Andreas Urban & F. Alexander von Uhnrast
Geldtheorie mit Januskopf
Anmerkungen zu Eske Bockelmanns „Das Geld“
Rezensionsessay zu:
Eske Bockelmann: Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht. Berlin, Matthes & Seitz, 2020
Zuerst erschienen im April 2022 in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 19, S. 218-252
In der Regel lassen sich Bücher, insbesondere solche aus dem gesellschaftstheoretischen Segment, einigermaßen zureichend nach dem Schema „gut“ oder „schlecht“ beurteilen. Eine Arbeit, die einen nachvollziehbaren und in sich stimmigen theoretischen Ansatz vertritt und diesen auch angemessen auf gesellschaftliche Phänomene zu beziehen vermag, würden wir im Allgemeinen als eine gute Arbeit bezeichnen. Ein Buch, das an dieser Aufgabe scheitert, lässt sich hingegen als schlecht, vielleicht sogar als ideologieverdächtig qualifizieren. Allenfalls kann es vorkommen, dass ein Buch einen interessanten Ansatz wählt, diesen aber nicht hinreichend mit dem Gegenstand zu vermitteln vermag, oder, umgekehrt, zwar theoretisch fragwürdig ist, aber immerhin einige interessante phänomenologische Befunde anzubieten hat. Hingegen kommt es nur sehr selten vor, dass ein Buch zur Hälfte brillant, zur anderen Hälfte eher enttäuschend, zuweilen sogar ärgerlich ist. Ein Buch aus dieser Kategorie ist Eske Bockelmanns neuestes Buch über „das Geld“.
Bockelmann ist in wert-abspaltungskritischen Kontexten vor allem bekannt für sein erstmals im Jahr 2004 erschienenes Buch Im Takt des Geldes (Bockelmann 2012), das im Wesentlichen als Beitrag zu dem zuerst von Alfred Sohn-Rethel in den Fokus gerückten Zusammenhang von „Warenform und Denkform“ (Sohn-Rethel 1978) verstanden werden kann – eine Fragestellung, der bekanntlich auch seitens der Wert-Abspaltungs-Kritik verschiedentlich nachgegangen wurde (vgl. Ortlieb 1998; Bareuther 2014; zu Sohn-Rethel vgl. auch Meyer 2020). Zu nennen ist hier auch Bockelmanns Aufsatz Die Synthesis am Geld in exit! Nr. 5, in der er seine zentralen Thesen aus Im Takt des Geldes nochmals zusammenfasste und zur Diskussion stellte (Bockelmann 2008). Sein neuestes Werk Das Geld – Was es ist, das uns beherrscht (Bockelmann 2020) stellt in dieser Hinsicht eine konsequente Fortführung seiner bisherigen Arbeiten dar. Bockelmann erhebt damit keinen geringeren Anspruch als den einer umfassenden und systematischen Erklärung des Geldes als eines historisch-spezifischen Phänomens der Neuzeit bzw. der kapitalistischen Gesellschaft. In gewohnt prätentiöser Art[1] kündigt der Autor bereits in der Einleitung an, letztgültig zu erklären, wie es zum Geld kam und „was Geld ist. Hier sei es endlich dargelegt. Hier wird dieses Rätsel gelöst […]“ (S. 13).[2]
Dabei gibt es einige Parallelen und Überschneidungen zu wert-abspaltungskritischen Positionen, insbesondere im ersten Teil des Buches, in dem es Bockelmann um eine Historisierung und Deontologisierung des Geldes geht. Er weist dabei sehr eindrucksvoll anhand von vielfältigem historisch-ethnographischem Material nach, dass es Geld erst seit der Neuzeit gibt und dass es sich bei der heute weit verbreiteten Annahme, Geld habe schon in vormodernen Sozietäten existiert, um eine historisch unzulässige Projektion moderner Kategorien in die Vergangenheit handelt. Bockelmanns historische Analyse gehört in dieser Hinsicht zum Systematischsten und Prägnantesten, das es zu diesem Problemkomplex und mit Blick auf eine kritische Geschichte des Geldes bislang gibt – umfassender und systematischer etwa als die ähnlich motivierten Versuche von Robert Kurz in Geld ohne Wert (Kurz 2012).[3] Er vermag damit auch zur wert-abspaltungskritischen Diskussion um Geschichte als „Geschichte von Fetischverhältnissen“ (Kurz 2006a, 2006b, 2007, 2012) beizutragen, die in den letzten Jahren immer wieder auch innerhalb der exit!-Gruppe von teilweise recht heftigen Kontroversen geprägt war (zuletzt etwa im Zusammenhang mit Richard Aabromeits Versuch über die Geschichte des Geldes in exit! Nr. 14, vgl. die Kritik von Meyer 2019 und Luschach 2019 hierzu). Hier gibt es unseres Erachtens in Bockelmanns Buch zahlreiche Aspekte und historische Befunde, die zur Weiterentwicklung der wert-abspaltungskritischen Geschichtstheorie beizutragen vermögen und es unbedingt verdienen, zur Kenntnis genommen zu werden.
Auf der anderen Seite gibt es auch erhebliche Differenzen sowie problematische Aspekte, die kritisch zu betrachten sind. Dies betrifft vor allem die zweite Hälfte von Bockelmanns Buch. Ist seine Auseinandersetzung mit vormodernen Zahlungsmitteln (von „Geld“ lässt sich laut Bockelmann, analog etwa zur Kategorie „Arbeit“, in der Vormoderne noch gar nicht sprechen) über weite Strecken hochinteressant und eingängig formuliert, erweisen sich seine theoretischen Erklärungsversuche des Geldes (im modernen Sinne) als enttäuschend und unzulänglich. Seine Darstellungen laufen hier auf eine zirkulationsideologische Theorie hinaus, die Geld tendenziell auf ein Medium für Akte des Kaufens und Verkaufens und damit auf Marktprozesse reduziert. Hingegen gibt es keinen systematischen Bezug zur Ebene der Produktion und der abstrakten Arbeit. Dadurch wird gerade der Charakter des Kapitalismus als einer spezifischen Produktionsweise unterschlagen. Dies hat wiederum Konsequenzen für die theoretische Bestimmung des Mehrwerts und des daraus resultierenden Wachstumszwangs des Kapitalismus – bei Bockelmann geradezu banal eine bloße Folge der Notwendigkeit, Waren teurer zu verkaufen, als sie eingekauft wurden. Gekappt ist damit von vornherein nicht nur jede Verbindung zur Mehrarbeit als Grundlage jeder Mehrwertproduktion und zur Arbeit als Wertsubstanz – ein Aspekt der Marx’schen Theorie, den Bockelmann daher auch folgerichtig und ganz explizit verwirft –, sondern dies verleitet Bockelmann letztlich auch zur theoretisch problematischen und im Grunde identitätslogischen Gleichsetzung von Geld und Wert.
Generell zeichnet sich Bockelmanns Buch durch einen äußerst fragwürdigen und teilweise auch unredlichen Umgang mit anderer Literatur aus, vor allem aber mit Marx, den er offenbar nicht – im Sinne eines „doppelten“, d.h. „esoterischen“ und „exoterischen“ Marx (dazu Kurz 1995) – in seinen traditionell „arbeiterbewegungsmarxistischen“ und „fetischkritischen“ Anteilen auseinanderzuhalten vermag bzw. letztere mit ersteren konfundiert. Die Wert-(Abspaltungs)kritik kommt bei Bockelmann folgerichtig gar nicht erst vor oder wird implizit mit orthodoxen Marxismen, die er (durchaus zu Recht) abwatscht, über den selben Leisten geschlagen. Umso ärgerlicher ist es an manchen Stellen für den/die Leser/-in mitverfolgen zu müssen, wie er sich gleichsam als intellektueller Einzelkämpfer produziert, der endlich dazu antritt, uns das Geld und damit die Welt zu erklären.
All das schmälert nicht die Leistung, die Bockelmann im ersten Teil mit seiner ausgezeichneten Historisierung des Geldes erbringt. Auch sollte darauf hingewiesen werden, dass im problematischen zweiten Teil nicht alles falsch und in Bausch und Bogen zu verwerfen ist. Im Gegenteil: Gerade wenn man die zirkulationsideologischen Verkürzungen von Bockelmanns Geldtheorie bedenkt und in Rechnung stellt, ist anzuerkennen, dass ihn sein Ansatz erstaunlich weit trägt und er insgesamt zu kapitalismuskritischen Einsichten gelangt, die in vielerlei Hinsicht anschlussfähig sind an wert-abspaltungskritische Positionen, etwa hinsichtlich der zahlreichen destruktiven Potenziale und Folgen der kapitalistischen Geldwirtschaft. Auch lässt Bockelmann keinen Zweifel daran, dass eine Veränderung zum Besseren zwingend die Abschaffung des Geldes und damit des Kapitalismus insgesamt voraussetzt. Mehr oder weniger explizit schließt das bei Bockelmann auch die Abschaffung der Lohnarbeit mit ein. Das ist also um Längen weiter, als es die meisten „kapitalismuskritischen“ Ansätze in der akademischen und außerakademischen Linken bringen. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass der Anspruch, mit dem Bockelmann antritt, aufgrund diverser theoretischer und auch historischer Verkürzungen nur unzureichend eingelöst wird – nämlich eine gesellschaftstheoretische Bestimmung des Geldes und damit auch eine hinreichende Antwort auf die von ihm im Untertitel seines Buches aufgeworfene Frage, „was es ist, das uns beherrscht“.
1. Berichte aus einer Welt ohne Geld
Wir beginnen die eingehendere Diskussion des Buches mit Bockelmanns Auseinandersetzung mit vormodernen Kulturen und Gemeinwesen. Wie gesagt, verficht und untermauert er die auch seitens der Wert-Abspaltungs-Kritik vertretene These, dass die Geldwirtschaft spezifisch für moderne, kapitalistische Verhältnisse sei und „Geld“ daher keine für vormoderne Verhältnisse gültige Kategorie darstellt. Er wendet sich damit ausdrücklich gegen die nicht nur in der Geschichtswissenschaft verbreitete Praxis, vormoderne Epochen wie das Mittelalter oder die Antike mit modernen bzw. marktwirtschaftlichen Begrifflichkeiten zu beschreiben[4], aber auch gegen Versuche, die historische Entstehung des Geldes aus (angeblichen) vormodernen Vor- oder Frühformen des Geldes abzuleiten.[5] Gegen solche Versuche wendet er ein, dass Geld erst unter gesellschaftlichen und historischen Bedingungen entsteht, unter denen sich die materielle Reproduktion eines Gemeinwesens wesentlich durch Akte des Kaufens und Verkaufens herstellt, die wiederum durch ein einziges Tauschmittel, gewissermaßen ein allgemeines Äquivalent, vermittelt sind – eine Situation, die ausschließlich für kapitalistische Gesellschaften gültig ist:
„Das Aufkommen von Geld ist historisch bedingt durch das Abhängig-Werden ganzer Gemeinwesen davon, dass ihre Einwohner voneinander kaufen und einander verkaufen können, was sie kontinuierlich zum Leben brauchen. Es vollzieht sich also ein Umsturz in der Art und Weise, wie Menschen aufeinander angewiesen sind: Es wird zu einer gesellschaftlichen Notwendigkeit, dass alle in kontinuierlich fortgesetzten Käufen für ein Tauschmittel erhalten, was sie brauchen, und in kontinuierlich fortgesetzten Verkäufen ebendieses Tauschmittel erhalten, das sie dafür brauchen. Für eine ganze Gesellschaft wird es damit zur lebensbestimmenden Notwendigkeit, ein Tauschmittel fortgesetzt und kontinuierlich aus Verkäufen hervor- und in Käufe eingehen zu lassen. Das Tauschmittel innerhalb dieses spezifischen gesellschaftlichen Zusammenhangs, dieses in sich veränderte Tauschmittel – ist Geld.“ (S. 196f.)
Eine solche Form der geldvermittelten gesellschaftlichen Reproduktion bildete sich in vorkapitalistischen Gemeinwesen schon deshalb über Jahrtausende nicht heraus, da diese überwiegend auf einer agrarischen Subsistenzwirtschaft beruhten und daher nur in Ausnahmefällen einen Gütertausch vorsahen, etwa dann, wenn es sich um Dinge handelte, die in einem Oikos oder einer Region nicht selbst hergestellt werden konnten. Auch kamen Münzen (die moderne Zeitgenossen für gewöhnlich schon reflexhaft als „Geld“ identifizieren) beim Tausch ebenfalls vergleichsweise selten als Tauschmittel zum Einsatz, es überwog der Tausch von Gütern gegen andere Güter, und selbst dieser blieb in der Regel auf einen kleinen, lokale Subsistenzwirtschaften ergänzenden Bedarf beschränkt.
Den marginalen Status von Akten des Kaufens und Verkaufens in vormodernen Kulturen verdeutlicht Bockelmann u.a. daran, dass es in frühen Hochkulturen wie in Mesopotamien oder im antiken Griechenland (entgegen den Behauptungen vieler Althistoriker/-innen, die schon für die Antike von der Existenz von „Märkten“ sprechen) in der Regel nicht einmal Marktplätze gab:
„Das Märchen vom ständig feilschenden Orientalen, der sich am liebsten auf Marktplätzen herumtreibt, ist ein hübsches Märchen, aber es ist ein Märchen. […] [D]ie meiste Zeit verfügt keine Stadt, egal, in welchem Land, über Markt oder Marktplatz. In der griechischen Welt ist es Athen, das einmal dazu übergeht, auf einem festen Versammlungsplatz, der Agora, auch Märkte abzuhalten. […] Und selbst auf der athenischen Agora geht es zu, wie es auf solch frühen Märkten eben zugeht. Ein paar Bauern und Handwerker verkaufen an ein hauptsächlich niedriges Publikum Waren für den täglichen Bedarf – für einen nur geringen Bedarf und mittels der bekannt ‚geringfügigen Transaktionen‘. Die Begüterten kaufen dort nicht oder allenfalls ergänzend ein, sie haben ihre Ländereien und Sklaven.“ (S. 108f.)
Instruktiv ist in dem Zusammenhang auch Bockelmanns Übersetzung des griechischen Wortes kapēlos:
„Das ist im Deutschen, mit einem schönen, wenn auch veralteten Wort ausgedrückt, der Höker, der Händler mit Kraxe, Karren oder rasch aufgeschlagenem Verkaufsgestell, auf jeden Fall der Zwischenhändler und Händler im Kleinen. Er bietet in der Regel nicht eigene Erzeugnisse feil, sondern verhökert in bescheidenem Umfang Dinge, die er seinerseits gekauft hat. Kapēloi, das genau sind jene Gestalten, die sich im alten Mesopotamien [in Ermangelung anderer dafür geeigneter Orte wie Marktplätze] an Straßen, Stadttoren und im Hafenviertel herumdrücken. Und sie tun es eben nicht nur in Mesopotamien, sondern auch in der griechischen Welt und darüber hinaus. […] Die kapēloi, sie tatsächlich zeigen das verschwindend geringe Normalmaß, das Kauf und Verkauf in einem antiken Gemeinwesen haben und in jedem geldfern wirtschaftenden Reich.“ (S. 110)
Wohl gab es also schon in der Antike Akte des Kaufens und Verkaufens (verstanden als Austausch von Münzen gegen Güter) und ebenso gab es bereits Menschen, die mit verschiedenen Dingen „Handel“ trieben – dieser Handel, diese Käufe und Verkäufe waren aber quantitativ und qualitativ randständige Phänomene, die die antiken Sozietäten in ihren materiellen Reproduktionsformen keinesfalls bestimmten. So macht sich Bockelmann auch mit angemessener Polemik über die unter Althistoriker/-innen virulenten Behauptungen lustig, die Griechen hätten bereits intensiv „Fernhandel“ betrieben, es hätte bereits so etwas wie ein „Weltmarkt“ und somit eine florierende Geldwirtschaft existiert:
„[W]enn sich solche Leute [Bockelmann spricht hier abermals von den kapēloi] zum Beispiel von Athen aus aufmachen, um ihre Geschäfte weiter ins Umland zu tragen, schwärmt zwar die heutige Wissenschaft vom schwunghaften Export der Athener, geht es in Wirklichkeit aber so zu: Da schreibt um das Jahr 400 n. Chr. der begüterte Synesios aus Alexandria an seinen Bruder, der in Kyrene weilt, er habe gehört, dort sei ein bestimmter Athener angekommen, von dem solle ihm der Bruder doch bitte drei leichte Sommerumhänge besorgen; es sei derselbe Mann, ‚von dem du im letzten Jahr Schuhe für mich gekauft hast, und bitte beeile dich, damit nicht die beste Ware verkauft ist‘. Na, da brummt doch der Weltmarkt! Nein, da kommen keine Scharen von Händlern an, um ihre Schuhe loszuschlagen, da konkurriert nicht Unternehmer neben Unternehmer darum, mit seiner neuen Kollektion das Angebot der anderen auszustechen, und da geht man nicht in den Laden, um unter Importen aus aller Herren Länder auszuwählen. Da gibt es keinen ‚Markt‘ – da ist ein Einzelner mit seinem bisschen Zeug unterwegs und man kann nur hoffen, bei entsprechender Eile auch dieses Jahr etwas davon abzubekommen.“ (S. 110f.)
Was die Verwendung von Münzen betrifft, so kommt neben dem Ausnahmecharakter von Käufen und Verkäufen in vormodernen Epochen noch hinzu, dass Münzen damals – anders als heutiges Geld – eben zu keiner Zeit die Funktion eines allgemeinen Äquivalents hatten, sondern primär eine normierende Funktion. Das heißt, sie dienten in erster Linie als eine Art Maßstab, um Güter vergleichbar zu machen und so die Angemessenheit eines Gütertauschs zu bestimmen. Laut Bockelmann ergab sich auch für „archaische Gemeinwesen“ ab einer bestimmten Größe die Notwendigkeit der „Bemessung an einem Normal-Gut“ (S. 95), um so Tauschakte und „Zahlungen“ (die unter den damaligen soziokulturellen Bedingungen nicht primär mit Münzen vorgenommen wurden, sondern mit sehr vielen verschiedenen Dingen und Gütern geleistet werden konnten) „nach einem Maß bestimmen und festlegen zu können“ (ebd.). Bockelmann beschreibt dies mit Bezug auf das europäische Mittelalter folgendermaßen: „Jede Summe, die dort irgendwo in Münzen angegeben wird, gilt lediglich als Maß für eine Zahlung, die in allen nur denkbaren Gütern geleistet werden kann – in allen, auf die sich die an der Zahlung Beteiligten einigen mögen. Typisch sind Formulierungen wie: Ich habe von dir für das und das als Preis Dinge erhalten, mit denen ich einverstanden war und die soundso vielen Solidi[6] entsprechen.“ (ebd.)
Auch hierfür bringt Bockelmann (unter Rekurs auf Arbeiten Marc Blochs) einige sehr instruktive Beispiele:
„Ein Stück Land wird verkauft für einen Solidus, der zu bezahlen ist in Gestalt von sechs Fässern Hirse und einer Speckseite. Ein Herr verpfändet die Einkünfte, die ihm von seinen Bauern zustehen, und erhält dafür 310 Solidi, hundert davon in Münzen – und zwar anderen Münzen als den Solidi – und den Rest in Gestalt eines Pferdes. […] Es kann auch komplizierter ablaufen: Jemand tätigt eine reiche Spende an ein Kloster und fordert als Gegenleistung eine Anzahl verschiedener Pelze, über welche die Mönche aber nicht verfügen, sodass sie erst einen der Ihren mit Münzen zu einem Markt schicken müssen, wo er die Pelze zu kaufen bekommt, die dann erst dem edlen Spender überreicht werden können. Oder schwedische Bauern kommen nur zu Fisch, indem sie sich zuerst zu einer Eisenmine aufmachen, dort ihre Erzeugnisse gegen Eisen zu tauschen und für dieses Eisen dann bei einem Fischer bekommen, was sie benötigen. Oder da hat ein Herr im 7. Jahrhundert eine Abgabe von 500 Solidi zu fordern, und als sie ihm geleistet wird, setzt sie sich zusammen aus: zwölf Stück unterschiedlichen Möbeln, einer versklavten Frau und einem versklavten Mann, einer Schmucknadel, zwei Pferden und zwei Vasen. Mit all dem schien dem Herrn seine Forderung von 500 Solidi abgegolten und so ‚galt‘ ihm alles das die 500 Solidi.“ (S. 95f.)
Münzen waren also nicht primär Tauschmittel – und wenn, dann höchstens ein Tauschmittel unter vielen anderen –, sondern in erster Linie ein Maß zur Bestimmung der Angemessenheit einer „Zahlung“ bzw. der jeweils gegeneinander getauschten Güter.
Vielleicht der wesentlichste Unterschied zwischen vormodernen Sozietäten und modernen Geldwirtschaften besteht laut Bockelmann darin, dass vormoderne Gemeinwesen durch persönliche Verpflichtungsverhältnisse geprägt waren, etwa zwischen antiken Angehörigen der Oberschicht und ihren Sklaven oder zwischen feudalen Grundherrn und ihren leibeigenen Bauern. Diese Verpflichtungsverhältnisse konstituierten sich bereits in archaischen Gemeinwesen über das Geben, Nehmen und Weitergeben von „Gaben“, über oft ritualisiertes Danken und Sühnen, wie Bockelmann überzeugend darstellt (S. 29-75). Und gerade diese Verpflichtungsverhältnisse sind es, die etwa durch Begriffe wie das altgermanische „gelt“ – von dem sich auch das moderne Wort „Geld“ etymologisch herleitet – bezeichnet wurden, das bei Bockelmann daher einen Zentralbegriff in seiner Geschichte der „Welt ohne Geld“ abgibt, mit dem er die fundamentale Differenz zwischen Moderne und Vormoderne herausstreicht. Denn obwohl „Geld“ von „gelt“ kommt und historisch in mancher Hinsicht auch aus selbigem hervorgeht, unterscheidet sich „Geld“ von „gelt“ grundlegend und wesentlich, da „gelt“ nicht auf eine entwickelte vormoderne Geldwirtschaft verweist, sondern auf ihr genaues Gegenteil: eine Form von Vergesellschaftung, die nicht auf Geld, sondern auf persönlichen Verpflichtungsverhältnissen beruht und sich oft über ritualisierte Handlungen herstellt.[7] In diesem Punkt besteht eine weitere Übereinstimmung mit der wert-abspaltungskritischen Position, wie sie Robert Kurz etwa in Geld ohne Wert oder seinen Thesen zur „Historizität von Fetischverhältnissen“ entfaltet hat. Auch Kurz betonte bekanntlich persönliche Verpflichtungsverhältnisse als konstitutiv für vormoderne Gemeinwesen, ebenso spricht er in diesem Zusammenhang von „gelt“ (Kurz 2012, S. 86ff.). Bei Bockelmann wird allerdings etwas deutlicher herausgearbeitet, was „gelt“ im Sinne eines vormodernen Verpflichtungsverhältnisses konkret bedeutet und was genau der Unterschied ist zum heutigen, die moderne Gesellschaft beherrschenden „Geld“. Hier wird klar, dass „gelt“ nicht etwa die vormoderne Gestalt des heutigen Geldes oder seine Vorform war, die sich nur dadurch von diesem unterschied, dass sie noch in andersgeartete vormoderne Verhältnisse eingebettet war und daher eine ganz andere Funktion erfüllte.[8] Vielmehr bezeichnet „gelt“ die für vormoderne Sozietäten spezifischen Verhältnisse wechselseitiger Abhängigkeit und Verpflichtung schlechthin sowie zugleich die Formen ihrer praktischen Einlösung: „Wo es um archaische Zahlungen geht, ist GELT sowohl die Schuld als auch ihre Einlösung. Das ist ein wichtiger und tiefreichender Unterschied zu einer modernen Zahlung mit Geld, der für uns – genau deswegen – schwer verständlich ist. In den Zeiten von GELT sind Schuld und Geschuldetes eines und deshalb bezeichnet das Wort sowohl, worin die Schuld besteht, als auch, womit sie aufzuheben ist.“ (S. 86)
Auch hierfür wieder ein konkretes Beispiel:
„Ein mittelalterlicher Bauer ist es seinem Herrn schuldig, eine bestimmte Menge Korn zu liefern, schuldet ihm also den Kornzins, wie er genannt wurde, und dieser Zins hieß GELT. Aber GELT und Zins ist und heißt dabei nicht nur die geschuldete, also noch ausstehende Menge Korn, sondern auch die irgendwann vorliegende Menge Korn, mit welcher der Bauer diese Schuld erfüllt. Oder es hat ein Bauer hundert Eier abzuliefern und sie heißen hundert eyer gelts, hundert Eier an GELT, an Schuld, Eier, die er schuldig ist und die noch fehlen, aber auch die Eier, die er einmal anbringen wird. Die Eier, die die Schuld einlösen, sind zugleich die einzulösende Schuld, sie treten ihr nicht wie Geld spezifisch als dasjenige gegenüber, womit man Schuld oder Schulden begleicht“ (ebd.).
„Gelt“ ist also gleichsam die Identität von persönlichem Verpflichtungsverhältnis und Einlösung dieser Verpflichtung, wobei die konkrete Form der Einlösung mannigfache Gestalten annehmen kann (etwa auch Dienste und Ehrbezeugungen) und nicht nur die Form von Münzen, die unter vormodernen Verhältnissen, wo sie überhaupt zur Anwendung kamen, eine primär normierende Funktion erfüllten, also eher zur Bestimmung dessen dienten, was als angemessene Einlösung „gelten“ konnte. Ganz im Gegensatz dazu ist im Kapitalismus das persönliche Verpflichtungsverhältnis abgelöst durch die abstrakte, versachlichte Herrschaft des „Geldes“ – und diese transzendentale Herrschaft besteht darin, dass alles, alle Lebewesen und Dinge, unter dieselbe abstrakte Geldform gezwungen werden und kaum etwas ein „Existenzrecht“ besitzt, das nicht in Geld darstellbar ist und sich letztlich dem Selbstzweck der Geldvermehrung subsumiert.
Am vorigen Zitat lässt sich daher auch ablesen, was es für moderne Menschen aus ihrer durch das Geld geprägten Weltsicht so schwer macht, „gelt“ und „Geld“ zu unterscheiden: Weil auch vormoderne Menschen mit Münzen operierten und Tauschakte bzw. „Zahlungen“ bisweilen in Münzwerten bezifferten, wird automatisch davon ausgegangen, schon damals hätten die Menschen Geldgeschäfte getätigt – während vormoderne Zahlungen nicht nur nicht zwingend an die Münzform gebunden waren, sondern im Regelfall ganz ohne Münzen auskamen oder jedenfalls neben Münzen mit vielen anderen Dingen und Gütern geleistet werden konnten.[9]
Unter vormodernen Bedingungen des „gelts“ – auch das kann vor dem Hintergrund von Bockelmanns Darstellungen als wesentlicher Unterschied zur kapitalistischen Herrschaft des Geldes festgehalten werden – konnte sich daher auch zu keiner Zeit die Motivation entwickeln, selbstzweckhaft Münzen (bzw. aus heutiger Sicht: Geld) zu erwerben. Münzen waren bisweilen Maßstab für die Angemessenheit von Zahlungen, die wiederum häufig mit vielen anderen Dingen als Münzen getätigt wurden. Und wo Münzen quasi selbst als Tauschmittel fungierten, blieben diese stets nur das Mittel zum Zweck, konkrete Güter, Dienste und dergleichen zu erwerben bzw. deren Verteilung zu regulieren. Bedingte Ausnahmen von dieser Regel waren etwa die marginalen Praktiken früher Händler wie der griechischen kapēloi. Diese waren allerdings nicht nur marginal, sondern galten in der vormodernen Weltsicht auch als verwerflich, da dies „der Vorstellung [widersprach], dass die getauschten Dinge jeweils einander angemessen und in diesem Sinne gleich sein sollen“ (S. 134).[10] Mit Marx’scher Terminologie und aus einer stärker wert-abspaltungskritisch fundierten Perspektive könnte man dies vielleicht auch so zusammenfassen, dass „gelt“ stets – ganz im Gegensatz zu „Geld“ – auf eine Form der Vergesellschaftung verweist, die ausschließlich stofflichen Reichtum kennt. Es ging bei der vormodernen Verwendung von Münzen stets darum, bestimmte Güter, Dienste, Rechte usw. zu erwerben. Hingegen steht beim „Geld“ immer nur das Geld selbst im Zentrum, und stofflicher Reichtum in Gestalt konkreter Waren ist lediglich ein notwendiges Durchgangsstadium der selbstzweckhaften Anhäufung eines abstrakten (Geld-)Reichtums qua Kapitalverwertung.
Es gibt in Bockelmanns Geschichte der „Welt ohne Geld“ noch einige weitere Anschlussmöglichkeiten an die wert-abspaltungskritische Geschichtstheorie, ebenso aber auch manche Differenzen. Parallelen bestehen z.B. hinsichtlich der Historisierung und Deontologisierung weiterer moderner Kategorien abgesehen vom Geld, etwa des Staates oder der Lohnarbeit. Auch Bockelmann geht ausdrücklich davon aus, dass der Staat (S. 311ff.) und die Lohnarbeit spezifisch kapitalistische Institutionen und Wesensmerkmale sind, die in der Vormoderne noch nicht existierten. Wir gehen auf diese Überschneidungen an dieser Stelle nicht näher ein. Über die Lohnarbeit wird insoweit noch etwas genauer zu sprechen sein, als bei Bockelmann die Rolle der Arbeit für das Geld bzw. den Kapitalismus merkwürdig diffus und unbestimmt bleibt.
Interessant für die Wert-Abspaltungs-Kritik und insbesondere für das von Kurz entwickelte Theorem einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“ sind die Ausführungen von Bockelmann auch insofern, als bei ihm deutlich wird, dass es bereits in der Vormoderne Phänomene wie „Zahlung“ oder „Handel“ gab, die aber etwas ganz anderes meinten als das, was wir heute unter Geldverhältnissen damit verbinden. „Handel“ – das verdeutlichen etwa die griechischen kapēloi – existierte in der Vormoderne durchaus, allerdings als marginale Praxis, die den auf Subsistenzwirtschaft und persönlichen Verpflichtungen beruhenden vormodernen Verhältnissen stets äußerlich blieb. „Zahlung“ ist sogar, wenn man Bockelmann folgt, etwas genuin Vormodernes, insofern damit die je spezifische Einlösung einer Schuld oder einer Verpflichtung gemeint war, während derselbe Begriff in der Moderne eine davon weitestgehend verschiedene bzw. darüber hinausgehende Bedeutung angenommen hat:
„[A]uch wenn wir mit Geld heute unsere Steuern oder eine Strafe zahlen und insofern im archaischen Sinne eine Zahlung leisten, fungiert Geld noch immer als Tauschmittel und nicht als irgendetwas anderes. Für das Geld ist es völlig gleichgültig, ob mit ihm Ware bezahlt wird oder eine Strafe beziehungsweise Steuern bezahlt werden. Beide, Kauf und ‚Zahlung‘, sind, wenn sie mit Geld erfolgen, Zahlungen und stellen nicht etwa unterschiedliche Geldfunktionen dar. Auch der Tausch ist heute, mit Geld vollzogen und nicht mehr archaisch gesprochen, Zahlung. […] Tausch und Zahlung sind beim Geld dieselbe eine Funktion.“ (S. 222)
Solche historisch fundierten Begriffsbestimmungen sind insofern eine Bereicherung für die wert-abspaltungskritische Diskussion bezüglich einer „Geschichte von Fetischverhältnissen“, als damit klargestellt ist, dass man in Bezug auf die Vormoderne durchaus von „Handel“, „Zahlung“ und dergleichen sprechen kann, solange man transparent macht, worauf sich dies bezieht und inwiefern dies nicht mit heutigen „Zahlungen“ oder Praktiken des „Handels“ vergleichbar ist. Dies kann gerade auch mit Blick auf manche der bereits eingangs erwähnten Kontroversen der letzten Jahre hilfreich sein, die teilweise darauf hinausliefen, Autor/-innen allein schon deshalb der Retrojektion moderner Kategorien in die Vormoderne zu bezichtigen, weil in einem Text von „Handel“, „Zahlung“ oder dergleichen die Rede ist. Die Arbeit von Bockelmann könnte also unseres Erachtens dazu beitragen, in der Diskussion um adäquate Begrifflichkeiten für vormoderne Sozietäten etwas differenzierter und historisch fundierter vorzugehen.
Eine wesentliche Differenz zur wert-abspaltungskritischen Theorie der Vormoderne und insbesondere zu Kurz’ Geld ohne Wert besteht darin, dass Bockelmann die auch von Robert Kurz vertretene These vom Ursprung des Geldes aus einer vormodernen Opfergegenständlichkeit explizit verwirft. Diese ursprünglich auf Bernhard Laum (1924) zurückgehende These besagt, dass Geld „anfangs in die kultische und rechtliche Sphäre [gehört] und […] ‚Opfer, Buße, Tribut‘, eigentl. ‚das, womit man Opfer, Buße erstatten, entrichten kann‘ [bedeutet]“ (Laum, zit. nach: Kurz 2012, S. 94). Das Geld und damit verbundene Quantitätsbestimmungen stammen demnach „nicht aus einer säkularen ‚Logik des Tausches‘, sondern allein aus dem Opferkult im Gottesverhältnis. Und um diesen Zusammenhang geht es wesentlich bei allem, was von modernen Interpreten fälschlich als ‚Ökonomie‘, ‚Tausch‘ und ‚Geld‘ aufgefasst worden ist“ (Kurz 2012, S. 94). Bockelmann wendet dagegen ein, „dass ‚Opfer‘ nicht etwa die Grundbedeutung von GELT darstellt, sondern von ihr abgeleitet ist, von der Verpflichtung, in der sich Menschen wechselseitig sehen“ (S. 58). Diese Interpretation missverstehe insbesondere die religiöse Konstitution vormoderner Verhältnisse gleichsam theologisch, während „Religion“ (vom lat. religio: „gewissenhafte Berücksichtigung“, wobei sich religio wiederum wahrscheinlich vom Verb religare: „zurückbinden“ herleitet), seiner ursprünglichen, wörtlichen Bedeutung nach, ebenfalls „Verpflichtung“ bedeute. „So gehören GELT und religio zusammen: GELT als die geschuldete Leistung, auf welche sich religio richtet, und religio als das Gefühl für diese Verpflichtung und entweder ihre Einhaltung oder […] ein Verstoß gegen sie, der Sühnung verlangt. Auf eine göttlich gedachte Sphäre beziehen sich sowohl GELT als religio lediglich als Teil ihrer Grundbedeutung, die ursprünglich auf das menschliche Zusammenleben bezogen ist.“ (S. 59) Dieses Argument erscheint uns, vor allem vor dem Hintergrund von Bockelmanns gesamtem historischen Erklärungsansatz, wonach „gelt“ immer schon das vormoderne Verpflichtungsverhältnis als solches meint und nicht bloß ein bestimmtes Medium zur Einlösung von Schuld, sehr überzeugend. Inwieweit mit dieser Kritik auch der Ansatz von Kurz getroffen wird – auf den Bockelmann, wie gesagt, an keiner Stelle ausdrücklich Bezug nimmt – ist eine andere Frage, denn auch bei Kurz wird mit „gelt“ letztendlich auf vormoderne, wenngleich im theologischen Sinne religiös, d.h. als „Gottesverhältnis“ bestimmte Verpflichtungsverhältnisse abgestellt. Auch ist damit noch nicht ausgeschlossen, dass die ersten Formen von Münzen ihren Ursprung in jener archaischen Opfergegenständlichkeit haben könnten, quasi als „Substitut innerhalb der symbolischen Opferhandlung“ (Kurz 2012, S. 97) – vom Menschenopfer, über das Tieropfer bis hin zu symbolischen Requisiten des kultischen Vollzugs, u.a. in Gestalt gemünzten Edelmetalls –, und dass auf diese Weise etwas in die Welt kam, das im Laufe der Zeit auch für andere Zwecke im Zusammenhang vormoderner „Zahlungen“ Verwendung fand und sehr viel später als „historische Fundsache“ (ebd., S. 112) sogar die konkrete Erscheinungsform des neuzeitlichen Geldes prägen sollte. Wichtig und überzeugend ist jedoch die von Bockelmann gelieferte Klarstellung, dass es sich bei solchen Gegenständen – egal ob in Form von Münzen, athenischen Bratspießen (oboloi) oder Kaurischnecken und egal, ob nun als Medium archaischer Zahlungen oder als Opfergegenstand – zu keiner Zeit um „Geld“ handelte, auch nicht um eine Vorform davon, sondern einzig und allein um „gelt“ – und dass das Konzept „gelt“ weit über diese mehr oder minder akzidentellen Materialisierungen hinausgeht.
Allerdings gerät die gleichermaßen anschauliche wie stringent entwickelte und gut belegte Darstellung der geldlosen Verhältnisse der Vormoderne bereits bei der Erklärung „Wie Geld wurde“ (S. 147-187) in Schwierigkeiten. Der verhängnisvolle Übergang in den frühen Kapitalismus, für Bockelmann ein „Abweg“ in ein „Leben von Kauf und Verkauf“ (S. 157f.), ist in Umfang und Durcharbeitung merkwürdig dünn und so glatt und „logisch“, dass hier Vorsicht angebracht ist. Zwar sind die knapp 40 Seiten, die der Autor dem Komplex widmet, durchaus lesenswert und teilweise mit sehr interessantem historischem Material vermittelt, doch läuft Bockelmanns Erklärung des „take-off“ der kapitalistischen Geldwirtschaft im Wesentlichen auf die von Max Weber popularisierte These hinaus, dass das starke Bevölkerungswachstum im 11. und 12. Jahrhundert zur Entstehung von Städten geführt hat, denen in Europa eine im globalen Vergleich einzigartige Autonomie und Verfasstheit zukam. Diese fielen nach Bockelmanns Darstellung quasi aus dem feudalen Sozialgefüge und aus den historisch gewachsenen, durch „gelt“ gestifteten Reproduktionsformen heraus, was zu einer zunehmenden Ausbreitung der bislang marginalen Praktiken des Kaufens und Verkaufens führte, da wachsende Bevölkerungsteile darauf angewiesen waren, sich auf diese Weise zu beschaffen, was sie zum Leben brauchten (S. 164ff.). Dass derartige Entwicklungen die Ausbreitung „geldförmiger“ Beziehungen und letztlich die Entstehung von Geld enorm befördert haben, ist keinesfalls abwegig. Doch dass sie der Autor (übrigens ganz im Unterschied zu seinem Stichwortgeber) zum alleinigen Faktor dafür kürt, erscheint uns doch allzu billig. Man gewinnt bei Bockelmann den Eindruck, ganz Europa wäre seit dem 12. Jahrhundert von freien Reichsstädten und Lombardenbünden dominiert worden. Dass und warum es mit der postulierten Autonomie der Städte allerspätestens mit dem Aufkommen der frühneuzeitlichen geld- und militärgetriebenen Fürstenmacht tendenziell zu Ende ging, erfahren wir bezeichnenderweise nicht.
Den komplexen historischen Konstellationen, der „Verkettung von Umständen“ (Max Weber), der räumlich wie organisatorisch buntscheckigen Verfasstheit der dominant agrarischen Reproduktionsformen des europäischen Mittelalters wäre bei einem Erklärungsversuch „wie Geld wurde“ jedenfalls Rechnung zu tragen. „Neuartige Abhängigkeiten“ (S. 171) und die Entstehung und Trennung „nicht einander verpflichteter Welten“[11] (S. 169) bedeuten genauso wenig wie die (im Übrigen keineswegs flächendeckende) Abwesenheit von Leibeigenschaft schon per se die Abwesenheit persönlicher Verpflichtungsverhältnisse. Ebenso bedeutet die Vermehrung des Münzumlaufs nicht schon das „Ausbrechen der Geldform“, wie Bockelmann, durch seinen monokausalen Ansatz gewissermaßen auf ein geschichtsteleologisches Gleis geraten, nahezulegen scheint, wenn er etwa die „Geldkrise“ (Jacques Le Goff) um 1300 als „eine unausweichliche Krise auf dem Weg zum Geld“ (S. 176) deutet. Die wissenschaftliche Literatur zur europäischen Sonderentwicklung[12], die, obwohl vielfach im bürgerlichen Denken befangen, in den vergangenen Jahrzehnten umfangreiches und ernst zu nehmendes Material aufgearbeitet und diskutiert hat, einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist kein Qualitätsmerkmal. Nämliches gilt für die Vielzahl an marxistisch motivierten Arbeiten zum Ursprung des Kapitalismus.
Thematische Stränge, die eine Erklärung des – je nach Aspekt und Raum zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert zu verortenden – krisenhaften „Umschlag[s] ins Neue“ zu behandeln und gegebenenfalls zu kritisieren hätte, wären beispielsweise: das Christentum mit seinem Kultus des abstrakten Menschen im Allgemeinen, die hochmittelalterliche Papstkirche, das Ordenswesen und die spätmittelalterlichen Reformationsbestrebungen im Besonderen; agrar- und technologiegeschichtliche Besonderheiten Europas („Vergetreidung“, Wasserrad, Montanwesen etc.); die Agrarverfassung als Wurzel europäischer Sozialformen (Familienstrukturen und Geschlechterverhältnis, Lehenswesen und Ständeverfassung etc.); Vor- und Frühformen der Lohnarbeit; der europäische Expansionismus (Kreuzzüge und Protokolonialismus); Einhegungen von Agrarland und „Ursprüngliche Akkumulation“; Formen der Wissensproduktion und des Informationsaustausches (Universitäten, Predigt, Buchdruck etc.); naturräumliche Bedingungen (Böden, Transportmöglichkeiten, Rohstoffvorkommen, klimatische Veränderungen etc.) und einiges mehr. Der europäischen Stadt, der die bürgerliche Gesellschaft ja zumindest etymologisch die „Bürger“ verdankt, wird bei diesen Erklärungsversuchen vielleicht eine wichtige Rolle zukommen, aber keinesfalls eine räumlich und verfassungsmäßig derart undifferenzierte – und keinesfalls die alleinige.[13]
Nicht zuletzt – und insbesondere aus der Perspektive der wert-abspaltungskritischen Theoriebildung – fällt auf, dass die von Robert Kurz für die Herausbildung des Kapitalismus als zentral erachtete „Feuerwaffenökonomie“ bei Bockelmanns Geschichte der „Geldwerdung“ keinerlei Rolle spielt. Kurz hält bekanntlich die Entwicklung der Feuerwaffentechnologie seit dem 14. Jahrhundert deshalb für einen wesentlichen Faktor für den „take off“ des Kapitalismus, da damit nicht nur die Kriegsführung revolutioniert wurde, sondern aufgrund des enormen Ressourcenbedarfs (Hüttenwesen, Kanonenproduktion, Festungsbau, Söldnerheere etc.) letztlich auch der gesamte gesellschaftliche Reproduktionszusammenhang nachhaltig umgewälzt wurde (Kurz 2012, S. 112ff.). Dies stellte sich zunächst insbesondere in einer sukzessiven „Monetarisierung“ der Gesellschaft dar, weil die sich im Zuge dieses Prozesses herausbildenden frühmodernen Territorialstaaten dazu übergingen, Steuern nicht mehr in Form von Naturalabgaben und Frondiensten, sondern in der historisch „vorgefundenen Geldform“ einzuheben, um so immer mehr Mittel für diese enormen Aufwendungen zu beschaffen. So heißt es bei Kurz:
„Durch die qualitative Transformation des Geldes wird nicht eine vorhandene Zirkulationssphäre ausgedehnt, sondern eine solche erst geschaffen – und zwar bevor das Kapital als solches in allen seinen Momenten existiert und ‚prozessiert‘. Empirisch geht es im Kontext der militärischen Revolution um den Einsatz der vorgefundenen Geldform für jenen völlig neuen, ‚herausgelösten‘ Zweck, woraus wiederum ein Zwang zur ‚Monetarisierung‘ traditioneller Verpflichtungs- und Abhängigkeitsverhältnisse resultiert, die auf diese Weise ihren bisherigen Charakter verlieren […]. Der Zwang zum Verkaufen, um den aufoktroyierten ‚Geldhunger‘ der neuen Machtstruktur zu befriedigen, hat als Kehrseite den Zwang zum Kaufen, indem sich dabei unter der Hand neue Strukturen der Spezialisierung bilden, ohne dass die bisherige Produktionsweise als Ganzes umgewälzt und bereits ein System der ‚abstrakten Arbeit‘ etabliert wäre. Das Kapital tritt also ins Leben, indem es sich selbst sozusagen vom Schwanz her aufzäumt, nämlich als Konstitution einer zuvor gar nicht vorhandenen Zirkulationssphäre. Zumindest erscheint so die Selbsterzeugung des ‚automatischen Subjekts‘, obwohl es natürlich nur menschliche Zweckhandlungen sind, die aber als bornierte hinter dem Rücken ihrer Akteure eine sich objektivierende Logik in Gang setzen.“ (Kurz 2012, 139f.)
Nun wurde diese These über den Ursprung des Kapitalismus aus einer von den mörderischen Sachzwängen der „Feuerwaffenökonomie“ gezeugten Zirkulationssphäre einerseits von Robert Kurz nur skizziert und nicht in ihrer ganzen Breite und Tiefe historisch-empirisch unterfüttert.[14] Andererseits ist sie auch innerhalb wert-abspaltungskritischer Kontexte nicht völlig unumstritten (vgl. Scholz 2017). Es erscheint zudem im Licht der oben gemachten Ausführungen durchaus sinnvoll, auch andere potentiell ursächliche Faktoren für die historische Durchsetzung des „Geldes“ und den Untergang vormoderner „gelt“-Verhältnisse in Betracht zu ziehen. So würde sich etwa durch den von Bockelmann vertretenen Ansatz eventuell erklären lassen, weshalb die von Kurz betonte Feuerwaffenökonomie überhaupt jene Form annehmen konnte, die sie historisch nun einmal annahm bzw. was genau es mit der von Kurz angesprochenen „vorgefundenen Geldform“ auf sich hat: Die Feuerwaffenökonomie konnte auf eine in der kritischen Zeit (14.–16. Jahrhundert) sukzessive wachsende Praxis aufbauen, Austauschbeziehungen durch gemünztes Edelmetall und Akte des Kaufens und Verkaufens zu vermitteln, die sich wiederum durch die Feuerwaffenökonomie und ihre Konsequenzen (Umstellung auf „geldförmige“ Steuern, Entstehung von auf Lohnarbeit beruhenden protoindustriellen Komplexen im Bergbau und in der Waffenproduktion etc.) ausbreiteten und schließlich eine Eigendynamik entfalteten, aus der eine völlig neue Form der Vergesellschaftung hervorging, deren innere und äußere Expansion erst heute an ihre Grenzen stößt. Gerade für diesen Aspekt der globalen Ausbreitung kapitalistischer Geldverhältnisse, die Bockelmann an späterer Stelle in seinem Buch unter der Überschrift „Die Unterwerfung der Welt“ bespricht (S. 346ff.) wäre es aber erforderlich, auch die frühkapitalistische Feuerwaffenökonomie zu berücksichtigen. Denn die globale Durchsetzung des Kapitalismus und der historische Aufstieg Europas zur Weltmacht ist ohne die auf Feuerwaffentechnologie beruhende militärische Überlegenheit kaum hinreichend erklärbar (dazu Parker 1990).
Doch Bockelmanns zirkulationsfixiertes und ableitungslogisches Vorgehen hindert ihn nicht nur an der Wahrnehmung dieser in seinem Buch offen zu Tage liegenden Bezüge, sondern auch daran, die seit dem 16. Jahrhundert brutal der Herrschaft des Geldes unterworfene Welt als das zu sehen, was sie ist: Resultat des Kapitalismus als Produktionsweise und der gesellschaftlich zunehmend dominanten Form ihrer Produkte, der Warenform (siehe nächster Abschnitt).
Einen unmittelbaren und sehr plausiblen Bezug zum Krieg gibt es allerdings in Bockelmanns Ausführungen zur Genese des Geldes. Anhand des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) beschreibt er die historische Eigendynamik, die die Durchsetzung von Geld durch die Auflösung feudaler Versorgungsstrukturen entfaltete. Der große Teile Mitteleuropas entvölkernde, jahrzehntelange Gewaltexzess markiert nicht nur die Geburt der neuzeitlichen Europäischen Staatenwelt, für den Autor bezeichnet er gewissermaßen auch den „point of no return“, den endgültigen historischen Umschlag vom „gelt“ in die kapitalistische Geldwirtschaft:
„[Zur Notwendigkeit von Geldgeschäften] hatte eben nicht bloß eine zunehmende Häufigkeit von Gelegenheiten zu Kauf und Verkauf geführt, die sich durch eine abnehmende Tendenz während Kriegszeiten wieder in eine ältere, feudalistische Versorgung hätte zurückentwickeln können. Letztere war vielmehr abgebrochen und das hatte, wo es geschehen war, eine Versorgung über Käufe und Verkäufe erzwungen und mit deren Überwiegen auch den Umschlag ins Geld. Der frühere Versorgungszusammenhang bleibt also verdrängt, wo sich auf diese Weise einmal Geld über ihn gesetzt hat. Und so zerfallen in dreißig Jahren Krieg zwar allenthalben die Möglichkeiten, zu Geld zu kommen, zerfällt aber nicht mehr die Notwendigkeit, erst zu Geld zu kommen, um dafür das Nötige zu erhalten. Deshalb muss sich jetzt, nach Abschluss des Krieges, alle hoffnungsvolle Freude auf neue Geschäfte richten, auf Geschäfte, die Geld einbringen.“ (S. 195)
Zu dieser Zeit, Mitte des 17. Jahrhunderts, ist Geld in Mittel- und Westeuropa endgültig so weit in den sozialen Beziehungen und den Köpfen der Menschen verankert, sind Markt und Staat so weit etabliert[15], dass eine andere Form der Vergesellschaftung und der materiellen Reproduktion, wie sie bis vor relativ kurzer Zeit noch vorherrschend gewesen war, nicht einmal mehr dann vorstellbar erscheint, wenn das Geld sich als das erweist, was es ist: konstitutives Moment eines gesellschaftlichen Zwangsverhältnisses, dem sich jeder und jede bei Strafe des Untergangs zu unterwerfen hat. An dieser Stelle wäre es wichtig und erhellend, etwas mehr über die Rolle des Dreißigjährigen Krieges bei der Durchsetzung und Verallgemeinerung von Ware-Geld-Beziehungen zu lesen – zumal sich Bockelmann, daran sei hier erinnert, bereits in seiner großen Studie Im Takt des Geldes. Zur Genese des modernen Denkens (Bockelmann 2012, zuerst 2004) als Kenner insbesondere der Geistes- und Kulturgeschichte des 17. Jahrhunderts ausgewiesen und damit einen gleichermaßen originellen wie bedeutenden Beitrag zur Archäologie der Moderne und ihrer Wahrnehmungs- und Denkkategorien geleistet hat.
2. Eine zirkulationsideologische und ableitungslogische Theorie des Geldes
In erheblichem Kontrast zu Bockelmanns erhellender Darstellung der geldlosen Verhältnisse der Vormoderne und zu seinem – bei aller Verkürzung noch durchwegs interessanten – Versuch zur Frage, „wie Geld wurde“, stehen seine Theorie des Geldes und seine Erklärung, „was Geld ist“, im dritten Teil des Buches. Es sind vor allem zwei problematische Aspekte, auf die wir hier näher eingehen wollen, weil sie sich praktisch durch das gesamte Buch ziehen und charakteristisch sind für die Defizite in Bockelmanns theoretischer Bestimmung des Geldes. Zum einen erweisen sich seine Ausführungen weitestgehend als zirkulativ verkürzt, insofern Bockelmann das Geld der Tendenz nach reduziert auf seine Funktion für Akte des Kaufens und Verkaufens, somit primär auf Markt- und Zirkulationsprozesse. Zum anderen – und in vielerlei Hinsicht unmittelbar damit zusammenhängend – liegt der Geldtheorie Bockelmanns ein ableitungslogisches Vorgehen zugrunde. Dieses läuft darauf hinaus, für die kapitalistische Gesellschaft spezifische Formen und Phänomene wie Ware, Wert, Kapital, Arbeit usw. unmittelbar aus dem Geld und den durch Geld gesetzten Zwängen abzuleiten, anstatt diese dialektisch miteinander zu vermitteln und das Geld in ein adäquates theoretisches Verhältnis zu diesen Formen zu setzen – namentlich als Ausdruck bzw. Erscheinungsform des Werts. In dem Zusammenhang wird auch auf den überaus problematischen, stellenweise schlicht unredlichen Umgang Bockelmanns mit der Marx’schen Theorie einzugehen sein. Dieser zeigt sich insbesondere daran, dass der Autor seine Thesen oftmals auf eine Kritik an Marx stützt, dem er quasi spiegelgleich zu seinem eigenen Vorgehen unterstellt, das Geld ableitungslogisch aus dem Wert bzw. der Ware herzuleiten – eine Kritik, die bei genauerer Betrachtung umstandslos als Projektion des eigenen ableitungslogischen Zugangs identifiziert werden kann, wie sie auch insgesamt erhebliche Defizite in dialektischem Denken wie in der Rezeption des Marxschen Werks offenbart.
Eine zirkulative Verkürzung in Bockelmanns theoretischem Zugang zu Geld ist bereits an früheren Stellen der vorliegenden Besprechung sichtbar geworden, etwa in jenem Zitat aus S. 196f. des Buches, in dem er, gleichsam als erste Definition für weitere theoretische Bestimmungen, das Wesen des Geldes in grober Form zusammenfasst. Geld sei demnach vor allem das zentrale (und einzige) „Tauschmittel“ innerhalb eines „spezifischen gesellschaftlichen Zusammenhangs“, in dem es für die Menschen zur Notwendigkeit geworden ist, „in kontinuierlich fortgesetzten Käufen für ein Tauschmittel [zu] erhalten, was sie brauchen, und in kontinuierlich fortgesetzten Verkäufen ebendieses Tauschmittel [zu] erhalten, das sie dafür brauchen“. Bockelmann spricht in dem Zusammenhang auch vom Geld als „reine[m] Tauschmittel“ (S. 196). Damit meint er, dass Geld – ganz im Gegensatz zum früheren „gelt“, wo viele Dinge, Güter usw. unter anderem auch die Funktion eines Tauschmittels annehmen konnten, aber sich nicht in dieser Funktion erschöpften – nichts anderes mehr als Tauschmittel ist, darüber hinaus das einzige Tauschmittel, das dazu benötigt wird, überhaupt anderes als Geld erwerben zu können. Geld sei „das spezifisch eine Tauschmittel, dem alle nur denkbaren und schätzbaren Güter, die sich mit ihm kaufen lassen, in ihrer Gesamtheit als Waren gegenüberstehen. […] Geld, das eine, ist der Preis für alle Dinge geworden“ (S. 198). Eben diese Eigenschaft als „reines Tauschmittel“, das im Interesse der materiellen Reproduktion der Gesellschaft „fortgesetzt und kontinuierlich aus Verkäufen hervor- und in Käufe eingehen [muss]“ (S. 197), beschreibt für Bockelmann in knappster Form, was „Geld“ sei und was dieses Geld darüber hinaus vom vormodernen „gelt“ unterscheide.
Nun ist diese Beschreibung vor allem mit Blick auf die Differenz zu vormodernen Sozietäten nicht grundsätzlich falsch, auch und gerade phänomenologisch handelt es sich hier um eine Bestimmung, die empirisch evident ist und der wahrscheinlich jeder in der „Geldgesellschaft“ des Kapitalismus existierende Mensch, der täglich am eigenen Leib die Notwendigkeit des Gelderwerbs erfährt, unmittelbar zustimmen dürfte. Instruktiv sind in dem Zusammenhang auch Bockelmanns Überlegungen hinsichtlich des (wie wir mit Marx sagen würden) „realabstrakten“ Charakters des Geldes, d.h. der nicht bloß kognitiven, sondern vor allem auch praktischen Abstraktionsleistungen, die den Menschen in ihrem täglichen Umgang mit Geld abverlangt werden. Diese resultieren vor allem aus jener spezifischen Funktion des Geldes als „reines Tauschmittel“:
„Geld ist nicht etwas, das außerdem in der Funktion als Tauschmittel verwendet würde, sondern besteht ausschließlich darin, als das Tauschmittel zu fungieren. Geld besteht wirklich und wahrhaftig in nichts. […] Wo Geld nicht mehr als Geld fungiert, ist es nicht mehr Geld und erweist sich als das nichts, in dem es besteht. Geld muss sich, um zu bleiben, was es ist, immer wieder und immer weiter in etwas tauschen lassen, das es nicht ist, in ein Gut. Wer für sein Geld nicht zuletzt etwas anderes als Geld bekommt, hat kein Geld in der Hand. Mit Geld, das er hat, muss er irgendwann etwas kaufen können, was nicht Geld ist, sonst ist es nicht Geld, was er da hat.“ (S. 199)
Zu Bockelmanns Gunsten ist außerdem festzuhalten, dass sich bei ihm das Geld durchaus nicht in der Funktion als „Tauschmittel“ erschöpft (etwa vergleichbar den verbreiteten bürgerlich-bornierten Auffassungen, wonach Geld nichts weiter als ein zeichenhaftes Medium zur Erleichterung des Warentausches sei). Im Fortgang seiner Ausführungen nimmt er theoretische Bestimmungen vor, die darüber hinausgehen, etwa wenn es ihm um die Erklärung des Wachstumszwangs kapitalistischer Geldwirtschaften geht. Diese Zwänge gehen für Bockelmann aber gerade vom Geld selbst, von seinem Wesen als „reinem Tauschmittel“ aus sowie von der dadurch für Geldwirtschaften gesetzten Notwendigkeit, Geld „immer wieder und immer weiter“ als jenes reine Tauschmittel „fungieren“, d.h. unaufhörlich in Käufe und Verkäufe eingehen zu lassen. Eben darin erweist sich aber letztlich die zirkulative Verkürzung seiner Erklärungsversuche, da diese damit ausschließlich auf der Ebene des Markthandelns der mit Geld operierenden bzw. für ihre materielle Reproduktion vom Geld anhängigen Subjekte verbleibt.
Diese Verkürzung auf Zirkulations- und Marktprozesse wird ganz besonders daran kenntlich, dass die abstrakte Arbeit (und damit die gesamte Ebene der Produktion bzw. des kapitalistischen „Stoffwechsels mit der Natur“) bei Bockelmann praktisch keine Rolle spielt und dort, wo sie doch berührt wird, keine systematische Behandlung erfährt. Zwar geht er im Laufe seiner Ausführungen ausdrücklich auf die „abstrakt menschliche Arbeit“ ein, dies allerdings in einem bezeichnenderweise als Exkurs ausgewiesenen Unterkapitel von gerade einmal vier Seiten und in einer entsprechend oberflächlichen und seiner Geldtheorie äußerlich bleibenden Art und Weise (S. 282-286). Im Grunde leitet sich bei Bockelmann auch die abstrakte Arbeit vom Geld bzw. der neuzeitlichen Geldwirtschaft her, indem unter diesen Verhältnissen auch die Arbeit zu einer Ware wird. Die Arbeit wird damit de facto als ein bloß (vom Geld) Abgeleitetes und somit Sekundäres bestimmt, wodurch der Zusammenhang von Lohnarbeit und kapitalistischer Geldwirtschaft gleichsam auf den Kopf gestellt wird. Man hat bei Bockelmann den Eindruck, als wäre der Kapitalismus gar keine historisch-spezifische Produktionsweise, sondern lediglich eine Gesellschaft von Händlern bzw. von Käufern und Verkäufern. Zwar ist auch das in gewisser Hinsicht nicht völlig falsch, zumal darin prinzipiell auch die Arbeit aufgehoben ist, denn in der Tat gehört es ja zum Wesen der Lohnarbeit, dass Arbeitskraft verkauft bzw. gekauft wird. Trotzdem hat Bockelmanns Theorie dadurch eine zirkulative Schlagseite, durch die Arbeit im Grunde nur als eine Ware unter vielen anderen erscheint (wenn auch, was Bockelmann durchaus einräumt, als eine besondere Ware).
Die nachrangige Bedeutung der Arbeit in Bockelmanns Theorie könnte kaum eindrucksvoller demonstriert werden als durch die Tatsache, dass er die Marx’sche These von der Arbeit als „Substanz“ des Werts völlig verwirft (S. 240-251). An dieser Stelle zeigt sich sein eingangs angedeuteter, hoch problematischer Umgang mit Marx und der Marx’schen Theorie in geradezu typischer und an vielen Stellen des Buches wiederkehrender Form. Seine Argumentation gegen die Marx’sche These von der Arbeit als „Wertsubstanz“ beruht im Grunde auf einem krassen Missverständnis oder jedenfalls einem sehr eindimensionalen Verständnis von Marx, insofern Bockelmann dies vor allem mit einer Kritik an der Arbeitswertlehre begründet, die zwanghaft versuche, Wert objektiv in konkreten Waren zu verorten und zu quantifizieren – eine „Lehre“, die in der Tat kritikwürdig ist.[16] Zwar hat Marx sicherlich das Seine zu dieser verqueren Lesart seiner Arbeitswerttheorie beigetragen, was u.a. dem historischen Kontext der Marx’schen Theorie geschuldet ist (Arbeiterbewegung etc.), aber im Wesentlichen ist die von Bockelmann kritisierte Arbeitswertlehre als Produkt eines Marx als „besseren Ökonomen“ missverstehenden orthodoxen Marxismus zu betrachten, in dem Marx keinesfalls völlig und unmittelbar aufgeht. Vor allem den „Fetisch-Marx“ bekommt man damit nicht zu fassen, weil es diesem durchaus nicht primär darum ging, Wert exakt zu quantifizieren, sondern eher auf einer logischen Ebene darum, dass Wert auf der abstrakten Verausgabung von „Nerv, Muskel, Hirn“ im Produktionsprozess zum Zweck der Geldvermehrung beruht, wobei diese Geldvermehrung gerade dadurch ermöglicht wird, dass ein Teil der verausgabten Arbeit unbezahlt angeeignet wird.
Erst recht ist es vor diesem Hintergrund eine unredliche Verbiegung von Marx, wenn Bockelmann behauptet, Marx selbst sei dem Irrtum aufgesessen, Wert objektiv in den Waren zu verorten und quasi als Eigenschaft der Warendinge aufzufassen (S. 242), wo es doch gerade und als erster Marx war, der aufgezeigt hat, dass es vielmehr ein Effekt bzw. die besondere Leistung der Waren- bzw. Wertform ist, die Menschen Wert in den Waren sehen zu lassen, indem sie sie dazu zwingt, ihre qualitativ verschiedenen Arbeiten gleichzusetzen. Genau darin besteht ja letztlich auch der „Warenfetisch“, den Marx im entsprechenden Kapitel des Kapital herausarbeitet:
„Indem sie [die Menschen] ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiedenen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es. Es steht daher dem Wert nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. […] Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. […] Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist.“ (Marx 1986, S. 88, 86f.)
Worum es Marx hier geht, ist ein spezifisches Produktionsverhältnis, in dem alle Produkte menschlicher Arbeit (inklusive der Arbeit selbst) von vornherein Warenform annehmen, d.h. allein dem (Selbst-)Zweck der Geldvermehrung dienen, und denen eben deshalb (und nur deshalb) ein in Geld darstellbarer „Wert“ zukommt bzw. in sie hineinprojiziert wird. Marx zu unterstellen, er würde den Waren als „Arbeitsprodukten“ einen quasi von Natur aus existierenden Wert zuschreiben, ist also schlicht absurd und muss umgekehrt als unzureichende Kenntnis oder als absichtsvolle Verdrehung der Marx’schen Theorie durch Bockelmann qualifiziert werden. Denn diesen „Wert“, so wird unmissverständlich bei Marx deutlich, haben die Arbeitsprodukte eben nur, sofern sie als „Waren“, d.h. zum Zweck ihres Verkaufs, produziert werden, also allein unter den Bedingungen kapitalistischer Warenproduktion.
Der Grund für diese (mutwillige?) Verdrehung besteht freilich darin, dass es Bockelmann mit aller Gewalt darauf anlegt, die kapitalistische Geldwirtschaft und insbesondere das für den Kapitalismus konstitutive Wertverhältnis primär und gewissermaßen „genetisch“ aus dem Geld zu erklären. Deshalb rezipiert er Marx so, als würde dieser das Geld, quasi umgekehrt, aus einem den konkreten Waren per se inhärenten Wert ableiten, um sodann, selbst ableitungslogisch, einen exakt gegenteiligen Zusammenhang zu behaupten und den Wert aus dem Geld herzuleiten: „Dass Wert in den Dingen läge: Was genetisch und als bloße Setzung aus dem Geld folgt, setzt Marx voraus, um verkehrt und umgekehrt das Geld genetisch daraus abzuleiten. […] Ganz im Gegenteil: Wenn Geld abgeleitet wird aus einem ‚Wertverhältnis der Waren‘, das vor dem Geld bestanden haben müsste, in Wahrheit aber davor nicht bestanden hat, muss Geld für immer ein Rätsel bleiben.“ (S. 242)
Bockelmann geht dabei sogar so weit, Geld und Wert gleichzusetzen (S. 211-215). Der Wert sei demnach nicht nur aus dem Geld zu erklären, sondern vielmehr mit dem Geld identisch („Geld=Wert“), da sich der Wert von Waren „historisch daraus [ergebe], dass eine gesellschaftliche Umwälzung das Hervortreten des reinen Tauschmittels Geld bedingt und dass Geld als reines Tauschmittel [d.h. als das eine Tauschmittel, das virtuell in alle Güter getauscht werden kann und daher als reine Menge in frei skalierbaren Zahlenwerten erscheint] zugleich Wert […] ist. Wert ergibt sich in seinen Bestimmungen mit dem Aufkommen von Geld und durch das Aufkommen von Geld.“ (S. 215) Auch hier glaubt Bockelmann wieder, eine Marx-Widerlegung geleistet zu haben, während er sich bloß an einem von ihm selbst gebastelten Marx-Popanz abarbeitet, dem er gegen jegliche fundiertere (und von einem Marx-Kritiker auch zu verlangende) Rezeption zuschreiben kann, dieser hätte das Geld fälschlicherweise aus dem Wert abgeleitet und diesen Wert darüber hinaus als etwas objektiv in den Warendingen Lokalisiertes missverstanden und auf diese Weise geradezu naturalisiert:
„Die Herleitung von Wert ist demnach geleistet, sobald die Genese des Geldes erkannt ist. Das erklärt zugleich, weshalb es so leichtfallen musste, statt den Wert aus dem Geld umgekehrt und verkehrterweise aus dem Wert das Geld abzuleiten. Wer falsch voraussetzt, Wert hätte schon vor dem Geld bestanden, kann bequem zeigen, dass sich Geld nach denselben Bestimmungen richtet wie der Wert, und muss falsch daraus folgern, sie hätten sich beim Geld aus der Natur des Wertes ergeben. Nur bliebe durch die Verkehrung dann unerklärlich, wie Wert seinerseits zu diesen Bestimmungen gekommen wäre. Wert muss als etwas natürlich und ursprünglich Gegebenes erscheinen mitsamt der Unterstellung, wir würden Waren bei einem Tausch natürlicherweise als Werte gleichsetzen: weil nur eine so unterstellte Natur jede weitere Erklärung erübrigt. Wert lässt sich nicht erklären, solange nicht die Genese des Geldes ihre Klärung gefunden hat.“ (S. 215f.)
Dass es sich hier in Wahrheit nur um seine eigene Ableitungslogik handelt, die er auf Marx projiziert, wird nicht zuletzt an einem Marx-Zitat ersichtlich, das Bockelmann als Beleg für Marxens ableitungslogisches Vorgehen gewählt hat. Dieses stammt ebenfalls aus dem Kapital, und zwar aus dem ersten Abschnitt, in dem es Marx um den Zusammenhang von Ware und Geld geht. Marx schreibt dort:
„Jedermann weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, daß die Waren eine mit den bunten Naturalformen ihrer Gebrauchswerte höchst frappant kontrastierende, gemeinsame Wertform besitzen – die Geldform. Hier gilt es jedoch zu leisten, was von der bürgerlichen Ökonomie nicht einmal versucht ward, nämlich die Genesis dieser Geldform nachzuweisen, also die Entwicklung des im Wertverhältnis der Waren enthaltenen Wertausdrucks von seiner einfachsten unscheinbarsten Gestalt bis zur blendenden Geldform zu verfolgen. Damit verschwindet zugleich das Geldrätsel.“ (Marx 1986, S. 62; bei Bockelmann zitiert auf S. 242 unter Auslassung des ersten Satzes)
Dieses Zitat kann man als Ableitungslogik lesen – vor allem, wenn man selbst so ableitungslogisch denkt wie Bockelmann. Dann erscheint der Nachvollzug der „Genesis der Geldform“ aus dem „Wertverhältnis der Waren“ quasi als eine Herleitung nach dem Muster Ware→Wert→Geld. Liest man es hingegen in einem dialektischen Sinne, dann wird hier von Marx vor allem ein Vermittlungsverhältnis beschrieben, in dem Ware, Wert und Geld wechselseitig aufeinander bezogen sind, und zwar nicht nacheinander in dem Sinne, dass aus dem einen das andere folgen würde, sondern eher im Sinne einer Gleichursprünglichkeit. Dies lässt sich im Prinzip schon an der Marx’schen Begriffsbestimmung der Ware ablesen, die Marx nur zwei Absätze früher vornimmt: „Waren kommen zur Welt in der Form von Gebrauchswerten oder Warenkörpern, als Eisen, Leinwand, Weizen usw. Es ist dies ihre hausbackene Naturalform. Sie sind jedoch nur Waren, weil Doppeltes, Gebrauchsgegenstände und zugleich Wertträger. Sie erscheinen daher nur als Waren oder besitzen nur die Form von Waren, sofern sie Doppelform besitzen, Naturalform und Wertform.“ (Marx 1986, S. 62) Waren sind laut Marx also überhaupt erst und nur dann Waren, wenn sie außer einer Gebrauchsgegenständlichkeit auch einen Wert besitzen, d.h. „Wertträger“ sind, und dieser Wert wird ausgedrückt in der Geldform (was etwas qualitativ anderes ist, als mit dem Geld identisch zu sein). Hierbei handelt es sich um ein dialektisches Verhältnis, in dem Ware, Wert und Geld gewissermaßen eine Einheit bilden, wobei alle drei jeweils füreinander die Voraussetzung ihrer Existenz bilden und das eine im jeweils anderen immer schon enthalten ist: Waren existieren nicht, wenn sie bloß Gebrauchsgegenstand sind und nicht einen in Geld darstellbaren (und durch Lohnarbeit geschaffenen) Wert besitzen. Und umgekehrt existiert Geld nicht bzw. wird sinn- und nutzlos, wenn es keine Waren gibt, die als solche Träger von Wert sind, der sich wiederum in Geld darstellen kann (und muss). Eben dieser Zusammenhang ist es, der für Marx das „Geldrätsel“ löst,
indem er Geld systematisch mit der kapitalistischen Wertform und dem dafür spezifischen System kapitalistischer Warenproduktion in Verbindung bringt.[17] Schon Marxens berühmte Formel G–W–G' verweist zwingend auf das prozessierende Vermittlungsverhältnis, das zwischen Ware, Wert und Geld besteht, indem nämlich der Wert „im beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware“ seine eigene Selbstverwertung betreibt:
„Er [der Wert] geht beständig aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt. […] In der Tat […] wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert, sich als Mehrwert von sich selbst als ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet.“ (ebd., S. 168f.)
Es ist daher unsinnig, Ware und Wert, wie Bockelmann, aus dem Geld ableiten zu wollen, wie es auch unsinnig wäre, das Geld aus einem (den Waren quasi von Natur aus inhärenten) Wert abzuleiten. Vielmehr handelt es sich um ein Verhältnis von nicht auf einander reduziblen und daher auch nicht aus einander ableitbaren Formen: Ware und Geld sind stets Erscheinungsformen des Werts im kontinuierlichen Prozess seiner Selbstverwertung, und umgekehrt erscheint auch der Wert nur in den Formen von Ware und Geld.
Dieses von Marx beschriebene Verhältnis zwischen Ware, Wert und Geld ist darüber hinaus nicht nur ein logisches, sondern auch ein historisches. Unter vorkapitalistischen Bedingungen – das arbeitet ja auch Bockelmann eindrucksvoll mit seiner Darstellung des vormodernen „gelt“ heraus – sind Dinge, Güter, Gebrauchsgegenstände usw. noch keine Waren, weil sie nicht als solche, d.h. zum alleinigen Zweck des Verkaufs, hergestellt werden, und eben deshalb existiert damals auch kein „Geld“, folglich auch keine Geldwirtschaft. Geld kommt erst in die Welt (mit einer mehrere Jahrhunderte dauernden Vorlaufzeit in der Konstitutions- und Durchsetzungsphase des Kapitalismus) unter den historischen Bedingungen kapitalistischer Warenproduktion. Nicht zufällig beginnt das Kapital mit Marxens Feststellung, der Reichtum der Gesellschaften im Kapitalismus erscheine als „ungeheure Warensammlung“ (ebd., S. 49). Und genauso wenig zufällig – wenn auch deshalb noch nicht zwingend[18] – beginnt Marx seine Untersuchung mit einer „Analyse der Ware“ (ebd.). Dies ist gerade nicht, wie Bockelmann ernsthaft (und gleich an zwei Stellen seines Buches) behauptet, der große Fehler von Marx, seine Analyse mit der Ware anstatt mit dem Geld begonnen zu haben (S. 210 und S. 242), sondern dies ergibt sich aus Marxens theoretischer Bestimmung des Kapitalismus als Produktionsweise und dem Verhältnis der von Marx als spezifisch und charakteristisch für die kapitalistische Produktionsweise identifizierten Formen Ware, Wert und Geld. Die Warenform enthält für Marx in nuce das gesamte gesellschaftliche Verhältnis unter den Bedingungen kapitalistischer Produktionsweise, und dazu gehört u.a. die seither in den Köpfen der Menschen verankerte Vorstellung, dass Dinge einen quantifizierbaren „Wert“ haben, dazu gehört klarerweise und folgerichtig das Geld als Wertrepräsentanz, dazu gehört aber auch und ganz besonders die (von Bockelmann so nachrangig und nebensächlich behandelte) abstrakte Arbeit, weil nur sie dazu imstande ist, Mehrwert zu schaffen, auf ihr also die ganze Warenproduktion beruht und so die Selbstverwertung des Werts erst möglich wird.
Ein grundsätzliches Problem von Bockelmann besteht vor diesem Hintergrund also bereits in einem mangelnden Verständnis der Essentials der Marx’schen Theorie, insbesondere der Warenform als eines für Marx zentralen Formprinzips kapitalistischer Gesellschaften und der damit verbundenen theoretischen Bestimmungen von Kategorien wie Ware, Wert, Geld, Arbeit usw. Er vermag daher schlicht nicht zu begreifen, was Marx im Kapital eigentlich tut: nämlich die „elementaren Formen von Ware und Geld [zu bestimmen] und ihren inneren Zusammenhang“ zu analysieren, in dem das Geld „als allgemeine Darstellungsform einer gesellschaftlich übergreifenden Warenform der Reproduktion“ erscheint (Kurz 2012, S. 34).
Aus diesen theoretischen Defiziten erklärt sich auch das erstaunlich ahistorische Verständnis von „Ware“ bei Bockelmann. Es wird der einen oder dem anderen vielleicht schon weiter oben im Kontext von Bockelmanns Ausführungen über die vormoderne „Welt ohne Geld“ aufgefallen sein, dass der Autor in einigen Zitaten den Warenbegriff synonym für „Güter“ oder „Gebrauchsgegenstände“ verwendet. So spricht er etwa mit Blick auf die griechischen kapēloi ausdrücklich von „Waren“, die von diesen damals im alten Athen auf der Agora feilgeboten worden seien (S. 109). Vergleichbare Textpassagen gibt es noch etliche mehr (z.B. S. 121-123). Diese historisch sehr unpräzise Begrifflichkeit ist schon deshalb bemerkenswert, da es der Philologe Bockelmann ansonsten – und völlig zu Recht – so überaus genau nimmt mit der historischen Spezifik von Begriffen wie „Geld“ (aber auch „Staat“ oder „Lohnarbeit“), die in Ermangelung einer Geldwirtschaft für vormoderne Verhältnisse nicht verwendet werden könnten. Umso erstaunlicher ist es, dass er dieselben Einschränkungen nicht auch für die „Ware“ geltend macht, zumal diese doch bei Marx einen Schlüsselbegriff für die Analyse des Kapitalismus bildet und sogar die historisch-spezifische Form beschreibt, welche die meisten Dinge und Beziehungen im Kapitalismus (und nur im Kapitalismus!) annehmen. „Ware“ ist das einzig und allein zum Zweck seines Verkaufs produzierte (oder angeeignete) Gut. Somit führt dieser Begriff bei der Beschreibung einer Epoche und/oder Kultur, die sich nicht über Kauf und Verkauf reproduziert, schwerlich weniger in die Irre, als es der Begriff „Geld“ tut. Vieles in Bockelmanns sonderbarer Marx-Rezeption dürfte unmittelbar in diesem problematischen und historisch schlicht deplatzierten Warenbegriff begründet liegen bzw. jene sich in diesem ausdrücken. Denn solcherart wird nicht nur die historische Spezifik, die Marx für die kapitalistische Gesellschaft als einer warenproduzierenden geltend macht, zum Verschwinden gebracht, auch der auf sich selbst rückgekoppelte Zusammenhang von Arbeit, Ware und Geld muss Bockelmann systematisch verschlossen bleiben. Nur vor diesem Hintergrund kann er behaupten:
„[…] Marx [beginnt] eben nicht mit der Analyse der Ware innerhalb kapitalistischer Gesellschaften, sondern mit der Analyse – wie er glaubt – der Ware als solcher. Das ist der schwere, der kapitale Fehler, mit dem sein Kapital einsetzt. Kapitalistisch wirtschaftende Gesellschaften wirtschaften notwendig mit Geld, Marx jedoch, da er ‚mit der Analyse der Ware‘ noch vor dem Geld beginnt, beginnt damit, sie als eine Wirtschaft ohne Geld zu analysieren: Er analysiert zu Beginn die kapitalistische als eine nicht kapitalistische – das muss schiefgehen.“ (S. 242)
Es ist sein eigener ahistorischer Warenbegriff, der Bockelmann hier glauben macht, Marx könne sich mit der „Ware“ auf etwas anderes als eine kapitalistische Geldwirtschaft beziehen, während der Marx’sche Warenbegriff die Geldform schon immer inkludiert, nämlich als Erscheinungsform des durch abstrakte Arbeit geschaffenen und in die als Waren hergestellten Arbeitsprodukte transferierten „Werts“. Das einzige, was hier gründlich schiefgehen muss, ist Bockelmanns „Marx-Widerlegung“ auf der überaus breiten Grundlage seines krassen kategorialen Unverständnisses.
Nachdem Bockelmann auf diese Weise die Arbeit als Wertsubstanz en passant „erledigt“ und das Marx’sche Kapital- bzw. Ware-Geld-Verhältnis demontiert und einseitig zum Geld hin aufgebrochen (damit aber auch den Kapitalismus de facto als Produktionsweise beseitigt) hat, kann folgerichtig auch seine Erklärung des Mehrwerts und des spezifisch kapitalistischen Verwertungs- und Wachstumszwangs als Ursache nur noch auf das Geld selbst abheben. Ist bei Marx die Grundvoraussetzung von Mehrwert die Existenz von Mehrarbeit, also jenes Teils der Arbeit, der Lohnarbeitern nicht bezahlt und von den Kapitalisten angeeignet wird, läuft Mehrwert bei Bockelmann auf die geradezu „banale“ Tatsache hinaus, dass Waren teurer verkauft als gekauft werden:
„Wer Waren verkauft, muss ihren Preis und Wert so ansetzen, dass ihm zuletzt mehr Geld für sie gezahlt wird, als er Geld dafür gezahlt hat. Geld bewährt sich überhaupt nur dann als Wert, wenn es sich für jemanden in Waren von mehr Wert realisiert, als er zu deren Her- und Bereitstellung jemand anderem an Wert zu realisieren gab. […] Für jeden Geldeigentümer, für jedes Geldsubjekt gilt das Wertgesetz: Nur wenn ihm Waren mehr an Wert einbringen, als an Wert für sie aufzuwenden war, ergibt sich ein Geldgewinn und hat sich ihm Geld dadurch als Wert bewährt.“ (S. 263f.)
Das ist in der Tat schon so banal, dass es gar nicht völlig falsch sein kann. Denn natürlich ist darin irgendwie aufgehoben, dass Waren (im gesellschaftlichen Durchschnitt und Regelfall) teurer sein müssen, als ihre Herstellung, also auch die im Produktionsprozess verausgabte Arbeit, gekostet hat, wenn durch ihren Verkauf Mehrwert realisiert werden soll. Aber die Rolle der (Mehr-)Arbeit für die Mehrwertproduktion ist damit nicht zureichend gewürdigt, ja noch nicht einmal annähernd erfasst, denn letztlich ist es – wenn auch für das bornierte Bockelmann’sche „Geldsubjekt“ nicht unmittelbar erkennbar – die Aneignung unbezahlter Mehrarbeit, die überhaupt erst die Möglichkeit schafft, Mehrwert zu erzeugen. Denn andere Kapitalbestandteile wie etwa Rohstoffe oder Maschinen kosten nun einmal, was sie kosten, und übertragen ihren Wert daher nur auf die jeweilige Ware (deshalb spricht Marx hier auch von „konstantem Kapital“), während allein den Lohnarbeitern Mehrwert abgezwackt werden kann, indem man sie mehr arbeiten lässt, als man ihnen bezahlt bzw. – andersherum – indem man ihnen weniger an Lohn bezahlt, als ihre Arbeitskraft „wert“ ist (gemessen am Warenwert, den eine Ware später am Markt erzielen soll).
Bei Bockelmann hingegen schrumpft der Mehrwert und letztlich das gesamte Kapitalverhältnis zusammen auf einen Effekt der selbstbezüglichen Bewegung des Geldes im kontinuierlichen Prozess des Kaufens und Verkaufens. Gleichermaßen folgerichtig wie engstirnig setzt er neben dem Wert dabei auch das Kapital identisch mit dem Geld: „Geld, das zu mehr Geld werden, Wert, der mehr Wert abwerfen muss: So formuliert sich unverkennbar die Bestimmung von Kapital. Da der Zwang zu mehr aber bereits für das Geld als solches besteht, ergibt sich, dass Kapital nichts anderes ist als Geld. Geld ist Kapital.“ (S. 267) Auch das ist wieder so „unverkennbar“ richtig wie es banal und im Grunde nichtssagend ist. Wäre Marx schon vor anderthalb Jahrhunderten zu dieser Erkenntnis gelangt, hätte er sein Hauptwerk wohl „Das Geld“ genannt, und es stellt sich die spitzfindige Frage, wie Bockelmanns Buch heute heißen würde. Aus der oberflächlichen Feststellung, dass Kapital in der Geldform erscheint, folgt noch lange nicht, dass Geld gleich Kapital, Geld und Kapital also kategorial identisch seien. Denn charakteristisch für das Kapital als gesellschaftlichen Prozess ist gerade all das, was Bockelmann in seiner Bestimmung außen vor lässt bzw. als dem Geld nachgeordnet betrachtet: die rastlose Verwertung des Werts qua Warenproduktion und abstrakter Arbeit im ständigen Wechsel von G–W–G'. Diesen auf sich selbst rückgekoppelten „Gang in sich“ der kapitalistischen Produktionsweise hat Marx bekanntlich im 5. Kapitel des Kapitals in den trefflichen Satz gefasst: „Indem der Kapitalist Geld in Waren verwandelt, die als Stoffbildner eines neuen Produkts oder als Faktoren des Arbeitsprozesses dienen, indem er ihrer toten Gegenständlichkeit lebendige Arbeitskraft einverleibt, verwandelt er Wert, vergangne, vergegenständlichte, tote Arbeit in Kapital, sich selbst verwertenden Wert, ein beseeltes Ungeheuer, das zu ‚arbeiten‘ beginnt, als hätt’ es Lieb’ im Leibe.“ (Marx 1986, S. 209)
Ganz im Unterschied zu Marxens Kapital beginnt Bockelmanns Geld aber an keiner Stelle zu „arbeiten“. Auch in seinen theoretischen Verkürzungen und Defiziten, so könnte man die hier nur kursorisch vorgebrachten Kritikpunkte zusammenfassen, stellt Bockelmanns Buch also eine konsequente Fortführung seiner früheren Arbeiten dar. Speziell mit Blick auf seine Zirkulationsfixierung und die oftmals nicht anders als krude zu bezeichnende Ableitungslogik in der theoretischen Bestimmung von Geld kann im Wesentlichen gelten, was bereits Robert Kurz zu Bockelmanns früherem Werk Im Takt des Geldes (dort allerdings vor allem im Hinblick auf Bockelmanns Ausführungen über die historische Frühphase des Geldes und die sich herausbildende „Synthesis am Geld“) kritisch angemerkt hat:
„Bei Bockelmann erscheint es […] so, als wäre mit diesem konstitutiven Hereinbrechen einer Ware-Geld-Zirkulation (deren Hintergrund in den Konsequenzen der militärischen Revolution ganz ausgeblendet bleibt) und ihrer rein relationalen und funktionalen Abstraktion schon der Begriff des Kapitals und seiner ‚Wirtschaftsgesellschaft‘ gegeben, was für die Individuen […] eine umfassende ‚Marktabhängigkeit‘ bedeute usw. Bei Bockelmann verwandelt sich also die Reduktion des Kapitals auf die Zirkulationssphäre, eine wesentliche Komponente der Aufklärungsphilosophie, die ihre Wurzel teils in der real unvollendeten Konstitution des Kapitals, teils in deren ideologischer Verarbeitung hat, unversehens in die Sache selbst, die aber darin nicht aufgehen kann. […] Bei Bockelmann […] haben wir es gerade mit der entgegengesetzten Fehldeutung zu tun wie beim traditionellen Marxismus oder auch in der genuin bürgerlichen Ideologie: Wird dort die Zirkulation oder funktionale Ware-Geld-Relation zurück in die Geschichte projiziert, um das Kapital aus dieser vermeintlichen Basis hervorgehen und darauf aufsitzen zu lassen, so werden hier umgekehrt das Kapital oder die Moderne und deren Genese auf die als zirkulativ bestimmte Funktionssphäre reduziert und damit identifiziert. Der Übergang zum System der ‚abstrakten Arbeit‘ und der demgemäß umgewälzten Produktionssphäre fehlt […].“ (Kurz 2012, S. 140f.)
Während eine theoretische Reduktion auf die „zirkulativ bestimmte Funktionssphäre“ in einer Arbeit mit Fokus auf das 17. Jahrhundert aber immerhin ein Quäntchen Wahrheit für sich beanspruchen kann, weil man es hier historisch noch mit der „real unvollendeten Konstitution des Kapitals“ zu tun hat, wiegt dergleichen in Bockelmanns neuem Buch ungleich schwerer. Denn hier will er ja die Welt von heute erklären. Bei einer Behandlung des Kapitals „auf seinen eigenen Grundlagen“ sind zirkulative Verkürzungen allerdings wesentlich problematischer als in der tatsächlich in vielerlei Hinsicht noch zirkulativ bestimmten Frühphase.
Angesichts solch schwerwiegender theoretischer Defizite ist es umso bemerkenswerter, wie weit Bockelmanns Ansatz ihn mit Blick auf eine Kritik der kapitalistischen Geldwirtschaft führt. Bockelmann bringt es sogar zu einer Art „Krisentheorie“ des Kapitalismus (S. 315-349), die an manchen Stellen zumindest Anknüpfungspunkte zur Wert-Abspaltungs-Kritik aufweist, bei genauerer Betrachtung jedoch genauso zirkulationsideologisch verkürzt bleibt wie seine übrigen Ausführungen. Zu einer umfassenden Erklärung der Krise der Gegenwart kann er letztlich nicht gelangen. Laut Bockelmann stößt der Zwang des Geldes, sich ständig zu vermehren, heute zunehmend an Grenzen. Das hat zum einen mit der Endlichkeit der Welt zu tun: Irgendwann ist eine Grenze erreicht, wo es nicht mehr hinreichend gelingt, immer noch mehr Aspekte der Welt in Waren zu verwandeln und immer noch mehr Waren zu verkaufen. So erklärt er auch die jüngere Tendenz zur Spekulation und zum „Finanzmarkt-Kapitalismus“: Wenn Geld nicht mehr zureichend über den Umweg des Verkaufs von Waren vermehrt werden kann, geht das Geld dazu über, sich nur noch selbst zu vermehren durch einen spekulativen Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert. Bockelmann kennt insofern ähnlich wie die Wert-Abspaltungs-Kritik sowohl eine innere als auch äußere Schranke der Geldwirtschaft.
Interessant, aber zugleich auch unscharf, ist dabei etwa seine These, dass Geld per se und schon immer „spekulativ“ sei, weil schon dessen Vermehrung durch den Verkauf von Waren immer ungewiss ist und sozusagen nur darauf „spekuliert“ werden kann. Heute mit den „Spekulationsexzessen“ auf den Finanzmärkten komme das Geld lediglich endgültig zu sich – mit allen verheerenden Begleiterscheinungen, die das zeitigt (und die von Bockelmann über weite Strecken gültig beschrieben werden, etwa auch was die ökologischen Konsequenzen der „Plusmacherei“ angeht). Damit gelangt er auch zu einer Kritik an der in der akademischen wie außerakademischen Linken weit verbreiteten, oberflächlichen Neoliberalismus- und Finanzmarkt-Kritik, die in „Finanzialisierung“ und Spekulation den Grund allen Übels anstatt das innerste Wesen einer zunehmend in der Krise befindlichen Geldwirtschaft erblickt[19]:
„Daher ist es auch verkehrt und unkritisch, wenn Wall Street und andere Finanzplätze heute als verbrecherischer Überbau verteufelt werden, der das Geld missbrauchen und Dinge mit ihm anstellen würde, die seinem guten Sinn und Zweck zuwiderliefen. Denn in welche absurden Höhen es diese Art von Wirtschaft mit ihren Papieren und Derivaten inzwischen auch getrieben haben mag, in seiner Selbstbezüglichkeit kommt das Geld darin nur immer ganz zu sich. Im Finanzmarkt entfaltet es seine Logik und ohne Finanzwirtschaft könnte das Geld nicht sein.“ (S. 341)
Eine Unschärfe steckt jedoch insofern in solchen Thesen, als damit erklärungsbedürftige historische Differenzen potentiell eingeebnet werden. So wäre etwa zu betrachten, welche kapitalismusimmanente Krisendynamik schon seit längerer Zeit zu einem sukzessiven Anwachsen des Finanzkapitals geführt hat (Notwendigkeit der Kreditfinanzierung durch einen ständig steigenden Kapitaleinsatz in Folge von Mechanisierung der Produktion bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert), vor allem aber weshalb seit den 1980er Jahren das Kapital praktisch zum Großteil dazu übergegangen ist, sich nur noch spekulativ auf den Finanzmärkten zu verwerten, während davor das Kapital sich primär „realökonomisch“ durch Warenproduktion verwertete. Um das zu erklären, bräuchte es aber eine Theorie, die eben auch die Produktionsebene bzw. die Arbeit systematisch berücksichtigt, insbesondere das durch Automatisierung bewirkte Obsoletwerden von Arbeit und damit auch die Entwertung des Werts durch Schwinden seiner Substanz (die Bockelmann gerade leugnet). Vieles von dem, was Bockelmann beschreibt, würde auf diese Weise erst erklärbar: Industrielle Warenproduktion wird zunehmend unrentabel aufgrund der hohen Produktivität und des damit verbundenen niedrigen Werts der einzelnen Waren. Das zwingt zu einem immer höheren Absatz von Waren, der aber schon aufgrund der Endlichkeit unseres Planeten an Grenzen stoßen muss, vor allem aber auch deshalb, weil das Obsoletwerden von Arbeit durch Massenarbeitslosigkeit in großem Stil Kaufkraft vernichtet, weshalb Konsum schon seit Jahrzehnten nur noch auf Pump läuft. Die Schwierigkeit, Kapital noch hinreichend durch Warenproduktion zu verwerten, führt schließlich zur Verlagerung der Kapitalverwertung in die Spekulation etc. Ausgeführt ist all das seit vielen Jahren en détail in den krisentheoretischen Schriften der Wert-Abspaltungstheorie (z.B. Kurz 1986, 2005; Ortlieb 2009).
3. Fazit
Eske Bockelmanns Buch über „Das Geld“ ist, das dürfte aus den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden sein, mehr Januskopf als Geldtheorie. Seine Stärke liegt nämlich in der überzeugenden Darstellung der vormodernen „Welt ohne Geld“ und dem systematischen Aufzeigen moderner Projektionen und Missverständnisse in der Interpretation historischer Praktiken des Austauschs. Die philologischen Qualitäten des Autors kommen dabei mehr als einmal zum Tragen. Deutliche Schwächen offenbaren sich allerdings bereits bei den Erklärungsversuchen zum „Umschlag ins Neue“, d.h. zur Konstitution des Kapitalismus an der Wende zur europäischen Neuzeit. Vollends auf die Zirkulationssphäre verkürzt (und teilweise unredlich, etwa in Bezug auf Marx und verschiedene Marxismen) ist Bockelmann bei der kategorialen wie historischen Herleitung und Eingrenzung der gesellschaftlichen Rolle dessen, „was Geld ist“, in der modernen Welt. Wichtige Kategorien und Phänomene werden merkwürdig holzschnittartig und beiläufig abgehandelt, etwa die abstrakte Arbeit (S. 282ff.), Eigentum und Konkurrenz (S. 300ff.) oder Krisen (S. 342ff.). Da Bockelmann vorzugsweise ableitungslogisch vorgeht und eine Dialektik von Produktions- und Zirkulationssphäre nicht zu kennen scheint, ist seine Geldtheorie nicht auf der Höhe des „prozessierenden Widerspruchs“, der das warenproduzierende Patriarchat auf seinem Blindflug durch die Geschichte antreibt und kennzeichnet.
Für den „Welt ohne Geld“ betitelten ersten Teil des Buches (S. 17-163) lässt sich daher eine vorbehaltlose, für den „Wie Geld wurde“ überschriebenen zweiten Teil (S. 164-188) eine bedingte Empfehlung aussprechen. Bockelmann hat sich hier große Verdienste um die Demontage des ideologischen Status des Geldes als neutraler Gegenstand und „Quasi-Naturgegenständlichkeit“ erworben. Denn, wie Robert Kurz (2012, S. 34) bemerkt, ist es gerade der „Konsens über den […] transhistorischen Charakter eines sozialen Verhältnisses“, der es, „und trüge es noch so absurde Züge“, der Möglichkeit von Kritik entzieht. Der wert-abspaltungskritischen Theoriebildung könnte und sollte diese Deontologisierung des Geldes auch ein Impuls dafür sein, analog zu Begriffen wie „Arbeit“ oder „Staat“, die Anwendung des Begriffs „Geld“ und der damit zusammenhängenden Denkmuster auf vormoderne Sozietäten zu überprüfen.
Aus dem „Was Geld ist“ betitelten dritten Teil (S. 189-356) ist leider wesentlich weniger zu lernen. Wir empfehlen ihn nur denjenigen, die sich gerne ärgern oder Interesse daran haben nachzuvollziehen, wie weit bzw. wohin man mit starken zirkulationsideologischen Verkürzungen gelangen kann. Denn, und das muss hier abschließend nochmals Anerkennung erfahren, trotz aller theoretischen Engführung entwickelt der Autor seine Analyse des Geldes dermaßen konsequent, dass er letztlich zu weit radikaleren und adäquateren Einschätzungen des Katastrophenkapitalismus der Gegenwart gelangt, als es den allermeisten Linken gelingt (von der akademischen Wissenschaft hier zu schweigen). Vor allem ist Bockelmann zugute zu halten, dass er ausdrücklich für die Abschaffung des Geldes plädiert, womit er in der Stoßrichtung durchaus auf einer Linie mit der Wert-Abspaltungs-Kritik liegt. Insbesondere sein Epilog ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Überwindung der „Anti-Zivilisation des Geldes“ (Robert Kurz). Es sei hier abschließend in einiger Länge daraus zitiert:
„Was Geld tut, das tut es mit den Menschen. Sie leihen ihm ihre Hände, mit ihrem Kopf vermag es zu denken, mit allen ihren Mitteln greift es zu auf diese Welt. Bei Geld geht es nicht mehr um die Frage, ob jemand Geld sein oder nur Geld haben kann. Denn mit Geld ist alles das in sein wüstes Gegenteil verkehrt: Geld ist es seinerseits, das die Menschen hat und das in jedem Menschen ist. Die Menschen handeln selbst als Geld, behandeln die Welt und behandeln sich selbst in seinem Sinn, nach seiner Logik. Und wie sie diese Welt deshalb behandeln müssen, das ist nicht neutral. Es ist ihr Verderben.
Vielleicht ist dieser Gedanke leichter zu ertragen, wenn zugleich der Schönheit gedacht wird, der dieses Verderben droht und die es doch gibt und die es weiter geben könnte. […] Diese Welt, diese schöne Welt – nur ohne Geld kann sie überleben. Aber kann denn eine Welt ohne Geld überleben? Ist eine Welt ohne Geld denn möglich? Kämen Menschen jemals ohne Geld zurecht? Ich kenne alle Beweise, die dergleichen kategorisch ausschließen, und ich kenne sie sehr gut: Ich habe sie mir unzählige Male anhören müssen. Aber ich kenne auch den Beweis, dass diese Beweise nichts taugen. Und dieser Beweis ist: dass die Menschen in einer Welt ohne Geld gelebt haben. Von den geschätzt 200 000 Jahren, in denen Menschen diese Erde bevölkern, sind es kaum mehr als 400, in denen sie – und zunächst nur einige von ihnen – ihr Leben mit Geld verbrachten. Was diese 400 Jahre bis heute gezeitigt haben, ist eine Katastrophe. Aber das beweist nicht, dass es nur katastrophisch weitergehen kann. Deshalb ist es wichtig, nicht auf die Prediger vom ewig-menschlichen Geld zu hören.
Wenn es einmal ohne Geld weitergehen sollte, müsste es nicht gehen wie im Mittelalter. Die ‚Erfolge‘, […] die sich – von mir aus – auch dem Geld und seinem drückenden Zwang zu ‚Fortschritt‘ verdanken mögen, sie sind ja erreicht, egal wie bitter sie bezahlt sind. Und dann würden sie, ohne Geld, vor allem nicht mehr durch jene Katastrophe zunichtegemacht. Sie würden uns dazu verhelfen, bei Weitem anders, bei Weitem besser und bei Weitem freier zu leben als im Mittelalter. Dazu hätten sie, ohne den Zwang des Geldes, endlich und ein erstes glückliches Mal die Freiheit.“ (S. 350-354).
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Endnoten
[1] Den hochtrabenden Gestus eines einzelkämpferischen Welterklärers hat Bockelmann schon in früheren Arbeiten an den Tag gelegt, wie etwa auch Claus Peter Ortlieb in seiner Rezension von Im Takt des Geldes feststellt (Ortlieb 2005).
[2] Sofern nicht anders angegeben, beziehen sich sämtliche Seitenzahlen im Text auf das gegenständliche Buch von Bockelmann. Ebenfalls sind – sofern nicht anders angegeben – alle Hervorhebungen in Zitaten solche des Originaltextes.
[3] Bockelmann kommt dabei wahrscheinlich auch sein Hintergrund als klassischer Philologe zugute, der ihn in die Lage versetzt, hauptsächlich mit (schriftlichen) Primärquellen arbeiten zu können – die er darüber hinaus, anders als viele andere Historiker/-innen, adäquat, d.h. ohne Retrojektion moderner Kategorien, zu übersetzen versteht.
[4] Demnach hätte es z.B. in der Antike bereits eine Geldwirtschaft, Märkte, Lohnarbeit und dergleichen gegeben. Zu den wenigen Kritikern solcher Beschreibungen innerhalb der geschichtswissenschaftlichen Zunft gehören etwa Jacques Le Goff (2011), Knut Görich (2001) oder Moses I. Finley (1980).
[5] Bockelmann setzt sich dabei z.B. kritisch mit diversen bekannten Publikationen der letzten Jahre wie jenen von David Graeber (2012) oder Christoph Türcke (2015) auseinander. Den von Robert Kurz in Geld ohne Wert entwickelten Erklärungsansatz kennt Bockelmann offenbar nicht oder nimmt ihn nicht zur Kenntnis – jedenfalls wird er von Bockelmann mit keinem Wort erwähnt.
[6] „Solidus“ bezeichnet eine römisch-byzantinische Goldmünze, die bis zum beginnenden 12. Jahrhundert in Europa in Verwendung war. Auf Wikipedia wird der Solidus auch als damalige „Leitwährung“ und als „Euro des Mittelalters“ bezeichnet – abermals ein vortreffliches Beispiel für die bornierte Rückprojektion der kapitalistischen Geldwirtschaft in die ferne Vergangenheit.
[7] Wie sehr archaische Gemeinschaften von persönlichen Verpflichtungsverhältnissen in ihrer materiellen Reproduktion durchwirkt waren und wie Besitzrechte gesellschaftlich (ver)bindend wirken konnten, zeigt Bockelmann bereits am Anfang seines Buches in einem schönen Rekurs auf eine Arbeit von Margaret Mead zu den Arapesch auf Neuguinea (S. 43-45).
[8] In diesem Zusammenhang erscheint es bei Kurz im Lichte der Bockelmann’schen Ausführungen z.B. ein wenig wie eine Behelfsformulierung, wenn er mit Blick auf die Vormoderne von einem „Geld“ spricht, „das noch gar keines war“ (Kurz 2012, S. 86). Eben weil „Geld“ in der Vormoderne noch nicht war, sollte wohl auch nicht von „Geld“ gesprochen werden, genauso wenig wie von „Arbeit“ oder „Staaten“.
[9] Dass komplexe Gemeinwesen auf der Basis von Verpflichtung und Zahlung nicht notwendigerweise Münzen benötigten, zeigt Bockelmann übrigens sehr anschaulich am westafrikanischen Königreich Dahome und der dortigen Verwendung der Gehäuse von Kaurischnecken (S. 99-106).
[10] Dies ist laut Bockelmann auch der eigentliche Sinn der Aristotelischen Kritik an der sogenannten Chrematistik, die im Allgemeinen (und fälschlicherweise) als eine frühe Kritik des Geldes gilt, während Aristoteles damit lediglich eine bestimmte Verwendung von Münzen anprangerte, die im Widerspruch zu den antiken Gepflogenheiten stand (S. 124ff.).
[11] Wenn wir einmal dieses Postulat als gegeben annehmen wollen, gegen das allein sich schon viel einwenden ließe – denn das hochmittelalterliche Städtewesen war weder konstitutionell noch in seiner materiellen Reproduktion ein vollständig und klar vom Rest der religiös vermittelten Gesellschaftlichkeit geschiedener, homogener Block.
[12] Vgl. z.B. Mitterauer 2009, Allen 2007, Jones 2003, Pomeranz 2000, Landes 1998 oder die im LIT Verlag erschienene dreiteilige Reihe Der Europäische Sonderweg.
[13] Eine diametrale Gegenthese zu Bockelmanns Erklärungsansatz arbeitet z.B. Ellen Meiksins Wood in ihrem Buch Der Ursprung des Kapitalismus (2015) aus, in dem sie, gegen seine auch in marxistischen Kreisen verbreitete Herleitung aus dem Städtewesen, den Kapitalismus aus agrarischen Ursprüngen hervorgehen sieht. Diesen kontroversen Standpunkt hier inhaltlich zu diskutieren würde den Rahmen unseres Textes sprengen, wir verweisen aber auch deshalb auf Woods Arbeit, weil sie eine brauchbare Diskussion unterschiedlicher Erklärungsansätze zur „Geschichte des Übergangs“ und zur Frage „Handel oder Kapitalismus?“ beinhaltet.
[14] Es ist insofern auch eher gerechtfertigt, von einem Theorem als von einer Theorie zu sprechen.
[15] Zu den frühneuzeitlichen Fürsten als Geburtshelfer des abstrakten „Steuerstaats“ und seiner kameralistischen „Staatszustandswissenschaft“ (i.e. Statistik) vgl. Brodbeck 2017.
[16] Welcher Unfug zwingend dabei herauskommt, wenn versucht wird, den Arbeitswert von Waren exakt zu quantifizieren, um daraus z.B. ein entsprechendes Preissystem zu errechnen, hat Knut Hüller anschaulich herausgearbeitet (vgl. Hüller 2006; ebenso Hüller 2015, S. 24ff.).
[17] So werden auch Marxens Ausführungen über die von ihm so genannte „einfache Wertform“ verständlich, wo es ihm um die Vergleichbarkeit verschiedener Waren durch ihren „Wert“ geht, was jedoch für Bockelmann abermals ein Indiz dafür darstellt, dass Marx den Wert ursprünglich in Warendingen (und nicht umgekehrt im Geld bzw. davon ausgehend) verortet (S. 211f.) – etwa anhand von Formulierungen wie: „x Ware A = y Ware B oder: x Ware A ist y Ware B wert“ (Marx 1986, S. 63). Worauf Marx hier hinaus will, ist nicht mehr und nicht weniger, als dass Waren überhaupt nur untereinander durch einen bezifferbaren, in Geld darstellbaren Wert vergleichbar werden, wenn und weil sie Waren sind. Auch das beschreibt also nur die Logik der Vermittlung von Ware, Wert und Geld und nicht, wie Bockelmann meint, eine sture Ableitung von Geld aus dem Wert.
[18] Dass Marx das Kapital mit der „Ware“ beginnt, ist nicht zuletzt Resultat eines Darstellungsproblems, wie es sich im Grunde für alle dialektischen Sachverhalte stellt. Adorno hat dieses Problem dialektischen Denkens einmal sinngemäß so zusammengefasst, dass man „nicht alles auf einmal“ sagen kann, sondern eben irgendwo anfangen müsse, wobei die auf diese Weise notgedrungen zerrissene Dialektik durch theoretische Vermittlung wiederherzustellen sei. Marx hat sich dafür entschieden, seine Analyse des kapitalistischen Verwertungskreislaufs mit der Ware zu beginnen. Und diese Entscheidung vermag er gut zu begründen, auch wenn sie sich nicht zwingend aus dem Gegenstand ergibt. Auch hat der Fokus auf die Ware bzw. die Warenform durchaus manche blinde Flecken zur Folge, so etwa die für den Kapitalismus nicht minder konstitutiven Formen und Mechanismen der „Abspaltung“ reproduktiver Tätigkeiten und deren Delegation an Frauen (deren Nichtbeachtung allerdings nicht nur einem „Darstellungsproblem“ geschuldet ist, vgl. Scholz 2011). Bockelmann hat freilich schon deshalb kein derartiges „Darstellungsproblem“, weil er nicht dialektisch denken will.
[19] Völlig zu Recht setzt sich Bockelmann in diesem Zusammenhang auch kritisch mit heute stark Zulauf erfahrenden, zutiefst reaktionären „Geldtheorien“ auseinander, die es nicht etwa auf die Abschaffung, sondern auf das „richtige“ Geld abgesehen haben, so z.B. Vorstellungen von „Vollgeld“ (S. 323ff.). Zur Kritik an solchen „Geldtheorien“ aus wert(abspaltungs)kritischer Sicht siehe auch Hüller 2014 sowie 2015 (hier vor allem S. 308-344).