Knut Hüller

 

Der unkapitalistische Kapitalismus der C. Felber & Co.

Warum Geld die Geldwirtschaft nicht vor sich selber retten kann


 

Zuerst veröffentlicht 2014 auf streifzuege.org

 

 


1. Das Ende von GELD und Kapitalismus ist nahe

 

Bereits die Oberfläche des Kapitalismus erscheint als Ansammlung potentiell destruktiver Antagonismen, beginnend mit dem Elementarprozess des Markts, dem Kauf, Verkauf oder Tausch, wo sich zwei Parteien mit unvereinbaren Interessen hinsichtlich des Preises ge­ genüberstehen. Je nach gewähltem Blickwinkel lässt sich daher fast alles nach Bedarf po­ sitiv oder negativ werten(!), ein steigender Preis z.B. positiv wegen steigender Erlöse oder negativ wegen steigender Kosten, und ein fallender Preis positiv wegen fallender Kosten oder negativ wegen fallender Erlöse. Auch der Kapitalismus als Ganzes kann nach Wahl als positiv (Förderung von Produktivkräften und Wohlstand hier) oder negativ (Förderung innergesellschaftlicher Aggressivität und Armut dort) erscheinen. Dass alles zugleich gut (aus dem Blickwinkel des einen) und schlecht (aus dem Blickwinkel des anderen) sein kann bzw. muss, erschwert es dem Rudeltier Mensch, sein evolutionär erworbenes Be­dürfnis nach Harmonie zu befriedigen. Weil dieses Bedürfnis auch beinhaltet, dass man bestehendes ungern komplett über den Haufen wirft, tritt es zunehmend in der Form auf, den immer böseren realen Kapitalismus durch einen guten Kapitalismus aus der ei(ge)nen (oder anderen?) Vorurteilswelt ersetzen zu wollen. Besser als anderen gelingt es Christian Felber an dieses Streben anzuknüpfen, indem er verunsicherte bürgerliche Hirne virtuos auf solche Weise mit allen etablierten bürgerlichen Vorurteilen bedient, dass deren Wider­ sprüchlichkeit beim Ausschütten ihrer Fülle verborgen bleibt. In einem Buchtitel verband er den für Geldwirtschaft charakteristischen Verteilungskampf mit dem Gemeinwohl zur „Ge­meinwohl-­Ökonomie“, und erklärte dies zum „Wirtschaftsmodell der Zukunft“.[1] Die reale Konkurrenz-­Ökonomie kann danach eine solche bleiben, während das Hirn auf das Eintreten von „Gemeinwohl“ in irgendeiner „Zukunft“ wartet. So lange dieser Zustand währt, lässt sich selbst die chronische Krisenhaftigkeit des Spätkapitalismus für den einen noch positiv wenden: durch Ummünzung der grassierenden Verunsicherung in Buchverkäufe.

 

Exner bemerkte bereits zu Felbers Gemeinwohl-Buch, dessen Herangehen sei von völliger Ahnungslosigkeit (oder Verdrängung?) hinsichtlich des Inhalts der verwendeten Kategorien geprägt, darunter fundamentaler Kategorien, wenn es einerseits für eine der Planwirtschaft entgegenzusetzende Marktwirtschaft plädiere, und andererseits für Verhaltens­ und Denk­ weisen wie Vertrauensbildung, Solidarität, Kooperation und Teilen, die konträr zu den markttypischen Grundsätzen des Gewinnstrebens und der Konkurrenz sind.[2] Felber steht damit nicht allein; in Inhalt und Absurdität verwandte Denkmuster prägen sich bereits in die Alltagssprache durch, wenn Kapitalismusverbesserer aller Art bis hin zu amtierenden Regierungschefs fordern, die Übel der Geldwirtschaft zurückzudrängen, indem man sich auf etwas besinne, das unter dem Begriff (oder Un­-Begriff?) WERTE zusammengefasst wird. Warum nicht unter ALLES GUTE? Weil 'gut' im Gegensatz zu Geld­-'Wert' steht oder weil es nicht in einem solchen Gegensatz steht? Oder weil das eine in der Realität zutrifft und das andere im bürgerlichen Denken? Oder weil man weder von 'Wert' noch von 'gut' einen klaren Begriff hat? Die folgende Auseinandersetzung mit Felbers neuestem Buch soll daher nicht einen weiteren Disput im Stil ökonomischer Schulenstreite erzeugen, sondern einen von Ökonomie wie Ökonomiekritik wenig bearbeiteten blinden Fleck etwas aufhellen, indem sie GELD-­Theorie(n) als Beispiele für Konfusion und Unvollständigkeit im ökonomischen Denken betrachtet. Diese Elemente erscheinen schon am Beginn aller bürgerlicher Ökonomie, wenn Adam Smith sein bekanntes Fundamentalwerk mit der Kapitelüberschrift 'Über die Arbeitsteilung' eröffnet, um in den ersten Textzeilen darunter darzulegen, dass durch Arbeitsteilung eine Effizienz steige – aber ohne inhaltlich zu erklären, was 'Arbeit' ist, womit auch offen bleiben muss, was mit 'Teilung' und 'Effizienz' gemeint sein könnte. Ebenso bemerkenswert (und ebensowenig in der Literatur thematisiert) ist der Buchtitel selber, nämlich „Wohlstand der Nationen“. Wenn – wie alle bürgerliche Ideologie als selbstverständlich unterstellt – der Kapitalismus ein konstruktives Ganzes und als solches 'gut für alle' ist oder zumindest sein könnte: warum spricht Smith dann vom Wohlstand der Zufallseinteilungen 'Nationen' statt vom Wohlstand der Menschheit? Logisch hat die Betonung der Aufteilung überhaupt nur einen Sinn, wenn man – zumindest unbewusst – davon ausgeht, das Wohl des einen sei eben nicht das Wohl des anderen, sondern eher das Gegenteil. Eine spezielle Aufteilung des Ganzen 'Kapitalismus' (statt schlüssiger Analyse des ganzen darin enthaltenen Unsinns) machte im Marxismus und mit diesem Furore, indem dieser die ungleiche Verteilung des Wohlstands im Kapitalismus in den Vordergrund rückte, und die Lösung aller Probleme in einer speziellen Form des Verteilungskampfs sah, dem Klassenkampf. Auszuführen war dieser von einer Institution namens Partei der Arbeiter­ klasse, die den im System entstandenen Parteien nachgebildet war, und deren Hauptziel in der Eroberung einer zentralen Institution desselben bestand, nämlich des Staatsapparats. Danach sollte dieser in nie wirklich geklärter Weise zum 'Absterben' gebracht werden. Man weiß inzwischen, was daraus wurde. Ebenso hat man gelernt, wie schmal der Grat zwischen fortschrittlichen und reaktionären Ansätzen sein kann, und wie groß damit die Ge­fahr, aus dem Streben nach Überwindung des Kapitalismus in dessen Affirmation abzukippen, womöglich in deren bösartigste Formen. Schon Wortbildungen wie 'National­-Sozialismus' oder 'Quer­-Front' drücken es aus – und zugleich die innere Widersinnigkeit solcher Ansätze, die also erkennbar ist, analysiert werden kann und analysiert werden muss, will man sich nicht aus der Gemeinwohl­-Ökonomie in einen solchen Sumpf verirren.


Felbers neuestes Buch mit dem Titel „GELD – Die neuen Spielregeln“[3] (im folgenden zitiert als GELD) steigert dagegen die Ignoranz gegenüber den fundamentalen Kategorien (bzw. Eigenschaften) der bürgerlichen Ordnung bis nahe ans mögliche Limit, wenn er bereits in der Überschrift des Vorworts „Geld und Demokratie – eine überfällige Hochzeit“ fordert. So als ob nicht gerade das Erscheinen und die gemeinsame (wenn auch widersprüchliche) Entwicklung dieser zwei Elemente die bürgerliche Gesellschaft charakterisierten. Das Unverständnis dafür passt nahtlos zum korrespondierenden bürgerlichen Unverständnis von 'Wirtschaft' und 'Staat' als Gegensatz, den man auflösen müsse, indem eines der zwei Elemente Priorität über das andere erhalte, im Liberalismus die 'freie Wirtschaft' und im Sozialdemokratismus die durch den Staat repräsentierte 'gerechte Ordnung'. Beide Ansätze ignorieren das funktionale Wechselspiel und das Angewiesensein beider Elemente aufeinander, und daran wiederum knüpft bruchlos Felbers Buchuntertitel an, der „Spielregeln“ vorgeben, also die (nicht verstandene oder noch nicht einmal bemerkte?) Eigendynamik des Systems von Geldwirtschaft und Demokratie ausschalten will. Auch hierin ist er nicht der erste. Frühere Versuche reichen von imperialistischen Kriegswirtschaften über sozialistische Planwirtschaft und die halbliberalen Ansätze des 'Keynesianismus' und 'Monetarismus' (mit zahllosen Unterströmungen) bis hin zum panikgetriebenen Aktionismus aktueller Großbankenrettungen.

 

Wenn etwas an Felbers Buch sich davon abhebt, dann die Großschreibung des Wesentlichen ('GELD') im Buchtitel. Der Gebrauch dieses Stilmittels lässt erkennen, dass mehr und mehr Bürgern die Nerven flattern, seit ihnen mit den neuesten Krisenformen der ultimative kapitalistische Selbstzweck hautnah auf den Pelz rückt – und dass man ihn trotz seiner ständig deutlicher sichtbar werdenden Destruktivität immer noch nicht in anderer als verfremdeter Form zur Kenntnis nehmen will. Auch Felber stürzt sich kopfüber in die Widersprüche des Kapitalismus, indem er statt Erkenntnis über Geld das Gute im Geld sucht. „Mit Geld wird sehr viel Gutes gestiftet, und es erleichtert uns den Alltag, eine Reihe von Grundfunktionen bringt allgemein öffentliche Vorteile.“ (GELD, S.15) Wenn dies so ist, sollte 'mehr Geld' allgemein und öffentlich sichtbar 'mehr Gutes' bewirken.[4] Wie ist es dann möglich, dass zuviel Geld da ist, wie wir schon zwei Seiten später erfahren? „Diese sogenannte Giralgeldschöpfung erweitert die Geldmenge und führt zur Inflation.“ (S.17) Noch klarer und knapper wird es auf S.108 ausgedrückt: „Gibt es zuviel Geld in Österreich? Offenbar ja.“ Und verallgemeinert auf die ganze kapitalistische Welt: „Tatsache ist, dass es in 'reifen' Volkswirtschaften zuviel Kapital gibt, das nach Verwertung strebt.“ (ebd.) Da Verwertung das Wesen des Kapitals ist, können wir die letzten Worte des Zitats als redundant streichen. Danach lautet es: „Tatsache ist, dass es in 'reifen' Volkswirtschaften zuviel Kapital gibt.“ Leider wird nicht erklärt, was die 'richtige' Geldmenge wäre, oder wenigstens, warum die vor der letzten (oder vorletzten?) „Giralgeldschöpfung“ vorhandene Menge besser wäre als diejenige danach. Oder ist implizit gemeint 'Es gibt zu viel (oder schon zu lange) Kapitalismus'? Zu dieser Feststellung will Felber sich offenbar nicht durchringen, und somit unterscheidet sich seine Auffassung vom Kapitalismus von derjenigen des bürgerlichen Mainstreams nur so radikal wie ein Objekt und dessen seitenverkehrtes Abbild im Spiegel. Denn für das Mainstreamdenk gibt es höchstens 'zu wenig' Kapital (oder Kapitalismus), weil im Kapitalismus das Kapital als Produktionsfaktor all die guten Dinge hervorbringen soll, die den Bürger begeistern. Ein 'zuviel' gibt es dagegen stets an Lohn, weil dieser das Kapital am Gutestun hindert. Der Kerninhalt des bürgerlichen Fortschrittsbegriffs besteht deswegen darin, mehr Arbeit (Arbeitswert) mit weniger Lohn (Geldwert) zu verbinden, egal ob frühe bürgerliche Denker (und bis heute der Marxismus) es lieber sähen, wenn beides immer und überall proportional zueinander wäre oder wenigstens gemeinsam wüchse. Marx zog aus solcher Widersprüchlichkeit die bekannte Folgerung, dieses System werde sich irgendwann selbst zerstören. Felbers Standpunkt dagegen erinnert an die in bürgerlichen Revolutionen erhobene Forderung, der König (dessen Köpfung man noch nicht zu denken wagte) möge endlich ein richtiger, also guter König werden. Oder radikaler: ganz ohne Könige gehe es zwar nicht, aber dieser König hier sei womöglich einer zuviel.



2. (Fast) alles schon mal dagewesen

 

Felbers Vorschläge für eine Neuordnung der Geld­-Welt bestehen im wesentlichen darin, eklektisch alle auffindbaren Krisenbekämpfungs­Vorschläge einzusammeln und in schein­ bar neuer Weise anzuordnen, indem ihre Durchsetzung einer Unzahl neuer(?) formaler Regeln und bürokratischer Institutionen übertragen wird, statt sich auf die bereits bestehenden wie Sozialgesetze, Parlamente, sozialdemokratische Parteien und Gewerkschaften zu verlassen. Ein Ansatz von Struktur in diesem Wust wird jedoch beim Durchgehen der Kapitel­ und Abschnittsüberschriften sichtbar. Statt wie im Sozialdemokratismus den Staat als etwas eigenständiges über 'die Wirtschaft' zu stellen, soll die Staatsform 'Demokratie' in das Geldwesen implementiert werden (anstelle von was?). Dadurch liest sich die Abfolge der Überschriften wie eine Parodie auf bürgerliche Geschichtsschreibung.[5] Zuerst beseitigt die gelddemokratische Bewegung die Diktatur, nun allerdings nicht die aristokratische, sondern die „Intransparente Finanzdiktatur“ (GELD, S.15). Denn dem Freiheitskampf stellt sich als Hauptaufgabe: „Wer bändigt das globale Geld­ und Finanzsystem?“ (S.24) – statt es abzuschaffen. Die Antwort (zumindest für die Zeit nach dem Sieg über Finanzpapsttum und ­aristokratie) gibt Kapitel III: „Der demokratische Geldkonvent“ (S.36). Dieser soll also die Rolle des Parlaments in der dann konstitutionellen (statt absoluten) Geldmonarchie übernehmen. Mit seinen Aufgaben befasst sich der Großteil des Buchs, nicht ohne bereits in der ersten analytischen Fragestellung „Wer schöpft das Geld“ (S.54) dem bürgerlich­ökonomischen Prinzip zu folgen, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, der in der Frage bestehen müsste: 'Warum wird überhaupt Geld geschöpft (und warum zuviel!)?' Darauf aufbauend lässt sich der nächste Schritt tun, indem „Die Vollgeld­Reform“ (S.58) endlich die richtige Sorte Geld schafft, wobei es sicher hilft, wenn man nicht so recht weiß, was die Funktion des G­-Dings ist. Vielleicht wissen es aber die Experten in richtig verfassten Institutionen wie „Demokratische Zentralbanken“ (S.73)? Überträgt man ihnen anstelle der heutigen (undemokratischen?) Zentralbanker und Wirtschaftspolitiker die Systemsteuerung, können sie die „Lösung des Staatsschuldenproblems“ (S.87) herbeiführen, in­ dem sie die richtigen „Regeln für Kreditvergabe“ (S.94) aufstellen. Leider wird nicht erläutert, was die richtigen Regeln für Kreditaufnahme sind, und ob sich beide überhaupt in Übereinstimmung bringen lassen. Deswegen bleibt die Frage unerörtert, ob nicht völliges Abschaffen des Kreditierens die angemessene Maßnahme wäre, wenn Schulden als solche ein Problem darstellen. Notfalls helfen bei der Beseitigung der Geldübel aber noch „Gemeinwohlorientierte Banken“ (S.110), kontrolliert durch die „EU­ und globale Finanzaufsicht“ (S.134) und verwandte (demokratische?) Institutionen, die insbes. „...Derivate – Das Casino schließen“ (S.154). Danach sollten die letzten Reste des Finanzabsolutismus verschwunden sein.

 

Ist auf diese Weise der 'Wert' (im Sinne von Geld) gebändigt, kann man die WERTE (im Sinne von ALLES GUTE) realisieren, so wie es im politischen Bereich die bürgerlichen Revolutionen zustandebrachten. Statt bürgerlicher Rechtssicherheit gibt es danach „Sichere Renten“ (S.176), als erste Schritte zur Gleichheit aller vor dem Geld kommen eine „Globale Steuerkooperation“ (S.192) sowie „Obergrenzen für Einkommen und Besitz“ (S.210), und abgeschlossen wird die Herstellung der neuen Ordnung durch ein „Bretton Woods II“ (S.227)[6] Wenn es so weit ist, haben hoffentlich alle Nationen ihren Demokratischen Geldkonvent errichtet, Parteien der Wohltätigen gegründet, und diese sich in einer Geldinternationale über die Einzelheiten verständigt. Denn Felber überträgt den von ihm zuletzt genannten Schritt keineswegs einem Demokratischen Geld­Weltkonvent, sondern er schickt dazu die altbekannten Nationen des Adam Smith vor. „Die Mitgliedsstaaten der UNO, deren Souveräne für diese Option plädieren, beschließen ein UN­Abkommen über eine globale Währungskooperation, die Terra-­Union.“ (S.236). Kamen nicht auf diese Weise schon der Euro und seine Erfolge zustande? Gegenüber diesem wäre der Terra zumindest insofern ein Fortschritt, als er 'größer' ist. Deshalb hat die Terra-­Union mehr Möglichkeiten als die Euro­-Union zur Herbeiführung von Kaufkraftstabilität, ausgeglichenen Handelsbilanzen und viel anderem Guten, von dem man weiß, dass damit alle Krisen verschwinden. Es muss nur noch gesichert werden, dass alle Nationen mitziehen, statt den eigenen Wohl­ stand über das gemeine (oder andere?) Wohl zu stellen. Zum Glück gibt es noch das gute alte Mittel der Sanktion. „Weigern sich die 'Abweichler' nach oben oder unten, müssten sie Strafen zahlen, umso höher, je weiter und länger andauernd die Abweichung ist.“ (S.237) Auch dies wurde in der EU bereits erfolgreich praktiziert, nämlich auf dem Gebiet der Haushaltsdefizite.


Eine wichtige Neuerung soll der Terra allerdings mitbringen, um einen in der aktuellen Krise aufgefallenen Mangel des Euro zu beseitigen: eine Einheitswährung ist gleichbedeutend mit auf ewig fixierten Wechselkursen nationaler Währungen, und dies kommt in Konflikt mit der Dynamik des Kapitalismus, insbes. mit der konkurrenzbedingten ungleichmäßigen Entwicklung der Nationen. Damit diese Dynamik sich nicht womöglich zu einem (Handels-­ oder Welt-­) Krieg steigere, stellt Felber der Einheitswährung eine Einheitsware zur Seite. Ist ein solcher „konstanter Terra­-Warenkorb“ (S.236) zusammengestellt, lässt sich an ihm die Kaufkraft aller Währungen eindeutig vergleichen[7] und auf dieser Basis streng objektiv jeder Wechselkurs richtig „fixieren – in Kaufkraftparität zueinander“ (ebd.). Danach bleibt dem Kapitalismus gar nichts anderes übrig, als auf ewig unveränderlich zu bleiben, eine geniale Weiterentwicklung der vielen VWL-­Konzepte vom 'Gleichgewicht'. Felber vereinheitlicht sie wie folgt: „Die Währungen der Mitgliedstaaten sind frei konvertierbar in den Terra. Die Wechselkurse werden fixiert – in Kaufkraftparität zueinander.“ (S.236) „Frei konvertierbar“ und „fixiert“ bringt allerdings eine Antinomie ins harmonische Konzept, die noch aufzulösen ist. Zu erhalten ist dabei der Vorteil, dass man dank dieser Antinomie immer Gutes tun kann, indem man nach Bedarf die richtige der zwei sich widersprechenden Eigenschaften wählt. Aufzuheben ist der Nachteil, dass es bei zwei Ansatzpunkten Einflüsse geben könnte, die daran in verschiedene Richtung ziehen. Eine Seite weiter lesen wir, was geschieht, falls die fixierten Kurse sich entgegen aller Erwartung nicht dauerhaft bewähren sollten: „Führt die Entwicklung makroökonomischer Indikatoren (Produktivität, Löhne Inflation...) zu einem Verlust der ausgeglichenen Handelsbilanz, wird sein Wechselkurs mit dem Ziel der Wiederherstellung des Gleichgewichts angepasst.“ (S.237) Der Terrakurs ist also nicht nur so dauerhaft wie der Euro und der Warenkorb, sondern er ist auch genauso flexibel, wie er fix ist. So erzeugt der erste Widerspruch den zweiten; man ahnt schon, dass das Endresultat des Denkprozesses dem ähneln wird, was Universitäten als 'Wirtschaftswissenschaft' lehren. Was müsste z.B. geschehen, wenn die Erhaltung der Kaufkraftparität ein Steigen des Kurses verlangt und der Ausgleich der Handelsbilanz zugleich ein Sinken? Die Lösung erfahren wir, nachdem auch Felber die Möglichkeit solcher Zielkonflikte auffiel. Ganz Bürger sucht er nicht nach einer Aufhebung des Widerspruchs (oder gar des Kapitalismus), sondern nach Kompromissen innerhalb des Bewährten. „Eine mögliche Kompromissvariante zwischen dem UNO-­Keynes-­Stiglitz-­Modell (oberstes Ziel: aus­ geglichene Handelsbilanzen) und dem UNCTAD­-Flassbeck-­Modell (oberstes Ziel: Kaufkraftparität), könnte darin bestehen, dass der Terra (wie oben beschrieben) eingeführt wird, dass jedoch die Wechselkursanpassungen die Beibehaltung der Kaufkraftparität zum Ziel haben und nicht das Gleichgewicht der Handelsbilanzen (das sich in der Perspektive Flassbecks von selbst einstellen würde).“ (S.239) Das wichtigste an dieser Argumentation ist der Klammersatz, mit dem sie endet. Er beinhaltet, dass der Widerspruch verschwindet, wenn man das richtige ökonomische Modell auswählt. Das richtige ökonomische Modell ist dasjenige, in dem der Widerspruch nicht auftritt. Die richtige Anwendung dieses bewähr­ ten Grundprinzips bürgerlicher Ökonomie erzeugt so einen weiteren der vielen Beweise, dass der Kapitalismus aus sich heraus Idealzustände herstellt, in denen Widersprüche (oder gar Krisen) nicht auftreten. Verstanden ist damit auch, weshalb die Nationalstaaten das Gute einführen sollen und nicht die Demokratischen Geldkonvente: letztere braucht man nur so lange, bis die Unsichtbare Hand erfolgreich tätig war, diesmal in der richtigen Weise, weil Felber die richtigen Rahmenbedingungen gefunden und gesetzt hat, nach de­nen seit Adam Smith so viele Denker schon so lange such(t)en.

 

Und noch aus einem zweiten Grund braucht man die Demokratischen Geldkonvente nicht wirklich. Dieser zweite Grund kommt am Ende des langen Hauptkapitels V (S.54­-244) ans Licht, wo in einer Überschrift gefragt wird: „Ende der Dollarhegemonie?“ (S.241). Vorbereitet wird der Leser auf diese Frage bzw. ihre richtige Beantwortung eine Seite zuvor, wo es voller Begeisterung heißt: „Doch welch Fortschritt für die internationalen Beziehungen, die Gestaltung der Weltwirtschaft und die Selbstbestimmung der nationalstaatlichen Souveräne, wenn wir, anstatt ohnmächtig in der ungerechten und instabilen Dollarhegemonie gefangen zu bleiben, den Luxus genössen, zwischen einem Bretton Woods II mit Fokus auf Kaufkraftparität und einem Bretton Woods II mit Fokus auf ausgeglichenen Handelsbilanzen entscheiden zu dürfen. Welch Gewinn für die Demokratie!“ (S.240) Wer hätte gedacht, dass sich hinter dem Konzept der demokratischen Geld­Weltordnung schnöder kapitalistischer Konkurrenzkampf verbirgt und das in einer gut bekannten Form: ein neuer Aufstandsversuch sich benachteiligt fühlender Kleinbürger gegen den Großbürger, diesmal auf Ebene der Nationen.[8] Und das sogar mit exakt derselben Begründung, auf die sich schon die heutige Weltordnung beruft: Freiheit (oder Marktwirtschaft?) und Demokratie.

 

Sollte das Projekt also scheitern, ist ohnehin schon alles, wie es sein soll. Sollte es aber gelingen, winkt endlich die freie Wahl zwischen Pest und Cholera. „In Kürze würden zahl­ lose Menschen die beiden Vorschläge kennen und heiß diskutieren, wissend, dass sie selbst diese Entscheidung von globaler Tragweite treffen können, falls ihre Regierungen weiterhin untätig bleiben!“ (ebd.) Als einzige Frage bleibt offen, warum sie es nicht schon längst taten, vielleicht nicht im Demokratischen Geldkonvent, aber im Demokratischen Par­lament, nachdem in dieses die richtigen Abgeordneten gewählt wurden? Vielleicht, weil vergessen wurde, die so naheliegenden guten Beschlüsse zu fassen und niederzuschrei­ ben? Dass es nicht daran liegt, stellt Felber schon vor Beginn des Haupttextes fest, indem er einige Beschlüsse zitiert. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen (Deutsches Grundgesetz, Art. 14)“. Und: „Die gesamte wirt­schaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl (Bayerische Verfassung, Art. 151)“. Wenn Fel­bers guten Vorschlägen nicht dasselbe Schicksal blühen soll wie diesen hehren Absichten, dann sollte man sich vielleicht einmal mit den funktionalen Gründen beschäftigen, warum das GUTE immer wieder scheiterte. Als Ausgangspunkt könnte dienen: Was tut Geld ei­gentlich im 'normalen' Kapitalismus? Oder: Warum ist gerade der Kleinbürger auf dieses G-­Ding so fixiert, dass ihm nicht auffällt, wieviel Unsinn er darüber niederschreibt? Die letztgenannte Frage behandeln die Abschnitte 3 und 4, damit die darauf folgenden zur erstgenannten Frage vordringen können.


 

3. 'Das Geld' aus dem Blickwinkel krisengeschüttelter Kleinbürger

 

Die Quelle von Felbers Weltsicht wurde bereits wie folgt beschrieben: „Die Felbersche Alternativkonzeption trägt nicht nur von ihrem Entstehungsprozess her, sondern vor allem dem Inhalt nach den Stempel des Kleinbürgerinteresses, hier in seiner grünalternativen Version.“ (Exner, a.a.O., S.7) Der Status 'Kleinbürger' wurde im Marxismus mit allem möglichen verbunden: mit der Anzahl Beschäftigter im Kleinunternehmen, mit der Höhe des Gehalts, mit Managementfunktionen, mit Privilegien, und mit allem anderen, was nicht perfekt ins Raster des Kapitalisten oder des Proleten passt. Warum die meisten Analysen auf dieser soziologischen Ebene steckenblieben, klärt ein Blick auf die Behandlung der Nicht­ Kleinbürger, denn diese erfolgt gewöhnlich auf derselben Ebene. Gelegentlich gelang es noch, zumindest den 'Kapitalisten' als Charaktermaske statt Person zu sehen, allerdings in unvollständiger Weise, nämlich soziologisch als Ausbeuter des Proleten statt als Vollzieher einer wesentlichen Funktion im Kapitalismus: der Aneignung des Mehrwerts. Damit ließ sich vermeiden, auch den Proleten schlüssig als Charaktermaske zu begreifen, nämlich als Vollzieher der Produktion von Mehr­-Wert alias Selbstzweck (statt soziologisch als den Heroen, der das moralisch verwerfliche Ausbeutungssystem stürzen werde). Die soziologische Verkürzung vereint in bemerkenswerter Weise Analyseerfolg mit Nicht­-Wissen-­Wollen, denn den hart arbeitenden, aber zur Akkumulation (und manchmal schon zur Reproduktion) unfähigen Proleten brachte schon der frühe Kapitalismus gut sichtbar und fast in Rein­ form hervor, während es erst dem modernen Finanzkapitalismus gelingt, in ähnlich reiner Form den Mehrwertaneigner im Bankturm hervorzubringen, der zur Wert­ und damit Mehrwertproduktion keinerlei Beitrag mehr leistet und dies „öffentlich“ signalisiert, indem er sich mit Markenkrawatte statt Blaumann behängt.

 

Der klassische Industriekapitalist leistete noch solche Beiträge, z.B. als Organisator oder Erfinder, was bis heute den Kapitalismusapologeten Argumente wie 'tüchtig', 'dynamisch' oder 'Leistung' liefert, auf die sich (teilweise zu Recht) ebenso der Kleinbürger beruft. Die­ser repräsentiert in seiner Person (egal ob als Kleinkapitalist, einfacher Warenproduzent oder gutbezahlter Funktionär) den Sachverhalt, dass ein perfektes Verwertungssystem mit vollständiger Funktionstrennung im obigen Sinn nicht existieren kann, weshalb das Kleinbürgertum entgegen aller marxistischen Lehre auch nicht verschwinden will, sondern nur ständig neue Erscheinungsformen annimmt. In seiner Stellung zwischen den Polen des kapitalistischen Systems macht der Kleinbürger personifiziert sichtbar, dass einerseits ein innerer Zusammenhang zwischen der Produktion und der Aneignung des Mehrwerts besteht, dass andererseits das so zusammengesetzte Ganze aber auch voller unaufhebbarer Widersprüche ist. Nicht die Einzelperson ist im weiteren wichtig, sondern die Tatsache, dass eine solche Abteilung der Gesellschaft existiert und ein größeres Spektrum von Ideologien als andere Abteilungen produziert, weil die so verstandene Schicht der Kleinbürger sowohl in die Produktion des Mehrwerts (durch Arbeit) als auch in seine Aneignung (auf Märkten) eingebunden ist. Richtet ein Individuum seinen Blick primär auf ersteres oder versteht es womöglich sogar den Zusammenhang beider Vorgänge und seine eigene Position zwischen den zwei Polen des Wahnsystems, können realistische und sogar kritische Einsichten entstehen, z.B. diejenige Felbers, die Menschheit benötige dringend die Realisierung von Grundsätzen wie Solidarität und Kooperation. Betreibt es konzentriert nur zweiteres ohne Zusammenhänge herzustellen, so findet es sich in der Rolle des ewigen (und einzigen!) Opfers übler Feinde, die es von allen Seiten attackieren, hier mit der Forderung nach Zins und dort mit der Forderung nach Lohn. Daraus entstehen Bewusstseins­ formen, die zum bösartigsten gehören, was die bürgerliche Gesellschaft hervorbrachte.


Ideologisch ergibt sich aus der funktionalen Stellung des Kleinbürgers zwischen Mehrwertproduktion und Mehrwertaneignung zwanglos ein dingliches Geldverständnis, denn im Gegensatz zum Proleten kann der Kleinbürger noch an relevante Mengen davon herankommen, im Gegensatz zum Großbürger aber nicht an Kontrolle über Produktionsmittel oder finanzkapitalistische Pseudoproduktionsmittel, denen zumindest ein Hauch von 'Systemnotwendigkeit' (d.h. gesellschaftlicher Zusammenhang) anhaftet. Sein Denken konzentriert sich daher stärker als das des Proleten oder Großbürgers auf Geld als Ding (statt als Ausdruck sozialer Beziehungen). Höchst relevant wird dies in der Spätphase des Kapitalismus. In dem Maße, wie diesem der Bewegungsspielraum abhanden kommt, schrumpft auch die Bandbreite der in ihm aktiven Ideologien zusammen, und es kann ein einziger Schritt ausreichen, um aus einem progressiven Milieu in ein reaktionäres zu geraten, z.B. aus sozial orientierter aber oberflächlicher Geldkritik in strukturellen Antisemitismus. Solche Phänomene breiten sich derzeit rapide aus und haben in Deutschland bereits ihren Ausdruck in Erscheinungen wie der 'Querfront' gefunden. Oder in der seltsamen Konstellation, dass sich in nicht wenigen Einzelfragen der Großen Koalition der Kapitalismusverwalter eine Opposition aus Linkspartei und 'Alternative(!) für Deutschland' entgegenstellt, einer neuen rechts­ bzw. wirtschaftsliberalen Partei mit starken nationalistischen Untertönen und einem daraus ausfransenden rechten Rand. Selbst der Sozialdemokratie gelang es schon, einen Spitzenkandidaten vortragen zu lassen, ihre Ideale (in diesem Fall soziale) seien zu verwirklichen, indem man Nachbarländer behandele wie historische Kavallerie die Indianer. Zu den weniger organisierten, aber in den neuen Medien desto präsenteren 'geldkritischen' Strömungen gehört der Gesellianismus, dessen Affinität zum Rechtsradikalismus andernorts systematisch aufgearbeitet ist.[9] Etwas anspruchsvoller und vielseitiger als der Gesellianismus ist der sog. Debitismus. Obwohl auch er sich über die globalen Funktionen des Geldes und insbes. des Geldkapitals ausschweigt, befasst er sich immer­ hin noch intensiv mit dessen Genese: Geld komme immer und ausschließlich als Schuldgeld durch einen Kreditvertrag auf die Welt. Über das Wort 'Schuld' und seine vielen Untertöne lässt sich der Kredit zum Mittelpunkt der Welt bzw. eines verzerrten Weltbildes machen, in dessen Mitte man selbst als Opfer steht, also mit dem Recht zum Zurückschlagen, dies vorzugsweise auf nationaler Ebene, weil es auf individueller Ebene nur noch lächerlich wirken würde. Laut Wikipedia kennt der Debitismus (in oft historisch verstandener Folge) 'Urschuld', 'religiöse Schuld'. 'Kontraktschuld' und 'Abgabenschuld'.[10] Realistischer Kern dieser Weltsicht ist, dass der Kleinproduzent (fast) nur noch über Kredit an Kapital für seinen Geschäftsbetrieb herankommt, womit diese Variante von 'Geldkritik' neben ihrem Ursprung auch ihre Ziele verrät: es geht um die Erhaltung noch bestehender Zugänge zur Mehrwertaneignung am unteren Rand des Bürgertums. Manche aber haben selbst das schon aufgegeben und wollen einfach nur noch die eigene Haut retten – durch Aufstapeln von Gold­ und Silbermünzen im Keller, deren quasi­magische Eigenschaft als 'echtes Geld' das Überleben in der finalen Geld-­Systemkrise ermöglichen soll.[11]

 

Diese und andere Formen von 'Geldkritik' knüpfen an reale Krisenerscheinungen an, die ebensogut Ausgangspunkt einer fundamentalen Kapitalismuskritik sein könn(t)en. Umgekehrt droht ungenügend tiefgehender Kapitalismuskritik das Abgleiten in günstigstenfalls hilflose und schlimmstenfalls bösartige 'Geldkritik'. Neben Ansätzen wie denjenigen Felbers betrifft dies Strömungen wie Attac, Umweltbewegung, Linkssozialdemokratie und verwandte. Soll ein solches Abgleiten vermieden werden, muss man sich zuallererst klarmachen, welcher antagonistische Zusammenhang bzw. Gegensatz zwischen Konzepten wie Solidarität und 'sozial' zu Konkurrenz und 'Geld' besteht, so dass der illusionäre Gehalt der Vorstellung erscheint, dieser Gegensatz ließe sich in einer Geldwirtschaft auch nur ansatzweise entschärfen. Felbers Auflistung bekannter und längst in ähnlicher Form ausprobierter Regulierungen ist nur eine neue Form einschlägiger Illusionen. Prägnant fasst er dies schon am Ende des Vorworts zusammen: „Geld soll von einer Waffe zum Werkzeug wer­den. Geld soll dem Leben diesen, dem Gemeinwohl.“ (GELD, S.14) Wenn man diese Ziele verfolgt, sollte man dann nicht zu Beginn einige Gedanken auf die Frage verwenden, warum in der bürgerlichen Gesellschaft Waffen soviel 'wertvoller' wurden als Werkzeuge, und warum diese Gesellschaft soviel mehr Ressourcen auf Lebensunwichtiges oder gar Töten verwendet als auf das 'Leben'?[12] Könnte es vielleicht sein, dass diese Erscheinungen nicht zufällig neben der Geldwirtschaft ins Leben kamen, sondern gemeinsam mit ihr, weil beides in engem Zusammenhang steht? In diesem Fall wäre die Forderung 'Geld soll dem Leben dienen' ähnlich absurd wie 'Frieden schaffen durch noch mehr Waffen'.



4. Felbersche und andere 'geldkritische' Scheinkritik

 

Den Stand des kunstvoll gepflegten (Un-­)Verständnisses der bürgerlichen Gesellschaft für Geld fasst in knappster Form Robert Kurz zusammen: „Es stellt sich nun die Frage nach der spezifischen Rolle und Bestimmung des Geldes im kapitalistischen Gesamtprozess. Das betrifft vor allem den eigenständigen Warencharakter des Geldes, der von der bürgerlichen ökonomischen Wissenschaft nie geklärt worden ist und schon von den Klassikern logisch-­widersprüchlich bestimmt wird.“[13] Auch Felber trägt wenig dazu bei, welche Funktionen Geld im Kapitalismus ausübt, immerhin aber erkennt er viel Negatives, u.a. Geld als „Monster“, als „weder gut noch schön“, als „kein öffentliches Gut, keine demokratische Infrastruktur“, als eine „Bereicherungsquelle für wenige“ und als „mitunter eine gefährliche Waffe“. (GELD, S.15f.) Um dies zu ändern, müsse man das Gute im Geld suchen und bestärken. „Doch genau diese Vorteile gilt es zu orten, zu destillieren, sinnvoll auszugestalten und demokratisch zu beschließen. Was wirklich gut ist, wird auf reichliche Zustimmung stoßen.“ (ebd.) Im Sammeln von Negativem trifft er sich mit anderen Geldkritikern; die Unterschiede zwischen ihnen erscheinen im nächsten Schritt, wenn es darum geht, was das Hauptübel sei, was ihm als 'gut' gegenüberzustellen, und wie demzufolge das 'Geldsystem' zu modifizieren(!) sei. Soll 'sozialer' oder 'mehr Markt', 'weniger (Kredit­-)Zins' oder 'mehr (Spar-­)Zins', 'wenig Staatseinfluss' oder das eigene Parteiprogramm als DAS GUTE gelten? Solche Positionen stehen mit beiden Beinen in der bürgerlichen Ordnung und schöpfen gemeinsam deren gesamtes ideologisches Spektrum aus, indem sie Vorstellungen von 'gut' aus dem aktuellen Kapitalismus beziehen, und dieses Gute mit dem Mittel des Geldes verwirklichen wollen. Nur an einer Stelle gehen die Geldkritiker über den ökonomischen Mainstream hinaus, indem sie historische Genese und aktuelle Schöpfung, damit Eigenschaften, Geschichte und Funktionen von Geld zumindest thematisieren. Felber formuliert dies in einer Weise, die sogar die Tätigkeit des 'automatischen Subjekts' (Marx) verschwommen sichtbar werden lässt: „Es lässt sich schwerlich behaupten, dass das heutige Geldsystem von einem Genie entworfen oder nach einem Masterplan erschaffen worden wäre. Vielmehr hat sich das Geldsystem über die Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende schrittweise entwickelt und zu einem sehr komplexen Monster ausgewachsen.“ (GELD, S.15) Die Vorstellung eines sich über „Jahrtausende“ entwickelnden Geldsystems bringt allerdings sofort das ahistorische Element der bürgerlichen Betrachtungsweise zurück – ein weiteres Charakteristikum verkürzter Geldkritik. Der Erkenntniswert ihrer vielen Varianten liegt deshalb nicht in einer der vielen speziellen Erklärungen von Geldgenese oder ­-funktionen, sondern darin, dass solches überhaupt thematisiert wird, statt wie im Mainstream die Existenz eines eigentlich ziemlich nebensächlichen 'Tauschmittels Geld' in geeigneter Menge und Form ohne weiteres vorauszusetzen. An welchen Stellen danach das Denken steckenbleibt, wird sichtbar in den Debatten, die zwischen den diversen Strömungen darüber geführt werden, wie man zum 'richtigen Geld' (alias guten Kapitalismus) kommen könne. Zu diesem Zweck soll Felbers Sicht auf Geld und Geldhistorie derjenigen eines schon länger aktiven Geldkritikers gegenübergestellt werden, nämlich des Berliner Professors Bernd Senf in seinem Buch „Der Tanz um den Gewinn“[14] (im folgenden zitiert als 'SENF'). Senf lässt sich keiner der organisierten Strömungen zuordnen; er erarbeitete und bewahrte sich nach Teilnahme an den 68er­Bewegungen trotz einiger Anklänge an den Gesellianismus und den Wachstumsoptimismus des Mainstreams eigene profilierte Positionen, wodurch er (sei es bewusst oder unbewusst) viele Elemente dieser Debatten in­ struktiv darstellen kann, nicht zuletzt ihre Beschränktheit.

 

Felber übertrifft Senf und die meisten anderen 'Geldkritiker' zunächst darin, wie weit er in seiner Betrachtung zur „Evolution des Geldsystems“ (GELD, S.16) ausholt, nämlich bis nahe an die Menschwerdung des Affen. Kein Wunder: als (potentieller) Funktionär des geretteten Systems kann er sich nicht auf den Horizont eines Kleinproduzenten beschränken, sondern muss zumindest gelegentlich die Vollständigkeit des in der Aufklärung erreichten Weltverständnisses demonstrieren. „Vor Geld als Tausch­ oder Zahlungsmittel waren Kredit und Schuld, wie wir heute aus anthropologischen und historischen Forschungen wissen.“ (ebd.; Hervorh. im Orig.) Laut zitiertem Satz und zugehöriger Literaturangabe hat Felber also David Graebers Bestseller „Schulden - Die ersten 5000 Jahre“ gelesen. Noch deutlicher als Belesenheit demonstriert das Zitat allerdings Konfusion. Schuld im Sinn von „Kredit“ ist ein rein quantitatives Phänomen, das erst erscheinen kann, wenn diejenigen komplexen Schuld­ im Sinn von Verpflichtungs­-Verhältnisse (man beachte die Mehrzahl!) aufgelöst sind, die vorneuzeitliche Gemeinschaften zusammenhielten. Deren Ersetzung durch eine Unzahl voneinander isolierter Verrechnungen – darunter „Schulden“ – zwischen atomisierten Subjekten macht Geld in heutiger Form incl. ständigen Herumtragens in Hosentaschen erst notwendig und möglich (oder möglich und notwendig?). „Kredit“, also rein quantitativ verstandene und exakt abzuzahlende 'Schuld(en)', gehört somit ans Ende aller Geldgeschichte, nicht an deren Beginn. Nachdem er infolge Vermengung der Schuldbegriffe den Anfang des Wegs durch diese Geschichte verfehlt hat, irrt Felber wie folgt um­ her: „Danach entstanden Tauschmittel mit Nutzwert, z.B. Holz, besonders oft Rind... Es folgten Tauschmittel mit Symbolwert: Muscheln, Knochen oder bestimmte Steine.“ (ebd.) Im Wort 'Symbolwert' klingt noch der sakrale Charakter der Muscheln etc. an, aber das verschüttet schon der nächste Satz, indem er den Knappheitsbegriff heutiger VWL in die Steinzeit überträgt. „Damit etwas als Geld fungieren konnte und innerhalb einer Gemeinschaft als solches anerkannt wurde, musste es selten sein.“ (ebd.) Das Wort „Gemeinschaft“ (statt des modernen 'Gesellschaft'), ist hier ausnahmsweise treffend, denn vorneuzeitliche Zivilisationen sahen den Menschen als Individuum wie als Gruppe eingebunden in eine Welt, die als ein Ganzes gedacht wurde, worin gleichermaßen Naturkräfte und Götter ihren Platz hatten. 'Knappheit' gab es in der Form, dass frühe Gemeinschaften lebensnotwendige Ressourcen (wie Rinder, Muscheln oder Holz für eine Hütte) mühsam der 'natürlichen' Umwelt abringen mussten, und noch antike Großreiche gingen durch Fehlschläge dabei zugrunde. Diese Form von Knappheit war aber eine völlig andere als die heutige ökonomische; letztere entspringt daraus, dass das moderne Subjekt durch das Mittel des Preises (Geldrechnung!) in zahllosen Märkten unaufhörlich mit anderen Subjekten um seinen Anteil am materiellen Überfluss(!) kämpfen muss. Weil im Markt der Vorteil des einen stets der Nachteil des anderen ist, werden Verhaltensweisen gezüchtet wie die, dass man niemals einem anderen freiwillig etwas geben dürfe. Selbst das Schenken und Vererben ist mit einer 'Steuer' genannten Strafe belegt. Erst seit diese ökonomische Form von Knappheit 'normal' wurde, gibt es Verrücktheiten wie die, Güter lieber zu vernichten, als sie billiger einem anderen zu geben. Das hervorgehobene Wort zeigt an, dass gerade in solchen Formen des Irrsinns das moderne(!) Geld eine zentrale Rolle spielt.

 

Nach diesen Abirrungen findet Felber dann doch einen Weg durch das Dickicht zum Beginn der modernen Geldgeschichte. „Nach und nach setzten sich die Edelmetalle durch: Kupfer, Silber, Gold.“ (ebd.) Viel Verständnis für den Vorgang zeigt dieser Satz zwar nicht, aber sachlich trifft zweifellos zu, dass in der europäischen Antike und zeitgleichen asiatischen Gesellschaften Metalle zu den einzig relevanten Geldformen wurden, und dass der Beginn von Neuzeit und Kapitalismus mit dem Einströmen großer Gold­ und Silbermengen aus Plünderung (insbes. in Südamerika) einherging. Nachdem nun reichlich Geld in bekannter und gut hantierbarer Form vorhanden ist (auch wenn unklar bleibt, warum und wie es dazu kam), wird eine Erklärung für das Entstehen des aus Banken und ähnlichen Institutionen bestehenden Finanzwesens nötig, das Geld handhabt, seine materielle Form von Metall zu Zeichen auf Papier verändert, und(!) daraus eine gesellschaftliche Machtposition für sich selber entwickelt. Bei Felber passiert das einfach so: „Diese [die Edelmetalle; K.H.] wurden alsbald zu den Goldschmieden getragen zur sicheren Aufbewahrung. Die Goldschmiede inspirierten die ersten Depositenbanken, die ausdrücklich das Aufbewahrungsgeschäft, nicht aber das Kreditgeschäft wahrnahmen.“ (ebd.; Hervorh. im Orig.) Die Bank ist hiernach eine Fortentwicklung des Handwerks, aus dem sie so zwanglos entsteht wie in nicht wenigen marxistischen Analysen der Kapitalismus aus einfacher Warenproduktion. An dieser Stelle (am Übergang vom Edelmetall zum Papiergeld, nicht an der vorangegangenen Plünderung des Edelmetalls) beginnen die meisten anderen 'Geldkritiker' ihre Betrachtungen. Wir lassen deshalb ab nun auch Senf zu Wort kommen, der dieselbe (egal ob reale oder eingebildete) Entwicklung wie folgt beschreibt: „Beginnen wir mit der Phase der Währungsgeschichte, wo Goldmünzen (bzw. Silbermünzen) allgemeines Zahlungsmittel waren – und zwar Münzen mit vollem Edelmetallgehalt. Vor allem aus Sicherheitsgründen (z.B. aus Angst vor Überfällen) entwickelte sich bei den Besitzern großer Goldmengen – z.B. bei den Händlern – die Tendenz, das Gold in sicheren Tresoren bei den Goldschmieden und später bei den Banken zu deponieren. Dafür bekamen sie eine Quittung, auf der die eingelagerte Goldmenge bestätigt wurde.“ (SENF, S.76) Dieser Satz zeigt deutlicher als das vorangehende Zitat Felbers eine bemerkenswerte Fähigkeit der Geldkritik, die Realität in auf den Kopf gestellter Form wahrzunehmen. Die von der kapitalistischen Geldwirtschaft zu systemischen Formen entwickelte innergesellschaftliche Aggressivität wird umgekehrt zum Ausgangspunkt der Geldwirtschaft gemacht, denn ohne Sicherheitsbedenken keine Goldlagerhäuser und keine Quittungen, aus denen sich das Geld bis zu seinen heutigen Formen entwickelt haben soll. Senfs erster zitierter Satz enthält jedoch auch ein wichtiges Element, das Felber überschlägt, und an das sich anknüpfen lässt: aus heiterem Himmel erscheint (in Gestalt von Gold­ und Silbermünzen) ein „allgemeines Zahlungsmittel“, d.h. eine (vollausgebildete?) Warenwirtschaft. Da diese und modernes Geld sich gegenseitig bedingen, lässt Senfs Darstellung sich erst empirisch anzweifeln, diejenige Felbers aber bereits logisch. Denn bei ihm bleibt offen, welche qualitative Veränderung zwischen der Phase des Muschelgeldes und des Goldgeldes eintrat, die das sichere Aufbewahren von Gold erforderlich macht, nachdem es für Muscheln noch verzichtbar gewesen war. Oder will Felber den mit Gold­, Silber­ und Blutflüssen verbundenen Beginn der Moderne nicht sehen? Dafür spricht, dass jede Erklärung fehlt, warum das Gold beim Goldschmied sicherer liegen soll als im Handelshaus. Warum sollten Goldschmiede und ihre Nachbarn weniger zum Räubertum neigen als die Partner und Nachbarn des ehrlichen Kaufmanns? Weil sie das Ideal des einfachen Warenproduzenten personifizieren?

 

Senf rettet sich über diese Frage hinweg, indem er Genese und Funktionsweise der Geldwirtschaft vermengt. Die bereits zitierte Textpassage auf S.76 über eine „Phase der Währungsgeschichte“ steht unmittelbar unter der Überschrift des Buchabschnitts 3 „Die Geheimnisse der Geldschöpfung“ und der Zwischenüberschrift „Banknoten als Quittung für deponiertes Gold“. Unter 'Entstehung von Geld' wird also weniger die gesellschaftliche Form 'Geldwirtschaft' thematisiert als Schöpfung und Formen („Quittung“) der Zahlungsmittel, nachdem die Geldwirtschaft als solche per Unterstellung allgemeiner Zahlungsmittel aus dem Nichts heraus ins Leben trat. Es ist innerhalb eines solchen Vorgehens nur konsequent, den laufenden technischen Vorgang „Geldschöpfung“ im aktuellen Kapitalismus mit einer „Währungsgeschichte“ zusammenzuwerfen. Felber durcheilt im Gegensatz zu Senf diese Thematik schnellstmöglich, um zum heutigen Papier­ und Kreditgeld zu gelangen. Damit demonstriert er seine stärkere Verhaftung im Mainstream, für den historisch nie et­ was anderes entstehen konnte als genau die heutigen Verhältnisse. „Die Depositenbanken haben das Hinterlegen von Gold durch Banknoten oder Wechsel quittiert, die ersten Vorläufer von Papiergeld als Zahlungsmittel. Goldschmiede und Depositenbanken begannen, ein und dasselbe Goldstück mehrfach zu verleihen; der Beginn des Banksystems mit fraktionaler Reserve.“ (GELD, S.16; Hervorh. im Orig.) Man fragt sich hier erneut, warum nicht bereits die Muschelsammler und ­-aufbewahrer auf Ideen wie Depositenbank und Papiergeld kamen, da eine Muschel bereits durch physisches Zerteilen zum Zweck des Zahlens unbrauchbar würde (für alle denkbaren Zwecke). Ihre Ersetzung durch ein Symbol legt also bereits der einfache Zahlungsverkehr nahe, nicht erst eine Kapitalbildung oder sonstige Vervielfachung. Die Unschärfe kommt auf, weil Felber sich nun einer Stelle nähert, die dem bürgerlichen Denken so unangenehm ist, dass es nicht mehr die Vokabel für das Gegenteil von 'legal' findet. „Aus dem 'spontanen' fraktionalen Banking wurde legales fraktionales Banking: Geschäftsbanken entstehen.“ (ebd.; Hervorh. im Orig.) So formuliert der ordentliche Bürger 'spontan' den Sachverhalt, dass die reale Genese des Kapitalismus nicht ganz mit propagierten bürgerlichen Vorstellungen von Recht und Anstand harmoniert. Damit verwickelt Felber sich sofort in Widersprüche. „Zentralbanken deckten die nationalen Währungen vorerst noch mit Gold: Gold­-Standard.“ (ebd.; Hervorh. Im Orig.) Die Verwirklichung dieses Ideals wird schwierig, wenn jedes Goldstück (ggf. in Gestalt damit 'gedeckter' Scheine) schon „mehrfach“ verliehen ist. Es wird also wieder Zeit, Senf zu befragen, der als professioneller Ökonom nicht nur ausführlicher argumentiert, sondern auch eine schärfere Begrifflichkeit verwendet.

 

Wie Senf sich den ersten Schritt vom Gold­-Geld zum frei schöpfbaren Papier­ oder Fiat­-Geld vorstellt, erläutert unter der Überschrift „Banknote als Zahlungsmittel mit Goldeinlösegarantie“ die folgende Textpassage: „Wenn es sich bei der Bank um eine allgemein vertrauenswürdige Bank handelt, die nicht nur das Vertrauen des Händlers A, sondern auch anderer Wirtschaftsteilnehmer (zum Beispiel B und C) genießt, dann kann sich aus der Quittung der Bank ein Zahlungsmittel entwickeln, ein Wechsel oder eine 'Banknote'. Anstatt dass Händler A selbst die Quittung wieder in Gold einlöst, reicht er sie weiter an B und bezahlt damit Güter oder Dienstleistungen, die er von B bezieht.“ (SENF, S.77) Hier wird heutiges bürgerlich­-politisches Denken zurückprojiziert: die Verhältnisse sind böse, überall lauern Räuber, aber „vertrauenswürdige“ gute Menschen und Institutionen werden das in Ordnung bringen. Es fehlen nur einige Überlegungen zum Nutzen, den ein solches Bankensystem den Räubern bringt. Sofern sie selber eine Bank gründen, wird ihnen das Diebesgut danach arbeitssparend angeliefert. Diesen Denkschritt gehen manche 'Geldkritiker' noch, indem sie einige Praktiken des Bankensystems (konkret: des heutigen Wallstreet-­dominierten) in die Nähe organisierter Kriminalität rücken. Nicht sehen wollen sie einen anderen Umstand, weil dieser die obige Begründung für die Existenz der Institution 'Bank' vollständig über den Haufen wirft: ein Zettel mit der Aufschrift '1t Gold' lässt sich bis heute leichter stehlen (oder fälschen) als die Tonne Gold selbst. Weder Senf noch Felber äußern sich hierzu.

 

Da die bis hierhin vorgebrachten 'Erkenntnisse' beider ein Gemeingut aller Sucher nach dem 'richtigen Geld' sind, und die darin enthaltenen Ideologien auf das allgemeine Publikum zielen, muss ihr Kern kurz benannt werden, um nicht selber darauf hereinzufallen. Es wird ein ausgebildetes System von ('vertrauenswürdigen') Banken und sogar Sicherheitsfirmen ('Tresoren') unterstellt, bevor es Banknoten gab, d.h. bevor Geldwirtschaft sich all­ gemein durchgesetzt hatte. Es wird also das Geld als Ding von der Geldwirtschaft als sozialem Verhältnis abgetrennt, ähnlich wie man Waren als physikalisch charakterisierte Dinge sehen will statt als Arbeitsprodukte, und wie man gesellschaftliche Abartigkeiten als 'böse Menschen' personalisiert. Diese Verirrungen entspringen nicht nur der bürgerlichen Unfähigkeit, sich gesellschaftliche Reproduktion in anderen Formen als Geldwirtschaft vorstellen zu können. Sie entspringen zu gleichen Teilen auch der zwanghaften Anwendung des mit der modernen Naturwissenschaft verbreiteten analytischen und kausalen Denkens. Der angelernte Zwang, die Welt ständig in (übergeordnete) Ursachen und davon erzeugte (untergeordnete) Folgen zerlegen zu müssen, hindert daran, sich gegenseitig bedingende Parallelentwicklungen innerhalb eines 'Ganzen' zu erfassen, hier von Geldwirtschaft, Geldformen und Warenproduktion oder gesellschaftlichen Strukturen und zugehörigen Charaktermasken. Letzteres erzeugt die reaktionären Formen der 'Geldkritik'.

 

Senfs Formulierung von einer „Phase der Währungsgeschichte“ mit Edelmetall als allgemeinem Zahlungsmittel lässt in geschickter Weise offen, welche Rolle Zahlungsmittel in der hypothetischen Urwirtschaft überhaupt spielen sollen. Die nachfolgende Referenz auf „Händler“ statt auf Produzenten lässt aber doch so weit in seinen Kopf hineinsehen, dass ein Bild sichtbar wird, in dem die Geldwirtschaft noch kaum die Produktion erfasst hat, die Reproduktion der Gesellschaft also weitgehend ohne Geld auskommt. Welche konkrete Epoche Senf im Auge hat (infrage käme alles von der Antike bis zum europäischen Mittel­ alter), sagt er ebenfalls nicht. Felber ignoriert alles historische noch konsequenter, und so kommen beide zu derselben Idealvorstellung von Banken als dem Handel dienende Geldaufbewahrungs-­Dienstleister (man beachte das Element von Über/Unterordnung!). Sieht man über alle immanenten Widersprüche hinweg, wäre damit aus der Sicht der 'Geldkritik' ein Idealzustand erreicht, bestehend aus einfacher Warenproduktion mit Goldwährung und Schließfachservice. Die Übel beginnen aus ihrer Sicht mit dem nächsten Schritt der „Geldevolution“ vom Gold­ zum Papiergeld, der ausführlich dargestellt wird, ohne aber Gründe für sein Stattfinden zu nennen. Den Ausgangszustand dieses Schritts hebt Senf wie folgt hervor: „Wohl gemerkt: Bis jetzt ist die Banknote noch zu 100% durch Gold gedeckt und in Gold einlösbar.“ (ebd.) Was bei allen Geldkritikern an dieser Stelle fehlt, ist eine 'Deckung' (d.h. Erklärung für den Wert) des Goldes. Nicht zufällig fehlt dazu eine Erklärung seiner Existenz, denn im Kapitalismus wäre beides 'Arbeit', ein Phänomen, das schon Adam Smith Schwierigkeiten machte, weil erst ihr Einbezug den Mehr­-Wert erklären kann. Faktisch setzen die Geldkritiker Goldstücke (gewöhnliche Waren) anstelle der Lohnarbeit als Grundlage des 'Wirtschaftens', was mit dem Unterschied zwischen einfacher und kapitalistischer Warenproduktion auch die Möglichkeit verschwinden lässt, die Krisenhaftigkeit letzterer zu begreifen. Die beschriebene Welt entpuppt sich als ein alter Wunschtraum des Kleinbürgers in der Erscheinungsform des einfachen Warenproduzenten: eine warenproduzierende Gesellschaft, die hauptsächlich von ihm selber bevölkert und deshalb unangefochten von ihm beherrscht ist. Allerdings wird sie (s)ein Wunschtraum bleiben müssen. Da der einfache Warenproduzent letztlich nur von den eigenen Fähigkeiten abhängig ist, kann er in vielen Gesellschaftsformationen existieren; weil seine Handlungsmöglichkeiten umgekehrt aber durch die eigenen Fähigkeiten beschränkt sind, kann er nirgendwo dominant werden, und muss deshalb desto intensiver davon träumen. Nicht die geringste Chance hat er gegen den kapitalistischen Produzenten, der mit Lohnarbeit in (tendenziell) unbeschränktem Umfang operieren kann, so dass der einfache Warenproduzent im Kapitalismus noch häufiger und auf noch üblere Weise unter die Räder kommt als in anderen Formationen.

 

Gegen diese Einsicht sträuben Kleinbürger sich mit aller Macht und jeder auf seine Weise. Senf stellt es anhand einer chaotisch verlaufenen Konferenz wie folgt fest: „Ist das einzig verbindende Band der Geldreformer die Ketzerei, gleichgültig aus welcher Richtung sie kommen und in welche Richtung sie gehen, oder lassen sich die einzelnen Teilaspekte – anstatt gegeneinander ausgespielt zu werden – zu einem größeren Ganzen, zu einer Art Synthese zusammenfügen? Letzteres scheint mir von der Sache her zumindest zu einem Teil möglich zu sein, allerdings nur unter einer Voraussetzung: Dass von den Vertretern der einzelnen Auffassungen die Verabsolutierung ihrer Sichtweise, ihr Absolutheitsanspruch überwunden wird zugunsten einer Integration unterschiedlicher Aspekte, von denen man bisher vielleicht den einen oder anderen übersehen hat.“ (SENF, S.51) 'Synthese' oder 'Integration' sind schwierige Vorhaben in einem System, das vom Kampf aller gegen alle geprägt ist. Es folgt eine Beschreibung, wie Senf mit einem Versuch dazu scheiterte. Sie erinnert an die Entstehungsprozesse 'marxistisch­-leninistischer' Kleinparteien nach 1968: „Mein eigener Versuch, mich in die Diskussion einzubringen, war angesichts der emotional aufgeheizten Stimmung wenig erfolgreich. Ich sah mich in dem entsprechenden Workshop mit einer erstaunlichen Abwehr konfrontiert, meine diesbezüglichen Ausführungen überhaupt erst einmal anzuhören. Mir kam es vor, als hätte ich ein Tabu berührt – selbst im Kreis von sonst so aufgeschlossenen Geldkritikern.“ (ebd.; Hervorh. K.H.) Immer­ hin aber zog er Konsequenzen: „Die Frage, um die es dabei inhaltlich ging, hat mich seither immer wieder beschäftigt, und mit einigem zeitlichen und emotionalen Abstand will ich im vorliegenden Beitrag ausführlich darauf eingehen: 'Gibt es eine autonome Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken oder handelt es sich dabei um einen Mythos?'“ (ebd.; Hervorh. K.H.) Damit befassen wir uns näher, denn der Gebrauch der Worte 'Tabu' und 'Mythos' weist darauf hin, dass die Gedankenführung sich nun heiklen Stellen nähert. Felber geht zügig darüber hinweg; für ihn ist die Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken genauso selbstverständlich wie alles andere, das der Kapitalismus jemals hervorgebracht hat, „Die Golddeckung geht verloren (1971). Zentralbanken drucken Papiergeld ohne Deckung: Fiat­-Geld. Die Computerisierung bringt die bisher größte aller Revolutionen: elektronisches Buchgeld... Geld kann erschaffen werden, ohne dass es gedruckt wird...Infolge der doppelten Buchführung können Banken selbst Buchgeld schöpfen. Diese sogenannte Giralgeldschöpfung erweitert die Geldmenge und führt zu Inflation.“ (GELD, S.17; Hervorh. im Orig.)


Wie wenig die Ausführungen Felbers durchdacht sind, erkennt man zunächst daran, dass die Geld-­Substanz gleich zweimal verschwindet, zunächst beim Übergang zum Papiergeld und dann vorsichtshalber nochmals beim Übergang zum Buchgeld (zeitgemäß in elektronischer Form), wo sich „erschaffen“ vom „drucken“ trennt. Man erkennt es weiter an seiner Verwunderung darüber, dass etwas Nicht-­Sichtbares (oder Nicht-­Anfassbares?) gesellschaftliche Realität oder gar 'Wert' besitzen könne. Auch der Kleinbürger in der Erscheinungsform des (potentiellen) grün­alternativen Funktionärs ist also schon so auf das 'Dingliche' (Marx) fixiert, dass er vergisst, dass menschliche Gemeinschaften schon vor der Erfindung der Schrift existierten – und dass für heutige Juristen mündliche und gefaxte Ver­träge genauso gültig sind wie gedruckte und notariell beglaubigte. Wir müssen uns nun also wieder an Senf halten, der als Intellektueller (oder Nicht­Funktionär) in der Lage ist, sowohl die realen Abläufe als auch die darum gebildeten Mythen aus einer größeren Distanz zu betrachten. Worin das Tabu besteht, war oben durch Fettschrift hervorgehoben. Dass für Kleinbürger die Geldschöpfung zum Tabu werden kann, erklärt sich daraus, dass seine Erscheinungsform des Klein­-Warenproduzenten unaufhörlich darum kämpfen muss, sich das zum Überleben nötige Geld durch Verkauf seiner Waren zu beschaffen. Der 'leistungslose', d.h. nicht mit dem Verkauf scheinbar selbst erarbeiteter Warendinge verbundene Profit von Finanzinstitutionen erscheint aus solcher Perspektive ähnlich ungehörig wie im Marxismus die Ausbeutung des Proleten durch den Kapitalisten. In beiden Fällen blendet ein spezieller individueller Blickwinkel die gesamtwirtschaftliche Funktion von Geld aus und damit die Gründe, weshalb der Kapitalismus es samt der beobachteten Erscheinungen in dieser oder jener Form hervorgebracht hat. Man kann danach zwar noch in kausalen Formen des Typs (dieses falsche Geld)→(jenes Übel des Kapitalismus) denken, aber nicht mehr in der Gegenrichtung (diese Eigenschaft des Kapitalismus)→(jene Geldform). So fehlt den Geldformen ebenso wie dem Geld selbst schon die Begründung ihrer Existenz, deren letzte Ebene nur sein kann, dass Geld als Teil des Kapitalismus ein Selbstzweck ist, und zwar nicht irgendeiner, sondern derjenige, der den Charakter des Systems am konsequentesten zum Ausdruck bringt. Weil Weiterdenken bis an diese Stelle die Warenwirtschaft als solche in Frage stellt, ist es dem Waren­-Kleinproduzenten versperrt, und er muss sich andere Begründungen für Geld bzw. den Tauschwert ausdenken. Als Warenproduzent kann ihm nicht viel anderes einfallen als eine 'Deckung' durch gewöhnliche Waren. Eine solche Erklärung des Tauschwerts gewöhnlicher Waren durch den Tauschwert der speziellen gewöhnlichen Ware Gold enthält zwar denselben Zirkel und dieselbe Selbstbezüglichkeit wie Marx' Zusammenfassung G→G', dies jedoch in einer Form, hinter der ein durch die Warenvielfalt geblendeter Waren­Kleinproduzent den Inhalt bzw. dessen Fehlen (d.h. den Selbstzweck) nicht mehr erkennt.[15] Danach steht die Erscheinung 'Geld' beziehungslos inmitten des Kapitalismus, und seine Eigenschaften reduzieren sich in den Augen eines von der Geldwirtschaft gebeutelten Klein­-Warenproduzenten hauptsächlich auf 'böse‘.[16] Viel schöner ist das gelb glänzende Metall, was die Idee gebiert, so müsse auch das Geld (wieder) werden.

 

Der Versuch, sich in Geld ausdrückende gesellschaftliche Beziehungen auf physi(kali)sche Eigenschaften eines Stoffes zurückzuführen, erzeugt Bewusstseinsformen, die die kapitalistische Welt nur noch als 'paradox' verstehen können, weil sie selber paradox sind. Das Ausmaß der daraus entstehenden Abstrusitäten entnehmen wir einer Streitschrift Senfs.[17] Nach einer stichhaltigen Kritik am Patriarchat und Anerkennung eines gewalttätigen Ursprungs des (aktuellen falschen!) Kapitalismus fordert er darin ernsthaft eine „Synthese zwischen Marx und Gesell“ (S.5), entschuldbar vielleicht durch die noch viel abenteuerlicheren Argumentationen „gegen die Geldschöpfungs­-Ökonomen“, die sein Kontrahent vorbringt. Senf zitiert ihn wie folgt: „Die Vorstellung, dass es in der Geldwirtschaft möglich sei, die Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen, indem man wie der Zauberer auf dem Jahrmarkt Geld aus dem Nichts schafft, gehört in den Bereich der Märchen.“ Noch absurder ist folgende von Senf zitierte Passage: „Es muss als sonderbar gelten, dass über die Herkunft von Krediten bis heute die größte Unklarheit, um nicht zu sagen, eine stark verbreitete Verwirrung der Köpfe herrscht, und zwar gerade in den Köpfen mancher Wirtschaftswissenschaftler. In der Biologie würde sich jeder lächerlich machen, der nach Darwins Evolutionstheorie noch allen Ernstes die Theorie von einer Urzeugung lebender Wesen vertritt. Es spricht daher nicht gerade für den Fortschritt der ökonomischen Wissenschaft, dass einige ihrer größten Vertreter noch im 20. Jahrhundert darauf bestanden und einige von ihnen selbst heute noch darauf bestehen, dass es so etwas wie die Urzeugung von Krediten gebe, sprich deren Hervorzauberung aus dem Nichts.“ Passagen wie diese sagen wenig aus über das Phänomen 'Geld', aber desto mehr über die Zustände in den Köpfen: statt als ein in der Gesellschaft entstandenes Phänomen erscheint Geld dort als übermächtige Naturkraft. Dies wirkt wie eine Steigerung der Vorstellungen von Kapitalismusregulierern aller Art vom Geld als mächtigem Werkzeug, mit dem sich alles (oder wenigstens eine Steuerung des Kapitalismus) bewirken lasse. Während das in den Köpfen des Großbürgertums und seiner Funktionäre entstandene keynesianische und verwandte (darunter Felbersche) Denken immerhin noch eine Fähigkeit des Menschen (alias Großbürgers) zur Beeinflussung der Verhältnisse unterstellt, und daher Geld noch als etwas gesellschaftliches ('geschöpftes') wahrnehmen kann, sieht der Waren­-Kleinproduzent sich den geldgesteuerten Verhältnissen so hilflos ausgeliefert wie Steinzeitmenschen den Naturkräften. Von der Vorstellung ewigen Tauschzwangs zu vorgegebenen Äquivalenten ist es nur ein kleiner gedanklicher Schritt zur Vorstellung einer Geldwerterhaltung als Analogon der Energieerhaltung, wenn jemand etwas naturwissenschaftliche Halbbildung auf dem Niveau der mathematischen Halbbildung von Wirtschaftsabsolventen mitbringt. Wichtigste Voraussetzung dafür ist zu vergessen, dass nicht die Erhaltung, sondern die grenzenlose Vermehrung des (eigenen!) Geldreichtums im Mittelpunkt allen kapitalistischen Treibens steht, und dass Verwertung sich gerade deshalb auf Dauer nur in gesellschaftlich 'geschöpftem' Geld aus­ drücken kann, weil nur Denkfiguren unbegrenzt vermehrbar sind, aber nichts materiell fassbares. Diese zentrale Rolle des 'mehr' im Kapitalismus ignoriert auch Felber, wenn er das Geld-­Wachstum bzw. dessen Folgen begrenzen will. „Es ist ausreichend, dass ein Bruchteil des Finanzvermögens den Unternehmen als renditefreies Eigenkapital zur Verfügung gestellt wird, da das Finanzvermögen ein immer größeres Vielfaches der Realwirtschaft und damit des maximal benötigten Eigenkapitals ausmacht.“ (GELD, S.164) Doch auch jeder Bruchteil des Unendlichen wird unendlich – mit Ausnahme des Bruchteils 'null', was inhaltlich auf die Abschaffung des gesamten Finanzvermögens oder des Systems Kapitalismus hinausliefe. Die Wertkritik spricht an dieser Stelle von der 'Absoluten Schranke der Verwertung'. Damit er nicht die einzig mögliche Konsequenz – die Abschaffung des Verwertungssystems – ziehen muss, rettet sich auch Felber in die Vorstellung von Geld als einer Naturkräften analogen Produktivkraft: „Dass Unternehmen auf Dauer und systemisch das Produktionsmittel Geld den Investoren in größerer Menge zurückgeben ('Rendite'), als diese hineingegossen ('investiert') haben, ist gar nicht möglich, weil nicht alles Finanz­ vermögen vermehrt werden kann, wenn es ein immer größeres Vielfaches als die Wirtschaftsleistung ausmacht.“ (ebd.; Hervorh. K.H.) Marx nannte dasselbe Phänomen den 'tendenziellen Fall der Profitrate', und den Kleinbürger treffen seine Folgen am härtesten. Kein Wunder, dass er sich im Spätkapitalismus vorkommt wie in einer natürlichen Löwengrube. Es ist Felber und seinen Mitkämpfern nicht hoch genug anzurechnen, dass sie ihn durch Einsatz aller verfügbaren Gremien und Vorschriften (oder sind es quasireligiöse Rituale?) daraus erretten wollen.


Damit können wir zurückkehren zur oben unterbrochenen Betrachtung der Senf/Felberschen Version der Geldgeschichte. Verlassen hatten wir sie im Stadium einer vollausgebildeten Warenwirtschaft mit einer Währung aus zu 100% goldgedeckten Banknoten. Was noch fehlt, ist Kredit; Banken agieren einzig und allein als Goldlagerhäuser. Diese Absurdität zeigt, welche Schwierigkeiten dem Bürger der Schritt vom Wert zum Mehrwert macht. Den ersten Schritt auf dem Weg in das „Tabu“ der mit Goldgeld nicht möglichen „autonomen Giralgeldschöpfung“ (d.h. Mehrwertaneignung ohne unmittelbar damit verbundene Warenproduktion) geht Senf in der Überschrift „Von der Volldeckung zur Teildeckung“ (SENF, S.77) Darunter heißt es: „Nehmen wir nun aber an, aus irgendwelchen Gründen würde nun doch ein Teil der Banknoten zur Goldeinlösung bei der Bank vorgelegt – zum Beispiel um mit Gold auch im Ausland[18] bezahlen zu können, wo die Banknoten nicht akzeptiert werden. Nehmen wir weiter an, dass erfahrungsgemäß höchstens 1/3 der Banknoten da­ von betroffen ist. Von dem bei der Bank deponierten Gold wird also höchstens 1/3 als Reserve für diese Goldeinlösung gebraucht. 2/3 des Goldes wären demnach 'Überschussreserve'.“ Nach Senf könnten diese 2/3 einfach in der Bank liegenbleiben, aber es sei auch möglich „dass die Bank unter den gegebenen Umständen auf ganz andere Gedanken kommen kann: zum Beispiel die 2/3 Überschussreserven an andere in Form von Krediten auszuleihen – und dafür neben der Tilgung auch noch Zinsen und Sicherheiten von den Schuldnern zu verlangen.“ (S. 78) Am daraus entstehenden 'leistungslosen Einkommen' der Bank entzündet sich die nächste, bei allen 'Geldkritikern' mehr oder weniger identische Ebene der Kritik: der kleine Bürger sieht den Vorgang so, dass der große Bürger ihm Ein­ kommen wegnehme, das diesem gar nicht zustehe. Weil es im Kleinbetrieb erarbeitet worden sei, nicht im Großbetrieb oder in der Bank, stehe es dem Kleinbürger zu (könnte dieser sich auch selber – zumindest anteilig – als Mehrwertaneigner sehen, fiele die Kritik vielleicht anders aus).

 

Müssten solche Ausleihungen von 'Überschussreserven' durch Gold gedeckt bleiben, wäre ihr Umfang durch die im Verlauf der Menschheitsgeschichte aufgehäuften Goldvorräte beschränkt, und ihr jährliches Wachstum im Kapitalismus wäre beschränkt durch die pro Jahr leistbare Arbeit. Sie können daher nicht dauerhaft mit dem exponentiellen Wachstum durch den Zinseszins mithalten, das Geldkapital immanent ist, und bei einem einzigen Sündenfall gegen den Heiligen Äquivalententausch kann es nicht bleiben. Nach Vorstellung Senfs ist der nächste Schritt, die Überschussreserve als Basis für die Ausgabe weiterer Banknoten zu verwenden, womit dann erstmalig die umlaufende Geldmenge die gelagerte Goldmenge 'wert'seitig übersteigen könnte. Dies „im Vertrauen darauf, dass auch von diesen Banknoten höchstens 1/3 in Gold eingelöst werden wird“ (SENF, S.78/79). Ver­ stünde man an dieser Stelle die Zahl 1/3 als drittes Glied der aus der Schule bekannten Nullfolge 1/n, würden die Gelddinge (einschließlich der 'wahren') als Fetische oder Fiktionen erkennbar, hinter denen sich gesellschaftliche Verhältnisse verbergen. Davor scheut die 'Geldkritik' zurück. Wichtiger sind ihr Form und Herkunft des Geldes, wie Senf auf S.79 ganz nebenbei(!) feststellt: „Die zusätzlich aus dem Nichts geschöpften Banknoten kommen dadurch in Umlauf, dass die Bank Kredite vergibt.“ Die Selbstverständlichkeit, mit der die Form „Kredit“ und die Herkunft „Nichts“ akzeptiert werden, ist eine weitere typische Beschränktheit der 'Geldkritiker', in der die kleinbürgerliche Herkunft ihrer Denkformen auf­ scheint. Wer selber nicht produzieren kann, ohne dass ihm eine Bank Geld per Kredit zur Verfügung stellt, dem erscheint Geld wie ein auf dem Markt gekauftes „Produktionsmittel“ (Felber) mit vom Produzenten festgelegten Eigenschaften. Erkenntnishemmend ist dies, weil erst die teilgedeckte ('fraktionale') Kreditvergabe das Ge(o)ldlager zur kapitalistischen Bank macht, indem dadurch kontinuierlich 'frisches' Geld in Umlauf kommt, was geldseitig die Voraussetzungen für die Realisierung von Mehrprodukt schafft. Wer sich als Geldquelle nur einen Verkauf schon im Umlauf befindlicher Waren vorstellen kann, dem erscheint der Gesamtvorgang so, als ob dasselbe Ge(o)ld mehrfach in Umlauf komme. Auch die (bei den 'Geldkritikern' unbegründet bleibende) 'Wert'vermehrung per Zins ist ein Vorgriff auf von Mehrarbeit noch zu produzierenden Mehrwert, und der Kredit­ bzw. Zinsmechanismus bindet den Kleinbürger in dieses Vorhaben ein. Soweit er den Gegenwert des Zinses nicht selbst erarbeitet, muss er den Zwang dazu weitergeben.

 

Die Geldvermehrung aus dem 'Nichts' macht alle vorausgehenden Darstellungen des Ge(o)ldes als eines quasi­naturwissenschaftlichen Objekts obsolet, und enttarnt die goldbasierte einfache Warenwirtschaft als Einbildung, ohne dass dies aber ausgesprochen wird. Damit wird vermieden, das moderne Geldwesen bzw. die es repräsentierende Institution 'Bank' als etwas von Beginn an Verrücktes darstellen zu müssen, nämlich als Bestandteil des Kapitalismus, dessen Verrücktheiten genau dort einsetzen, wo die einfache Warenzirkulation endet (im logischen Sinn!). Stattdessen entfaltet sich eine Kritikebene, die das reale Geld am eigenen Wunschbild davon misst. „Bei den neu geschöpften Banknoten allerdings noch von einer Golddeckung zu sprechen, wäre verfehlt. Denn sie sind nicht mehr voll durch Gold gedeckt, auch wenn jeder von ihnen durch eine Goldeinlösegarantie versehen ist. Von hier ab wäre es eigentlich sinnvoll, statt von 'Geld' nunmehr von einem 'Geldschein' zu sprechen, denn es ist eigentlich ein falscher Schein, der die neuen Banknoten umgibt. Aber es funktioniert so lange, wie alle daran glauben.“ (SENF, S.79) Bei Felber nimmt dieser Glaube die Form an, durch Modifizierung des Geldwesens den Kapitalismus in ähnlicher Weise am Laufen halten zu können, wie es der Ingenieur an einer rüttelnden alten Maschine mit neuen Ölsorten probiert. Der feste Glaube ermöglicht uns, in Senfs Buch einige Seiten zu überschlagen, in denen die Substanz des Geldes der oben als 'Null­ folge' angedeuteten Logik folgt. Schon auf S.81 hat sich die Goldform der 'Überschussreserve' gänzlich verflüchtigt, was nicht mehr verwundert, sobald man sich klarmacht, dass Geldschöpfung mit Mehrwert korrespondiert, ihr also aktuelle und zukünftige Arbeit gegen­ überzustellen ist, nicht in Gold verkörperte vergangene. Unter „Die vermeintliche 'Deckung' des Papiergeldes durch Wertpapiere“ beschreibt Senf nun die Schöpfung von Geld, das nur noch gedeckt ist „durch Wertpapiere, das heißt durch Forderungen der Bank gegen­ über Schuldnern.“ Hier entpuppt sich das „Tabu“ als der sinnlose kapitalistische Selbstzweck G→G' in Reinstform. Es fehlt nur noch der Schritt, die Möglichkeit einer Zinszahlung mit der Mehrarbeit zu begründen, die irgendwo irgendwer noch leisten muss. Dieses Loch in der Gedankenführung (frei nach Adam Smith: die Unsichtbarkeit des Arbeiters) legt dem erkenntnissuchenden Kleinbürger so viele Steine in den Weg, dass eine Variante der 'Geldkritik' nach der anderen stolpert, stürzt und liegenbleibt, Felber spätestens dort, wo er die Geldsubstanz zum zweiten Mal verschwinden sieht. Auch Senf ist nicht davor gefeit. Wie kann man das Vorhandensein nur „vermeintlicher“ Deckung kritisieren, nachdem man gerade festgestellt hat, der gesamte Vorgang beruhe maßgeblich auf „glauben“? Man kann den Vorgang oder seine Beschreibung samt des Endresultats 'kapitalistische Geldformen' akzeptieren oder ablehnen, aber man kann nicht einen Teil davon akzeptieren und den an­ deren Teil durch ein Wunschbild ersetzen nach dem Muster 'Dieser Hochofen erzeugt Eisen, aber eigentlich sollte das Produkt schwimmen'. So ist es kein Wunder, dass Felber Buch um Buch schreibt, im neuesten volle 22 Seiten „Fragenkatalog für den Geldkonvent“ (GELD, S.257ff.) zusammenträgt, die 'geldkritischen' Debatten aber gerade durch diesen Aufwand ins Uferlose zerfleddern, weil schon jeder halbherzige Analyseschritt einige Diskutanten zurücklässt, die nicht glauben können (oder wollen), dass etwas so Verrücktes möglich sei, weil sie nicht den Kapitalismus insgesamt als Verrücktheit einordnen können.

 

Wichtig ist hier festzuhalten, dass die 'Gelddeckung durch Geld' alias 'Geldschöpfung aus Geld' eine neue Qualität ins Spiel bringt, die jede Verträglichkeit des realen Systems mit den Wunschbildern von einer 'kapitalfreien' (d.h. nur Äquivalententausch beinhaltenden) Warenwirtschaft aufhebt. Völlig verloren geht auch die Bedeutung des Gebrauchswerts (zuletzt des Goldes), und wird ersetzt durch den inhaltsfreien Selbstzweck G→G', der nun ungehindert seine Eigendynamik entfalten kann, weil er von nichts anderem mehr ab­ hängt. Damit können bzw. müssen alle Ideologien von idyllischen unkapitalistischen Warengesellschaften als 'geldkritik'­spezifischer Versuch zur Beschönigung des Kapitalismus eingestuft und über Bord geworfen werden. Im weiteren betrachten wir die Geldschöpfung deshalb nicht technisch, sondern funktional: was trägt kontinuierliche Geldschöpfung zum Funktionieren des Kapitalismus bei – und warum will der Bürger von diesem Phänomen nichts wissen bzw. kann er es als 'Geldschöpfung' nur mit ähnlich halbreligiösem Vokabular umschreiben wie die korrespondierende 'Wertschöpfung' durch Arbeit?

 

 

5. Selbst bürgerliche Ökonomie plädiert für den Nichtkapitalismus

 

Ideale wie 'gerechte Entlohnung', 'gerechter Preis', Lohn für 'Leistung' bzw. 'Effizienz' und verwandtes spielen eine große Rolle in allen kapitalismusimmanenten Debatten, denn die Preisbildung muss den Antagonismus zwischen Käufer und Verkäufer im Markt praktisch auflösen. Steigt ein Preis, steht der Verkäufer einer Ware in genau dem Umfang besser dar, wie sich die Position des Verkäufers verschlechtert hat. Fällt ein Preis, passiert das Umgekehrte. Indem jeder 'den Preis' nur mit sich selbst oder einem Ding verbindet, kann der Antagonismus unterdrückt werden. Er taucht wieder auf, indem jedes Subjekt, jeder Interessenvertreter und jede ökonomische Schule einen anderen Zahlenwert zum 'richtigen' Preis erklären kann. Damit ein ('der') Preis von allen quantitativ akzeptiert wird, muss er auf ein Prinzip zurückgeführt werden, das scheinbar über den Marktsubjekten steht. Jedes solche Einzelprinzip unterdrückt den Basisantagonismus auf eine andere Weise – bzw. verschiebt ihn in die Fülle der Prinzipien. Bereits die ökonomische Klassik fand die sich quantitativ widersprechenden Ideale, Preise sollten sich am proletarischen Ideal der verkörperten Arbeitsmenge oder am kapitalistischen Ideal der für alle gleichen Profitrate aus­ richten. Die Neoklassik bemühte das Ideal der Maximierung eines abstrakten Nutzens, und quantifizierte damit eine von Marx angeführte logische Vorbedingung für erfolgreiche Verwertung: Tauschwert erfordert einen gesellschaftlich akzeptierten Gebrauchswert. Glaubt das Publikum nicht mehr daran, das hinter dem Rücken aller gebildete System von Preisen (incl. Löhne, Abgaben und andere Geldoperationen) realisiere das erwünschte GUTE, oder versagt die Regelung über 'Marktpreise' in offensichtlicher Weise, muss als oberster Schirmherr des Verwertungssystems der moderne Staat einschreiten, zunächst mit Steuernachlässen, Subventionen und Aufträgen. Ein Staatsfunktionär namens Mao Zedong formulierte – wenn auch nicht im Zusammenhang einer Geldtheorie – die immer verfügbare ultimative Option, das übergeordnete Prinzip notfalls „aus den Gewehrläufen“ zu holen. Zuträglicher für das Funktionieren des kapitalistischen Alltags sind allerdings Glaubenssätze wie die zuvor genannten – oder eine der noch zahlloseren Regeln, die Felbers zahllose Gremien aufstellen.

 

Eine Befassung mit den im Geldwesen enthaltenen Antagonismen vermeidet die Ökonomie, indem sie den Warencharakter des Geldes, d.h. eine eigenständige Rolle desselben, negiert, und es als ein im Grunde nebensächliches Schmiermittel der Zirkulation gewöhnlicher Waren betrachtet, letztere möglichst aufgefasst als Gebrauchswerte. Insbes. dieses Element entfernt zahllose potentielle Widersprüche, denn für die Verwendung von Gebrauchswerten wird Geld gar nicht benötigt, so dass Geldtheorien allein schon deshalb widerspruchsfrei funktionieren sollten, weil sie vollständig überflüssig sind.[19] Marx hingegen sah im Geld die 'Königsware', was nahelegt, sich zunächst ihre Untertanen im Warenkosmos anzusehen, um von dort einen Weg zum Thron zu finden. Die gewöhnlichen Waren unterteilen sich in variables Kapital V, konstantes Kapital C und Mehrprodukt M, wobei V den Unterhalt der Arbeitskraft sichert, C den Material­ bzw. Arbeitsfluss im Produktionsapparat widerspiegelt, und M über das kapitalistische Motiv der Profitmaximierung die Entwicklungsrichtung des Systems steuert. Bürgerliche wie marxistische Ökonomie verkürzt häufig schon an dieser Stelle ihre Betrachtungen, indem sie V, C und M durch verschiedene Stoffe darstellt, beispielsweise V durch Getreide, C durch Eisen und M durch Gold, statt die Funktionen dieser Warensorten im Verwertungsprozess zu verfolgen. Dass stoffliche Betrachtungen hier genausowenig weiterführen wie diejenigen zu Geldformen, erkennt man daran, dass eine Warensorte alle genannten Funktionen ausfüllen kann, indem etwa ein Autotyp teilweise als Pendlervehikel (V), teilweise als Dienstwagen (C), teilweise als Spielzeug für Kapitalistennachwuchs (M, Anteil Luxuskonsum) und teilweise zur Ölexploration (M, Anteil Investition) eingesetzt wird. Völlig ausgeblendet wird von bürgerlicher Ökonomie die besondere Ware Arbeitskraft und ihre Rolle als Wertquelle. Marxistische Ökonomie berücksichtigt sie zwar, aber in der verkürzten Form, dass man das quantitative Ge­setz einer (angeblich strengen) Proportionalität zwischen verkörperter Arbeit (Arbeitswert) und Geld­ bzw. Tauschwert in den Vordergrund rückt. Arbeitswert und Tauschwert unter­ scheiden sich danach nur noch um einen konstanten Faktor wie zwei verschiedene Währungen, was in Modellrechnungen den begrifflichen Unterschied einzuebnen erlaubt. Fatal ist dies, weil Geld­ bzw. Tauschoperationen nicht die für den Bestand des Kapitalismus notwendige allgemeine Profitabilität erklären können. Nach jedem Tausch, Kauf oder Verkauf gibt es genausoviel Geld und Ware wie vorher. Der Reichtum (sowohl der materielle als auch der in Geldwert anzugebende kapitalistische) kann sich dabei zwar anders verteilen, nie aber insgesamt vermehren. Auch der (als Tauschwert oder Geldsumme anzugebende) Profit muss in der Summe null sein, denn im Markt ist die Summe der Ausgaben aller stets gleich der Summe der Einnahmen aller. Da Mehrwert nicht im Markt entsteht, sondern außerhalb desselben durch Arbeit im Sinn von 'Tätigkeit' (also unabhängig von ihrer Bezahlung), ist er unerklärbar in ökonomischen Ansätzen, die sich auf Tauschwerte beschränken, d.h. auch dann, wenn Tauschwerte so exakt linear mit den Arbeitswerten skalieren, dass der größte Computer keine Abweichung von der Proportionalität findet. Es muss daher eine 'Realisierung' (d.h. Verwandlung in Geld oder 'Profit') des Mehrwerts geben, die ebensowenig als Marktprozess behandelbar ist wie sein Erarbeiten. In Marx' Werttheorie lässt sich das qualitative Phänomen der Entstehung von Mehrwert durch die Komponente 'konkrete Arbeit' der Arbeit erklären, indem diese stoffliche Veränderungen bewirkt, darunter 'Vermehrungen' von Gütern. Abzutrennen davon ist die mit 'abstrakter' (vom stofflichen Inhalt absehender) Arbeit verbundene und sich in konkreten Preisen aus­ drückende Quantifizierung vorhandener Waren. Wegen dieses doppelten Inhalts im Begriff 'Arbeit' darf diese Theorie nie auf eine Beschreibung von Marktprozessen verkürzt werden, weil damit der Dualismus von Gebrauchswert und Tauschwert bzw. stofflichem und kapitalistischem Reichtum verschwände und mit ihm die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus. Diese beginnt mit der Aneignung von Mehrwert, die etwas qualitativ anderes ist als der im Markt stattfindende Tausch vorhandener Äquivalente. Wollte man Aneignung mit Brachialgewalt als Marktprozess darstellen, müsste sie als 'Kauf zum Preis null' erscheinen. Schon dies ist unverträglich mit der Logik von Warenwirtschaft und ruiniert die Grundvoraussetzungen sämtlicher Formen von 'Wirtschaftsmathematik'. Beim Verkauf des angeeigneten Mehrprodukts erschiene ein zweiter Preis für dieselbe Ware, was unabhängig von seinem genauen Zahlenwert erneut fundamental allen Idealen der Ökonomen widerspricht, und sie aktuell in wachsende Ratlosigkeit stürzt, weil die modernsten Formen der Mehrwertaneignung deutlich sichtbar auf einer Preisverdoppelung beruhen: der Spekulant kauft eine Ware (egal welche) zum Preis p und erzielt die Rendite r, indem er dieselbe Ware zum Preis p°(1+r) verkauft. Dass dies (fast) allen gelingen kann, beruht auf der ständigen Einfügung unbezahlten und deshalb für Ökonomen unverständlichen (Mehr­-)Werts in den Warenkreislauf. Da bürgerliche Theoretiker sich nicht von den Idealen der einfachen (d.h. auf Äquivalententausch beschränkten) Warenzirkulation lösen können, wird das kapitalistische Geld­ und Finanzwesen für sie noch unverständlicher als der industrielle Teil des Verwertungsprozesses. Aus diesem Unverständnis speist sich auch die 'Geldkritik'. Interessanterweise bemerkten sowohl bürgerliche als auch marxistische Ökonomen noch die Existenz von Widersprüchen in der Profit­ und Mehrwertbehandlung.[20] Sie sahen diese Widersprüche aber als noch zu beseitigende letzte Mängel der Theorie an statt als konstitutiv für das kapitalistische System. Um die reale Grundlage der theoretischen Probleme zu finden, hätte es ausgereicht, probeweise 'die Arbeit' in irgendeiner (egal welcher) Rechnung einmal als Tätigkeit und einmal als Lohnsumme zu behandeln. Im ersten Fall vermehrt eine Verdoppelung der 'Menge Arbeit' den erzeugten Wert und insbes. Mehrwert, im zweiten Fall vermindert sie den Profit. Damit kann man aus jeder beliebig exakten Geldwertrechnung die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus in ihrer vollen Schönheit auftauchen lassen.


Da zu jeder Warentransaktion eine spiegelbildliche Geldtransaktion gehört, kann der Geldumlauf die Ideale der einfachen Warenzirkulation nicht erfüllen, wenn der Warenumlauf sie nicht erfüllt. Wo die Verstöße angesiedelt sind und warum bürgerliches Denken sie nicht zur Kenntnis nehmen kann, sollte sich daraus ergeben, welchen Beitrag Preisbildung und Geldzirkulation zum Funktionieren des Gesamt­Verwertungsprozesses leisten. Denn daraus müsste folgen, welche Eigenschaften 'Geld' besitzen muss. Dem gehen wir nach, indem wir erneut einen Ökonomen hinzuziehen, um Erkenntnisse über den Kapitalismus aus der Beschränktheit des ökonomischen Erkenntnisstrebens zu gewinnen. Statt eines Außenseiters wie Senf wählen wir diesmal mit N. Gregory Mankiw einen repräsentativen Vertreter des Mainstreams, als solcher ausgewiesen durch Abfassung des weltweit wohl meistverkauften Lehrbuchs.[21] Dessen Erklärung der 'volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung' beginnt auf S.16 wie folgt: „Stellen wir uns eine Ökonomie vor, die ein einziges Gut, nämlich Brot, aus einem einzigen Input, nämlich Arbeit, erzeugt […] Das Brot kaufen die Haushalte von den Firmen. Die Firmen verwenden einen Teil der Einnahmen aus dem Brotverkauf, um die Löhne der Arbeiter zu zahlen, und was übrigbleibt, ist der Profit. Dieser gehört den Eigentümern der Firmen (die ihrerseits den Haushalten angehören [are part of the household sector]).“ (runde Klammern im Original).

 

Dass hier von 'Kapitalismus' keine Rede sein kann, ist offensichtlich. Schon der 'Profit' ist nur ein scheinbarer, da die Arbeitsergebnisse der Haushalte (Familien Meier, Müller und Schulze) von diesen Haushalten selbst vollständig angeeignet werden.[22] Viele Lehrtexte arbeiten mit nach ähnlichen Grundsätzen simplifizierten Konstrukten, aber dieses besticht durch die Gründlichkeit, mit der alles kapitalistische entfernt ist. Die Gründlichkeit wird uns erlauben, fehlende Elemente einzeln zurückzuholen, um zu beobachten, wie ihre Anwesenheit (und wie ihr Fehlen) vom bürgerlichen Hirn wahrgenommen wird. Dazu sind sie zu­ erst zu benennen. Das Fehlen des (soziologischen) Phänomens 'Ausbeutung' wurde bereits erwähnt; korrespondierend dazu fehlt gebrauchswertseitig eine Ware, die investierbar ist, und damit jede Möglichkeit zu 'Wachstum'. Für das Endprodukt Brot gibt es als einzige Verwendung Konsum, egal ob dieser aus Essen oder Verderbenlassen (bei Autos: Abwracken) besteht. Es fehlt weiter die Warenkategorie C (konstantes Kapital), so dass sich der Warenkreislauf auf die Kategorie V (variables Kapital) beschränkt, d.h. Konsumgüter, und dies in ihrer allereinfachsten Form: elementare Lebensmittel. Damit kann die Problematik des Profitratenfalls unterdrückt werden. Streng genommen gibt es noch nicht einmal Waren, denn zum Kaufen und Verkaufen bräuchten wir Geld, das ebenfalls noch nicht erschienen ist. Während Lehrtexte und andere auf breites Publikum zielende Publikationen viele (oder alle) dieser Elemente unterdrücken, setzen komplexere Modelle in sogenannter 'Forschung' sie (d.h. den Kapitalismus bzw. die bürgerliche Gesellschaft) von Beginn an als Selbstverständlichkeit voraus, und erlauben danach nur noch quantitative Modifikationen. Mit ersterer Variante lässt sich die Funktionsweise des Kapitalismus verschleiern (d.h. Apologie betreiben), mit zweiterer lässt sich eventuell über kurze Zeit die Entwicklung eines aktuellen Zustands behandeln, mit keiner Variante aber lässt sich das Wesen des Systems verstehen. Dieses Wesen müsste sich in Phänomenen zeigen, die mit der Existenz (statt Vergrößerung oder Verkleinerung) der wesentlichen Kapitalismusbestandteile verbunden sind. Eine wie beschrieben vorgehende Ökonomie und daran angelehnte Ökonomie-­Pseudokritik agiert wie eine Sozialwissenschaft, die das Wesen des Phänomens 'Religion' ergründen will, indem sie mit äußerster Genauigkeit die wechselseitigen Abhängigkeiten aller Einzelschritte bei der rituellen Schlachtung des Schafs analysiert.

 

Die letzten Abschnitte dieses Artikels verwenden Mankiws Bäckereikapitalismus als Basis für gezielt vereinfachte Modelle. Indem schrittweise die Elemente M (damit Profit), C und Geld hinzugefügt werden, soll sichtbar gemacht werden, welche Phänomene mit deren Existenz (statt Größe) verbunden sind. Damit nicht der Eindruck entsteht, es werde ernsthaft ein Kapitalismus auf einer durch Bäckereien repräsentierten Entwicklungsstufe der Produktivkräfte für möglich gehalten, wird nach jeder logischen Überlegung kurz skizziert, wie getroffene Aussagen auf entwickelte industrielle Systeme zu verallgemeinern wären.


 

6. Wie die Königsware Geld den Warenpöbel V, C und M regiert

 

Ein auf dem Lehrbuchtext aufbauendes simples Modell könnte aus drei Bäckereien bestehen. Jede gehöre einer der Familien Meier, Müller und Schulze, aus jeder Familie sollen zwei Mitglieder arbeiten gehen, jede Bäckerei beschäftige zwei Arbeitskräfte und stoße jährlich dieselbe Anzahl Brote aus. Die letzten zwei Annahmen beinhalten, dass sich eine 'einheitliche Produktionsweise' herausgebildet hat, ein wesentliches Element aller Vorstellungen von dem, was bürgerliche Ökonomen ein 'Gleichgewicht' nennen, und was marxistische Ökonomen unbewusst unterstellen, wenn sie 'gesellschaftlichen Durchschnitt' als 'exakt ermittelbaren Zahlenwert' deuten. Wie realistisch diese Vorstellung ist, kann außer Betracht bleiben, solange es primär um ökonomische Denkformen geht. Ein solches System wäre insbes. wenig dynamisch, da noch das Mehrprodukt fehlt. Dies gibt uns Zeit, den Kreislauf in Zahlen[23] zu fassen. Jede Familie benötige 2000 Brote jährlich, so dass jährlich der Ausstoß jeder Bäckerei 2000 Laibe und der Reallohn einer Arbeitskraft 1000 Laibe betragen muss. Um ihn in Geld auszudrücken, benötigen wir eine Währung und einen Brot­preis. Die Währung möge 'Taler' heißen, als Zahlungsmittel seien Münzen zu 1T(aler) verfügbar, und der Brotpreis betrage 1T/Laib. Dann muss jede Arbeitskraft jährlich 1000T an Lohn erhalten. Mit den Bäckereien (alias Kapitalisten) erscheint ein neuer Typus Subjekt, der sich von den Arbeitern abgrenzt, um auf dem Arbeitsmarkt zu ihnen in eine (antagonistische) Beziehung treten zu können. Spiegelbildlich zur 'Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln' (Marx) entsteht eine 'Verbindung von Nicht­-Produzenten' mit diesen. Sie werden sich insbes. den Mehrwert aneignen müssen, sobald solcher erzeugt wird, denn was sich die Arbeiter aneignen können, ist per def. kein Mehrwert, und einen dritten Typus Subjekt gibt es nicht. Das 'leistungslose Einkommen' ist also bereits im industriellen Kapitalismus nicht nur eine mögliche, sondern eine notwendige Begleiterscheinung seines Gegenstücks, der nicht bezahlten Arbeit (genauer: Arbeitsergebnisse). Seine Existenz infrage zu stellen ist nur möglich, wenn der Kapitalismus insgesamt infrage gestellt wird. Bewegt man sich dagegen innerhalb der 'Marktwirtschaft' wie Felbersche und andere klein­bürgerliche Geldkritik, kann man allenfalls die Frage aufwerfen, wer welchen Anteil des leistungslosen Einkommens beziehen soll. Der Kapitalismus hat in Form von Industrieverbänden, Lobbies und 'wirtschaftsnahen' Parteien längst reichlich Institutionen hervorgebracht, die dies systemkonform regeln – kein Wunder, dass die 'Geldkritik' in den offiziellen Institutionen des Systems nicht ernstgenommen wird.

 

Bevor wir aber Mehrwert und seine Bewegung einführen, soll geklärt werden, welche Form die neuen Nicht-­Produzenten annehmen müssen. Diese Form muss – im Gegensatz zur aristokratischen Form – mit den Grundsätzen der Warengesellschaft verträglich sein, indem die Beziehung der Produktionsmittelbesitzer und der Arbeitskraftbesitzer wie andere gesellschaftliche Beziehungen als Käufer/Verkäufer­Relation gestaltet wird. Dies geschieht per Lohnzahlung und Warenkauf, wofür Geld zwar benötigt, wodurch Geld aber nicht erzeugt wird. Schon sind wir im Problem der 'Geldschöpfung'. Brauchen wir aber bisher überhaupt Geld? In Geld wird der Profit ausgedrückt, Geldüberschüsse werden 'investiert', und über Preise wird konkurriert. Solange es kein Mehrprodukt gibt, entfallen diese Phänomene, da alle Güter direkt unter einen materiellen Zweck subsumiert sind, dem sie zugeführt werden müssen. Das System kann zwar untergehen, falls es dabei versagt, aber es kann keine der charakteristischen kapitalistischen Eigendynamiken entwickeln, auch nicht die negativen, womit es aus der Apologiefunktion von Ökonomie heraus verständlich wird, dass Ökonomen einer einführenden Abhandlung über den Kapitalismus gern die Form 'Verallgemeinerung der Theorie eines Nullprofitsystems' geben. Im obigen Beispiel könnte möglicherweise die Meier-­Bäckerei ihr Brot geschmackvoller gestalten als die anderen Bäckereien, damit aber nur bewirken, dass ihr Brot als erstes gekauft wird. Sie könnte sich dadurch keinen Vorteil verschaffen und ebensowenig würden deshalb andere Produkte liegenbleiben. Auch die Preise dürften sich nicht ändern: stiege der Gesamt­-Lohn relativ zum Gesamt­-Brotwert, müsste mindestens eine der drei Bäckereien bankrott gehen und damit das Gesamtsystem zusammenbrechen. Fiele er, so müsste mindestens eine Familie verhungern mit derselben Folge. All das ließe sich zwar als 'Krise' fassen, nicht aber als kapitalismusinterne Verlaufskrise. Sinngemäßes gilt, sollten die Müller­ und die Schulze-­Firma sich auf Fleisch und Obst oder irgendwelche anderen (aber notwendigen) Produkte verlegen. Da nicht die stofflichen Charakterisierungen relevant sind, sondern die funktionalen wie V, ist die Beschränkung auf eine stoffliche Produktform (Brot) bisher keine wirkliche, und wir können diese Gestaltung beibehalten. Da bisher auch keine Konkurrenz möglich ist, können wir selbst auf die Differenzierung der Produzentensubjekte verzichten und alle 6 Arbeitskräfte bei einer Gesamtkapital AG anstellen, die jährlich 6000 Brote erzeugt und an diese Arbeitskräfte 'verkauft'. Die Anführungszeichen um das letzte Wort sind gesetzt, weil die letzte Vereinfachung sichtbar macht, dass bisher keine Geldwirtschaft konstruiert wurde, sondern eine Tauschwirtschaft der allereinfachsten Form mit nur zwei Waren, wobei sogar deren Wertrelation bereits durch materielle (also nichtökonomische) Zwänge feststeht. Jedes Jahr tauscht ein noch nicht in sich differenziertes Gesamtkapital Brot im Wert von 6000T gegen Arbeitskraft im gleichen Wert. Diesen Vorgang kann man zwar als zwei (oder vier?) getrennte Vorgänge des Typs Kauf und Verkauf gestalten (oder auffassen?), und man kann der Gesamt­-Arbeitskraft und der Gesamt-­Brotmenge einen Geldwert (oben: 6000T) zuordnen, man muss es aber nicht.

 

Nehmen wir jetzt an, es gebe Geld, und die Beziehungen in unserem sich (noch) einfach reproduzierendem System würden formal durch Geld vermittelt. Wir fragen uns zunächst, wieviel Geld benötigt würde, um Felbers Aussage über ein 'zuviel' davon nachgehen zu können. Die folgenden Basisszenarien machen das Wesentliche deutlich:

 

a) Die Arbeitskräfte werden jährlich entlohnt. Dann werden 6000 Talermünzen benötigt. Am 1.1. werden sie als Lohn ausgezahlt, und im Verlaufe des Jahres wandern sie durch Brotkäufe zurück in die Bäckerei(en).

 

b) Die Arbeitskräfte werden monatlich entlohnt. Dann werden 500 Talermünzen benötigt.

 

c) Die Arbeitskräfte werden vor jedem der 200 Arbeitstage entlohnt. Dann reichen 30T.


Offensichtlich gibt es in einfacher Warenzirkulation gar keine 'optimale' Geldmenge. Durch Fortsetzung des obigen Prozesses könnte man den zugrundeliegenden Warenverkehr mit beliebig kleinen Geldmengen abwickeln, sofern Waren­ und Zahlungsverkehr nur genügend flüssig gestaltet werden. Dies hätte zweifellos praktische Grenzen, aber schon die eintägige Periode des Falles c) (und erst recht alle kürzeren) ließe sich statt mit Geld auf persönlicher Basis regeln: statt morgens die Taler zu erhalten und sich am Abend dafür Brot zu kaufen, nimmt der Arbeiter abends direkt das Brot nach Hause. In einem komplexeren System könnten kurzfristige wechselseitige Kreditierungen über „vertrauenswürdige“ Banken die persönliche Absprache ersetzen.[24] Auch eine wichtige Lehrbuchweisheit können wir bestätigen: während in den Fällen b) und c) die Geldmenge gegenüber Fall a) auf 1/12 bzw. 1/200 sinkt, steigt die (mittlere) Häufigkeit der Benutzung eines Zahlungsmittels um den Faktor 12 bzw. 200 an, wie es die sogenannte 'Quantitätsgleichung' bei gleichem Warenumlauf fordert. Auch dieser Lehrsatz ist somit bestätigt. Der Apologet kann sich danach beruhigt zurücklehnen: nie wird das Geldwesen dem Kapitalismus unerwartet ein Bein stellen. Schwerer hat es der positive Wissenschaftler. Er muss sich zunächst die oben übergangene Frage stellen, woher denn das vorhandene Ge(o)ld kam. Sobald er die Abhandlung des Apologeten gelesen hat, muss er sich weiter fragen, was die letzte reale Finanzkrise verursachte. Falls er auch Felbers Buch liest, muss er theoretisch erklären, wie das Verhältnis Geldmenge/Warenverkehr 'zu groß' werden kann, und warum dies ausgerechnet im modernsten Kapitalismus geschieht, obwohl doch gerade dieses System den Warenverkehr in historisch beispielloser Weise entwickelt und die Zahlungsformen ebenso beispiellos verflüssigt hat. Der Kritiker muss sich die Frage stellen, warum im obigen Konstrukt Elemente bürgerlicher Geldtheorie wie die Quantitätsgleichung funktionieren. Zumindest hierauf ist die Antwort bekannt: das System ist gar kein Kapitalismus, sondern eine Tauschwirtschaft auf Subsistenzniveau. Die aufgeworfenen Fragen werden sich also überhaupt erst in einer beantwortbaren Form stellen lassen, wenn es um mindestens die Elemente M und C vervollständigt ist.


Führen wir also M ein, indem wir annehmen, dank wachsender Geschicklichkeit der Arbeiter werde es möglich, 6600 Brote statt 6000 zu erzeugen. Damit wird etwas realisiert, das sich der moderne Bürger kaum und der Ökonom gar nicht mehr vorstellen kann: schon die Existenz (und damit auch alles Wachsen) des Mehrprodukts (später: Gewinns) beruht voll­ ständig auf Fähigkeiten von Menschen, nicht etwa auf neuen Geräten, die man in der Ökonomie unter (konstantes) 'Kapital' fasst, und denen man einen großen Anteil an der Wertschöpfung zuschreibt. Welche Sichtweise ist realistischer, die ökonomische oder die vorige? Auf einzelwirtschaftlicher Ebene ist die ökonomische Sichtweise plausibel: sobald überhaupt Mehrwert produziert und damit Profit erzielt wird, können verbesserte Verfahren und Maschinen dem Einzelkapital in gleicher Weise einen Zusatzprofit gegenüber der Konkurrenz verschaffen wie geschickteres (oder längeres!) Arbeiten seiner Arbeitskräfte. Gesamt­ wirtschaftlich dagegen ist die vorige Sichtweise angemessen, denn auch verbesserte Maschinen (sowie Verfahren und Rohstoffe) gehen letztlich auf menschliche Aktivitäten zu­ rück, wären also auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wie in der obigen Gesamtkapital AG ein ähnlich (betriebs)interner Vorgang wie eine Höherqualifikation der Arbeitskräfte. Erst mit der Vervielfachung der Produzentensubjekte, der Verrechnungen zwischen ihnen, und der damit verbundenen Aufteilung der Arbeit wie ihrer Resultate können sie dem Einzelkapital als etwas Äußeres erscheinen. Sobald dies quantitativ relevant wird, kann man die Gesamtwirtschaft nicht mehr als 'große' Einzelwirtschaft bzw. als Summe von solchen behandeln. Dies macht verständlich, warum die bürgerliche Ökonomie seit Adam Smith mit ihren Analysen auf der Ebene der Arbeitsteilung steckenbleibt und vom Subjektbegriff gar nichts wissen will. Solange wir Eigenschaften des warenproduzierenden Gesamtsystems untersuchen, brauchen wir uns jedoch noch keine Gedanken dazu machen, auf welche genaue Weise die Produktivitätssteigerung zustandekam, und können uns vorerst auf die Folgen für den Geldumlauf konzentrieren.

 

Als erstes fällt auf, dass die Produktionssteigerung eine Lücke im Kreislauf erzeugt. Nach wie vor erhalten die Arbeitskräfte jährlich 6000T und kaufen davon insgesamt 6000 Laibe Brot. Wer aber kauft die restlichen 600 Laibe und mit welchem Geld? Arbeitskräfte können es per def. nicht aufbringen, also kommen nur Kapitalisten infrage. Vielleicht andere Warenproduzenten, von denen es in einem realen System zahllose gibt? Damit ein Warenproduzent Gewinn erzielt, muss er (in Geld gemessen) 'mehr' Waren verkaufen, als er an Kapitalgütern und Lohngütern (indirekt über seine Arbeiter) einkauft. Sollen alle Warenproduzenten oder zumindest ihre große Mehrheit Gewinn erzielen, steht deren Gesamtheit vor exakt demselben Dilemma wie die obige Gesamtkapital AG: es gibt niemanden, der noch Geld für den Kauf des Mehrprodukts hat, jedenfalls solange alle Kapitale Endprodukte (V+M) herstellen und vermarkten. Die Hersteller des (noch nicht explizit eingeführten) konstanten Kapitals fügen sich folgendermaßen ein: so wie die Lohnsumme dem Tauschwert der abgesetzten Lohngüter gleich ist, so nimmt die Gesamtheit der C-­Hersteller exakt die Summe ein, die die C­-Anwender für diese Güter ausgeben. Solange man (wie es ökonomische Modelle üblicherweise tun) über die Möglichkeit stoffseitiger Disparitäten hinweg­ sieht, kann die Zirkulation von V+C also wie derjenige von V als Tausch im Kreis dargestellt werden, wertseitig wie stofflich. Die Summe aller kauft genausoviel, wie sie verkauft, oder die Summe aller nimmt genausoviel Geld ein, wie sie für V+C ausgibt. Das Geld für die Realisierung des Mehrprodukts M aber kann auch im perfektesten Gleichgewichtsmodell nicht von den Warenproduzenten selbst aufgebracht werden, da nach der Aneignung einmalig etwas gekauft werden muss, ohne dass irgendwo ein Gegenstück verkauft wird, die Gesamtheit der Warenproduzenten also Geld im Umfang des Geldwerts von M benötigt, das nicht von ihr eingenommen wird. Dieses Geld muss von außerhalb des vorhandenen Kreislaufs oder Marktes (bürgerlich: aus einem „Nichts“) kommen, weil von dort auch das zu kaufende Mehrprodukt stammt, nämlich aus Arbeit. Dass dieser Umstand theoretisch so wenig reflektiert ist, liegt möglicherweise daran, dass es in früheren Phasen des Kapitalismus lange Zeit ein plünderbares Äußeres im geographischen und sozialen Sinn gab: nichtkapitalistische Erdregionen und nichtkapitalistisch produzierende Gesellschaftsschichten. Rosa Luxemburg kam so zur bekannten Feststellung, der Kapitalismus müsse beim Verschwinden dieser Art von 'Äußerem' zusammenbrechen, da innerhalb des Systems die Realisierung grundsätzlich unmöglich sei.[25] Ihre Schlusskette enthält jedoch eine versteckte Fehlannahme, die für die 'Geldkritik' geradezu konstitutiv und im Marxismus zumindest weitverbreitet ist: man identifiziert Geld und Tauschwert mit etwas materiellem wie 'Arbeit', 'Nutzen' oder 'Warending', und deutet es auf dieser Basis zu etwas quasimateriellem um, das zwar stets positiv sei, sich aber ansonsten gesellschaftlichen Interessen und Eingriffen ähnlich entziehe wie Naturkräfte und ­dinge (darunter Waren!). Dass diese Sicht nicht haltbar ist, zeigt der Kapitalismus praktisch durch eine Vielzahl geldvermehrender, materiell aber destruktiver (mathematisch: negativer) Aktivitäten vom Autoabwracken bis zur industriellen Kriegführung, auf die mittlerweile ein beträchtlicher Teil allen Arbeitens bzw. Geldverdienens entfällt. Die richtige Schlussfolgerung wäre gewesen: wenn das nichtkapitalistische Äußere verschwindet, muss der Raub als Quelle des Ge(o)ldes für die Mehrwertrealisierung durch eine innere Quelle ersetzt werden, die von allem materiellen (darunter angesammelte Goldvorräte und Produktionsmittel) unabhängig ist. Genau das ist die Funktion des Finanzwesens und der von ihm betriebenen Geldschöpfung. Durch Kreditgeschäfte lässt sich die Mehrwertaneignung breit über die Gesamtheit der Subjekte verteilen und in subjekt­- bzw. kapitalismusgerechter Form ausführen, nämlich innerhalb von Zweier­Geschäftsbeziehungen, die hinreichend einem Warentausch bzw. Kauf/Verkauf ähneln. Dass das Finanzwesen für die Ausführung seiner notwendigen Funktion einen Anteil am Gesamtmehrwert erhält, ist so natürlich, wie es natürlich ist, dass im Irrenhaus alle Irren Essen erhalten. Wenn etwas zu hinterfragen ist, dann die Existenz des kapitalistischen Irrenhauses, denn mit dem Verschwinden (oder der Integration?) des beraubbaren Äußeren muss der negative Charakter des Systems auch in seinem Inneren voll zur Geltung kommen, da die ihm innewohnende Destruktivität sich dann nur noch dorthin richten kann.

 

Aus der Geldschöpfung entspringt der Warencharakter des Geldes, weil zur Mehrwertrealisierung geschöpftes Geld in seinem ersten Schritt eine andere Funktion ausübt als diejenige eines Äquivalententausch vermittelnden Zahlungsmittels. Es ermöglicht dem Mehrwert den qualitativen Schritt des erstmaligen Eintritts in den Markt, statt darin rein quantitativ die Zirkulation vorhandener Ware zu regeln, indem durch Bezahlen ihr Geldwert festgestellt wird, ähnlich wie Wiegen die Masse eines Objekts feststellt. Sieht man Zahlungsmittel als zu Waagen analoge Messinstrumente, ergibt sich eine simple Deutung der Quantitätsgleichung: je weniger Messgeräte vorhanden sind, desto häufiger muss jedes benutzt werden. Im Markt, wo das Geld als Zahlungsmittel und nur als solches benutzt wird, entsteht allerdings kein Mehrwert. Deshalb sagen 'Geldmengen' nichts relevantes über Eigenschaften des Verwertungssystems aus[26], und ebensowenig sagen sie etwas über V (deutbar als 'realer Wohlstand') oder C (Struktur des Produktionsapparats) aus, da sich der Kreislauf dieser Warenkategorien vollständig als Äquivalententausch fassen lässt. Sehr wohl aber sagt die jährliche Geld­-Schöpfung etwas über das System aus, und zwar über seinen wichtigsten Teil, nämlich M. Sie müsste exakt gleich dem Geldwert des Mehrprodukts sein, falls dessen Realisierung konfliktfrei verlaufen soll. Die Herstellung einer solchen Übereinstimmung wird jedoch schon dadurch behindert, dass Geldschöpfung und Mehrwertproduktion getrennt ausgeführt werden müssen, damit Mehr­-Produkt und Mehr-­Geld in den Markt von verschiedenen Subjekten eingeführt werden können, die sich dort als Käufer und Verkäufer gegenübertreten. Die Entstehung eines eigenständigen Finanzwesens wird deshalb mit der Entwicklung des Kapitalismus zwingend. Ebenso zwingend werden Finanzkrisen, denn geschöpftes Geld kann im Warenmarkt zwar beliebig oft weitergegeben werden, dabei aber ebensowenig verschwinden, wie es dort entstehen kann. Soll seine Weitervermehrung durch den Zinseszins nicht binnen weniger Jahrzehnte die Gesamt-­Mehrwertansprüche auf ein unerfüllbares Maß hinaufschrauben, muss es auf irgendeine marktferne Weise ebenso laufend vernichtet werden, wie es geschöpft wird. Dies bringt seine Funktion als Wertmaßstab (für die Zirkulation von V und C) laufend in Konflikt mit seiner Funktion in der Realisierung von M. Die subjektgerechte Zersplitterung der Mehrwertaneignung über eine Unzahl Finanzgeschäfte wie 'Kredit' und 'Zins' verschleiert sehr wirksam den zweiten Teil der Geldfunktionen, wie sich nirgendwo besser ablesen lässt als an der 'Geldkritik'. So wollen die Gesellianer letztendlich nichts anderes verwirklichen als eine plumpe und wenig effiziente Form schleichender Inflation, die im realen Kapitalismus seit Aufhebung der Dollar­-Goldbindung zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Die Substanzgeldfreunde verabsolutieren die Funktion des Geldes als Wertmaßstab und fordern mit der Goldbindung aller Währungen letztendlich die Einstellung des Wachstums durch Einstellung der Geldschöpfung (was den Kleinbürger als ersten erledigen würde). Die Debitisten haben dies theoretisch bereits realisiert, indem sie alle Schulden und alle Guthaben zu einem gesellschaftlichen Gesamtvermögen von dauerhaft null addieren – und übersehen dabei, dass die Ausführung von Mehrarbeit in einer Geldbilanz gar nicht erscheinen kann. Am rührendsten ist die Vorstellung Felbers, ein Teil der Kapitale möge doch auf Zins (Mehrwertanteile) verzichten. Sieht man wie er Geld als naturkraftähnliches „Produktionsmittel“ an, entspricht dies folgender Form von Astronomie: die Himmelskörper mögen sich wechselseitig anziehen, aber doch bitte nicht alle!

 

Das für die Mehrwertrealisierung geschöpfte Geld entsteht aber nicht nur räumlich getrennt, sondern auch logisch unabhängig von der Nachfrage nach V. Während letztere von Menschen ausgeht und damit zumindest ein Element enthält, der mit menschlichen Bedürfnissen verbunden ist, kann geschöpftes Geld sich allenfalls auf sich selbst zurückbeziehen. Wie daraus ein wachsender Spielraum für Destruktives entsteht, wird sichtbar, sobald die obige Unterstellung korrigiert ist, das Mehrprodukt M mache nur 10% des variablen Kapitals V aus. Diese Relation war angelehnt an den mittelalterlichen 'Zehnten', ist aber weitab von jeder spätkapitalistischen Realität (wenn auch nicht weitab von bürgerlich-­ökonomischen Vorstellungen).[27] Stünden Mehrprodukt und materiell Notwendiges (im Kapitalismus Mehrarbeit M und notwendige Arbeit V) tatsächlich auf allen relevanten Ebenen (Hof, Dorf, Region mit Stadt, Fürstentum) quantitativ in einem Verhältnis der Größenordnung 1/10 (allgemeiner <<1), wäre also M eine Art Abfallprodukt bei der Herstellung notwendiger Güter, könnte sich seine stoffliche Gestalt nur wenig von V absetzen. Aus einem System mit 10% Überschuss heraus ist die Entwicklung der für den industriellen Kapitalismus zentralen Investitionsgüterindustrie so wenig durch 'organisches Wachsen' möglich wie die Entwicklung einer Massennachfrage nach Manufaktur­ und Industriegütern. Die Etablierung dieser Formen benötigte einen Anschub[28], der nur durch Mobilisierung äußerer Ressourcen ohne Äquivalententausch (ökonomisch ausgedrückt) bzw. durch Raub (umgangssprachlich ausgedrückt) möglich war. Die Untersuchung der frühneuzeitlichen Feuerwaffenökonomie, deren Musketen und Soldzahlungen die mittelalterlichen Feudalstrukturen zerschlugen und die ersten nennenswerten Geldkreisläufe etablierten, bleibt ein Thema für Historiker; hier interessiert die innere Logik, die den destruktiven Prozess fortsetzt, nachdem die Warenwirtschaft etabliert ist. Dazu betrachten wir erneut die Lohnzahlung. Dieser Vorgang reserviert einen Teil des Endprodukts (den in der Analyse 'V' genannten) für die Arbeitskräfte. Bereits die Existenz einer 'Zahlung' führt jedoch einen Schritt vom materiellen Zweck der unter V zusammengefassten Güter weg. Denn sobald V das physische Existenzminimum übersteigt, wird es durch Zwischenschalten der Geldform möglich, die Form der gewählten Güter (fast) beliebig zu verändern, auch in Richtung von Sinnlosigkeit und Destruktion, heute z.B. in Richtung Protzkonsum. Die Ökonomie, auch die marxistische, blendet diesen Aspekt aus und konzentriert sich auf die Frage des 'mehr' bzw. 'weniger' bei der Aufteilung des Neuwerts V+M in seine zwei Komponenten um damit zu unterstreichen, dass sie die Rechtfertigungsideologie eines Systems ist, in dessen Zentrum Verteilungskampf steht. Deshalb übersieht sie, dass das Sinnlosigkeitsproblem in verschärfter Form vom Anteil M des Endprodukts reproduziert wird. Denn dieses hat innerhalb des bestehenden Kreislaufs per def. keinen materiellen Zweck mehr, und kann deshalb beliebig sinnlose Formen annehmen, heute z.B. als Militär oder nutzloses Großprojekt. So wie im industriellen Kapitalismus das Wachstum des Mehrprodukts 'Investition', damit Entwicklung der Produktivkräfte und Herauswachsen aus agrarischen Verhältnissen ermöglichte, so erzwingen die im Verlauf der Zeit angesammelten Kapitalbestände nun umgekehrt das Produzieren von Irgendwas, nur um dieses profitabel zu verkaufen (aber nicht zwingend zu 'benutzen'). Da die Realisierung von Mehrwert aus geschöpftem Geld erfolgt, wird ein stetig zunehmender Anteil der Wertproduktion blind gegenüber dem materiellen Inhalt der Produkte. Sobald M die Größenordung von V nennenswert übersteigt, wird die inhaltlich blinde Nachfrage aus geschöpftem Geld dominant und beginnt, die Entwicklung des Systems dahingehend zu steuern, dass der Selbstzweck der Geldmehrung die materiellen Zwecke (Gebrauchswerte) der hergestellten Waren an den Rand drängt. Ohne Reflexion des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs kann immanenten Kritikern 'das (dingliche) Geld' so als das Hauptübel erscheinen, weil zuviel davon an der falschen Stelle erscheint (während die Ware des Kleinproduzenten – egal welche(!) – liegenbleibt).


In welchem Ausmaß diese Entwicklung auch alle ökonomischen Ideale zerstört, lässt sich bereits an der Bäckerei­-Ökonomie demonstrieren. Solange das Gesamtprodukt der 6 Arbeitskräfte nur 6600 Brote beträgt, ließe sich mit dem Mehrprodukt von 600 Broten allenfalls Reservebildung betreiben. Schon bei einem Ausstoß von 7200 Broten (also 1200 pro Arbeitskraft) aber ließe sich entweder eine Arbeitskraft vollständig in Rente schicken – oder mit etwas beliebigem beschäftigen, das keinerlei Nutzen hat über den hinaus, dass es sich auf dem Markt gegen geschöpftes Geld verkaufen lässt. Die erste Option würde wie jede allgemeine Arbeitszeitverminderung von der Konkurrenz verhindert, also betrachten wir die zweite. Die Beschäftigung könnte beispielsweise darin bestehen, eine Börse zu betreiben, deren einziger Zweck ist, Geld zu schöpfen, um damit auf die von anderen produzierten Brote (allgemeiner: Endprodukte) zuzugreifen. Diese Tätigkeit ließe sich über die Mechanismen des Finanzsystems (insbes. Kredit und Staatshaushalt) in exakt derselben Weise finanzieren wie eine Produktion von Brot zum Zweck seiner Aufstapelung als Reserve. Sobald pro Arbeitskraft mehr erzeugt wird als 1200 Brote, entstünde ein Mehrprodukt, so dass bei richtiger Gestaltung von Preisen, Steuern und Subventionen alle Betriebe Profit erzielen könnten, die Börse eingeschlossen. Weitere Steigerung der Produktivität würde direkt destruktive Aktivitäten erlauben, indem eine Arbeitskraft beispielsweise tage­ weise Brot backt, um am nächsten Tag solches zu vernichten. Erfolgen beide Tätigkeiten in zwei verschiedenen Firmen örtlich und rechtlich getrennt, können sie (als Autoherstellen und Autoabwracken) sogar als zwei unabhängige Beitrage zur 'Wirtschaftsleistung' oder Krisenbekämpfung erscheinen.[29] Beim weiterem Fortschritt der Produktiv(?)kräfte könnte man sich anstelle der Vernichtung nur von Dingen bereits das Töten von Menschen erlauben. Schwierigkeiten hätten nur die Ökonomen, da nach deren Idealvorstellungen alle GUTEN Dinge wie Geldsummen, Preise, Arbeit, physische Mengen, Nutzen und allgemeiner Wohlstand stets positiv sind und unaufhörlich gemeinsam wachsen. Insbes. marxistische Ökonomen werden sich schwertun mit einer Antwort auf die Frage, inwieweit Börsianer, Abwracker und Söldner durch ihre Arbeit 'Wert schaffen'. Vielleicht sollte man probeweise bereits in der Fragestellung das Wort 'schaffen' einmal ersetzen durch 'vernichten' – und in der Rechnung einige Pluszeichen durch Minuszeichen?

 

 

7. Sinnlosigkeit ist notwendig und Destruktivität unvermeidlich

 

Viele Kritiker des Kapitalismus stört primär, dass er gesamtgesellschaftliche Aufgaben liegenlässt, und sie wollen wie Felber auf irgendeine Weise Geld mobilisieren, um konkrete solche Aufgaben zu erledigen. Diese Position nimmt noch zur Kenntnis, dass das kapitalistische System vom Geld gesteuert wird. Sie übersieht aber, dass sein Hauptziel des 'mehr' erstens rein quantitativer Art und zweitens auf individueller Ebene angesiedelt ist. Wenn Marxisten ihre Hauptaufgabe darin sehen, mit V den Anteil der Arbeiter am (materiell gedachten, aber in abstrakter Arbeit ausgedrückten!) Gesamtreichtum zu mehren (der Rest werde sich dann finden), transportieren sie beide Verkürzungen über die Klassengrenze und vollenden die Durchsetzung der dahinterstehenden Funktionsprinzipien in der Sphäre der Mehrwertproduktion. Kein Wunder, dass Versuche zur staats­ und arbeitsbasierten Kapitalismusüberwindung in der Form 'Sowjetmacht plus Elektrifizierung' (Lenin) scheiterten.

 

Welche Chance hätten Konzepte, die sich explizit inhaltliche Ziele setzen und zwar direkt auf gesamtgesellschaftlicher Ebene? Deren Durchführung müsste ein Akteur übernehmen, der sich über die antagonistischen Partikularinteressen stellt. Dies wirft noch kein Problem auf, denn einen solchen muss es allein schon deshalb geben, damit die Einzelinteressen nicht binnen kürzester Zeit das Gesamtsystem zerlegen. Mit Felber identifizieren wir diesen Akteur als den (möglichst demokratischen) bürgerlichen Staat. Nun müsste dieser sich Geld beschaffen und damit die zur Verwirklichung des GUTEN benötigte Arbeit und Materialien (letztlich auch wieder Arbeit) einkaufen. Eine Möglichkeit wäre, den Reallohn zu senken, indem auf Löhne eine Steuer erhoben wird. Diese Variante betrachten wir nicht weiter, da sie in die Zuständigkeit des Marxismus fällt, sondern wir nehmen an, der betreffende Spielraum sei bereits ausgeschöpft, so dass der Zugriff auf das erfolgen muss, was bisher als Mehrprodukt (physisch) bzw. Gewinn (Geld) erfasst war. Im obigen Beispiel einer Reservebildung wären es diejenigen 600 Laibe Brot bzw. 600 Taler, um die das Endprodukt von 6600 das variable Kapital von 6000 übersteigt. Es bietet sich an dieser Stelle eine Scheinlösung an: der Staat leihe sich im nötigen Umfang von der Finanzabteilung der Gesamtkapital AG frisch geschöpftes Geld, und kaufe davon die gewünschten materiellen Ressourcen, oben z.B. 300 Brote für 300 Taler. Diese Geldvermehrung ohne Wertvermehrung ermöglicht es der Gesamtkapital AG (der Gesamtheit aller Industrie­ und Finanzkapitale), weiterhin 600T Gewinn zu bilanzieren. Dass sich davon maximal noch reale 300 Brote kaufen ließen, fiele erst auf, sobald es jemand versuchte. Diese – seit den Siebziger Jahren routinemäßig praktizierte – Scheinlösung vergrößert allerdings langfristig das zu lösende Problem, weil zu einem späteren Zeitpunkt durch Abschöpfung dann anfallenden Mehrwerts nicht nur die geliehenen 300T zurückzuzahlen sind, sondern dazu noch der Z(insesz)ins, d.h. der Mehrwertanteil des durch den Vorgang weiter gewachsenen Finanzwesens. Da diese Option allenfalls Problemverschleppung bewirkt, kann die Analyse hier nicht enden. Um zu einem Endpunkt zu kommen, müssen wir materiell und geldseitig direkt auf M zugreifen, d.h. die Gesamtkapital AG mit einer Steuer in Höhe von 300T belegen, um davon die 300 als Reserve vorgesehenen Laibe Brot zu kaufen.


Bis zur Steuererhebung wird Christian Felber (und mit ihm alle Keynesianer und Linkssozialdemokraten) dem Konzept sicherlich zustimmen und es rundum positiv bewerten: der 'übermäßige' Gewinn von 600T ist halbiert und ein Teil davon sozialen Zwecken zugeführt. Das Problem taucht im nächsten Schritt auf, der schon stillschweigend vorweggenommen wurde: wer soll besteuert werden und welcher Teil des Gesamtgewinns soll abgeschöpft werden? Die erste Frage ist über die Konkurrenz zwischen parallel operierenden (in diesem Zusammenhang also allen) Kapitalen zu lösen; damit werden wir uns nicht befassen und deshalb auch nicht von der monopolistischen Struktur des Modellsystems abrücken. Interessanter ist die zweite Frage, weil die veränderte Aufteilung des Neuwerts oder Gesamtprodukts in V+M+R(eserve) statt in V+M den Mehrwert oder Profit neu definiert. War es zuvor der Anteil bestimmter Subjekte (der Kapitalisten) oder der Nicht­Anteil anderer Subjekte (der Arbeiter), so erscheint er nun als 'das Sinnlose', nämlich als genau derjenige Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, die keinerlei definiertem Zweck dient, weder innerhalb des bestehenden Kreislaufs (V), noch außerhalb (R).[30] Umgekehrt heißt dies: die vollständige Unterwerfung aller Tätigkeit unter einen sinnvoll denkbaren materiellen Zweck ließe zwar nicht physisch aber begrifflich das Mehr-­Produkt verschwinden, und die Abrechnung der benötigten Güter über Geld brächte den Gesamtprofit auf null. Glücklicherweise verschwände mit dem Profit auch die Notwendigkeit des Geldes, denn wenn alle Güter aus materiellen Gründen einem bestimmten Zweck zugeführt werden, braucht (bzw. kann) ihr Verbleib nicht mehr über eine Geldrechnung (Einkommen und Warenpreise) geregelt werden. Damit entfielen auch alle Möglichkeiten, durch Geldbuchungen die Existenz real nicht vorhandener materieller Ressourcen vorzutäuschen und die Welt würde noch ein Stück ärmer, nämlich um die Verbrechensform 'Betrug'. Nicht nur Geld(schöpfung), sondern auch Sinnlosigkeit und die darauf aufbauende Option zur Destruktivität sind also zwangsläufige Folgen des Profits; will man menschliche Tätigkeit auf Sinnvolles begrenzen, muss umgekehrt die Verwertung als solche abgeschafft werden, und zwar nicht teil­ weise (quantitativ), sondern vollständig (qualitativ).

 

Die heute sichtbaren ökologischen und gesellschaftlichen Verwüstungen lassen sich selbstverständlich nicht durch Aufstapeln übermäßiger Lebensmittelreserven erklären, und ebensowenig werden sie sich durch die Mittel beseitigen lassen, die ein Bäckereikapitalismus zur Verfügung hat. Dazu werden zumindest einige der industriellen Mittel eingesetzt werden müssen, die der Kapitalismus entwickelte. Wir werden daher in der weiteren Analyse nicht mehr darum herumkommen, auch das einzubeziehen, womit die bürgerliche Ökonomie ihre Analysen beginnt: Arbeitsteilung und zugehörige 'Effizienz'. Im Gegensatz zu den Ökonomen werden wir dies allerdings auf Basis eines schon erzielten Grundverständnisses für Arbeit tun können, und deshalb in der Lage sein, nicht nur beide Elemente zu trennen, sondern auch ein Basisverständnis für den bürgerlichen Begriff von 'Effizienz' zu entwickeln. So wie oben Produktivitätssteigerung vollständig aus Arbeit (oder menschlicher Tätigkeit?) erklärt wurde, so können wir nun Wirkungen der Arbeitsteilung von solchen der Produktivitätssteigerung analytisch trennen, indem wir ersteres ohne zweiteres ausführen. Da ein solcher Vorgang den Bürgern und erst recht den Ökonomen so unverständlich ist wie der spiegelbildliche Vorgang einer Produktivitätssteigerung ohne Einsatz von 'Kapital', wird daraus weitere Erkenntnis entstehen, die ihnen verschlossen ist.

 

Reduzieren wir also die Produktion wieder auf das Maß von 6000 Broten pro Arbeitskraft und Jahr, bevor die Gesamtkapital AG aufgelöst und ihre Tätigkeit auf verschiedene Kapitale aufgeteilt wird. Eine Korn AG ernte jährlich 6000kg Getreide, eine Mehl AG mahle daraus 6000kg Mehl, und eine Brot AG backe daraus 6000 Kilolaibe Brot. Da Forschungen ergaben, dass schon in der Gesamtkapital AG jeweils ein Drittel der Tätigkeiten auf Landwirtschaft, Mahlen und Backen entfielen, werden in jeder der neuen Gesellschaften zwei der sechs Arbeitskräfte beschäftigt. Damit lässt sich das einzige Preissystem angeben, in dem alle Firmen ausgeglichen arbeiten und das System in dieser Form überleben kann. Die Korn AG muss ihr Getreide für 2000T verkaufen, um ihre Arbeitskräfte zu bezahlen; das Mehl muss für 4000T an die Brot AG gehen, um die Kosten der Mehl AG für zwei Arbeitskräfte und das (nun als konstantes Kapital fungierende) Korn zu decken; die Brot AG muss zuletzt für ihr Brot dieselben 6000T verlangen wie zuvor die Gesamtkapital AG. Materiell hat sich nichts geändert, nur die Geldflüsse haben sich vermehrt. Fielen zuvor für den Handel mit gewöhnlichen Waren Zahlungen im Umfang von 6000T an, so sind es nun 12000 (6000+4000+2000). Unverändert aber bleiben die in der Quantitätsgleichung und ähnlichen Ergüssen bürgerlicher Ökonomie gar nicht berücksichtigten 6000T Zahlungen für den Kauf von Arbeitskraft, weil diese Zahlungen direkt mit der (unveränderten) materiellen Seite des Warenverkehrs verbunden sind: Quantität von Arbeitskraft und notwendiger Arbeit. Dies bestätigt den bereits gezogenen Schluss, dass die gängigen Kenngrößen des Geldumlaufs nutzlos sind, und verschärft ihn dahingehend, dass diese Begriffsbildungen systematisch vom Wesentlichen wegführen, nämlich von der einzigen wirklichen Substanz des Verwertungsbetriebs: der Arbeit(skraft). Ähnliche Kennzahlen und dieselben Schlussfolgerungen ergäben sich aus einer alternativen Konstruktion, die zugleich eines der vielen für die bürgerliche Ökonomie typischen 'Paradoxa' hervorbringt. Dazu teilen wir die Gesamttätigkeit anders auf, nämlich in eine Brot AG, die alle Aktivitäten bis zum Backen ausführt, eine Großhandels AG (GH AG), die die Grobverteilung vornimmt, und in eine Einzelhandels AG (EH AG), die Läden betreibt. Beschäftigt die Brot AG vier Arbeitskräfte und die Handelsgesellschaften je eine [31], so muss das Fabrikbrot mit insgesamt 4000T bezahlt wer­ den, das Großhandelsbrot mit 5000T, und das Einzelhandels­ oder Endverbraucherbrot (wie zuvor) mit 6000T, obwohl es sich physisch um dieselben Dinge handelt – aber nicht um dieselben Waren. Denn das Paradox löst sich, sobald realisiert ist, dass auch im Groß­ und Einzelhandel Arbeit an Brot geleistet wird, die zwar nicht für mögliche Funktionen des­ selben als braungefärbter oder wägbarer Gegenstand nötig sind, wohl aber für seine Funktion als Lebensmittel, weil es dazu real im Haushalt der Arbeitskräfte anlangen muss. Es kommt darauf an, ob Arbeit zu Entstehung und Fungieren von Endprodukt V oder M bei­ trägt, nicht darauf, dass sie sichtbare oder fühlbare Gegenstände hervorbringt. Der Beitrag einer Tätigkeit zum Zustandekommen fungierenden Endprodukts ist ebenso wie ihre 'Notwendigkeit' auf der analytischen Ebene zu klären, nicht auf der physischen. Berücksichtigt man dies, verschwindet ein Großteil der Mystifikationen um den scheinbaren Gegensatz von Produktion und Zirkulation, hier der scheinbare Widerspruch 'Verschiedene Preise für scheinbar gleiche Ware'. Dieser ist als Kritik gegen bürgerliche Ansätze zu wenden, die auf 'physische Mengen' statt auf Arbeit abstellen.


Damit können wir den Kapitalismus ein weiteres Stück vervollständigen, indem wir nach dem konstanten Kapital Mehrwert einführen, um zu untersuchen, welche Folgen es hat, dass beide Elemente vorhanden sind. Dass es Zusammenhänge geben muss, legt ein Befund der Wertdebatte nahe: der Widerspruch zwischen klassischem Wertgesetz und Pro­fitratenausgleich verschwindet stets, sobald eines der beiden Elemente fehlt. Um ihn hervorzubringen, müssen beide vorhanden sein. Die Analyse wird dabei von zwei Phänomenen absehen, die bereits im vorigen Abschnitt abgehandelt wurden. Würden neben Brot noch andere Produkte erzeugt, könnten diese (und damit ihr gesamter Produktionsprozess) sinnlose bis destruktive Formen annehmen, sobald der Umfang des Gesamt­-Mehrprodukts dies erlaubt. Ferner könnte auf der Ebene der Korn­ oder Mehlproduktion konstruktiv denkbare Konkurrenz über Preis und Qualität aufkommen. Hier wird es aber nur darum gehen, welche Folgen es hat, dass ein Verwertungsprozess auf verschiedene Subjekte aufgeteilt ist. Um echte Verwertung betreiben zu können, steigern wir im obigen System der Korn AG, Mehl AG und Brot AG[32] die Produktion zunächst gemäßigt auf 6600 (kg Korn, kg Mehl und Brotlaibe). Dadurch kann das Kapital sich erstmalig Mehrprodukt aneignen, aber es erscheint nun als neue Frage: welches der drei Kapitale? Der Gesamtumfang des Mehrprodukts steht fest, sobald Produktion (6600 Laibe) und Reallohn (6000 Laibe) festgelegt sind. Aber seine Verteilung hängt von der Preisgestaltung für Korn und Mehl und nur davon ab. Allgemeiner: durch jede neue Geldoperation (hier der Handel mit Korn und Mehl) entsteht im Warenkreislauf eine weitere Stelle, an der Mehrwert abgegriffen werden kann (auf Neudeutsch: business opportunity). Welche Grenzen bestehen dafür? Im Extremfall könnte eines der Kapitale sich sämtlichen Mehrwert aneignen, während die anderen zwei leer ausgehen, denn es dürfte keines (im entwickelten industriellen System: keine relevante Anzahl) der Einzelkapitale mit Verlust arbeiten, damit nicht durch Bankrotte systemnotwendiger Teile das Gesamtsystem zusammenbricht. Die innerhalb dieses Rahmens möglichen Extreme sind:

 

a) Das Getreide bzw. Mehl werden weiterhin für 2000T bzw. 4000T verkauft. Die Brot AG erzielt nun bei Einnahmen von 6600T und Kosten von 6000T einen Gewinn von 600T und eine Profitrate von 10%. Die anderen Firmen arbeiten ausgeglichen.


b) Der Geldwert des Mehls steige auf 4600T. Nun arbeitet neben der Korn AG auch die Brot AG ausgeglichen, aber die Mehl AG erzielt bei Einnahmen von 4600T und Kosten von 4000T einen Gewinn von 600T und eine Profitrate von 15%.


c) Der Geldwert des Getreides steige auf 2600T. Damit sowohl Mehl AG als auch Brot AG mit ausgeglichenem Ergebnis weiter tätig sein können, muss dann das Mehl für 4600T gehandelt werden. Die Korn AG aber erzielt nun bei Einnahmen von 2600T und Kosten von 2000T einen Gewinn von 600T und eine Profitrate von 30%.

 

Nach Abzug des (von bürgerlicher Ökonomie betonten) Effekts einer Produktivitätssteigerung bewirkt das Vorhandensein konstanten Kapitals also zweierlei: erstens kann der Mehrwert über die Preise der C-­Güter prinzipiell beliebig verteilt (aber nicht vermehrt!) werden, und zweitens kann trotz gleichen Beitrags zur Wert­ und Mehrwertproduktion die Profitrate der Einzelfirmen stark variieren, abhängig vom Preissystem und vom Umfang des individuell eingesetzten konstanten Kapitals. Im Beispiel kann die Profitrate der Korn AG bis auf 30% steigen, also nicht nur über die mittlere Profitrate des Modellsystems von etwa 5%, sondern sogar weit über die globale Ausbeutungsrate M/V, die im Modellsystem 600/6000 oder 10% beträgt. Korrespondierend zu jedem solchen Höhenflug muss die Profitrate einiger (im Beispiel: aller) anderer Firmen unter die mittlere Profitrate sinken. Der Effekt schwächt sich quantitativ ab, bleibt qualitativ aber vorhanden, falls man die obigen Willkürpreise durch diejenigen des klassisch/marxistischen Wertgesetzes ersetzt, wonach jedes Arbeitsquantum dasselbe Quantum Tauschwert schafft. Bei Verwirklichung dieses Grundsatzes müssen die Geldwerte von Korn, Mehl und Brot sich auf 2200T, 4400T und 6600T stellen. Die Profitraten der drei Firmen wären dann 10%, 4.75% und 3.3%. Dass je­ der Gewinner im Verteilungskampf die Profitraten anderer drückt, wird desto gefährlicher für das Gesamtsystem, je niedriger die mittlere Profitrate ist, denn desto kleinere Preisschwankungen können dann eine relevante Anzahl Einzelkapitale in den Bankrott treiben. Dieser Zusammenhang macht aus der Apologiefunktion der Ökonomie heraus verständlich, warum im Spätkapitalismus mit hoher organischer Zusammensetzung und zugehöriger niedriger mittlerer Profitrate in Gestalt des Neoricardianismus ein neuer Zweig bürgerlicher Ökonomie entstand, der nicht nur zugunsten eines Zwangs zum exakten Profitratenausgleich vom klassischen Wertgesetz abrückte, sondern diese zwei Elemente ausdrücklich einander entgegensetzte, nachdem sie in der klassischen Ökonomie noch als Teile eines prozessierenden Widerspruchs koexistieren konnten.

 

Wachsende organische Zusammensetzung (d.h. das konstante Kapital) drückt aber nicht nur die Profitrate, sondern erzeugt auch eine neue Form der Konkurrenz. Diejenige zwischen Herstellern austauschbarer Güter kann man als konstruktiv im Sinne eines Strebens nach 'besser' und 'billiger' denken, weshalb Ökonomen nach Möglichkeit nur diese Form von Konkurrenz überhaupt zur Kenntnis nehmen (z.B. in den neoklassischen Nutzenabwägungen). Sobald diese Form der Konkurrenz im obigen System den Mehlanbieter (allgemeiner: die Hersteller konstanten Kapitals) bestimmt hat, steht dieser bis auf weiteres mit dem Korn­ und Brothersteller in einer materiell bestimmten funktionalen Beziehung (ähnlich wie ein Arbeiter zu 'seinem' Kapital), in der beide kooperieren müssen statt sich verdrängen zu können. Solange die Rahmenbedingungen für die Existenz des Gesamtsystems (darunter: alle Kapitale müssen Gewinn erzielen) eingehalten werden, hat es nicht die geringste Wirkung auf das gesamtwirtschaftliche End-­ und Mehrprodukt, was genau für Korn und Mehl bezahlt wird. Es hat aber große Bedeutung dafür, wer sich welchen Anteil des im Gesamtprozess erzeugten Mehrwerts aneignet, so wie die Höhe des Reallohns zuvor (im logischen Sinn) die Gesamt­-Mehrwertmasse festlegt. Unvermeidliche Folge dieser neuen Form von Konkurrenz ist, dass mehr und mehr Handlungsweisen und Entscheidungen sich am Verteilungskampf ausrichten und entsprechend weniger an der Erzeugung nutzbaren Endprodukts. Wie bedeutungslos letzteres in der Praxis werden kann, kommt zum Vorschein, sobald wir den obigen Gesamtprozess der Erzeugung von Brot in eine Form bringen, die zumindest größenordnungsmäßig den quantitativen Verhältnissen im heutigen Spätkapitalismus ähnelt. Nehmen wir dazu an, es tragen 10 (statt 3) Zwischenprodukthersteller zum Endprodukt bei, und die Relation M/V sei gesamtwirtschaftlich nicht 1/10, sondern 10/1. In diesem Fall genügt einem Einzelkapital ein 10­prozentiges Erhöhen seines Verkaufspreises (oder Drücken seines Einkaufspreises), um denselben Effekt zu erzielen, den eine Verdoppelung des (als realer Wohlstand der Gesellschaft deutbaren) Ausstoßes an Endprodukt hätte. Kein Wunder, dass menschliche Bedürfnisse wieder ähnlich bedeutungslos werden, wie es zu Beginn des Kapitalismus das Leben heidnischer (oder goldbesitzender?) Eingeborener war.

 

Der sich mit der Arbeitsteilung entwickelnde kapitalistische Verteilungskampf zerstört aber nicht nur die (bürgerlichen?) Sitten, sondern auch die Regulationsmechanismen des Systems. Dazu betrachten wir nochmals genauer die Aufteilung der obigen Gesamtkapital AG in Korn AG, Mehl AG und Brot AG beim noch bescheidenen Produktionsumfang von 6600 Laiben. Zunächst unterstellen wir das klassische Wertgesetz, wonach jedes Arbeitsquantum zum Tauschwert in exakt gleicher Weise beiträgt, jede Arbeitskraft also 1/6 der 6600T an Brot­Gesamtwert. Die zwei Arbeitskräfte der Korn AG verleihen dann dem Korn 2200T Tauschwert, wodurch die Korn AG 200T Profit bei einer Profitrate von 10% erzielt. Die Mehl AG verwendet das Korn als konstantes Kapital, und lässt ihre Arbeitskräfte ebenfalls 2200T Tauschwert hinzufügen, wonach sie beim Verkauf des Mehls für 4400T zwar dieselben 200T Profit erzielt wie die Mehl AG, aber nur noch eine Profitrate von 200/4200=4.75%. In der Brot AG schließlich reichen deren 200T Profit nur noch für eine Profitrate von 200/6400 oder ca. 3.3%. Da für das Einzelkapital die Attraktivität einer Branche mit der Profitrate sinkt, gäbe es in diesem System irgendwann nur noch Getreidehersteller, bzw. umgekehrt würde die Entstehung 'kapitalintensiver' Produktionen (mit hoher organischer Zusammensetzung) verhindert. Schon die ökonomische Klassik bot zur Lösung dieses Problems ein alternatives Wertgesetz an: durch Kapitalverlagerung mögen sich über den Angebots/Nachfrage­Mechanismus die Profitraten angleichen. Dieses 'Gesetz' vom Profitratenausgleich muss man daher als Ideal deuten, das sichern (oder suggerieren?) soll, der Profitmechanismus werde nie notwendige (oder gewünschte?) Aktivitäten verhindern. Für die Realisierung dieses Ideals muss jedoch das im klassisch/marxistischen Wertgesetz verborgene Ideal geopfert werden. Worin dieses besteht, kommt ans Licht, sobald man einen seinen individuellen Profit maximierenden Kapitalisten betrachtet: ist Tauschwert streng proportional zum Arbeitswert, dann sind Kostensenkungen gleichbedeutend mit Verringerung des Einsatzes der einzigen(!) gesamtwirtschaftlichen Ressource Arbeit(skraft), und es sind Einnahmesteigerungen gleichbedeutend mit einem 'mehr' an positiv und sinnvoll gedachten Arbeitsstunden bzw. -ergebnissen. Jeder seine individuelle Geldrechnung optimierende Kapitalist würde also auch gesamtwirtschaftlich dazu beitragen, den Einsatz von Arbeit im Sinne maximaler Produktmenge pro Arbeitsstunde zu optimieren. Umgekehrt: erst nach Abrücken vom klassischen Wertgesetz wird es möglich, in­dividuellen Profit durch Vergeudung menschlicher Energie zu mehren. Am Ende dieser Entwicklung wird ein Finanz-­ bzw. Geldwesen stehen, das per def. keinerlei nutzbares Endprodukt V+M mehr erzeugt, aber für diese 'Leistung' den Löwenanteil des in der Gesamtwirtschaft erzeugten Mehrwerts beansprucht.

 

Um die Urform des Finanzwesenprofits erscheinen zu lassen, genügt eine konkrete Anwendung des Wertgesetzes vom Profitratenausgleich (stellvertretend für alle nicht­klassischen Wertgesetze). Das Gesamtkapital des obigen Systems ergibt sich aus 6000T variablem Kapital und dem konstantem Kapital (Korn und Mehl), dessen genauen Zahlenwert man erst(!) angeben kann, nachdem die Preise von Korn und Mehl feststehen, die jetzt aus der Forderung zu bestimmen wären, dass alle Firmen dieselbe Profitrate r erzielen. Diese läge knapp unter 5%, aber auf den Zahlenwert kommt es gar nicht an, sondern dar­ auf, dass diese Rendite auf alles Kapital erzielt wird, nämlich auf variables und konstantes. Nachdem die Korn AG 2000T für ihre Arbeitskraft vorschoss, verkauft sie also ihr Korn zu x=2000°(1+r) an die Mehl AG. Diese addiert dazu ihre Kosten für Arbeitskraft in Höhe von ebenfalls 2000, errechnet Gesamtkosten von y=2000+2000°(1+r), und verkauft das Mehl für y°(1+r) an die Brot AG. Damit wird die im eingekauften Korn enthaltene Arbeit bereits innerhalb der Mehl AG verschieden bewertet: beim Einkauf des Korns mit 2000°(1+r) und beim Verkauf des Mehls zu 2000°(1+r)°(1+r) oder zu Einkaufspreis°(1+r). Nichts anderes als letzteres realisiert der Spekulant; einziger Unterschied ist, dass er auf das ablenkende Beiwerk der zwischengeschalteten Warendinge verzichtet, was möglich ist, weil der Mehrwert durch den gesamtwirtschaftlichen Prozess entsteht, nicht durch einen einzelwirtschaftlichen, während die Aneignung ein einzelwirtschaftlicher Prozess ist, kein gesamt­ wirtschaftlicher. Die Existenz des Mehrwerts beruht zwar auf der Existenz 'unbezahlter' Arbeit(sleistung) und daraus entstandener Waren, aber nicht auf einer bestimmten wie betrieblichen Arbeit(sleistung), und die Urform der Preisvervielfachung ist die Abfolge von kostenloser Aneignung (zum Preis null) und Verkauf (zu endlichem Preis) des Mehrprodukts – egal wo und an wen diese erfolgt, denn das Geld dafür muss außerhalb sowohl aller Märkte als auch aller Produktionsprozesse 'geschöpft' werden.



8. Die Abschaffung des Kapitalismus muss im Kopf beginnen

 

Nicht nur die Regelungsmechanismen des Systems werden durch dessen Entwicklung zerstört, sondern auch die Denkprozesse der Systembetreiber. Erkennbar ist es bereits an Begriffsbildungen wie dem 'konstanten Kapital', denn wie kann eine Kapitalform konstant sein, wenn zum Wesen von Kapital seine Verwertung alias Vermehrung gehört? Diese Unschärfe ('vermehrt' bzw. verändert wird ein Preis, nicht aber ein Wert im Sinne von Arbeitswert) führte in der klassischen Ökonomie zum Zusammenwerfen lebendiger und toter Arbeit im klassischen Kapitalbegriff V+C, später zur Reduktion des Kapitalbegriffs auf das Sachkapital (d.h. das konstante oder sogar nur das fixe), und in neuester Zeit zur Vorstellung 'systemnotwendiger Banken' oder vom „Produktionsmittel Geld“ (Felber). Alle diese Denkformen werfen systematisch die gesamtwirtschaftlich erfolgende Produktion von (insbes. Mehr­) Wert durch Arbeit zusammen mit dessen Aneignung auf einzelwirtschaftlicher Ebene in Märkten über das System der Preise bzw. Geldwerte. Ermöglicht wird dies durch die Zersplitterung des Prozesses in Aktivitäten von Subjekten, denen der Gesamtüberblick abhanden kommt, weil nur vom letzten zum nächsten Marktprozess gedacht werden muss. Bereits im obigen Konstrukt kennt die Mehl AG zwar den Preis von Korn und Mehl, nicht mehr aber das (einzige) Endprodukt Brot, auf das hingearbeitet wird, und ebensowenig denjenigen Teil des wirklichen Gesamtaufwands (Arbeit), der in Korn AG und Brot AG anfällt. Dafür erscheint ihr der Einkauf des Mehls als auf gleicher Stufe stehend mit der Beschäftigung von Arbeitskräften. Dieser beschränkte Blick auf die Welt ermöglicht den seltsamen Kapitalbegriff V+C und wird umgekehrt durch diesen weiter verfestigt. Ab einem bestimmten Stadium der Zersplitterung können Produktionsziele gar nicht mehr anders definiert werden als in Geld (statt in Endzweck). Es wird dann nicht mehr gefragt, wie sich die Herstellung eines bestimmten (oder gar gewünschten) Endprodukts organisieren lässt, sondern es wird gefragt, wie ein in Geld bezifferter Anspruch auf das von allen (d.h. vor­ wiegend von anderen) hergestellte Endprodukt organisiert werden kann, egal ob man dazu etwas beiträgt oder nicht. Der Tauschwert als für diesen Zweck entstandene universelle Wareneigenschaft ermöglicht es, dass trotz der Beschränktheit der Einzelsubjekte alle auf eine definierte quantifizierbare Weise zusammenwirken, indem jeder die eigene Beschränktheit unter Akzeptanz der Beschränktheit der anderen so weit hochrechnet, bis Käufe und Verkäufe zustandekommen. Wegen des in diesem Prozess erforderlichen Elements 'Beschränktheit' reagieren Ökonomen mit inquisitorischem Eifer auf jede bewusste Infragestellung eines Preises, während sie beliebige spekulative ('marktbedingte') Achterbahnfahrten von Öl­, Gold­ oder Immobilienpreis akzeptieren, egal wie weit welcher Preis gegen wieviele Vorhersagen ihrer objektiv richtigen Theorien verstößt. Spekulation fasziniert Bürger wie Ökonomen durch die Leichtigkeit, mit der sie den individuellen Geldreichtum vermehren kann, weshalb bürgerliches Denken konsequent den Gewinn aus Geldgeschäften (d.h. durch Umverteilung) mit der Steigerung des materiellen Gesamtreichtums (durch Produktion) zusammenwirft, Felber z.B. durch das Verständnis von Geld als „Produktionsmittel“.[33] Da bleibt nur die Frage, warum er nicht statt Bücher über und Beschlussvorlagen für Geldkonvente auf demselben Papier solche Produktionsmittel herstellt und damit die Gesellschaft überflutet. Weil es noch nicht unter Einhaltung der demokratisch beschlossenen Geschäftsordnung mit 2/3­Mehrheit verabschiedet wurde? Oder weil es noch Reste von Verständnis der Realität gibt, die sich ab und zu einen Weg an die Oberfläche bahnen: „Auch im Rentensystem gilt, dass Geld nicht arbeitet und aus nix nix wird.“ (GELD, S.184)

 

So wie das mit Lohnarbeit unlöslich verbundene Mehr(als notwendig)produkt den materiellen Spielraum für destruktives Agieren schafft, und der Marktantagonismus von Käufer und Verkäufer Aggression zu einem Kerninhalt des Bewusstseins macht, so fördert die Zersplitterung des Gesamtprozesses in Aktivitäten von Subjekten die Verblödung. Unterstützt wird es dadurch, dass der Tauschwert von allen materiellen Inhalten abstrahiert und damit die Vielfalt der realen Welt auf die Einbildung 'Wert' reduziert. Zu studieren ist das Resultat an (fast) jedem Ökonomiebuch; vermutlich ist dies der einzige reale Nutzen solcher Werke. Die sich u.a. im konstanten Kapital C ausdrückende Arbeitsteilung verengt kontinuierlich den Horizont aller Subjekte, während der damit einhergehende Fall des (ebenfalls rein kapitalistischen!) Erfolgskriteriums 'Profitrate' sie zugleich zwingt, ihre schrumpfenden Anteile am Gesamtprozess immer aufwendiger zu 'optimieren', d.h. die aus der Beschränkung resultierende Blödheit immer konsequenter zu exekutieren. Wie sich das mit aller Macht angestrebte kapitalistische Hauptziel Mehr-­Wert als Maximierung von Sinnlosigkeit entpuppt, so wird bürgerliche 'Rationalität' zum Anti­Bewusstsein. Es „ergibt sich das paradoxe Verhältnis, dass sich das Bewusstsein auf die Einzelheit (das einzelne individuelle, betriebswirtschaftliche oder staatliche Handeln) beschränkt, während die Allgemeinheit oder der Gesamtzusammenhang zum bewusstlosen Prozess wird.“[34] Wenn im Verlauf der Kapitalismusgeschichte die Probleme des Systems wachsen, weitet sich diese Form der Bewusstseins(?)spaltung auf die gesamtgesellschaftliche Ebene aus, indem Organisationen entstehen, deren Spezialisierung darin besteht, den Nimbus von etwas ALLGEMEIN­-GUTEM vor sich her zu tragen und gegen die Individuen zu wenden – oder Ungesellschaftlichkeit als gesellschaftlich erscheinen zu lassen. Sprichwörtlich waren schon Unfähigkeit und Brutalität der RGW­-Apparate, langsam dasselbe Niveau erreichen heutige betriebswirtschaftlich orientierte Konzernbürokratien, und als Tüpfelchen auf dem i stehen die Geschäftsordnungen und Arbeitsprogramme Felberscher Geldkonvente in Aussicht.


Ein Kontrastprogramm dazu ist schon lange formuliert: das in der bürgerlichen Gesellschaft entstandene Spezialistenwesen ist als marktbeschränkte Denkform einzustufen und deshalb aufzuheben statt fortzuentwickeln. Dies nicht durch die Abrichtung von Spezialisten bzw.­ Einrichtung von Organisationen für 'Allgemeine Aufgaben', sondern indem auf höherer Ebene der Prozess rückgängig gemacht wird, der Individuen zu Marktsubjekten schrumpft. Eine Aufhebung der Pervertierung konkreter Arbeit zum engstirnigen Spezialistenwesen ließe insbes. die Notwendigkeit verschwinden, von allem konkreten abstrahierende (egal ob Arbeitswert, Tauschwert, WERTE oder sonstwie genannte) Gleichsetzungen qualitativ verschiedener Aktivitäten zu entwickeln. Weil dies verschüttet zu werden droht, sollen einige Ansätze dazu in Erinnerung gerufen werden. So schrieb vor über 20 Jahren Robert Kurz: „Es geht also darum, die Einheit des Lebensprozesses nicht als Auflösung der abstrakten Arbeit nach rückwärts 'wiederherzustellen', sondern umgekehrt die abstrakte Arbeit als Leiter zu einem höheren Zustand der Lebenspraxis zu begreifen, die nun weggestoßen werden kann, weil sie nicht mehr gebraucht wird. Es gilt, die errungene Distanzfähigkeit zur Natur nicht rückgängig zu machen, sondern von der elenden Krücke der abstrakten Arbeit zu befreien.“[35] Man könnte hinzufügen: '...statt jedes Individuum ständig tiefer in neues Unverstandenes einzuschachteln, und die mit der Arbeitsteilung einher­ gehende ständige Einengung des Horizonts der Marktsubjekte auch noch zu fördern.' Wiederzugewinnen ist insbes. die Erkenntnis, dass die Welt viele verschiedene Qualitäten enthält, und darauf aufbauend die Fähigkeit, alle diese laufend in Entscheidungsprozessen abzuwägen, statt jeden Vorgang in kleinstmögliche Einzelschritte zu zerlegen, und in jedem von diesen dem angelernten Zwang zur objektivistischen Reduktion auf irgendeine 'eindeutige Zahl' zu folgen. Die spontane Tendenz in der bürgerlichen Gesellschaft verläuft entgegengesetzt, und dem fällt auch Kritik zum Opfer, die nicht bis zum Grund, d.h. bis zum Arbeitscharakter der Tätigkeiten in dieser Gesellschaft ausgeführt wird. Lohoff beschrieb es an einem Beispiel relativ fortgeschrittener theoretischer Arbeit wie folgt: „Sobald Theorie ohne wertkritische Spitze operiert, wiederholt sie auf ihrem eigenen Boden blind und bewußtlos die für die bürgerliche Gesellschaft charakteristische Sphärentrennung. Mit dem Abschied von der Negation der Grundformen der bürgerlichen Gesellschaft geht der Kapitalismus­-Negation jede Tiefendimension verloren und die Erfassung der inneren Gliederung der Wirklichkeit, in deren Rahmen sich alle Oberflächenphänomene dieser Gesellschaft sich aufeinander beziehen, weicht einem in Spezialdisziplinen aufgefächerten Marxismus. Die Verwandlung der Kritik der politischen Ökonomie in marxistische Ökonomie zerlegt das Ganze der Wirklichkeit und schafft eine Vielzahl disparater Theoriefelder, die nach jeweils eigenen Gesetzen zu funktionieren scheinen und nur durch äußerliche 'Wechselwirkungen' aufeinander einzuwirken vermögen [...] Wo der Marxismus sich als positive Theorie der bürgerlichen Gesellschaft kapriziert, reproduziert er in kruder und unausgegorener Weise auf seinem eigenen Boden den bürgerlichen Wissenschaftspluralismus und spreizt sich ins Unendliche auf. Marxistische Soziologie, marxistische Staatstheorie, marxistische Religionstheorie, marxistische Ökonomie, marxistische Anthropologie und marxistische Krisentheorie stehen einander gegenüber und ihre Einheit rutscht aus der analytischen Stringenz ins Attribut und damit ins Ideologische.“[36]

 

Traurig ist, dass das im Zitat beschönigend 'bürgerlicher Wissenschaftspluralismus' genannte System von Fachidiotismus die gesamte Gesellschaft schon so dominiert, dass gegenteilige Ansätze nur verstreut praktiziert werden, z.B. in Bürgerinitiativen. Aber es macht auch Hoffnung, dass derartige Ansätze überhaupt noch praktiziert werden. Diese Versuche zeigen mittlerweile für niemanden mehr übersehbar, dass mit der Fähigkeit zu zusammenhängendem Denken ausgerüstete Laieninitiativen sachlich bessere Konzepte entwickeln als die mit einem Vielfachen der Ressourcen ausgestatteten, aber vom Partialismus der Sonderinteressen und zugehörigen Spezialkenntnisse beherrschten offiziellen Institutionen der Gesellschaft. Es deutet sich in Deutschland schon der Zustand an, dass letztere gar keine brauchbaren Konzepte mehr zustandebringen, egal womit sie sich gerade befassen (wollen). Warum lässt man dann nicht einfach den gesamten Kapitalismus sein – mitsamt allem Geld und zugehörigen Konventen?

Endnoten


[1] Christian Felber, Gemeinwohlökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft, Wien 2012


[2] Andreas Exner, Neue Werte im Sonderangebot, Streifzuege 51/2011, S.1/2, hier zitiert nach streifzuege.org 

[3] Christian Felber, GELD. Die neuen Spielregeln, Wien, 2014

[4] In gleicher Weise nutzen ökonomische Theorien die Verengung des Blicks auf die einzelwirtschaftliche Ebene, um 'mehr Arbeit' mit 'mehr Gutem' (beginnend mit 'mehr Lohn', also 'mehr Geld') zu identifizieren. Ausgeblendet wird, dass gesamtgesellschaftlich destruktive (mathematisch: negative) Aktivitäten wie das Abwracken von Autos (durch fachkundige Mechaniker) oder das Erschießen von Menschen (durch mit Hochtechnologie ausgerüstete Söldner) in gleicher Weise individuellen Geldreichtum mehren können wie konstruktive (mathematisch: positive) Aktivitäten. Dass Destruktivität gesamtgesellschaftlich dominant wird, verhindern angeblich existente 'Unsichtbare' (Karl Popper lässt grüßen) Hände.


[5] Ähnliche (wenn auch noch weniger lächerliche) Verfallsprozesse im Denken „linker Intelligentsia“ nach Zusammenbruch des Realsozialismus und Beginn des 'Kampfes gegen den Terror' fasste Robert Kurz wie folgt zusammen: „Und in ihrer Pferdepanik galoppieren sie allesamt zurück ins 18. Jahrhundert, als hätte es nicht einmal die verkürzte marxistische Kritik des Aufklärungsdenkens gegeben. Fieberhaft werden die ältesten Phrasen der kapitalistischen Konstitution dahergestottert, als handele es sich um die neuesten aufregenden Entdeckungen der radikalen Kapitalismuskritik.“ (Robert Kurz, Negative Ontologie, Die Dunkelmänner der Aufklärung und die Geschichtsmetaphysik der Moderne, Krisis 26, S.13). Die der Aufklärungskritik gewidmeten Krisis­-Bände 25­-27 enthalten weitere Beiträge verschiedener Autoren, deren Lektüre im Zusammenhang mit Felbers neuesten (und verwandten) Ideen lohnt.


[6] Im amerikanischen Bretton Woods wurde 1944 die kapitalistische Nachkriegsordnung vereinbart, mit dem Dollar als goldgedeckter Leitwährung und fixierten Wechselkursen zu den wichtigsten anderen kapitalistischen Währungen. Felber möchte den Dollar durch einen 'Terra' ersetzen. Illusionär daran ist, dass es keine kapitalistische Großmacht gibt, die aus dem 'natürlichen' kapitalistischen Motiv des Eigennutzes heraus den Terra durchsetzen würde. So reproduziert die Terra­-Idee auf Ebene der Nationen letztlich die Forderung kleinbürgerlicher Marktwirtschafts­Illusionisten nach dem selbstlosen bzw. 'zinslosen' Kredit, der sich – siehe Haupttext – in 'gemäßigter' Form auch Felber explizit anschließt.

[7] In der neoricardianischen Theoriebildung gibt es ein Analogon dazu, nämlich die 'Standardware', ein Warenaggregat, das einen 'unveränderlichen Wertstandard' darstellen soll. Weil diese Standardware genau dann existiert, wenn auch alle anderen wesentlichen Voraussetzungen (und damit Resultate) dieser Theoriebildung existieren, wurde sie von den Neoricardianern verzweifelt gesucht, aber außerhalb von Modellrechnungen bisher nicht gefunden. Empfohlen wird, als Wertstandard einmal den Wert der Arbeitskraft auszuprobieren.

[8] Hoffentlich bringt Felbers Analogie zu Bretton Woods niemanden auf die naheliegende Idee, zum Zweck der Terra-­Etablierung müsse zunächst ein Weltkrieg gewonnen werden.

[9] Peter Bierl, Schwundgeld Freiwirtschaft und Rassenwahn, Hamburg 2012


[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Debitismus. Ein stets aktuelles Studienobjekt hinsichtlich der debitistischen Form von Geldideologie stellt im Internet das Gelbe Forum dar (http://www.dasgelbeforum.net). Es bietet u.a. ein Archiv 'herausragender' Postings, und es gibt trotz des in der 'Geldkritik' grassierenden Nationalismus zumindest offen rechtsradikalen Positionen keinen Raum. Übrig bleibt ein Spektrum, das vom konservativen Publizisten Paul C. Martin (mit einer privilegierten Stellung als 'dottore') bis zum Betreiber eines Karl-­Marx-­Forums reicht, der sich (als 'Frosch') mit Statistiken und ihrer Deutung den Ruf eines Wirtschaftsexperten erworben hat. Dazwischen finden sich alle Spielarten des Liberalismus bis hin zu libertären Formen des Anarchismus. Persönliche Motivationen reichen von Geschichtsphilosophie über krisenbedingte Existenzängste bis hin zur Frage, ob man jetzt diese oder jene Aktie kaufen solle. Verblüffend ist, wie der Großteil eines so bunten Spektrums sich immer wieder neu darauf einigen kann, (fast) alles Üble komme vom 'falschen Geld' (hier: dem Schuldgeld).


[11] Eine in repräsentativer Weise zwischen Bösartigkeit und Lächerlichkeit schwankende einschlägige Internetseite ist http://www.hartgeld.com. Sie propagiert Gold und Silber wortwörtlich als „Rettungsboote“ (hoffentlich bindet niemand sich einige Barren als Schwimmweste um!). Bevor man diese oder ähnliche Seiten aufruft, empfiehlt sich eher die Bereitstellung eines für den Mageninhalt ausreichenden Eimers.

[12] Gemäß eigenem Selbstverständnis sorgt ökonomischer Sachverstand sowohl für 'optimale Verwendung knapper Ressourcen' als auch für deren Vermehrung durch 'Wachstum'. Die 200 Jahre Geschichte des industriellen Kapitalismus hätten bei nur zweiprozentigem Produktivitätswachstum den verfügbaren Ausstoß um (etwa) einen Faktor 50 vermehrt, bei dreiprozentigem Wachstum um einen Faktor 370, und bei fünfprozentigem um etwa den Faktor 17000. Schon im ersten Fall sollte eine Arbeitsstunde wöchentlich ausreichen, um jedem Menschen zumindest den Lebensstandard des späten Mittelalters zu sichern, im dritten Fall reichen dafür einige Sekunden. Wo ist die gestiegene Produktivität geblieben? Es ist dem Autor klar, dass moderne Ökonomie hoffnungslos resistent gegen Argumente ist, aber vielleicht kann der eine oder andere Ökonom wenigstens noch mit 'Zahlen' umgehen?


[13] Robert Kurz, Geld ohne Wert, Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der Politischen Ökonomie, Bad Honnef 2012, S.206

[14] Bernd Senf, Der Tanz um den Gewinn, Kiel 2004

[15] Der bürgerliche Philosoph kann immerhin noch erkennen, dass er nichts erkennt: "[…] bei mir liegt es daran, dass ich in meiner Arbeit auf einen toten Punkt ­ in der Werth­-Theorie angelangt bin und weder vorwärts noch rückwärts kann. Der Werthbegriff scheint mir nicht nur denselben regressus in infinitum wie die Kausalität, sondern auch noch einen circulus vitiosus zu enthalten, weil man, wenn man die Verknüpfung weit genug verfolgt, immer findet, dass der Werth von A auf den von B, oder der von B nur auf den von A gegründet ist. [...] Damit würde ich mich schon zufrieden geben und es für eine Grundform des Vorstellens erklären, die mit der Logik eben nicht auszuschöpfen ist – wenn nicht, ebenso thatsächlich, absolute u. objektive Werthe Anspruch auf Anerkennung machten." (Georg Simmel, private Korrespondenz, zitiert nach Helmut Reichelt, Neue Marxlektüre, Hamburg 2008, S.168, Hervorh. im Orig.)


[16] Senfs Buch beschreibt auf S.50f., wie die 'Geldkritik' scheibchenweise im Chaos versinkt, indem jeder Kritiker maximal einen Erkenntnisschritt geht und diesen verabsolutiert: „Um allerdings den 'Teufel' aus dem Geldsystem auszutreiben, sollte erst einmal Klarheit darüber bestehen, worin er sich eigentlich verbirgt […] Während die einen ihn im exponentiellen Wachstum von Geldvermögen und Schulden durch Zinseszins identifizieren (Helmut Creutz), steckt er für die anderen in der Geldschöpfungsmacht der Geschäftsbanken (Ernst Dorfner, Gerhard Margreiter). Wieder andere sehen ihn in der Geldschöpfung der Zentralbanken, insbes. dann, wenn diese ganz oder teilweise in der Hand privater Anteilseigner liegen (Eckhard Grimmel). Und noch andere sehen den monetären Sündenfall in der historisch erfolgten Loslösung des Geldes vom Gold und Silber (Reinhard Deutsch) […] Dem gegenüber steht wiederum die Auffassung von Silvio Gesell (durch dessen Gedanken sich ja viele Geldkritiker haben anregen lassen), dass die einzig sinnvolle Deckung des Geldes das erstellte Sozialprodukt sei […] zu ihm müsse die Geldmenge in ein sinnvolles Verhältnis gebracht werden, durch das weder Inflation noch Deflation entsteht [...] Und schließlich gibt es noch die Auffassung von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger in ihrem Buch 'Eigentum, Zins und Geld', nach der Geld seine Deckung aus Wertpapieren bzw. Forderungen gegenüber Schuldnern bezieht.“ Bemerkenswert ist, wie nahe die letzte Idee der Formel G→G' kommt, aber genau deren Inhalt will man nicht mehr sehen!


[17] Bernd Senf, Und es gibt sie doch! Die Geldschöpfung der Banken aus dem Nichts, Entgegnung auf Gero Jenners Buch 'Wohlstand und Armut', 2011, berndsenf.de

[18] Mit dem Begriff „Ausland“ erscheint hier aus dem Nichts die bürgerliche Nation. Wie das folgende Wort zeigt, gestaltet der heutige bürgerliche Theoretiker die Beziehungen zu diesem in der freundlichen Form 'Bezahlen' statt des unfreundlichen 'Rauben', was frühe bürgerliche Praktiker präferierten.

[19] Physik­, Chemie und Ingenieurhandbücher sind voller Berechnungen, wieviele Kilowattstunden, Liter Schmieröl und ähnliches nötig sind, damit ein erwünschter Effekt eintritt. In keinem aber findet man Hinweise, welchen Beitrag dazu ein 100€­Schein leisten könnte.

[20] Im Marxismus erscheint diese Thematik als 'Realisierungsproblem', vgl. insbes. Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, online unter http://www.mlwerke.de/lu/default.htm. Das aktuell meistverkaufte VWL­-Lehrbuch (vgl. Endnote 21) beweist zu Beginn, dass jede Einzelfirma positiven Profit erziele, um später auf seiner Seite 52 das „überraschende“ Ergebnis zu erzielen, der Gesamtgewinn im System sei null. 'Erklärt' wird der Widerspruch damit, es seien wohl nicht alle Voraussetzungen der Theorie erfüllt. Ausführlicher dazu vom Autor: Des Bäckers umwerfende Theorie vom Gleichgewicht, exit-online.org 


[21] N. Gregory Mankiw, Macroeconomics, Fifth Edition, Worth Publishers New York 2003. Übersetzungen sind vom Autor. Wortlaute können daher von denjenigen in deutschen Ausgaben abweichen.

[22] Wer einen ökonomisch­mathematischen Beweis führen will, der erhöhe die Löhne der Arbeiter Müller, Meier, Schulze usw., bis sämtliche Müller­, Meier­, Schulze­ usw.­ Bäckereien keine Dividende mehr an ihre Aktionäre (nämlich die Familien Müller, Meier, Schulze usw.) zahlen können, und berechne alle dadurch hervorgerufenen wirklichen (d.h. materiell fassbaren) Veränderungen. Besonderes Augenmerk lege man auf Stellen, wo Geldbeträge von 'Dividende' zu 'Lohn' umbenannt werden.

[23] Die konkreten Zahlenwerte sind irrelevant und nach dem Kriterium gewählt, Rechnungen so weit zu vereinfachen, dass der Fokus auf ökonomische Denkformen gerichtet bleiben kann.

[24] Hieraus entstehen die diversen Geldmengenaggregate der bürgerlichen Wirtschaftsstatistik.

[25] Literaturangabe in Endnote 20.

[26] Wie unsinnig es ist, Zusammenhänge zwischen Geldmenge und 'Wirtschaftsleistung' herzustellen, macht die Fortführung der Messgerät­Analogie deutlich. In einer 'ökonomische' Methodik gebrauchenden Physik wäre die Masse des Universums proportional zur Anzahl der darin aufgestellten Waagen.

[27] Im Neoricardianismus entsteht der Profit aus einem – wörtlich – 'Überschuss'. Man sieht also den Mehrwert explizit als Abfallprodukt der Produktion von Gebrauchswerten (V).

[28] Noch spätneuzeitliche – staatlich durchgeprügelte – nachholende Modernisierungen geben einen Eindruck, davon, welche brutalen Eingriffe in bestehende vorneuzeitliche Verhältnisse notwendig sind, um erste wachstumsfähige Keime der Warenwirtschaft zu etablieren.

[29] Ressourcensparender wäre, die Herstellung und Vernichtung nur vorzutäuschen, wie noch weniger von kapitalistischen Denkformen durchseuchte südeuropäische Olivenproduzenten bereits erkannten und praktizierten. Der Arbeitsgesellschaft allerdings gilt diese Form des praktischen Umweltschutzes als verwerflicher 'Subventionsbetrug'.

[30] Diese Sichtweise klingt bereits im klassischen Begriff des Mehr(als­notwendig)Produkts leicht an, und noch deutlicher in Marx' Terminologie, wenn er die 'notwendige' Arbeit einer 'Mehr'­Arbeit einander entgegenstellt. Es ist bezeichnend für die im Marximus abgelaufene Regression, dass er bürgerlichen Strömungen darin folgte, das 'mehr' als 'Überschuss' oder im Sinn 'falscher Verteilung' zu verstehen, statt im Sinne von 'nicht notwendig' – oder überflüssig.

[31] Zur Realitätsnähe der gewählten Relationen s. Endnote 23.

[32] Analoge Behandlung des Systems aus Brot AG, GH AG und EH AG wird als Übungsaufgabe gestellt.

[33] Der Marxismus realisiert letztlich dasselbe durch sein Festklammern am klassischen Wertgesetz, dass der Tauschwert streng proportional zur verkörperten Arbeitsmenge sei. Die Verkürzung findet dabei im Hinterkopf statt, indem dieser jedwedes Arbeiten als 'zu sinnvollem Endprodukt beitragend' versteht.

[34] Robert Kurz, Geld ohne Wert, Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der Politischen Ökonomie, Bad Honnef 2012, S.237

[35] Robert Kurz, Die verlorene Ehre der Arbeit, Krisis 10 (1991), S.18

[36] Ernst Lohoff, Das Ende des Proletariats als Anfang der Revolution, Krisis 10 (1991), S.88