Druckversion/PDF

Knut Hüller


Profitrate, Geldschöpfung und Staat(skredit)



Kapitel 9 aus dem Buch Immer mühsamer hält sich die Profitrate. Eine Studie über theoretische und praktische Rettungsversuche am Spätkapitalismus, veröffentlicht 2019 auf exit-online.org


 


Vorbemerkung der Redaktion


Das 2019 veröffentlichte Buch von Knut Hüller widmet sich dem Profitratenfall und dessen theoretischer wie praktischer Bearbeitung durch Mainstream- und alternative "Ökonomie" sowie bürgerliche "Wirtschaftspolitik". Der Trend zur Nullrendite, so der Autor in der Einleitung, stört "nicht nur im alltäglichen Geschäftsbetrieb, sondern er unterminiert darüber hinaus zentrale Bestandteile des bürgerlichen Weltverständnisses". Das Weltverständnis vor allem der Ökonomen sei bereits so weit gestört, "dass sie selbst direkt in ihr Fach fallende Folgen des Profitratenfalls nicht mehr sehen können oder wollen", während zugleich die Regelungsfähigkeit des Systems sukzessive zerstört werde. Als Ersatz müsse daher der Staat "mit immer mehr Regulierung in die Freiheiten des gottgleichen bürgerlichen Subjekts eingreifen". 

Die akademische Ökonomie behandle den Profitratenfall "durch Totschweigen oder Bestreiten". "Auf Kapitalismusmusverbesserung abzielende immanente Kapitalismuskritik" werde hingegen zunehmend dazu gezwungen, "das hilflose Streben von Spitzenfunktionären des Systems nach Reparaturen dergestalt zu imitieren, dass ständig 'Neue Spielregeln' aufgetischt, durchprobiert und nach ihrem Versagen wieder fallengelassen werden. So bringen die Systemzwänge linke Theoretiker unversehens in die Nähe kleinbürgerlicher, aus Untergangsängsten gespeister und dadurch politisch rechtslastiger Kritiken." 

Die in den Widersprüchlichkeiten seiner Apologeten sowie einer verkürzten Kapitalismuskritik sichtbar werdenden Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus sind zentraler Gegenstand dieses Buches.


Für eine Einführung und kurze Inhaltsangabe des Buches siehe ausführlicher auch exit-online.org


Das hier veröffentlichte Kapitel 9 des Buches befasst sich mit dem Problem der Geldschöpfung und der Rolle des Staates bzw. des Staatskredits.



 

 

Nachdem die 'Geldmenge' als ein zum Profitratenfall beitragendes Element erkannt ist, stellt sich die Frage nach ihrer Größe. Diese muss sowohl mit den Geldfunktionen als auch mit dem Prozess der Geldentstehung zusammenhängen. Da bürgerliche Ökonomie sich über Geld weitgehend ausschweigt, entwickelte sie selber kein Konzept beides zu harmo­nisieren, und ersparte sich damit die Entwicklung des an dieser Stelle lauernden Wider­spruchpotentials. Als Vorannahme unterstellen wir daher nur die Existenz des Geldumlaufs und betrachten ihn zunächst im allereinfachsten Fall, demjenigen einfacher Reproduktion des Systems 1 in Abschnitt 6[1], bestehend aus einer Hamburger AG, die mit 1000 Arbeitern 2 Mio. Hamburger fertigt und vermarktet. Es gibt deshalb nur eine Preisrelation, diejenige zwischen Hamburgerpreis und Preis der Arbeitskraft, und nur eine Profitrate. Einfache Reproduktion und Nullrendite bestehen, wenn die Lohnsumme gleich dem Tauschwert der Hamburger ist. Bei einem Hamburgerpreis von 1T(aler)/Hamburger sind die Arbeiter dazu mit jährlich 2 Mio. T zu entlohnen. Welche Geldmenge benötigt dann das System? Die Antwort ist einfach: irgendeine. Erhalten die Arbeiter am 1.1. den ganzen Jahreslohn, sind 2 Mio.T an Bar-­ oder Giralgeld nötig. Es wird im Januar ausgezahlt, fließt im Jahresverlauf durch Hamburgerkäufe schrittweise an die AG zurück, und kann am 1.1. des Folgejahres erneut ausgezahlt werden. Wird zweijährlich vorab gezahlt, sind 4 Mio.T nötig, und bei halbjährlicher Zahlung 1 Mio.T. Im Fall monatlicher Zahlung sollte 1/12 von 2 Mio. reichen, also ca. 167.000T, und bei wöchentlicher Zahlung ca. 42.000T. Nachdem Abschnitt 6 konstantes Kapital als durch die bürgerliche Rechnungsführung erzeugte heiße Luft erkannte, nämlich als Mehrfachzählung variablen Kapitals, verliert auf der Geld(!)ebene nun auch letzteres seine quantitative Bestimmtheit. Der notwendige Kapitalvorschuss in Geldform ist ohne Veränderung der Arbeit(skraft) und der physischen Relationen in weiten Grenzen variierbar, nur indem Geld- und Warenumlauf mehr oder weniger flüssig gestaltet werden. Das Wort 'flüssig' trägt nun das in Abschnitt 3[2] vermisste Element 'Zeit' in die Theorie ein. Die Optionen sind vielfältig; erhält bei wöchentlicher Lohnzahlung 1/5 der Arbeiter den Lohn am Montag, ein weiteres Fünftel am Dienstag usw., sinkt die nötige Geldmenge auf 80% der oben abgeschätzten 42.000T, denn täglich fließt ein Fünftel der Gesamtmenge zurück und kann so für die Auszahlung am Folgetag benutzt werden. Ähnlich wirkt Leiharbeit; hier erscheint ein kapitalistisch rationaler Grund, warum das System sich ein Finanzwesen 'leisten' sollte. Allerdings sind die Aktivitäten einer Leiharbeitsfirma zu bezahlen, was jeder industrielle Kunde gegen seine Kapitaleinsparung aufrechnen muss. Sinngemäßes gilt für die Vervielfachungen des variablen Kapitals, die den Ökonomen als 'konstantes Kapital' erscheinen. Hier wurde der Vorteil des schnelleren Umschlags bereits erkannt und als Zielvorstellung 'just in time' formuliert. Je flüssiger der Umlauf ist (d.h. je geringer die Vorratshaltung der Kapitalgüter), desto weniger Startkapital in Geldform benötigt das betreffende Einzelkapital und damit das Gesamtsystem.

 

Wenn die Gesamtgeldmenge frei variierbar ist, kann es kein Kriterium für ihre 'richtige' Größe geben. Diese Gemeinsamkeit mit dem konstanten (und insbes. dem fixen) Kapital erklärt, warum der Ökonomie die Behandlung dieser Formen so schwer fällt. Die dunkle Ahnung von der Existenz einer Gemeinsamkeit veranlasst die Ökonomen, physische und geldliche Zwänge heillos durcheinander zu werfen. Dies beginnt mit der Wahl der willkür­lichen Rechnungsperiode 'Jahr', die in landwirtschaftlichen Anfängen des Kapitalismus noch physisch begründbar war, nie aber arbeits-­ und geldseitig, und der im industriellen System jede physische Begründung abhanden kommt. Bemerkenswerterweise lebt sie in der Renditerechnung 'Jahresgewinn/Kapital' des Finanzwesens neu auf, aber nicht etwa, weil Geldkapital ähnlich wie landwirtschaftliches eine 'natürliche' Umschlagsperiode hätte. Sie lebt neu auf, weil das Finanzkapital gar keine materiell begründbare Umschlagsperiode mehr hat, so dass für die Renditerechnung eine solche erfunden musste. Etwas anderes als das bäuerliche Jahr fiel den Vertretern dynamischen Fortschritts anscheinend nicht ein.

 

Die bisherige Betrachtung blendet damit bereits an mehreren Stellen die Entwicklungs­dynamik des Systems aus, was in die Thematik des Mehrwerts und der Akkumulation zurückführt. Umgekehrt aber erlaubte dieses Ausblenden, auf weniger als einer Textseite ein so bekanntes wie unsinniges Resultat bürgerlicher Ökonomie zu erzielen: die soge­nannte Quantitätsgleichung. Oben verändert sich die notwendige Geldmenge um den Faktor 1/x, wenn die Geldumlaufgeschwindigkeit (im Sinne der Anzahl jährlicher Verwen­dungen einer Geldeinheit wie 'Münze') sich um den Faktor x verändert. Erhalten bleibt dabei bis in alle Ewigkeit das Produkt von Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit, ein die rechnenden Ökonomen rundum begeisterndes pseudo­naturgesetzliches Theorieelement.

 

Wie dieses Resultat zustande kommt, zeigt eine Betrachtung zu den Geldfunktionen im obigen Modellsystem (dessen Realitätsnähe noch hinterfragt werden wird). Da das Modell nur einen sich ständig in gleicher Weise wiederholenden Tauschprozess zwischen Arbei­tern und Kapitalen enthält, nämlich Arbeitskraft gegen Lebensmittel, übt das Geld nur die Funktion eines Tauschmittels aus, auf welche bürgerliche Ökonomie es gern vollständig reduzieren würde. Oben würde es damit sogar überflüssig, denn wenn nur immer wieder dieselben zwei Warenmengen zwischen denselben zwei Subjekten gehandelt werden, ließe sich unter Umgehung der Geldform direkt tauschen. Diese Vereinfachungsoption ent­fällt in komplexeren Systemen, aber auch dann bleibt der Sachverhalt, dass bei gleichen jährlichen Warenflüssen deren monatliche Abrechnung (Vorauszahlung) nur 1/12 der bei jährlicher Abrechnung nötigen Geldmenge benötigt, da im ersten Fall jede Münze (allge­meiner: Geldeinheit) im Jahresverlauf 12-mal soviel Ware bewegt wie im zweiten Fall. Im Gegenzug verkürzt sich die Zeit, in der die Münze irgendwo funktionslos herumliegt. Öko­nomen erscheint jede Sekunde solchen Herumliegens als Fehlen von Verwertung, obwohl in allen vorgestellten Fällen über das Jahr summiert dieselbe Arbeit dieselbe physische und Wertmasse erzeugt. Über Profite und Renditen müssen wir uns erst Gedanken ma­chen, sobald der Fall einfacher Reproduktion verlassen wird, aber hier wird schon qualitativ sichtbar, dass die Umlaufgeschwindigkeit zwar nicht den Absolutprofit beeinflussen sollte, wohl aber die mit ihr verknüpfte Geldmenge die Relation Profit/Kapital alias Rendite.

 

Wenn unter den bisherigen Voraussetzungen eine Münze fungiert, dann nicht als „Produktionsmittel“ (Felber), sondern als 'Messinstrument': durch Hergabe eines Talers für einen vorliegenden Hamburger wird dessen Tauschwert zu '1T' festgestellt, ähnlich wie durch Aufwiegen gegen ein standardisiertes Gewicht festgestellt wird, dass die Masse eines vorliegenden Klotzes Eisen '1kg' beträgt. Das Aufschreiben solcher Resultate nennt der Ökonom 'Bilanz' und der Physiker 'Messprotokoll'. Je öfter vorhandene Waagen (Münzen) benutzt werden, desto weniger von ihnen sind zur Behandlung einer gegebenen Zahl Klötze (Waren) nötig. Diese Analogie macht in einem konkreten Beispiel durchsichtig, was davon zu halten ist, wenn Mainstreamökonomen ihre Disziplin an Naturwissenschaften an­zulehnen versuchen: verbinden Ökonomen mit Geldmengen die Vorstellung einer 'Größe der Wirtschaft', dann betreiben sie das Analogon einer Physik, in der die Masse des Uni­versums durch die Anzahl der darin aufgestellten Waagen bestimmt ist. Der theoretischen Ökonomie entgeht damit eine den Betriebswirten wohlbekannte und von diesen fleißig ge­nutzte Option zum Verzögern des Profitratenfalls: Beschleunigung der Zirkulation. Selbst solche apologetischen Elemente muss der Kritiker ergänzen, will er eine Erkenntnis erzie­len. Bis zum Grenzfall verschwindender Geldmenge mit unendlicher Umlaufgeschwin­digkeit lässt sich die Warenzirkulation allerdings nicht beschleunigen. Im Arbeitsmarkt gelten schon Tagelöhnerei und (moderner) Leiharbeit als anrüchig, und bei Produktions­mitteln setzt deren physische Gestalt technische Nutzungsdauern alias Umschlagzeiten. Irgendeine endliche Geldmenge bleibt damit erforderlich, und im Gegenzug liegt alles Geld zwischen zwei Verwendungen irgendeine Zeit herum statt zu 'arbeiten'. Verfehlt ist erst das Theoretisieren über die 'richtige Größe' der Geldmenge bzw. Umlaufgeschwindigkeit.

 

Da gewöhnlicher Warenumlauf und einfache, d.h. lohnarbeitsfreie (das ist nicht mathe­matisch exakt zu verstehen sondern als Näherung) Warenproduktion kein Geld erzeugen kann, musste der Kapitalismus durch eine Initialzündung angeschoben werden. Marx behandelt dies im Band I des Kapital als 'Ursprüngliche Akkumulation'. Seine Betrachtung bleibt aber insoweit unvollständig, als sie sich auf physische und soziale Aspekte des Vor­gangs konzentriert: Inbesitznahme englischen Gemeindelandes durch privatkapitalistisch produzierende Schafzüchter und eine damit einhergehende Verwüstung bzw. Zerstörung vorkapitalistischer Sozialstrukturen. Unbehandelt bleibt, woher die für den aufkommenden europaweiten Woll­- und Tuchhandel erforderlichen Geldmengen stammten, obwohl es an damals noch bedeutenden Geldformen direkt ablesbar ist: Gold und Silber aus Plünde­rung, insbes. südamerikanischer Kolonien. 'Plünderung' ist hier nicht moralisch zu brand­marken, sondern wie alles Geldliche quantitativ zu analysieren: für die Inbesitznahme von Gold und Silber wurde keine Gegenleistung in Ware erbracht bzw. eine geringere, als in den Kolonialländern als 'Äquivalent' hätte erbracht werden müssen. Im Wertumfang der Differenz konnten die – egal wer es war – Erstinbesitznehmer solcher Edelmetalle einmalig(!) Ware kaufen, ohne an irgendwen Waren mit gleichem Tauschwert abgeben zu müssen. Sinngemäßes gilt für das Einschleusen eines Teils dieser Edelmetalle in die aufstrebenden 'Volkswirtschaften' Hollands und Englands durch Überfälle auf spanische Niederlassungen und Schatzflotten. Diese Weiterleitung nutzte lediglich eine fortgeschritte­nere, tendenziell bereits industrielle Methodik: statt unter schwer überschaubaren Risiken metallsuchend durch ferne Dschungel zu irren, baute man kalkulierbar(!) kampfkräftigere Schiffe. Diese lassen sich als die erste bedeutende Form konstanten Kapitals deuten. Am Abfeuern ihrer Kanonen im Unterdeck, parallel zu den Musketen der oben aufgestellte Soldaten, könnten Lehrbücher der Ökonomiekritik das Entstehen der ökonomischen Vor­stellung von den 'Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit' durchsichtig machen.

 

Ein ähnliches Ungleichgewicht zwischen Käufen und Verkäufen als Folge 'unbezahlter' Wertaneignung, nun aber des in der etablierten Warengesellschaft produzierten Mehr­werts, kaschieren ökonomische Rechnungen durch den Vergrößerungsfaktor 1+Rendite. Ungeklärt bleiben die Mechanismen, die dies am 'Äquivalententausch' vorbei ermöglichen. Die Scheu, den Ursprung von Geld anzugehen, nimmt in moderner Ökonomie die Gestalt an, dass über die richtige Größe diverser, sich hauptsächlich durch ihre Flüssigkeit unter­scheidender Teilmengen des Geldes ('Aggregate') philosophiert wird, ohne die Funktion unterschiedlicher Flüssigkeit und damit mittelbar des Geldes selber zu klären. Gehen an ihrer Stelle heutige Kritiker solchen Fragen nach, beginnend damit, wie und warum Geld in die Welt kommt bzw. kam, müssen sie sich auf den etablierten Kapitalismus beziehen, nicht mehr auf dessen lang zurückliegenden Anschub. Denn die heute zirkulierenden Geldmengen übersteigen wertseitig alle jemals geförderten (egal ob geplünderten oder ungeplündert gebliebenen) Edelmetallvorräte und sonstigen Schätze (Warenbestände) um so viele Nullen, dass deren Anzahl fast schon bedeutungslos ist. Das Basisproblem bleibt stets dasselbe: das Nullsummenspiel des Marktes kann ein Warensubjekt nur umgehen, indem es sich in den Besitz von Ware bzw. Geld setzt, ohne das aktuelle Äquivalent an(derer) Ware hergeben zu müssen. Die einfachsten Vorgänge dieser Art aber verbietet die bürgerliche Ordnung als 'Diebstahl' und 'Raub', und im Gegensatz zu ihrer Frühform kann sie auch nicht mehr auf 'vorhandene' (d.h. außerhalb des Lohnarbeitssystems ent­standene) Schätze zurückgreifen. Sie muss stattdessen einen an Lohnarbeit gekoppelten und mit ihr verträglichen Mechanismus entwickeln, der hinsichtlich Umfang wie Dauer­haftigkeit mit dem Ausstoß nachfragesuchenden Mehrprodukts durch den industriellen Produktionsapparat mithalten kann.


Der Mehrwert fiel schon mehrfach als zentraler Problembereich ökonomischer Logik auf. Es liegt daher nahe, obiges System 1 erneut zu betrachten, nachdem eine einzige Modifikation angebracht ist: eine Lohnsenkung, die Mehrwert erscheinen lässt. Konkret senken wir die Lohnsumme von 2 Mio.T auf 1.5 Mio.T bzw. den individuellen Jahreslohn von 2000T auf 1500T.[3] Wirft die Hamburger AG weiterhin 2 Mio. Hamburger zum Stück­ preis von 1T auf den Markt, kann sie nun nur noch 1.5 Mio. davon absetzen, es sei denn, sie senkt den Hamburgerpreis auf 0.75T und stellt damit erneut den Zustand 'Lohnsumme=Endproduktwert' her, d.h. Nullprofit bei physisch einfacher Reproduktion. Tut sie es nicht, lässt sich nur noch der Kreislauf des für den V­-Anteil (nun: 1.5 Mio. Hambur­ger) bewegten Geldes schließen, nicht mehr (wie im Fall des maximalen Reallohns) der Gesamtkreislauf aller Ware und allen Geldes. Die oben getroffenen Aussagen gelten nur noch für die im (nun Teil-­)Kreislauf der V­-Güter umgesetzten 1.5 Mio.T: es ist dazu irgendeine Geldmenge nötig, deren Umfang hängt sowohl vom Gesamtumfang als auch von der Flüssigkeit des Konsumgüter­ und des Geldumlaufs ab, und aus diesem (nun Teil­-)Kreislauf ist ihr Entstehen nicht erklärbar. Offen bleibt, was mit den verbleibenden 0.5 Mio. Hamburger im Verkaufsregal geschieht. Wie und an wen ließen sie sich verkaufen, d.h. wer hätte sowohl ein Motiv dafür als auch das nötige Geld? Bzw. genauer: wer könnte sich dieses Geld auf welche Weise jedes Jahr neu beschaffen?

 

Ein bequemer Weg, einer ernsthaften Befassung mit dieser Frage auszuweichen, ist das Postulieren einer Geldquelle bei einem anderen Subjekt. Praktiziert wird es sogar von Marxisten: „Vor allem kommt also Geld in Zirkulation durch die Auszahlung der Löhne. Die Kapitalisten beider Abteilungen, alle Kapitalisten müssen also vor allem Geld in den Ver­kehr werfen, jeder im Betrage der von ihm gezahlten Löhne. Kapitalisten I müssen im Besitz von 1.000, Kapitalisten II von 500 in Geld sein, die sie ihren Arbeitern auszahlen.“ (Luxemburg 1913: 67; Hervorh. im Orig.) Frappant ist, dass dasselbe Buch andernorts die Mehrwertrealisierung zu einem innerhalb des Systems unlösbaren Problem erklärt. Warum postuliert es nicht neben den bereits tätigen Kapitalisten weitere 'investitionswillige' (oder solche 'zweiter Ordnung'), die weiteres „Geld in die Zirkulation werfen“, diesmal nicht für Lohnzahlungen innerhalb laufender Prozesse, sondern zur Anschaffung von Kapitalgütern und Einstellung von Arbeitskraft für neu zu eröffnende? Das im Zitat übergangene Hinder­nis für einen solchen Schritt erscheint, sobald ein kursiv geschriebenes Wort ergänzt ist: „Kapitalisten I müssen bereits im Besitz von 1000...in Geld sein.“ Das scheinbare 'In­-die­-Zirkulation-­Werfen' ist in Wirklichkeit ein Vorgang innerhalb der Zirkulation. Diese schließt sich teilweise, indem die Arbeiter vom Lohn Konsumgüter kaufen und so den Teil V des Endprodukts realisieren, bei Marx und Luxemburg den Ausstoß einer „Abteilung II“ (Kon­sumgüter). Mit einem Teil dieses Geldflusses realisieren die V-­Hersteller den Ausstoß der benötigten C­-Güter in der Abteilung I (Produktionsmittel) und ermöglichen so deren Lohn­zahlungen. Diese Abteilung I lässt sich übergehen, da aller Austausch zwischen Kapitalen verschwindet, sobald man sie zu einem Gesamtkapital zusammenfasst. Die unnötige Komplikation der Existenz zweier Kapitalabteilungen lenkt davon ab, dass keine Betrach­tung zur Lohnzahlung etwas über die Zirkulation des Endproduktteils M aussagen kann, da V per def. der Nicht­-M­-Anteil des Endprodukts ist. Luxemburg verwechselt das Übergeben von Geld durch ein Subjekt an ein anderes mit dem Erscheinen von Geld im Gesamt­system, da sie wie alle Marxisten aus dem Blickwinkel der Lohnarbeiter schreibt. In deren Reich tritt Geld tatsächlich durch Lohnzahlung ein und nur dadurch.

 

In das Reich des Kleinbürgers in Gestalt eines einfachen (oder auch nur gering kapitali­sierten) Warenproduzenten gelangt Geld über Bankkredite. Daraus entstanden Theorien, wonach das Geld durch Auszahlung von Krediten (statt Löhnen) entstehe. Passend zum kleinbürgerlichen Interessenstandpunkt folgt solchen 'Analysen' meist eine politisch rechts­lastige Kritik, diese 'Geldschöpfung der Banken' entziehe dem Kleinbürger über den Zins ungerechtfertigt einen Teil des von ihm geschaffenen Werts. Tatsächlich stört den Klein­bürger, dass er nicht direkt am Geldschöpfungsprozess teilnehmen und davon profitieren kann. Andere kleinbürgerliche Theoretiker folgen Denkmustern des Typs, der Luxemburg letztendlich dazu brachte, Akkumulation innerhalb des Systems für unmöglich zu erklären. So wie sie sich nicht vom quantitativen 'Gesetz' der Proportionalität von Tauschwert und Arbeitswert lösen konnte, so sind im realen Geschäft stehende Kleinbürger auf dessen juristische und technische Zwänge fixiert: Geldschöpfung wird zu etwas finanztechnisch oder gar naturgesetzlich Unmöglichem erklärt, zumindest aber für illegal. Gemeinsam ist solchen Denkformen, dass sie selbstgemachte Ideologien wie bürgerliche Gesetze, das Ideal des (ausschließlichen!) 'Äquivalentauschs' oder gar rein buchhalterische Zwänge behandeln wie physische Zwänge, analog zu Felbers Verständnis des Geldes als „Produk­tionsmittel“ und zum klassischen bzw. marxistischen Irrtum, das Wesen des konstanten Kapitals in 'Maschinen' zu sehen statt in einer bestimmten Klasse von Verrechnungen.


Es lohnt wenig, der uferlosen Zahl solcher Ansätze nachzugehen.[4] Es lohnt noch nicht einmal der Versuch einer Zusammenfassung, denn bereits dem Mainstream gelingt es, alle Widersprüche und alles Unverständnis unübertreffbar kompakt zusammenzuballen. Das folgende Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verdeutlicht schon im zweiten Satz explizit den ideologischen Charakter bürgerlicher Geldtheorien, indem es „eine Defini­tion[!] akzeptieren[!]“ zur Vorbedingung von „Verstehen“ macht. Anschließend wandeln sich innerhalb weniger Zeilen ein Geldfluss zur Geldentstehung, und mühsam definiertes „echtes“ Geld zu einer „Art von Geld“, die „wie Geld“ agiert: „die Geldschöpfung der Ban­ken ist ohnehin von anderer Natur. Wer das verstehen will, muss zunächst eine Definition akzeptieren: Geld, das sind heutzutage nicht nur Scheine und Münzen. Auch was irgend­wo auf Konten schlummert, ist echtes Geld. Wenn Zahlen von einem Konto auf ein ande­res wandern, fließt Geld. [...] Bei dem Geld, das die Banken schaffen, dem sogenannten 'Buchgeld' oder 'Giralgeld', ist es nicht viel anders. Diese Art von Geld entsteht, wenn eine Bank einem Kunden einen Kredit gibt und den Betrag auf dessen Konto gutschreibt. Der Kunde (es kann eine Privatperson sein, ein Unternehmen oder auch der Staat) kann den Betrag wie Geld weiterverwenden.“[5] (kursive Hervorhebungen K.H.) Herkunft und Zweck dieser Passage sind leicht zu entschlüsseln: dargestellt wird die Perspektive des Großbür­gers, der 'genug Geld' hat, weshalb dessen genaue Menge eigentlich egal und ausrei­chend mit 'viel' charakterisiert ist. Und das Geldwesen kann nicht Ursache von Krisen oder auch nur 'Realisierungsproblemen' sein, wenn Geld ein beliebig gestaltbares Nullum ist, das dem Nichts entspringt. Oder beinhaltet womöglich bereits das Zitat selber und insbes. die Abfolge der kursiv hervorgehobenen Stellen eine tiefe (intellektuelle) Krise?

 

Wir kehren daher zurück zur Hamburger AG, die für 0.5 Mio. Hamburger noch einen Käufer sucht. Bisher wissen wir, dass die Lohnarbeiter nicht infrage kommen. Denn dazu müsste die Lohnsumme gleich dem Tauschwert des Gesamtausstoßes gemacht werden, womit Mehrwert und Profit verschwänden. Käme vielleicht ein anderes produzierendes Kapital infrage? Sofort ausschließen lassen sich parallel zur Hamburger AG agierende Endprodukthersteller wie Mankiws Äpfel-­ und Orangenproduzenten aus Abschnitt 4.[6] Zahlt jeder seinen Arbeitern weniger als Lohn, als er für sein Produkt erlösen will, könnte zwar einer von ihnen seinen Gesamtausstoß losschlagen, aber nur auf Kosten größerer Defizite der anderen. Nie könnte es allen zugleich gelingen. Als nächste Option beziehen wir die Lieferanten und industriellen Abnehmer des Systems 2 aus Abschnitt 6 ein. Dort stellt eine Fleisch AG mit 400 der 1000 verfügbaren Arbeitskräfte Buletten her und liefert sie der (um 400 Arbeitskräfte verkleinerten) Hamburger AG. Angeboten werden in diesem System ge­wöhnliche Waren im Umfang gF+gH2, wobei gF den Tauschwert aller Buletten bezeichnet und gH2 denjenigen aller Hamburger. Die Arbeiter können die von den zwei Gesellschaften gezahlten Lohnsummen LF und LH2 ausgeben, und die Fleisch AG den Betrag gF, den ihr die Hamburger AG für Buletten zahlt. Angebot und Kaufkraft sind also ausgeglichen, wenn die Beziehung gF+gH2=LF+LH2+gF oder gH2=LF+LH2 erfüllt ist, d.h. die Gesamtsumme aller Löhne mit dem Gesamttauschwert aller Endprodukte übereinstimmt. Genau dann ist nach Abschnitt 6 der Gesamtprofit null. Im Fall gH2<LF+LH2 übersteigt die geldseitig(!) mögliche Nachfrage das Angebot, aber es ist der Gesamtprofit negativ und damit das System nicht existenzfähig. Nur im Fall gH2>LF+LH2 übersteigt der Tauschwert der Endprodukte die Lohn­summe. Dann wäre der Gesamtprofit positiv, sobald (unter Überwindung aller nichtgeld­lichen Hemmnisse) Hamburger im Umfang größer als LF+LH2 verkauft sind. Aber dazu müssten 'Außen'stehende den Warenverkehrsteilnehmern weitere Kaufkraft zustecken.

 

Wie schon bei der Diskussion des Gesamtprofits in Abschnitt 6 spielen die Zahlenwerte der Geldbeträge gF, gH2, LF und LH2 für diese Befunde keine Rolle. Die weitere Analyse des 'Realisierungsproblems' kann also auf komplizierte Produktionsstrukturen wie die Systeme 2 und 3 des Abschnitts 6 verzichten und sich auf das System 1 beschränken, bei Bedarf die Hamburger AG als Gesamtheit aller Kapitale deuten, und die Hamburger als beliebig bunt zusammengesetztes Bündel diverser Endprodukte. Die Kaufkraft für die Realisierung des Mehrprodukts ist – so weit hat Luxemburg recht – außerhalb des Duopols 'Lohnarbeiter und industrielle Kapitale' zu suchen. Wir kennen bereits eine solche Mitspielerin unter dem Namen 'Bank'. Ihr gilt die nächste Betrachtung, da insbes. rechte (aber auch 'alternative') Kapitalismuskritiker die Quelle des Geldes in ihren uneinsehbaren Tresoren verorten – letztlich also in etwas physischem(!).

 

Das einfachste Bankgeschäft besteht aus der Entgegennahme einer Einlage von einem 'Sparer' und deren Weiterreichen als Kredit an einen 'Kreditnehmer'. Die hervorgehobenen Worte zeigen bereits an, dass dieser Vorgang kein neues Geld erzeugen und somit keine Kaufkraftlücke schließen kann. Wirkungen können entstehen auf der physischen Ebene: industrielle Unternehmen als Kreditnehmer würden vom geliehenen Geld Investitionsgüter statt Konsumgüter kaufen, und Konsumenten als Kreditnehmer möglicherweise andere Konsumgüter, als die Sparer gekauft hätten. Der Kreditnehmer 'Staat' hat beide Optionen. Die Unterstellung eines weiteren Finanzunternehmens als Kreditnehmer verschiebt das logische wie das sachliche Problem nur ungelöst ein Stück weiter. In allen Fällen können Probleme und sekundäre Krisenerscheinungen daraus entstehen, dass die verfügbaren Produkte (incl. Kreditverträge) nicht zu Intentionen der Akteure oder zu externen Zwängen passen. Umgekehrt können geeignete Anpassungen solche sekundären Krisen-
erschei­nungen manchmal beheben. Um uns möglichst wenig damit befassen zu müssen und auf den Geldumlauf konzentrieren zu können, wurde bereits in Abschnitt 6 als Grundmodell ein System gewählt, das nur ein Endprodukt erzeugt, und zwar ein Lebensmittel.

 

Die Konzentration auf die rein geldliche Seite des Kreislaufs und damit die beteiligten Subjekte rückte im vorigen Absatz mit dem Staat einen weiteren Akteur ins Blickfeld, der zwar gewöhnlichen Kapitalismusbewohnern gut bekannt ist, kaum aber den Ökonomen. Seine Beteiligung am Warenkreislauf kann alle Warenverwendungen V, C und M beinhal­ten. Er kann Einrichtungen wie Schwimmbäder subventionieren, was (verglichen mit dem nichtsubventionierten Fall) wie eine Erhöhung des Reallohns wirkt, und deshalb von den meisten Ökonomen vehement abgelehnt wird. Er kann durch Subventionen oder Firmen­beteiligungen zum Betrieb von Produktionsmitteln und zur Beschäftigung von Arbeitskraft beitragen. Er kann Ressourcen wie Infrastrukturen oder Ausbildung für neu(artig)e Formen konkreter Arbeit bereitstellen (M, Anteil Investition). Und er kann – wie Ökonomen nicht müde werden zu geißeln – effizient verschwenden (M, Anteil Luxuskonsum). Aber kann er Kaufkraft schaffen? Er kann es jedenfalls nicht durch einfache Steuererhebung. Diese und die zugehörige Steuerverwendung zu behandeln ist in 'reiner' Ökonomie verpönt, da keiner der zwei Vorgänge als Tausch darstellbar ist, und damit weder ihr Stattfinden noch ihre Umstände als das Resultat eines 'freien Spiels der Kräfte im Markt'. Tatsächlich aber kam das Marktsystem seit seinem Beginn noch nie eine längere Zeit zurande, ohne dass (so Joachim Bruhn) die gut sichtbare Hand des Staates Adam Smith's Unsichtbarer Hand des Marktes zu Hilfe kommen musste.


Als konstituierende Eigenschaft des Staates gilt seine (nichtökonomische) Fähigkeit zu Gewaltausübung. Diese wird komplementär zur Freiheit des Marktes gedacht und damit ausgeblendet, dass Staat wie Markt Funktionen innerhalb des Warensystems zu erfüllen haben, die für das Gesamtsystem essentiell sind. Dieses Unverständnis bewirkt, dass sich Verfechter des Marktes und (ihrem Anspruch nach) Revolutionäre zwar in zahllosen Punk­ten theoretisch heftigst bekriegen, andererseits aber auch immer wieder auf Positionen zum Staat zusammenfinden, die die gesamte Bandbreite der bisher bekannten Extreme überdecken. Nicht nur die staatsbasierte Entwicklungsdiktatur Stalins ähnelte verblüffend ihren marktwirtschaftlich begründeten Gegenstücken; auch das Ideal der totalen (im Sinne von staatslosen) Freiheit vertreten sich radikal links einstufende Strömungen in verblüffend ähnlichen Formen wie radikale Marktwirtschaftler, die das soziale Problem der Abtreibung mittels eines „freien Baby­-Markts“ lösen wollen.[7]

 

Unbestreitbar ist, dass der Staat in der bürgerlichen Gesellschaft das Gewaltmonopol beansprucht und besetzt, so dass es für die Wahrnehmung seiner Funktionen zumindest bedeutsam sein muss. Aber lässt sich damit das Realisierungsproblem lösen? Mit Gewalt lässt sich Steuer eintreiben und dieses Geld neu verteilen. Besteuerung der Lohnarbeiter verlagert Kaufkraft, was physische Wirkungen hervorruft, aber nicht die geldseitige Nach­fragelücke schließt. Durch Besteuerung von Kapitalen eingetriebenes Geld könnte Mehr­produkt aufkaufen, aber nur 'ehemaliges'. Die Hervorhebung bezieht sich darauf, dass eine Warenmenge im (geldlichen) Umfang der Steuer ab dem Moment ihrer Einhebung nicht mehr zum Mehrwert beiträgt, da exakt im Umfang dieser Steuer Profit verschwindet (egal bei welchem Kapital). Das 'ehemalige' Mehrprodukt würde sich anstelle eines Kapi­tals dann der Staat aneignen. Soll er alles ('ehemalige') Mehrprodukt aufkaufen, sinkt der Gesamtprofit auf null. Solange er sich als Marktsubjekt im Markt betätigt, d.h. Geld und Ware nur bewegt, kann auch der Staat das Markt-­Nullsummenspiel nicht aufheben, so wenig wie Diebe und Räuber, mit denen rechte Kapitalismuskritiker ihn gern und oft ver­gleichen, damit aber wenig zum Verständnis von Staat und Geldschöpfung beitragen.

 

Der Mainstream gelangt in seinen Überlegungen zur Geldschöpfung noch so weit, dass das Geld anderen Quellen entspringen müsse als dem klassischen (Arbeits-­)Markt­-Duopol von 'Arbeit und Kapital'. Er sieht das Geld aus dem Kreditgeschäft entstehen. Da ihm nur industrielles Kapital als 'wahres Kapital' und nur industrielle Aktivität als 'reale Wirtschaft' gilt, reproduziert dies unbemerkt Luxemburgs Ansicht, Mehrwertrealisierung finde 'außerhalb des Systems' statt. Dasselbe gilt für die neuere Variante, Verwertung benötige neben dem Kreislauf der bekannten klassischen Waren neuartige Kreisläufe exotischer „Waren zweiter Ordnung“. Unterschiede bestehen jeweils darin, was als 'das System' begriffen wird. Diesbezüglich repräsentative Gedankengänge verfolgen wir nun in ihre Details. Das weltweit mittlerweile meistverkaufte Lehrbuch (Mankiw 2003) beginnt seine Betrachtungen zum Geldwesen auf Seite 483(!) mit der Annahme, das insgesamt umlaufende Geld habe den Umfang von 1000T[8], die Form von „Währung“ (d.h. Bargeld), und sei in der Hand von „Haushalten“. Diese deponieren es in einer „Erstbank“, deren Aktivitäten sich zunächst auf das Entgegennehmen und Aufbewahren der Einlage beschränken. Als Ergebnis wird fest­gehalten: „Aktiva der Bank sind die 1000T, die sie als Reserve hält. Ihre Passiva sind die 1000T, die sie Einlegern schuldet.“ Diese 1000T bewirken exakt dasselbe wie ein Bündel von 1000T unter irgendeinem Kopfkissen. Statt ihre Entstehung zu erklären, wird die Exis­tenz eines Schatzes aus einer unter den Tisch gekehrten ursprünglichen Akkumulation postuliert. Immerhin erkennt Mankiw noch, dass dies wenig mit Kapitalismus zu tun hat, und stellt fest: „Anders als Banken in unserer [der realen; K.H.] Ökonomie vergibt diese Bank keine Kredite, daher wird sie keinen Profit aus ihren Aktiva erzielen. Vermutlich[!] be­rechnet sie den Einlegern aber eine kleine[!] Gebühr zur Abdeckung ihrer Kosten.“ (ebd.)

 

Profitabel wird die Erstbank, sobald sie die eingelegten 1000T – aber auch nicht mehr als das – zu verleihen beginnt. Solches 'vollgedeckte' oder „100%­reserve“­Banking er­ scheint in so gut wie allen rechten und 'alternativen' Geldtheorien als nächstes Stadium in der Entwicklung der Bank (alias Finanzwesen), da es noch mit dem Ideal des Äquivalen­tentauschs verträglich ist: Sparer geben Bargeld her und erhalten als Gegenleistung einen Anspruch gegen die Bank. Die Bank nimmt Geld und gibt den Sparern als 'Sparbücher' bezeichnete Schuldscheine. Beides addiert sich in ihrer Bilanz zu 'null'. Da das Verhältnis zwischen Bank und Kreditnehmer genauso gestaltet ist, ist die Einführung der Institution 'Bank' an dieser Stelle für die Analyse nicht nur nutzlos sondern schädlich, nämlich eine Inhalte verschleiernde (statt klärende) Komplikation. Konkret verschleiert bzw. übersehen (auch von Mankiw) wird gewöhnlich folgende Schieflage: solange Kredite nur im Umfang der Einlagen vergeben werden, muss ihr Beitrag zum Gesamtvermögen aller Finanz­ und Industriekapitale null sein. Ergänzt man die (lehrbuchferne aber realitätsnahe) Annahme, das Geldvermögen der Privatpersonen sei insgesamt vernachlässigbar gegen die ausge­ wiesenen Aktiva der Kapitale, folgt zwingend der Schluss, das Gesamt-­Geldvermögen der Welt sei (annähernd) null, nämlich maximal der Betrag, den Individuen als Ersparnis ge­bunkert haben oder in bar herumtragen. Damit gäbe es nur das zur Zirkulation variablen Kapitals nötige Geld; außer Betracht blieben nicht nur der Mehrwert und seine Zirkulation, sondern bereits das konstante Kapital.[9] Die These des Null­Geldvermögens in konse­ quentester Form (exakt null) vertritt die Randströmung des 'Debitismus'. Über solche Wege dringt eine real stattfindende Entkopplung von physischer und geldlicher Seite des Verwer­tungskreislaufs ins Denken ein, allerdings spiegelverkehrt, wie folgendes debitistisch inspi­ rierte Gedankenexperiment zeigt: ein chemisch und softwareseitig aktiver Virus vernichte über Nacht alle Barbestände, Kreditverträge und Buchungen incl. aller zugehöriger Daten­träger. Auf die Geldmenge hätte dies keine Wirkung, falls die debitistische Grundannahme stimmt, sie sei bereits zuvor 'null' gewesen. Unverändert vorhanden wäre aber noch die physische Seite des Verwertungssystems: Infrastrukturen, Produktionsmittel, Vorräte, und Arbeitskraft aller Qualifikationsstufen. Will man die Summe all dessen nicht ebenfalls mit 'null' beziffern, müsste man schließen, Geld – genauer: das den Ökonomen bekannte Geld – sei gegenüber der Ware eine unbedeutende Nebensache. Dieser – die Realität auf den Kopf stellende – Schluss wird in der Tat gezogen, allerdings nicht von den Debitisten sondern von den Mainstreamökonomen. Dies natürlich an anderer Stelle im Lehrbuch und möglichst weit abgesetzt von ihren Betrachtungen zur Wichtigkeit der Geldmenge(n).

 

Wir verfolgen jetzt, wie sie sich die Geldentstehung aus dem Bankgeschäft vorstellen. Mankiw lässt die Erstbank zunächst sogar nur 800 der eingelegten 1000 Taler verleihen und die verbleibenden 200T als „Reserve“ halten, da Einleger Einlagen abheben könnten. Er erwartet offenbar nicht, dass alle es jemals gänzlich und gleichzeitig tun, und übersieht, welche neue Annahme er damit einschleust. Die 1000T waren anfangs Geldvermögen der „Haushalte“ alias Lohnarbeiter. Soll ihre Einzahlung nicht ein – denkbarer – einmaliger Vorgang sein, sondern sich wiederholen, um eine laufende Erweiterung des Geschäfts zu finanzieren, wird relevant, dass Lohnarbeiter das ihnen verfügbar gemachte Geld gewöhn­ lich bis zur nächsten Lohnzahlung vollständig (statt nur zu einem Fünftel) ausgeben (müssen). Mankiws System könnte nur florieren im Sinne von 'wachsen', wenn sie laufend das Fünffache des zur Abdeckung ihrer Bedürfnisse Nötigen verdienen. Nur dann kämen sie dauerhaft mit 20% ihrer Einnahmen aus, wären genau deshalb aber keine Lohnarbeiter mehr sondern (Klein-­)Kapitalisten, in Mankiws Modell damit die Kreditnehmer. Wozu benö­tigt man bei Identität von Sparern und Kreditnehmern noch eine 'Bank'?


Physisch würden dann nicht für 1000T Lebensmittel produziert, sondern nur für 200T, während im Gegenwert von 800T Kapitalgüter entstehen müssten. 800 der ursprünglichen 1000 Taler wechseln damit vom Teil V des Kreislaufs in den Teil M und – im ökonomischen Idealfall – weiter zu C. Zu dessen Kreislauf gehört das Kreditgeschäft, und in diesem wird tatsächlich der Kredit im Regelfall eher aufgestockt (dabei ggf. Konditionen neu verhandelt oder die Bank gewechselt) als abbezahlt. Die Bank (stellvertretend für das Bankwesen) und ihre Bilanz wachsen dann endlos, und die 20% 'Reserve' dienen nur noch dem Abpuf ­ fern zufälliger Schwankungen, von individuellen Abhebungen über Bankruns bis zu zykli­schen Krisen. Dann „...braucht eine Bank nicht alle Einlagen in Reserve zu halten.“ (ebd.: 484) Obwohl eine Geldschöpfung noch gar nicht nachgewiesen geschweige denn analysiert ist, wird hier bereits eine reale Tendenz im aktuellen Finanzwesen sichtbar: was Ökonomen als 'eindeutig bestimmtes' Positivum 'Geldmenge' erfassen wollen, tendiert in der Realität zum Kettenbrief. Immerhin ist man damit aber in einem gesamtwirtschaftlich erfolgreichen Verwertungsprozess angekommen: das Geld ist fruchtbar und mehrt sich über die ersten 1000T hinaus; unklar bleibt weiterhin nur wie.


Mankiw sieht die Geldvermehrung bei der Kreditvergabe stattfinden, nicht etwa bei der durch sie ermöglichten Lohnarbeit. Er vergleicht die Situation vor und nach Verleihen der 800T wie folgt: „Vor der Kreditvergabe beträgt die Geldmenge 1000T, gleich den Einlagen in Erstbank. Nach der Kreditvergabe beträgt die Geldmenge 1800T; der(!)[10] Einleger hat noch in Höhe von 1000T seinen Girobestand [demand deposit], aber nun hat der(!) Kredit­nehmer weitere 800T in Währung.“ Daraus zieht er den Schluss: „In einem System teilge­deckten Bankings erzeugen Banken also Geld.“ (ebd.: 484; Hervorh. im Orig.)

 

Bemerkenswert ist hier das Verwirrspiel mit den zwei Geldformen. So wie die zahllosen Warensorten die dahinterstehende Essenz 'Arbeit' des Verwertungsystems vernebeln, so vernebeln hier die Geldformen Logikbrüche. Letztere erscheinen, sobald man versucht, mit einer der zwei Geldformen auszukommen. Nehmen wir erst an, der Einleger möchte über seine 1000T in Währung verfügen, nachdem 800 davon in Währung an den Kreditnehmer ausgezahlt sind. Die Auszahlung müsste nach 200T stoppen, denn wir wissen zwar noch nicht, woher die 'Währung' stammt, aber wir wissen, dass es nur 1000T davon gibt. Die Bank müsste also entweder ihr Kreditgeschäft zurückdrehen und damit alle an diesem hängenden weiteren Geschäfte (letztendlich also alle Verwertung), oder jemand (Kredit­nehmer, Bank, Staat?) müsste 800T drucken bzw. prägen. Dann wären tatsächlich 1800T Bargeld im Umlauf, aber irgendwo der Grundsatz verletzt, dass Geld nur gegen Hergabe anderer Werte erhältlich ist. Nicht besser sieht es aus, sollte dem Einleger Buchgeld rei­chen und er sein Guthaben nur auf eine andere Bank überweisen wollen. Bisher war jedes Entstehen/Vergehen von Sparguthaben mit Ein-­/Auszahlung von 'Währung' verknüpft. Solche in Höhe von 1000T müsste die Erstbank also der anderen Bank schicken, damit jene dem Einleger ein Guthaben von 1000T gutschreiben kann. Erneut sind aber nur 200T greifbar. Lässt man den Grundsatz 'neues Guthaben nur gegen Bareinzahlung' für das Interbank­-Geschäft fallen, indem man dieses als 'besonderes Geschäft' deklariert, bleibt immer noch der Fakt erhalten, dass selbst beide Banken zusammen maximal 200T „Wäh­rung“ an den Einleger auszahlen könnten. Eine dritte (lehrreichste) Form von Absurdität erscheint, wenn man auf die Geldform „Währung“ ganz verzichtet, und schon die aller­ ersten 1000T in Buchgeldform bei der Erstbank eintreffen lässt. Kann sie aufgrund dieses Eingangs 800T an den Kreditnehmer 'zahlen' (nun: überweisen) und gleichzeitig 1000T für Überweisungen des Einlegers verfügbar halten: was hindert sie dann, 1800T (oder 2800T) an einen beliebigen Kaufmann zu überweisen, bei dem ein Kreditnehmer Waren dieses Werts erwerben will? Oder eine glatte Million auf das Konto einer Tochtergesellschaft bei der Bahamesischen Milliardenbank?

 

Statt sich darüber Gedanken zu machen, erbaut Mankiw ein perpetuum mobile[11] des Geldwachstums. In dessen zweiter Umdrehung legt der Kreditnehmer die bei der Erstbank aufgenommenen 800T bei einer Zweitbank ein, die davon ebenfalls 160T oder 20% zurückhält und 640T verleiht. Akzeptiert man die Kreditvergabe der Erstbank als Geldmen­genwachstum, müssen auch diese 640T ein solches darstellen. Eingelegt werden sie bei einer Drittbank usw.: „Der Vorgang setzt sich endlos fort. Jede Einlage und Ausleihung er­ zeugt mehr Geld.“ (ebd.: 484) Wohlstandsmehrung ist damit möglich ohne Produktion alias Arbeit; verwechselt werden wieder einmal Produktion und Aneignung von (Mehr-­)Wert in Geldform. Die immanente Absurdität von Mankiws Vorstellung wird deutlich, sobald man unterstellt, der Einleger selber trete als Kreditnehmer auf (ggf. über eine panamesische Briefkastenfirma), und er zahle die geliehene Summe nicht bei der Zweitbank ein, sondern auf ein Zweitkonto bei der Erstbank. Oder direkt auf sein Erstkonto.

 

An dieser Stelle angekommen ist immer noch nicht erklärt, was die Quelle der ersten 1000T, d.h. des Phänomens Geld ist. Dem Ökonomen stellt sich nun dazu das neue Problem, das Geldwachstum einzudämmen, da er nur mit endlichen Zahlen rechnen kann. Er stürzt sich auf dieses neue Problem, da zumindest dieses sich als lösbar erweist. Er löst es, indem er den von ihm unterstellten Sachverhalt durchrechnet, dass jedes Mal nur ein fixer Bruchteil der Einlage verliehen wird, nämlich 4/5 oder 80% (warum eine solche Beschränkung in der sonst so wachstumsbeflissenen Disziplin?). Dies lässt die 'erzeugte' Gesamtsumme maximal auf ein (endliches) Vielfaches der ersten 1000T anwachsen, näm­ lich auf den Betrag k∙1000T mit einer endlichen Zahl k, egal wieviele (ggf. unendlich viele) Banken und Kreditnehmer teilnehmen. Der Zahlenwert des Faktors k wird auf S.485 ermittelt. Zum Nachvollzug der Rechnung genügt es, den „Grenzwert einer geometrischen Reihe“ zu kennen. Akzeptiert man die Logik quantitativer Ökonomie, dann verrät sie im Gegenzug auf diese Weise, dass und wie 1000T zu k∙1000T werden können. Unklar bleibt weiter die Urzeugung der ersten 1000T.


Einen Schritt weiter in die Materie dringt 'alternative' Ökonomie vor, wenn sie an den Beginn der wundersamen Geldvermehrung nicht Geld setzt, sondern etwas anderes 'wert­ volles', nämlich Gold. Dank seiner Zwitterstellung zwischen dem mysteriösen Geld und der wohlbekannten physischen Ware kann Gold nach Bedarf entweder als das eine oder als das andere angesehen werden. Wir verfolgen dies anhand theoretischer Ausführungen eines Autors, der sich irgendwo zwischen 68er-­alternativ und rechtspopulistisch-­alternativ verorten lässt. Auch seine Betrachtung beginnt mit einem Schatz: „Beginnen wir mit der Phase der Währungsgeschichte, wo Goldmünzen (bzw. Silbermünzen) allgemeines Zah­lungsmittel waren – und zwar Münzen mit vollem Edelmetallgehalt. Vor allem aus Sicher­heitsgründen (z.B. aus Angst vor Überfällen) entwickelte sich bei den Besitzern großer Goldmengen – z.B. bei den Händlern – die Tendenz, das Gold in sicheren Tresoren bei den Goldschmieden und später bei den Banken zu deponieren. Dafür bekamen sie eine Quittung, auf der die eingelagerte Goldmenge bestätigt wurde.“ (Senf 2004: 76) Bemer­kenswerterweise wird weder für die physische Existenz noch für den Wert des Goldes eine Erklärung gegeben; im Kapitalismus wäre es jeweils 'Arbeit'. Die Einführung des Goldes vermeidet es, Papiergeld zur Voraussetzung seiner selbst zu machen, und täuscht so vor, die Gedankenführung bewege sich außerhalb des kapitalistischen Selbstzwecks G→G'. Andere Elemente aber konterkarieren dies: das 'allgemeine Zahlungsmittel' unterstellt eine vollausgebildete Warenwirtschaft, in der Betonung der Form (Gold vs. Papier) statt Funk­tion von Geld versteckt sich Fetischismus, und die allgemeine Konkurrenz ist bereits bis zum panzerknackenden (d.h. organisierten) Raub entwickelt. Selbst immanent ist wenig von Senfs Darstellung nachvollziehbar: ein Zettel mit der Aufschrift '1t Gold' lässt sich bis heute leichter stehlen oder fälschen als die Tonne Gold selber, und warum sollte der Gold­schmiedtresor sicherer sein als der eigene, und warum Goldschmiede ehrlicher als die Nachbarn des ehrbaren Kaufmanns? Weil der 'Goldschmied' das Ideal des einfachen Wa­renproduzenten verkörpert? Solche Details verraten eine kleinbürgerliche Weltsicht; eine schon absurde Übersteigerung derselben ist es, Banken als Dienstleister(!) der Händler zu verstehen und das Bankwesen als eine Abspaltung aus dem Handwerk 'Goldschmied'.

 

Aus den Quittungen entsteht lt. Senf zunächst das neuzeitliche Papiergeld (an dieser Stelle beginnen Mankiws Betrachtungen): „Anstatt dass Händler A selbst die Quittung wieder in Gold einlöst, reicht er sie weiter an B und bezahlt damit Güter oder Dienstleistun­gen, die er von B bezieht.“ (ebd.: 77) Man kann sich nun vorstellen, wie Buchgeld entsteht: B's Bank nimmt Quittungen von A's Bank an und umgekehrt, und beide Banken rechnen sie intern gegeneinander auf. Liest man Senfs Darstellung historisch, kommt ihr realer Kern zum Vorschein. Die Bank of England war in der Tat anfangs eine privatwirtschaftliche Institution und wurde erst 1946 vollständig verstaatlicht. Bis zum 1. Weltkrieg garantierten fast alle entwickelten kapitalistischen Staaten bzw. deren (staatliche) Zentralbanken die Einlösung ihrer Banknoten in Gold. Die letzte solche Garantie hob die US­-Notenbank erst im Jahr 1971 auf. Sie war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon auf 35 Dollar pro Person bzw. Vorgang beschränkt, weil längst nicht mehr genug Gold zur Deckung des Papiers in Fort Knox lag. Damit sind wir zurück in der Frage, wie sich die 'Quittungen' auf ein Vielfa­ches der 'deckenden' Goldmenge vermehren konnten, faktisch also unbegrenzt. Senf fällt wie Mankiw nur die Kreditvergabe ein. Stelle sich heraus, dass nie mehr als ein Drittel der Goldeinlagen abgehoben würde, sei es möglich „dass die Bank unter den gegebenen Umständen auf ganz andere Gedanken kommen kann: zum Beispiel die 2/3 Überschuss­reserven an andere in Form von Krediten auszuleihen – und dafür neben der Tilgung auch noch Zinsen und Sicherheiten von den Schuldnern zu verlangen.“ (ebd.: 78) Dadurch ver­ mehrt sich das umlaufende Geld – aber wer zahlt woraus die 'Zinsen'?


Durch die Formulierung 'Zinsen und Sicherheiten' wirft Senf den angestrebten Mehrwert mit dem schon vorhandenen Kapital zusammen, nebelt also genau diejenige Stelle zu, an der Klärungsbedarf besteht. Er bemerkt daher nicht, dass er durch die Einführung der 'Si­cherheiten' seine vorangehenden Ausführungen aufhebt. Versteht man darunter Devisen, Wertpapiere oder andere Geldwerte, gelangt man in Mankiws Zirkel, der zur Erklärung der Geldentstehung bereits entstandenes Papiergeld benötigt. Versteht man darunter Sach­werte, unterwirft man sich allen Begrenzungen vollgedeckter Kreditvergabe, denn sobald Gold als gewöhnliche Ware aufgefasst wird, verschwindet der Unterschied zwischen dem Hinterlegen einer Tonne Gold und dem Verpfänden eines Hauses gleichen Tauschwerts. Das Einfordern von Sachwerten als Sicherheiten würde letztlich die Kreditvergabe auf den Umfang schon vorhandener und zirkulierender Werte begrenzen; der Mehrwert bliebe (bzw. würde wieder) ausgeklammert. Angelegt ist dies bereits darin, dass Senf an den Beginn seiner Theorie die gewöhnliche Ware Gold setzt statt der Lohnarbeit. Er übersieht diesen logischen Lapsus und erbaut wie Mankiw auf dieser unklaren Grundlage eine Pyramide von Finanzgeschäften, in denen bald nur noch der „Geld­-Schein“ regiert.[12] Zügig verflüchtigt sich in diesem Prozess die Goldform der 'Überschussreserve'; schon auf der Buchseite 81 ist das umlaufende Bargeld vorwiegend „gedeckt durch Wertpapiere, das heißt durch Forderungen der Bank gegenüber Schuldnern.“ Nichts aber liest man über die von „Schuldnern“ beschäftigten Arbeiter, ganz zu schweigen von denen in den Goldminen. Die Rückführung nur noch bis zu „Wertpapieren“ (also nicht einmal mehr bis zum Sachwert Gold) mündet endgültig in Mankiws Vorstellungen ein und erspart uns das weitere Verfolgen dieses Gedankengangs. Wir kehren stattdessen zurück zur Basis des Ganzen, der allerersten Kreditvergabe.

 

Gold ist zwar nicht identisch mit Arbeit, aber es steht als Arbeitsprodukt dieser eigent­ lichen Substanz des Verwertungsbetriebs ein Stück näher als der 'Geld' genannte nackte Tauschwert. Senfs Ansatz lässt daher leichter als derjenige Mankiws erkennen, was dem bürgerlichen Verstand am Geld und insbes. an dessen Schöpfung suspekt ist. Problemlos ist noch die vollgedeckte Kreditvergabe auf Basis eines Goldschatzes, denn solange jeder Geldschein in Gold eintauschbar ist, kann weder einem Nutzer des Scheins noch der Bank ein Schaden entstehen. Dies ist dem Sachverhalt geschuldet, dass gelagertes Gold per def. nicht am Verwertungsbetrieb teilnimmt, also auch nicht dessen Risiken und Wider­sprüchen ausgesetzt ist. Anders ist dies bei Sachwerten, die als Infrastruktur, Produk­tionsmittel oder Wohnhaus die Funktionen konstanten oder variablen Kapitals erfüllen. Die am Beginn fast aller rechter und alternativer Geldtheorien stehende vollgedeckte Kreditvergabe erweist sich damit als rückwärts gewandte Utopie. Diese erodiert Schritt um Schritt, sobald man versucht, ihre Elemente im realen kapitalistischen System aufzufinden.

 

Dienen andere Sachwerte als Edelmetall zur 'Deckung', droht bei Rückzug der Einlagen zwar auf dem Papier noch kein finanzieller Schaden, denn sie könnten 'verwertet' im Sinne von 'verkauft' werden. Es drohen aber Störungen des physischen Kreislaufs wie im Fall der Pfändung von Maschinen im Produktionsbetrieb. Deren Stilllegung würde das Ausführen 'systemnotwendiger' (wertbildender) Arbeit verhindern; im Krisenfall wird also eine 'Rettung der Arbeitsplätze' eingeleitet. Schon die vollgedeckte Kreditvergabe auf Basis klassischer Ware lässt so erste Elemente von Störung alias Krise erscheinen. Solange man nicht allzu tief in die kapitalistische Realität eindringt, verbleiben sie allerdings auf der physischen und der Arbeits­-Ebene.

 

Bei teilgedeckter Kreditvergabe dagegen drohen Schäden direkt auf finanzieller Ebene, sobald Einleger und Gläubiger[13] der Kreditnehmer von Senfs bzw. Mankiws Banken zu­ sammen mehr 'echtes' hinterlegtes Gold bzw. Bargeld anfordern, als im 'Tresor' liegt. Wür­den in Mankiws Konstrukt alle 1800T in „Währung“ angefordert, fiele auf, dass nur 1000T 'real' vorhanden sind, d.h. 45% des bilanzierten Reichtums aus Luft bestehen. Bei Senf ergäbe sich der abweichende Prozentsatz 33%, aber auch bei ihm hätten 'Partner' Titel im Glauben angenommen, alle seien zum Nominalwert in 'echte Werte' tauschbar, obwohl es nur auf einen Teil zutrifft. Das Herbeiführen eines Vermögensschadens durch Ausnutzen eines 'offensichtlich bestehenden' oder (noch schlimmer) gezielt erzeugten Irrtums verfol­gen bürgerliche Staatsanwälte als 'Betrug'. Betrug ist schon, einen Sachwert über seinen realisierbaren Tauschwert hinaus zu beleihen. Die Pyramiden von 'Verbriefungen' im neu­ zeitlichen Finanzsystem machten solche Vorgänge zwar zur Massenerscheinung, sichtbar daran, dass fast jeder Konkurs Schäden hinterlässt, die das bei der Konkursanmeldung bilanzierte Defizit weit übersteigen. Diese Betrugsform wächst aber noch rein quantitativ aus dem legalen Rahmen heraus und ist im Fall des Falles schwer abzutrennen von 'Feh­lern' oder 'unglücklichen Umständen' wie Preisverfall, mit denen in realen Konkursverfah­ ren routinemäßig argumentiert wird. Senfs und Mankiws teilgedeckter Kredit geht darüber noch einen Schritt hinaus, da die Geldvermehrung mittels teilgedeckter Kreditvergabe von Beginn an per Konstruktion die Erfüllung gegebener Versprechen ausschließt. Nicht nur Mainstreamtheoretiker, sondern in ihrem Schlepptau auch rechtspopulistische bis linksal­ternative, analysieren also den Kapitalismus als ordinäres Betrugssystem; erstaunlich ist, dass sie dieses System nach einer solchen Analyse noch positiv konnotieren und das Geld(wesen) zum „Produktionsmittel“ (Felber) überhöhen können.

 

In ihrer Analyse treten allerdings nur gewöhnliche Marktsubjekte auf, während hier gera­de das Strafrecht erschien und mit ihm der Staat. Sein Erscheinen in der Analyse zeigt an, dass die Geldschöpfung wie die Mehrwertproduktion und ­aneignung mit Begrifflichkeiten des nackten Tauschwerts nicht zu begreifen ist. Sie muss andere Ebenen als diejenige des reinen Geldgeschäfts einbeziehen, und die Analyse muss dorthin folgen, soll sie nicht wie diejenige Mankiws in der Absurdität enden, die Geldentstehung aus dem Hantieren mit schon entstandenem Geld zu erklären. Sein Ansatz spiegelt zwar perfekt den zirkulären kapitalistischen Selbstzweck wider, erbringt aber die Quantität 'null' an Erkenntnis. Die Analyse muss den gesellschaftlichen Zusammenhang zumindest so weit einbeziehen, dass neben dem nackten Tauschwert die Arbeits­ und Gebrauchswertseite des Wert­ begriffs wieder erscheinen. Daraus sollte sich neben den Funktionen von Finanzwesen und Kredit auch die Rolle des Staates innerhalb des Verwertungssystems (statt scheinbar daneben) ergeben, eingeschlossen die Gründe für die wachsende Bedeutung all dieser Phänomene. Zu diesem Zweck fassen wir zunächst die charakteristischen Defizite der ökonomischen Behandlung des industriellen Teils des Verwertungssystems zusammen, marxistisch bestehend aus den (industriell gedachten) Komponenten 'Arbeit und Kapital', und bürgerlich aus 'Kapital mit etwas (im Grunde störender) Arbeit'.

 

Das Hauptdefizit besteht im Ausblenden der Wareneigenschaften 'Arbeitsprodukt' und 'zu verkaufen', um die Ware als physisches Ding mit nutzbaren Eigenschaften sehen zu können(!). Dies entfernt die Dimensionen der abstrakten Arbeit und des Geldes aus der Betrachtung. Umgekehrt lässt sich damit alles Ökonomische als rundum positiv darstellen, oft als aufgestapelte Industrieprodukte. Bis in marxistische Debatten hinein wird ein positiv besetzter Begriff von 'produktiver Arbeit' am Gebrauchswert anfassbarer Dinge festge­macht, und Dienstleistungen wie Transporten oder Resultaten geistiger Arbeit ohne nähere Analyse ein Wertgehalt abgesprochen. Tatsächlich aber sind auch 'Dienstleistungen' wie Transporte nach den Warenfunktionen V, C und M zu analysieren. Für die Verwendung im Kraftwerk genügt es nicht, dass irgendwo Kohle liegt, sondern sie muss bis vor den Kessel geschafft werden. Die dafür nötige Arbeit ist genauso zu erbringen wie diejenige im Berg­werk, und aller dafür nötige Aufwand ist vom Kraftwerk finanziell zu honorieren, egal ob er von einer Bergwerks­ oder einer Transportfirma erbracht wird. Ebenso muss das Brot die Arbeiter erreichen, soll es zu ihrer Reproduktion beitragen. Die Arbeit für Transporte und Einzelhandel ist ebenso zu erbringen wie diejenige in der Bäckerei, sie muss von den Kon­sumenten vergütet werden, und diese Vergütung ist in die Löhne einzurechnen. Anders sieht es mit Transporten und Dienstleistungen im Zusammenhang der Zirkulation des Mehrprodukts aus. Hier besteht Gestaltungsfreiheit, die sich aber in keiner Weise von der Gestaltungsfreiheit unterscheidet, die für alles physisch vorliegende Mehrprodukt selbst besteht, den Extremfall der puren Destruktion einschließend.

 

Übergeht man die Analyse der Warenfunktionen V, C, und M, verschwindet der Unter­schied zwischen ihnen unter oder hinter einem Haufen Waren, der rein physisch (d.h. als Haufen Dinge) gedacht wird. Die Besonderheit des Mehrwerts und seiner Zirkulation wird unsichtbar. In einem so versimpelten Bild schafft Arbeit (personifiziert im Arbeiter) zusam­men mit dem Kapital (marxistisch personifiziert in industriellen Kapitalisten und bürgerlich in modernen Produktionsmitteln) alle möglichen guten Dinge, bevor beide sich das (positi­ve) Resultat teilen (das allerdings nicht mehr V+M genannt wird). Das Finanzkapital kann nur noch als „parasitärer Nutznießer“ der zwei Helden 'Kapital und Arbeit' erscheinen, und muss deshalb entweder (vornehm) ignoriert oder (bösartig) verteufelt werden.


Die physische Option zur Abgrenzung 'bösen' Kapitals von dem beschriebenen 'guten' verschwindet, sobald die schon in der Form Lohnarbeit enthaltenen destruktiven Elemente aufgedeckt werden, wie es Unterabschnitt 5.2[14] am Beispiel der 'Produktion' von Häusern und Ruinen tat, zwei Vorgänge, deren physische und Nutzeffekte sich aufheben können (im Modell exakt!), obwohl beide separat profitabel in Geld abrechenbar sind, und Gewin­ne beider Unternehmungen positiv zur 'Wirtschaftsleistung' alias BIP beitragen. Dies lässt sich in einzelne Arbeiten hinein verfolgen. Analog zum Fall zerschossener/erbauter Häuser lassen sich die Herstellung von Panzern und der Ressourcenverbrauch der Panzerfabrik negativ konnotieren und von positiv konnotierbarer LKW­-Produktion im Werk gegenüber anhand der Örtlichkeit abgrenzen. Aber schon im Motorenwerk, das LKW­ und Panzerpro­duzenten mit gleichartigen Aggregaten beliefert, wird jede Unterscheidung nach solchen physischen Kriterien unmöglich. Jeder dort ausgeführten Schraubenschlüsselumdrehung wäre ein positiv­konstruktiver Anteil neben einem negativ­-destruktivem zuzuschreiben. In den Stadien des Erzabbaus und der Verhüttung drängt das Verengen der Betrachtung auf den Geldaspekt die Endverwendung völlig aus dem Blickfeld. 'Abgerechnet, aus dem Sinn' ließe sich in Abwandlung eines bürgerlichen Sprichworts formulieren. In weniger krasser Form koexistieren Konstruktives und Destruktives in anderen Einzelarbeiten. Werbung kann 'konstruktiv'­-notwendig sein, soweit dadurch Existenz und Eigenschaften eines Produkts bekannt werden. Sie ist gesamtwirtschaftlich und damit wertseitig 'destruktiv'­-nutzlos, soweit sie dazu dient, zugunsten des einen Herstellers andere aus dem Feld zu schlagen. Dieser Teil trägt weder zur Menge noch zur Nutzbarkeit des Produkts etwas bei. Wie bei der Unterscheidung des variablen und konstanten Kapitals ist der Endzweck einer Arbeit bzw. eines 'Produkts' analytisch zu erfassen. Zweitrangig sind die konkrete Art der Arbeit und die physischen Produkteigenschaften.

 

Das Beispiel 'Werbung' führt in den kapitalistischen Verteilungskampf um – letztlich – den Mehrwert. Dieser muss auf der Geldebene geführt werden, denn physisch fällt End­produkt und damit dessen Anteil M stets beim letzten Hersteller in einer Produktionskette an. Dieser kann sich nur dann anderer Bestandteile des Endprodukts bemächtigen (und ein Zwischenprodukthersteller sich überhaupt eines Teils der Endprodukte bemächtigen), wenn sein Ausstoß höher vergütet wird als seine Inputs. Diese Differenz der Tauschwerte ermöglicht, gewünschte andere Endprodukte über den Markt zu beschaffen. Dort spielt die physische Form des eigenen Produkts keine Rolle mehr. Die Realisierung, d.h. Verwand­lung in Geld, stellt Kriegführungsarbeit auf eine Stufe mit Wiederaufbauarbeit. Der Konkur­renzkampf um die Mehrwertanteile alias Einzelrendite(n) hat eine physische und geldliche Seite, die sich in der Realität mischen, im Modell aber in reiner Form dargestellt werden können. Die eine Form schlägt Hersteller aus dem Feld, die gleichartige Ware wie die eigene oder zumindest eine dagegen austauschbare anbieten. Sie findet statt, wenn LKW­ und/oder Panzerwerk den Motorentyp wählen, oder Speditionen den LKW­-Typ. Oder wenn Landwirte Pferd gegen Traktor abwägen. Gäbe es kein konstantes Kapital, wäre dies die einzig mögliche Form der Konkurrenz. Sie wird von Ökonomen gern behandelt, da Erfolg in dieser Form von Konkurrenz mit positiv denkbaren physischen Produkteigenschaften verbunden werden kann, im Motorenbeispiel etwa mit 'niedrigem Kraftstoffverbrauch', und ebenso mit Ausweitungen der Lohnarbeit alias (Mehr-­)Wertproduktion. Nach Möglichkeit nicht zur Kenntnis nimmt die Ökonomie rein geldliche Formen des Kampfs um Mehrwert­ anteile, nämlich (vgl. Abschnitt 7[15]), den Kampf um die Preise der Güter des konstanten Ka­pitals. Veränderung des Motoren­, Stahl­ oder Erzpreises verschiebt ebenfalls Mehrwert, nun aber innerhalb einer Produktionskette zwischen denen, die sie ausführen. Verände­rungen auf physischer oder Arbeitsebene sind für Erfolge in dieser Form der Konkurrenz nicht zwingend notwendig, weshalb sie sich nur mit zusätzlichen Annahmen als 'für alle positiv' darstellen lässt. Noch schlimmer: sie trägt ein gesellschaftlich destruktives Element ein, indem sie endlosen Kampf um Geld zwischen Subjekten auslöst, die auf der phy­ sischen Ebene kooperieren müssen. Kein Wunder, dass Ökonomen diese Form gern unter den Tisch kehren; am besten gelingt es, wenn man schon den Begriff und die Formen des konstanten Kapitals aus der Betrachtung heraushält.

 

Der Handel mit c­-Gütern senkt so nicht nur die Profitrate, sondern er beginnt auch den klassischen Wertbegriff in dem Sinn aufzulösen, dass er entgegen harmonisierenden öko­nomischen Theorien die Widersprüche zwischen seinen Komponenten (Arbeit, Geld und Physisches) kontinuierlich verschärft. Angelegt ist dies schon im Doppelcharakter der (konkreten und abstrakten) Arbeit, d.h. im Begriff des variablen Kapitals. Im industriellen Kapitalismus erfolgt ein spezieller Schub durch das Wachsen der Bedeutung materieller Produktionsmittel. Auf deren quantitative Zunahme auf physischer (und ggf. Geld­-)Ebene möchte die Ökonomie gern das konstante Kapital reduzieren, um gemäß ihrem Apologie­ auftrag die gesellschaftlichen Dimensionen ausblenden zu können. Im Verlauf dieses Vor­ gangs verschwindet nicht Wert in dem Sinn, dass sich Anzahl oder Gesamtsumme der Zahlungen vermindern oder die geleisteten Arbeitsstunden weniger werden. Es löst sich vielmehr parallel zur Funktionsfähigkeit des Systems der klassisch-­positive Wertbegriff auf, quantitativ erkennbar an dem schon im Abschnitt 1[16] in solcher Weise thematisierten Verschwinden des Profits relativ zum Kapital, dem Maßstab aller Dinge im Kapitalismus. Es ist kein Zufall, dass diese Form des 'Verschwindens' des Werts parallel zum Wachsen der Geld'mengen' erfolgt. Arbeit wird weiter geleistet, aber zunehmend in Formen, deren Sinn­losigkeit Vorstellungen wie das 'Hamsterrad' hervorbrachten. Marketing, Lobbyismus und verwandtes zielen immer stärker darauf ab, individuellen Kapitalen Mehrwertanteile zu verschaffen, und immer weniger darauf, die Gesamtmasse des Mehrwerts zu steigern. Da dies auf der einzelwirtschaftlichen Ebene nicht erkennbar ist, dreht sich seit Jahrzehnten unter marxistischen Ökonomen eine Debatte im Kreis, die 'produktive' im Sinne wertbil­dender Arbeit von 'unproduktiver' nicht­wertbildender anhand physischer Produktformen statt anhand der Produktfunktion(en) unterscheiden will.

 

Das Finanzwesen treibt diese Auflösung des Wertbegriffs einen Schritt weiter, indem es aus seinen Geschäften das im klassischen Wertbegriff noch wesentliche Element der phy­sischen Ware (alias Gebrauchswert) entfernt. In Geschäften mit konstantem Kapital sind bereits individuelle Vorteile erreichbar, ohne Wareneigenschaften verändern (ökonomisch: 'verbessern') zu müssen, aber logisch notwendig bleibt die Existenz von Produktionsmit­teln bzw. Vorprodukten und damit ein Produktionsprozess. Das Finanzwesen verzichtet auf ihn und damit auf physische Ware. Kämpfen industrielle Kapitalisten unter anderem darum, an anderswo entstandene Mehrwertanteile zu gelangen, so befasst sich das Finanzwesen (fast) nur damit. Es ist schwer vorstellbar, wie sich die Auflösung des Wertbegriffs noch weiter treiben ließe. Noch schwerer verständlich ist, wie neben den Mainstreamökonomen auch marxistische noch in diesem Stadium des Kapitalismus dessen inneren Selbstzerstö­rungstrieb übersehen können. Während das reale System dabei ist, alle klassische Ware in den Hintergrund zu drängen, suchen Marxisten Begründungen, mit denen sich „Tuch“ und „Rock“ (Marx im Kapital Band I) über 'Dienstleistungen' erheben könnten.


Wenn das Finanzwesen bereits im industriellen Kapitalismus angelegte destruktive und widersprüchliche Elemente fortsetzt und steigert, sollte es möglich sein, die dortige Hand­ habung incl. Schöpfung von Geld, d.h. auch den Kredit, aus Elementen der klassischen Analyse des industriellen Kapitalismus zu entwickeln. Der Schlüssel ist die Funktion des Geldes als Zwangsmittel, die der auf S. 47[17] andiskutierte 'negative Kapitalismus' sichtbar machte. Ökonomen und Einzelsubjekte betrachten Geld positiv als Mittel zur Beschaffung benötigter oder auch nur nützlicher Güter, und ignorieren die in Marktbeziehungen enthal­tenen konfliktträchtigen Zwänge. Bereits die Lohnarbeiter können ihre als V dargestellten Bedürfnisse nur befriedigen, wenn sie zugleich Kapitalen Anteile an M verschaffen, obwohl jedes M von V abgehen muss. Jedes Einzelkapital (und auf höherer Ebene jede Branche, Region, Nation...) ist gezwungen, andere bei der Aneignung von Mehrwert auszustechen, will es nicht irgendwann im endlosen Konkurrenzkampf auf der Strecke bleiben. Es trachtet daher danach, den Anteil V der Lohnarbeiter zu mindern, obwohl es auf deren Arbeit ange­wiesen ist, und es setzt sich in Widerspruch zu Kapitalen, auf die es als Zulieferer oder Abnehmer angewiesen ist. Aktuell leben sogar die längst überwunden geglaubten 'Wirt­schaftskriege' zwischen Nationen wieder auf, innerhalb der EU mit dem 'Brexit' und auf Weltebene zwischen den Großmächten USA und China.

 

Da Geld sowohl Kooperation als auch Konkurrenz vermittelt, kann Geldschöpfung nicht als Aktion von Einzelsubjekten erfolgen, egal ob als buchstäbliches Drucken von Scheinen oder als Einbuchen von Kontoständen aus eigener Machtvollkommenheit. Denn damit könnten die Betreffenden sich aus den negativen Zwängen des Verwertungssystems befreien. Lohnarbeiter würden nicht mehr arbeiten und Industriekapitalisten nicht mehr ver­werten, weder im Sinn von 'zur Arbeit antreiben' noch im Sinn von 'endlosem Wachstum nachjagen'. Geldschöpfung muss in Formen erfolgen, die Einzelsubjekte in so antagonis­tischer Weise zusammenspannen wie Lohnarbeit und Kapital: miteinander unvereinbare Elemente müssen sich in einem Zug (scheinbar positiv) gegenseitig antreiben und (un­verkennbar negativ) bekämpfen. Eine solche Form ist der Kreditvertrag: er ermöglicht es dem Kreditnehmer, als verwertender Kapitalist in den Gesamtprozess einzutreten, so wie der Lohn dem Lohnarbeiter mit dem Arbeiten das Existieren in diesem System ermöglicht. Aber der Kapitalist in spe muss per Zins dem Kreditgeber etwas abgeben, so wie Lohnarbeiter Kapitalisten Mehrwert verschaffen und damit u.a. Zinszahlungen ermöglichen müssen. Solche Beziehungen werden im Finanzwesen zu Pyramiden gestapelt, innerhalb derer jeder, vom Lohnarbeiter bis zur Großbank, seine Wohltaten gegenüber 'Partnern' zu minimieren, faktisch also die Pyramide schon während des Aufbaus wieder abzureißen versucht.[18] Den Aspekt, dass Kredite den Eintritt ins Kapitalistendasein ermöglichen, er­fassen Mankiw und Senf richtig. Aber was sie als Wachsen einer neutral gedachten, substanzartigen und nicht nach Funktionen differenzierten Geldmenge darstellen, ist das Wachsen des nach Verwertung suchenden Geld-­Kapitals und damit des innergesellschaft­lichen Aggressionspotentials.

 

Nicht nur schief, sondern völlig falsch ist die Vorstellung, eine private Bank könne ohne weiteres aus eigener Kraft Geld auf Kreditnehmerkonten buchen, da dies gleichbedeutend wäre mit ihrer Befreiung aus den Zwängen der Geldwirtschaft. Sie könnte dann ebenso gut Geld aus dem Nichts auf ein eigenes Konto buchen – oder auf das einer Tochtergesellschaft.[19] Soll vermieden werden, dass die Geldschöpfung jemand aus den Zwängen der Geldwirtschaft befreit, muss sie durch jemanden erfolgen, der bereits in sich diejenigen Widersprüche und Zwänge enthält, denen das gewöhnliche Marktsubjekt unterworfen ist. Mit der Suche nach einem Element außerhalb des Arbeit/Kapital­-Duopols hatte Luxem­burg die richtige Idee. Wie andere marxistische Ökonomen ignoriert sie allerdings einen Mitspieler bzw. übernimmt dessen eigene (apologisierende) Fehleinschätzung, sich außer­ halb des Marktes im Sinne von 'oberhalb' zu wähnen: den Staat. Schon seine marxistische Bezeichnung als 'ideeller Gesamtkapitalist' ist in mehrfacher Hinsicht verbogen, indem sie suggeriert, es gehe im Kapitalismus um Ideen, und es könne in diesem System ein schlüs­sig definierbares Gesamtinteresse geben. Schon im nächsten Schritt wirft man diese(s) Ideal(e) gewöhnlich über Bord, um den Staat primär als Gewaltapparat zu sehen. Ganz im Rahmen des Klassenkampfdenkens werden dann Wege gesucht, wie er sich in die Durch­ führung der Revolution einbinden lasse, statt ihn als eine Institution mit wesentlichen (auch ökonomischen!) Funktionen im Kapitalismus zu analysieren, in der sich die Widersprüche des Systems auf eine spezifische Art und Weise ausprägen und zusammenballen.

 

Das Gewaltmonopol erlaubt Staatsorganen wie einer Zentralbank, die faktischen wie legalistischen Probleme der Geldschöpfung zu umgehen. Es ist damit weder ein bösartiger Angriff auf den 'freien Markt' (die liberale Sicht), noch dient es primär der Unterdrückung der Lohnarbeiter durch die Kapitalisten (die marxistische Sicht). Es ist vielmehr funktional notwendig für eine Geldschöpfung auf systemverträgliche Art und Weise, wobei 'Art und Weise' sich nicht auf technische oder buchhalterische Aspekte bezieht, sondern auf die Gestaltung des Staates als ein scheinbar besonderes oder 'Hyper'subjekt. Er kommt auch keineswegs durch eine Initialzündung wie einen Gesellschaftsvertrag fertig in die Welt, sondern entwickelt sich parallel zum Verwertungssystem und dessen Bedürfnissen. Bedarf an einer staatlichen Zentralbank mit (fast) unbeschränkter Geldschöpfungsmacht gab es im frühen Kapitalismus noch nicht; demzufolge gab es auch diese Institution nicht. Sobald sie aber existiert und zur Umwandlung ordinären Papiers in 'Banknoten' befugt ist, kann sie auch aus jedem Nichts Guthaben herbei buchen, da dieser Akt gleichbedeutend mit der Einzahlung neu gedruckter Noten auf Konten ist. Die Direktbuchung ist lediglich im rein technischen Sinn effizienter. Dieselbe Fähigkeit erlaubt es ihr, beliebig wertlose 'Sicher­ heiten' der Geschäftsbanken beliebig hoch zu beleihen. Solche 'Sicherheiten' in Gestalt abenteuerlichster Titel in noch abenteuerlicherem Wertumfang wiederum gibt es erst, seit es Bedarf an laufender Geldschöpfung in abenteuerlichem Umfang gibt. Sollten sie im Fall des Falles unverwertbar sein, druckt die Zentralbank im aktuell nötigen Umfang 'Quittun­ gen' bzw. 'Noten' im Sinne Senfs oder Mankiws. Welche Langfristfolgen (ggf. incl. eines zukünftigen Kollaps) dies hat, ist unerheblich, da es schon lange nur noch darauf ankommt ('alternativlos' ist), kurzfristig drohende Formen des Kollaps abzuwehren. Schon kabarett­reif ist die routinemäßig wiederholte Prozedur, mit welcher der US­-Kongress das Staats­schuldenlimit anhebt, sobald das bestehende ausgeschöpft ist. Wann dieses Spiel aus ist, wird man daran sehen, dass (fast) niemand mehr Banknoten oder 'Zentralbankgeld' annimmt. Mit dem Geld würden Staaten und Zentralbanken wieder obsolet; in nicht unbedeutenden Teilen der Welt ist dieser Zustand bereits realisiert.


Damit ist zwar die erforderliche Geldschöpfung gesichert, nicht aber ausgeschlossen, dass sich 'der Staat' in Gestalt einer Clique von Funktionären verselbständigt und so vom Sonder­ oder 'Hyper'subjekt zum gewöhnlichen Subjekt mutiert[20], statt seine Funktion zu erfüllen, den universellen Kampfplatz 'Markt' aller gegen alle zu erhalten und als Teil dieser Aufgabe die laufende Realisierung des Mehrprodukts zu sichern. Die Besonderheiten der bürgerlichen Ordnung verhindern eine solche Verselbständigung zwar nicht immer, bisher aber hinreichend. Es beginnt mit der Existenz vieler Staaten (bei Adam Smith: „Nationen“), die einerseits konkurrieren (nicht zuletzt um Anerkennung ihrer Währung), und andrerseits in zahllose (wiederum miteinander konkurrierende) Kooperationen eingebunden sind.

In­nerhalb derer darf wieder konkurriert werden, solange es nicht die notwendige Kooperation nach außen untergräbt. Damit lassen sich ökonomische Zusammenbrüche ebenso ein­ grenzen wie politische 'Entartungen' des Typs, der sich mit Personen wie Adolf Hitler oder Josef Stalin verbindet. Der Staat selbst ist gespalten in Judikative, Exekutive und Legislative. Letztere ist Schauplatz einer Konkurrenz aller 'Staats(!)bürger', die durch die parla­mentarische Form sowohl ermöglicht als auch kanalisiert wird. Innerhalb der Exekutive betreiben 'Wirtschaftsminister' eine 'Wirtschaftspolitik', die nach reiner bürgerlicher Lehre unmöglich ist, da die zwei Komponenten dieser Wörter sich gegenseitig ausschließen Und last not least tritt der Staat nicht nur in Gestalt der Notenbank als Geldschöpfer und „lender of last resort“ auf, sondern in Gestalt der Exekutive zugleich als Kreditnehmer. Dies vereint quasi Verkäufer und Käufer in einer Person und betoniert die Widersprüchlichkeit des Kapitalismus fest in das Fundament des Staatsgebäudes ein. Bei Individuen spräche man von 'Schizophrenie'; auf Ebene der Nation wird sie verschleiert, indem zwischen den Geld­drucker bzw. -­geber 'Staat' und den Geld-­ bzw. Kreditnehmer 'Staat' das Kreditgeschäft privater Banken tritt, denen via Zinsdifferenz dafür ein Anteil am Gesamtmehrwert zufällt.

 

Der Staatskredit entwickelte sich parallel zum Aufstieg des Finanzwesens. Sein rasan­tes Wachsen seit Mitte des 20. Jhdt. und die damit verbundene zunehmende Bedeutung im Gesamtverwertungsprozess gehören zu den auffälligsten Erscheinungen des neueren Kapitalismus. Seine ökonomische Funktion kommt ans Licht, sobald man ihn von der alter­ nativen Staatsfinanzierung durch Besteuerung abgrenzt. Deren Wirkung wurde bereits andiskutiert: Besteuerung der Lohnarbeiter erhält zwar den Gesamtprofit, lenkt aber Nachfrage nur physisch um statt ihren Gesamtumfang (in Tauschwert) zu steigern. Sie hilft deshalb nicht bei der Realisierung des M-­Anteils im Endprodukt V+M. Besteuerung der Kapitale bewirkt, dass zur Konsumgüternachfrage V eine Staatsnachfrage S hinzutritt, die aber den Gesamtprofit um dasselbe S mindert. Soll alles über V hinausgehende Endpro­dukt auf diese Weise realisiert werden, muss S den Umfang Neuwert–V annehmen, was den Gesamtprofit auf 'null' senkt. Nimmt der Staat jedoch einen Betrag S frisch geschöpf­ten Geldes als Kredit auf, kann er damit im Umfang S Endprodukt realisieren, ohne dass der (buchmäßige!)[21] Gesamtprofit gemindert wird. Prinzipiell in gleicher Weise wirken Konsumentenkredite, nur ist deren Gesamtumfang begrenzt durch Anzahl und Kreditwür­digkeit der lohnarbeitspflichtigen (statt gelddruckbefugten) 'Konsumenten'. Beides bringt die im Marxismus so hochgehaltene Identität zwischen der Arbeit und den Ansprüchen auf ihre Resultate (Geld alias nackter Tauschwert) aus der Balance. Welchen genauen Weg geschöpftes Geld und damit realisiertes Mehrprodukt nehmen, ist dabei egal.[22] Es kommt noch nicht einmal darauf an, dass sämtliches Mehrprodukt realisiert wird. Es genügt, so viel zu realisieren, dass nach Abwicklung aller dazu notwendigen Käufe und Verkäufe im aktuellen(!) Preissystem bei (fast) jedem Einzelkapital ein Geldüberschuss oder Profit an­ fällt.[23] Daran arbeitet immer härter und erfolgloser eine bürgerliche 'Wirtschaftspolitik'.

 

Vernebelt wird dieser einfache Sachverhalt dadurch, dass den Einzelkapitalen und den auf einzelwirtschaftlicher Ebene analysierenden Ökonomen zwei Formwandel des Mehr­ werts ins Auge springen: erst wandelt sich physische Ware in Gestalt eigenen (konkreten) Arbeitsprodukts in eine der vielen Geldformen, und dann diese Geldform in andere konkre­te Ware, im Idealfall in eine solche, die zu den eigenen Zukunftsplänen passt. Dieser von Marx als w→g→w' zusammengefasste zweifache Formwandel auf einzelwirtschaftlicher Ebene verdeckt den Fakt, dass die Geldoperation 'Realisierung' (noch) keinen Formwan­ del auf gesamtwirtschaftlicher Ebene beinhaltet. Dort tritt ein solcher erst ein, sobald die Endprodukte nach (im logischen Sinn) ihrer Realisierung verwendet werden, egal ob für Luxuskonsum (incl. Verschwendung) oder für Investition. Gerade an dieser Stelle darf die Geldebene nicht mit der physischen oder Arbeitsebene durcheinander geworfen werden, denn das Mehrprodukt ist auf allen Ebenen etwas Neues, kann also das Gesamtsystem in allen seinen Quantitäten verändern, was im Regelfall auch Qualitäten verändert. Solche Vorgänge sprengen jedes stationäre oder Gleichgewichtsmodell, so dass eine vollständige (im Sinne von: über die Geldebene hinausgehende) Behandlung ständig neue Modifikatio­nen am Modell benötigt, deren Typ aber aus ihm nicht ableitbar ist, da das dem Mehrwert zugrundeliegende Mehrprodukt per def. nicht (als Kapital V+C) im laufenden Produk­ tionsprozess fungiert. Sein Zutritt wird ihn im Regelfall also in nicht vorhersagbarer Weise verändern, egal was subjektiv damit bezweckt wird.

 

Der Geldschöpfungs-­ und Realisierungsprozess als solcher bewirkt zunächst nur, dass sich die Menge des in Umlauf befindlichen Geldes vermehrt. Dessen Vermehrung bringt auf der Geldebene zum Ausdruck, dass Mehrprodukt und Mehrwert etwas Neues in dem Sinn darstellen, daß sie nicht dem (in stationären Modellen perfekt) schließbaren Kreislauf von V und C angehören, sondern von außen durch unbezahlte Arbeit hinzugefügt werden. Nur deswegen muss parallel zur Wert-­Schöpfung eine Schöpfung von Geld erfolgen, mit dessen Hilfe die Einfügung vorgenommen wird. Das an dieser Stelle eingebürgerte halb­ religiöse Vokabular demonstriert die Probleme des bürgerlichen Verstands mit Vorgängen, die das Ideal des Äquivalententauschs verletzen. Tatsächlich beschränkt sich bisher die Analyse des Realisierungsprozesses auf die Feststellung, dass aus dem einen Nichts (der unbezahlten Arbeit) 'neue' physische Menge (das Mehrprodukt) erscheint, und sich gegen das einem anderen Nichts entsprungene 'neue' Geld tauscht. Zu untersuchen sind jetzt die Optionen zum Umgang mit den 'neuen' Elementen und davon ausgehende Wirkungen.


Am einfachsten zu behandeln ist die geldliche Seite. Die Schöpfung eines Geldbetrags ΔG vermehrt das Geldkapital und damit das Gesamtkapital K um ΔG, also von K auf K+ΔG. Die negative Wirkung dieses Vorgangs auf die Profitrate kann auf der Ebene des (absoluten) Arbeitswerts nicht mehr kompensiert werden, sobald alle verfügbare Arbeits­kraft in die Lohnarbeit einbezogen ist. Auf der Ebene des (relativen) Tauschwerts jedoch könnte sie selbst dann noch kompensiert werden durch die auf dieser (und nur auf dieser) Ebene mögliche Inflation. Verdoppelung der Tauschwerte aller[24] Waren ließe innerhalb des laufenden Zyklus alle Preisrelationen und damit Einzelrenditen unverändert, aber der Tauschwert neuen Mehrprodukts würde verdoppelt gegenüber dem bereits akkumulierten Bestand an Geldkapital, letzteres damit 'entwertet'. Problematisch ist dies, weil Geld nicht nur als Marktregulator fungiert, sondern auch als Hebel zur Machtausübung. Wie alle Geldoperationen nützt Inflation dem einen und schadet dem anderen, hier den etablierten Geldbesitzern. Im Verlauf des 20. Jhdts. gab es daher parallel zu mehreren realen Inflations­ schüben neben Debatten über Inflation auch Versuche zu ihrer Regulierung, sowohl im Sinn von Förderung (aktuell ein Hauptanliegen der Zentralbanken) als auch von Dämpfung. Grundproblem jeder Regulierung von Inflation ist, dass Preisveränderungen der M­ Güter auf den Umfang der notwendigen Geldschöpfung wirken, und dies an vielen Stellen; kritisch ist neben der Gesamtgröße ΔG der geschöpften Geldmenge damit auch ihr Zu­ fluss zu den Einzelkapitalen. Abstrakt lässt sich die 'richtige Größe' leicht angeben: die Geldschöpfung ΔG in einer Periode sollte gleich dem Tauschwert des in dieser Zeit entste­ henden Mehrprodukts in aktuellen Preisen sein. Aber schon die Ermittlung dieser Zahl ist ein kaum lösbares Problem, sobald sich das Preissystem verändert. Noch schwieriger ist das Herbeiführen der 'richtigen' Verteilung.

 

'Keynesianische' Ansätze rennen sich sowohl an diesen Problemen fest als auch an den (geldbasierten) Machtstrukturen. Teil der letzteren ist eine zunehmende Verschuldung der Konsumenten alias Lohnarbeiter, am weitesten fortgeschritten in der Führungsmacht des heutigen Kapitalismus, den USA. Theoretische Ökonomie unterscheidet Kredite nicht an­ hand des Kriteriums, wer sie an wen ausreicht. Ignoriert wird bereits der empirische Fakt, dass für 'dasselbe Geld' unterschiedlicher Zins bezahlt wird, je nachdem ob Sparer es bei einer Bank einlegen, oder diese Bank es an andere Konsumenten ausleiht. Bürgerliche Theorie muss dies ignorieren, weil es einer der Wege ist, auf dem Banken sich Mehrwert aneignen, also etwas tun, das der Tauschideologie widerspricht. Noch gravierender ist ein anderer ökonomischer Inhalt, der damit verdeckt wird: Zins auf Spareinlagen bzw. Konsu­mentenkredite erhöht bzw. senkt die Kaufkraft der Lohnarbeiter und vergrößert bzw. ver­mindert so deren Anteil V am Endprodukt. Dies vermindert bzw. vergrößert den Teil M und senkt bzw. erhöht den Gesamtprofit. Kreditgeschäfte zwischen Kapitalen, egal ob Finanz­ oder Industriekapitale, verteilen dagegen nur Mehrwert und sind wirkungslos für den

Ge­samtgewinn. Sie wirken auf den Gesamtgewinn und die Gesamtprofitrate wie ein Wachsen des konstanten Kapitals C infolge Aufspaltung von Produktionsprozessen. Die Kreditge­schäfte zwischen Kapitalen und Staat (incl. Zentralbank) tragen stets zum (Geld­) Kapital bei; am klarsten sichtbar wird dies, wenn die Notenbank der Geschäftsbank einen niedrig verzinsten Kredit gewährt, und diese das Geld höher verzinst der Exekutive leiht. Ob ein solches Geschäft zum Gesamtgewinn beiträgt, hängt davon ab, wie sich der Staat das für die Zahlung der Zins(differenz)en nötige Geld beschafft, und wie dies die Aufteilung des Neuwerts in seine zwei Komponenten V und M beeinflusst.

 

Von der Geldseite des Akkumulationsprozesses sind die physische und Arbeitsebene abzutrennen, über die sich wesentlich weniger allgemeines aussagen lässt. Solange ge­samtwirtschaftlich Mehrwert erzeugt und realisiert wird, muss zwar physisch[25] fassbares Mehrprodukt vorhanden sein und verkauft werden. Für seine Verwendung bestehen aber diverse Optionen. Gemäß seiner Abgrenzung gegenüber V und C kann es eine der zwei Funktionen 'Luxuskonsum' und 'zukünftiges Kapital' erfüllen. Die erste Option unterschei­det sich von der zweiten dadurch, dass am Produktionsapparat nichts verändert wird, und sollte daher nicht allzu schwierig zu behandeln sein. Die Analyse wird jedoch verkompli­ziert durch das Klassenkampfdenken, das physischer, Geld­ und Arbeitsebene eine sozio­logische Ebene hinzufügt. Der erste Wortteil im Wort 'Luxuskonsum' wird wie der zweite in 'Geldkapital' soziologisch als 'übermäßiger privater Reichtum' verstanden bzw. damit assoziiert. Der ökonomische Begriff des 'Mehrprodukts' beinhaltet aber nur, dass diese Warenmenge keine der Funktionen V oder C im laufenden Produktionsprozess erfüllt. Der investierte Teil füllt zumindest in Zukunft eine dieser Funktionen aus; Luxuskonsum ist derjenige Teil, der auch zukünftig nicht in sie eingehen wird. An diesen Kriterien ist die Beurteilung auszurichten, was als 'Luxuskonsum' gelten soll, wobei diese Beurteilung auf physischer Ebene anders ausfallen kann als auf der Geldebene. Betrachten wir beispielhaft ein Großprojekt wie den Bau eines mit 4 Mrd. kalkulierten Flughafens oder Bahnhofs. Im ersten Fall werden während der Errichtung des Baus soviele Fehler gemacht, gefunden und korrigiert, dass die Bauzeit sich um 4 Jahre verlängert, und die Nacharbeiten den von den beteiligten Firmen erwarteten Gewinn in Höhe von 1Mrd. auffressen. Im zweiten Fall wird der Bau termingerecht mit 4 Mrd. abgerechnet und wie geplant Gewinn in Höhe von 1 Mrd. realisiert. Dann erst werden die Fehler gefunden und andere Firmen 4 Jahre lang mit ihrer Beseitigung beauftragt. Diese rechnen Insgesamt eine Milliarde ab, eingeschlossen ein üblicher Gewinn von 0.25 Mrd. Alles Physische, vom Materialverbrauch über die Zahl Arbeitsstunden der Reparaturhandwerker bis zum Endzustand (d.h. Funktion) des Baus und damit der gesamtwirtschaftlich geschaffene Wert können in beiden Fällen identisch sein, obwohl sich die Geldumläufe und damit die Verteilung unterscheiden. Im zweiten Fall erzielen die Bau­ und Reparaturfirmen insgesamt 1.25 Mrd. Gewinn, wofür Geld zu schöp­fen ist; im ersten Fall entfällt beides. Der im zweiten Fall von den am Bau tätigen Firmen angeeignete Mehrwert geht auf irgendeine Weise anderen ab, z.B. solchen, die der Staat besteuert, um die Mehrkosten aufzufangen. Andere könnten davon betroffen sein, dass die veränderten Geldflüsse das Preissystem modifizieren, oder davon, dass der Staat statt einer Steuererhöhung andere Projekte streicht. Stets gibt es Nutznießer und Benachtei­ligte; ob etwas den Gesamtgewinn und damit die notwendige Geldschöpfung steigert oder mindert, hängt davon ab, zu welchem Anteil Kapitale auf finanzieller Ebene Nutznießer bzw. Benachteiligte sind. Die exakte Berechnung aller möglichen Folgen und insbes. ihrer Wirkung auf die Gesamtrendite wird der quantitativen Ökonomie überlassen.

 

Das analytische Abtrennen der physischen und der Arbeitsebene von der geldlichen Ebene ist der einzige Weg, sich zumindest teilweise aus der im Warensystem und seiner Rechtfertigungsideologie 'Politische Ökonomie' betriebenen Reduktion alles Gesellschaft­lichen zu befreien. Damit kommt zumindest ein Teil der Vielfalt der realen Welt wieder zum Vorschein. Erschöpfend ist die Hinzuziehung der Arbeit und der physischen Produkteigen­ schaften selbstverständlich nicht. 'Politische Ökonomie' erfüllt nicht nur den Zweck einer Rechtfertigung des Warensystems, sondern wurde (u.a. vom Marxismus aber nicht nur von diesem) auch zur Rechtfertigung der ihm immanenten allgegenwärtigen Verteilungs­kämpfe genutzt. Dies fügt weitere soziologische Ebenen hinzu, die ebenfalls analytisch von der geldlichen Ebene abzutrennen sind. Es wird im folgenden an einem Beispiel kurz ausgeführt, nicht um dieses Thema erschöpfend zu behandeln, sondern um Fallstricke deutlich zu machen, die an dieser Stelle lauern. Für eine exemplarische Behandlung eignet sich insbes. die in aktuellen Debatten sehr präsente Charaktermaske des hochbe­zahlten Managers. Nach seiner gesellschaftlichen Stellung, nach seiner Lebensweise und hinsichtlich des von ihm erwarteten Verhaltens ist er den 'Kapitalisten' zuzuordnen.


Probleme macht vielen Marxisten dann aber die Entdeckung, dass er formal einen ('Gehalt' genannten) Lohn bezieht, was häufig die Diskussion auf die Frage lenkt, bei welcher Gehaltshöhe die Grenze zwischen 'echter Lohnarbeit' und 'Kapitalfunktion' zu ziehen sei. Ähnliche Verläufe nehmen nicht wenige Diskussionen über das 'Kleinbürgertum'. Solchen Verirrungen liegt zugrunde, dass bereits die Charaktermasken des 'Kapitalisten' und des 'Lohnarbeiters' falsch verstanden sind, nämlich als zu suchende reale Personen statt als personifizierte Darstellungen zweier wesentlicher Teile des Gesamtverwertungsprozesses: der Produktion des (Mehr­-)Werts durch Arbeit und der (Mehr­-)Wertaneignung über Geld­geschäfte. Eine konkrete Personen suchende Analyse entgleist unvermeidlich, sobald sie auf Vorgänge bzw. Personen trifft, in denen beides sich mischt.

 

Einen kleinen Schritt zur Ersetzung des phänomenologischen Herangehens durch ein analytisches geht die soziologische Einstufung des Managements als 'Kapitalfunktionäre' dennoch. Wir setzen dies fort auf der Geldebene, beginnend mit der Vergütungshöhe. Diese regelt die Wohlstandsverteilung zwischen Management und Aktionären, die logisch der Verteilung zwischen 'Arbeit' und 'Kapital' folgt, also nicht damit zu vermischen ist. Egal ist auf der soziologischen Ebene, ob ein Teil P als Prämie (d.h. Gewinnbeteiligung) gezahlt wird oder als reguläres Gehalt. Ebenso egal ist dies für den Umfang der Geldschöpfung, denn hier kommt es nur darauf an, ob der Betrag zwischen Warensubjekten zyklisch im Kreis läuft, was sowohl auf den Gehaltsteil als auch auf eine Prämie zutrifft. Auch Manager können wie Lohnarbeiter aus ihrem Einkommen nur von Kapitalen produzierte Ware kau­fen; dass sie andere kaufen als Lohnarbeiter, ist auf der Geldebene egal. Nicht egal ist die Prämienform jedoch für die Höhe des von der Firma ausgewiesenen Gewinns. Er steigt um P, wenn der Betrag erst nach Feststellung des Gewinns als Teil desselben gezahlt ('verwendet') wird statt vor Feststellung des Gewinns als ein davon abgehendes Gehalt. Eine so herbeigeführte Erhöhung des Gewinns hilft beim Nachweis der Kreditwürdigkeit. Für die Geldschöpfung ist sie neutral, da Prämie wie Gehalt irgendwo zu Kaufkraft für Endprodukt werden. Steuerlich ist sie schädlich, denn der Manager versteuert in beiden Fällen den Betrag P als Teil seines Einkommens, die Besteuerung der Firma aber variiert mit der Höhe des von ihr ausgewiesenen Gewinns. Die Firma kann und muss an dieser Stelle wählen. Der nur Einzelbilanzen auswertende Ökonom wird abhängig von ihrer Wahl verschiedene Renditen ermitteln. Ist er Marxist, wird er früher oder später einen Wider­ spruch zwischen seinen Gewinnzahlen und den von allen angeführten Optionen unbeein­ flussten Arbeitsstunden finden, und über 'das Wertgesetz' zu sinnieren beginnen. Leichter hat es der Mainstreamökonom: gibt sein aktuelles Modell keine publizierbare Erkenntnis mehr her, dann sucht er sich halt ein anderes.

 

Physische Wirkungen des Mehrprodukts sind anhand seiner Verwendung zu analysie­ren. Eine zumindest logisch immer mögliche Verwendung ist das Verprassen, nicht nur durch Kapitalisten und Manager, sondern auch durch so postenwütige wie unfähige (und häufig korrupte) Politiker. Man kann dies moralisch geißeln; relevant für den Fortgang der Verwertung ist aber nur, dass diese Form der Endproduktverwendung den Produktions­ apparat unverändert lässt, da sie die betreffenden Produkte physisch vollständig aus dem Gesamtprozess entfernt. Diese Form ist deshalb am einfachsten zu modellieren. Wird alles Mehrprodukt für Luxuskonsum verwendet, erzeugt der nächste Zyklus bei gleichen Arbeitsabläufen denselben Gesamtmehrwert und bei gleichen Preisen denselben Gesamt­profit. Variables und konstantes Kapital können sich bei Abwesenheit von Investition nicht vermehren, wohl aber vermehrt die Geldschöpfung zur Realisierung der Luxusgüter das Geldkapital um einen Betrag ΔG. Die aktuelle Gesamtprofitrate M/Kapital sinkt dadurch im Folgezyklus auf M/(Kapital+ΔG).


Wirkungslos auf den Trend des Gesamtgewinns (nicht aber des Gesamtkapitals!) sind alle Vorgänge, die Waren von 'Investition' im Sinne der Modifizierung (nicht zwingend 'Er­weiterung'!) des Produktionsapparats fernhalten. Dazu gehören fehlgeschlagene privat­wirtschaftliche Projekte ebenso wie alle staatliche Verschwendung mittels nutzloser oder abgebrochener Großprojekte, Rüstung, privater Verschwendung durch Staatsfunktionäre, Korruption und Filz. Relevant für den Gesamtgewinn und damit die Gesamtrendite ist aber, ob die 'Destruktion' im Verlauf eines Verwertungsprozesses erfolgt oder erst nach dessen Abschluss, d.h. nach Kristallisation der geleisteten Arbeit in Endprodukt und dessen erfolg­ reichem Verkauf. Im zweiten Fall erscheinen auf der Geldebene Warenmengen als Teil des Mehrwerts, die im ersten Fall als Verbrauchsmaterial (Kapital) zirkulieren. Als Beispiel für den ersten Fall kennen Ökonomen nur den Lohn bzw. die Lohngüter.[26] Im Beispiel des obigen vermurksten Großbaus fällt auf physischer(!) Ebene aber auch die Gesamtheit der für Nacharbeiten nötigen Kapitalgüter darunter, egal ob eine Reparatur vor oder nach der Abrechnung erfolgt, was auf der Geldebene nicht egal ist. Der (wertmäßige) Gesamtum­ fang solcher Vorgänge bzw. Waren dürfte den der weltweit verbrauchten Konsumgüter längst um ein Vielfaches übersteigen. Die Einstufung irgendeiner Warenmenge als Kapital, Mehrprodukt, Investition oder 'Luxus'konsum (oder nicht) hat immer analytisch anhand ihrer Funktion und Zirkulation zu erfolgen, nicht anhand von Warensorten, juristischen Strukturen oder gar Feindbildern.[27]


Alternativ zur Verwendung als 'Luxuskonsum' ist die Verwendung des Mehrprodukts für 'Investition', d.h. als zukünftiges Kapital. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen dessen zwei Formen, dem variablen und dem konstanten. Theoretisch kann ersteres ohne zweite­res auftreten, real aber nicht, da so agierende Einzelkapitale hinter den Stand der Produk­ tivkräfte zurückfielen und durch die Konkurrenz eliminiert würden. Die Analyse lässt sich deshalb nicht sinnvoll mit diesem Grenzfall fortsetzen; es ist nicht vermeidbar, beide Kapi­talformen nebeneinander erscheinen zu lassen. Es gibt aber einen aufschlussreichen und weniger unrealistischen anderen Grenzfall, dessen Wirkung auf die Profitrate eindeutig ist: das Mehrprodukt M bestehe gänzlich aus bereits genutzten Lohn­ und Kapitalgütern[28] und sei physisch gleich zusammengesetzt wie das vorhandene Kapital V+C. Bei vollständiger Investition dieses M hätten sich dann im nächsten Zyklus auf jeder Ebene die absoluten Größen (physische Mengen, Zahlungen, Arbeit(skraft)) um irgendeinen aber denselben Faktor vergrößert, was ihre Relationen unverändert ließe, darunter die Profitrate. Realisiert würde so das in Abschnitt 3 andiskutierte 'extensive Wachstum'. Denkbar ist es, solange es noch in die Lohnarbeit einbeziehbare Schichten und Regionen gibt. Der Realität kann es desto näher(!) kommen, je geringer noch die Ausschöpfung der Arbeitskraft ist, und je mehr deshalb Einzelkapitale gegen „nichtkapitalistische Schichten“ konkurrieren und in ein „nichtkapitalistisches Umfeld“ expandieren können statt ihresgleichen verdrängen zu müs­ sen. Die Beschreibung passt auf den schnell wachsenden frühindustriellen Kapitalismus. Nicht zufällig begann in dieser Phase das Theoretisieren über eine als dauerhaft gedachte Einheitsprofitrate. Die allgemeine Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise und das damit verbundene Verschwinden der „Gesellschaftsschichten oder Gesellschaften, die selbst nicht kapitalistisch produzieren“ (Luxemburg) machte diese Denkfigur schrittweise obsolet. Objektiv obsolet schließt allerdings nicht aus, dass apologetische Ökonomie in der Gestalt des Neoricardianismus sie neu aufwärmt – statt sie fallenzulassen.


Die Vorstellungen, das gesamte Mehrprodukt werde vergeudet oder zu Wachstum unter Erhaltung aller bestehenden Proportionen eingesetzt, sind Denkfiguren, die sich in reiner Form nicht verwirklichen. Real präsent sind sie nur als Elemente des Gesamtprozesses, Verschwendung dauerhaft und extensives Wachstum so lange, bis das System an die Grenze der ihm möglichen Ausschöpfung der Arbeitskraft stößt. Nützlich für die Analyse sind sie trotzdem. Der Grenzfall der vollständigen Verschwendung von M zeigt, dass selbst ohne Akkumulation konstanten Kapitals das Gesamtkapital K=V+C+G durch Wachstum seiner Geldkomponente G anwächst, nur infolge der Geldschöpfung für die Realisierung von M. Selbst wenn nur ein Teil von M verschwendet wird, entsteht Druck auf die Profitra­te, egal was genau mit diesem Teil geschieht. Diese neue Begründung des Profitratenfalls benötigt nur den realistischen Einbau von Profit als realisierten Mehrwert ins Modell. Sie benötigt weder Funktionsprinzipien des industriellen Kapitalismus (wie das Wachsen der organischen Zusammensetzung) noch drumherum entstandene Idealisierungen (wie end­los wachsender Ausstoß von Gütern). Sie kommt ohne irgendeinen Bezug auf irgendeine konkrete Entwicklungsphase des Systems aus, weil sie vollständig auf der Geldebene und innerhalb des kapitalistischen Selbstzwecks G→G'=(1+R)∙G bleibt: nach n Zyklen mit Min­destrendite R hat sich das Geldkapital um mindestens den Faktor (1+R)n vermehrt. Bleibt die Rendite dauerhaft bei R oder höher, lässt allein dieser Beitrag des Geldkapitals das Gesamtkapital exponentiell ins Unendliche wachsen. Die dauerhafte Erzielung einer Min­destrendite setzt sich allein dadurch in Widerspruch zu sich selbst, unabhängig von ihrem Zahlenwert, und die aus dem industriellen Kapitalismus stammende Vorstellung wachsen­ der Maschinenbestände wird in der Begründung des Profitratenfalls entbehrlich. Dieser Schritt über die ökonomische Klassik hinaus ist schon aus rein empirischen Gründen nötig, da die Mehrwertaneignung sich real zunehmend in das Finanzwesen verlagert. Er ist aber auch aus dem rein theoretischen Grund nötig, dass die klassischen Begriffe des variablen und des konstanten Kapitals auf der Geldebene ihre quantitative Bestimmtheit verlieren. Die formale Ähnlichkeit zwischen den Wirkungen des konstanten und des Geldkapitals, die Abschnitt 8[29] anhand der modifizierten Profitratenformeln (8.1)-­(8.3) vorführte, darf deshalb nicht als inhaltliche Identität aufgefasst werden.

 

Der Grenzfall extensiven Wachstums scheint den Profitratenfall umgehen zu können. Er nutzt dafür allerdings ein Element, das in Abschnitt 2[30] als unrealistisch erkannt wurde: die Vorstellung einer dauerhaften Proportionalität zwischen allen Kenngrößen (egal in welchen Einheiten) unterstellt, dass parallel zum Gesamtkapital die Gesamtarbeit ins Unendliche wächst. Die Wirkung des realistischen Elements 'Kapitalwachstum' wird kompensiert durch das unrealistische Element 'unbegrenztes Wachstum der Arbeit'. Dennoch haben die (hypothetischen!) Fälle der vollständigen M­-Verschwendung und des extensiven Wachs­tums eine Gemeinsamkeit. Sie besteht nicht in einer Nähe zur Realität, sondern in ihrer Nähe zur ökonomischen Denkfigur der 'Stationarität' im Sinne Pasinettis. Im Fall der vollständigem M­Vergeudung ist diese Nähe offensichtlich: es ändert sich dann nichts am Produktionsapparat und damit auch nicht die Relation zwischen M und dem industriellen Kapital. Im Fall extensiven Wachstums, in dem das Mehrprodukt physisch exakt so zusam­mengesetzt ist wie das vorhandene Kapital, und exakt in diesen Proportionen investiert wird, wachsen zwar alle klassischen Absolutgrößen (C, V und M), aber alle um denselben Faktor, was ihre Relationen unverändert lässt. Nur diese Relationen sind aber relevant in tauschwertbasierten Modellen, wie Unterabschnitt 5.2 zeigte. Dieser Relativismus der Preisrechnung macht beide Grenzfälle für bürgerliche Ökonomen ununterscheidbar, im Neoricardianismus direkt erkennbar daran, dass sich dort mit undefinierten Einheiten operieren lässt. Im Marxismus bleiben beide Fälle unterscheidbar, solange der Arbeitswert als Absolutum und der Tauschwert als Relativum behandelt wird, und daraus entstehende quantitative Widersprüche als Widerspiegelung innerer Widersprüche des Systems gedeu­tet werden statt als Mangel der Theorie. Die zwei Fälle werden ununterscheidbar, sobald man Arbeits­ und Tauschwertbegriff durch Unterstellung quantitativ strenger Proportiona­lität vermengt und damit die Widersprüche des realen Systems in die Theorie hereinholt.

 

Der Grundsatz der 'konstanten Proportionen' ist aber unverträglich mit jedem Versuch, eine realistische Behandlung der Profitratentendenz unter Einbezug der Geldebene zu entwickeln. Denn die Geldschöpfung zur Mehrwertrealisierung modifiziert selbst in der Vergeudungswirtschaft laufend alle Proportionen zwischen geldlichen und industriellen Kenngrößen. Statt wie die Ökonomen 'die' idealen Proportionen zu suchen, hat man zu prüfen, was geschieht, wenn Akkumulation die bestehenden Proportionen (egal welche) verändert – und damit Qualitäten des Systems.


 


Literatur

 

Knut Hüller, Kapital als Fiktion, Hamburg 2015


Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Buchhandlung Vorwärts, Berlin 1913, hier zitiert nach http://www.mlwerke.de/lu/lu05/lu05_005.htm


N. Gregory Mankiw, Macroeconomics, New York 2003


Bernd Senf, Der Tanz um den Gewinn, Kiel 2004

Endnoten


[1] Kapitel 6 des Buches („Genese konstanten Kapitals aus Arbeitsteilung“), S. 107ff.

[2] Kapitel 3 des Buches („Die Gleichgewichtsfalle“), S. 13ff.

[3] Da es bei allen Betrachtungen auf der Geldebene nur auf Relationen ankommt, könnte man alternativ bei gleichbleibenden Preisen und Reallöhnen den Endproduktausstoß um den Faktor 4/3 steigern, d.h. auf 2.666.666,666666... Hamburger.

[4] Geeignete Suchbegriffe sind u.a.: Geldschöpfung, Giralgeld(schöpfung), Saldenmechanik, Zinszwang, Zinsknechtschaft(!), hartes (wahres, echtes) Geld, Golddeckung, Schuldgeld, Debitismus. Die ausgeklü­geltsten Abhandlungen findet man in Büchern des Berliner Professors Bernd Senf, der sich nach 1968 auf einer schwer zu charakterisierenden Position irgendwo zwischen '68er­-alternativ' und 'rechtspopulis­tisch­alternativ' niederließ. Für eine fundamentale Kritik solcher Ansätze s. Hüller 2015, S. 308ff.

[6] Kapitel 4 des Buches („Die Eindeutigkeitsfalle“), S. 18ff.

[7] s. hierzu: Thomas Meyer 2017, Die Freiheit zur Knechtschaft. Der Anarchokapitalismus als Schmuddelkind des Anarchismus, exit-online.org

[8] Das auf der Höhe der Zeit befindliche Lehrbuch unterstellt als Währung natürlich Dollar statt Taler.

[9] Hier erscheint ein weiterer Grund, weshalb Lehrbücher es so weit wie möglich vermeiden, auf konstantes Kapital einzugehen. Spätestens bei der Behandlung seiner fixen Form (Produktionsmittel) müsste man auch auf den Kredit und damit das Finanzwesen eingehen.

[10] Beachtenswert ist, dass der Lehrbuchtext an dieser Stelle (unbemerkt oder beabsichtigt?) durch den Gebrauch des bestimmten Artikels „the“ auf die gesamtwirtschaftliche Ebene wechselt: die Erstbank und ihr Kreditnehmer repräsentieren plötzlich die Gesamtheit des Finanzwesens und der Industrie.


[11] Die Erhaltung des Geldes im Markt weist tatsächlich Gemeinsamkeiten mit der Erhaltung der Energie auf. Beides kann auf Ebene eines Einzelobjekts bzw. ­subjekts variieren, nicht aber in der Summe über alle Systemteile. Diese Parallele ziehen kleinbürgerlich motivierte Theoretiker gelegentlich, um eine Unmöglichkeit von Geldschöpfung zu begründen. Sie sollten besser drüber nachdenken, warum die Physik neben der Energie noch diverse weitere Erhaltungsgrößen benötigt. Für den Anfang könnten sie versuchen, ihre Überlegungen zum Tauschwert durch solche über Arbeit(swert) zu ergänzen.

[12] Hier dringt erneut an die Oberfläche durch, dass die Mehrarbeit ausgeblendet wird.

[13] Es ist bewusst nicht von 'Inhabern' (der Wertpapiere oder Quittungen) die Rede, da Mankiw ab der Kreditvergabe explizit das Stattfinden von Verwertung unterstellt. In diesem Fall nehmen Lieferanten der Kreditnehmer deren 'Kreditgeld' als Bezahlung von Ware an. Dies ist realistischer als Senfs kleinbürgerlich inspirierte Vorstellung, die 'Quittungen' dienten lediglich einer Erleichterung des Handels.

[14] Kapitel 5.2 des Buches („Die (Un-)Logik der Preisabrechnung“), S. 34ff.

[15] Kapitel 7 des Buches („Konstantes Kapital als Kampfplatz“), S. 117ff.

[16] Einleitung des Buches


[17] Siehe Kapitel 5.2 des Buches („Die (Un-)Logik der Preisabrechnung“)

[18] Die Tendenz zum selektiven Nullzins bringt deshalb nicht nur die inneren Regelungsmechanismen des Systems massiv durcheinander, sondern auch die Denkprozesse in bürgerlichen Hirnen. Man kann es ablesen an der Vielzahl immanenter Kapitalismuskritiken – und an deren Inhalts­ bzw. Hilflosigkeit.

[19] Dass derartiges mit immer wieder neuen Tricks real – betrügerisch – versucht wird, steht nicht dem Argument entgegen, dass das System kollabieren müsste, sobald es ein kritisches Ausmaß übersteigt.

[20] Rechten Kapitalismuskritikern wird empfohlen, solche Strukturen in Zerfallsgebieten am Rand der kapitalistischen Welt zu analysieren und unter Begriffe wie 'Freiraub GmbH' zu fassen. Dies könnte einige Löcher in die apologetischen Schleier um eine eingebildete 'wahre Marktwirtschaft' reißen, die den Zuständen in den kapitalistischen Kerngebieten entgegensetzt wird.

[21] Den stofflichen Reichtum vermehrt der Vorgang so wenig, wie ihn eine allgemeine Schulden­ und Forderungsstreichung mindern würde. Wohl aber wird/würde in beiden Fällen stofflicher Reichtum umverteilt.

[22] Seit der 'Finanzkrise' der Jahre 2008ff. flutet insbes. die EZB private (teilweise bankrotte) Geschäftsbanken mit frisch 'gedrucktem' Geld. Letztere leiten es als Kredit an den Staat weiter, bevor dieser es letztendlich auf dem 'Markt' ausgibt und damit in den Gesamtverwertungsprozess einschleust. Warum leihen die Zentralbanken dieses Geld nicht direkt dem Staat? Die Antwort auf diese Frage erscheint, sobald man sich den logisch nächsten Schritt vorstellt: der Staatsteil 'Exekutive' druckt selbst das Geld, das er ausgibt. Wer könnte danach noch die Geldwirtschaft als gerechten 'Tausch von Äquivalenten' verstehen?


[23] Selbstverständlich ist beides nicht, da es u.a. auch unterstellt, dass die physische Gestalt der produzierten Waren hinreichend gut zu den Zukunftsplänen der vielen Einzelkapitale passt. Damit daraus entstehende sekundäre Probleme nicht vom fundamentaleren Problem der Mehrwertrealisierung ablenken, unterstellt die weitere Betrachtung zur Vereinfachung die erfolgreiche Realisierung allen Mehrprodukts.

[24] Eine solche allgemeine Inflation aller Warenpreise darf nicht verwechselt werden mit selektiver Inflation bestimmter Warenpreise. Letzteres stellt eine Veränderung des Preissystems dar und bevorteilt bestimmte Teilnehmer am Warenkreislauf zu Lasten anderer. Ein bekanntes Beispiel ist die Senkung des Reallohns durch selektive Inflation der Konsumgüterpreise.

[25] Das Wort schließt hier Dienstleistungen ein.

[26] Den zweiten Fall unterstellen Modelle, in denen ein Mehrprodukt hergestellt und verkauft wird, ohne dass eine anschließende physische Verwendung enthalten ist. In neoricardianischen Modellen betrifft dies den Bruchteil 1­ai des Ausstoßes an Ware Nr.i (zur Terminologie s. Kapitel 5.5 des Buches auf S. 75, Fußnote 54 und zugehörigen Haupttext). Darunter fallen z.B. Militärausgaben. Nicht verwechselt werden dürfen sie mit Vorgängen, die das verteil­ bare (im Sinne von als V oder M bilanzierte) Endprodukt mindern, wie Kriegszerstörungen und Ressourcenverbrauch des Finanzwesens. Hierfür braucht kein Geld geschöpft zu werden, obwohl die physischen Wirkungen langfristig ähnlich sind. Denn gemindert werden (bei fixiertem Lohn) dann die physischen Überschüsse und darüber der Gesamtprofit und zugehörige Geldschöpfungsbedarf.


[27] Das Hieven eines Parteifreunds auf einen Versorgungsposten der Gehaltsstufe 'Rat' stellt auf der soziologischen Ebene Luxuskonsum und Verschwendung dar, während erfolgreiches Unterrichten von Kindern durch einen Studienrat einen Beitrag zu zukünftiger Wertproduktion leisten kann, und es in einem noch funktionierenden Kapitalismus im Regelfall auch tut, egal wie schwierig dieser Beitrag im Einzelfall zu er­ mitteln ist. Auf der Geldebene aber ist beides nicht unterscheidbar; dazu benötigt man die Ebene der konkreten Arbeit. Aufgrund seiner Beschränkung auf die Geldebene stellt auch bürgerliches und insbes. liberales Denken den Filzrat und den Studienrat auf dieselbe Stufe, jedoch auf eine falsche, nämlich die des negativ konnotierten 'unproduktiven Staatsdieners'. Gemeint ist damit, beider Tätigkeit trage nichts zum Profit irgendeines identifizierbaren Einzelkapitals bei. Umgekehrt gelten mit hohem Geldumsatz verbundene Großprojekte trotz physisch destruktiven Charakters als positiver Beitrag zur 'Wirtschaft', weil sich bei ihrer Ausführung Mehrwert aneignen lässt. Demselben Denken gilt die Fähigkeit zu privater Verschwendung als Nachweis erbrachter 'Leistung', egal woher das Geld stammt. Stets ist in Höhe der aus­ gewiesenen Gewinne Geld zu schöpfen, egal wieviele Lohnarbeitsstunden physisch ins Nichts verpuffen. Bürgerliches Denken rückt auf der Geldebene sichtbare Erfolge bei der Mehrwertaneignung in den Vordergrund und die analytisch festzustellenden Beiträge zur Mehrwertproduktion in den Hintergrund, zusammen mit der Gebrauchswertseite der umgesetzten Ware(n). Viele marxistische Analysen sitzen einem eng verwandten Missverständnis auf: sie halten die mit dem konkreten Produktionsprozess verbundene physische Gestalt der Waren für fundamentaler als die nur analytisch fassbaren Warenverwendungen V, C oder M. Die vollständigste Vermengung von Produktion und Aneignung des Mehrwerts gelang Christian Felber mit seiner Bezeichnung des Geldes als „Produktionsmittel“ – statt Aneignungsmittel.


[28] Dies wird ohne nähere Begründung in vielen ökonomischen Modellen unterstellt, im Neoricardianismus beispielsweise durch Gestaltung des Produktionsapparats als 'unzerlegbar'. Wenn jede produzierte (und damit jede für die Funktion M produzierte) Warensorte die Preise aller anderen Produkte beeinflussen soll, muss sie zumindest irgendwo als Kapitalgut verwendet werden. In speziell gestalteten Systemen kann es tatsächlich genügen, eine einzige solche Stelle vorzusehen, aber viel häufiger ist Steedmans großzügige Handhabung: bei ihm dient nur Korn als M­Gut, und dieses wird von allen Prozessen als Input genutzt. Frappierend ist hierbei, dass in seiner Modifikation des neoricardianischen Modells 'Unzerlegbarkeit' weder nötig noch nützlich ist, da er sowohl Eindeutigkeit als auch ökonomische Sinnhaftigkeit seiner Rechenergebnisse auf andere Weise herstellt (vgl. im Buch Unterabschnitt 5.7: „Bau- und Betriebsanleitung für Paradoxa“, S. 94ff.).


[29] Siehe Kapitel 8 des Buches („Profitratenfall und Geldmenge“), S. 127ff.


[30] Siehe Kapitel 2 des Buches („Die Quantifizierungsfalle“), S. 7ff.