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Andreas Urban


Ein altbekanntes Syndrom

Zur Ersetzung inhaltlicher Kritik durch Denunziation im wert-abspaltungskritischen Sektenwesen

 


Sinnlose Debatten soll man eigentlich nicht weiterführen. Ursprünglich bestand daher der feste Vorsatz, die im Zuge der „Corona-Krise“ entstandene Spaltung innerhalb der Wert-Abspaltungskritik und die damit zusammenhängenden Konflikte mit der EXIT-Gruppe auf sich beruhen zu lassen. Im Grunde ist dazu ohnehin längst alles gesagt, was es zu sagen gibt (vgl. Urban 2022a). Selbst die einen grotesken Tiefpunkt darstellenden jüngsten Verbalinjurien im Editorial der aktuellen EXIT-Ausgabe (vgl. EXIT 2023) gegen Autoren aus dem wert-abspaltungskritischen Zusammenhang, die sich eine Kritik an der destruktiven Seuchenbekämpfung der vergangenen drei Jahre partout nicht ausreden lassen wollten, sollten an diesem Vorhaben zunächst nichts ändern. Das Pamphlet trägt ohnehin nichts Neues zur Debatte bei. Bemerkenswert ist es allenfalls insofern, als Inhalte und eine gegenstandsbezogene Argumentation noch weiter reduziert wurden (wer hätte gedacht, dass dies noch möglich wäre?) und sich dafür im Gegenzug die Schlagzahl der „Querdenker“-Denunziationen zwecks Framing wertkritischer „Corona-Kritiker“ als „rechtsoffen“ und „verschwörungsideologisch“ entsprechend erhöht hat.[1] Davon abgesehen stellt der Text auch und gerade in gesellschaftstheoretischer Hinsicht schlicht eine Bankrotterklärung dar. Eines der Highlights ist die Einordung der Aussage, die Pharmaindustrie profitiere von der Corona-Krise, unter die Rubrik „Verschwörungstheorie“ (ebd., S. 6). Damit fällt EXIT in kapitalismuskritischer Hinsicht nicht einfach nur hinter traditionelle Klassenkampf-Marxismen zurück, welchen die Wert-Abspaltungskritik für gewöhnlich (zu Recht) eine „verkürzte Kapitalismuskritik“ bescheinigt, sondern sogar noch hinter den bürgerlichen Mainstream, dem ja inzwischen die historisch beispiellosen Gewinne des medizinisch-industriellen Komplexes während der „Pandemie“ durchaus aufgefallen sind und zuweilen etwas Unbehagen bereiten.[2] Die erste Reaktion darauf war daher, nicht zu reagieren und sich darauf zu verlassen, dass sich derartige Machwerke selber richten werden und entgegen der Devise Nietzsches nicht noch gestoßen zu werden braucht, was ohnehin im Fallen begriffen ist.


Wie es der Zufall wollte, fiel mir allerdings kürzlich ein schon 20 Jahres altes Heftchen, noch aus Krisis-Zeiten, über den antideutschen Bellizismus in die Hände (Scharfe Schafe – Geschorenes zum antideutschen Bellizismus, erschienen im September 2003). Dies war die Zeit, als sich vor allem Robert Kurz sehr intensiv mit den Antideutschen auseinandersetzte – ein wesentliches Ergebnis dieser kritischen Auseinandersetzung war sein im selben Jahr veröffentlichtes Buch Die antideutsche Ideologie (Kurz 2003a). Im Zentrum der Kritik stand in erster Linie die offene Kriegshetze der Antideutschen im Anschluss an 9/11 und vor dem Hintergrund des Irakkriegs, die in weite Teile der Linken hinein ausstrahlte. Besagtes Heft dokumentiert u.a. bösartige Verleumdungen von antideutscher Seite (z.B. seitens der linken Zeitung konkret) gegen Kurz im Zusammenhang mit einer Polemik, die dieser anlässlich eines damals stattfindenden linken Kongresses in München („Spiel ohne Grenzen“) publiziert hatte; eines Kongresses, der, so Kurz, ein Treffen der „reaktionären Linken“ gewesen sei, auf dem sich [a]ntideutsche Kriegshetzer, Globalisierungsleugner[3], Altstalinisten und nützliche Idioten […] ein Stelldichein“ gegeben hätten (Kurz 2003b, S. 38). Im Wesentlichen konstatierte und kritisierte er den starken Einfluss der antideutschen Ideologie auf die Linke insgesamt, der sich in einem auch in linken Kontexten salonfähig gewordenen Bellizismus und der pauschalen Diffamierung damaliger Friedens- sowie Antiglobalisierungsbewegungen ausdrückte (eine Tendenz, die sich heute vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs in deutlich verschärfter Form darstellt). Die Antwort auf Kurz’ (zugegebenermaßen geharnischten) Text bestand in allen möglichen Diffamierungen, die u.a. auch Antisemitismusvorwürfe beinhalteten.


Was die damalige Debatte und insbesondere ihre Aufarbeitung in besagtem Krisis-Heft aus heutiger Sicht und im Hinblick auf die Konflikte der letzten Zeit in und mit der EXIT-Gruppe interessant macht, ist, dass darin eine Reihe von diskursiven Praktiken und Mechanismen der Diskursverengung zur Sprache kommt – vor allem Praktiken der Denunziation und Diffamierung –, die auch in den Corona-Debatten mit EXIT beobachtet werden können. Einiges von dem, was Krisis damals über die Antideutschen schrieb, könnte heute genauso gut und nahezu wortgleich über EXIT geschrieben werden. Es erscheint daher lohnend, im Lichte der jüngsten Ereignisse an die damalige Debatte zu erinnern. Auch wenn man sich davon keinerlei Auswirkungen auf den aktuellen Konflikt zu versprechen braucht (wenn man aus den jüngsten Angriffen seitens EXIT etwas schließen kann, dann das), ist die Erinnerung daran immerhin aus Dokumentationsgründen sinnvoll. Denn dabei wird deutlich, dass man sich in den Kontexten, denen auch EXIT angehört bzw. aus denen die EXIT-Gruppe unmittelbar hervorgegangen ist, einst sehr klar und unmissverständlich von solchen Diskurspraktiken, die bei EXIT heute selbst an der Tagesordnung stehen, abzugrenzen wusste und dergleichen Gegenstand vehementer Kritik war.


Es kann und wird dabei freilich nicht darum gehen, EXIT mit den Antideutschen in einen Topf zu werfen (das entspräche eher der denunziatorischen Vorgehensweise, die bei EXIT heute gepflogen wird). Die EXIT-Gruppe hat „weltanschaulich“ kaum etwas mit den Antideutschen gemein – wenngleich es durchaus Stimmen gibt, die behaupten, dass EXIT mittlerweile in mancher Hinsicht selbst im antideutschen Sumpf angekommen sei und nur noch eine Flanke desselben darstelle. Es ist in diesem Zusammenhang auch daran zu erinnern, dass Robert Kurz, vor allem in den letzten Jahren seines Lebens, selbst nicht gerade zurückhaltend mit Zuschreibungen eines (strukturellen) Antisemitismus an Globalisierungsgegner und insbesondere Kritiker der israelischen Politik war. Im gegenständlichen Heft, aber auch in anderen Publikationen aus dieser Zeit (z.B. im Weltordnungskrieg, vgl. Kurz 2003c, S. 114ff.), liest sich dies zum Teil noch erheblich differenzierter. Mag also sein, dass Tendenzen, wie sie im Folgenden im Mittelpunkt stehen werden, sich innerhalb der EXIT-Gruppe schon lange vor Corona abzeichneten.

Auch muss berücksichtigt werden, dass der Kontext heute ein anderer ist: Die Auseinandersetzung mit den Antideutschen entzündete sich an deren Haltung zum damaligen Weltordnungskrieg der USA im Irak und deren offen verfochtenen Bellizismus. In der Corona-Debatte mit EXIT ging es hingegen um ein Virus und seine Bekämpfung. Das Kriterium für den Vergleich mit den Antideutschen kann daher (zumindest auf den ersten Blick) nicht in einer bellizistischen Grundhaltung bestehen. So tun sich die Proponent/innen der EXIT-Gruppe auch im derzeitigen Ukraine-Krieg gerade nicht als Bellizisten hervor – wohl aber durch Diffamierungen von Kriegsgegnern und Friedensbewegungen, und dies zum Teil auf ähnliche Weise wie bereits während der „Pandemie“ gegen all die „Querdenker“ und „Coronaleugner“. Vor allem Tomasz Konicz scheut nicht davor zurück, prominente Figuren der aktuellen Friedensbewegung wie Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer – an denen es sicherlich allerhand zu kritisieren gibt – beinahe schon wortwörtlich als Nazis zu bezeichnen (vgl. Konicz 2023a) und die ebenfalls gegen den Krieg agitierenden Antiimperialisten als „Avantgarde der Barbarei“ (Konicz 2022, S. 15) zu denunzieren – und nicht etwa die Ukraine-„solidarischen“, Fahnen schwenkenden, immer neue Waffenhilfe für Kiew fordernden Kriegshetzer bis weit hinein in die Linke.[4] Berücksichtigt man außerdem, dass die „Pandemie“ große Ähnlichkeiten mit einer Kriegssituation hatte und nicht zufällig in der Öffentlichkeit auch so gerahmt wurde (z.B. Macron: „Wir sind im Krieg“), erscheint der Vergleich mit offenen Bellizisten weniger abwegig, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Wie man es auch dreht und wendet: Letztlich ist EXIT in der sogenannten Corona-Krise weitestgehend auf die Linie der staatlichen Krisenverwaltung eingeschwenkt und hat sich, gleich dem Mainstream, sowohl dem „Krieg“ gegen das Virus als auch dem Kampf gegen Kritiker angeschlossen. Trotzdem ist auch in dieser Hinsicht auf eine grundsätzliche Differenz zwischen EXIT und den Antideutschen zu bestehen und geht es gewiss nicht darum, beide miteinander gleichzusetzen.


Schließlich ist mit dem Bezug auf die damalige, im herangezogenen Krisis-Heft dokumentierte Auseinandersetzung mit den Antideutschen noch nichts darüber ausgesagt, wie der Autor die damalige Debatte beurteilt. Die Debatte wurde, wie gesagt, sehr polemisch geführt und hat, wie aus der Dokumentation hervorgeht, auch unter Sympathisanten der Wertkritik nicht nur Zustimmung erfahren. Man kann auch generell infrage stellen, ob die Aufmerksamkeit, die insbesondere Robert Kurz den Antideutschen gewidmet, und die Art und Weise, wie er die Diskussion geführt hat, der Sache in jeder Hinsicht angemessen war.[5] Die Entwicklungen der letzten 20 Jahre, vor allem aber im Zusammenhang mit der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg, verdeutlichen möglicherweise, wie berechtigt die damalige Kritik auch in ihrer Intensität und Polemik war – scheint doch das antideutsche Syndrom, wenn man hier vor allem Charakteristika wie Bellizismus, die Verteidigung „westlicher Werte“, den exzessiven Feindbildaufbau und die schamlose Denunziation von Kritikern als Kriterium heranzieht, für weite Teile der heutigen Linken überhaupt zu einem bestimmenden Merkmal geworden zu sein (zumindest in Deutschland). Bei EXIT zeigt sich dies vor allem in der mittlerweile fast vollständigen Ersetzung kritischer, auf Inhalte bezogener Analyse durch Denunziation und Diffamierung Andersdenkender. Eben dies soll im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags stehen.



***


Das Interessante an dem Krisis-Heft über die Antideutschen, das vor dem Hintergrund der Entwicklung, die zentrale wertkritische Organe wie Krisis[6] und mittlerweile auch EXIT seither genommen haben, gewissermaßen als ein Zeitdokument über eine Phase in der Geschichte eines theoretischen Zusammenhangs betrachtet werden kann, ist, wie gesagt, dass sich die darin versammelten Texte wie Polemiken lesen, die ebenso gut über die wert-abspaltungskritischen Corona-Debatten und insbesondere über das Auftreten der EXIT-Redaktion geschrieben werden hätten können. Zur besseren Veranschaulichung ist es zweckmäßig, den vorliegenden Beitrag primär auf Textpassagen und Zitate aus der damaligen Auseinandersetzung mit den Antideutschen zu stützen und diese lediglich zu kommentieren oder, wo erforderlich, in den aktuellen Kontext einzupassen. Die Zitate sollen also weitestgehend für sich selbst sprechen, und wer die wert-abspaltungskritischen Corona-Debatten und die daraus resultierende Spaltung aufmerksam verfolgt hat, würde vermutlich sogar mit einer ganz unkommentierten Zitatensammlung das Auslangen finden können.


Beginnen wir mit der Denunziation als Methode, wie sie auch für die Debatten mit EXIT bestimmend war (und ist). Im Krisis-Heft über die Antideutschen wird diese u.a. wie folgt beschrieben: Im Zusammenhang mit dem eingangs erwähnten Kongress, der ein wesentlicher Anlass und Gegenstand der damaligen Auseinandersetzungen war, wird konstatiert, dass es „in weiten Teilen der deutschen Linken akzeptierter teils stummer, teils offener Konsens [sei], dass […] jede soziale Bewegung überhaupt und die Antiglobalisierungsbewegung im Besonderen nur noch als mindestens potentiell antisemitisch und völkisch abgekanzelt werden darf“ (Trenkle 2003, S. 44). Gerade die Antiglobalisierungsbewegung werde „durchgängig denunziert, als entweder reformistisch verblödet oder antisemitisch und ‚nationalrevolutionär‘ durchseucht (letztere Vorwürfe gerade noch durch den Zusatz ‚nicht selten‘ relativiert). Natürlich ist diese Kritik nicht einfach falsch, aber hier reduziert sie sich auf das erneute Abspulen altbekannter Denunziationen […], die eigentlich nur noch dazu dienen, die betreffende Szene in ihrem subkulturellen Wir-Gefühl zu bestätigen“ (ebd., S. 45).


Im Weiteren wird auf die dafür zentralen Methoden der Assoziation[7] eingegangen:


„Es gehört zur denunziatorischen Methode, dass sie sich gerne des Mittels der Assoziation bedient. Das erlaubt es erstens jeden Beliebigen zum Feind, Verräter, Abweichler oder was auch immer Bösartigem zu erklären. Zweitens kann man sich so sehr einfach gegen Kritik immunisieren und zur Not auf den Standpunkt zurückziehen, man habe dieses oder jenes ja gar nicht gesagt, der Kritiker bilde sich das alles nur ein. Und schon ist die Beweislast umgekehrt und wer die Denunziation als solche benennt, steht als derjenige da, der unter Halluzinationen leidet.“ (ebd.)


Im Originaltext folgt sodann ein beispielhaftes Zitat aus dem Aufruf zu besagtem Kongress, an dem die assoziative Methode als Mittel zum Zweck der Denunziation der Antiglobalisierungsbewegung exemplarisch veranschaulicht werden soll. Wir verwenden stattdessen ein beliebiges Zitat aus einem der EXIT-Pamphlete gegen die wertkritischen „Coronaleugner“. Folgendes Zitat stammt beispielsweise aus der Stellungnahme der EXIT-Redaktion anlässlich der auf dieser Webseite veröffentlichten Thesenpapiere von Urban/Uhnrast und Anselm Jappe:


„In der aktuellen Diskussion um Corona bringt der unvermittelte Rekurs auf Wille und Interesse eine offene Flanke zu Coronaleugnern und Verschwörungsphantasien mit sich. Die offene Flanke soll lediglich mit der Beteuerung abgesichert werden, man habe damit nichts zu tun. Diese Beteuerung wird zugleich mit dem allgemein und vage bleibenden Verdacht verbunden, die Rede von Verschwörungswahn diene der Abwehr unbequemer Kritik an autoritären Maßnahmen und sei Ausdruck des Konformismus mit dem angepassten gesellschaftlichen Mainstream. Dabei erinnern Beteuerungen, doch nicht zu den ‚Verschwörungstheoretikern‘ zu gehören an Stereotype wie ‚Ich bin kein Rassist, Sexist, Antisemit…, aber...‘ In der offenen und zugleich geleugneten Flanke gegenüber Verschwörungsphantasien dürfte sich das Bedürfnis Ausdruck verschaffen, den eigenen kleinbürgerlichen Sehnsüchten nach Überschau- und Handhabbarkeit der sich chaotisierenden Krisenverhältnisse Raum zu geben.“ (EXIT 2022, Punkt 4)

 

Da die Funktionslogik der denunziatorischen Assoziation eine allgemeingültige ist, kann zur Analyse dieses Absatzes wieder mit dem 20 Jahre alten Krisis-Text fortgesetzt werden, und man erhält dennoch eine präzise Beschreibung des denunziatorischen Vorgehens der EXIT-Redaktion; es sind lediglich die Antideutschen durch EXIT und der Antiglobalisierungs- durch den Corona-Kontext zu ersetzen:


„Nehmen wir nur den Wortlaut, könnte man natürlich sagen, hier stehe gar nicht“, die wertkritischen Kritiker der Corona-Politik seien Verschwörungstheoretiker und Antisemiten. „Aber genau das wird natürlich durch die Aneinanderreihung überdeutlich suggeriert. Wer zur Szene gehört, versteht die Botschaft; eine Andeutung, ein Augenzwinkern genügt, und man ist sich einig. Sehr merkwürdig, dass ausgerechnet Leute, die genau diesen Mechanismus am Rassismus und Antisemitismus der modernen Rechtspopulisten, die ja auch nie gesagt haben wollen, was jeder genau verstanden hat, dass genau diese Leute dem selben Mechanismus völlig blind gegenüberstehen, wenn sie ihn selbst anwenden. Aber wahrscheinlich ist das wirklich keine ‚böse Absicht‘ und läuft jedenfalls nicht mehr wirklich bewusst ab, sondern hat sich als Habitus und Haltung so verallgemeinert, dass ‚es‘ gar nicht mehr auffällt.“ (Trenkle 2003, S. 45)

 

Der psychologische Aufwand, Ausschnitte der Realität, die nicht in die eigene eingeschränkte bzw. verzerrte Wahrnehmung der Corona-Krise passen, abzuwehren, scheint inzwischen so groß zu sein, dass EXIT zunehmend sogar völlig ohne solche Assoziationen auskommt und direkt zur offenen Gleichsetzung wertkritischer Kritiker des Maßnahmenregimes mit „Querdenkern“ (und damit „Verschwörungstheoretikern“) übergeht. So heißt es im aktuellen EXIT-Editorial:


„Der Wert-Abspaltungs-Kritik wird von Urban unterstellt, sie konterkariere ihre Kritik der Identitätslogik, indem sie wertkritische Corona-Verharmloser mit Corona-VerharmloserInnen überhaupt gleichsetze. Es geht aber um den Inhalt und den Denkzusammenhang, in dem er sich artikuliert, ansonsten könnte man – rein formal und mechanisch identitätskritisch – darauf pochen, dass es auch viele verschiedene Nazis gibt und nicht alle über einen Kamm geschoren werden können. Jedoch sind wertkritische Querdenker/-innen, wie schon angedeutet, darauf aus, eine per se problematische Corona-Leugner/Verharmloser-Position wertkritisch zu untermauern.“ (EXIT 2023, S. 9f.)


Hier werden wertkritische „Corona-Kritiker“ (konkret meine Person) nicht nur assoziativ mit „Querdenkern“ in Verbindung gebracht, die im EXIT-Universum per se als „verschwörungsideologisch“ und „rechtsextrem“ gelten, sondern sie sind „Querdenker“ – und damit eben auch „Verschwörungstheoretiker“ und eigentlich irgendwie „Rechte“. Gestützt wird diese Lesart durch das wiederum assoziativ eingesetzte Nazi-Beispiel: „Querdenker“ ist man nur ganz oder gar nicht, so wie es auch keine halben oder Dreiviertel-Nazis gibt, und mit der Nazi-Assoziation ist darüber hinaus klargestellt, welchem „Denkzusammenhang“ unsereins wie „Querdenker“ gleichermaßen angehören. Eine inhaltliche Begründung, weshalb und was genau an der von mir und anderen entwickelten wertkritischen Perspektive auf die Corona-Krise „per se problematisch“ sein soll, bleibt die EXIT-Gruppe bis dato ebenso schuldig wie die Offenlegung der Evidenz- und Faktenlage, auf deren Grundlage sie Kritik am Maßnahmenregime als „Corona-Leugner/Verharmloser-Position“ qualifiziert. Davon abzulenken ist aber wohl der Sinn der ganzen Veranstaltung und wesentliche Funktion der umso hemmungsloser betriebenen Denunziation.


Was in Bezug auf Kritiker der Corona-Politik im wertkritischen Kontext gilt, gilt natürlich für die maßnahmenkritische Bewegung als solche erst recht. Deshalb kann diese von EXIT u.a. wie folgt abgekanzelt werden:


„Falsche Unmittelbarkeit und die Ignoranz gegenüber der Notwendigkeit, auf das Ganze der Fetischverhältnisse auszugreifen, bereitet […] ‚recht unmittelbar‘ den Weg für Antisemitismus. […] Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen blieb er nicht mehr implizit, sondern trat offen zu Tage. Der antisemitische Topos der Weltverschwörung wurde auf die Corona-Situation hin reaktiviert. Er konnte an der Vorstellung anknüpfen, dass eine geheime Elite das Virus in die Welt gesetzt habe. Die Darstellung von Juden als Tätern [sic] hindert GegnerInnen der Corona-Politik freilich nicht daran, sich auf perverse Weise mit Juden als Opfern [sic] zu identifizieren, was zugleich das verharmlost, was Juden an Repression und Vernichtung zu erleiden hatten. Im Hinblick auf die ‚Denke‘ von exit! kann dies nicht gleichsam als Betriebsunfall abgetan, still schweigend ignoriert oder nur am Rande vermerkt werden. Für exit! ist die Markierung der Grenze zu Querdenkertum, Verschwörungswahn und dem darin implizierten und manifesten Antisemitismus unverzichtbar.“ (EXIT 2022, Punkt 4)

 

Auch hier steht zwar nicht ausdrücklich, dass Kritiker der Corona-Maßnahmen oder „Querdenker“ samt und sonders Antisemiten wären, aber genau das ist es, was damit suggeriert werden soll (und es macht zuweilen den Eindruck, dass EXIT das tatsächlich glaubt).


Natürlich ist es nicht so, als wären alle Vorwürfe der Verschwörungstheorie, des Antisemitismus usw. an die Adresse der maßnahmenkritischen Bewegung völlig aus der Luft gegriffen. Die Phänomene, die EXIT in der zitierten Stellungnahme anspricht, gab und gibt es tatsächlich. Dies für das Ganze der Protestbewegung zu nehmen, geht aber nicht nur an der Realität vorbei, sondern trägt auch wahnhafte Züge. Zu Krisis-Zeiten, in der Auseinandersetzung mit den Antideutschen, war davon noch ein sehr deutliches Bewusstsein vorhanden. Was Ernst Lohoff in den folgenden Zitaten den Antideutschen hinsichtlich deren Kritik an der Antikriegsbewegung und insbesondere an den Antiimperialisten attestiert, könnte daher abermals genauso gut über das denunziatorische Gebaren von EXIT geschrieben worden sein:


„Zu den uralten Schwächen der antiimperialistischen Linken gehört die Gewohnheit, das Nein zum imperialistischen Krieg mit einem Bekenntnis zu den ins Fadenkreuz geratenen Regimes zu verknüpfen. […] In den 90er Jahren entblödeten sich linke Antiimperialisten nicht, selbst dem durch und durch kleptokratischen und mafiotischen Milošević-Regime irgendetwas Restsozialistisches anzudichten.“ (Lohoff 2003, S. 51) Überhaupt sei die Antikriegsbewegung eine „Melange aus gegenläufigen Motiven und Tendenzen, deren gemeinsame Basis sicherlich in der Angst vor dem Wegbrechen der warengesellschaftlichen Normalität zu suchen ist“ und die entsprechend kritisiert werden müsse. „Aber die Bellizisten reduzieren sie konsequent auf ihre dubiosesten Elemente und denunzieren sie als rein völkische und antisemitische Veranstaltung. Wird diese Denunziation, die mit Kritik nichts mehr zu tun hat, weil das Urteil über ihren Gegenstand von vorneherein feststeht, von den Hardcore-Bellizisten des ‚antideutschen‘ Lagers mit systematischer Perfektion praktiziert, so hat sich der damit verbundene Habitus längst in weiten Teilen des linken Spektrums verallgemeinert, die sonst nur wenig mit den ‚Antideutschen‘ verbindet.“ (ebd.)


Wie weit dieser Habitus inzwischen tatsächlich verbreitet ist, kann heute, fast besser noch als im Corona-Kontext, im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine besichtigt werden. Was im vorigen Zitat über die Antiimperialisten geschrieben wurde, sei insbesondere einem Tomasz Konicz zur Lektüre empfohlen, der in der Denunziation der „Antiimps“ und anderer Kriegsgegner offenbar eines seiner Hauptbetätigungsfelder sieht, während er die Bellizisten im Mainstream wie in der Linken weitgehend ungeschoren davonkommen lässt. Dabei gilt für diese kaum anderes als damals für die Antideutschen, die von wertkritischer Seite zu Recht Gegenstand vehementer Kritik waren: „Sie [die Antideutschen, A.U.] können ihre Verwandlung in Vorkämpfer des westlichen Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus nur legitimieren, indem sie die demokratische Kriegspropaganda nicht nur übernehmen, sondern die Dämonisierung der vom Westen bekämpften Regimes auf die Spitze treiben.“ (ebd.) Die heutige Dämonisierung Putins als „neuer Hitler“ (zuweilen in manchen linksbellizistischen Kreisen „kreativ“ gewendet als „Putler“) und das im Westen selbstverständlich gewordene Gerede über „Putins Diktatur“, die einen „Vernichtungsfeldzug“ gegen die Ukraine führe (und womöglich auch noch die Eroberung Europas im Sinn habe), ist von keiner per se anderen Qualität als [Joschka] Fischers ungeheuerliche Gleichsetzung der Albaner-Verfolgungen des Milošević-Regimes mit Auschwitz“ oder „Enzensbergers irres Gerede von Saddam Hussein als dem ‚Wiedergänger Hitlers‘ anlässlich des 2. Golfkriegs“ (ebd.). Wo bleiben da die „Naziverharmlosungs“- und anderen Keulen, die auch EXIT unversehens zückt, sobald auf Demo-Transparenten gegen den Corona-Maßnahmenstaat die Worte „Faschismus“ und „Diktatur“ zu lesen sind, oder wenn eine Handvoll Demonstranten, die von der systematischen Hetze gegen „Ungeimpfte“ um ihren Verstand gebracht wurden, sich gar zu der Geschmacklosigkeit hinreißen lassen, sich einen Judenstern anzuheften?


Es stimmt: „Der Antiimperialismus verwechselt den prekären Sicherheitsimperialismus des Globalisierungszeitalters auf Schritt und Tritt mit klassischer imperialer Landnahme.“ Aber der „Szene-Bellizismus nutzt dieses Manko, um sich einer Weltsicht zu versichern, die freilich um keinen Millimeter weniger anachronistisch ist als die bekämpfte – nur hermetischer.“ (ebd.) Auch das gilt für die heutigen Bellizisten nicht weniger als für die damaligen Antideutschen. Oder was ist an der bellizistischen Verteidigung der „westlichen Werte“ und der bedingungslosen „Solidarität“ mit der nicht minder „diktatorischen“ Ukraine weniger problematisch und kritikabel als an der Befangenheit der „Antiimps“ in einem historischen Anachronismus? Es ist in der gegenwärtigen Krisenkonstellation wahrlich schwer zu entscheiden, wer die eigentliche „Avantgarde der Barbarei“ (Konicz 2022, S. 15) darstellt.


Für Konicz besteht ein wesentlicher Grund für seine offen denunziatorische Kritik an der aktuellen Kriegsgegner- und Friedensbewegung darin, dass diese sich nicht genug von Rechtsextremen abgrenze und letztere nicht ausdrücklich von Antikriegsdemonstrationen ausschließe. Die dezidierte Abgrenzung von rechts erachtet er als ein „absolutes zivilisatorisches Minimum“ (Konicz 2023a). Das kann man durchaus so sehen und hat seine Berechtigung. Ein nicht minder „absolutes zivilisatorisches Minimum“ ist aber auch die kategorische Ablehnung aller Formen von Krieg. Vor allem aber: „Jede Form von Bellizismus […] steht von vornherein außerhalb des gesellschaftskritischen Lagers.“ (Lohoff 2003, S. 52) Mit Bellizisten – egal welcher Couleur – gibt es daher keinerlei Diskussionsgrundlage, genauso wenig wie mit Rechtsextremen und „Nazis“. Die Vehemenz der Kritik, die Konicz den fraglos in vielerlei Hinsicht kritikablen (linken) Kriegsgegnern im selben Maße angedeihen lässt, wie er die (linken) Bellizisten damit verschont, könnte fast den Eindruck erwecken, als sei er mit letzteren im Bunde, um „die linke Kriegsgegnerschaft zu ihrem braven Haustier zu domestizieren“ (Kurz 2003b, S. 38) – oder als sei er womöglich schon selbst zu einem solchen domestiziert.


Was in Zusammenhängen wie EXIT mittlerweile nahezu vollständig verschwunden zu sein scheint, ist ein Bewusstsein von den Eigenschaften praktisch aller sozialen Bewegungen – ein Bewusstsein, das vor 20 Jahren jedenfalls noch vorhanden war. So schrieb etwa Robert Kurz damals über die von den Antideutschen verunglimpften Antiglobalisierungs- und Antikriegsbewegungen:


„Das Gros der neuen Bewegungen stellen Massen von zumeist sehr jungen Leuten, die weder eine linke noch überhaupt eine ‚politische‘ Geschichte hinter sich haben. Sie sind deswegen nicht etwa ideologisch neutral und unberührt, sondern aufgeladen mit den Sozialisationen und medialen Vermittlungen des herrschenden bürgerlichen Bewusstseins, an dessen Bruchlinien sich ihre Opposition entfaltet durch die Erfahrung der schreienden Widersprüche hindurch, wie sie der globalisierte Krisenkapitalismus erzeugt. Wohin sich diese Bewegungen kurz- wie langfristig entwickeln, ist offen. […] Es gibt dabei heute einen Druck in Richtung völkisch- oder religiös-antisemitischer Verarbeitungsformen, der nicht nur von Neofaschisten und islamistisch-migrantischen Gruppen, sondern auch von völkisch-antizionistischen und letztlich antisemitischen Verwilderungsformen eines desorientierten altlinken Antiimperialismus ausgeht, der mit dem Ende der ‚nationalen Befreiungsbewegungen‘ in der Dritten Welt gegenstandslos geworden ist und eben deshalb verwahrlost […]. (ebd., S. 39f.)


All das lässt sich nahezu uneingeschränkt[8] sowohl über die heutige Friedensbewegung als auch über die Corona-Maßnahmen-kritische Protestbewegung sagen, wie auch schon das obige Zitat über die „Melange aus gegenläufigen Motiven und Tendenzen, deren gemeinsame Basis sicherlich in der Angst vor dem Wegbrechen der warengesellschaftlichen Normalität zu suchen ist“ (Lohoff 2003, S. 51), eine gültige Beschreibung gerade der in vielerlei Erscheinungsformen auftretenden Corona-Maßnahmenkritik darstellt; nicht zufällig zielte die Kritik an Lockdowns und Co. häufig borniert auf die Wiederherstellung der kapitalistischen „Normalität“ ab. Der Protest gegen ein autoritäres, in seinen Effekten extrem destruktives und oft genug auch absurdes Maßnahmenregime, gegen die weitere Demontage von Grund- und Freiheitsrechten, gegen direkte und indirekte Formen des Impfzwangs mit einem ungenügend geprüften und nebenwirkungsreichen neuen genetischen Impfstoff etc. ist damit aber noch nicht weniger legitim als Demonstrationen gegen Sozialabbau, Prekarisierung, Weltordnungskriege oder Klimapolitik. Und dieser Protest und die ihn tragenden Bewegungen sind als solche in ihrer Gesamtheit genauso wenig pauschal als völkisch, antisemitisch oder sozialdarwinistisch abzutun wie andere Bewegungen, auch wenn es solche Tendenzen zweifellos gibt und diese entsprechend zu kritisieren sind. Auch hier waren es gerade die „schreienden Widersprüche“ und Schäden der Corona-Politik, die zur Formierung der Protestbewegung geführt haben – Widersprüche, die auch dann als solche zu benennen und zu kritisieren wären, wenn Corona tatsächlich jene außergewöhnlich gefährliche Pandemie gewesen wäre, für die EXIT sie nach wie vor hält; Widersprüche, die von EXIT jedoch seit drei Jahren beharrlich negiert werden. Ebenso gilt für die Protestbewegung gegen die Corona-Politik, wie für alle anderen sozialen Bewegungen auch, dass ihre Entwicklungsrichtung grundsätzlich offen ist. Wenn die hochgradige Irrationalität, Dysfunktionalität und häufig genug auch Bösartigkeit des staatlichen „Pandemie-Managements“ selbst in Bevölkerungsgruppen, die von linker Gesellschaftskritik bislang völlig unbeleckt waren und den demokratischen Institutionen bedingungslos vertraut haben, zu einer nachhaltigen Erschütterung dieses Vertrauens geführt haben – was in jenen Institutionen, die diesem Vertrauensverlust durch ihr eigenes Agieren in den vergangenen drei Jahren kräftig nachgeholfen haben, derzeit wieder einmal große Sorgen bereitet –, dann kann das aus einer radikal kapitalismuskritischen Perspektive freilich nur begrüßt werden; wenngleich es wenig Grund für Optimismus gibt und die Wahrscheinlichkeit nicht gering ist, dass dieses Potential zum größten Teil nach rechts abfließt und dort versickert bzw. barbarisch gewendet wird, woran nicht zuletzt das völlige Versagen der Linken während der Corona-Krise erheblichen Anteil hat. Der Verlust des Vertrauens in die Institutionen von „Demokratie & Marktwirtschaft“ ist aber prinzipiell (und war schon immer) eine wesentliche Grundbedingung dafür, über den Kapitalismus hinaus zu denken, und es wäre gerade an gesellschaftskritischen Gruppen wie der Wert-Abspaltungskritik, diesem „Vertrauensverlust“ einerseits weitere Nahrung zu geben und ihn andererseits fruchtbar zu machen und zu versuchen, ihm durch kritische Interventionen eine emanzipatorische Wendung zu geben. Den Protestierenden wäre zu vermitteln, dass „sich Proteste [...] nicht gegen einzelne Verwerfungen, sondern gegen den Kapitalismus insgesamt richten sollten“ (Bedszent 2023, S. 63).


Eben weil EXIT all dies nicht zur Kenntnis nehmen will oder kann, ist im Prinzip auch das Folgende zutreffend, das Robert Kurz in einem ganz anderen Zusammenhang geschrieben hat:


„Die antideutschen Bellizisten und ihre nützlichen Idioten sind nicht die wahren Gegner dieser Tendenzen [antisemitische, völkische, rassistische etc. Tendenzen in der Antiglobalisierungsbewegung, A.U.], sondern im Gegenteil ihre Helfershelfer. Sie kämpfen nicht um, sondern gegen die Bewegungen als solche, weil diese nicht nach der Pfeife der proimperialen ‚linken‘ Killer-Intelligentsia tanzen; sie unterstellen die unmittelbare Identität der Massen von kriegs- und globalisierungsgegnerischen Jugendlichen mit den neofaschistischen und völkisch-‚antiimperialistischen‘ Trittbrettfahrern; sie betreiben eine destruktive Politik der self-fulfilling-prophecy, um die unliebsamen Massendemonstrationen mit allen Mitteln gerade so zu identifizieren, wie man sie unbedingt haben will, um sie insgesamt als völkisch-antisemitische Erweckungsbewegung denunzieren zu können und die antideutsch zu gängelnde Schafherde der linken Szene von produktiv-kritischer Einmischung abzuhalten.“ (Kurz 2003b, S. 40)

Auch hier muss nur der antideutsche durch den EXIT-Kontext ersetzt werden und man erhält eine präzise Beschreibung des denunziatorischen Furors, mit dem EXIT seit mindestens drei Jahren agiert. In Bezug auf die „Ukraine-solidarische“ Linke insgesamt, über die sich Tomasz Konicz weitestgehend ausschweigt, ihr aber jedenfalls nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit widmet wie den von ihm denunzierten Kriegsgegnern, bleibt sogar die Formulierung einer „proimperialen ‚linken‘ Killer-Intelligentsia“ in einer Weise zutreffend, als hätte Robert Kurz schon damals über sie geschrieben. Und wie gesagt: Vielleicht waren die Antideutschen nur die Vorhut eines heute endgültig dominant gewordenen Linksbellizismus, der sich vorbehaltlos hinter die „westlichen Werte“ stellt. Letztlich wird jedenfalls auf diese Weise bei EXIT, wie schon damals bei den Antideutschen, die „Selbstverständlichkeit, daß aus den kapitalistischen Widersprüchen heraus entstandene soziale Bewegungen erst einmal von einer ‚verkürzten Kapitalismuskritik‘ getragen werden, […] nicht Anlaß zur weitertreibenden theoretischen Kritik, sondern zur schäumenden propagandistischen Denunziation.“ (ebd., S. 39)


Gerade mit Blick auf die ständigen Antisemitismus-Zuschreibungen, deren sich EXIT befleißigt und diese sogar auf krisentheoretisch argumentierende Kritiker der Corona-Politik im wertkritischen Kontext anwendet, ist mit aller Vehemenz darauf zu bestehen, was bereits an anderer Stelle festgehalten wurde (vgl. Urban 2022a, S. 18), hier aber nochmals den Denunzianten mit Robert Kurz gleichsam ins Stammbuch geschrieben sei: „Die angebliche Kritik des Antisemitismus wird so derart inflationiert und entwertet, daß sie ins Unernsthafte umschlägt und damit gerade das antisemitische Syndrom deckt.“ (Kurz 2003b, S. 41) An anderer Stelle heißt es im selben Heft nicht weniger treffend: „Der Antisemitismus-Verdacht ist zum Totschläger geworden, beliebig und allseitig anwendbar. Nicht Linderung oder gar Befreiung wird in Aussicht gestellt, nein, es geht um die Verunmöglichung konkreter Personen. Was umgekehrt übrigens nur heißen kann, im Zweifelsfall mit den Punzierten solidarisch zu sein.“ (Schandl 2003, S. 29)


Auch das Motiv für die „schäumende propagandistische Denunziation“ dürfte bei EXIT mehr oder weniger dasselbe sein, wie schon damals bei den Antideutschen, denen Robert Kurz Folgendes attestierte: „Unter dem Vorwand, es gehe um eine Auseinandersetzung mit der ‚verkürzten Kapitalismuskritik‘ der Anti-Globalisierungsbewegung, möchte man bei sorgfältigem Draußenhalten aller Störpotentiale von kritischer Analyse den sektiererischen Konsens von antideutschen ideologischen Kriegsherren und verschämten, duckmäuserischen Kriegsgegnern als ‚Koalition der Willigen‘ im Zeichen einer anachronistischen Interpretation der Weltlage proben.“ (Kurz 2003b, S. 38)

Bei EXIT war und ist der Vorwand natürlich weniger die Auseinandersetzung mit einer „verkürzten Kapitalismuskritik“ maßnahmenkritischer Bewegungen (eine solche gesteht man diesen nämlich vermutlich gar nicht erst zu – in manchen Fällen vielleicht sogar zu Recht), sondern eine Kritik an den Erscheinungen einer verwildernden bürgerlich-männlichen Subjektform, die vor allem unter Maßnahmenkritikern und „Querdenkern“ anzutreffen sein sollen (aber selbstverständlich nicht in den faschistoiden Gebärden des Corona-Mainstreams, die besonders in der Hetze gegen „Ungeimpfte“ zum Ausdruck kamen). Auch spielt(e) EXIT zu keiner Zeit die Rolle von „ideologischen Kriegsherren“, sondern eher die der Duckmäuser, die sich nolens volens der „Koalition der Solidarischen“ im „Krieg gegen das Virus“ angeschlossen haben, weil es nun einmal um die „Rettung von Menschenleben“ ging. Von solchen Details abgesehen, passt der Satz von Kurz aber wie die Faust aufs Auge, denn hinter der Denunziation der Maßnahmenkritiker verbirgt sich das „Draußenhalten aller Störpotentiale von kritischer Analyse“, und wohin dies führt, ist auch bei EXIT eine „anachronistische Interpretation der Weltlage“, die zwar nicht dieselbe Qualität hat wie bei den Antideutschen, die ja eine Krisentheorie nicht einmal kennen, aber deshalb nicht weniger anachronistisch ist, weil vor bestimmten Ausschnitten der neue Niveaus erreichenden Krisenrealität beharrlich die Augen verschlossen werden (die galoppierende Verwilderung, ja Faschisierung der linksliberalen Mitte, die hochgradige Dysfunktionalität und Irrationalität des „Pandemie-Managements“, der Zusammenhang des Corona-Maßnahmenregimes mit der kapitalistischen Krisen- und Notstandsverwaltung etc.). Umso mehr richtet man/frau die „denunziatorische Giftspritze beliebig gegen unliebsame krisentheoretische Reflexionen“ (ebd., S. 39).


Wenn daher Robert Kurz über die Restlinke als „nützliche Idioten“ der Antideutschen schreibt, dass, je mehr diese „von sich weist, mit jener antideutschen Moon-Sekte identifiziert zu werden, [es] desto deutlicher wird, daß ihr von eben dieser ein ideologisches Überich verpaßt worden ist wie dem Rekruten von der Kleiderkammer ein schlecht sitzender Stahlhelm“ (ebd., S. 38), dann sind auch hier die Rollen vertauscht, befindet sich EXIT eher in der Position der „nützlichen Idioten“, denen von der „Corona-Sekte“ des bürgerlichen Mainstreams ein „ideologisches Über-Ich“ übergestülpt worden ist – ein Über-Ich, das sie mittlerweile blinder gegenüber der Realität macht als den Corona-Mainstream selbst. Dort ist es z.B., wie gesagt, inzwischen aufgefallen und sauer aufgestoßen, dass die Pharmaindustrie historisch beispiellose Gewinne eingefahren hat (und dies noch dazu mit wenig wirksamen und nebenwirkungsreichen Produkten), während dergleichen im EXIT-Paralleluniversum immer noch als „Verschwörungstheorie“ gilt.


Kurz spricht mit Blick auf die antideutschen Denunziationen sogar von klinischem Verfolgungswahn: „Die Welt wird unter den eigenen deutschen Mief subsumiert, und so stellten sich ihnen die Millionen von Antikriegs- und Antiglobalisierungs-Demonstranten in New York und Washington (unter Beteiligung jüdischer Organisationen), in London und Madrid genauso wie in Berlin als lauter identische Manifestationen desselben faschistisch-antisemitischen ‚deutschen‘ Bewusstseins dar. Ein klarer Fall von klinischem Verfolgungswahn.“ (ebd., S. 39) Hier gibt es natürlich abermals grundlegende Unterschiede zwischen Antideutschen und EXIT zu berücksichtigen: Bei EXIT leidet man/frau nicht unter dem Zwang, Antisemitismus aus einem „deutschen“ Wesen abzuleiten bzw. darauf zu reduzieren. Aber lässt sich ihnen nicht dennoch ein ähnlicher Befund ausstellen, wenn man die Pauschalität bedenkt, mit der EXIT die Antisemitismus-Keule gegen maßnahmen- und „impfkritische“ Bewegungen aus dem Sack holt – Bewegungen, die ja ebenfalls einen transnationalen Charakter hatten, sich in vielen Staaten der Welt artikulierten und an denen im Übrigen ebenfalls zahlreiche jüdische Gruppen beteiligt waren? Zumal auch die Besinnungslosigkeit und Beliebigkeit, mit der EXIT dabei zu Werke geht, eine ähnlich paranoide Disposition verrät, wie sie der bürgerlichen Öffentlichkeit mit ihrer obsessiven Beschäftigung, um nicht zu sagen: Hysterie, im Zusammenhang mit „demokratiegefährdenden“ Verschwörungstheorien und einem (angeblich) allerorten zu identifizierenden Antisemitismus allemal eigen ist (dazu Schink 2023).


Es ist wohl kein Zufall, dass die Tendenz zur Denunziation bei EXIT im Zuge der Debatten mit der Zeit stetig zugenommen hat. Je mehr die EXIT-Gruppe aufgrund ihrer beharrlichen Diskussionsverweigerung und mangels einer sich an Inhalten abarbeitenden Analyse in der Debatte argumentativ an Boden verlor, desto mehr musste auf Denunziationen zurückgegriffen werden, um die Inkonsistenz und immanente Unlogik der eigenen Argumentation zu kaschieren. Deshalb kann man auch hier mit Worten von Robert Kurz sprechen: „Um die haarsträubenden logischen […] und sachlichen Fehler und Widersprüche ihrer ‚Argumentation‘ zu kaschieren, bauen [sie] eine Drohkulisse von ideologischen Identifikationsmustern auf, die sie unangreifbar machen sollen. Wer ihre lächerlichen Konstrukte widerlegt, gilt per se schon als ‚antiamerikanisch‘ und ‚antisemitisch‘“ (Kurz 2003b, S. 41) – zu ergänzen wären hier im Kontext der Corona-Debatte mit EXIT freilich noch die Schimpfworte „Verschwörungsideologe“, „Coronaleugner“ und „Querdenker“.[9]


Am Ende kann (und muss) man daher wohl auch EXIT, angesichts der Beharrlichkeit, mit der bestimmte Aspekte der heutigen Krisenrealität einfach negiert werden, dasselbe attestieren, was für den gesellschaftlichen Mainstream ohnehin in zunehmendem Maße gilt (vgl. Urban 2022b, 2023a & 2023b), aber auch Robert Kurz schon vor 20 Jahren über die Antideutschen schrieb: „Das tiefere Motiv dieses Wahns ist Realitätsverlust und Flucht aus der Wirklichkeit […]. (Kurz 2003b, S. 42)



***


Abschließend soll mit einem weiteren Vorsatz gebrochen werden. Bestand schon das feste Vorhaben, die jüngsten Angriffe der EXIT-Gruppe einfach zu ignorieren, so erschien eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit einschlägigen EXIT-Beiträgen zum Thema Corona erst recht als verlorene Liebesmüh – man/frau hat ja schon bisher jede inhaltliche Debatte gescheut wie der Teufel das Weihwasser und Argumente unsererseits nicht nur nicht zur Kenntnis genommen[10], sondern mit dem hinlänglich bekannten Stakkato von „Querdenker“- und „Verschwörungstheorie“-Denunziationen beantwortet. Gerade vor dem Hintergrund des im vorliegenden Beitrag nochmals aufgerollten und erörterten denunziatorischen Gebarens der EXIT-Redaktion, erweisen sich manche neuere EXIT-Publikationen aber als durchaus aufschlussreich und einer genaueren Betrachtung würdig. So etwa ein brasilianischer Beitrag im aktuellen EXIT-Heft von Fábio Pitta und Allan Silva über die „Pandemie“ in Brasilien (Pitta/Silva 2023). Es soll hier, wie gesagt, nicht darum gehen, den Beitrag inhaltlich mit Blick auf seine Beschreibung der „Pandemie“ vor dem Hintergrund zunehmender sozialer Verwilderungsprozesse in der finalen Kapitalismuskrise zu diskutieren (dies möchte ich mir schon aufgrund mangelnder Kenntnis der Verhältnisse in Brasilien nicht anmaßen). Es soll auch nicht in Abrede gestellt werden, dass Pitta und Silva einige Punkte ansprechen, die unabhängig von der konkreten Beurteilung der „Pandemie“ relevant und weitgehend konsensfähig sind, so etwa die jeder Beschreibung spottenden Arbeitsbedingungen in den Kühlhäusern der globalen Fleischindustrie oder der Einfluss ökologischer Zerstörung auf die potentielle Entstehung von Pandemien durch eine daraus resultierende Begünstigung von Zoonosen.[11] Interessant, angesichts der Diffamierungen, die EXIT gegen mich und andere wertkritische Kritiker der Corona-Politik vom Stapel lässt, ist der Beitrag aber vor allem dahingehend, welche Thesen er formuliert und wie er diese begründet. Pitta und Silva schreiben über die „Pandemie“ in Brasilien u.a. Folgendes:


„Der Covid-19-Pandemiekurs in Brasilien wurde grundlegend durch den Sozialdarwinismus des neuen Rechtsradikalismus […] bestimmt, der im Wesentlichen durch die Regierung Jair Bolsonaros (2019-2022) geprägt ist. Zwar hatte die ganze Welt enorme Schwierigkeiten, durch nicht-pharmakologische Interventionen, wie z. B. Maskenverwendung und soziale Distanzierung die Pandemie bzw. Todesfälle einzudämmen, diese wurden aber in Brasilien noch beschleunigt […] aufgrund der Umsetzung von Maßnahmen, die darauf abzielten, die Krankheit in der Bevölkerung zu verbreiten. Gestützt auf Relativierungs- und Verschwörungstheorien, die die Verschreibung schädlicher bzw. unwirksamer Behandlungen in Verbindung mit der Idee der ‚Herdenimmunität‘ forderten, haben Gouverneure zusammen mit Geschäftsleuten veritable Opferungszonen geschaffen, die vor allem die schwarze sowie die indigene Bevölkerung, dazu auch die in Randgebieten der Großstädte lebenden, von Frauen geführten armen Familien massiv belasteten […] – d. h. Menschen, die sich in einer für die Arbeitskrise kennzeichnenden Situation des sozialen Niedergangs befinden, die durch die aktuelle Pandemie noch verschärft wurde. Pedro Hallal, ein Epidemiologie-Forscher, schätzt, dass 400.000 der bereits knapp 700.000 Covid-19-Todesfälle in Brasilien hätten vermieden werden können […]. Sein Forschungsprojekt über die sozialen Auswirkungen von Covid-19 wurde von der brasilianischen Bunderegierung vorzeitig abgebrochen, während er diese demografischen Daten sammelte, welche später Deisy Ventura und ihre Kollegen dazu veranlasste[n], von ‚Genozid‘ zu sprechen […]. Die Umwandlung des Sozialdarwinismus in ein Krankheits- und Todesprotokoll erfolgte in Brasilien durch das sogenannte ‚Parallelkabinett‘ […], eine Gruppe von Ärzten und Geschäftsleuten, die dafür verantwortlich waren, Präventivbehandlungen auf der Basis von Ivermectin und Chloroquin bekannt zu machen und daneben die Verwendung von Impfstoffen zu delegitimieren bzw. ihre Einführung durch die Bundesregierung zu verhindern. Bewaffnet mit einem solchermaßen ‚effizienten‘ Arsenal, finden solche Ideologien in der brasilianischen Gesellschaft einen fruchtbaren Boden und lassen bei dem erfolglosen Versuch der Wiederaufnahme der Simulation der Kapitalakkumulation im tiefsten Herzen eine Verachtung des Lebens (der ‚Anderen‘) erkennen.“ (ebd., S. 84f.)


Wir nehmen an dieser Stelle die Grundprämisse dieser Ausführungen, gegen die allein sich schon eine Reihe begründeter Zweifel anmelden ließen (und in früheren Beiträgen auch materialreich angemeldet wurden), einfach unkommentiert hin: Pitta und Silva halten, wie EXIT insgesamt, Corona für jene außergewöhnlich gefährliche und tödliche Seuche, als die sie drei Jahre lang politisch und medial auf der Grundlage eines epidemiologisch fragwürdigen Massentestregimes, einer dubiosen Zählweise von „Corona-Fällen“ und „Corona-Toten“ sowie einer systematisch auf Angsterzeugung angelegten Kommunikation gezeichnet wurde. Auch über manche sprachliche Schnitzer sei großzügig hinweggesehen (was soll man sich z.B. unter einer Eindämmung von Todesfällen vorstellen?). Stattdessen konfrontieren wir das Gelesene mit der „Kritik“, die EXIT an uns übt.


Dabei können wir zunächst feststellen, dass Pitta und Silva mit wissenschaftlichem bzw. epidemiologischem Zahlenmaterial operieren, um die Gefährlichkeit des Coronavirus und die Schädlichkeit des brasilianischen „Pandemie-Managements“ zu belegen. Noch im Editorial desselben Hefts zeiht uns EXIT zum wiederholten Male eines „Statistik-Religionismus“ (EXIT 2023, S. 10), weil wir uns in unseren Analysen u.a. auf Statistiken beziehen – allerdings auf solche, die das Narrativ von der „Jahrhundertseuche“ in Frage stellen. Zulässig ist die Verwendung von Zahlen und Statistiken also offenbar dann – und nur dann –, wenn sie das gewünschte Ergebnis bringen und die eigene Perspektive stützen. Außer Betracht bleiben können dabei methodische Fragen und die Qualität des herangezogenen Datenmaterials: So handelt es sich bei den von Pitta und Silva zitierten Zahlen, wie sie auch selber schreiben, um eine „Schätzung“, von der wir wiederum nicht erfahren, worauf sich diese stützt. Sofern es sich dabei nicht überhaupt nur um die Meinung eines Epidemiologen, also bloß um „anekdotische Evidenz“ handelt, beruht die Schätzung sehr wahrscheinlich (abgesehen von den als Basis verwendeten Todesfallzahlen, deren Zählweise in Brasilien aber ähnlich dubios sein dürfte wie hierzulande) nicht auf empirischen Daten, sondern auf einer Modellrechnung. Zur Problematik und „Qualität“ der in den vergangenen drei Jahren herumgereichten und häufig als Grundlage für politische Entscheidungen herangezogenen Pandemie-Modellierungen haben wir uns, weil dies für die Beurteilung von entsprechenden Zahlen und Statistiken von Bedeutung ist, verschiedentlich geäußert (z.B. Urban/Uhnrast 2022b, S. 18). Im Paralleluniversum von EXIT gelten solche methodischen Erwägungen und Einwände aber – jedenfalls wenn diese Modellrechnungen und Statistiken betreffen, die die außergewöhnliche Gefährlichkeit von Corona „belegen“ – nicht als eine Selbstverständlichkeit und ein methodisches Erfordernis im Umgang mit statistischem Material, sondern schlicht als rechtsextreme „Querdenkerei“.


Dasselbe gilt, wenn wir, ähnlich wie zahlreiche andere Wissenschaftler und Kritiker der Corona-Maßnahmen, die Qualität der offiziellen Corona-Zahlen, die Art und Weise ihres Zustandekommens (Stichwort: „an oder mit Corona verstorben“), die vorsätzliche Unterlassung epidemiologischer Kohortenstudien zur seriösen wissenschaftlichen Beurteilung der pandemischen Lage oder gar – horribile dictu – das Hintertreiben einer systematischen Erfassung von Impfnebenwirkungen problematisieren. Alles „Verschwörungstheorie“! Wenn Pitta und Silva aber schreiben, dass ihrem epidemiologischen Gewährsmann durch die brasilianische Regierung die Weiterführung seiner Studien verunmöglicht wurde, dann wird daraus ein valides Argument dafür, dass die Regierung ein Interesse daran hat, die Schwere der „Pandemie“ zu vertuschen und womöglich noch wesentlich Schlimmeres im Schilde führt.


Pitta und Silva sprechen sodann auch einige Phänomene an, die man als „iatrogene Effekte“ bezeichnen könnte, also Schäden, die durch eine bestimmte medizinische Behandlung herbeigeführt werden. Sie beziehen sich dabei vor allem auf ein „Präventivprogramm“ eines „Parallelkabinetts“ von Medizinern und Geschäftsleuten, die die Verabreichung unwirksamer Medikamente wie Chloroquin und Ivermectin zur Vorbeugung gegen schwere Krankheitsverläufe propagiert und ansonsten eher – für die Autoren in fahrlässiger, ja sozialdarwinistischer Weise – auf eine Strategie der „Herdenimmunisierung“ gesetzt hätten. Die Verteufelung der „Herdenimmunität“ beruht freilich abermals auf der Annahme einer außerordentlichen Gefährlichkeit des Coronavirus, die eine konsequente Lockdown-Strategie zur Eindämmung der Seuche erfordert hätte – eine Annahme, an der es, wie gesagt, begründete Zweifel gibt, worüber sich EXIT aber bis dato zu diskutieren weigert. Wer heute noch, angesichts der durch Lockdowns verursachten massiven Schäden und mit dem vorliegenden, leicht recherchierbaren Wissen über die durchaus nicht so außergewöhnliche Pathogenität des Coronavirus, umstandslos die Position vertritt, Lockdowns wären die einzige und humanste Strategie zur Bewältigung der „Pandemie“ gewesen, dem/der muss ohnehin attestiert werden, die letzten Monate und Jahre unter einem Stein geschlafen zu haben. Selbst die Corona-Extremisten von Zero Covid sind schweigsam geworden und haben inzwischen ihre Internetpräsenz still und heimlich eingestellt.


Was an dieser Stelle jedoch von größerem Interesse ist: Gewiss gab es unter den Verfechtern der „Herdenimmunität“ manch dubiose Figuren und wahrscheinlich waren einige der von ihnen propagierten medizinischen Behandlungen von fraglichem Nutzen – wobei dies für Chloroquin wohl mehr gilt als für Ivermectin[12] –, aber das trifft auf das „Pandemie-Management“ der Staaten insgesamt zu. Im Rahmen der offiziellen Behandlungsprotokolle wurde beispielsweise mit Remdesivir speziell in westlichen Ländern ein Medikament massenhaft zur Behandlung von Corona eingesetzt, das ursprünglich für die Behandlung von Ebola entwickelt wurde, sich dafür aber als völlig unwirksam erwiesen hat und seither ein Dasein als Ladenhüter fristete (vgl. BUKO Pharma 2020). Auch Chloroquin bzw. Hydroxychloroquin, ursprünglich Medikamente gegen Malaria, wurden nicht nur in Brasilien, sondern auch hierzulande zeitweise gegen COVID-19 eingesetzt und haben sich dabei nicht nur als unwirksam, sondern auch als äußerst nebenwirkungsreich herausgestellt. Die vor allem in den ersten Monaten der „Pandemie“ geradezu besinnungslos angewendete künstliche Beatmung bei schweren Krankheitsverläufen hat nachweislich zu einer großen Zahl iatrogen bedingter Todesfälle geführt. Inzwischen liegen valide wissenschaftliche Schätzungen vor, wonach allein in Deutschland mindestens 20.000 Todesfälle auf die Praxis frühzeitiger künstlicher Beatmung zurückzuführen sind und nicht ursächlich auf COVID-19.[13] Für Lockdowns konnte zu keiner Zeit irgendein nennenswerter Nutzen zur Eindämmung von Infektionswellen, geschweige denn zur Verhinderung von Todesfällen nachgewiesen werden, dafür aber ein enormes, jeden potentiellen Nutzen weit übersteigendes Schadenspotenzial (vgl. Bendavid et al. 2021; Joffe 2021; Hoyer et al. 2021; Herby et al. 2022). Gar nicht erst zu reden von der Corona-Impfung, die auf einer unzureichend geprüften, neuen genetischen Impftechnologie beruht und trotz unübersehbarer Nebenwirkungen und Impfschäden sowie einer bescheidenen Wirksamkeit zeitweilig sogar zwangsweise zur Anwendung gebracht werden sollte (und de facto, wenn wir hier auch indirekte Zwangsmaßnahmen wie 2G und Co. sowie die in Deutschland bis Jahresende 2022 gültige „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ berücksichtigen, auch wurde). Gerade mit Blick auf die Impfung kann im Übrigen so ziemlich dasselbe behauptet werden, was Pitta und Silva dem medikamentösen Präventivprogramm des brasilianischen „Parallelkabinetts“ bescheinigen: Die neuen Impfstoffe wurden von Politik und Pharmaindustrie insbesondere unter Delegitimierung und Verhinderung wirksamer medikamentöser Behandlungsmöglichkeiten vorangetrieben. Nicht zuletzt der propagandistische Abwehrkampf gegen Ivermectin ist u.a. in diesem Zusammenhang zu sehen, da Ivermectin als ein bereits seit vielen Jahren eingesetztes und darüber hinaus billig verfügbares Medikament – anders als neu entwickelte mRNA-Impfstoffe – kaum Profit für die Pharmaunternehmen abzuwerfen verspricht und eine verfügbare medikamentöse Behandlung im Übrigen auch die bedingte Zulassung der neuen Impfstoffe gefährdet hätte (diese beruhte maßgeblich auf der Behauptung, dass es keine wirksame Behandlung gegen Corona gebe). Über die tatsächliche Wirksamkeit von Ivermectin in der Vorbeugung gegen bzw. Behandlung von COVID-19 ist damit freilich noch nichts ausgesagt. Während Pitta und Silva aber in ihrem Beitrag manche medizinischen Praktiken während der „Pandemie“ in Brasilien (zum Teil wahrscheinlich zu Recht) problematisieren dürfen, ohne dafür von der EXIT-Redaktion behelligt zu werden, gilt eine analoge Kritik, wenn sie das staatliche „Pandemie-Management“ als solches und die dafür zu Rate gezogenen medizinischen „Experten“ betrifft, als Querdenkertum, Verschwörungstheorie, ja Sozialdarwinismus.


All dies sind mustergültige Beispiele für sogenannte doppelte Standards – man kritisiert bei anderen, was man selber tut, bei einem selbst ist es hingegen etwas anderes. Ein solches Vorgehen ist entweder in hohem Maße unredlich oder aber verweist tatsächlich darauf, dass die EXIT-Gruppe unter einem schwerwiegenden Realitätsverlust leidet bzw. sich argumentativ in eine Sackgasse verlaufen hat, aus der sie nicht mehr hinausfindet und sich nur noch durch Denunziation von Kritikern zu helfen weiß. Es kommt aber sogar noch besser, denn der Beitrag von Pitta und Silva erweist sich – jedenfalls wenn man die Kriterien der EXIT-Redaktion anlegt – selbst als ausgesprochen „verschwörungstheoretisch“. Im Wesentlichen lautet ihre These, die sie in ihrem Beitrag entfalten, dass die brasilianische Regierung unter Bolsonaro gemeinsam mit einem dubiosen „Parallelkabinett“ aus Medizinern und Geschäftsleuten eine sozialdarwinistische Politik der Durchseuchung betrieben hätte mit der Absicht, die kapitalistisch „Überflüssigen“ dem Virus zu „opfern“, um so die brasilianische Wirtschaft offenhalten zu können. Sie sprechen dabei sogar – andere Autoren (offenbar zustimmend) zitierend – von „Genozid“. Selbst vor offenen Nazi-Vergleichen scheuen sie nicht zurück, wiederum unter Verwendung eines Zitats, in dem das „Parallelkabinett“ und seine Netzwerke als „nazistisch“ bezeichnet werden (Pitta/Silva 2023, S. 93). All dies sind Begriffe, bei denen die EXIT-Redaktion üblicherweise zu hyperventilieren beginnt, wenn sie von Kritikern der Corona-Politik oder der Impfung verwendet werden, weil sie damit (nicht zu Unrecht) den Tatbestand der Verharmlosung nationalsozialistischer und vergleichbarer Menschheitsverbrechen erfüllt sieht, weshalb umgehend alle Geschütze der Denunziation aufgefahren werden.


Die im Beitrag allem Anschein nach ganz bewusst hergestellten Assoziationen mit einem Genozid, in Verbindung mit der Behauptung eines von der brasilianischen Regierung in die Tat umgesetzten „Todesprotokolls“, legen dabei durchaus auch die Lesart nahe, dass Pitta und Silva die von ihnen behauptete „Opferung“ der „Überflüssigen“ nicht nur als ein sozialdarwinistisches Kalkül im ökonomischen Interesse auffassen[14], sondern darin womöglich sogar den eigentlichen Zweck der ganzen Veranstaltung sehen, die brasilianische „Durchseuchungspolitik“ also primär den Zweck erfüllte, die „überflüssigen“ Segmente der Bevölkerung zu dezimieren. Nun wäre eine solche These freilich per se keineswegs als völlig abwegig abzutun. Politikern vom Schlage eines Bolsonaro ist dergleichen durchaus zuzutrauen. Auch hat die Geschichte bereits hinlänglich gezeigt, dass sozialdarwinistische Ideologien zum Bösartigsten gehören, was die kapitalistische „Antizivilisation“ (R. Kurz) ausgebrütet hat. Gerade die Kolonisations- und Modernisierungsgeschichte Brasiliens (und Lateinamerikas insgesamt) ist reich an Belegen für genozidale Praktiken, u.a. in Gestalt einer gezielten Ansteckung der indigenen Bevölkerung mit gefährlichen Krankheitserregern (vgl. Prien 1975, S. 165).[15] Der Struktur nach stellte eine solche These aber kaum weniger eine „Verschwörungstheorie“ dar wie etwa die unter manchen Corona-Kritikern verbreitete Annahme, wonach es sich bei der Corona-Impfung angesichts der zahlreichen Impfschäden und der nicht auszuschließenden Auswirkungen auf die Fertilität[16] um ein quasi-genozidales Bevölkerungsreduktionsprogramm handle – eine Annahme, die zu Recht als „Verschwörungstheorie“ gilt und auch von uns stets als solche kritisiert wurde. Auch hinsichtlich ihrer Begründung unterschiede sich letztere nicht grundsätzlich von den Behauptungen Pittas und Silvas: Es geht demnach um ein durch die „Eliten“ ins Werk gesetztes Programm zur Bekämpfung der „Überbevölkerung“ und zur Beseitigung der „Überflüssigen“. Die Verfechter dieser „Verschwörungstheorie“ können sich dabei auf dieselben sozialdarwinistischen (und malthusianischen) Tendenzen stützen, wie sie auch darauf verweisen können, dass die Funktionseliten und die mit ihnen in diversen public-private partnerships verbündete oligarchische Philanthropen-Kaste sich seit vielen Jahren die Lösung des „Überbevölkerungs“-Problems auf die Fahnen geschrieben haben.[17] Diese „Verschwörungstheorie“ ist so gesehen nicht schon grundsätzlich abwegiger als die im aktuellen EXIT-Heft ausgebreiteten (oder zumindest angedeuteten) Thesen von Pitta und Silva, zumal selbst ein derart barbarisches Menschheitsverbrechen den kapitalistischen Funktionseliten – noch dazu unter den Bedingungen zunehmender Krisentendenzen und einer fortschreitenden zivilisatorischen Verwilderung – allemal zuzutrauen wäre und darüber hinaus die technologischen Möglichkeiten dazu zweifellos vorhanden wären.


Zutreffend sind wohl beide „Verschwörungstheorien“ nicht – jene von Pitta und Silva schon deshalb nicht, weil ein Virus mit einer mittlerweile durch unzählige Studien nachgewiesenen Infektionssterblichkeit im Bereich einer mittelschweren Influenza und einem durchschnittlichen Sterbealter von über 80 schlicht nicht dazu taugt, die Bevölkerung in einem signifikanten Ausmaß zu dezimieren, selbst wenn die brasilianische Corona-Politik von einem derartigen Kalkül geleitet gewesen sein sollte. Die Verfechter der These von der Corona-Impfung als Bevölkerungsreduktionsprogramm hätten hingegen eine überzeugende Antwort zu liefern auf die Frage, warum mit der Umsetzung des „Plans“ – wenn es denn einen solchen gibt – ausgerechnet im gewiss nicht unter „Überbevölkerung“, sondern nach eigener Wahrnehmung eher unter „Überalterung“ und dementsprechend einer tendenziell schrumpfenden Bevölkerung leidenden Westen begonnen wurde, wo daher auch die mit Abstand höchsten Impfquoten zu verzeichnen sind, während Kontinente wie Afrika von der Impfung weitgehend verschont geblieben sind.[18] Es ist, neben der kruden Personalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse und Tendenzen und einer entsprechenden, von gesellschaftstheoretischen Dimensionen weitestgehend bereinigten Fixierung auf „die Eliten“, insbesondere die Neigung, sich über solche Ungereimtheiten und logischen Inkonsistenzen hinwegzusetzen, die es rechtfertigt, derartige „Theorien“ als problematische „Verschwörungsideologien“ zu bezeichnen und zu kritisieren.


Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es geht an dieser Stelle mitnichten darum, EXIT quasi als Retourkutsche einen Hang zur „Verschwörungstheorie“ zu unterstellen. Die Umsetzung sozialdarwinistischer und neo-malthusianischer Ideologien in die Praxis – sei es durch den Staatsapparat, sei es in „verwilderten“ Formen einer in Auflösung befindlichen, sich barbarisierenden bürgerlichen Öffentlichkeit – als möglich zu erachten, ist nicht bereits per se eine „Verschwörungstheorie“ (und wenn, dann höchstens eine, die durch ihren Bezug auf mögliche gesellschaftliche Entwicklungen einen legitimen Anspruch auf kritische Erkenntnis geltend machen kann und sich insofern qualitativ von irrationalen „Verschwörungsideologien“ unterscheidet[19]). Es wäre eher umgekehrt in höchstem Grade naiv, dies kategorisch auszuschließen – zumal bei all den Gräueln, die sich das kapitalistische Patriarchat auf seinem bisherigen Blindflug durch die Geschichte bereits geleistet hat. Max Horkheimer hat es am Vorabend der Nazi-Herrschaft in Deutschland sehr treffend so ausgedrückt: „Gewiß ist nur eines: die Irrationalität der Gesellschaft hat einen Grad erreicht, in dem nur die dunkelsten Voraussagen wahrscheinlich sind.“ (Horkheimer 1995, S. 97) „Verschwörungstheorie“ oder gar „Verschwörungswahn“ ist dergleichen nur, wenn man den verqueren Maßstab anlegt, mit dem EXIT in der Corona-Debatte hantiert. Dann stellt sich aber die Frage, woher die EXIT-Gruppe die Chuzpe nimmt, andere und insbesondere die auf dieser Webseite versammelten krisentheoretischen Analysen zur Corona-Krise der „Verschwörungstheorie“ zu bezichtigen, denn dieser Vorwurf fällt angesichts von Beiträgen wie jenem von Pitta und Silva mit vollem, wenn nicht doppeltem Gewicht auf sie selbst zurück.


Das letzte Wort sei daher Robert Kurz überlassen, dessen in der Auseinandersetzung mit den Antideutschen formuliertes Motto abermals umstandslos auf den aktuellen Konflikt mit der EXIT-Gruppe angewendet werden kann: [D]enunziert die Denunzianten!“ (Kurz 2003b, S. 42)




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Trenkle, Norbert (2022a): Falsche Frontstellung. Gegen den Putinismus ist ein neuer Universalismus der Emanzipation gefragt, krisis.org


Trenkle, Norbert (2022b): Die autoritäre Offensive. Warum der Kampf gegen das Putin-Regime transnational sein muss, … aber sich nicht auf die „westlichen Werte“ berufen sollte, krisis.org


Urban, Andreas (2022a): Ein Gespenst geht um in der Wertkritik. Anmerkungen zur wert(abspaltungs)kritischen Corona-„Debatte“, wertKRITIK.org (zitiert nach der Druckversion)


Urban, Andreas (2022b): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westen im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 1: „Killervirus“ und „Mad Vlad“ – Die postmoderne Krisenwelt als Wille und Irrenhaus, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2023a): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westens im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 2: Systemische Lebensmüdigkeit – Die „Pandemie“ als krisenkapitalistische Abrissbirne, wertKRITIK.org


Urban, Andreas (2023b): Realitätsverlust und suizidale Drift. Der Abstieg des Westens im Viruswahn und „Krieg gegen Putin“. Teil 3: Systemische Lebensmüdigkeit – Mit wehenden Fahnen in den Dritten Weltkrieg, wertKRITIK.org


Urban, Andreas/von Uhnrast, F. Alexander (2022a): Corona als Krisensymptom? Thesen zu Ursachen und historischen Bedingungen eines globalen Nervenzusammenbruchs. Teil 1: Auf der Suche nach dem „Killervirus“, wertKRITIK.org


Urban, Andreas/von Uhnrast, F. Alexander (2022b): Corona als Krisensymptom? Thesen zu Ursachen und historischen Bedingungen eines globalen Nervenzusammenbruchs. Teil 2: Pandemischer Nervenzusammenbruch, wertKRITIK.org (zitiert nach der Druckversion)




Endnoten


[1] Ganze 30-mal kommt in dem relativ kurzen Text der Begriff „Querdenker“ in seinen diversesten Abwandlungen und Anwendungsformen vor („Querdenker“, „Querdenkertum“, „querdenkerisch“ etc.).


[2] Der mittlerweile erreichte Grad an Substanzlosigkeit der von EXIT besinnungslos eingesetzten Kategorie der „Verschwörungstheorie“ wird spätestens an der im selben Absatz zu findenden Aussage ersichtlich, wonach sogar die Behauptung, Corona sei nicht schlimmer als eine Grippe, als „verschwörungstheoretisch“ zu qualifizieren sei. Die konkrete Einschätzung der Gefährlichkeit einer Krankheit kann richtig oder falsch sein, sie vermag aber gewiss nicht den Tatbestand einer „Verschwörungstheorie“ zu erfüllen. Allenfalls ließe sich sagen, dass bestimmte Aussagen über eine Krankheit Bestandteil von Verschwörungstheorien sein können. Das ist aber gerade nicht, was EXIT im aktuellen Editorial behauptet. Die Evidenzlage über die Gefährlichkeit des Coronavirus (z.B. hinsichtlich Sterblichkeit) ist inzwischen ohnehin ziemlich eindeutig und weist darauf hin, dass es mitnichten Vertreter/innen der EXIT-Gruppe sind, die die Tatsachen auf ihrer Seite haben (siehe hierzu exemplarisch die Verweise in Urban/Uhnrast 2022a sowie Urban 2023a).


[3] Der Begriff „Globalisierungsleugner“ hat heute freilich, insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen der vergangenen drei Jahre, einen äußerst unangenehmen Beiklang. Es darf aber angenommen werden, dass es Kurz damals primär darum ging, Tendenzen innerhalb der Linken, die Globalisierung als neue Krisenqualität zu negieren, zu benennen, und der Begriff des „Leugners“ nicht, so wie heute im Mainstream wie auch bei EXIT, in erster Linie den Zweck der Denunziation erfüllte. Die zum Standardschimpfwort der Corona-„Pandemie“ avancierte Zuschreibung des „Coronaleugners“ stellt dabei offenkundig eine denunziatorische Assoziation mit dem antisemitisch konnotierten „Holocaustleugner“ her. Schon allein vor diesem Hintergrund hat Kurz’ Rede von „Globalisierungsleugnern“ sicherlich eine andere Qualität – und müsste heute dennoch wahrscheinlich anders formuliert werden.


[4] Wenngleich dies keineswegs Konsens innerhalb der EXIT-Gruppe zu sein scheint und es durchaus Beiträge gibt, die den westlichen Bellizismus ausdrücklich kritisieren und zu Recht unter dem Gesichtspunkt eines heute in der Tat mit Händen zu greifenden kapitalistischen „Todestriebs“ analysieren (z.B. Böttcher 2023). Auch Koniczs eigener, über weite Strecken gelungener Beitrag im aktuellen EXIT-Heft über die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs (Konicz 2023b) lässt darauf schließen, dass er es eigentlich besser weiß (wiewohl auch diesem Text deutlich anzumerken ist, dass Konicz sehr daran liegt, Russland als den Hauptschuldigen an diesem Stellvertreterkrieg zu zeichnen, und er mit Kritik am westlichen Bellizismus – zumindest im Vergleich zu seinen sonstigen Tiraden gegen Kriegsgegner – sehr zurückhaltend ist).


[5] So hat Roswitha Scholz in einem Interview aus dem Jahr 2017 folgendes über Kurz’ Kritik an den Antideutschen gesagt: „Ein Konfliktfeld in der Beziehung zwischen Kurz und mir war in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzung mit den sogenannten Antideutschen in der ersten Hälfte der 2000er Jahre. Kurz war sehr wütend über deren bellizistische Haltung und hat dann mit allen möglichen Zeitschriften gebrochen, in denen er bis dahin regelmäßig publiziert hatte. Zu den Antideutschen hat er dann ein ganzes Buch geschrieben; das wäre m.E. nicht nötig gewesen – zwei, drei grundsätzliche Artikel hierzu hätten m.E. genügt.“ (Scholz 2017)


[6] Bei Krisis, als Überbleibsel der Krisis-Spaltung im Jahr 2004, aus der auch EXIT hervorging, ist man in den letzten Jahren überhaupt auf die Verteidigung der westlichen Demokratie eingeschwenkt und gab sich nicht nur während der Corona-Krise – ähnlich wie EXIT – dem Kampf gegen Virus und Maßnahmenkritiker hin (vgl. Samol 2020; Galow-Bergemann 2021 & 2022), sondern betätigt sich auch im aktuellen Ukraine-Krieg offen als Kriegshetzer (vgl. Trenkle 2022a & 2022b; Galow-Bergemann 2023). Das angesprochene „antideutsche Syndrom“ gilt im Hinblick auf „Rest-Krisis“ so gesehen nicht nur partiell, sondern vielleicht sogar vollinhaltlich. Die Speerspitze dieser Entwicklung bei Krisis bildet Lothar Galow-Bergemann, der sich schon vor Jahren an einer Differenzierung von Demokratie und Volksherrschaft delektierte – erstere westlich und „gut“, weil potentiell emanzipatorisch, zweitere (proto)faschistisch und „böse“ (vgl. Galow-Bergemann 2018). Auf „Rest-Krisis“ treffen die folgenden Ausführungen auch deshalb fast noch mehr zu als auf EXIT und wiegen insofern noch schwerer, als manche der zitierten Texte über die denunziatorische Methode der Antideutschen aus der Feder heutiger Krisis-Autoren stammen (z.B. Norbert Trenkle und Ernst Lohoff).


[7] Reiches Anschauungsmaterial über die Funktion und die Mechanismen der denunziatorischen Assoziation liefert im Corona-Kontext auch und gerade der mediale Diskurs über Maßnahmenkritiker und Corona-Demonstrationen (vgl. Rosner 2023).


[8] Ein augenfälliger Unterschied zwischen früheren Antiglobalisierungs- und Friedensbewegungen und heutigen Protestbewegungen im Zusammenhang mit Corona und Ukraine-Krieg besteht insbesondere in ihrer altersmäßigen Zusammensetzung. Letztere bestehen keineswegs mehr primär aus „sehr jungen Leuten“, sondern sind überaus durchmischt, mit einer Tendenz zu Angehörigen mittlerer und höherer Lebensalter. Die junge Generation – und hier vor allem jene aus den linksliberalen Milieus der Mittelschicht – war und ist überwiegend auf Seiten des „Corona-Mainstreams“ und der besinnungslosen „Ukraine-Solidarität“ zu finden. Gültig ist Kurz’ Diagnose vom „sehr jungen“ Alter der Protestierenden heute am ehesten noch für die Klimaproteste, aktivistische Erscheinungsformen im Kontext postmoderner Identitätspolitiken (z.B. LGBTQ) sowie im Rahmen eines verwahrlosten „Antifaschismus“ im Stile der Antifa. Der zunehmende, sich häufig noch im Protest und den konkreten Formen der Kritik artikulierende Konformismus der jüngeren Generation stellt, wie gerade die vergangenen drei Jahre gezeigt haben, ein wesentliches Teilmoment im auf neue Tiefpunkte fortgeschrittenen Verfall der Linken dar.


[9] Der „Querdenker“ scheint sich bei EXIT inzwischen überhaupt zu einer krisenhaften Verfallsform des bürgerlichen Subjekts sui generis verselbständigt zu haben und steht quasi auf einer Ebene mit und neben dem „Verschwörungstheoretiker“ und dem „Antisemiten“. So etwa bei Herbert Böttcher, der in seinem Beitrag über „Weltvernichtung als Selbstvernichtung“ im aktuellen EXIT-Heft (an sich zutreffend) betont, dass die Tatsache des Unterworfenseins der Subjekte unter die kapitalistische Fetischvergesellschaftung diese nicht von der Verantwortung für ihr Handeln entbindet. Die Menschen, so schließt er seinen Gedankengang ab, „‚müssen‘ nicht zu Verteidiger/-innen der herrschenden Normalität, zu Querdenkern, Antisemiten, ‚Barbaren‘ etc. werden“ (Böttcher 2023, S. 183).


[10] Zuweilen drängten sich Zweifel auf, ob unsere Texte von der EXIT-Redaktion überhaupt gelesen wurden. Beispielsweise findet sich im aktuellen EXIT-Editorial eine Erwiderung auf die in meiner Aufarbeitung der wert-abspaltungskritischen Corona-Debatte geäußerte Kritik an moralisierenden Tendenzen in der Reaktion auf unsere Corona-Thesenpapiere. Dagegen wird, mit Verweis auf entsprechende Quellen, eingewendet, der Autor würde „geflissentlich übersehen“, dass man/frau bei EXIT „gegenüber Moral und Ethik mehr als skeptisch“ sei (EXIT 2023, S. 11). Wer im inkriminierten Text an entsprechender Stelle nachschlägt, kann dort freilich folgendes lesen: „Die Abwehr und das systematische Unterbinden von Kritik durch Moralisierung ist […] wenig überraschend im Hinblick auf den allgemeinen, öffentlich-medialen Corona-Diskurs, ist aber umso bemerkenswerter in wert(abspaltungs)kritischen Theorie- und Diskussionszusammenhängen. Besonders erstaunlich dabei […] ist, dass sich EXIT u.a. kritisch (und durchaus zu Recht) an dem seit Beginn der Pandemie wieder besonders lauten und penetranten ‚Ethikgesumse‘ (Roswitha Scholz) abgearbeitet hat; freilich unter besonderer Berücksichtigung der ‚Coronaleugner‘ und Maßnahmengegner, die nun plötzlich in der Corona-Krise die ‚Unmoral‘ der kapitalistischen ‚Antizivilisation‘ und des sie verwaltenden Staates beklagen, für die sich die meisten von ihnen davor so herzlich wenig interessiert haben […]. Man kann EXIT also kaum vorwerfen, sich des Problems von Moral und Ethik und deren Untauglichkeit als Maßstab von Kritik nicht bewusst zu sein. Aber so, wie bereits über den gesamten Zeitraum der Corona-Krise hinweg die ganze Aufmerksamkeit auf ‚Querdenker‘, ‚Verschwörungsideologen‘ und ‚rechtsextreme‘ Maßnahmengegner gerichtet wurde, während man/frau sich zugleich blind und gleichgültig gegenüber den Verwilderungstendenzen im ‚Corona-Mainstream‘ verhalten und im Grunde sogar die Regierungen mit ihren Corona-Maßnahmen vor Kritik in Schutz genommen hat, so wird an dieser Stelle die zum ‚Ethikgesumse‘ von Maßnahmengegnern im Grunde ja nur komplementäre ‚falsche Menschelei‘ übersehen, die dekretiert, ‚das Retten von Menschenleben‘ sei (für den Staat, seine Institutionen etc.) ‚immer das Wichtigste‘.“ (Urban 2022a, S. 25f.) Die Frage, wer hier etwas „geflissentlich übersieht“, sollte sich damit eigentlich erübrigen. Offen bleibt lediglich, ob es sich dabei um eine bewusste und damit unredliche Auslassung handelt oder ob bei EXIT inzwischen selbst die Kompetenz zum sinnerfassenden Lesen nicht mehr vorausgesetzt werden kann.

[11] Wiewohl es bezeichnend, aber durchaus symptomatisch für die gesamte Corona-Diskussion mit EXIT ist, dass Pitta und Silva es fertigbringen, zwar die durch fortschreitende ökologische Zerstörung erhöhte Gefahr von Pandemien zu Recht in den Kontext der zunehmend (auto)destruktiven Naturbeherrschungsrationalität der kapitalistischen Moderne zu stellen, nicht jedoch die mit Corona einen neuen Höhepunkt erreichende Virenparanoia, die in den vergangenen drei Jahren in einem absurden „Krieg“ gegen ein grippeähnliches Atemwegsvirus gipfelte, das mit gleichermaßen destruktiven wie dysfunktionalen „Maßnahmen“ und unter massenhaftem Einsatz neuartiger, unzureichend erprobter Impfstoffe auf gentechnologischer Basis eingedämmt oder überhaupt eradiziert werden sollte – Maßnahmen, die von Pitta und Silva wiederum selbst vehement verfochten und de facto als alternativlos ausgegeben werden (wer daran angesichts der massiven Schäden sowohl der staatlichen Eindämmungsmaßnahmen als auch der Impfung zweifelt, ist ganz nach der bei EXIT vorherrschenden Doktrin ein „Rechtsextremer“ und „Sozialdarwinist“). Die in zahlreichen Laboren der Welt betriebene, häufig auch in Zusammenhang mit Biowaffenprogrammen stehende Zauberlehrlingsforschung an Viren (Stichwort: Gain-of-Function-Forschung), die als mögliche Herkunft von SARS-CoV-2 noch keineswegs vom Tisch ist und ebenfalls ein und derselben, zunehmend autodestruktive Formen annehmenden modernen Naturbeherrschungsrationalität entspringt, ist im Beitrag von Pitta und Silva ohnehin anathema und wird mit wenigen Sätzen und unter Verweis auf eine einzige, noch dazu höchst fragwürdige Quelle als irrelevant abgetan (vgl. Pitta/Silva 2023, S. 82). Zum möglichen, wenn nicht sogar wahrscheinlichen Laborursprung von SARS-CoV-2 vgl. Lichtaus 2023. Dieser Beitrag führt im Übrigen auch aus, weshalb die von Pitta und Silva als „Beleg“ für die Zoonose-Theorie zitierte Quelle – es handelt sich dabei um den 2020 in der Zeitschrift Nature Medicine erschienenen Artikel „The proximal origin of SARS-CoV-2“ – als fragwürdig einzustufen ist. Mittlerweile distanzieren sich sogar Mitautoren von jenem Artikel („Influential Covid origin paper which dismissed China lab leak as conspiracy theory went 'too far', claims one of the researchers“, dailymail.co.uk, 13.6.2023).


[12] Die Evidenz- und Studienlage zu Ivermectin ist bei weitem nicht so eindeutig, wie Pitta und Silva sie in ihrem Beitrag darstellen. Immerhin gibt es neben Brasilien noch zahlreiche andere Länder, die vorbeugend Ivermectin eingesetzt haben und von großen Erfolgen in der Praxis berichten (z.B. Indien). Hierzu liegen auch einige Studien vor von allerdings unterschiedlicher und zum Teil in der Tat schlechter Qualität. Korrekt wäre somit die Feststellung, dass es bislang wenig wissenschaftlich gesicherte Evidenz für die Wirksamkeit (aber auch für die Unwirksamkeit) von Ivermectin gibt. Es ist hier weder der Platz noch der Ort, um ausführlicher darauf einzugehen, zumal es für den Gegenstand des vorliegenden Beitrags auch unerheblich ist. Wie es um die Glaubwürdigkeit von Autoren bestellt ist, die zwar die schlechte Qualität von Ivermectin-Studien kritisieren, wofür es, wie gesagt, in einigen Fällen gute Gründe gibt, jedoch kein Wort verlieren über die nicht minder mangelhaften Zulassungsstudien der neuen mRNA- und Vektor-Impfstoffe, deren Einsatz sie bedingungslos affirmieren, darf allerdings fraglich erscheinen.


[13] „Corona-Aufarbeitung: ‚In Deutschland wird zu häufig künstlich beatmet‘“, welt.de, 5.5.2023

Die Schätzung beruht auf einem Vergleich der Sterblichkeit von Patienten mit invasiver Beatmung, welche die Studienautoren auf Basis empirischer Daten bei rund 50 Prozent veranschlagen, mit jener von Patienten ohne invasive Beatmung, die im Schnitt und bei vergleichbarer Krankheitsschwere nur rund 10 Prozent betragen habe.


[14] Schon allein diese These sollte in der EXIT-Redaktion bei stringenter Auslegung ihrer eigenen Verschwörungstheorie-Definition eigentlich sämtliche Alarmglocken schrillen lassen. Denn uns wirft man/frau vor, wir würden dem Staat bzw. den Funktionseliten ein „Kalkül“ und ein „Interesse“ unterstellen, und begründet eben damit unsere Subsumtion unter die „Verschwörungstheoretiker“ (vgl. Urban 2022a, S. 20ff.). Was beschreibt aber die „Opferung“ bestimmter Bevölkerungsgruppen im Interesse der „Wiederaufnahme der Simulation der Kapitalakkumulation“ (Pitta/Silva) anderes, als ein politökonomisches „Kalkül“?


[15] Entsprechendes wird auch von Claude Lévy-Strauss in seinem Buch Traurige Tropen beschrieben (vgl. Lévy-Strauss 1978). Auch aus der Geschichte der USA und ihrer Besiedlung ist dergleichen bekannt, etwa Versuche, Indianerstämme mithilfe von pockenverseuchten Bettdecken zu infizieren und auszurotten („Mit B-Waffen wollten Briten die Indianer vernichten“, welt.de, 1.3.2017)

[16] So wird von diesen etwa auch der seit einiger Zeit deutlich zu verzeichnende Rückgang der Geburtenrate in zahlreichen westlichen Ländern auf die Impfung zurückgeführt.


[17] „Billionaire club in bid to curb overpopulation“, thetimes.co.uk, 24.5.2009

[18] Die Hartgesottensten würden darauf vielleicht mit einer anderen, noch abstruseren Verschwörungstheorie antworten, etwa der besonders unter Rechten ihr Unwesen treibenden „Theorie“ vom „Bevölkerungsaustausch“, wonach die westlich-weiße Bevölkerung mittels Massenmigration sukzessive durch Menschen aus der kapitalistischen Peripherie ersetzt werden soll. Oder mit der in manchen Segmenten der impfkritischen Bewegung virulenten „Verschwörungstheorie“, der zufolge der US-amerikanische „deep state“ von China gekauft sei und mit der zwangsweise verordneten Impfung von „Systemerhaltern“ in Militär, Polizei, Academia etc. das Land quasi absichtlich „kampfunfähig“ gemacht werden sollte.


[19] Für die an dieser Stelle nicht ausführlich zu erörternde Unterscheidung zwischen „luziden“, d.h. auf kritische Erkenntnis ausgerichteten, und „diskursverengenden“, oftmals auch irrationalen „Verschwörungstheorien“ vgl. Schink 2020, insbesondere S. 154. Der EXIT-Gruppe sei die Lektüre schon deshalb empfohlen, um dem von ihr besinnungslos verwendeten Verschwörungstheorie-Begriff wieder ein Mindestmaß an Substanz zu verleihen. Seine Substanzlosigkeit hat aber sehr wahrscheinlich System und ist nachgerade notwendig, da er sich nur so für den bevorzugten Zweck der Denunziation eignet.