Andreas Urban
Ein Widerspruch von abstraktem und stofflichem Reichtum
Zum Zusammenhang von Kapitalismus und ökologischer Krise
Der Zusammenhang von Kapitalismus und ökologischer Zerstörung – hier in letzter Zeit besonders prominent der sich abzeichnende Klimawandel (vgl. Foster et al. 2011; Klein 2015; Konicz 2020a) – ist dermaßen evident, dass er mittlerweile nur noch von einigen marktradikalen Hardlinern im Stile eines Donald Trump oder von Rechtspopulisten wie der AfD ernsthaft in Zweifel gezogen wird. Bewegungen wie „Fridays for Future“ (vgl. Sommer/Haunns 2020a) oder „Extinction Rebellion“ (vgl. Extinction Rebellion Hannover 2019) machen mit ihren Protesten auf die fortschreitende ökologische Zerstörung als Folge ökonomischer Wachstumszwänge und deren zunehmende Gefahr nicht nur für den Planeten und dessen natürliche Ökosysteme, sondern für das menschliche Überleben schlechthin aufmerksam. Themen wie „Nachhaltigkeit“, „biologische Landwirtschaft“, „erneuerbare Energien“, „Klimaschutz“ usw. erfreuen sich bis weit in die gesellschaftliche Mitte hinein großer Beliebtheit und zielen auf praktische Maßnahmen zur Lösung der ökologischen Problematik. Seitens einer sich kritisch verstehenden Wissenschaft sind in den letzten Jahren u.a. Konzepte wie „Postwachstum“ in den Fokus gerückt, die auf eine „große Transformation“ hin zu einer Form der gesellschaftlichen Reproduktion ohne ökologisch zerstörerischen Zwang zu wirtschaftlichem Wachstum drängen (vgl. Paech 2009, 2012; Seidl und Zahrnt 2010).
Umso bemerkenswerter angesichts der kaum zu leugnenden Evidenz und des zunehmenden Bewusstseins über die bedrohlichen Konsequenzen der kapitalistischen Produktionsweise ist, dass praktisch alle kritischen Ansätze und Bewegungen mit den von ihnen ins Auge gefassten Gegenstrategien und Maßnahmen gegen die weiter zunehmenden ökologischen Destruktionspotenziale die kapitalistische Gesellschafts- und Lebensform im Wesentlichen unangetastet lassen und im Prinzip auf das Paradox hinauslaufen, Umwelt und Klima retten zu wollen, ohne die eigentliche Ursache ihrer Zerstörung – eben die kapitalistische Produktionsweise als solche – kritisch zur Disposition zu stellen. Dies wird vielleicht besonders deutlich an heute so berühmten und öffentlichkeitswirksamen Konzepten eines „grünen Kapitalismus“ oder einer „ökosozialen Marktwirtschaft“ (Heinrich-Böll-Stiftung 2007; Radermacher et al. 2011), die im Grunde die Annahme implizieren, die Ursachen des Ökologieproblems lägen lediglich in einer falschen Orientierung und Steuerung der Marktwirtschaft (z.B. in einer einseitigen ökonomischen Wachstumsorientierung, an einer ökologisch problematischen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern etc.), nicht aber in der Marktwirtschaft selbst. Vergleichbares gilt aber durchaus auch für Bewegungen wie „Fridays for Future“ mit ihrer von gesamt-gesellschaftlichen und politisch-ökonomischen Erwägungen überwiegend bereinigten und häufig individualistischen Kritik, die bezeichnenderweise auch nicht im Widerspruch zu einem in diesen Bewegungen oftmals anzutreffenden Konsumhedonismus zu stehen scheint (dazu kritisch Stapelfeldt 2019). Und sogar für die genannten, sich nach außen hin radikal kapitalismuskritisch gerierenden „Postwachstums“-Konzepte kann dergleichen konstatiert werden, insofern diese im Grunde auf die Illusion einer weiterhin geldvermittelten, auf Lohnarbeit beruhenden (ergo kapitalistischen) Gesellschaft ohne Wachstum hinauslaufen. Ein Kapitalismus ohne Wachstum kommt aber der berühmten Quadratur des Kreises gleich, denn der Wachstumszwang gehört nun einmal zum Wesen der kapitalistischen Produktionsweise, insofern er unmittelbar aus der Logik der Kapitalverwertung resultiert.[1]
Im vorliegenden Beitrag sollen daher – ausgehend von besagten Widersprüchen aktueller wachstumskritischer Ansätze – einige grundsätzliche theoretische Überlegungen zum Zusammenhang von Kapitalismus und ökologischer Zerstörung, insbesondere mit Blick auf den heute besonders im Mittelpunkt stehenden und bereits in der Gegenwart in weiten Teilen der Welt verheerende Auswirkungen zeitigenden Klimawandel, angestellt werden. Diese Überlegungen bleiben aus Platzgründen eher thesenhaft, auch wird damit der Zusammenhang von kapitalistischer Produktionsweise und ökologischer (Selbst-)Zerstörung bei weitem nicht erschöpfend abgehandelt. Vielmehr wird es im Folgenden darum gehen, diesen Zusammenhang eher grob und allgemein auf gesellschaftstheoretische Begriffe zu bringen. Die folgenden Ausführungen verstehen sich vor allem als Beitrag zur wachstumskritischen Diskussion, indem eine weitergehende theoretische Erklärung kapitalistischer Wachstumszwänge angeboten wird. Auf diese Weise soll verdeutlicht werden, dass eine „große Transformation“, wie sie heute zunehmend (und zu Recht) gefordert wird, sehr viel mehr erfordern wird, als es die meisten wachstums-kritischen Ansätze und Bewegungen unterstellen, nämliche eine radikale Infragestellung der kapitalistischen Gesellschafts- und Lebensweise insgesamt.
1. Die zwei Reichtumsformen des Kapitalismus und ihr widersprüchliches Verhältnis
Dass der Klimawandel wie auch alle anderen gesellschaftlichen Tendenzen zur Zerstörung von Natur und Umwelt etwas mit Kapitalismus zu tun haben, ist heute, wie eingangs angesprochen, weitestgehend konsensfähig. Woran es jedoch zumeist mangelt, ist die zureichende Bestimmung der tieferen Ursachen kapitalistischer Wachstumszwänge. Den kapitalistischen Wachstumszwang und dessen unübersehbare destruktive Effekte zu problematisieren ist eine Sache, eine hinreichende kritische Theoretisierung seiner Ursachen und gesellschaftlichen Voraussetzungen eine andere. Es gilt daher, die Frage in den Mittelpunkt zu rücken, worin der ökonomische Wachstumszwang des Kapitalismus begründet liegt und was genau es eigentlich ist, das da so zwanghaft wächst.
Nach Marx ist Kapitalismus eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die auf der ständigen Verwertung von Kapital beruht, und diese Verwertung von Kapital erfolgt wiederum auf dem Wege der Ausbeutung und produktiven Vernutzung menschlicher Arbeitskraft. Marx hat vor diesem Hintergrund nicht zufällig die Arbeit stets als die „Substanz“ des Kapitals bezeichnet (Marx 1986, S. 53). Dies ist im Übrigen auch der Grund, weshalb sich die kapitalistische Gesellschaft ihrem Wesen nach als eine „Arbeitsgesellschaft“ darstellt, in der sich alles, insbesondere aber das Leben ihrer Mitglieder, in erster Linie um (Lohn-)Arbeit dreht, und in der auch das Fortkommen der Menschen nur solange gewährleistet ist, solange sie in der Lage sind, ihre Arbeitskraft erfolgreich zu verkaufen. Hier kommt noch hinzu, dass Massenproduktion und Massenkonsum, wie sie für entwickelte kapitalistische Gesellschaften charakteristisch sind, eine entsprechende Kaufkraft in der Bevölkerung voraussetzen, die wiederum selbst nur aus Arbeitseinkommen stammen kann, also ebenfalls auf Arbeit beruht. Auch sämtliche Staatstätigkeiten – vom Sozialstaat bis hin zu so unterschiedlichen Bereichen wie Sicherheits-, Rüstungs-, Gesundheits- oder Klimapolitik – müssen durch Abschöpfung von der gesamtgesellschaftlichen Mehrwertmasse qua Steuern finanziert werden, sind also ebenfalls stets auf eine gelingende Wertverwertung und damit auf die hinreichende Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im Verwertungsprozess angewiesen. Die Funktionsfähigkeit einer so beschaffenen Gesellschaft hängt mithin unmittelbar von ihrer Fähigkeit ab, ihre Mitglieder hinreichend in Lohnarbeitszusammenhänge zu integrieren. Dementsprechend großen Raum nimmt auf jeder politischen Agenda die Schaffung von Arbeitsplätzen ein.[2] Für den Kontext des vorliegenden Beitrags ist jedoch vor allem von Belang, dass der Sinn und Zweck der kapitalistischen Verwertung von Arbeit einzig und allein in der Vermehrung von Geld besteht: Am Ende eines jeden Produktionsprozesses muss als Kapital investiertes Geld einen Profit abwerfen, andernfalls wird die Produktion eingestellt oder gar nicht erst aufgenommen.
Claus Peter Ortlieb spricht in diesem Zusammenhang – ebenfalls unter Rekurs auf Marx – von einem „Widerspruch von Stoff und Form“ (Ortlieb 2009). Laut Marx sei der Kapitalismus (im Gegensatz zu allen früheren Gesellschaftsformationen) charakterisiert durch zwei analytisch zu differenzierende, zueinander in einem widersprüchlichen Verhältnis stehende Formen gesellschaftlichen „Reichtums“. Im Kapitalismus zähle allein der abstrakte Reichtum, d.h. der durch die Produktion und den Verkauf von Waren erzielte Mehrwert. Davon zu unterscheiden sei der wirkliche bzw. stoffliche Reichtum, den die jeweils hergestellten Produkte als Gebrauchsgegenstände repräsentieren (vgl. Ortlieb 2009, S. 27ff.). An diesen stofflichen Reichtum bzw. dessen Herstellung sei der abstrakte Reichtum des Kapitalismus zwar unmittelbar gebunden – immerhin müssen konkrete Produkte produziert und verkauft werden –, allerdings sei dieser gegenüber der Produktion von abstraktem, geldförmigem Reichtum im besten Fall sekundär, weshalb folgerichtig auch jede „wirtschaftliche Tätigkeit, die keinen Mehrwert verspricht, unterbleibt, auch wenn sie noch so viel stofflichen Reichtum hervorbringen würde“ (ebd., S. 28). Auf diese Weise wird etwa auch das ganz alltägliche, nur allzu gut bekannte kapitalistische Paradox möglich, dass Hunger und Elend in der Welt eher wieder im Zunehmen als im Abnehmen begriffen sind, obwohl die produktiven Kapazitäten des kapitalistischen Systems mittlerweile so enorm sind, dass zwischen einem Drittel und der Hälfte aller produzierten Lebensmittel keinen Käufer finden bzw. im Müll landen. Laut der Welt-ernährungsorganisation (FAO) könnte die globale Lebensmittelproduktion bereits heute rund 12 Milliarden Menschen ernähren. Stattdessen haben wieder „Überbevölkerungs“-Diskurse Hochkonjunktur, die als Ursache für die grassierenden Hungersnöte eine die Nahrungsmittel-produktion übersteigende Bevölkerungsentwicklung postulieren (vgl. Konicz 2016, S. 146ff.). Solche grob verzerrten und an der gesellschaftlichen Realität vorbeigehenden Auffassungen kommen vor allem dadurch zustande, dass das kapitalistische Alltagsbewusstsein (ebenso wie die meisten ökonomischen Theorien) dazu neigt, die beiden von Marx differenzierten Reichtumsformen miteinander zu vermengen bzw. zu verwechseln: Steigende Produktivität erscheint in der gesellschaftlichen Wahrnehmung per se als gut, weil dadurch für die Menschen entsprechend mehr Gebrauchsgüter, insbesondere in Form von Lebensmitteln, geschaffen werden können, was wiederum hilft, den vielen Hunger in der Welt zu bekämpfen. Systematisch übersehen wird dabei, dass die hinreichende Versorgung von Menschen mit Lebensmitteln längst nicht mehr an mangelnder Produktivität scheitert, also durchaus kein Problem des stofflichen Outputs ist, sondern vielmehr einen unzureichenden Zugang vieler Menschen zu abstraktem Reichtum, in Form von Geld bzw. Kaufkraft, zur Ursache hat.
Aus genau demselben Grund der kapitalistisch prioritären Generierung abstrakten Geldreichtums führt die steigende Produktivität in der Herstellung von Gebrauchsgütern auch nicht – was längst möglich und sogar zweckmäßig wäre – zu einer entsprechenden Reduzierung der Arbeitstätigkeit, sondern erhöht, im Gegenteil, nur umso mehr den Druck, irgendwelche (in stofflicher Hinsicht noch so fragwürdige oder sogar offen destruktive) neue Produkte und Geschäftszweige[3] mit entsprechenden Arbeitsplätzen zu schaffen, weil ansonsten Massen-arbeitslosigkeit den Menschen ihre Existenzgrundlage entziehen würde und damit der Wirtschaft auch ihre Konsument/innen. Nicht ohne Ironie hat dies bereits der britische Ökonom und Namenspatron des Keynesianismus, John Maynard Keynes, zum Ausdruck gebracht, als er einmal den Vorschlag machte, der Staat könnte zwecks Arbeitsbeschaffung gegebenenfalls private Unternehmen damit beauftragen, Löcher in den Erdboden zu graben und anschließend wieder zuzuschütten (vgl. Keynes 1936, S. 110f.). Er hat damit nur die paradoxe und im Grunde nicht anders als verrückt zu bezeichnende Logik kapitalistischer Arbeitsgesellschaften ausgesprochen: Arbeit schaffen – egal welche, egal wie und egal wozu.
2. Zerstörung stofflichen Reichtums als Voraussetzung für die Erzeugung abstrakten Geldreichtums
Unter ökologischen Gesichtspunkten ist nun besagter „Widerspruch von Stoff und Form“ (Ortlieb) zumindest in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Die Fokussierung jeglicher gesellschaftlichen Produktion auf die Generierung von Mehrwert (in Gestalt einer ständigen Vermehrung von Geld) macht die kapitalistische Produktionsweise per se gleichgültig gegenüber der stofflichen Seite des Verwertungsprozesses. Zwar ist die Produktion abstrakten Reichtums (Mehrwert) stets auf die Herstellung von stofflichem Reichtum angewiesen – dies sogar umso mehr, je produktiver das System wird. Der Erhalt von stofflichem Reichtum aber, „der frei zur Verfügung steht und deshalb in die produzierte Wert- und Mehrwertmasse nicht eingeht (...), ist im Vergleich zur Notwendigkeit der Kapitalakkumulation bestenfalls nachrangig, oder anders gesagt: Dient die Zerstörung stofflichen Reichtums der Wertverwertung, so wird er zerstört“ (Ortlieb 2009, S. 48f.).
Evident wird dies jeden Tag an der geradezu systematischen Vernichtung natürlicher Ressourcen, den verheerenden Effekten industrieller Landwirtschaft auf Böden und Biodiversität, der zunehmenden Verschmutzung von Luft und Wasser bis hin zur Beeinträchtigung des Weltklimas durch die stetig ansteigende Emission von Treibhausgasen durch Industrie, Autoverkehr etc. – alles im Dienste oder jedenfalls als unmittelbare Folge einer Produktionsweise, die nicht die Produktion von stofflichem, sondern die Produktion von abstraktem Reichtum, in Form von „Mehrwert“ bzw. „Profit“, zum primären Zweck allen Wirtschaftens macht.
Aus dieser Perspektive liegt es also unmittelbar in der Logik und der Funktionsweise kapitalistischer Gesellschaften begründet, dass die Zerstörung stofflichen Reichtums (und dieser umfasst insbesondere alle ökologischen Lebensgrundlagen) nicht nur einen unintendierten Nebeneffekt kapitalistischer Mehrwertproduktion darstellt, sondern vielmehr – und ganz im Gegenteil – der Mehrwertproduktion dient, ja sogar profitträchtig sein kann. Dass (und in welchen absurden Formen) selbst die unmittelbare und systematische Vernichtung stofflichen Reichtums der Erzeugung abstrakten, kapitalistischen Geldreichtums dienen kann, konnte in jüngerer Vergangenheit etwa am politisch subventionierten Abwracken von Autos beobachtet werden (vgl. Hüller 2015, S. 19f.). In diesen Zusammenhang gehört aber auch die nur zu gut bekannte Praxis der Vernichtung von Lebensmitteln, die bei fehlender Nachfrage bzw. bei Überproduktion systematisch vernichtet werden, um die Marktpreise stabil zu halten.[4] Die Zerstörung stofflichen Reichtums hat im Kapitalismus also nicht bloß System als Nebenfolge der Mehrwertproduktion, sondern kann mitunter bereits als solche mehrwertbildend sein – und eben nur darauf kommt es unter kapitalistischen Gesichtspunkten an.
Diesen systemischen Zusammenhang von kapitalistischer Mehrwertproduktion und fortschreitender ökologischer Zerstörung betont auch Moishe Postone:
„Überlegungen bezüglich möglicher Grenzen oder Schranken der Kapitalakkumulation einmal beiseite gelassen, besteht eine der Konsequenzen, die durch diese besondere Dynamik impliziert wird – die größere Zuwächse an stofflichem Reichtum als an Mehrwert erzielt –, darin, die Umwelt beschleunigt zu zerstören. Marx zufolge ist es ein Ergebnis der Beziehung zwischen Produktivität, stofflichem Reichtum und Mehrwert, daß die andauernde Expansion des letzteren zunehmend schädliche Konsequenzen für die Natur wie für die Menschen hat.“ (Postone 2003, S. 469)
Bereits Marx hat unmissverständlich auf diese zunehmend schädlichen Konsequenzen der kapitalistischen Produktionsweise für Mensch und Natur hingewiesen (wenn auch primär mit Blick auf die im 19. Jahrhundert anhebende Industrialisierung der Landwirtschaft):
„Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne [sic] Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land (…) von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Marx 1986, S. 529f.)
Je weiter sich die kapitalistische Produktionsweise also ausbreitet und je produktiver das System infolge seiner eigenen Wachstums- und Produktivitätslogik wird, desto größer sind die destruktiven Begleiterscheinungen, die diese Produktionsweise zeitigt, und dies mit systemischer Notwendigkeit und folgerichtiger Konsequenz.
Man könnte diese auf Verwertung, Produktivität und Wachstum ausgerichtete kapitalistische Funktionslogik gewissermaßen als eine im Kern „dysfunktionale Funktionalität“ (Stückler 2019) bezeichnen, als eine dem Kapitalismus inhärente Funktionsweise, die in sich so widersprüchlich und destruktiv ist, dass ihr immer effizienteres „Funktionieren“ in zunehmendem Maße soziale, ökonomische und ökologische Schäden anrichtet, und zwar so lange, bis diese Schäden so groß werden, dass die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft selbst zunehmend bedroht ist. Die klassische Kritische Theorie rund um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno verwendete für solche Tendenzen den ganz ähnlichen dialektischen Begriff einer „irrationalen Rationalität“ (vgl. Horkheimer 2008; Horkheimer/Adorno 2010). Dieses Verdikt bezog sich darauf, dass die kapitalistische Gesellschaft hoch rationale Mittel für einen letztlich irrationalen Zweck – nämlich den Selbstzweck der Kapitalverwertung – einsetzt, wodurch ständig eine ganze Reihe (auto-)destruktiver Potenziale freigesetzt werden (z.B. Atomkraft, ökologischer Raubbau etc.). Und eben diese „irrationale Rationalität“ bzw. „dysfunktionale Funktionalität“ kapitalistischer Gesellschaften nimmt mittlerweile Formen und Ausmaße an, die deren nachhaltige Reproduktion zunehmend in Frage stellen.
3. Kapitalismus und „Nachhaltigkeit“
Dies führt unmittelbar zum zweiten Punkt des Zusammenhangs von Kapitalismus und ökologischer Zerstörung. Dieser besteht darin, dass die Wachstums- und Produktivitätszwänge kapitalistischer Mehrwertproduktion schon mit Notwendigkeit jede „Nachhaltigkeit“ wirtschaftlichen Handelns systematisch unterminieren, da Wachstum und ständig steigende Produktivität gar nicht anders erzielt werden können, als immer noch mehr Produkte abzusetzen, also immer noch höheren stofflichen Output zu produzieren. Und dies impliziert wiederum unmittelbar, dass dementsprechend auch die Produktion immer weiter ausgedehnt, immer noch mehr Geschäftsfelder und Märkte erschlossen, folglich immer noch mehr Ressourcen verbraucht werden müssen – mit allen damit zusammenhängenden ökologisch destruktiven Begleiterscheinungen (steigender Energieverbrauch, Ressourcenverknappung, wachsende Schadstoffemissionen etc.).
In diesen Zusammenhang gehören etwa so bekannte (wie für Konsument/innen häufig recht ärgerliche) Phänomene wie die sogenannte „geplante Obsoleszenz“. Die stetig steigende Produktivität macht es erforderlich, entsprechend mehr Waren abzusetzen, damit die Produktion hinreichend rentabel bleibt. Eine wesentliche Strategie besteht vor diesem Hintergrund darin, Produkte (z.B. elektronische Geräte) möglichst kurzlebig herzustellen, damit in absehbarer Zeit ein neues Produkt angeschafft bzw. gekauft werden muss. Dies geschieht etwa durch den Einbau von Sollbruchstellen, die bewirken sollen, dass das Gerät möglichst bald nach Ablauf der Garantiezeit den Geist aufgibt, aber auch durch moralischen Verschleiß, kulturindustrielle „Moden“ oder die Entwicklung immer neuer Warenmodelle und technischer Updates: „nichts ist peinlicher als das iPhone der vorletzten Generation“ (Konicz 2020a, S. 323). Daraus ergeben sich wiederum eine Reihe von ökologisch relevanten Folgeproblemen, etwa stetig wachsende Berge von Elektroschrott und anderem Müll (die von den Hauptverursachern des globalen Nordens bevorzugt in Entwicklungsländern abgeladen werden, vgl. Bedszent 2017, S. 95ff.). Auf dem mittlerweile erreichten Stand der Produktivkräfte produziert der Kapitalismus also im wahrsten Sinne des Wortes für die Müllhalde.
Alle systemimmanenten Versuche, diesen destruktiven Potenzialen der kapitalistischen Produktionsweise zu begegnen bzw. entgegenzuwirken, sind im Prinzip schon von vornherein zum Scheitern verurteilt, da sie sich zwangsläufig darin erschöpfen müssen, diese destruktiven Potenziale im allerbesten Fall zu kompensieren oder ihre Effekte zeitweilig zu mildern bzw. zeitlich hinauszuschieben. Ein symptomatisches Beispiel dafür sind sogenannte „End-of-Pipe-Technologien“ wie z.B. Partikelfilter, die industrielle Schadstoffemissionen verringern sollen. Als Technologien, die lediglich dem Produktionsprozess nachgeschaltet sind, das heißt den Produktionsprozess als solchen, mit all seinen permanent steigenden Wachstums- und Produktivitätszwängen, gerade unangetastet lassen, sind diese schon per se ungeeignet, irgendein Emissionsproblem nachhaltig zu lösen. Allfällige Reduktionen von Schadstoffemissionen durch Partikelfilter werden bei weiter steigender Produktivität, bei weiterer Ausdehnung industrieller Produktion und einem entsprechend steigenden Produktausstoß durch einen entsprechenden Anstieg industrieller Emissionen zwangsläufig aufgewogen und mit der Zeit wieder ein- bzw. überholt (vgl. Cunha 2016, S. 32ff.).
Dies gilt im Prinzip analog für „erneuerbare Energien“ (Solarenergie, Windkraft etc.). Auch durch erneuerbare Energien wird die Energiegewinnung niemals „nachhaltig“ sein können, wenn damit ein global immer schneller steigender Energiebedarf gedeckt werden muss – noch dazu, wenn, wie geplant, in absehbarer Zeit auch der gesamte Autoverkehr auf Elektroantrieb umgestellt werden soll. Die enormen Investitionskosten, die eine gesamtgesellschaftliche Umstellung auf erneuerbare Energien erfordern würde – schon allein mit Blick auf die dafür notwendige Infrastruktur – und die schon deshalb klimaschädliche fossile Energieträger wie Erdöl, Kohle und Gas in der kurzsichtigen, auf Profit fokussierten kapitalistischen Kostenrechnung bislang stets „rentabler“ erscheinen lassen, sind dabei in der Betrachtung noch gar nicht berücksichtigt. Was konkret die E-Mobilität als angeblich „klimafreundliche“ und entsprechend politisch zu fördernde Form der Mobilität betrifft, muss im Übrigen auch zur Kenntnis genommen und kritisch reflektiert werden, dass der dafür erforderliche Strom schon beim heutigen Stand (also noch ganz unter Absehung von einem durch E-Mobilität in Zukunft dramatisch steigenden Stromverbrauch) zu erheblichen Teilen aus fossiler Energie gewonnen wird. Erschwerend kommt noch hinzu, dass auch die Produktionsbedingungen von E-Autos alles andere als „nachhaltig“ sind. So entstehen etwa bei der Fertigung eines E-Autos zwischen drei und fünf Tonnen CO2 mehr als beim Bau eines herkömmlichen Benzin- oder Diesel-PKW in vergleichbarer Größe. Diese schon bei der Herstellung anfallenden CO2-Emissionen pro Fahrzeug amortisieren sich daher erst bei einer gefahrenen Kilometeranzahl von 60.000 bis 100.000 Kilometern (vgl. Wolf 2019).
Selbst auf den ersten Blick so sinnvoll erscheinende und zu den Kernzielen einer „grünen“ Wirtschaftspolitik gehörende Maßnahmen wie etwa der forcierte Ausbau der Bahn, um so den Personen- und Güterverkehr weitgehend weg von der Straße und auf die klimafreundlichere Schiene zu bringen, kranken an diesem grundsätzlichen Widerspruch von Wachstumszwang und nachhaltigem Wirtschaften. Mittlerweile scheint es manchen zu dämmern, dass ein im großen Stil betriebener Bahnausbau eben auch eine entsprechend dimensionierte Bautätigkeit impliziert mit hohem Arbeits- und Ressourcenaufwand (Produktion, Transport und Verbrauch von Baumaterialien, Maschinen etc.). Dabei werden kurz- bis mittelfristig derart große Mengen an CO2 emittiert, dass ein ökologischer „Mehrwert“ – wenn überhaupt – erst in 30 bis 50 Jahren zu erwarten wäre.[5] Was also nach dem Willen von Verfechter/innen eines „grünen“ Kapitalismus Wirtschaftswachstum und ökologische Nachhaltigkeit miteinander versöhnen soll – eben die Investition in und Arbeit an nachhaltigen und „klimafreundlichen“ Produkten, Technologien und Transportmitteln wie die Bahn –, erweist sich selbst, zumindest in mittlerer Frist, als Klimakiller.
Nicht viel anderes gilt schließlich für internationale Klimavereinbarungen wie das Pariser Abkommen, das mit seinem Ziel, die Klimaerwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, von Politik und Öffentlichkeit als großer Wurf in der globalen Klimapolitik gefeiert wurde – und das, obwohl das Zwei-Grad-Ziel, wenn man den Ergebnissen neuerer Klimaforschungen Glauben schenkt, nicht annähernd so ambitioniert ist, wie es von allen Seiten kommuniziert wird, da schon bei einer Klimaerwärmung um zwei Grad mit gravierenden Folgen für Mensch und Natur zu rechnen ist. Es macht vor diesem Hintergrund auch keinen nennenswerten Unterschied, dass das Klimaziel mittlerweile von zwei auf 1,5 Grad adaptiert wurde. Die eigentliche Crux ist nämlich, dass selbst solche schon sachlich unzureichenden Ziele ohne eine grundsätzliche Veränderung in der Produktionsweise kaum zu realisieren sein werden, da unter den Bedingungen ökonomischen Wachstumszwangs das Pendel stets zugunsten des „ökonomisch Machbaren“ und gegen das „ökologisch Notwendige“ ausschlagen muss und wird (vgl. Ortlieb 2009, S. 51). Dies könnte besser nicht demonstriert werden als durch den im Jahr 2017 verkündeten Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen, der ganz lapidar damit begründet wurde, sich in der Weltmarktkonkurrenz nicht wirtschaftlich fesseln lassen zu wollen.[6] So einfach ist das. Und aus der irrationalen kapitalistischen Binnensicht haben die USA damit sogar Recht: Wenn es um den „Wirtschaftsstandort“ und die „Wettbewerbsfähigkeit“ geht, muss dem alles untergeordnet werden, auch wenn das mittelfristig bedeutet, den Planeten für Menschen unbewohnbar zu machen.[7]
4. Klimapolitik als Simulation von Klimaschutz
In gewisser Weise ist die Position von „Klimawandelleugnern“ wie Donald Trump sogar wesentlich ehrlicher und realistischer als jene der globalen und insbesondere europäischen Klimapolitik, die den Austritt der USA aus dem Klimaabkommen freilich scharf verurteilte. Die Unredlichkeit dieser Kritik besteht darin, dass sich im Austritt der USA immerhin die wie auch immer unbewusste und entsprechend ideologisch verzerrte Einsicht in die Unmöglichkeit dessen ausdrückt, was Klimapolitiker/innen so eifrig und geradezu gebetsmühlenartig propagieren: dass Ökonomie und Ökologie unter einen Hut zu kriegen seien. Während ein Donald Trump diesen Widerspruch einseitig zugunsten der Ökonomie auflöste, wird in Europa einstweilen noch versucht, miteinander zu vereinbaren, was nun einmal nicht zu vereinbaren ist – Marktwirtschaft und ökologische Nachhaltigkeit. Nicht zufällig trägt die seitens der EU praktizierte und propagierte Klimapolitik unübersehbar simulative Züge.
Dies lässt sich bereits unmittelbar auf der Ebene der Klimaziele ablesen, und zwar nicht nur an so gleichermaßen unzureichenden wie unrealistischen Zielen wie dem bereits erwähnten Zwei-Grad- bzw. 1,5-Grad-Ziel. Skeptisch machen sollten einen bereits manche in der Diskussion zirkulierende Referenzwerte und Bezugszeiträume. So taucht etwa in den Klimazielen häufig das Jahr 1990 als Bezugsjahr für die angestrebte Reduktion von CO2-Emissionen auf. Das heißt, die CO2-Emissionen sollen mittelfristig unter die Werte von 1990 sinken. Was einen daran stutzig machen sollte, ist, dass in den 1990er Jahren in etlichen Ländern, insbesondere in Deutschland sowie in den osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten, infolge massiver Deindustrialisierungsschübe nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus der CO2-Ausstoß zum Teil beträchtlich gesunken ist. In Deutschland etwa ist zwischen 1990 und 1995 durch die Stilllegung von Produktionskapazitäten in der ehemaligen DDR der CO2-Ausstoß um 13 Prozent gesunken und hat bis zum Jahr 2000 lediglich wieder um zwei Prozent zugenommen. Auch hier wird deutlich, wie wenig ambitioniert viele der formulierten Klimaziele in Wahrheit sind, denn vor diesem Hintergrund und ausgehend vom Ist-Stand ginge es in solchen Ländern nur noch um eine Verringerung der Emissionen in einem vergleichsweise überschaubaren Rahmen. Auf der anderen Seite sind in solchen Rechnungen auch globale Differenzen und Disparitäten zu berücksichtigen: Manche Schwellenländer, wie etwa China, haben aufgrund wirtschaftlicher Entwicklungen für denselben Zeitraum einen Anstieg von CO2-Emissionen zu verzeichnen, der teilweise im dreistelligen Prozentbereich liegt. Es lässt sich relativ leicht erahnen, was eine Senkung des CO2-Ausstoßes auf oder unter das Niveau von 1990 wirtschaftlich für diese Länder bedeuten würde. Europa ermöglichen diese Differenzen freilich, sich als Vorreiter beim Klimaschutz zu gerieren und die Schuld am Klimawandel hauptsächlich auf die punkto Emissionen rasch aufholenden Schwellenländer zu schieben (vgl. Ortlieb 2019a, S. 253f.).
Und noch eine andere Rechnung lässt sich aufmachen, um einen Einblick in den im Kern simulativen Charakter aktueller Klimapolitik zu erlangen: Im Jahr 2010 lag die durchschnittliche CO2-Emission pro Kopf und Jahr global bei 4,4 Tonnen, dies jedoch bei einer global sehr ungleichen Verteilung. So emittierte der durchschnittliche US-Amerikaner 17,3, ein Deutscher 9,3, ein Chinese 5,4, ein Inder 1,4 und der durchschnittliche Afrikaner 0,9 Tonnen CO2 (vgl. Ortlieb 2019b, S. 316). Die Klimaziele westlicher Industrieländer als Referenz genommen und gleiches Recht für alle vorausgesetzt, wäre auf den heute gültigen klimapolitischen Grundlagen – das heißt, selbst bei einer erfolgreichen und für alle verbindlichen Umsetzung der (westlichen) Klimaziele – nicht etwa mit einem Sinken, sondern ganz im Gegenteil mit einem dramatischen Ansteigen der globalen CO2-Emissionen zu rechnen. Denn die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer haben aus dieser Perspektive noch einiges an Luft nach oben im Vergleich zu den westlichen Industrieländern.
Ihre sichtbarste und elaborierteste Gestalt nimmt die politische Simulation von Klima- und Umweltschutz heute in Konzepten einer „ökosozialen Marktwirtschaft“ an. Ein Konzept, das in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren häufig propagiert wurde (und mit dem u.a. auch die österreichischen Grünen im Wahlkampf von 2019 antraten, der sie erstmals in eine österreichische Regierung spülte) ist etwa die „ökologische Steuerreform“. Damit wird intendiert, die Wirtschaft durch eine Änderung im Steuersystem umzugestalten und auf diesem Wege ökologisch verträglicher zu machen, indem etwa umwelt- und klimaschädlich produzierende Unternehmen durch entsprechend höhere Steuern bzw. Produktpreise benachteiligt, „klimafreundliche“ Produzenten (mit geringerem CO2-Ausstoß etc.) hingegen gefördert werden sollen. Strategien wie diese kranken daran, dass sie sich ausgerechnet jenes Mediums bedienen (und dieses lediglich umgestalten bzw. umverteilen) möchten, das nun einmal die Hauptursache für die immer destruktivere Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft darstellt, nämlich der abstrakte kapitalistische Geldreichtum als Gegenstand und Ziel jeglicher kapitalistischen Tätigkeit. Das Problem ist nicht so sehr, dass umweltschädliche Produktionsformen und -methoden auf ungerechtfertigte Weise billiger sind als „nachhaltigere“, sondern dass die Verwertung von Kapital überhaupt das einzige (und einzig mögliche) Erfolgskriterium kapitalistischer Mehrwertproduktion darstellt. Und eben das ist wiederum der Grund dafür, dass diese Produktionsweise diejenigen Produzenten am meisten belohnt, die am billigsten, damit aber in der Regel auch am ökologisch destruktivsten produzieren. Es gehört zu den in diesem Beitrag thematisierten Widersprüchen kapitalistischer Vergesellschaftung, dass sich der marktwirtschaftliche „Realismus“ von Vertreter/innen einer „ökosozialen Marktwirtschaft“ unter kapitalistischen Prämissen von allen Positionen im gesellschaftlichen Diskurs vielleicht mit Abstand am unrealistischsten ausnimmt. Die destruktiven Potenziale der Marktwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mitteln lösen zu wollen, kann im Grunde nur als absurd bezeichnet werden.
5. Perspektiven?
Wie man es also dreht und wendet: Es ist die kapitalistische Produktionsweise und die auf ihren Fundamenten errichtete Gesellschaft selbst, die durch die beharrliche Zerstörung ihrer eigenen ökologischen Lebensgrundlagen auf ihre absehbare Selbstzerstörung hinarbeitet. Dem liegt die systemimmanente Verwertungs-, Wachstums- und Produktivitätsdynamik zugrunde, da der kapitalistische Zwang zu permanentem Wachstum und damit stetig steigender Produktivität mit Notwendigkeit die fortschreitende Zerstörung natürlicher Ressourcen zur Folge hat. Der Kapitalismus ist im wahrsten Sinne des Wortes dazu gezwungen, den ganzen Planeten in immer höherem Ausmaß mit Waren zuzuschütten, was wiederum die proportional dazu ansteigende Verbrennung natürlicher Ressourcen und in weiterer Folge die immer umfassendere und effizientere Zerstörung seiner ökologischen Grundlagen mit sich bringt. Eine soziale Bewegung, die diesem regelrechten „Krieg des Kapitals gegen den Planeten“ (Foster et al. 2011) Einhalt gebieten möchte, wird daher nicht darum herumkommen, über echte Alternativen zum Kapitalismus nachzudenken.
Wie eine solche „echte“ Alternative konkret aussehen und praktisch umgesetzt werden könnte, darüber können an dieser Stelle freilich keine Aussagen getroffen, geschweige denn elaborierte Konzepte oder konkrete Handlungsempfehlungen für eine „große Transformation“ vorgelegt werden. Vielleicht veranschaulichen gerade die zahllosen, auf konkrete praktische Veränderungen gerichteten Ansätze und Konzepte gegen die zunehmenden ökologischen Destruktionspotenziale der kapitalistischen Produktionsweise, wie notwendig, vor allen konkret praktischen Erwägungen, zunächst einmal die gesellschaftstheoretisch fundierte Problembestimmung ist, um vor Illusionen bewahrt zu werden, die eine Lösung der ökologischen Problematik unter Beibehaltung der Marktwirtschaft versprechen. Perspektiven einer Überwindung jenes fatalen Zusammenhangs von Ökonomie und Ökologie, von kapitalistischem Verwertungszwang und ökologischer Zerstörung, sind daher wahrscheinlich vorerst weniger positiv als negativ zu formulieren. Das heißt, es lässt sich weniger sagen, wie diese gesellschaftliche Alternative aussehen und wie sie konkret zu erreichen sein wird, sondern eher, worin sie nicht bestehen und wie sie nicht erreicht werden kann. Aus einer so beschaffenen Perspektive ex negativo lässt sich zumindest so viel festhalten:
Eine sozial und ökologisch „nachhaltige“ Alternative zum gegenwärtigen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell wird nur in einer Form der Vergesellschaftung bestehen können, die ihre materielle Reproduktion anhand stofflicher Kriterien organisiert und nicht mehr dem Imperativ der Erzeugung eines abstrakten Geldreichtums unterwirft. Dies impliziert insbesondere, dass der gesellschaftliche Zusammenhang nicht länger beherrscht und konstituiert wird von (durch die Menschen selbst erzeugten und durch ihr alltägliches Handeln reproduzierten) Systemzwängen wie Kapitalverwertung, Wachstum, Geld, (Lohn-)Arbeit etc., und nicht mehr anonymen und hinter dem Rücken der Menschen ablaufenden Marktprozessen überlassen wird, sondern Gegenstand bewusster Entscheidungsprozesse auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen (lokal, regional, global) ist, etwa was den Einsatz der vorhandenen Ressourcen und Produktionsmittel betrifft. Vor allem impliziert dies, dass jegliche Produktionstätigkeit sich primär an konkreten, sinnlichen Bedürfnissen von Menschen orientiert und nicht mehr am gegenüber Mensch und Natur vollends gleichgültigen und daher in letzter Instanz stets destruktiven Kriterium ökonomischer Profitabilität. Wie solche bewussten, gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse – in ihrer Differenz zu heutigen, kapitalistisch geprägten „politischen“ Entscheidungsfindungen (wie etwa in der Klimapolitik) – konkret aussehen und ablaufen könnten, auch darüber können zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich nur sehr vage Aussagen getroffen werden. Zumindest aber die ungefähre Richtung, in die diese Entscheidungsprozesse gehen müssten, lässt sich angeben:
„Beim heutigen Stand der Produktivkräfte sind ganz andere Fragen zu stellen. Z.B.: ‚Wollen (brauchen) wir das?‘ Danach: ‚Haben wir die materiellen Mittel dazu?‘ Und ergänzend: ‚Sind deren Nebenwirkungen vertretbar?‘ Sobald die kapitalistischen Beschränkungen wegfallen, eröffnen sich riesige Freiheiten, die der Kapitalismus gar nicht ausschöpfen kann. Es entfielen insbes. alle rein ‚kapitalistischen‘ Hemmnisse, die Menschen von sinnvoller Tätigkeit im gemeinsamen Interesse abhalten, nur weil dabei kein ‚Profit‘ genannter Vorteil für ein bestimmtes Subjekt entsteht.“ (Hüller 2015,
S. 375)
Was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hingegen nicht ausreichend sein wird, sind Konzepte und Strategien, die gleichsam darauf abzielen, dem Kapitalismus seinen Wachstumszwang auszutreiben, worauf etwa aktuelle Postwachstums-Ansätze de facto hinauslaufen, um eine weiterhin auf Geld und Lohnarbeit basierende Gesellschaft, bloß ohne Wachstum, zu schaffen. Denn es ist die abstrakte Geldlogik des Kapitalismus und der durch das Geld repräsentierte und durch Arbeit geschaffene (Mehr-)Wert, welchen der Wachstumszwang entspringt. Noch weniger erfolgversprechend sind die gegenwärtig in Politik und Zivilgesellschaft vorherrschenden Konzepte eines „grünen“ oder „ökologischen“ Kapitalismus. Hier fehlt bereits jedes theoretische Grundverständnis von den marktwirtschaftlichen Ursachen jener Probleme, die mit solchen Konzepten gelöst werden sollen. Auch bei Bewegungen wie „Fridays for Future“ – so wichtig und sympathisch diese sein mögen – sucht man bislang vergeblich nach einem auch nur annähernd hinreichenden kritischen Bewusstsein über die systemischen Ursachen der fortschreitenden Klimazerstörungen. Eher noch sind Tendenzen erkennbar, die ökologische Problematik zu personalisieren, indem sie etwa als eine Art Generationenkonflikt gerahmt wird. Demnach sind es in erster Linie die Erwachsenen mit ihrem ökologisch destruktiven Handeln und ihrer politischen Untätigkeit, die der Jugend gewissermaßen die Zukunft rauben.[8] Die Alten als zunehmende „Gefahr“ für die Jungen – das ist immerhin ein Bild, das mittlerweile bis in linksliberale Kreise hinein verbreitet ist, und zwar nicht nur im Hinblick auf den Klimawandel, sondern auch mit Blick auf andere aktuelle gesellschaftliche Problemlagen (z.B. demographischer Wandel, fortschreitende Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen etc.).[9] In der Praxisemphase und der dazu komplementären Theorielosigkeit solcher Bewegungen lauert daher durchaus die Gefahr, dass diese mit der Zeit auch nach rechts abdriften könnten, wenn ihr Impetus sich zunehmend darauf richtet, konkrete Schuldige dingfest zu machen (im Fall des Klimawandels primär die ältere Generation), anstatt die gesamtgesellschaftlichen Ursachen ökologischer Zerstörung in Betracht zu ziehen.
Das letzte Wort sei Claus Peter Ortlieb überlassen, der die heute verbreiteten Versuche einer „Zügelung“ oder „grünen Transformation“ des Kapitalismus, angesichts seiner kaum noch übersehbaren destruktiven Potenziale, sehr treffend wie folgt kommentiert: „Wenn man mit 100 km/h auf einen Abgrund zufährt, ist der Vorschlag, unter Beibehaltung der Fahrtrichtung die Geschwindigkeit doch bitteschön auf 70 km/h zu drosseln, nicht wirklich überzeugend“ (Ortlieb 2019a, S. 262).
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Endnoten
[1] Der Widerwille (oder das Unvermögen), destruktive Potenziale kapitalistischer Wachstumszwänge zum Anlass zu nehmen, die kapitalistische Gesellschafts- und Lebensform als solche kritisch zur Disposition zu stellen, ist übrigens kein per se neues Phänomen aktueller Klimaschutz-Bewegungen und Postwachstums-Ideologien. So hat etwa bereits vor vierzig Jahren Karl Georg Zinn die „Selbstzerstörung der Wachstumsgesellschaft“ diagnostiziert, nur um – wie er schon im Untertitel seines Buches („Politisches Handeln im ökonomischen System“) deutlich machte – eine systemimmanente Lösung des Problems in Aussicht zu stellen, die es angesichts seiner systemischen Ursachen im Grunde gar nicht geben kann (vgl. Zinn 1980).
[2] Auch darin besteht im Übrigen, neben dem stetig wachsenden Ökologieproblem, eine weitere Krisentendenz der kapitalistischen Gesellschaft vor dem Hintergrund fortschreitender Automatisierung und Digitalisierung und einem damit zusammenhängenden globalen Trend zur Massenarbeitslosigkeit und zur „Entwertung des Werts“ (vgl. Kurz 1986; Ortlieb 2009; Jappe 2005, S. 119-154).
[3] Zu denken ist in diesem Zusammenhang nicht nur an Produkte, deren Destruktivität offensichtlich und weitgehend konsensfähig ist, wie z.B. Waffentechnologien, sondern auch an ganz alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Autos oder an den zunehmend die Haushalte überschwemmenden Elektroschrott (Fernseher, Laptops, Smartphones etc.). Gerade das Auto ist wahrscheinlich, gemessen an den ökologischen Folgen, die mit seiner Herstellung und seinem Betrieb verbunden sind (CO2-Emissionen, Smog, Feinstaub), sowie an den zahlreichen Menschenleben, die der automobile Individualverkehr jedes Jahr fordert, einer der destruktivsten Konsumgegenstände überhaupt (dazu Kurz 2020).
[4] Gerade in der Corona-Krise mussten infolge der Lockdowns und des dadurch eingeschränkten Konsums massenhaft Nahrungsmittel vernichtet werden, während die Zahl der Hungerleidenden global durch dieselbe Krise enorm gewachsen ist (vgl. Konicz 2020b, 2020c).
[5] „Bahnausbau: Ökovorteil nur bei Güterverlagerung“, derstandard.de (6.7.2020)
[7] Auch Angela Merkel antwortet auf die Forderungen von Fridays for Future nach einem „neuen System“ ganz offen, Politik könne sich stets nur an dem orientieren, was „möglich“ sei (vgl. Alt 2020). Und „möglich“ ist (systemimmanent) – ausgesprochen oder unausgesprochen – nur, was Wachstum und Wirtschaftsstandort nicht gefährdet.
[8] „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ lautet die Parole der Jugendbewegung gegen den Klimawandel (vgl. Sommer/Haunns 2020b: 244).