf Trump während des Wahlkampfs) – auch wenn ein solcher Bürgerkrieg derzeit (noch) nicht am Horizont erkennbar ist. Sollten die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse jedoch in Zukunft so weit eskalieren, dass es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommt, würden die USA freilich, wie Bedszent damals zutreffend schrieb, im Grunde „nur das Schicksal weiter Regionen unseres Planeten teilen, in denen der Verteilungskampf zwischen bewaffneten Plünderern um die Trümmer gescheiterter Modernisierungsprojekte längst im Gange ist. Neu wäre jedoch, dass es sich bei den USA nicht um einen peripheren Staat, sondern um das ideelle Zentrum kapitalistischen Wirtschaftens überhaupt handelt.“ (Bedszent 2016) Auch die von ihm erwarteten globalen Auswirkungen im Falle des Ausbruchs einer US-amerikanischen Bürgerkrieges sind wahrscheinlich nicht unrealistisch: „Der mit einem solchen Bürgerkrieg einhergehende wirtschaftliche Kollaps würde vermutlich die gesamte Weltwirtschaft mit in den Abgrund reißen. Und da die USA über ganze Arsenale voller Atomwaffen verfügt, würde ein solcher Bürgerkrieg für den Rest der Welt auch noch weitere höchst unangenehme Folgen haben.“ (ebd.)




Literatur


Bedszent, Gerd (2016): Von der Obamania hin zum letzten Gefecht. Bemerkungen zu einem nicht ganz so überraschenden Wahlsieg, wertKRITIK.org


Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Heller, Ayline/Brähler, Elmar (Hg.) (2024): Vereint im Ressentiment. Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen (Leipziger Autoritarismus Studie). Gießen: Psychosozial-Verlag.


Hickel, Jason (2018): Die Tyrannei des Wachstums. Wie globale Ungleichheit die Welt spaltet und was dagegen zu tun ist. München: dtv.


Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (2010): Dialektik der Aufklärung (19. Auflage). Frankfurt/Main: Fischer.


Jappe, Anselm (2025): Der Geist unter dem Einfluss der Ware, wertKRITIK.org


Konicz, Tomasz (2024): Krise der Hegemonie, in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 21, S. 22-70.


Konicz, Tomasz (2025): Die Schlüsselübergabe. Wie die demokratische Mitte des krisengeplagten Deutschlands dem Faschismus den Weg ebnet, exit-online.org


Kurz, Robert (1993): Die Demokratie frisst ihre Kinder. Bemerkungen zum neuen Rechtsradikalismus, in: Krisis (Hg.): Rosemaries Babies. Die Demokratie und ihre Rechtsradikalen. Bad Honnef: Horlemann, S. 11-87.


Kurz, Robert (2005): Das Weltkapital. Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems. Berlin: Edition Tiamat.


Miller, Todd (2025): Der boomende Grenzindustriekomplex, overton-magazin.de


Sachs, Wolfgang (Hg.) (1993): Wie im Westen so auf Erden. Ein polemisches Handbuch zur Entwicklungspolitik. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.


Scholz, Roswitha (2006): Die Rückkehr des Jorge. Anmerkungen zur „Christianisierung“ des postmodernen Zeitgeistes und dessen dezisionistisch-autoritärer Wende, in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 3, S. 157-175.


Urban, Andreas (2022): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westens im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 1: „Killervirus“ und „Mad Vlad“ – Die postmoderne Krisenwelt als Wille und Irrenhaus, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2023a): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westens im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 2: Systemische Lebensmüdigkeit – Die „Pandemie“ als krisenkapitalistische Abrissbirne, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2023b): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westens im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 3: Systemische Lebensmüdigkeit – Mit wehenden Fahnen in den Dritten Weltkrieg, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2023c): Ein weiteres Kapitel im globalen Barbarisierungsprozess, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2024a): „Kampf gegen rechts“ als Selbstbetrug, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2024b): Der Niedergang des Westens als neue Phase im globalen Krisenprozess. Zugleich ein Kommentar zu Tomasz Koniczs Artikel Krise der Hegemonie, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2024c): Im Jahr 4 n. C. – Ein vorläufiges Resümee über die Corona-Krise, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2024d): Atomarer Todestrieb, wertKRITIK.org


Zuckermann, Moshe (2025): Trumps Lösung für Gaza, overton-magazin.de




Endnoten


[1] Trump zeichnete weder für den Mauerbau an der US-mexikanischen Grenze verantwortlich, noch ist er in Sachen Grenzschutz und Abschiebungen der tatkräftigste US-Präsident der jüngeren Geschichte. Todd Miller schreibt hierzu in einem rezenten Artikel über die boomende Grenzschutzindustrie in den USA: „Während seiner vierjährigen Amtszeit hat Bidens Regierung 21.713 Verträge zur Grenzsicherung im Wert von 32,3 Milliarden Dollar ausgegeben und verwaltet, weit mehr als jeder vorherige Präsident, einschließlich seines Vorgängers Donald Trump, der von 2017 bis 2020 lediglich – und das ist natürlich ein Witz – 20,9 Milliarden Dollar für dasselbe Thema ausgegeben hat.“ Was den Mauerbau an Grenzstädten wie z.B. Nogales betrifft, so war dieser „ein eindeutig parteiübergreifendes Projekt, das während der Regierungen von Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama gebaut wurde. Trumps Vermächtnis bestand hier darin, dass er den Ziehharmonika-Draht anbrachte.“ (Miller 2025) Kein US-Präsident vor und nach ihm hat mehr sogenannte illegale Migranten abgeschoben als Obama.


[2] Wikipedia-Eintrag: „Fünf-Punkte-Plan“

[3] „USA: Trump’s foreign aid freeze throws journalism around the world into chaos“, rsf.org, 3.2.2025

[4] Laut einem Bericht von Unlock Aid gingen fast neun von zehn Dollar, die USAID im Haushaltsjahr 2022 ausgab, an seine internationalen Vertragspartner, von denen die meisten in oder um Washington, D.C. ansässig sind. Höchstens einer von zehn Dollar ging direkt an lokale Gruppen an vorderster Front (siehe https://www.unlockaid.org/follow-the-money). Zum Thema „Entwicklungshilfe“ ließe sich freilich noch einiges Negative mehr sagen. Es wäre gut möglich, dass Länder der Dritten Welt selbst von einer vollständigen Beseitigung der Entwicklungshilfe mehr profitieren als Schaden erleiden würden (vgl. exemplarisch Hickel 2018; für eine noch grundsätzlichere Kritik vgl. Sachs 1993).


[5] „Trump-Sprecherin: ‚Größte Massenabschiebung der Geschichte‘“, dw.com, 24.1.2025


[6] „Bush: ‚The American lifestyle is non-negotiable‘“, themacweekly.com, 5.10.2006

[7] „Ukraine bietet seltene Erden für US-Hilfe an“, zdf.de, 7.2.2025

Inzwischen, nach dem Eklat im Weißen Haus im Rahmen eines Treffens zwischen Trump und Selenskij Ende Februar 2025, scheint sich dieser „Deal“ zumindest vorerst zerschlagen zu haben.


[8] Übrigens ein Begriff aus dem Nazi-Wortschatz, den u.a. Joseph Goebbels in seinen Reden gerne verwendet hat. 


[9] „Oberlehrer Vance erwischt Europas Politik an wundem Punkt“, kodoroc.de, 14.2.2025

[10] Der Treppenwitz dieser Geschichte ist übrigens, dass die inkriminierte Social-Media-Kampagne, die dem rechtskonservativ-nationalistischen Präsidentschaftskandidaten mit russischer Unterstützung zum überraschenden und später annullierten Vorwahlsieg verholfen haben soll, nach aktuellem Wissensstand von der Partei des amtierenden Präsidenten in Auftrag gegeben wurde (vgl. „Demokratie-Albtraum in Rumänien: Die Hintergründe der Kampagne“, telepolis.de, 3.1.2025). Mittlerweile wurde besagter Präsidentschaftskandidat sogar inhaftiert mit der Begründung, er verbreite „faschistisches Gedankengut“. Nun kann man freilich darüber schmunzeln, wenn ein Politiker, der sich offen als Verehrer des rumänischen Diktators Ion Antonescu bekennt, quasi eine Kostprobe seiner eigenen Medizin verabreicht bekommt. Worauf es im Gesamtkontext jener Wahlfarce hinausläuft, ist jedoch allzu offensichtlich. Auch dies zu den „westlichen Werten“.


[11] „Trumps neue, uralte Weltordnung“, zdf.de, 1.3.2025

Warum Trump Selenskij so attackiert: Es geht um Dollars, nicht um Frieden“, kurier.at, 1.3.2025


[12] Siehe exemplarisch: „Völkerrecht spricht gegen Trumps Gaza-Pläne für eine ‚Riviera des Nahen Ostens‘“, derstandard.at, 5.2.2025

[13] Die gewiss nicht der Verharmlosung von Rechtsextremismus verdächtige „Leipziger Autoritarismus-Studie“ etwa attestiert aktuell 4,5 Prozent der Deutschen ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“. Im Jahr 2002 waren es hingegen noch rund zehn Prozent (vgl. Decker et al. 2024, S. 50).