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Andreas Urban

 

Gleichstellung, ›Spitzenfrauen‹ und Männlichkeitskrise

Kulturell-symbolische Aspekte der Verwilderung des Patriarchats

 

 

Erstmals erschienen 2021 in: exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft 18, S. 220-252

 

 


In diesem Beitrag werden einige kulturell-symbolische Aspekte der Verwilderung des Patriarchats diskutiert. Dabei folge ich im Prinzip der in wert-abspaltungskritischen Kontexten geläufigen Differenzierung in materiell-strukturelle, kulturell-symbolische und sozialpsychologische Dimension, wie sie von Roswitha Scholz in ihrer Grundlegung der Wert-Abspaltungstheorie, dem Buch Das Geschlecht des Kapitalismus, vorgenommen wurde (Scholz 2011). Hier geht es also vor allem um geschlechtsbezogene Vorstellungen und Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit, wie sie sich im kapitalistischen Patriarchat, d. h. unter Wert-Abspaltungs-Prämissen, historisch herausgebildet haben und für die kapitalistische Gesellschaft charakteristisch sind – etwa im Hinblick auf bestimmte geschlechtsspezifische Eigenschaften, die Männern und Frauen gesellschaftlich zugeschrieben werden, und die wiederum für geschlechtsspezifische Formen von männlicher und weiblicher Identität konstitutiv sind. Diese Präzisierung ist an dieser Stelle, gleichsam als inhaltliche Einschränkung, deshalb vorauszuschicken, da die Verwilderung des Patriarchats – ein Begriff, den ebenfalls Roswitha Scholz geprägt hat und womit sie auf postmoderne Auflösungs- und Verwilderungstendenzen des modernen Geschlechterverhältnisses in der Krise des Kapitalismus abhebt (vgl. Scholz 1998) – durchaus mehr und vielfältigere Dimensionen und Aspekte beinhaltet, als in diesem Artikel zur Sprache kommen können, etwa mit Blick auf die materielle Lebenslage von Frauen in der Krise oder eine in der Krise wieder deutlich zunehmende Gewalt gegen Frauen. All das sind Aspekte, die im vorliegenden Beitrag zwar gelegentlich gestreift, aber nicht systematisch abgehandelt werden. Im Mittelpunkt stehen hingegen Fragen der kulturell-symbolischen Geschlechterordnung, welche Veränderungen diese symbolische Geschlechterordnung in der Postmoderne und Spätpostmoderne erfährt und welche Konsequenzen dies hat (oder auch nicht hat).


Dass es erhebliche Veränderungen gibt, ist unübersehbar, wobei sich dies vor allem in einer Aufweichung historisch gewachsener Geschlechterarrangements und einer zunehmenden Verflüssigung und Flexibilisierung von Geschlechtsidentitäten darstellt. Ein Beispiel dafür wäre etwa die zunehmende Normalisierung weiblicher Berufskarrieren und das Vordringen von Frauen in gesellschaftliche, insbesondere wirtschaftliche und politische Spitzenpositionen oder die zahlreichen politischen Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen. Die traditionell männlich codierte und dominierte öffentliche bzw. Erwerbssphäre öffnet sich also zusehends für Frauen, was das Spektrum weiblicher Sozialisation und Individuation erheblich erweitert und dabei auch neue Formen von Weiblichkeit hervorbringt, etwa den Typus der ›Karrierefrau‹ oder der ›Spitzenfrau‹. Letzteres bezeichnet solche Frauen, die es sogar bis in hohe gesellschaftliche Machtpositionen schaffen (vgl. Knaut; Heidler 2017). Das heißt, Frauen sind nicht mehr auf ihre traditionelle Rolle als Mutter und Hausfrau beschränkt, was sowohl kulturell-symbolisch als auch sozialpsychologisch (d. h. mit Blick auf die weibliche Geschlechtsidentität) einen tiefgreifenden Wandel im Vergleich zu früheren Entwicklungsständen des kapitalistischen Patriarchats darstellt.


Auf der anderen Seite und gleichzeitig erfahren Männer, u. a. durch solche Entwicklungen, aber auch durch zunehmende Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt (Massenarbeitslosigkeit, Prekarisierung usw.) empfindliche Einschnitte in ihre historisch gewachsene hegemoniale Position und damit auch in ihre männliche Identität – Tendenzen, die in jüngerer Zeit vor allem von konservativer und rechtspopulistischer Seite als ›Männlichkeitskrise‹ verhandelt werden. Was diese Entwicklungen und Krisentendenzen ganz allgemein für die moderne, strukturell männliche Subjektivität bedeuten, wurde vonseiten der Wert-Abspaltungs-Kritik bereits an anderer Stelle behandelt (z. B. Wissen 2017). ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ – oder was unter Wert-Abspaltungs-Prämissen traditionell unter Männlichkeit und Weiblichkeit verstanden wurde – ist mithin in den letzten Jahrzehnten in Bewegung geraten und einem starken Wandel unterworfen.


In der akademischen Geschlechterforschung und weitgehend auch in der feministischen Theorie werden bekanntlich Geschlechter-gleichstellung und die forcierte Integration von Frauen in die Erwerbssphäre, insbesondere in gesellschaftliche Spitzenpositionen (wozu wiederum politische Instrumente wie Frauenquoten propagiert werden, um die nach wie vor bestehende Ungleichheit und Benachteiligung von Frauen in der Erwerbssphäre zu beseitigen) überwiegend nicht nur positiv bewertet, sondern beschreiben gewissermaßen auch den zentralen Modus der Überwindung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten.[1] Ganz im Gegensatz zu solchen Einschätzungen eines Gleichstellungsfeminismus ist aus wert-abspaltungskritischer Perspektive jedoch davon auszugehen, dass diese Entwicklungen und postmodernen Verflüssigungstendenzen eher auf eine fundamentale Krise des kapitalistischen Patriarchats selbst hindeuten. Dies zeigt sich etwa darin, dass geschlechtsspezifische Ungleichheiten und sowohl materielle als auch symbolische Geschlechterhierarchien, trotz all dieser Veränderungen (wenn auch teilweise in anderer Form), bestehen bleiben – ob das nun der von frauenpolitischer Seite so vehement beklagte ›Gender Pay Gap‹ (also die nach wie vor eklatant schlechtere Entlohnung von Frauen) ist oder die nach wie vor bestehende Haupt-verantwortung von Frauen für reproduktive Tätigkeiten (Kinderbetreuung, Haushalt, Altenpflege usw.), wodurch Frauen mittlerweile durch die Vereinbarung von Beruf und Familie de facto einer Doppelbelastung ausgesetzt sind.


Auf kulturell-symbolischer Ebene zeigen sich die Widersprüche solcher Entwicklungen auch darin, dass die Normalisierung weiblicher Berufstätigkeit und der Erfolg von sogenannten Karrierefrauen wesentlich auf der Internalisierung und Reproduktion von traditionell männlich konnotierten Handlungsorientierungen, wie etwa Konkurrenz, Leistungsdenken etc., beruht – Handlungsorientierungen, die nicht nur für das warenproduzierende System seit jeher zentral sind, sondern gerade auch in der aktuellen Krise des kapitalistischen Patriarchats auf allen Ebenen eine enorme Zuspitzung erfahren. Es wird damit also der Tendenz nach nicht nur der universale kapitalistische, traditionell männlich konnotierte Konkurrenzzwang ungebrochen reproduziert, sondern es wird damit gewissermaßen auch Männlichkeit zur umfassenden gesellschaftlichen Norm bzw. genauer gesagt: zur allgemeinen Subjektivierungsform, die nunmehr zunehmend auch für Frauen gilt. Entgegen weit verbreiteten feministischen Hoffnungen erweisen sich derartige Entwicklungen im Bereich der Geschlechter-verhältnisse bei genauerer Betrachtung also nicht etwa als greifbar werdende Überwindung patriarchaler, androzentrischer Strukturen, sondern vielmehr (und ganz im Gegenteil) als Symptome ihrer fortschreitenden Zersetzung und Verwilderung. Und einige Aspekte dieser Verwilderung – insbesondere auf der Ebene der symbolischen Geschlechterordnung – sollen in diesem Beitrag etwas näher beleuchtet werden.


 

1. Zur androzentrischen Grundstruktur des Kapitalismus


An den Beginn der folgenden Abhandlung seien zunächst ein paar grundlegende Überlegungen zum modernen Geschlechterverhältnis und seinen kulturell-symbolischen Dimensionen in ihrer traditionellen, d. h. im Kapitalismus historisch gewachsenen Form, gestellt. Denn wenn es im Folgenden vor allem um Tendenzen der Verwilderung des modernen Geschlechterverhältnisses geht, ist es notwendig, vorab zumindest ansatzweise zu klären, was genau es eigentlich ist, das heute in Verwilderung begriffen ist. Mit anderen Worten: Es ist zu klären, wie sich das moderne Geschlechterverhältnis traditionell und auf einer kulturell-symbolischen Ebene darstellt.


Hier kann zunächst einmal als erste und vielleicht allgemeinste Bestimmung eine zutiefst androzentrische Verfasstheit der modernen Gesellschaft bzw. des kapitalistischen Patriarchats festgehalten werden. Diese androzentrische Verfasstheit moderner, kapitalistischer Gesellschaften besteht darin, dass im Kapitalismus ›der Mann‹ traditionell die dominante Position einnimmt und gewissermaßen das normative Zentrum der Gesellschaft repräsentiert. Und dies eben nicht nur auf einer materiellen Ebene, etwa indem gesellschaftliche Machtpositionen ausschließlich oder primär Männern vorbehalten sind, sondern auch und vielleicht sogar vor allem auf kulturell-symbolischer Ebene. Dies zeigt sich wahrscheinlich am deutlichsten daran, dass der Mann in bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften traditionellerweise sogar als ›Mensch‹ schlechthin gilt bzw. implizit oder explizit so betrachtet wird (vgl. Scholz 2011, 119). Der Philosoph und Soziologe Georg Simmel hat dies einmal recht treffend eine »Hypostasierung des Männlichen zum Allgemein-Menschlichen« (Simmel 1985) genannt. Auch in wert-abspaltungskritischen Kontexten wurde dergleichen, vor allem im Rahmen einer umfassenden Aufklärungskritik, immer wieder recht eindrucksvoll herausgearbeitet. Daniel Späth hat sich in seinen Texten z. B. mit Sexismus bei Immanuel Kant auseinandergesetzt und dabei gezeigt, dass in der Aufklärungsphilosophie der (weiße) Mann wie selbstverständlich mit dem Menschen an sich gleichgesetzt wurde, während Frauen, aber auch Angehörige anderer Ethnien, als ein davon abweichendes, minderwertiges Anderes gedacht wurden (vgl. Späth 2012). Auch mit Blick auf Subjektivierung und individuelle Identitätsentwicklung ist diese androzentrische Verfasstheit kapitalistischer Gesellschaften prägend. Die feministische Soziologin Regina Becker-Schmidt spricht in dem Zusammenhang etwa von Androzentrismus als einem »psychogenetischen Unterbauphänomen« (Becker-Schmidt 1987, 216), quasi einem Prinzip, das unserer immer auch vergeschlechtlichten Identitätsentwicklung konstitutiv zugrunde liegt und so diesen Androzentrismus fortlaufend reproduziert.


Die gesellschaftliche Grundlage für diese androzentrische Verfasstheit kapitalistischer Gesellschaften – und das macht einen sehr wesentlichen Unterschied zu nicht minder patriarchalen vormodernen Gesellschaften aus – besteht in der für den Kapitalismus charakteristischen, historisch einzigartigen Trennung von Produktion und Reproduktion, die sich insbesondere in der Ausdifferenzierung einer öffentlichen bzw. beruflichen und einer privaten bzw. häuslichen Sphäre konkretisierte, und die wiederum mit historisch neuen Formen geschlechtsspezifischer Rollen- und Aufgabenverteilung einherging. Während Frauen im Kapitalismus bekanntlich die Zuständigkeit für die nunmehr im Privatbereich verorteten reproduktiven Tätigkeiten (Haushalt, Kinderbetreuung, Hege und Pflege usw.) zugewiesen wurde, wurde die davon strikt geschiedene, von der Konkurrenz des kapitalistischen Marktes und den Leistungsimperativen der abstrakten Arbeit bestimmte öffentliche Sphäre zu einem (nahezu) ausschließlich männlichen und auch entsprechend männlich konnotierten Funktionsraum. Eben das ist, was in wert-abspaltungskritischen Kontexten als »geschlechtliche Abspaltung« bezeichnet wird und letztlich auf den Begriff der »Wert-Abspaltung« gebracht bzw. als wesentliches Form- und Strukturprinzip kapitalistischer Gesellschaften bestimmt wurde. Die gesellschaftliche Reproduktion und mit ihr alle Tätigkeiten, auf die der Kapitalismus zwar unmittelbar angewiesen ist, die jedoch in der Logik der Kapitalverwertung nicht aufgehen, werden von der Produktion und den wertförmigen und männlich codierten Funktionssphären des Kapitals und der Lohnarbeit abgespalten und an Frauen delegiert.


Diese historische Trennung von Produktion und Reproduktion stellt gewissermaßen die materiell-strukturelle Dimension der Wert-Abspaltung dar. Darüber hinaus hat die Wert-Abspaltung aber auch noch kulturell-symbolische und sozialpsychologische Dimensionen. Kulturell-symbolisch nimmt sie etwa darin Gestalt an, dass sich besagte geschlechtsspezifische Zuweisungen im Kapitalismus (Mann = Arbeit, Konkurrenz, Leistung; Frau = Familie, Haushalt, Hege und Pflege) auch in bestimmten, historisch-spezifischen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit niedergeschlagen haben. Es werden also nicht nur bestimmte Tätigkeiten abgespalten und an Frauen delegiert, sondern es werden etwa auch bestimmte geschlechtsspezifische Gefühle und Eigenschaften in sie hineinprojiziert, so z. B. in der traditionellen Wahrnehmung und Beschreibung von Frauen als ›sinnlich‹, ›emotional‹ oder ›verstandes- und charakterschwach‹. Hingegen gelten Männer als ›rational‹, ›durchsetzungsfähig‹, ›charakterstark‹ usw. (vgl. Scholz 2011, 22). »Der Mann wird als Held und als werktätig gedacht. […] [Er] befindet sich ständig im Wettbewerb mit anderen. Diese Vorstellung bestimmt auch die Vorstellungen vom Gemeinwesen in der christlich-abendländischen Geschichte insgesamt. Mehr noch: Leistungsfähigkeit und -willigkeit, rationelle, wirtschaftliche, effektive Zeitverausgabung, Konkurrenz und Profitstreben bestimmen das Zivilisationsmodell auch in seinen objektiven Strukturen als Gesamtzusammenhang, seine Mechanismen, seine Geschichte ebenso wie die Handlungsmaximen der Einzelnen« (ebd., 119f.). Darüber hinaus wurde Männlichkeit in der modernen Entwicklungsgeschichte stets mit ›Kultur‹, Weiblichkeit dagegen projektiv mit ›Natur‹ gleichgesetzt – ein kulturelles Muster, das vor dem Hintergrund der Wert-Abspaltung nicht zufällig das wissenschaftlich-moderne Prinzip der Naturbeherrschung mit der Unterordnung und Beherrschung der Frau und alles Weiblichen zusammengehen lässt (vgl. ebd., 120; in diesem Sinne auch Scheich 1993, Bareuther 2014). »Das männliche Aufklärungssubjekt«, so fasst es Roswitha Scholz treffend zusammen, »das als gesellschaftsbestimmendes für Durchsetzungskraft (in der Konkurrenz), Intellekt (hinsichtlich kapitalistischer Reflexionsformen), Charakterstärke (in der Anpassung an kapitalistische Zumutungen) u. ä. steht […], ist selber wesentlich über diese ›Abspaltung‹ strukturiert« (Scholz 2011, 22).


Auf einer sozialpsychologischen Ebene schlägt sich die Wert-Abspaltung entlang dieser kulturell-symbolischen Codierungen wiederum in geschlechtsspezifischen Formen ›männlicher‹ und ›weiblicher‹ Subjektivierung und Identitätsentwicklung nieder. Dies zeigt sich laut Scholz z. B. an der »in der bürgerlich-patriarchalen Kleinfamilie bestehende[n] Notwendigkeit der Desidentifikation des Jungen (der später dominiert) mit der Mutter, um ein Selbst ausbilden zu können […], die mit einer Verdrängung des Weiblichen einhergeht; aber auch [am] umgekehrte[n] Vorgang, daß sich Mädchen mit der Mutter gleichsetzen, um eine weibliche Identität entwickeln zu können und bereit zu sein, eine untergeordnete Rolle (nicht nur) im häuslichen Bereich einzunehmen« (ebd., 120). Die geschlechtliche Abspaltung und die durch sie konstituierte androzentrische Grundstruktur des Kapitalismus sind somit also auch »in psychischen Tiefenschichten verankert« (ebd., 121) und bestimmen auf diese Weise als »gesellschaftlich-kulturelles Grundmuster und sozialpsychologischer Mechanismus in Vermittlung mit der geschlechtsspezifischen Funktionsteilung die Gesellschaft als Ganzes […]« (ebd.).


Auf diese Weise bringt die Wert-Abspaltung also ein spezifisch modernes »System der Zweigeschlechtlichkeit« (Hagemann-White 1984, 83) hervor. Und in diesem System der Zweigeschlechtlichkeit und der ihr konstitutiv zugrunde liegenden geschlechtlichen Abspaltung wurzelt wiederum der moderne Androzentrismus, nämlich in einer übergreifenden gesellschaftlichen Funktionsstruktur, die in ihr Zentrum ein männliches Subjekt setzt, d. h. ein als autonom imaginiertes, sich durch Arbeit definierendes und in der Konkurrenz selbstbehauptendes Subjekt, das im Kapitalismus traditionell durch den (weißen, bürgerlichen) ›Mann‹ verkörpert wird. Robert Kurz hat in diesem Zusammenhang stets vom MWW gesprochen, vom männlich-weißen-westlichen Subjekt. Zu ergänzen wäre hier allenfalls noch heterosexuell. Das moderne System der Zweigeschlechtlichkeit ist nämlich nicht zuletzt auch ein System der Zwangsheterosexualität, wie es im Ideal der modernen Kleinfamilie und der damit verbundenen heterosexuellen Ehegemeinschaft Gestalt angenommen hat. Auch Heterosexualität gehört mithin traditionell und konstitutiv zur androzentrischen Norm des modernen, bürgerlich-männlichen Subjekts, auch wenn diese heute in der Postmoderne und bei all den damit zusammenhängenden Verflüssigungs- und Flexibilisierungstendenzen zunehmend aufgeweicht wird (Homosexuellenbewegung, Transgender, LGBTQ). Auch dass dieses ›männliche Subjekt‹ heute nicht (mehr) notwendigerweise ein biologischer Mann sein muss, macht, wie noch zu zeigen sein wird, gerade einen wesentlichen Bestandteil der postmodernen Verwilderung des Patriarchats aus.


 

2. Androzentrismus – Männlichkeit – Konkurrenz


Zur genaueren Betrachtung dieses kapitalistisch-modernen Androzentrismus mit seiner strukturell männlichen Subjektform sind insbesondere auch diverse Ansätze und Konzepte der sozialwissenschaftlichen Gender- und insbesondere der Männlichkeitsforschung relevant, auch wenn diese für gewöhnlich nur sehr wenig zu einer radikal kapitalismuskritischen Kritik des modernen Geschlechter-verhältnisses beizutragen vermögen, weil sie in der Regel auf der kulturell-symbolischen Ebene verharren, ohne diese theoretisch und analytisch zur kapitalistischen Form und insbesondere zu Formprinzipien wie der Wert-Abspaltung in Beziehung zu setzen. Vor allem mit Blick auf den Charakter des modernen, männlichen Subjekts als Konkurrenzsubjekt sind einige diese Arbeiten jedoch recht instruktiv, insofern diese auf einen konstitutiven Zusammenhang von Konkurrenz, Wettbewerb und moderner Männlichkeit hinweisen.


Pierre Bourdieu (1997) etwa – manchen wahrscheinlich bekannt durch soziologische Konzepte wie »Habitus«, »Distinktion« oder »soziales«, »kulturelles«, »symbolisches Kapital« usw.[2] – konstatiert in seiner Abhandlung über Die männliche Herrschaft eine, wie er es nennt, »libido dominandi«, sozusagen den Wunsch des Mannes, »die anderen Männer zu dominieren, und sekundär, als Instrument des symbolischen Kampfes, die Frauen« (ebd., 215). Männlichkeit, im Sinne eines männlichen Habitus, entsteht demnach im Rahmen von sogenannten »ernsten Spiele[n] des Wettbewerbs« (ebd., 203), die innerhalb homosozialer Felder, also in allein Männern vorbehaltenen Räumen, ausgetragen würden. Darunter versteht Bourdieu solche Handlungsfelder, die im Kapitalismus traditionell als männliche Domänen betrachtet werden, wie Ökonomie und Politik, aber auch weniger öffentliche Bereiche wie Vereine oder Freundeskreise. Frauen nehmen in diesen Feldern nur eine äußerst marginalisierte und randständige Position ein. Sie spielen darin, wie Bourdieu schreibt, bestenfalls die Rolle von »schmeichelnden Spiegeln […], die dem Mann das vergrößerte Bild seiner selbst zurückwerfen, dem er sich angleichen soll und will« (ebd.). Frauen sind also in diesen Feldern und den darin stattfindenden Spielen des Wettbewerbs lediglich Objekte bzw. Projektionsflächen männlicher Herrschafts- und Besitzansprüche, etwa indem Männer um bestimmte Frauen konkurrieren oder von Frauen in ihrer Männlichkeit bestätigt werden wollen, wenn sie gegeneinander in Wettbewerb treten.


Mit Blick auf die spezifisch moderne Konstruktion von Männlichkeit werden bei Bourdieu also im Wesentlichen zwei Aspekte hervorgehoben: 1) Männlichkeit ist kompetitiv strukturiert, d. h. die Konstruktion von Männlichkeit bzw. eines männlichen Habitus vollzieht sich in besonderem Maße im Modus des Wettbewerbs; und 2) die sozialen Felder, in denen dieser Wettbewerb stattfindet, haben einen homosozialen Charakter, d. h. der Wettbewerb wird ausschließlich unter Männern ausgetragen. Das heißt, der moderne Mann ist gewissermaßen ein Konkurrenzwesen, und die dafür grundlegende kompetitive Orientierung eignet er sich im homosozialen Wettbewerb, also im Wettbewerb mit anderen Männern an. Und über diese kompetitive Struktur von Männlichkeit stellt sich wiederum männliche Herrschaft her.


Ähnlich argumentiert Michael Meuser, einer der im deutschsprachigen Raum renommiertesten Männlichkeitsforscher. Meuser knüpft im Prinzip direkt an diese Überlegungen von Bourdieu an und vermittelt diese mit dem bis heute wahrscheinlich einflussreichsten Konzept der sozialwissenschaftlichen Männlichkeitsforschung, nämlich dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Raewyn Connell (2006). Hegemoniale Männlichkeit bezeichnet bei Connell »jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechter-verhältnisses die bestimmende Position einnimmt« (ebd., 97). Mit dem Begriff der hegemonialen Männlichkeit rekurriert Connell auf den Hegemoniebegriff von Antonio Gramsci und wendet ihn sozusagen auf das Geschlechterverhältnis an. Gramsci hat bekanntlich in einer handlungstheoretisch verkürzten Form marxistischer Theoriebildung sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Klassenherrschaft konstituiert, und vor allem, wie die Kapitalistenklasse ihren Herrschaftsstatus, also ihre ›Hegemonie‹ gegenüber der Arbeiterklasse herstellt (kritisch zu Gramsci vgl. Flatschart 2010 sowie Bösch 1993). Diesen Ansatz hat Connell auf das Geschlechterverhältnis übertragen, um sodann danach zu fragen, wie Männer im Geschlechterverhältnis ihre dominante, ›hegemoniale‹ Position nachhaltig zu reproduzieren vermögen. Folgerichtig wird hegemoniale Männlichkeit bei Connell definiert als »jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll)« (Connell 2006, 98). Vereinfacht gesprochen handelt es sich dabei also um eine Art dominantes kulturelles, männliches Leitbild oder Orientierungsmuster, entlang dessen sich die Konstruktion von Männlichkeit vollzieht und dabei die Aufrechterhaltung des Patriarchats, also die Herrschaft der Männer und die Unterordnung der Frauen gewährleistet. Und bereits bei Connell scheint ein spezifisch kompetitives Moment in der Konstruktion von Männlichkeit auf, weil es bei der hegemonialen Männlichkeit nicht nur um die Herrschaft von Männern über Frauen geht, sondern auch um die Herrschaft von Männern über andere Männer. Für Connell ist die Beobachtung zentral, dass das Patriarchat nicht nur Frauen unterordnet, sondern ebenso andere Männer, nämlich solche, die dem vorherrschenden kulturellen Männlichkeitsideal nicht entsprechen. Sie unterscheidet in dem Zusammenhang etwa »untergeordnete« sowie »marginalisierte« Formen von Männlichkeit (ebd., 100ff.) – unter die erste Kategorie der »untergeordneten Männlichkeit« fallen z. B. homosexuelle Männer, unter »marginalisierte Männlichkeit« subsumiert sie vor allem Angehörige niedriger Klassen (z. B. den Typus des ›Proleten‹) oder anderer, nicht-weißer ethnischer Gruppen (z. B. schwarze Männlichkeiten). Hegemoniale Männlichkeit konstituiert sich demnach sowohl in Bezug auf Weiblichkeit als auch auf andere Männlichkeiten. Das heißt, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen wird bestimmt durch Dominanz des Mannes bzw. durch Unterordnung der Frau einerseits, jenes zwischen den Männern durch eine hierarchische Stratifikation andererseits.


An eben dieses Konzept von hegemonialer Männlichkeit knüpft nun Michael Meuser an und vermittelt es mit den Überlegungen von Bourdieu bezüglich einer kompetitiven Struktur von Männlichkeit. Meuser interpretiert Hegemonie als ein wesentliches »Strukturprinzip des männlichen Habitus« (Meuser 2006, 171), wobei auch hier wieder der Konkurrenz unter Männern eine Schlüsselrolle zukommt. Hegemonie sei demnach ein männliches Strukturprinzip, das sich Männer hauptsächlich im homosozialen Wettbewerb, d. h. in der Konkurrenz untereinander, aneignen und dort immer wieder aufs Neue bekräftigen. In der Konkurrenz lernen Männer laut Meuser zum einen die Spielregeln des Wettbewerbs, vor allem aber lernen sie, »diese Spiele zu lieben, mithin die Machtspiele zu lieben, die der Wettbewerb immer impliziert« (ebd.). Hegemoniale Männlichkeit – so die Schlussfolgerung Meusers – ist demnach als ein generatives Prinzip der Konstruktion von Männlichkeit zu begreifen, das vor allem aus der kompetitiven Struktur von Männlichkeit resultiert, aus der Konkurrenz der Männer untereinander.


Was in solchen Arbeiten beschrieben und auf den Begriff gebracht wird (auch wenn das dort meistens nicht so gerahmt oder explizit gemacht wird), ist im Grunde also nichts anderes als die kompetitive Tiefenstruktur des modernen, bürgerlich-männlichen Subjekts. Konkurrenz und Wettbewerb bilden sowohl Grundlage als auch Modus der männlichen Subjektivierung, sie sind gewissermaßen »›männliche Prinzipien‹ der Externalisierung« (Böhnisch 2004, 44), und zwar als Konsequenz einer durch und durch kompetitiv und androzentrisch verfassten kapitalistischen Gesellschaft. Die kompetitive Struktur moderner Männlichkeit wurzelt sozusagen in einer allgemein kompetitiv strukturierten, kapitalistischen Gesellschaftsformation, die den Mann zu ihrem obersten Repräsentanten und normativen Zentrum erkoren hat. Ihre Grundvoraussetzung ist die spezifisch kapitalistische, geschlechtsspezifische Trennung von Produktion und Reproduktion sowie die Trennung einer öffentlichen und einer privaten Sphäre, aus der letztlich auch die für die (Re-)Produktion der kompetitiven Männlichkeitsstruktur so essentiellen und von Bourdieu betonten homosozialen Räume wie Ökonomie, Politik usw. überhaupt erst hervorgehen. Und erst diese historisch-spezifischen homosozialen Räume, als Arenen des Wettbewerbs unter Männern, können schließlich zu Brutstätten einer modernen, hegemonialen, spezifisch männlichen Subjektivierungsform werden: nämlich der »hegemonialen Männlichkeit«, d. h. des modernen, sich im Wettbewerb behauptenden Mannes als historischem Protagonisten der kapitalistischen Moderne.


 

3. Männlichkeit in der Krise


Eben diese androzentrische Grundstruktur des Kapitalismus mit ihrer hegemonialen, bürgerlich-männlichen Subjektform ist es nun, die in der Gegenwart, vor dem Hintergrund von Globalisierung, Neoliberalismus und einer allgemeinen Krise des Kapitalismus, eine fundamentale Transformation durchmacht, wobei diese Transformation, wie gesagt, in erster Linie als ein Prozess der Verwilderung zu begreifen ist. Seit der historischen Herausbildung und Durchsetzung des kapitalistischen Patriarchats, und nachdem das Kapital im 19. Jahrhundert »auf seinen eigenen Grundlagen zu prozessieren« (Marx) begonnen hatte, war das Geschlechterverhältnis und mit ihm die für das moderne Geschlechterverhältnis charakteristische hegemoniale Männlichkeit konstitutiv an die institutionellen Arrangements der Industrie gebunden. Hierunter fällt beispielsweise das sogenannte Normalarbeitsverhältnis, also das speziell für den Fordismus typische Modell von Vollzeitbeschäftigung und unbefristeten Arbeitsverträgen, aber auch – damit zusammenhängend – das sogenannte ›männliche Ernährermodell‹ mit seinem komplementären weiblichen Rollenbild der Hausfrau; also im Grunde die klassische, bereits eingangs erwähnte Wert-Abspaltungs-Konstellation mit strikter Trennung von Produktion und Reproduktion. Mit dem Ende des Fordismus und der neoliberalen Wende sowie vor dem Hintergrund fortschreitender Globalisierung beginnen jedoch diese Arrangements zunehmend zu erodieren. Es kommt insbesondere zu einem sukzessiven Schrumpfen des vormals dominanten und für die Arbeits- wie auch für die Geschlechter-verhältnisse bis dahin so bestimmenden industriellen Sektors zugunsten eines ständig wachsenden Dienstleistungssektors, wodurch der hegemonialen Männlichkeit alten Stils sukzessive die Reproduktionsgrundlage wegbricht. Und das im Grunde auf zwei Fronten, nämlich zunächst einmal im Feld der Arbeit selbst, aber auch innerhalb des Geschlechterverhältnisses, zumal es ja gerade Frauen sind, die im Dienstleistungssektor beschäftigt sind und dementsprechend mehr und mehr in die früher Männern vorbehaltene Arbeitssphäre vordringen. Das männliche Ernährermodell löst sich also Hand in Hand mit dem postfordistischen Strukturwandel von Arbeit sukzessive auf. Gleichzeitig werden durch zunehmende Massenarbeitslosigkeit infolge von fortschreitender Automatisierung und neoliberaler Markt-radikalisierung, durch eine zunehmende Deregulierung der Arbeitsverhältnisse usw. auch diese Arbeitsverhältnisse selbst zusehends prekärer. Karriere- und Leistungsdruck steigen, ebenso Subjektivierungs- und Flexibilisierungsanforderungen. Es entbrennt ein zunehmender Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, der eine ständige Karriereplanung und eine ständige Arbeit an den eigenen Qualifikationen und der eigenen ›Arbeitsmarktfähigkeit‹ (neudeutsch: ›employability‹) erfordert. Das heißt, der universelle, im Kapitalismus immer schon die sozialen Verkehrsformen maßgeblich bestimmende Wettbewerb spitzt sich massiv zu und erreicht eine ganz neue Qualität.


Nicht zufällig hat sich im Angesicht dieser Entwicklungen auch die Geschlechterforschung und insbesondere die Männlichkeitsforschung recht intensiv mit diesen Wandlungsprozessen beschäftigt, eben weil damit auch erhebliche Transformationen der bis dahin gültigen Geschlechterarrangements verbunden sind. Connell z. B. hat sich in den letzten Jahren intensiv damit befasst, was diese gesellschaftlichen Veränderungen für die hegemoniale Männlichkeit bedeuten, die ja als theoretisches Konzept primär auf fordistische Verhältnisse bezogen war bzw. auf der Grundlage fordistischer Verhältnisse entwickelt wurde. Connell ist dabei gerade nicht davon ausgegangen, dass hegemoniale Männlichkeit unter den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einfach verschwindet, sondern dass sie lediglich ihre Form verändert. Sie hat daraufhin versucht zu ergründen, welche Gestalt hegemoniale Männlichkeit unter diesen neuen gesellschaftlichen Bedingungen annimmt. Dabei ist Connell zu der Einsicht gelangt, dass sich hegemoniale Männlichkeit heute vor allem in den technokratischen Milieus des globalen Managements konstituiert (vgl. Connell 1998, dies. 2010, Connell; Wood 2005). Sie spricht in diesem Zusammenhang von einer transnational business masculinity (Connell; Wood 2005). Hegemoniale Männlichkeit wird demnach also nicht mehr repräsentiert vom klassischen, bürgerlichen Typus von Männlichkeit, sondern von einer ganz an die neuen Verhältnisse angepassten individualistischen, egozentrischen, kalkulierenden, flexiblen, unternehmerischen Business-Männlichkeit – also im Grunde von einer neuen, postmodernen Form von Männlichkeit, die im Prinzip genau dem entspricht, was Ulrich Bröckling (2007) unter dem Begriff des »unternehmerischen Selbst« als die neue, hegemoniale Subjektivierungsform im Neoliberalismus beschrieben hat. Es ist also eine nicht mehr im traditionellen Sinne patriarchal, sondern eher technokratisch ausgerichtete »Front-Männlichkeit« (Connell 1998, 97), die in erster Linie »an Macht durch Marktbeherrschung orientiert« ist (Wedgwood; Connell 2008, 120). Der sogenannte »neue Geist des Kapitalismus«, wie er prominent von Boltanski und Chiapello (2003) mit Blick auf die neoliberalen und postfordistischen Verhältnisse der Gegenwart konstatiert wurde, ist also in besonderem Maße (auch) der neue Geist einer neuen hegemonialen Männlichkeit.


Ablesen lässt sich dieser Formwandel beispielsweise an der heute vorherrschenden Business-Literatur und an den darin zirkulierenden Managementkonzepten, die unter den postfordistischen Bedingungen eben auch ganz andere, den neuen Arbeitsverhältnissen entsprechende Handlungsorientierungen und sogar Charakterstrukturen propagieren (vgl. exemplarisch Kanter 2000). Dort werden vor allem kommunikative und soziale Kompetenzen, Mobilität und globale Vernetzung beschworen. Diese Konzepte sind auf einer kulturell-symbolischen Ebene auch sehr aufschlussreich hinsichtlich der postmodernen Verflüssigung von Geschlechternormen und -charakteren. Denn was diese Managementkonzepte propagieren, sind nicht zuletzt auch sogenannte ›soft skills‹ sowie ein ›weicher‹ Führungsstil. Der postmoderne, neoliberale Manager soll in seine Handlungs- und Charakterstruktur also auch Eigenschaften und Orientierungen integrieren, die traditionell ›weiblich‹ konnotiert sind. Das ist etwas, das von frauenpolitischer und feministischer Seite oftmals übersehen wird, wenn Gleichstellung und insbesondere Frauenquoten in Wirtschaftsunternehmen u. a. damit begründet werden, dass Frauen anders und womöglich auch besser wirtschaften würden als Männer, weil sie qua Geschlecht bzw. aufgrund ihrer ›weiblichen‹ Eigenschaften weniger risikofreudig seien, mehr ›soziale Kompetenz‹ hätten und sich daher etwa auch durch einen besseren, weicheren Führungsstil auszeichneten

(vgl. Loden 1988, Helgesen 1991, Nerge 1992, Dobner 1997, Schaufler 2000).[3] Die Annahme einer spezifisch ›weiblichen‹ Form des Managements mit spezifisch ›weiblichen‹ Eigenschaften und Qualitäten ist freilich schon deshalb problematisch, weil sie von vornherein innerhalb der Wert-Abspaltungsform verbleibt und entsprechende geschlechtsspezifische Zuschreibungen unkritisch reproduziert und affirmiert – und dabei auch noch eine Naturalisierung von ›Weiblichkeit‹ betreibt, indem unterstellt wird, dies seien Eigenschaften, die Frauen quasi von Natur aus besitzen, weil sie eben Frauen sind. Darüber hinaus wird aber auch ausgeblendet, dass alle diese ›weiblichen‹ oder weiblich konnotierten Eigenschaften und ›soft skills‹ mittlerweile zunehmend auch in das Muster der hegemonialen Männlichkeit integriert werden (vgl. in diesem Sinne auch Meuser 2010). Diese sind somit nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich Eigenschaften einer spezifisch ›weiblichen‹ Form des Managements, sondern dies sind in besonderem Maße auch Eigenschaften einer neuen hegemonialen Männlichkeit unter Globalisierungsbedingungen, die idealtypisch durch den postmodernen Manager neoliberalen Gepräges verkörpert wird.

Auf einer alltäglichen Erscheinungsebene kann diese postmoderne Verflüssigung von Geschlechterrollen u. a. auch am Typus des ›Softie‹ beobachtet werden, der besonders Wert auf seine sogenannten ›weiblichen Anteile‹ legt und sich gerne ›emotional‹ und ›gendersensibel‹ gibt. Auch das entspricht einer Integration traditionell ›weiblicher‹ bzw. weiblich konnotierter Eigenschaften in zeitgenössische Vorstellungen und Rollenbilder von Männlichkeit und ist gewissermaßen Bestandteil eines neuen, postmodernen, flexibilisierten Männlichkeitsideals.


Wenn man das ganze nun wieder zurückbindet an das, was vorhin über die kompetitive Struktur des kapitalistisch-männlichen Subjekts gesagt wurde, dann bedeutet diese neue, postmoderne hegemoniale Männlichkeit zunächst einmal vor allem eine ungeheure Zuspitzung ihrer selbst. Schon immer hat sich hegemoniale Männlichkeit in den »ernsten Spielen des Wettbewerbs« à la Bourdieu konstituiert, aber in der Krise und den damit zusammenhängenden neoliberalen Restrukturierungen hat die Rigidität des Wettbewerbs enorm zugenommen und nimmt immer weiter zu. Mit der kompetitiven Struktur des kapitalistischen Patriarchats in der Postmoderne verschärft sich also auch die kompetitive Struktur von Männlichkeit. Eine wesentliche, sich in den vergangenen Jahren immer deutlicher abzeichnende Konsequenz dieser Entwicklungen ist, dass mittlerweile immer weniger Männer in der Lage sind, angesichts fortschreitender Prekarisierung, ständig steigender Arbeitslosigkeit usw. diesen gesteigerten normativen Leistungsanforderungen zu genügen, wodurch sie aber praktisch auch aus dem Bezugsraum der hegemonialen Männlichkeit quasi ›herausfallen‹. Die besonders auch in der Männlichkeitsforschung seit Jahren intensiv untersuchten Krisenerfahrungen von Männern (z. B. Scholz 2007, Meuser 2010) haben genau darin, in dieser Transformation hegemonialer Männlichkeit, ihren Ursprung. In der Tat lässt sich hier in gewisser Weise von einer Krise von Männlichkeit sprechen – wenn auch nicht in der Form, wie es der penetrante, neomaskulinistische Diskurs vom ›Mann in der Krise‹ suggeriert, der sich seit Jahren in den Feuilletons und zahlreichen (populär)wissenschaftlichen Abhandlungen breitmacht (vgl. prominent Hollstein 2008). Es bedarf nicht vieler Anstrengung und intensiver kritischer Analyse, um festzustellen, woher in solchen Diskursen der Wind weht und was genau hinter der Klage vom ›Mann in der Krise‹ in Wahrheit steckt. Hierbei handelt es sich im Grunde um nichts Geringeres als einen Aufschrei der (potentiellen) männlichen Verlierer des postmodernen Krisenkapitalismus. Es geht hier vor allem um das Leiden unter dem drohenden oder auch faktischen Verlust der primär durch Arbeit und Karriere gestifteten männlichen Identität, der darüber hinaus noch verschärft wird durch die postmodernen Aufweichungs- und Flexibilisierungserscheinungen im Geschlechterverhältnis, die die hegemoniale Position von Männern noch zusätzlich untergraben. Im Beruf treten immer mehr Frauen als unmittelbare Konkurrentinnen oder auch Vorgesetzte auf, und auch zuhause haben Männer (zumindest in der eigenen Wahrnehmung) immer weniger zu sagen, während sie durch die fortschreitende Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen tendenziell »hausfrauisiert« (Claudia von Werlhof) werden, also zunehmend von Teilzeitarbeit, Mini-Jobs, prekärer Beschäftigung oder gar Erwerbslosigkeit betroffen sind. Diese Entwicklungen verarbeitet der Männerkrisen-Diskurs ideologisch, indem er darauf abzielt, dem daraus resultierenden bzw. so wahrgenommenen Verfall von Männlichkeit gewissermaßen Einhalt zu gebieten, eine Besinnung auf die bedrohten männlichen Werte und Ideale zu beschwören und so wieder zu »›wahre[r]‹ Männlichkeit« (Pohl 2011, 121) zu gelangen.[4] In der kritischen Männlichkeitsforschung gibt es dafür den meines Erachtens recht treffenden Begriff einer »männlichen Resouveränisierung« (Forster 2006). Die in ihrer gesellschaftlichen Dominanz und Souveränität bedrohten Männer versuchen ihre schwindende Souveränität wiederherzustellen, und das drückt sich besonders plastisch im Diskurs vom ›Mann in der Krise‹ aus, der nicht nur Klage, sondern bereits ein Versuch der Resouveränisierung und der Wiederherstellung männlicher Hegemonie ist.


Der Topos der Männlichkeitskrise wurde auch kulturindustriell verarbeitet. Nicht zufällig sind speziell mit dem ersten Höhepunkt des Männerkrisen-Diskurses um die Jahrtausendwende etliche Filme entstanden, die explizit oder implizit die Männerkrise thematisierten. Zu nennen wären hier etwa bekannte Filme wie Fight Club oder American Beauty (vgl. Kappert 2008, 63ff.). In diesen Filmen kommt ebenfalls zum Teil recht eindrucksvoll jenes Moment der Resouveränisierung zum Ausdruck – etwa wenn sich die männlichen Protagonisten in organisierten Faustkämpfen ihre Männlichkeit beweisen oder sich aus der Fuchtel der sie entmannenden, karriereorientierten Ehefrau bzw. ganz allgemein aus der bornierten Hölle der kleinbürgerlichen Familie zu befreien versuchen. Der vorläufige Höhepunkt wurde vielleicht im Jahr 2016 mit dem Oscar-prämierten Film The Revenant erreicht, in dem Leonardo DiCaprio einen Trapper spielt, der in der amerikanischen Wildnis des 19. Jahrhunderts ums Überleben kämpft – eine kaum verhohlene, gewalt- und bluttriefende Beschwörung des starken, auf sich selbst gestellten Mannes[5], in der sich inhaltlich wie formal (ähnlich wie in den seit Jahren in Mode befindlichen Postapokalypse-Filmen und -Computerspielen; dazu Konicz 2014) eine gewisse Sehnsucht nach dem zivilisatorischen Zusammenbruch und nach einer über den brutalen Überlebenskampf vermittelten Selbstsetzung des krisenhaften männlichen Subjekts zu reflektieren scheint.[6]


Der Diskurs von der Männlichkeitskrise ist also eine ideologische Verarbeitungsform der postmodernen Verwilderung des Patriarchats und als solche auch unmittelbarer Bestandteil und Symptom jener Verwilderung. Deshalb verweist er auch, wie jede Ideologie, auf etwas Gesellschaftlich-Objektives, hat also durchaus eine handfeste objektive Grundlage. Womit wir es definitiv zu tun haben, ist eine Krise – oder genauer gesagt: Identitätskrise – zahlreicher Männer, die unter den verschärften kompetitiven Bedingungen der Gegenwart nicht mithalten können und denen daher auch eine kohärente und sozial wie individuell einigermaßen tragfähige männliche Identität verwehrt ist. Das schlägt sich auf sehr vielfältige Weise nieder, u. a. in besagten Diskursen über die Männerkrise, aber ganz besonders auch in einem zunehmend auf dem Vormarsch befindlichen Antifeminismus (vgl. Pohl 2011, Kemper 2012, Lang; Peters 2018) sowie in einer seit Jahren wieder steigenden Gewalt gegen Frauen (vgl. empirisch etwa die einschlägigen Berichte der European Union Agency for Fundamental Rights, FRA 2014). Der flexibilisierte, gendersensible, postmoderne ›Softie‹ – so könnte man es ein wenig zugespitzt zusammenfassen – sehnt sich also in der Krise wieder zurück zu alter Männlichkeit und wird dabei mitunter bösartig und gewalttätig.[7] Roswitha Scholz hat in dem Zusammenhang – wenn auch in einem eher übertragenen Sinne – auf den Trend hingewiesen, dass Männer wieder zunehmend Bart tragen, was sich auf einer symbolischen Ebene durchaus als eine Sehnsucht nach Männlichkeit interpretieren lässt, also ebenfalls in gewissem Sinne eine Strategie der männlichen Resouveränisierung darstellen könnte (vgl. Scholz 2017).


Das ist mithin der wahre Kern in der Rede von der Männlichkeitskrise. Was durch diese ›Krise‹ freilich überhaupt nicht tangiert wird, ist jedoch die androzentrische, inhärent ›männliche‹ und patriarchale Grundstruktur der Gesellschaft. Und eben das macht diesen Diskurs letztlich so ideologisch. Denn diese Krise ist durchaus keine Krise männlicher, patriarchaler Herrschaft. Ganz im Gegenteil: Durch die allgemeine Wettbewerbsverschärfung und den sich massiv zuspitzenden Kampf um Karriere- und Lebenschancen wird nun (und jetzt eigentlich sogar erst recht) die inhärent patriarchale Konkurrenzorientierung nur umso mehr zur obersten gesellschaftlichen Norm. Die von Anfang an androzentrischen Strukturen bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften werden unter verschärften Bedingungen fortgeschrieben. Die androzentrische Grundstruktur des Kapitalismus verschwindet in der Gegenwart also ebenso wenig wie hegemoniale Männlichkeit – sie nimmt bloß andere Gestalt an. Ihre neue Gestalt besteht in ihrer kompetitiven Zuspitzung, in der Zuspitzung von Wettbewerb als einem immer schon zentralen Grundprinzip hegemonialer Männlichkeit, das im neoliberalen Krisenkapitalismus endgültig dabei ist, auf sämtliche Lebensbereiche überzugreifen. Und nicht nur das: Ihre neue Gestalt besteht insbesondere auch darin, dass sich hegemoniale Männlichkeit im Zuge ihrer postmodernen Metamorphose allmählich auch zu einer nicht mehr bloß männlichen, sondern vielmehr zu einer allgemeingültigen hegemonialen Subjektivierungsform aufspreizt.


 

4. ›Spitzenfrauen‹, Konkurrenz und die Dialektik der Gleichstellung


Hier kommen wir nun zur anderen Seite des Geschlechterverhältnisses – zu den Frauen. Bis hierher wurde die Verwilderung des Patriarchats primär auf der allgemeinen Ebene der androzentrischen Grundstruktur des Kapitalismus und deren strukturell männlichen Subjektform als kapitalistischem Arbeits- und Konkurrenzsubjekt betrachtet, insbesondere auch dahingehend, welche Auswirkungen dies auf die primären Träger jener Subjektform, also auf Männer, hat. Im Folgenden soll noch etwas genauer darauf eingegangen werden, was all das für Frauen und Weiblichkeit bedeutet, vor allem auch vor dem Hintergrund eines zunehmenden Vordringens von Frauen in ehemals männliche Domänen, was ja im Allgemeinen als zunehmende Gleichstellung und sogar Emanzipation von Frauen aufgefasst wird.


Unbestritten ist, dass es beträchtliche Veränderungen im Geschlechterverhältnis gibt. Und das zeigt sich eben in der Tat nirgends deutlicher als ausgerechnet an dem Ort, der im Kapitalismus traditionell für Männer reserviert war und an dem sich auch moderne Männlichkeit traditionell primär (oder jedenfalls in besonderem Maße) konstituiert, nämlich im Bereich der Erwerbsarbeit. Dieser Bereich hat sich für Frauen in den vergangenen Jahrzehnten ungemein stark geöffnet. Auch wenn es sich dabei zurzeit zwar immer noch um eine Minderheit handelt, kommt man dennoch nicht umhin festzustellen, dass es heute immer mehr hochqualifizierte und karriereorientierte Frauen gibt, die sich »in Abgrenzung zu traditionellen Zuschreibungen zunehmend über das Muster der zunächst Männern vorbehaltenen ›Arbeitsmarktindividualisierung‹, das heißt primär über Erwerbsarbeit [definieren]« (Nickel 2009, 217). Auch und gerade punkto Bildung, also was formelle Bildungsabschlüsse betrifft, haben Frauen mittlerweile mit Männern gleichgezogen oder sie teilweise sogar überholt. Die ursprünglich für die kapitalistische Gesellschaft so konstitutive Trennung von Produktion und Reproduktion löst sich also tendenziell auf und damit eben auch – zumindest oberflächlich betrachtet – die daran gekoppelten geschlechtsspezifischen Zuweisungen zu diesen gesellschaftlichen Sphären. Darüber hinaus – und als Folge dieses Prozesses – steigen Frauen zunehmend auch in gesellschaftliche Führungs- und Machtpositionen auf. Ökonomischer Erfolg und gesellschaftliche Macht sind somit immer weniger oder jedenfalls nicht mehr allein in den Händen von Männern konzentriert. Die homosozialen Räume à la Bourdieu, in denen Männer unter sich die »ernsten Spiele des Wettbewerbs« austragen, sind praktisch keine mehr, denn nun dringen auch Frauen in einst männliche Domänen wie Ökonomie, Politik, Wissenschaft etc. vor. In den Spielen des Wettbewerbs spielen also inzwischen immer öfter auch Frauen mit, einige von ihnen besser als so mancher Mann, und treten zunehmend mit Männern, aber natürlich auch (und vielleicht sogar vor allem) untereinander in Konkurrenz.


Die Frage ist nun allerdings, wie diese in der Tat weitreichenden und schwerlich von der Hand zu weisenden Veränderungen im Geschlechterverhältnis zu interpretieren sind. Aus der in feministischen Kontexten tendenziell dominanten Perspektive, die die Überwindung von Androzentrismus und männlicher Dominanz vor allem im Medium einer Gleichstellung von Frauen und Männern in der Erwerbssphäre zu bewerkstelligen anstrebt, müssen solche Veränderungen natürlich fast schon zwangsläufig als zwar immer noch zu wenig, aber immerhin als Schritt in die richtige Richtung aufgefasst werden. Innerhalb der Geschlechterforschung und der feministischen Theorie gab es vor diesem Hintergrund in den letzten Jahren auch schon vereinzelte Bestrebungen, neben der »hegemonialen Männlichkeit« nun auch von einer »hegemonialen Weiblichkeit« zu sprechen – etwas, das in Connells Konzept einer hegemonialen Männlichkeit bereits a priori ausgeschlossen war. Connell ging, wie vorhin schon erwähnt, stets von einem asymmetrischen Geschlechterverhältnis aus, in dem Frauen den Männern per se untergeordnet seien und keinen hegemonialen Status erlangen könnten. Wo Frauen einen gewissen machtvollen Status innehätten, spricht Connell von einer »emphasized femininity« (Connell 1987, 183), also einer »betonten« oder »hervorgehobenen Weiblichkeit«, die aber letztlich charakterisiert sei durch das Einverständnis der Frau mit ihrer Unterordnung bzw. ihrer Orientierung an den Interessen der Männer (selbst dort, wo sie offen Widerstand leiste oder sich den patriarchalen Verhältnissen verweigere). Wenn aber heute – so die Argumentation von Fürsprecherinnen einer »hegemonialen Weiblichkeit« – zunehmend auch Frauen berufliche Spitzenpositionen bekleiden und gesellschaftliche Macht immer weniger in den Händen von Männern konzentriert ist, sondern auch Frauen an der sozialen Elite teilhaben können, dann sei diese Annahme womöglich so nicht länger haltbar und das Konzept der hegemonialen Männlichkeit zumindest modifikationsbedürftig. Ein wesentlicher Beitrag stammt dabei z. B. von Sylka Scholz, die sich in den letzten Jahren mit dem Vorschlag hervorgetan hat, aus den genannten Gründen, neben oder zusätzlich zum Begriff einer hegemonialen Männlichkeit, in Hinkunft auch von einer »hegemonialen Weiblichkeit« zu sprechen bzw. ein solches Konzept in die Theorie von Connell zu integrieren (vgl. Scholz 2010, Meuser; Scholz 2011).[8]


Von einem androzentrismuskritischen Standpunkt, wie er in wert-abspaltungskritischen Kontexten vertreten wird, stellt sich die Sache etwas komplizierter dar. Denn so groß die Veränderungen, die die zunehmende Normalisierung weiblicher Berufskarrieren und das Vordringen von Frauen in ökonomische und politische Spitzenpositionen gesellschaftlich bedeuten, auch sein mögen – eines lassen sie in jedem Fall unberührt, und das ist nun einmal die androzentrische Grundstruktur der Gesellschaft, die es im Interesse einer Überwindung von Geschlechterhierarchien und von geschlechtsbezogener Ungleichheit einer radikalen feministischen Kritik zu unterziehen gälte. Eher im Gegenteil: Diese androzentrische Grundstruktur wird unter Gleichstellungsprämissen eher noch zusätzlich stabilisiert und reproduziert, was letztendlich mit einer Perpetuierung von Geschlechterasymmetrien und weiterhin bestehenden Benachteiligungen von Frauen verbunden ist.


Zwar können Frauen heute höchst erfolgreiche Karrieren machen, bis hinauf zu hohen Machtpositionen. Grundbedingung dafür ist allerdings, dass sie die im jeweiligen Feld geltenden Normen und Ideale, die eben im Kern männliche sind, annehmen und zu deren Reproduktion beitragen. Auch Frauen müssen, wenn sie z. B. in die Politik einsteigen, dem feldspezifischen hegemonialen, maskulinen Leitbild des machtorientierten Politikers folgen und sich dem Kampf um politische Macht stellen – bei allen Unterschieden im Detail, die es hinsichtlich des konkreten Politikstils von Männern und Frauen durchaus geben mag. Hierbei handelt es sich aber im Allgemeinen lediglich um Variationen eines mehr oder weniger eng definierten Typus des Politikers, der wiederum inhärent, also der Struktur nach, männlich ist. Das beste Beispiel dafür ist wahrscheinlich Angela Merkel.[9] Besonders der rabiate und sozial schädliche wirtschaftspolitische Kurs unter Merkels Regierung (extreme Exportorientierung, radikale Austeritätspolitik zulasten südlicher EU-Staaten etc.) sensibilisiert dafür, dass es hinsichtlich der konkreten Politik als auch hinsichtlich des Politikstils eigentlich sekundär ist, ob ein politisches Amt von einer Frau oder von einem Mann bekleidet wird, weil eben die Politik nicht nur bestimmten kapitalistischen Sachzwängen unterworfen ist, sondern auch eine bestimmte Subjektform voraussetzt – und diese ist strukturell männlich, und zwar auch dann, wenn sie von einer Frau repräsentiert wird.


Ähnliches gilt für Spitzenpositionen in der Wirtschaft: Solange die Leitlinien und Imperative der Wirtschaft (und der Gesellschaft insgesamt) in ›Profit‹, ›Rentabilität‹, ›Wirtschaftswachstum‹ usw. bestehen, sind diese auch von Frauen in Unternehmensvorständen oder Aufsichtsräten zu befolgen und ist es allenfalls immanent unter Gesichtspunkten der ›Chancengleichheit‹ und ›Geschlechtergerechtigkeit‹, aber nicht grundsätzlich relevant, wer diese Imperative exekutiert und welches Geschlecht er oder sie hat. Wie egal dies ist, kann schon daran abgelesen werden, dass Frauenquoten bzw. die forcierte Öffnung von Führungspositionen für Frauen in erster Linie mit der ›wirtschaftlichen Stabilität‹ und dem ›Wachstum‹ begründet werden, die diese (angeblich) erwarten lassen, also mit denselben Zwängen, die für kapitalistische Ökonomien ohnehin seit jeher, auch unter alleiniger Federführung von Männern, gültig sind (siehe Endnote 3). Hier kann daher der Feministin und Psychoanalytikerin Jessica Benjamin nur zugestimmt werden, wenn sie festhält: »Ungeachtet der Tatsache, dass Frauen zunehmend an der produktiven und öffentlichen Sphäre der Gesellschaft partizipieren, bleibt diese in ihren Praktiken wie im Prinzip eine ›Männerwelt‹. Die Anwesenheit von Frauen hat keine Wirkung auf die dort gültigen Regeln und Verfahren« (Benjamin 1994, 180).


So betrachtet wäre das Vordringen von Frauen in Spitzenpositionen aber natürlich ganz anders zu interpretieren, als das üblicherweise der Fall ist: Wenn es immer mehr Frauen gelingt, in traditionell männlichen Domänen mit den dort vorherrschenden, inhärent männlichen Berufsidealen zu reüssieren, indem sie diese notwendigerweise internalisieren und reproduzieren, dann handelt es sich dabei zwar durchaus um bedeutsame und weitreichende Veränderungen im Geschlechterverhältnis, aber mitnichten um eine Überwindung androzentrischer Strukturen. Im besten Fall haben wir es hier mit einer stärkeren Teilhabe von Frauen an und in diesen androzentrischen Strukturen selbst zu tun. Was durch die Annahme einer durch Gleichstellung zu erreichenden Überwindung von Androzentrismus gerade aus dem Blick gerät, ist jener immanente Androzentrismus feldspezifischer Berufsideale, die von Frauen ebenso angeeignet werden müssen wie von Männern, wenn sie denn tatsächlich eine erfolgreiche Karriere hinlegen wollen. Was dabei gerne als eine Überwindung von Androzentrismus interpretiert wird, ist eigentlich als das genaue Gegenteil aufzufassen, nämlich als eine Universalisierung der kapitalistisch-männlichen Subjektform, als eine Verallgemeinerung der einst allein auf Männer beschränkten hegemonialen Männlichkeit, die nun in der Postmoderne nicht etwa verschwindet, sondern vielmehr (und ganz im Gegenteil) zur allgemeingültigen hegemonialen Subjektivierungsform herabsinkt. An dieser Stelle zeigt sich generell eine ganz eigentümliche Dialektik der in erster Linie auf die Förderung weiblicher Berufskarrieren fokussierten Geschlechtergleichstellung: Diese verspricht zwar die soziale Gleichheit zwischen Männern und Frauen, bringt aber am Ende lediglich die Angleichung von Frauen an das männliche Ideal.


Dagegen vermag auch die immer wieder in Gleichstellungsdiskursen gehegte Hoffnung nichts auszurichten, dass durch das Vordringen von Frauen in ökonomische und politische Machtpositionen womöglich die androzentrische Grundstruktur gleichsam von innen heraus aufgesprengt und so ein fundamentaler gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden könnte. Hier wird zuweilen sogar bereits der Traum einer ›weiblicheren‹ Wirtschaft und damit einer gerechteren Gesellschaft geträumt, die quasi über den Umweg einer Gleichstellung der Geschlechter zu realisieren sei. In diesem Kontext gibt es teilweise geradezu absurde und oft auch krude naturalistische frauenpolitische Positionen, die Frauen (wie vorhin schon einmal erwähnt) aufgrund ihrer ›weiblichen‹ Eigenschaften als per se bessere Wirtschafter imaginieren, weil sie z. B. weniger risikofreudig seien als Männer oder einen besseren, ›weicheren‹ Führungsstil, mehr ›soziale Kompetenz‹ und dergleichen hätten. Bezeichnend waren in diesem Zusammenhang z. B. Diskurse, wie sie im Anschluss an den Finanzcrash von 2008 in den Medien herumgeisterten, denen zufolge die Finanzkrise in erster Linie auf das Risikoverhalten und das Spielertum von ›testosteron-gesteuerten‹ Bankern und Managern zurückzuführen sei (vgl. kritisch Sauer 2011). Die Krise, so die zentrale Botschaft solcher Diskurse, hätte in dieser Form also nicht stattgefunden, wenn – wie es die damalige Chefin der Women’s World Bank Mary Iskenderian in einem Interview formulierte – die Bank Lehman Brothers von den Lehman Sisters geleitet worden wäre, weil Frauen eben per se weniger zu riskantem Handeln und spekulativen Operationen neigen würden (Spiegel online, 11.5.2009).[10] Dass solche Interpretationen sowohl das Problem der finanzkapitalistischen Spekulation als auch die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise konsequent verfehlen, liegt auf der Hand und braucht hier nicht extra zu betont zu werden. Auf der anderen Seite eignen sich solche Positionen aber natürlich nicht schlecht, um Forderungen nach Frauenquoten, mehr Frauen in Führungspositionen und dergleichen noch mehr Gewicht zu verleihen. Und zu diesem Zweck werden solche Diskurse eben auch eingesetzt.


Dass Frauen – einmal ganz abgesehen von der naturalistischen Logik solcher Annahmen –, wenn sie den Sprung in die wirtschaftliche Elite geschafft haben, die dort vorherrschenden maskulinen Normen und Leitbilder des Wirtschafters und des Managers bereits soweit internalisiert und inkorporiert haben, dass sie diese wohl kaum noch hinterfragen (vgl. in diesem Sinne auch Hanappi-Egger 2011), dass es also, zugespitzt formuliert, eher nicht die Wirtschaft ist, die ›weiblich‹ wird, sondern eher die Frauen sind, die ›männlich‹ werden – oder dies jedenfalls, wie auch jeder Mann, sein müssen, um unter derart kompetitiven Bedingungen zu reüssieren – das sind Tatsachen, die in derartigen Überlegungen in der Regel keine Rolle spielen. Es ist also eher so, wie es bereits vor mehr als 20 Jahren Kornelia Hauser konstatierte, dass unter den heutigen postmodernen, neoliberalen Prämissen die Geschlechterdifferenzen gleichsam auf männlichem Niveau nivelliert werden und die Gesellschaft quasi auf ein »Ein-Geschlechter-Modell« zusteuert: »Frauen sind Männer, nur anders« (Hauser 1996, 21).[11] Zuweilen drängt sich dabei fast der Eindruck auf, dass manche in Führungs- und Machtpositionen vordringende Frauen gewisse mit ihrer Berufsrolle verbundene Eigenschaften und Verhaltensweisen (etwa hinsichtlich des Konkurrenzverhaltens, in der Zurschaustellung von ›Toughness‹, in der Betonung von Autonomie etc.) sogar emphatischer und gleichsam ›männlicher‹ anlegen als viele Männer. Dies mag freilich damit zu tun haben, dass sie sich ihre Position und ihren beruflichen Erfolg innerhalb der patriarchalen und weithin männerbündischen Strukturen gerade von Feldern wie Wirtschaft und Politik in der Regel auch sehr viel härter erarbeiten und im wahrsten Sinne des Wortes ›erkämpfen‹ müssen. Zu leiden haben darunter wieder vor allem Frauen, die es im Arbeitsleben mit einer knallharten Businessfrau als Vorgesetzter zu tun haben – zumindest wird dergleichen meiner Erfahrung nach besonders von Frauen beklagt (wobei hier freilich auch gesellschaftlich dominante und insbesondere von Frauen verinnerlichte Weiblichkeitsstereotype der ›empathischen‹, ›fürsorglichen‹ etc. Frau eine Rolle spielen dürften, die von Businessfrauen gleichsam unterlaufen werden). Vor diesem Hintergrund könnte daher Pierre Bourdieu durchaus Recht haben, wenn er die Vermutung äußert, dass im Zuge der Geschlechter-gleichstellung bürgerliche Männer in gesellschaftlichen Machtpositionen durch noch bürgerlichere Frauen ersetzt werden könnten, »die noch weiter auf der Seite der herrschenden Ordnung stehen« (Bourdieu 2001, 17).


Auch psychoanalytisch lässt sich begründen, dass dieses postmoderne, am Ideal des autonomen, bürgerlichen Mannes gebildete ›Ein-Geschlechter-Modell‹ das genaue Gegenteil weiblicher Emanzipation darstellt, weil die damit verbundene Form der Individuation patriarchale Herrschaft eher reproduziert anstatt sie aufzuheben: »In manchen Sektoren der Gesellschaft können Frauen heute die gleiche emphatische Autonomie beanspruchen, die gleiche ›falsche‹ Differenzierung auf Kosten realer Anerkennung und Einfühlung, wie sie bislang das Idealbild männlicher Individualität kennzeichnete. Das stereotype Bild der ›Karrierefrau‹ besagt, dass diese so unpersönlich und distanziert ›wie ein Mann‹ sein kann. Aber eine solche Individuation, die auf der Leugnung des eigenen Verlangens nach anderen beruht, ist schwerlich als Emanzipation zu bezeichnen« (Benjamin 1994, 83).


Spätestens an dieser Stelle zeigt sich der hochgradig ideologische Charakter der gegenwärtigen politischen Gleichstellungsbestrebungen: Solange der Kampf gegen männliche Herrschaft und die vorherrschende Unterdrückung und Benachteiligung von Frauen immanent, also innerhalb des bestehenden kapitalistischen Rahmens geführt wird, solange läuft es offenbar auch auf die Reproduktion und Perpetuierung dieser männlichen Herrschaft und hier vor allem ihrer patriarchalen und androzentrischen Strukturen hinaus, weil diese männliche Herrschaft eben nicht oder jedenfalls nicht primär eine Herrschaft konkreter Männer über konkrete Frauen ist, sondern (wie der Kapitalismus insgesamt) eher eine abstrakte, versachlichte Herrschaft von patriarchalen, androzentrischen Institutionen und Strukturen über entsprechend vergeschlechtlichte Subjekte (auch wenn es freilich diese vergeschlechtlichten Subjekte selbst sind, die jene patriarchal-kapitalistischen Strukturen hervorbringen). Zu überwinden ist das kapitalistische Patriarchat daher nur durch eine Überwindung des Kapitalismus insgesamt und dessen Wert-Abspaltungsstruktur – oder gar nicht.


Was in feministischen und insbesondere frauenpolitischen Gleichstellungsdiskursen dementsprechend ebenfalls kaum bis gar nicht thematisiert wird, obwohl es sich vor diesem Hintergrund eigentlich geradezu aufdrängen würde, ist, ob nicht die vorherrschenden und sich gegenwärtig tendenziell zuspitzenden gesellschaftlichen Verhältnisse mit ihren inhärent männlichen Normen und Idealen (die insbesondere und in erster Linie Konkurrenzideale sind), Frauen schon von vornherein eher benachteiligen als Männer und sich damit die Benachteiligung von Frauen unter Gleichstellungsprämissen nur in anderer Form fortschreibt. Oder anders gefragt: Wenn Karriere und beruflicher Erfolg quasi nur über die Inkorporierung ›männlicher‹ Eigenschaften zu haben sind, ist dies dann nicht bereits per se von Vorteil für Männer und entsprechend von Nachteil für Frauen? Hier ist abermals auf die kompetitive Struktur von Männlichkeit zurückzukommen: Männliche Vergesellschaftung verläuft, wie gezeigt, bereits per se (oder jedenfalls in besonderem Maße) im Modus des Wettbewerbs. Das hat zur Folge, dass Männer schon aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Vergesellschaftung tendenziell konkurrenzorientierter sind und im Prinzip für derart kompetitive Verhältnisse, wie sie in der kapitalistischen Gesellschaft und mehr noch in ihrer gegenwärtigen neoliberalen und globalisierten Ausformung bestimmend sind, geradezu prädestiniert werden. Hier gibt es inzwischen auch eine ganze Reihe wissenschaftlicher Studien, die nahelegen, dass Frauen diese Konkurrenzorientierung, welche Männer offenbar (wenn auch freilich nicht alle gleichermaßen) schon von klein auf introjizieren, häufig abgeht. Zumindest aber ergeben diese Studien, dass Frauen sich in kompetitiven Situationen tendenziell anders verhalten als Männer (vgl. Niederle; Vesterlund 2011).[12] Dies ist auch nicht allein auf den besonders kompetitiven Bereich der Ökonomie beschränkt, sondern äußert sich durchaus auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, wie etwa der Wissenschaft. Dort zeichnet sich etwa die Tendenz ab, dass Jungwissenschaftlerinnen eher ihre wissenschaftliche Laufbahn abbrechen (oder dies in Erwägung ziehen) als ihre männlichen Kollegen. Vor allem aber führen sie das hoch kompetitive Arbeitsumfeld wesentlich häufiger als Grund für einen Weggang an (vgl. Felt; Fochler 2010). Dieses immer stärker von Konkurrenz um knappe akademische Stellen, Fördermittel, Publikationen usw., aber auch von Mobilität geprägte wissenschaftliche Arbeitsumfeld ist also offensichtlich, ebenso wie Wirtschaft und Politik, wesentlich kompatibler mit einem männlichen Geschlechtscharakter als mit einem weiblichen, weshalb Frauen solche kompetitiven Situationen eher vermeiden oder dabei tendenziell den Kürzeren ziehen. Es ist so gesehen geradezu eine Ironie heutiger feministischer Gleichstellungsdebatten, dass das, was dabei häufig mit ›Weiblichkeit‹ verbunden und im Diskurs über frauenspezifische Eigenschaften und Kompetenzen sogar als große Stärken weiblicher Führungskräfte gehandelt wird – dass sie weniger asozial handeln, nicht so stark ihre Ellenbogen ausfahren, risikoaverser sind etc. – unter kompetitiven Bedingungen, wie sie im Kapitalismus vorherrschen, also zunächst einmal tendenziell einen gewaltigen Nachteil für Frauen darstellt.[13]


Ganz allgemein kann auch festgestellt werden, dass Frauen weitaus stärker mit prekären Arbeitsbedingungen konfrontiert sind als Männer. Sie sind beispielsweise wesentlich öfter von Teilzeitarbeit betroffen, besonders aber ist ein großer Teil von Frauen in Niedriglohnsektoren, insbesondere im Sozial- und Dienstleistungsbereich beschäftigt. Gerade in Deutschland ist die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen vor allem auf den expandierten Niedriglohnsektor, insbesondere im Gefolge von Hartz IV, zurückzuführen (vgl. Lent; Trumann 2015).[14] Zu denken ist hier nicht zuletzt auch an die prekäre Lage der zahlreichen, für gewöhnlich migrantischen Unterschichtfrauen, ohne die so manche Karriere sogenannter Karrierefrauen wahrscheinlich ungleich schwerer zu realisieren wäre, da diese sie von den ja nach wie vor (trotz aller Gleichstellung) überwiegend von Frauen zu leistenden Haushaltstätigkeiten entlasten (vgl. Rommelspacher 2009). Dazu gehört, neben der ›Hausarbeit‹ (Putzen, Kochen etc.) und der Betreuung von Kindern, auch die Pflege und Betreuung alter Menschen, die ebenfalls zunehmend an migrantische Frauen (vor allem aus Osteuropa) delegiert wird. Tine Haubner spricht in diesem Zusammenhang und mit Blick auf die prekäre Lage ausländischer Pflegerinnen zu Recht von den »Sklavinnen des 21. Jahrhunderts« (Haubner 2017, 370ff.). Berufstätige Frauen, die sich diesen ›Luxus‹ nicht leisten können, tragen hingegen selbst eine oft prekäre Doppelbelastung durch die erforderliche Vereinbarung von Beruf, Familie und Haushalt – ein Schicksal, das in besonderem Maße von alleinerziehenden Müttern verkörpert wird.


Frauen befinden sich so gesehen also unter den gegebenen, extrem kompetitiven Bedingungen tendenziell im Nachteil – und zwar im Prinzip bereits aufgrund ihrer Vergesellschaftung als Frauen. Ihnen werden zwar im Hinblick auf das Berufsleben durchaus Werte wie Ehrgeiz und Wettbewerbsorientierung – also quasi ›typisch männliche‹ Orientierungsmuster – vermittelt, letztendlich werden sie aber auch und vor allem zu Frauen erzogen, mit entsprechenden ›weiblichen‹ Handlungs- und Verhaltensdispositionen. Man könnte hier mit Regina Becker-Schmidt von einer »doppelten Vergesellschaftung« von Frauen sprechen (vgl. Becker-Schmidt 1991). Sozialisation wie Individuation von Frauen sind geprägt sowohl von inhärent männlichen Normen im Zusammenhang mit Beruf und Karriere als auch von spezifisch ›weiblichen‹ Normen und Rollenerwartungen, vor allem hinsichtlich Familie, Haushalt, Kinderbetreuung und (Alten-)Pflege, die recht schwer miteinander in Einklang zu bringen sind. Im Gegensatz dazu werden Männer grundsätzlich (mehr oder weniger) unter Rahmenbedingungen des Wettbewerbs vergesellschaftet, ja auf die Konkurrenz in der von androzentrischen Leistungsprinzipien durchzogenen öffentlichen bzw. beruflichen Sphäre hin sozialisiert. Selbst dort, wo Frauen eine hohe Wettbewerbs- und Karriereorientierung aufweisen, reicht es daher häufig nicht für eine Top-Position. Auch dies lässt sich am Ende auf die kompetitive Struktur von Männlichkeit zurückführen, welche letztlich die männliche Machtposition gegenüber Frauen absichert: »Es genügt nicht, die Spielregeln zu kennen, das Machtspiel als solches muss geliebt werden, will man reüssieren. Und genau dies wird in vielfältigen Strukturübungen in der homosozialen Dimension [d. h. im Wettbewerb unter Männern, AU] zugrunde gelegt, habitualisiert und inkorporiert« (Meuser 2006, 171). Die spezifisch männliche, im Zuge der männlichen Vergesellschaftung erworbene Liebe zum Wettbewerb ergibt also den Unterschied.


Was für Frauen noch erschwerend hinzu kommt, ist, dass für diese auch äußerst wirkmächtige Weiblichkeits- und Schönheitsideale gelten. Und das betrifft gerade und in besonderem Maße Karrierefrauen: Diese müssen in ihrem Job in der Regel nicht nur besser sein als ihre männlichen Kollegen, sondern dürfen dabei auch ihre Weiblichkeit nicht verlieren. Angela McRobbie weist in diesem Zusammenhang etwa darauf hin, dass gerade die betonte und besonders durch Mode, sexy Auftreten usw. herausgestellte Weiblichkeit junger karriereorientierter Frauen symbolisch u. a. auch als Strategie verstanden werden kann, ›weiblich‹ zu bleiben, um so gleichsam den eigenen Wunsch nach Männlichkeit, aber auch die Rivalität mit den Männern in der Arbeitswelt zu verbergen (vgl. McRobbie 2010, 103). Und das ist freilich abermals eine doppelte Zumutung, die für Männer in dieser Form nicht existiert: nämlich genauso gut und tough, wenn nicht noch tougher als männliche Konkurrenten zu sein, dabei aber gleichzeitig auch Frau bleiben zu müssen, um gesellschaftliche Anerkennung als Frau zu erhalten.[15]


Auch dieser Aspekt, d. h. die Tatsache, dass die androzentrischen und zunehmend kompetitiven Verhältnisse der Gegenwart Frauen aufgrund nach wie vor weitgehend geschlechtsspezifischer Vergesellschaftungsprozesse eigentlich bereits von vornherein strukturell benachteiligen oder diesen für eine erfolgreiche berufliche Performance zumindest mehr abverlangen als Männern – nämlich die Vermittlung von häufig nur schwer miteinander zu vermittelnden ›männlichen‹ und ›weiblichen‹ Handlungspraxen –, all das deutet darauf hin, dass durch Gleichstellung und eine postmoderne Verflüssigung von Geschlechteridentitäten bestehende Geschlechterhierarchien und
-ungleichheiten nicht etwa beseitigt, sondern selbst reproduziert und perpetuiert werden.


Ein weiterer Aspekt, der gerade mit Blick auf eine Interpretation solcher Tendenzen im Sinne einer »Verwilderung des Patriarchats« (Roswitha Scholz) relevant ist, kann schließlich darin gesehen werden, dass sich die vermeintliche gesellschaftliche Aufwertung von Frauen und Weiblichkeit und insbesondere das Vordringen von Frauen in gesellschaftliche Führungs- und Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft in vielerlei Hinsicht als eine Abwälzung von Krisenfolgen auf Frauen verstehen lässt. Es hat generell eine lange kapitalistische Tradition und folgt unmittelbar aus der Struktur der Wert-Abspaltung, dass Weiblichkeit sozusagen als »Putz- und Entseuchungsmittel« (Thürmer-Rohr 1987) eingesetzt wird und immer dann entsprechend hoch angesehen und gefragt ist, wenn gesellschaftliche Krisenzustände herrschen und der patriarchale Karren sprichwörtlich im Dreck steckt (wie das z. B. besonders während und nach dem 2. Weltkrieg der Fall war, Stichwort: ›Trümmerfrauen‹). Von daher ist es also nicht allzu überraschend, sondern spricht nur für die nach wie vor ungebrochene patriarchale Logik, dass der gegenwärtige gesellschaftliche Aufstieg von Frauen historisch mit der fundamentalen Krise des Kapitalismus zusammenfällt, in der Frauen nun quasi als Krisenverwalterinnen herhalten dürfen. Das zeigt sich nicht nur an den »hauptsächlich von Frauen getragenen Selbsthilfeinitiativen in den Elendsvierteln der Welt« (Scholz 2013, 60), sondern gerade auch mit Blick auf die sukzessive Öffnung von gesellschaftlichen Bereichen wie Politik und Wirtschaft für Frauen in den kapitalistischen Kernländern. Roswitha Scholz hat mit Blick auf diese Entwicklungen daher zu Recht die Frage aufgeworfen, »ob Frauen nicht wieder einmal ›sinkende Schiffe‹ […] erobern, wenn sie in die Kommandohöhen von Politik und Ökonomie im Globalisierungsmaßstab vordringen, Makrobereiche also, die […] selbst tendenziell einer Entwertung unterliegen, indem sie an Gestaltungsvermögen, Macht, Glaubwürdigkeit und Legitimationskraft verlieren« (ebd.). Frauen dürfen also sozusagen jetzt zu einem Zeitpunkt ans politische und zunehmend auch wirtschaftliche Ruder, da der kapitalistische Zug ohnehin schon ziemlich abgefahren ist. Womöglich wird man(n) es dann auch bevorzugt den Frauen vorwerfen, wenn der Kapitalismus in absehbarer Zeit endgültig in sein terminales Krisenstadium eintritt.


 

5. Fazit


Wie in diesem Beitrag nur in sehr grober und thesenhafter Form veranschaulicht werden sollte, sind die heute festzustellenden Veränderungen im Geschlechterverhältnis nicht gleichbedeutend mit einer Überwindung von Geschlechterhierarchien und androzentrischen gesellschaftlichen Strukturen. Im Gegenteil: Die androzentrischen Strukturen sind heute vielleicht so unangefochten und in gewissem Sinne ›stabil‹ wie selten zuvor – zumindest was ihre grundsätzliche, androzentrische Form betrifft. Selbstverständlich gilt das nicht hinsichtlich ihrer konkreten historischen Entwicklungstendenz, angesichts der global fortschreitenden und sich zunehmend verschärfenden ökonomischen, ökologischen und sozialen Krisendynamik des Kapitalismus. In der Hinsicht kann also von Stabilität in der Tat keine Rede sein. Aber was die zahlreichen Veränderungen im Geschlechterverhältnis praktisch völlig unberührt lassen und was deshalb auch weiterhin bestehen bleibt, solange der Kapitalismus einstweilen noch krisenhaft vor sich hin prozessiert, ist die Wert-Abspaltung und damit die patriarchale und androzentrische Grundstruktur der Gesellschaft. Und diese ist nun sogar zunehmend in ihrer Verwilderung begriffen. Denn mit den extrem kompetitiven Lebensverhältnissen in der Krise des Kapitalismus ist Männlichkeit eigentlich mehr denn je zur gesellschaftlichen Norm aufgestiegen. Die kompetitive Struktur von Männlichkeit stellt heute und in weiter zunehmendem Maße die allgemeine, sowohl Männer als auch Frauen umfassende Struktur von Vergesellschaftung dar, der genügen muss, wer im Kampf um Karriere- und Lebenschancen nicht auf der Strecke bleiben will. Und nicht nur das: Die androzentrischen Strukturen werden heute infolge von politischen Gleichstellungs-bemühungen gerade auch von Frauen aktiv gestützt und mitgetragen. Was wir gegenwärtig erleben, ist vor allen Dingen ein immanenter Wandel der modernen androzentrischen Grundstruktur und insbesondere ihrer männlichen Subjektform – ein Wandel, der einerseits eine Reihe von Männern von dieser ausschließt und zu den speziell in konservativen und rechten Kreisen so beklagten männlichen Krisentendenzen führt, während sich diese strukturell männliche Subjektform andererseits offenbar für Frauen (jedenfalls für eine privilegierte Minderheit von ihnen) sukzessive öffnet. Der aktuelle Wandel der androzentrischen Grundstruktur besteht also in erster Linie darin, dass sich ›Männlichkeit‹ in der Postmoderne gewissermaßen zu einer allgemeingültigen, sowohl Männer als auch Frauen umfassenden Subjektivierungsform aufbläht. Für den Feminismus (sowohl in der Theorie als auch in der Praxis) ergeben sich daraus natürlich so einige Herausforderungen – Herausforderungen, die theoretisch allerdings nur zu bewältigen sind, wenn die damit zusammenhängenden Verwilderungstendenzen auf dem dafür erforderlichen theoretischen Abstraktionsniveau und auf der Ebene der gesellschaftlichen Totalität, im Sinne der Wert-Abspaltung, zum Gegenstand der Analyse gemacht werden; Herausforderungen, an denen der akademische Feminismus bislang nicht zufällig recht konsequent scheitert, weil er die Überwindung von Geschlechterhierarchien gerade innerhalb der unaufgehobenen kapitalistischen und somit patriarchalen und androzentrischen Formen herbeizuführen trachtet.



 

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Endnoten


[1] Das ist zumindest bei solchen Feministinnen der Fall, denen es tatsächlich noch primär um frauenpolitische Fragen geht und nicht bloß – bedingt durch die Postmodernisierung der Sozialwissenschaft und der feministischen Theorie in den letzten Jahrzehnten – um die ›Dekonstruktion‹ von Geschlecht als einer ›kulturellen Praxis‹. Mit der postmodernen Fokussierung auf ›Gender‹ und die ›soziale Konstruktion‹ von Geschlecht sind materielle, frauenpolitische Fragen tendenziell in den Hintergrund gerückt. Wo allerdings noch frauenpolitische Fragen behandelt werden, geschieht das eben zumeist aus besagter Gleichberechtigungs- und Gleichstellungsperspektive.


[2] Diese Begriffe dienen bei Bourdieu im Prinzip einer Analyse der kulturellen Dimensionen des kapitalistischen Klassenverhältnisses. Dabei geht es vor allem darum, wie Angehörige der Oberschicht ihre Klassenherrschaft auf einer kulturell-symbolischen Ebene herstellen, z. B. durch klassenspezifische Handlungs- und Umgangsformen, durch Mode, durch einen entsprechenden Lebensstil usw. Vergleichbares hat Bourdieu auch mit Blick auf das moderne Geschlechterverhältnis versucht.


[3] Die EU-Kommission erhofft sich durch mehr Frauen in Führungspositionen sogar schon mehr »wirtschaftliche Stabilität« und entsprechend mehr »Wachstum« (vgl. Europäische Kommission/Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit 2010).


[4] Ein Beispiel, an dem der Zusammenhang von ›Hausfrauisierung‹, (drohender) Deklassierung und Männerkrise besonders anschaulich abgelesen werden kann, sind etwa die sogenannten ›Reichsbürger‹. Hierbei handelt es sich häufig um Männer mittleren Alters, die beruflich gescheitert sind, insolvent geworden sind und dergleichen. Ähnliches gilt auch für die zutiefst antifeministische Männerrechtsbewegung (vgl. Kemper 2012).


[5] Das Bild des einsamen, auf sich selbst gestellten Mannes hat generell bereits eine recht lange, bürgerliche Geschichte. Schon der Mythos des Wilden Westens und seiner Besiedlung ist kaum denkbar ohne die vielen männlichen Abenteurer, die sich in den Westen aufmachen, um der einengenden, sie zur Selbstdisziplinierung anhaltenden Zivilisation (inklusive viktorianischer Ehefrau) zu entfliehen (vgl. Kimmel 1996, 43ff.).


[6] Auch hierzu gibt es eine reale Entsprechung vor allem in rechten Milieus. So sorgte etwa im Mai 2018 der AfD-Landtagsabgeordnete Marcel Grauf mit folgender, aus einem geleakten Chatprotokoll stammenden Aussage für Aufsehen: »Ich wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg und Millionen Tote. Frauen, Kinder. Mir egal. Hauptsache es geht los. […] Tote, Verkrüppelte. Es wäre so schön. Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen. SIEG HEIL!« (zit. n. Konicz 2018).


[7] Die auf ihre Art vielleicht krasseste Form – nämlich vor allem auch mit Blick auf die sich darin artikulierende, ins Extrem gesteigerte Misogynie – nehmen diese Tendenzen in der Figur und in den Wahnwelten der (selbst) so bezeichneten ›Incels‹ an. Incel steht für involuntary celibate (dt. ›unfreiwilliges Zölibat‹). Das sind oftmals junge Männer, die sich von Frauen (sexuell) abgelehnt fühlen und den damit verbundenen Selbsthass auf Frauen projizieren. Incels gehen z. B. auch davon aus, ein Recht darauf zu haben, dass Frauen mit ihnen schlafen usw. Einen Großteil ihrer Zeit verbringen diese Menschen in Internet-Communities und sozialen Medien, wo sie ihrer Frauenfeindlichkeit in diversen Foren Luft machen (vgl. Kracher 2020). Zur soziopsychischen Disposition von Incels und anderen ›Krisenmännern‹ siehe auch den vorzüglichen Aufsatz Präödipale Monster von Patrice Schlauch (Schlauch 2020).


[8] Davon zu unterscheiden und anders zu beurteilen sind manche vergleichbare Begriffsbildungen, wie etwa bei Birgit Rommelspacher, die ebenfalls von »hegemonialen Weiblichkeiten« spricht (Rommelspacher 2009). Im Gegensatz zu Sylka Scholz, die damit in einem positiven Sinne auf das zunehmende Vordringen von Frauen in Spitzenpositionen abstellt, handelt es sich bei Rommelspacher ausdrücklich um einen kritischen Begriff, der sich gewissermaßen auf eine zunehmende Beteiligung von (weißen) Frauen an der »Dominanzkultur« und daraus resultierende Ungleichheiten zwischen Frauen bezieht.


[9] Auch wenn fraglich ist, ob sie als ein typisches oder repräsentatives Beispiel für eine Politikerin gelten kann. Merkel sticht unter den meisten Politikerinnen nochmals besonders hervor, schon allein, was ihren politischen Werdegang angeht.


[10] Zu solchen kruden, biologistischen Vorstellungen trägt freilich auch der bürgerliche Wissenschaftsbetrieb das seinige bei. So gab es etwa vor einigen Jahren ernstgemeinte wissenschaftliche Untersuchungen, die diverse geschlechtsspezifische Eigenschaften wie Risikoverhalten, Konkurrenz, sexuelle Umtriebigkeit bis hin zum Alkohol- und Nikotinkonsum aus der Länge von Zeige- und Ringfinger abzuleiten versuchten, da ein längerer Ringfinger auf einen höheren Level an Testosteron verweise (vgl. Rötzer 2010).


[11] Nicht geteilt werden kann vor dem Hintergrund des in diesem Beitrag Gesagten freilich Hausers Hoffnung, dass es Frauen im Zuge dieser Entwicklungen vielleicht gelingen könnte, die »Ketten des ›Geschlechts‹ gleich mit zu zerstören« (Hauser 1996, 21). Eher das Gegenteil ist der Fall: Die Geschlechterhierarchien bleiben bestehen, wenn auch teilweise in anderer Form.


[12] Was ansonsten von solchen (wirtschafts-)wissenschaftlichen Studien zu halten ist angesichts ihrer borniert-affirmativen Haltung gegenüber Wettbewerb oder im Hinblick auf die konkrete wissenschaftliche Operationalisierung von ›Konkurrenz‹ (also was jeweils unter ›Konkurrenz‹ und einem entsprechend zu beobachtenden bzw. zu messenden Verhalten verstanden wird) sei hier dahingestellt.


[13] Nicht zu vergessen zahlreiche andere, besonders Frauen betreffende ›Karrierekiller‹ wie Schwangerschaft sowie die daran anschließende Kinderbetreuungszeit. Hier kommt auch erschwerend hinzu, dass Männer eher selten oder nur teilweise ihre Elternzeit in Anspruch nehmen – und wenn doch, so erweist sich dies auch bei ihnen in der Regel als wenig karrierefördernd.


[14] Zum Zusammenhang von Niedriglohn, Hartz IV und Geschlecht vgl. auch Rentschler 2005.

[15] Dieser Zwang, Frau zu bleiben und ›weiblich‹ zu sein, gilt selbst noch für Frauen wie die vorhin erwähnte Angela Merkel. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang z. B. an die medialen Diskussionen, die in den späten 2000er Jahren ein öffentlicher Auftritt Merkels im Abendkleid mit tiefem Dekolleté erregte. Diese waren später sogar Gegenstand eigener Untersuchungen in den Gender Studies, die sich im Hinblick auf die Medienreaktionen auf Merkels Dekolleté damit befassten, wie Merkel dabei systematisch vergeschlechtlicht und als Frau in ihrer Weiblichkeit thematisiert wurde (vgl. Lünenborg u. a. 2009). Hierbei habe es sich um einen »performative[n] Akt der Vergeschlechtlichung« (ebd., 98) gehandelt, der das Frausein von Merkel betonte und damit gleichsam bestätigte. Selbst eine Angela Merkel muss also offenbar ein gewisses Maß an Weiblichkeit ausstrahlen, um noch als Frau und damit als Politikerin wahrgenommen zu werden. Dass Merkels Dekolleté überhaupt so viel mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, verweist hingegen wahrscheinlich darauf, dass sie im Allgemeinen gerade nicht als Frau identifiziert wird, sondern in der öffentlichen Wahrnehmung gleichsam in der strukturell männlichen Kanzlerrolle aufgeht. Eine entsprechende Sensation war es, ›die Merkel‹ im Abendkleid mit Dekolleté zu erleben.