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Andreas Stückler

 

Jugendwahn und Anti-Ageing

 


 

Auszug aus dem Buch Kritische Theorie des Alter(n)s, erschienen im Februar 2024 im Mandelbaum Verlag

 

Es handelt sich um das Kapitel „Jugendwahn und Anti-Ageing“, das im Buch auf einen Abschnitt über eine vom Autor so bezeichnete „alterslose“ Konstitution des modernen Subjekts folgt.

 

Ein Zentralbegriff des Buches, der auch im folgenden Text an verschiedenen Stellen wiederkehrt, ist der einer „Dissoziation des Alters“. Gemeint ist damit die Neigung des bürgerlich-modernen Subjekts, sich vom Alter(n) zu „dissoziieren“, das Alter(n) also von sich als Person gleichsam abzuspalten und zu verdrängen – eine Disposition, die heute im Anti-Ageing vollends zu sich kommt.

 

Zwischenüberschriften wurden für die Online-Publikation hinzugefügt.

 

 



Anti-Ageing und »altersloses Selbst«

 

Die in ihrer psychologischen Aufwändigkeit wahrscheinlich gar nicht hinreichend zu ermessende Verdrängungs- beziehungsweise Verleugnungsleistung, die die Konstruktion eines »alterslosen Selbst« den Menschen abverlangt, konkretisiert sich letztendlich und folgerichtig in einem in den letzten Jahren bis ins Groteske gesteigerten Jugendlichkeitswahn, von dem vor allem eine florierende Anti-Ageing-Industrie mit ständig wachsenden, inzwischen in die hunderte Milliarden gehenden Jahresumsätzen lebt. Das Spektrum reicht hier von Anti-Falten-Cremes, Hormontherapien, Fitness/Wellness über Vitaminpräparate, Viagra, Botox bis hin zur plastischen Chirurgie – alles im Dienste des »alterslosen Selbst«. Die Anti-Ageing-Medizin verkörpert in diesem Lichte die logische Konsequenz einer vollends zur Kenntlichkeit entstellten Altersfeindlichkeit des modernen Subjekts, für das offensichtlich keine unwürdigere Existenz denkbar ist als die des Alters und das nur dadurch mit sich selbst identisch zu bleiben vermag, dass es das Alter(n) und insbesondere physische Alterungsprozesse verdrängt und mit aller Macht bekämpft.

 

Es wurde bereits an früherer Stelle erwähnt, dass der Anti-Ageing-Medizin im Grunde Unrecht getan wird, wenn sie als eine Art Pervertierung oder eine besonders verdammenswerte, wenn nicht gar »unwissenschaftliche« Abirrung vom rechten Pfad der Medizin betrachtet wird. Denn die Anti-Ageing-Medizin ist streng genommen nichts weiter als das Produkt einer modernen Medizin, »die ihren Gegenstand völlig verdinglicht hat« (Jappe 2001: 93, Fn. 3). Und als solches entspricht sie voll und ganz den modernen Subjekten, die in nicht geringerem Maße sich selbst und ihre Körper völlig verdinglicht haben und in erster Linie damit beschäftigt sind, gesellschaftlichen Anforderungen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit, ihrer Produktivität, ihrer Fitness, ihrer Autonomie, ihrer Jugendlichkeit usw. zu entsprechen, um als Subjekte jene gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten, die sie erst zu vollwertigen Gesellschaftsmitgliedern macht. Mit anderen Worten: Wer die Anti-Ageing-Medizin kritisiert, muss auch das moderne Subjekt mit seinem schizophrenen Zwang zur Alterslosigkeit kritisieren. Andernfalls verbleibt die Kritik auf einer Ebene, auf der das Phänomen »Anti-Ageing« nicht zureichend erfasst und problematisiert werden kann.

 

Unzureichend ist es in dem Zusammenhang auch, sich in der Kritik primär auf aktuelle Anti-Ageing-Diskurse zu konzentrieren und so fortschreitende Anti-Ageing-Tendenzen, explizit oder implizit, ursächlich auf die zunehmend hegemonialen Diskurse und »Alterskonstruktionen« der Anti-Ageing-Industrie zurückzuführen. Auch auf diese Weise wird die konstitutive Rolle des »alterslosen« Subjekts negiert, erscheint dieses als bloßes Opfer gleichsam von außen auf es eindringender gesellschaftlicher Jugendlichkeitsimperative, die es zur Verdrängung des Alter(n)s nötigen, anstatt das Subjekt als das zu betrachten und zu theoretisieren, was es nun einmal ist: ein aktiver Mittäter seiner eigenen Zurichtung und Disziplinierung entlang eines an Wahnhaftigkeit grenzenden Ideals der Alterslosigkeit – eine Zurichtung, die das moderne Subjekt über weite Strecken aus eigenem Antrieb an sich und seinem Körper exekutiert, auch wenn es dies freilich »nicht aus freien Stücken« (Marx) tut, sondern als ein sich seiner selbst nicht bewusstes Mitglied einer fetischistischen und entsprechend naturalisierten kapitalistischen Arbeitsgesellschaft, deren Verwertungslogiken den Menschen ewige Produktivität, Aktivität, Fitness usw. abverlangen und somit eine Seinsweise oder Form der Subjektivität, mit der das Alter(n) schlichtweg inkompatibel ist und die sich eben daher durch »Alterslosigkeit« auszeichnet. Erst unter den Prämissen eines »alterslosen Selbst«, eines stets seine eigene Alterslosigkeit herstellenden, das Alter(n) im Interesse der Erhaltung einer subjektiv und sozial tragfähigen Identität mit aller Macht verdrängenden oder leugnenden Subjekts, kann eine Anti-Ageing-Industrie überhaupt entstehen, erwächst dieser erst ihre notwendige Geschäftsgrundlage. Dabei braucht durchaus nicht in Abrede gestellt zu werden, dass die Anti-Ageing-Industrie – so viel ist wahr an jeder noch so kulturalistisch verkürzten konstruktivistischen oder diskursanalytischen Untersuchung des Anti-Ageing-Komplexes – fleißig an der Produktion jenes alterslosen Subjekts mitarbeitet. Aber sie findet den Nährboden dafür und eine entsprechende psychische Disposition bereits in den kapitalistisch sozialisierten Subjekten vor, die sie erst auf dieser Grundlage zu ihren Klienten und Klientinnen formen kann. Ohne »altersloses Selbst« also keine Anti-Ageing-Medizin.

 

Die heutige Anti-Ageing-Medizin verkörpert dabei freilich die historisch, medizinisch und technologisch avancierteste Form des modernen Alterslosigkeits- und Jugendwahns. Bereits die Menschen der Frühen Neuzeit, als sich die kapitalistische Gesellschaft erst langsam und in gewaltsamen Durchsetzungsschüben herausbildete, verachteten das Alter und idealisierten die Jugend. Mythen und Bildnisse wie jene vom Jungbrunnen erzählen von einem Streben der frühneuzeitlichen Menschen nach ewiger Jugend, und Ärzte und Alchemisten der damaligen Zeit, wie etwa Paracelsus, suchten nach Mitteln und Wegen, das Leben zu verlängern und das Alter(n) zu verzögern (vgl. Borscheid 1989). Selbst für die Antike lassen sich unzählige historische Belege für Strategien und Praktiken finden, die darauf zielten, Jugendlichkeit zu erhalten und physische Alterserscheinungen hintanzuhalten (vgl. Trüeb 2006). Was alle diese vormodernen Praktiken vom modernen Jugendwahn unterscheidet, der heute in der Anti-Ageing-Medizin gipfelt, ist jedoch, dass keine vormoderne Kultur das Alter(n) jemals auch nur annähernd in der Form und dem Ausmaß pathologisierte, wie dies in der modernen, kapitalistischen Gesellschaft mit ihrem alterslosen Subjekt der Fall ist. Erst diese spezifisch moderne Pathologisierung des Alter(n)s, die wiederum ein ganz spezifisches Verständnis von »Krankheit« wie auch vom menschlichen Körper insgesamt voraussetzt, konnte die Grundlage dafür schaffen, was heute Anti-Ageing genannt wird.

 

Die im Anti-Ageing der Gegenwart endgültig zu sich kommende Pathologisierung des Alter(n)s nimmt ihre sichtbarste Gestalt darin an, dass das Alter(n) nunmehr als eine behandelbare Krankheit erscheint, die, wenn nicht überhaupt biomedizinisch aus der Welt zu schaffen, so doch immerhin mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zurückzudrängen und zu bekämpfen ist. Der »Kampf« der Menschen gegen das Alter(n) beginnt dabei, so scheint es, immer früher. Bereits mit dreißig ist für so manche/n eine erste kritische Schwelle im individuellen Alternsprozess erreicht, deren Erreichen oder Überschreiten die Ergreifung von Gegenmaßnahmen geboten scheinen lässt, die vom »Einfrieren« des eigenen chronologischen Alters bei 29 (eine Strategie, die vor allem Frauen nachgesagt wird) bis hin zu ersten Schönheits- und Verjüngungsoperationen reichen. Gerade in Anbetracht der heute, im Vergleich zu vormodernen Gesellschaften, ungleich höheren Lebenserwartung und angesichts der Tatsache, dass auch der physische Alterungsprozess unter modernen Lebensbedingungen im Allgemeinen sehr viel langsamer abläuft und in der Lebensspanne deutlich nach hinten gedrängt ist, wirft dies ein entsprechendes Licht auf das im Grunde hochgradig pathologische Moment, das den modernen Jugendwahn auszeichnet. Das kalendarische Alter und der körperliche Allgemeinzustand, in dem sich Menschen heute befinden, wenn sie in die ersten Kampfhandlungen gegen das Alter(n) eintreten, ist in etwa vergleichbar damit, als würde ein antiker Grieche oder Römer bereits im Alter von zwanzig Jahren mit seiner »Altersklage« anheben und dem Verlust seiner Jugend nachzutrauern beginnen. Schon allein aus diesem Grund verbietet sich eine Gleichsetzung heutiger Anti-Ageing-Praktiken mit vormodernen Strategien zur Verzögerung des Alter(n)s, wie sie in der Gerontologie so weit verbreitet ist.

 

 

Geschlechtsspezifische Differenzen des Anti-Ageing

 

Vom Zwang zur möglichst frühzeitigen »Altersverdrängung« oder »Altersverleugnung« sind in modernen Gesellschaften freilich in besonderem Maße Frauen betroffen, die bekanntlich einen Großteil ihrer sozialen Anerkennung aufgrund ihres (beziehungsweise bei Vorliegen eines) schönen Äußeren erhalten und für die das Alter(n) daher doppelt bedrohlich, zumindest aber anders bedrohlich ist als für Männer. Dieser geschlechtsspezifische Zusammenhang wird bereits bei Simone de Beauvoir in ihrer bekannten Abhandlung über das Alter im Prinzip recht treffend auf den Punkt gebracht: »Das Männliche ist nicht eine Beute des Alters; von ihm verlangt man nicht Frische, Sanftheit, Anmut, sondern Stärke und die Intelligenz des Eroberers; weiße Haare und Falten stehen nicht im Widerspruch zu diesem männlichen Ideal.« (Beauvoir 1987 [1970]: 252)

 

Susan Sontag hat dies etwas später auf den Begriff eines »double standard of ageing« gebracht (vgl. Sontag 1975). Demnach seien Frauen infolge ihrer identitären Fixierung auf vergängliche Werte wie Schönheit und sexuelle Attraktivität – im Gegensatz zu Männern, deren sozialer Status auf beständigen Werten wie Macht und Wohlstand basiere – sozusagen einer doppelten, nämlich sowohl sexistischen als auch altersbezogenen Marginalisierung und Diskriminierung ausgesetzt. Das ist durchaus auch nicht nur bei Frauen so, die auf ihre traditionelle Geschlechterrolle als Mutter und Hausfrau reduziert sind und denen daher eine Identifikation über eine qualifizierte Berufstätigkeit, analog zur männlichen Sozialisation, verwehrt bleibt, sondern betrifft selbst noch (und vielleicht sogar im Besonderen[1]) »Karrierefrauen«. Auch sie müssen in ihrem Beruf in der Regel nicht nur besser sein als ihre männlichen Konkurrenten, sondern dürfen dabei auch ihre Weiblichkeit nicht verlieren. Dementsprechend bedrohlich für das eigene Selbstbild wird das Alter(n) von Frauen erlebt, denn es sind gerade die mit »Weiblichkeit« konnotierte jugendliche Schönheit und sexuelle Attraktivität, die im Alter zusehends verlorengehen.


Der zentrale Stellenwert von Schönheit und Jugendlichkeit für die weibliche Geschlechtsidentität schlägt sich daher nicht von ungefähr darin nieder, dass Frauen besonders dafür disponiert sind, intensiv und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln an ihrem Erscheinungsbild zu arbeiten und unter Einsatz eines ganzen Arsenals von kosmetischen Hilfsmitteln, bis hin zur plastischen Chirurgie, zu versuchen, ihr jugendliches Äußeres zu erhalten. Ein jugendliches Aussehen ist für viele Frauen gleichbedeutend mit »Natürlichkeit«, einem als normal und natürlich imaginierten weiblichen Erscheinungsbild, während der alternde weibliche Körper als »unnatürlich« erscheint und in erster Linie auf einen Mangel an »Körperarbeit« und Schönheitspflege verweist. Nicht korrigierend und verschönernd in das eigene Altern und den alternden Körper einzugreifen erscheint daher gerade Frauen häufig als »a moral and physical capitulation to the ravages of time and constitute[s] a graceless management of the aging process. The aging body un-remedied by technology [is] considered to be unattractive, if not objectionable, as well as risky in light of the social and physical realities of growing older.« (Hurd Clarke/Griffin 2007: 198)


Das wahrscheinlich größte weibliche Altersstigma, gegen das Frauen entsprechend intensiv und möglichst frühzeitig vorgehen, sind Falten. Bereits wenn die ersten sogenannten Krähenfüße um die Augen sichtbar werden, ist dies für viele Frauen der Zeitpunkt und ein Signal, ein mit der Zeit potenziell immer umfangreicheres und aufwändigeres Set von Camouflage- und Faltenbekämpfungstechniken zur Anwendung zu bringen, um einem mit dem Alter fortschreitenden Schlaffwerden der Gesichtshaut möglichst effektiv entgegenzuwirken – Techniken, für die die Anti-Ageing- und Schönheitsindustrie, gestaffelt nach der je erforderlichen Intensität der Behandlung, die entsprechenden Mittel, Produkte und Dienstleistungen bereitstellt (Make-up, Anti-Falten-Cremes, Botox-Injektionen, chirurgisches »Facelifting«). Eine wesentliche Rolle im weiblichen Schönheitshandeln spielt auch die Erhaltung des Körpergewichts und einer schlanken Figur (vgl. Höppner 2017), wobei die Erfüllung dieser Norm im Alter nochmals mit eigenen, ganz spezifischen Problemen und Herausforderungen verbunden ist: Ältere Frauen, die nicht auf ihr Körpergewicht achten, lassen sich gehen – Frauen, die zu sehr darauf achten, sind in einer ihrem Alter unangemessenen Weise eitel (vgl. Hurd Clarke 2002). Generell ist die an der Erhaltung von Jugendlichkeit orientierte »Altersverdrängungsarbeit« (Degele 2008: 172) eine für die Subjekte stets herausfordernde Gratwanderung und kollidieren unterschiedliche, oftmals widersprüchliche Anforderungen miteinander: Jugendlichkeit zu erhalten ist zwar eine unhintergehbare Grundvoraussetzung dafür, um als alterndes Subjekt gesellschaftlich anerkennungsfähig bleiben zu können. Wer es damit allerdings übertreibt, wirkt erst recht lächerlich und verspielt seine soziale Anerkennung durch ein altersunangemessenes Erscheinungsbild (ein Beispiel dafür wäre etwa eine alte Frau im Mini-Rock, mit lackierten Fingernägeln etc.). Alternde Subjekte – und hier vor allem Frauen – befinden sich also in einer überaus widersprüchlichen Situation: »Um sichtbar zu bleiben, müssen sie sich entsprechend inszenieren, wozu nicht zuletzt ein jugendliches Auftreten, die richtige Figur oder ein entsprechendes Selbstbewusstsein gehören. Der sichtbaren Inszenierung sind aber Grenzen gesetzt. Schnell kann etwas ins vermeintlich Lächerliche abgleiten oder altersunangemessen erscheinen.« (Denninger 2018: 195f.)


Auch die Wahrnehmung der »Natürlichkeit« oder »Unnatürlichkeit« des alternden Körpers verläuft entlang dieses enorm schmalen Grats, an dem über Erfolg oder Misserfolg der jugendlichen Inszenierung und der damit verbundenen »Körperarbeit« entschieden wird: Eine Frau, die nicht versucht, durch Schönheitshandeln dem Alter(n) entgegenzuarbeiten und ihr »natürliches«, jugendliches Äußeres zu erhalten, altert »würdelos«, insofern sie sich einem alle Jugendlichkeit und damit Weiblichkeit vernichtenden Alternsprozess ergibt. Wer sich hingegen ständig unters Messer legt, bis zur Unkenntlichkeit geliftet ist und am Ende womöglich aussieht wie Michael Jackson oder Jeannine Schiller, altert erst recht wieder »unnatürlich« und gibt sich bloß der Lächerlichkeit preis. Solche Menschen erscheinen schlicht als unauthentisch, bizarr, als Beispiele für extreme Eitelkeit und Oberflächlichkeit, auf die man nur mit einer Mischung aus Entsetzen und Mitleid herabblicken kann (vgl. Hurd Clarke/Griffin 2007: 198).


Natürlich ist das Alter(n) nicht nur für Frauen, sondern durchaus auch für Männer mit mehr oder weniger gravierenden Einschnitten in ihr männliches Rollen- und Geschlechterbild verbunden. Dies resultiert bereits an sich aus der Zäsur, welche die Pensionierung für das männliche Rollenbild und für die sich hauptsächlich über Erwerbsarbeit und Karriere definierende männliche Identität bedeutet. Die Pensionierung stellt im Leben eines modernen Mannes nicht nur deshalb einen Einschnitt in seine männliche Geschlechtsidentität dar, weil mit der Ausgliederung aus der Arbeit ein wesentlicher, den Alltag bis dahin maßgeblich strukturierender, Lebensinhalt verloren geht, sondern weil dieser Verlust de facto auch einer strukturellen wie symbolischen »Verweiblichung« gleichkommt. Empirische Hinweise darauf finden sich in der Gerontologie zuhauf, etwa wenn von einer »Androgynie des späteren Lebensalters« (Neugarten/Gutmann 1968) oder von einer »Feminisierung des Alters« (Kohli 1990) die Rede ist. Dabei wird vor allem von der Beobachtung ausgegangen, dass bei Männern das Ausscheiden aus der männlich konnotierten Erwerbssphäre nicht nur strukturell, sondern sogar psychisch zu einer Art Feminisierung führt: »Der Verlust der Erwerbsposition bedeutet für die Männer – überspitzt gesagt – eine strukturelle Feminisierung. Sie finden sich stärker auf die Ehe und Haushaltsführung als alltägliche Ordnungsschemata verwiesen. Es entspricht dieser Veränderung ihrer Lebenslagen, dass sie sich auch in ihren psychischen Merkmalen verweiblichen.« (Kohli 1990: 401) Während Männer also im jüngeren und mittleren Lebensalter, als Agenten der abstrakten Arbeit, überwiegend Konkurrenzverhalten, Aktivität, Unabhängigkeit, (Charakter-)Stärke usw. demonstrieren (müssen), kehrt sich das Verhaltensmuster im späteren Alter ab dem Ruhestand offenbar der Tendenz nach um und treten zunehmend (auch) »feminine« Eigenschaften wie Passivität, Sensibilität, Zärtlichkeit usw. in den Vordergrund. Das heißt, Männer nähern sich im Alter tendenziell dem weiblichen Geschlechtscharakter an. Dieser »Verweiblichung« alter Männer entspricht, quasi spiegelbildlich, eine gewisse »Vermännlichung« alter Frauen. Diese manifestiert sich sowohl in Veränderungen im äußeren Erscheinungsbild (tiefere Stimme, dünneres Haar, Bartwuchs etc.) als auch in der Übernahme männlicher« Verhaltensweisen, etwa einem aggressiveren, durchsetzungswilligeren Auftreten (quasi das, was man im Volksmund eine »resolute alte Frau« nennt). Bereits Sigmund Freud hat entsprechende Veränderungen im Geschlechtscharakter von Frauen im Alter festgestellt: »Es ist bekannt (…), daß die Frauen häufig, nachdem sie ihre Genitalfunktionen aufgegeben haben, ihren Charakter in eigentümlicher Weise verändern. Sie werden zänkisch, quälerisch und rechthaberisch, kleinlich und geizig, zeigen also typische sadistische und analerotische Züge, die ihnen vorher in der Epoche der Weiblichkeit nicht eigen waren.« (Freud 1931 [1913]: 13)


Daraus folgt freilich nicht, was in gerontologischen Befunden einer »Annäherung der Geschlechter« (Kohli 1990: 401) häufig, zumindest implizit, mitschwingt, nämlich dass es im Alter gleichsam zu einer Erosion der Geschlechterdifferenzen, im Sinne eines »degendering« (Silver 2003), oder gar zu einer Auflösung von Geschlechterasymmetrien komme, sondern diese Befunde verweisen im Grunde nur auf den inferioren gesellschaftlichen Status des Alters selbst: Was speziell an der »Feminisierung« alter Männer deutlich wird, ist nichts anderes als die Reduktion des strukturell männlichen, bürgerlich-kapitalistischen Waren- und Arbeitssubjekts auf eine minderwertige und entsprechend »verweiblichte« Alterssubjektivität. Hier erweist sich gewissermaßen (und abermals) ein unmittelbarer Zusammenhang von Dissoziation des Alters und geschlechtlicher Abspaltung beziehungsweise Wert-Abspaltung: Der Verlust der modernen, strukturell männlichen Subjektivität – im Alter vor allem bedingt durch den Ruhestand – drückt sich strukturell, aber auch kulturell-symbolisch sowie sozialpsychologisch, in einer Verweiblichung aus. Und dies kann am deutlichsten an jenem Teil der Bevölkerung beobachtet werden, der die moderne Subjektform schlechthin verkörpert und repräsentiert, nämlich an Männern.[2]


Der mit dem Alter(n) drohende Verlust von »Männlichkeit« hat aber ebenfalls, ähnlich wie dies schon für »Weiblichkeit« gilt, eine unmittelbar körperliche Dimension. Anders als bei Frauen, bezieht sich diese bei Männern allerdings weniger auf ästhetische Aspekte und körperbezogene Schönheitsideale – auch wenn Schönheit und Attraktivität im Gefolge der postmodernen »Verflüssigung« von Geschlechteridentitäten zunehmend als Normen auch in zeitgenössische Vorstellungen von Männlichkeit eingesickert sind und daher auch immer mehr Männer mit ähnlichen Mitteln wie Frauen ihr äußeres Erscheinungsbild pflegen[3] – sondern in erster Linie auf Aspekte der physischen Funktionalität. Auch das folgt unmittelbar der patriarchal-kapitalistischen Wert-Abspaltungslogik, in der männliche Körper primär als Handlungsinstrumente gesehen und folglich eher an ihrer Kraft und Leistungsfähigkeit gemessen werden. In diesem Sinne hält auch Margaret Cruikshank (2009: 150) fest, dass Männer im Allgemeinen als ein physisches Ganzes (Gesicht und Körper) betrachtet und bewertet werden, während Frauen in erster Linie an ihren Gesichtern identifiziert werden. Dabei ist auch das Spektrum der Anerkennung für männliche Gesichter sehr viel breiter als für weibliche, insofern einem alternden männlichen Gesicht zugeschrieben wird, »Reife«, »Charakter« oder »Erfahrung« auszudrücken. Im Gegensatz dazu erfährt das Gesicht einer Frau nur insoweit positive Anerkennung, als es stets gleich bleibt und sich im Laufe der Zeit gerade nicht verändert, in gewisser Weise also eine »alterslose« Maske darstellt. Das heißt, Frauen werden auf ihr nicht-veränderliches (schönes, jugendliches) Gesicht reduziert, was wiederum korrespondiert mit dem Aufwand, den Frauen vor allem ihrem Gesicht und der Erhaltung ihres jugendlichen Aussehens widmen. Beim Mann hingegen ist bereits die Veränderung seines Gesichts im Laufe seines Lebens Ausdruck seiner persönlichen Entwicklung und entsprechend positiv konnotiert. Darüber hinaus zählt bei ihm nicht nur das Gesicht, sondern auch die Physis, wozu insbesondere körperliche Kraft und Leistungsfähigkeit gehören. Folgerichtig betreffen Alter(n)sprobleme beim Mann weniger die Erhaltung seiner Attraktivität und seines jugendlichen, äußeren Erscheinungsbildes, sondern eher Aspekte der physischen Funktionalität.


Als Inbegriff männlicher Leistungsfähigkeit und physischer Funktionalität steht dabei die »Manneskraft«, deren Verlust geradezu den Gipfel der Unmännlichkeit markiert und daher wohl nicht zufällig das gefürchtetste aller männlichen »Altersleiden« darstellt (vgl. Calasanti/King 2005). In den letzten Jahrzehnten ist die »erektile Dysfunktion«, vermittelt über medizinische und mediale Diskurse, zur männlichen Alterskrankheit schlechthin avanciert – ein Diskurs, an den ebenfalls ein gewaltiger und ständig wachsender medizinisch-industrieller Komplex anknüpft (vgl. ausführlich Marshall/Katz 2002). Anfang August 1999 hat der US-Konzern Pfizer allein in Deutschland 3,8 Millionen Viagrapillen für rund 400.000 Patienten verkauft (Schroeter 2012: 206). 2012, vor dem Auslaufen seines Patentschutzes, lag der weltweite Jahresumsatz von Viagra bereits bei mehr als 2 Milliarden US-Dollar.[4] Was also für Frauen die zwanghafte Erhaltung ihrer jugendlichen Schönheit bis ins Alter mithilfe von Kosmetika, Botox, plastischer Chirurgie etc., ist für Männer die durch Viagra und Co. sicherzustellende Fähigkeit, auch im Alter noch »einen hoch zu kriegen«. In diesem Zusammenhang wird auch die zunehmende Medikalisierung des Alter(n)s deutlich, insbesondere des alternden (Sexual-)Körpers: Bis vor wenigen Jahrzehnten noch eine kaum beachtete, gleichsam hinzunehmende Begleiterscheinung des männlichen Alter(n)s, ist die sexuelle Dysfunktion nun zu etwas hochgradig Pathologischem und zu einer Abweichung von der Norm geworden, die unbedingt einer medizinischen Intervention bedarf.


Dabei ist es nur konsequent, wenn es im Zuge postmoderner Flexibilisierungsprozesse auch hier zusehends zu Überschneidungen zwischen männlichen und weiblichen Handlungsmustern kommt: So wie der Erhalt eines attraktiven, jugendlichen Äußeren mehr und mehr zu einem festen Bestandteil auch des männlichen »Altershandelns« wird, so rückt auch die sexuelle Funktionalität im Alter zunehmend in den Fokus weiblicher Selbstoptimierungsstrategien – inklusive entsprechender, daran gekoppelter kommerzieller Interessen, wie sich etwa am gegenwärtigen Trend zu Hormontherapien und luststeigernden Medikamenten für Frauen ablesen lässt.[5] Derartige Überschneidungen verweisen freilich genauso wenig auf eine entsprechende (emanzipatorische) Aufweichung des modernen Geschlechterverhältnisses, wie die vorhin angesprochenen Tendenzen einer »Annäherung« der Geschlechter im Alter, etwa durch eine »Feminisierung« alter Männer. Und ebenso wenig sind sie mit einem Aufbrechen und einer Überwindung überkommener negativer Altersbilder gleichzusetzen. Eher im Gegenteil: Diese Entwicklungen fallen vielmehr zusammen mit allgemeineren, gesamtgesellschaftlichen Flexibilisierungstendenzen, in deren Zuge sowohl die Grenzen zwischen männlichen und weiblichen Identitäten zunehmend durchlässig werden, als auch »jung« und »alt« tendenziell zu verschwimmen und ineinander überzugehen beginnen und Jugendlichkeit und Aktivität (einschließlich der sexuellen) sich zusehends zu einer universellen, allgemeingültigen Altersnorm aufspreizen. Gerade diese Flexibilisierung erweist sich also – entgegen der in postmodernen Theorieansätzen (z.B. Featherstone/Hepworth 1991) verbreiteten Hoffnung – sowohl als Symptom als auch als enormer Katalysator eines in der Postmoderne auf die Spitze getriebenen Jugendwahns und einer gesamtgesellschaftlichen Tendenz zur »Alterslosigkeit«. Denn: »Wenn nunmehr ältere Menschen dazu ermuntert werden, sich nicht nur jugendlich zu kleiden und jung auszusehen, sondern auch Sport zu treiben, Geschlechtsverkehr zu haben, Urlaub zu machen und sich überhaupt in einer von der Generation ihrer Kinder nicht zu unterscheidenden Art zu sozialisieren (…), dann erfordert das auch ein verändertes Identitätsmanagement im Alter.« (Schroeter 2012: 185) Und dieses veränderte Identitätsmanagement kann unter diesen Prämissen nur in einer intensivierten Verdrängung und Bekämpfung des Alter(n)s bestehen.


Diese Verdrängung und Bekämpfung des Alter(n)s – dies gilt es an dieser Stelle nochmals zu betonen – braucht den Menschen nicht von außen aufgezwungen zu werden, sondern wird von ihnen selbst aus eigenem Antrieb an sich und ihren Körpern exekutiert. Anti-Ageing muss auch nicht gleichsam von oben dekretiert werden, um die Menschen zu entsprechenden Praktiken zu bewegen, auch wenn freilich wissenschaftliche und mediale Anti-Ageing-Diskurse eine immense Wirkung auf sie ausüben. Was die Subjekte antreibt und sie heute zunehmend in die ausgebreiteten Arme der Anti-Ageing-Industrie treibt, ist einzig und allein die Erhaltung ihrer »alterslosen« Identität, da moderne Subjektivität eben nur als alterslose denkbar ist – eine Motivation, die in dem Maße, wie gesellschaftliche Leistungs-, Produktivitäts- und Aktivitätsanforderungen immer weiter steigen, den Subjekten eine zunehmende, geradezu zwangsneurotische Arbeit am eigenen Körper und eine immer radikalere Verdrängung des Alter(n)s abverlangt. Der einzige, dafür aber umso umfassendere Zwang, dem die Subjekte dabei unterworfen sind, besteht darin, dass es zur Erhaltung ihrer alterslosen Subjektivität unter den bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen schlechterdings keine Alternative gibt. Seinen Subjektstatus zu verlieren, ist gleichbedeutend damit, seinen Status als »Mensch« zu verlieren, oder zumindest – was aber im Grunde auf dasselbe hinausläuft – als unvernünftig, wenn nicht unzurechnungsfähig zu gelten. So hält Klaus R. Schroeter mit Blick auf zunehmende Anti-Ageing-Tendenzen durchaus zutreffend fest: »Als Bestandteil einer ›Politik der Zwänge, die am Körper arbeiten, seine Elemente, seine Gesten, seine Verhaltensweisen kalkulieren und manipulieren‹ [Schroeter zitiert hier Foucault, A.S.] (…), sind Fitness, Wellness und anti-ageing längst zu normativen Leitbildern geworden, deren Missachtung mit dem Preis der Zurechnungsfähigkeit bezahlt wird.« (Schroeter 2009: 373) Der gesellschaftlichen Norm der Alterslosigkeit zuwiderzuhandeln bedeutet also de facto eine Form von Wahnsinn, den »Unwille[n] oder die Unfähigkeit, sich wie ein vernünftiges Subjekt zu verhalten« (Greco 2004: 196). Dementsprechend groß ist der Aufwand, den die Menschen zur Erhaltung ihres »alterslosen Selbst« betreiben müssen, ein Aufwand, der sich unter Anti-Ageing-Prämissen zusehends zu einem regelrechten Kampf gegen das Alter(n) auswächst.

 

 

Anti-Ageing und Naturbeherrschung

 

Die Extremform dieses sich sukzessive zuspitzenden Kampfes der Menschen gegen das Alter(n), der seitens der Anti-Ageing-Medizin mittlerweile auch offen als »Krieg« apostrophiert wird (z.B. de Grey 2004), sind jene vielfach plastisch korrigierten, bis zur Unkenntlichkeit gelifteten, da und dort gestrafften, aufgespritzten und mit Silikon- und anderen Implantaten ausgestatteten Gestalten, wie sie periodisch in der Klatschpresse, in diversen Talkshows und in »sozialen Medien« zu besichtigen sind, und von denen sich selbst das durchschnittliche, punkto »Altersverdrängung« ansonsten zu allem Möglichen bereite alterslose Subjekt häufig nur mit Grauen abwenden kann. Was diese Personifikationen des Anti-Ageing so grauenerregend macht, ist, dass bei ihnen das »alterslose Selbst« gewissermaßen radikal nach außen gekehrt, ja geradezu nach außen gestülpt ist. Und in dermaßen nach außen gestülpter Form wird nun erst so richtig erkennbar, was sich hinter dem »alterslosen Selbst« in Wahrheit schon immer der Tendenz nach verbirgt: eine grauenhafte, furchteinflößende, monströse Fratze. So angewidert also die Menschen von diesen alterslosen »Fratzen« der Anti-Ageing-Industrie sein mögen und so sehr sie sich davon zu distanzieren versuchen, letztlich machen diese im Prinzip nur das volle Ausmaß und die himmelschreiende Absurdität der modernen »Alterslosigkeit« selbst kenntlich: Alterslosigkeit ist schlicht ein Unding, eine einzige Widersinnigkeit, die darin besteht, einen untrennbar zum menschlichen (und jedem biologischen) Leben gehörenden Alterungsprozess aufs Radikalste zu negieren. Beim Wort genommen und konsequent praktisch umgesetzt, kann Alterslosigkeit daher nur heißen, sich und seinen Körper solange durch korrigierende Eingriffe zuzurichten, bis er dem Ideal der Alterslosigkeit entspricht – was freilich einer Sisyphusarbeit gleichkommt, denn der physiologische Alterungsprozess lässt sich durch nichts und niemanden aus der Welt schaffen. Dieser kann bestenfalls zurückgedrängt und hinter einer Maske von Kosmetika, gefärbten Haaren, Hautstraffungen und plastischen Operationen zeitweilig verborgen werden, weshalb in immer kürzeren Abständen immer noch mehr korrigierende Interventionen erforderlich werden.

 

An den alterslosen Gestalten des Anti-Ageing zeigt sich daher auch vielleicht nur besonders drastisch, zu welcher physischen und psychischen Gewalt gegen sich selbst ein Subjekt genötigt und bereit ist, das »um vermeintlicher Größe und Macht willen unbewußt darauf verzichten [muss], das Gesamt [seines] Lebens zu bejahen« (Richter 1979: 228) und daher einen untrennbar zu seiner leiblichen Existenz gehörenden physiologischen Alterungsprozess um keinen Preis der Welt zu einem Bestandteil seiner selbst werden lassen darf und entsprechend viel Energie dafür aufwenden muss, diesen Alterungsprozess zu verdrängen und zu bekämpfen. Ein Subjekt, das sich nur »alterslos« denken kann, ist im Grunde so sehr von sich selbst beziehungsweise seiner Existenz als eines immer auch leiblichen, biologischen Wesens entfremdet, dass es dementsprechend auch nur sehr wenig gibt, das dieses Subjekt davon abhält, sich jene Gewalt anzutun, derer es nun einmal bedarf, um ein altersloses Subjekt zu sein. Dies resultiert unmittelbar aus dem eigentümlichen, von Peter Öberg diagnostizierten Selbstverhältnis moderner Subjekte, nämlich mit seinem Körper identisch zu sein (vgl. Öberg 1996: 707), das heißt als Person im wahrsten Sinne des Wortes sein Körper zu sein, sich selbst daher aber auch nur durch diesen Körper repräsentieren zu können, was wiederum eine entsprechende, nie enden wollende, in letzter Instanz gewaltsame, den eigenen Körper korrigierende und disziplinierende »Körperarbeit« verlangt. Im Anti-Ageing der Gegenwart kommt also im Grunde bloß das »alterslose Selbst« des modernen Subjekts endgültig zu sich. Wenn überhaupt zu voller Kenntlichkeit gelangen kann, was es bedeutet und welche Konsequenzen es hat, dass das Selbst nur sein Körper ist, dann wahrscheinlich am ehesten an jenen Anti-Ageing-Gestalten, die eben in der Tat nichts weiter mehr sind als Körper, die auf Gedeih und Verderb auf »alterslos« getrimmt werden.


Der höchste Grad, gewissermaßen das höchste denkbare Niveau der Gewalt gegen sich selbst besteht schließlich fast folgerichtig in der Bereitschaft, sich und sein Leben vollends zu verwerfen, wenn die Diskrepanz zwischen »alterslosem Selbst« und alterndem Körper eine subjektiv nicht mehr tragfähige Form annimmt – mag das moderne Subjekt ansonsten auch noch so todesängstlich sein und sich an seine wertförmige Existenz klammern.[6] Gerade weil es aber jene wertförmige Existenz ist, an die sich das Subjekt so verzweifelt klammert, hört das Leben auch stets auf, ein lebenswertes Leben zu sein oder als solches wahrgenommen zu werden, wo dieses nicht mehr dem wertförmigen Dasein mit seinen Sinnsurrogaten von Arbeit, Geld, Konsum, Autonomie etc. entspricht. Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang ist das gegenwärtige Vordringen von Sterbehilfediskursen zu betrachten – als ein Aufschrei des »alterslosen Selbst«, für das das Alter und damit assoziierte Begleitumstände, wie etwa physische Einschränkungen, Pflegebedürftigkeit oder Demenz, einen so defizitären, de facto »unmenschlichen« Aggregatzustand individueller Existenz darstellen, dass es diesem sogar den Tod und damit die eigene Vernichtung vorzieht. Wo das Selbst mit dem Körper identisch ist, also in nichts weiter als seinem Körper besteht, ist mit der Hinfälligkeit des Körpers auch das Selbst hinfällig.


Man braucht dabei für eine Kritik an der »Alterslosigkeit« und entsprechenden Anti-Ageing-Tendenzen gar nicht so weit zu gehen – wie es in der Gerontologie recht weit verbreitet ist –, Anti-Ageing als »unnatürlich« zu geißeln (dazu kritisch Spindler 2007). Denn was heißt schon »natürlich«? Wer könnte heute überhaupt noch in der Lage sein, zu bestimmen, was »Natur« und was demgegenüber als »unnatürlich« zu beurteilen sein soll, angesichts einer über Jahrhunderte gewachsenen und dynamisch fortschreitenden kapitalistischen »Kultur«, die alle Natur (inklusive jener des Menschen) mit wissenschaftlich-technischen Mitteln zu beherrschen beansprucht und ihren blinden Zwecken unterwirft? Unter den Bedingungen einer Kultur, die Wissenschaft mit »Fortschritt« und menschliche Beherrschung der Natur mit »Erfolg« gleichsetzt (Vincent 2006: 693), wird mithin schwerlich zu bestimmen sein, inwieweit und bis zu welchem Grad ein konkreter Alternsprozess als »natürlich« und ab wann ein solcher als »unnatürlich« zu beurteilen sein soll. In diesem Punkt haben daher poststrukturalistische und (de)konstruktivistische Gerontolog/innen und Alterssoziolog/innen durchaus recht, wenn sie gegen den Vorwurf der »Unnatürlichkeit« von Anti-Ageing einwenden, dass es keinen »natural way to age« (Twigg 2004: 63), also keine »natürliche« Art und Weise des Alterns gibt, weil gar kein von Gesellschaft unberührter biologischer Körper existiert, damit aber auch kein letztgültiges Kriterium, um zu bestimmen, wann Alter(n) »natürlich« oder »unnatürlich« ist (vgl. in diesem Sinne auch van Dyk 2009: 325). Zumindest aber so viel wird sich sagen lassen, dass ein Mensch, der seinen physiologischen Alterungsprozess und damit einen wesentlichen Bestandteil seiner leiblichen Existenz bekämpft, in gewissem Sinne auch seiner Natur zuwiderhandelt, da seine Leiblichkeit – als biologisches Wesen, das der Mensch immer auch ist – ebenso Teil von ihm ist wie sein Dasein als soziales und Kulturwesen, mag sich diese »Natur« aufgrund ihrer kulturellen Überformung mittlerweile auch noch so wenig dingfest machen und sich somit kaum noch bestimmen lassen, wo Natur aufhört und wo Kultur beziehungsweise Gesellschaft beginnt. Das Altern zu bekämpfen heißt, im Namen eines kulturellen Körpers den biologischen Leib zu bekämpfen und damit etwas, das – wie man es auch dreht und wendet – zur menschlichen Natur gehört und immer gehören wird. Möglicherweise ist im physiologischen Prozess des Alterns und in der Endlichkeit des Lebens das einzige wirklich biologische Substrat des menschlichen Daseins zu sehen, das heute überhaupt noch mit Sicherheit und mit gutem Gewissen der Natur des Menschen zugerechnet werden kann. Aber dieses eine biologische, quasi »natürliche« Substrat des Menschseins lässt sich unter keinen Umständen leugnen – oder nur mit jenen Konsequenzen, wie sie heute die Anti-Ageing-Medizin vor Augen führt. Und nur in diesem einen, sehr spezifischen Sinne kann allenfalls auch von einer »Unnatürlichkeit« von Anti-Ageing die Rede sein. Anti-Ageing ist damit aber nicht »unnatürlicher« als alle anderen, ungleich niederschwelliger angesiedelten Praktiken und Strategien, die moderne Menschen zur Repräsentation und Pflege ihres »alterslosen Selbst« anwenden.


Gerade aus diesem Blickwinkel der Frage nach dem Verhältnis von Natur und Kultur beziehungsweise Gesellschaft wird vielleicht auch überhaupt erst ein wesentlicher Aspekt oder die Grundbeschaffenheit der modernen Subjektivität und insbesondere ihrer Körperlichkeit sichtbar, die ohne einen solchen Bezug verdeckt und unsichtbar bliebe; eine Unsichtbarkeit, die die Gerontologie bislang tendenziell in die aporetische Situation treibt, das Alter entweder als eigenständige, anzuerkennende, gleichsam »natürliche« Lebensphase zu naturalisieren, oder aber mit radikalkonstruktivistischem Impetus das Alter(n), inklusive dem physiologischen Alterungsprozess, überhaupt zu einer kulturellen Konstruktion zu erklären, um sodann Phänomene der »Altersverdrängung« theoretisch zu negieren und zu dethematisieren. Denn in gewisser Weise verdeutlicht das Anti-Ageing der Gegenwart ja nur besonders eindrucksvoll, wie vollständig und umfassend die modernen Subjekte jener modernen, kapitalistischen Kultur entsprechen, der sie angehören und deren Produkt sie letztlich sind: In demselben Maße, wie die kapitalistische Gesellschaft die Natur beherrscht, um sie und ihre Ressourcen zum Verfügungsobjekt eines sich auf immer höherer Stufenleiter reproduzierenden Kapitalverwertungsprozesses zu machen, so beherrschen die Menschen auch ihre eigene Natur, indem sie ihren Leib in einen verwertbaren, also dauerhaft funktionstüchtigen, produktiven, fitten, jugendlichen Körper verwandeln und entlang dieser Vorgaben in ebenso steigender Intensität einem lebenslangen disziplinierenden Regime körperbezogener Selbstoptimierungstechniken unterwerfen. Anti-Ageing ist vor diesem Hintergrund bloß die extremste Form einer »methodischen Selbstdisziplinierung des Leibes« (Viehöver 2008). Dabei passt es umso besser ins Bild, dass dieser Zwang zur Selbstoptimierung, gleichsam auf subjektiver Ebene, einer Beherrschung der »ersten Natur« im Medium einer umso bedingungsloseren Unterwerfung unter die »zweite Natur« von Kultur und Gesellschaft gleichkommt, die im Grunde haargenau, sozusagen spiegelbildlich, den Vorgängen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene entspricht und für die Marx den Begriff des »Fetischismus« verwendet hat. So wie die kapitalistische Gesellschaft insgesamt die Natur beherrscht, um sich dafür selbst umso mehr den Zwängen der von ihr geschaffenen »zweiten Natur« von Ökonomie, Geld, Kapital, Arbeit, Markt, Staat usw. zu unterwerfen, so drängen auch die Menschen auf die umfassende und lückenlose Beherrschung ihres biologischen Leibes, nur um sich im Gegenzug den Zwängen und Anforderungen ihres sozialen Körpers zu unterwerfen, auf den sie in der Moderne zusammengeschrumpft sind. Auch der Körper ist mithin eine Art Fetisch, der die Menschen an jene Gesellschaft fesselt, die sie selbst jeden Tag durch ihr Handeln und insbesondere ihre Körperpraktiken hervorbringen und reproduzieren. Und gerade weil die modernen Subjekte nur noch fetischisierte Körper sind, die im täglichen Konkurrenzkampf um Anerkennung und Lebenschancen eingesetzt und zu diesem Zweck nach allen Regeln der Kunst und der Reklame warenförmig zugerichtet und »gestylt« werden müssen, kann die Beherrschung des Leibes auch so extreme und gewaltsame Formen annehmen, wie sie im Anti-Ageing der Gegenwart zunehmend sichtbar werden. Letztendlich können die Menschen mit ihrem Leib nicht anders umgehen, als sie unter kapitalistischen Bedingungen auch mit jedem anderen Aspekt der Natur umgehen: Er wird für blinde gesellschaftliche Zwecke instrumentalisiert, bearbeitet, ausgebeutet, diszipliniert und zugerichtet – gegebenenfalls auch um den Preis seiner völligen Zerstörung. Am Anti-Ageing wird heute also gewissermaßen deutlich, worauf die radikale Beherrschung des Leibes im Namen des sozialen Körpers in letzter Instanz hinausläuft: auf seine brutale Deformierung. Eben deshalb sehen die alterslosen Kreaturen der Anti-Ageing-Medizin so monströs aus, dass man sie nur »with a mixture of horror and pity« (Hurd Clarke/Griffin 2007: 198) betrachten kann – weil sie mit ihren deformierten Leibern (und insbesondere Gesichtern) im Grunde auch nicht mehr wie Menschen, sondern höchstens noch wie die Karikatur eines Menschen aussehen.



Transhumanismus als Fluchtpunkt (post)moderner Alterslosigkeit


Die logische Endgestalt des Anti-Ageing ist bereits unmittelbar absehbar: Die radikalsten unter den Anti-Ageing-Medizinern und Biotechnologinnen träumen bereits davon, den durch und durch defizitären, weil alternden und letztlich sterbenden Leib durch Zuhilfenahme diverser Technologien quasi abstreifen zu können und endlich einen nicht-alternden und damit unsterblichen Menschen zu schaffen. Hier obsiegt gewissermaßen der soziale Körper endgültig über den biologischen, mithin »natürlichen« Leib. Dies könnte besser nicht ausgedrückt werden als durch den Begriff des »Transhumanismus«, unter dem entsprechende Theorien und Konzepte heute firmieren, und der im Grunde in kaum zu übertreffender Weise das Programm vorgibt und unmittelbar erkennen lässt, wohin die Reise des Anti-Ageing gehen soll: in ein Dasein jenseits dessen, was bislang unter dem Begriff »Mensch« verstanden wurde.


Im Transhumanismus erreicht die altbekannte Schizophrenie von »alt werden wollen« und »nicht alt sein wollen« gewissermaßen ihren neuen, zeitgemäßen Höhepunkt. Nicht dass grundsätzlich etwas dagegen einzuwenden wäre, »alt zu werden«, also ein möglichst langes Leben zu führen. Im Gegenteil: Bedingungen zu schaffen, unter denen es möglich ist, dass Menschen nicht einen vermeidbaren frühen Tod sterben, kann nur das Ziel einer jeden Gesellschaft und insbesondere einer Medizin sein, die für sich das Prädikat »menschlich« in Anspruch nimmt. Es ist vielmehr der exzessive Zwang zur »Alterslosigkeit« und das damit assoziierte uferlose Streben nach praktisch unendlicher Verlängerung des Lebens, die die transhumanistischen Ideen so problematisch, ja geradezu verrückt und sehr wahrscheinlich auch gefährlich machen. Vergleichsweise harmlos (gemessen an vielen anderen transhumanistischen Ideen) muten dabei noch die Pläne von Anti-Ageing-Mediziner/innen an, das Altern durch gezielte Interventionen auf molekularbiologischer Ebene zurückzudrängen, indem die für das Altern verantwortlich gemachten Zellalterungsprozesse verlangsamt oder gestoppt werden. Dies entspricht im Wesentlichen der Position des biogerontologischen Mainstreams, ist also auch unter solchen Biomediziner/innen durchaus konsensfähig, die sich ansonsten von den hochtrabenden und als unseriös erachteten Versprechungen der Anti-Ageing-Medizin abgrenzen.


Deutlich weiter gehen bereits Überlegungen, mittels Klonen und Stammzelltechnologie die biologischen Grundlagen des Alterns als solche zu verändern, um auf diese Weise das Altern ganz auszuschalten und letztlich Unsterblichkeit zu erreichen (vgl. Shostak 2002; West 2004; Welsch 2015). Noch einen Schritt weiter gehen Theorien, wonach es innerhalb der nächsten Jahre und Jahrzehnte möglich werden soll, immer mehr Teile des menschlichen Körpers, etwa Organe, durch biotechnologische Implantate oder Computertechnologie (zum Beispiel »Nanobots«) zu ersetzen, um so das Alter(n) aus der Welt zu schaffen. Hier wird bereits auch ganz offen ausgesprochen, worauf die transhumanistischen Bestrebungen hinauslaufen und womit wir es zu tun haben werden, wenn diese in die Tat umgesetzt sind: nämlich nicht mehr mit Menschen, sondern mit »Cyborgs«, teils biologischen, teils technologischen Hybridwesen. So schreibt etwa der bekannte (u.a. mit der US National Medal of Technology ausgezeichnete) »Futurist« und Leiter der technischen Entwicklung bei Google, Raymond Kurzweil: »We are rapidly growing more intimate with our technology. Computers startet out as large remote machines in air-conditioned rooms and tended by white-coated technicians. Subsequently they moved onto our desks, then under our arms, and now in our pockets. Soon, we’ll routinely put them inside our bodies and brains. Ultimately we will become more nonbiological than biological.« (Kurzweil 2004: 103) Begründet wird all dies freilich mit der Steigerung des Potenzials der menschlichen Gattung, ein Streben, das wiederum gleichsam in der Natur des Menschen liege: »As the technologies become established, there will be no barriers to using them for the expansion of human potential. In my view, expanding our potential is precisely the primary distinction of our species.« (ebd.)


Die letzte Steigerung der technologischen Überwindung des Alter(n)s und des Todes besteht schließlich darin, den Planeten in Hinkunft überhaupt mit Robotern zu bevölkern und/oder das menschliche Bewusstsein in Computer zu transferieren, um auf diese Weise eine Art »digitale Unsterblichkeit« zu kreieren (vgl. Minsky 2004; Bainbridge 2004). Besonders die beiden letztgenannten Beispiele machen deutlich, wohin die moderne Naturbeherrschungsrationalität im Transhumanismus letztendlich tendiert: zur radikalen und endgültigen Abschaffung von Natur, im konkreten Fall des biologischen, menschlichen Leibes.


Im Transhumanismus scheint in gewisser Weise auch zu ganz neuer Aktualität zu gelangen, was der Philosoph Günther Anders bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert »prometheische Scham« nannte. Er bezeichnete damit ein Unbehagen beziehungsweise eine Art Minderwertigkeitsgefühl der Menschen, gleichsam hinter den selbst geschaffenen Technologien und Produkten zurückzubleiben. Konfrontiert mit hocheffizienten und leistungsfähigen Maschinen und Geräten in einer zunehmend technisierten (heute: digitalisierten) Gesellschaft, schämt sich der Mensch, so Anders, »geworden, statt gemacht zu sein, der Tatsache also, im Unterschied zu den tadellosen und bis ins Letzte durchkalkulierten Produkten, sein Dasein dem blinden und unkalkulierten, dem höchst altertümlichen Prozeß der Zeugung und der Geburt zu verdanken« (Anders 1992 [1956]: 24). Man könnte es vielleicht auch so ausdrücken: Der Mensch schämt sich, ein biologisches Wesen zu sein. Denn angesichts des rapiden technologischen »Fortschritts«, der zwar nichts anderes als das Resultat des eigenen Handelns (oder zumindest einer durch das eigene Handeln jeden Tag mithervorgebrachten und mitverantworteten Gesellschaft) ist, sich zugleich aber »hinter dem Rücken« (Marx) der Menschen vollzieht, wird der Mensch letztlich zum schwächsten Glied in der selbst geschmiedeten Kette, hinkt mit seinem biologischen Leib der technologischen Entwicklung ständig hinterher. Was bleibt ihm also übrig, als sich und seinen Leib permanent den in immer rascherer Abfolge wechselnden technologischen Innovationen anzupassen? Die Verdinglichung des Menschen und seines Leibes hat eine Stufe erreicht, auf der er seine Verdinglichung bereits so sehr bejaht, dass er »die Überlegenheit der Dinge anerkennt, sich mit diesen gleichschaltet« (ebd.: 30). Und was ist es letztlich anderes als die endgültige und totale Gleichschaltung des Menschen mit seinen technologischen Apparaturen, wenn der Transhumanismus heute die Ersetzung des menschlichen Leibes durch (Bio-)Technologie propagiert, und die bedingungslose Bejahung seiner eigenen Verdinglichung, wenn er dies auch noch zum logischen und erstrebenswerten nächsten Schritt in der menschlichen Evolution erklärt?[7]


In diesem Lichte könnte es daher durchaus zutreffend sein, wenn Jonathan Crary in seiner instruktiven Abhandlung über die Folgen der aktuellen Digitalisierung und insbesondere die Auswirkungen eines nunmehr auf der Grundlage digitaler Technologien rund um die Uhr auf die Menschen zugreifenden Kapitalismus (Internet, soziale Medien, Smartphones etc.) feststellt, dass viele Produkte und Dienstleistungen, die heute die Umkehrung des Alterungsprozesses versprechen, sich möglicherweise weniger einer Angst der Menschen vor dem Tod verdanken oder an eine solche appellieren, sondern ihre Nachfrage vielmehr darauf gründen, dass sie »oberflächliche Simulationen der nicht-menschlichen Eigenschaften und Zeitformen jener digitalen Welten an[bieten], in denen wir uns täglich zum großen Teil aufhalten« (Crary 2014: 85). In einer voll technisierten Welt, die es ermöglicht, endgültig alle Lebensbereiche zu erfassen und durchzukapitalisieren, hat nichts Menschliches mehr Platz, sind leibliche Regungen und Bedürfnisse ein Störfaktor.[8] Vor diesem Hintergrund erscheint der Cyborg, nach dem Willen der Transhumanisten die bereits unmittelbar greifbare nächste Entwicklungsstufe des Menschen, im Prinzip als die zeitgemäße Verkörperung jener radikalen technologischen Anpassung und »Gleichschaltung« des Menschen an einen digitalen Kapitalismus, in dem dieser im Interesse seiner uneingeschränkten Fungibilität und Verwertbarkeit möglichst wenig Menschliches an sich haben darf. Was Günther Anders in den 1950er Jahren als »Antiquiertheit des Menschen« in einer zunehmend technisierten Welt nicht bloß prophezeite, sondern bereits diagnostizierte, wird in gewisser Weise also erst heute in all seinen Implikationen erkennbar: Um den Anforderungen der von ihm geschaffenen und ihn zugleich zunehmend bedrängenden hochtechnisierten und ökonomisierten Welt zu entsprechen, muss sich der Mensch dieser Welt konsequent angleichen, sofern er nicht vollends obsolet werden möchte.


Selbst eine so abstruse Ideologie wie der Transhumanismus kann daher genauso wenig als besonders perverse Abirrung vom rechten Pfad der Wissenschaft beurteilt werden wie die Anti-Ageing-Medizin. Wie jene ist auch dieser vielmehr die zeitgemäße Erscheinungsform eines völlig verdinglichten Verhältnisses des modernen Menschen zu sich selbst und seiner leiblichen Existenz.[9] Und so ist auch der Unterschied zwischen beiden lediglich ein gradueller, nämlich einer der jeweiligen technisch-wissenschaftlichen Entwicklung: Was die bis zur Unkenntlichkeit verjüngten Gestalten der Anti-Ageing-Medizin derzeit noch von den radikalen Zukunftsvisionen des Transhumanismus unterscheidet, ist, dass diese einstweilen noch an einen biologischen Leib gebunden sind, den sie im Dienste ihres sozialen Körpers und ihres »alterslosen Selbst« entsprechend zurichten und medizinisch/chirurgisch verändern müssen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die aktuellen Erscheinungsformen des Anti-Ageing fast schon wieder wie ein Anachronismus. Denn die Zukunft, wenn es nach den Visionären des Transhumanismus geht, liegt woanders – in einer Existenz, in der das »Potenzial« des Menschen nicht mehr durch einen sterblichen, alternden und damit durch und durch defizitären Leib gehemmt wird.





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Endnoten


[1] Wie etwa Grit Höppner auf der Grundlage empirischer Untersuchungen feststellt, wiegt bei älteren Frauen im Kontext von »Hausarbeit« der Aspekt der Funktionalität stärker als »verschönernde« Körperstrategien (vgl. Höppner 2011: 113). Mit anderen Worten: Die auf den Privatbereich oder Haushalt beschränkte Hausfrau braucht auch im Alter nicht unbedingt »schön« zu sein, sondern muss vor allem »funktionieren«.


[2] Dieser hier nur angedeutete Zusammenhang von Dissoziation des Alters und geschlechtlicher Abspaltung müsste freilich in einer eigenständigen Untersuchung noch sehr viel genauer betrachtet werden, als dies an dieser Stelle möglich ist. Zur inferioren »Verweiblichung« des alt gewordenen Subjekts steht auch nicht die zur »Feminisierung« alter Männer gleichsam komplementäre »Vermännlichung« alter Frauen im Widerspruch. Denn deren (sowohl physische als auch charakterliche) »Vermännlichung« ist gleichbedeutend mit dem Verlust all dessen, was ihren ohnehin schon untergeordneten Status als Frauen wesentlich ausmacht. Während Männer im Alter sowohl symbolisch als auch psychologisch zu einer Art weiblichem Wesen mutieren, sind alte Frauen eigentlich nicht einmal mehr das – weder Mann noch wirklich Frau, sondern nur noch ein Wesen von höchst unklarer Gender-Struktur (wenngleich diese auch bei den »verweiblichenden« Männern nur unwesentlich klarer ist). Entsprechend viel Energie müssen Frauen investieren, um ihre Weiblichkeit – und das heißt vor allem Jugendlichkeit, Schönheit und sexuelle Attraktivität – so lange wie möglich zu erhalten.


[3] Was diese Veränderungen für das männliche Alter(n) bedeuten, müsste sich in seiner vollen Tragweite erst noch am Alternsprozess der heute jungen bis mittelalten Generation erweisen.


[4] »Weltweiter Umsatz von Pfizer mit Viagra in den Jahren 2003 bis 2019 (in Millionen US-Dollar)«, de.statista.com (21.5.2024).

[5] Erst vor wenigen Jahren, im Sommer 2015, hat in den USA das »Viagra für die Frau« die Zulassung erhalten.

[6] Siehe hierzu Kapitel 5.4 des Buches (»›Alt werden, aber nicht alt sein‹: Negativer Altersdiskurs versus positiver Langlebigkeitsdiskurs«).

[7] Wie treffend der historisch belastete Begriff der »Gleichschaltung« – dieser stammt bekanntlich aus dem Wortschatz des Nationalsozialismus – für die von Anders thematisierte und heute im Transhumanismus einen neuen Höhepunkt erreichende Angleichung der Menschen an ihre technologischen Apparaturen gewählt ist, kann unter anderem an Victor Klemperers Analyse des Gleichschaltungsbegriffs in seiner Abhandlung über die »Sprache des dritten Reichs« (lingua tertii imperii, kurz LTI) abgelesen werden: »Es gibt in der LTI keinen anderen Übergriff technischer Wörter, der die Tendenz des Mechanisierens und Automatisierens so nackt zutage treten ließe, wie dieses ›gleichschalten‹. (…) Hier wirkt (…) allein die Gewöhnung, den Menschen zu einem technischen Apparat zu erniedrigen« (Klemperer 2015 [1947]: 176f.). Auch das Verdikt, das Klemperer über die Nationalsozialisten, angesichts ihrer offenen Identifikation von Menschen mit Maschinen, spricht, kann umstandslos auf heutige Verhältnisse und insbesondere auf transhumanistische Ideologien übertragen werden: »Eine entgeistigtere Denkart als die sich hier verratende ist unmöglich« (ebd.: 177).


[8] Dies geht mittlerweile sogar so weit (dies ist Crarys eigentliches Thema), dass selbst der Schlaf, als vielleicht einziges bislang noch nicht völlig kapitalistisch ausgeschlachtetes Grundbedürfnis des Menschen, zunehmend zum Gegenstand neoliberaler Selbstoptimierungspraxen wird. Nur noch der Schlaf steht einer vollständigen Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit des Menschen als Humankapital und Konsument im Wege.


[9] Dies kann im Übrigen auch daran abgelesen werden, dass transhumanistische Ideen zunehmend gesellschaftliche Verbreitung finden und einiges an Zustimmung erfahren (vgl. Sun/Kabus 2013; Sorgner 2016).