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Knut Hüller

 

Auf (ausgetretenen) Abwegen

Eine Auseinandersetzung mit dem (fast) gleichnamigen Buch von Klaus Müller

 


Rezensionessay zu:

Klaus Müller: Auf Abwegen. Von der Kunst der Ökonomen, sich selbst zu täuschen. Köln, PapyRossa-Verlag, 2019



 

Vorbemerkung der Redaktion:


Beim folgenden Text handelt es sich um eine Buchbesprechung von Knut Hüller, die erstmals im Juli 2020 auf exit-online.org erschienen ist. Diese setzt sich kritisch mit dem 2019 publizierten Buch Auf Abwegen des als orthodoxer Marxist firmierenden Ökonomen Klaus Müller auseinander. Angestoßen durch diese kritische Besprechung entstand eine intensive Korrespondenz zwischen Müller und Hüller, die nunmehr in einem im Dezember 2023 im Mangroven Verlag erschienenen Buch dokumentiert ist (Der Dialog. Ein Gespräch über Sinn und Unsinn der politischen Ökonomie). Aus Anlass der Veröffentlichung des Buches wird der Beitrag mit freundlicher Genehmigung des Autors an dieser Stelle wiederveröffentlicht.




1. Als kritischer Tiger gesprungen

 

Die finale Krise des Kapitalismus schlägt sich zunehmend in Krisen seiner „Wirtschafts­wissenschaft“ genannten Rechtfertigungsideologie(n) nieder, u.a. in der Form, dass sogar manche studierte Ökonomen das Fach und seinen Zweck „verraten“ (wie es Josef Stalin formuliert hätte). Einen solchen Eindruck erweckt auf den ersten Blick auch Klaus Müllers Buch.[1] Müller deutet das „zersplitterte... [und] ...zerfaserte Denken“ der Ökonomen als „Kon­kurrenz der Auffassungen“, deren Grundlage in einer „Beschaffenheit der objektiven Reali­tät“ liege. (S. 22) Als jemand vom Fach (laut Lebenslauf noch in der DDR ausgebildet und vermutlich wendegeschädigt) findet er dafür instruktive Beispiele. Schon kabarettreif ist die Anekdote über eine Debatte zwischen dem frz. Premier (1955-1956) Edgar Fauré und dem damaligen Gouverneur der Notenbank, die eine ökonomische Begründung genau gegen­teilig verstanden hatten. Debatten mit ähnlicher Logik findet man täglich in der Wirtschafts­presse; die historische endete laut Buch: „Wir waren uns doch einig. Der Diskontsatz ist der Schlüssel zu allem. Er muß gesenkt werden.“ „Ja. Er ist der Schlüssel zu allem. Also, darüber waren wir uns einig, er muß erhöht werden.“ „Gesenkt!“ „Erhöht!“ „Gesenkt! Das drückt auf die Preise.“ „Erhöht! Das drückt auf die Preise.“ (S. 98) Die noch etwas bessere (im Vergleich zur Alt-BRD) Pflege klassischer Bildung in der DDR kommt zum Vorschein, wo Müller eine altgriechische Bezeichnung derjenigen ausgräbt, „die das Einzelne nicht als Teil des Zusammenhangs sehen“. Sie lautet: „Idioten“. (S. 16) So weit wird das Buch seinem Untertitel gerecht: „Von der Kunst der Ökonomen, sich selbst zu täuschen“. Zustimmen könnte man auch den Überschriften der Einleitung („Trugbilder“) sowie des Abschnitts I („Alles hängt von allem ab“) und diversen darin eingeforderten Inhalten: Blick auf „Das Ganze“ (S. 16, S. 65ff.) statt nur auf das Einzelne oder das Individuum, Berück­sichtigung von „Dynamik“ und Rückkopplung (S. 27) statt Beschränkung auf Statik und Monokausalität, Berücksichtigung der Komplexität ökonomischer Systeme (S. 23) und Wahrnehmung der Widersprüche zwischen Einzelinteressen und einem (tatsächlich exis­tenten?) „Gesamtinteresse“ (S. 31).

 

Die zwei in Klammern und mit Fragezeichen in den letzten Satz eingefügten Worte ver­weisen auf Schranken von Müllers Kritik, die trotz allen kritischen Anspruchs immer wieder im Buch sichtbar werden. Den der Erfassung von Komplexität prinzipiell entgegenstehen­den Reduktionismus will er beispielsweise nicht ersetzen, sondern „ergänzen“ (S. 23). Welche Tendenz – die kritische oder die positive – letztendlich die Oberhand bekommt, verrät der Schlussabschnitt IV des Buchs in seiner Überschrift „Modelle“ (S. 286). Darunter entwickelt Müller Vorstellungen von einer „besseren“ Ökonomie, eröffnet mit einer Referenz auf Karl Marx: „Ob die Kritik der Politischen Ökonomie des Karl Marx ein Modell ist oder ob sie Modelle enthält, ist eine Frage des Begriffs.“ (ebd.) Kritik in anderer Form als der­jenigen „alternativer“ positiver Modelle kann Müller sich offenbar nicht vorstellen. So sieht er Marx’ Werk als das bisher beste Modell (oder die beste Sammlung von Modellen) eines logisch verstehbaren Systems, nicht als Versuch fundamentaler Kritik an positiv-wissen­schaftlich gar nicht fassbarem Irrsinn. Denn trifft letztere Einschätzung des realen Kapita­lismus (der Standpunkt von Exit!) zu, muss jeder Versuch einer „Modellierung“ zwingend „zersplittern und zerfasern“, wie Müller es (zutreffend) der Mainstreamökonomie attestiert.

 

Seine Ansicht, diese Eigenschaft der Mainstreamökonomie resultiere aus der „Beschaf­fenheit der objektiven Realität“, hätte nahegelegt, unter diesem Gesichtspunkt auch die eigenen Ausführungen zu überprüfen. Indem Müller es unterließ, schuf er unfreiwillig ein Lehrstück über die Denkprozesse, die aus verflachter Kapitalismuskritik früher oder später zurück in bürgerliches (hier: apologetisch-ökonomisches) Bewusstein führen.

 

 

2. Als zahmer Modellvorleger gelandet

 

Jeder Versuch einer „Verbesserung“ der (klassischen) Politischen Ökonomie nimmt die Widersprüche ihres Gegenstands (des Kapitalismus) unvermeidlich auf und trägt sie fort. Sie müssen daher im eigenen Denken kontinuierlich kritisch reflektiert werden statt positiv in „Modellen“ widergespiegelt. Pflichtzitate von Karl Marx reichen dafür nicht aus. Müllers Kapitel IV reproduziert die an „offizieller“ Ökonomie von ihm zutreffend kritisierte Eigenart, Einzelaspekte (hier: Marx’ Beiträge zu positiver Ökonomie) aus dem Gesamtzusammen­hang (hier: fundamentale Gesellschafts- und Ökonomiekritik) herauszulösen. Dazu ist jede Art positiver Ökonomie gezwungen, da sich nur so die Widersprüchlichkeit des Gesamt­systems kaschieren lässt. Dass auch Müller diesen Weg geht, macht er bereits auf S. 22 klar, wo er „die ‚materielle Grundlage’ für das zerfaserte Denken“ nicht etwa in fundamen­talen inneren Widersprüchen des realen Kapitalismus sieht, sondern in einer „Wirkungs- und Variantenvielfalt ökonomischer Erscheinungen“. Träfe dies zu, würde es genügen, mit viel Fleiß alle „Varianten“ von „Erscheinungen“ und Theorieansätzen zusammenzutragen und irgendwie zu verbinden. Müller will diesen Ansatz perfektionieren, indem er Karl Marx darin einbindet. Nachdem er am Beispiel bürgerlicher Verteilungstheorie(n) die „Irrelevanz des Theoriekonvoluts“ (S. 298) gezeigt hat, stellt er auf S. 304 13 „Prämissen“ zusammen, auf denen (angeblich) Marx’ „Modell des Profitratenausgleichs“ beruhe. Er bemerkt nicht, dass darin so gut wie alles enthalten ist, was er zuvor an den „IS-LM-AS-AD-ZZ-Modellen“ (S. 297) der „Lehrbücher“ als irreal abgelehnt hatte, u.a. mit der Formulierung „ominöse Gleichgewichtskonstruktionen“ (ebd.). Trotzdem will er aus all dem eine neue schlüssige Gesamttheorie zusammenbauen, basierend auf einem Konzept, das ihm in einer Mail vor­geschlagen wurde. „Ich stelle mir eine Art Baukasten oder Module von unterschiedlichen Modellen vor, die – wenn nötig – in komplexer Weise zusammengebaut werden können und dann auch komplexere Fragen zu untersuchen erlauben.“ (S. 311)

 

Welche Rolle bleibt da noch für einen „unmodularen“ Autor wie Marx? Man muss ihn auf ein „Modul“ neben anderen reduzieren. Zugestanden wird ihm eine wichtige Rolle in der Geschichte der Politischen Ökonomie, die mittlerweile aber über Marx hinaus sei. „Seine Reproduktionsmodelle sind eine Weiterentwicklung des Tableau économique von Ques­nay, jenes ersten Kreislaufmodells in der Geschichte, das 100 Jahre unverstanden blieb [...] Sie sind die Vorstufe[!], ein Schritt hin zu den grandiosen[!] Input-Output-Modellen Leontjews.“ (S. 300) Auch diese sind schon (positiv) fortentwickelt: „Erwähnenswert sind aus der Sowjetunion die Arbeiten von Strumilin, Nowoshilov und Nemtshinow, aus Ungarn die von Kornai, aus der DDR die Modelle meines Doktorvaters Knop […] und anderen.“ (ebd.) Letzteres lässt vermuten, dass auch Müller Wichtiges zur Politischen Ökonomie beizutragen hatte. Seine Erkenntnisse über das Finanzwesen und über die sich darum drehenden Debatten findet man auf S. 289, wo er als „belustigend“ die Ansicht der „Mikro­ökonomik“ zurückweist, wechselseitige Abhängigkeiten von Preisen, Angeboten und Nach­fragen im Markt könnten ein allgemeines Gleichgewicht hervorbringen. Er widerspricht dem für „die Gütermärkte, auf denen Monopole und Oligopole dominieren und dank ihrer Macht die Preise weitgehend unabhängig von Angebot und Nachfrage setzen“ (S.289). Aber: „Für eine ungehinderte, freie Konkurrenz – z.B. an der Börse – kann die Annahme durchaus realistisch sein.“ (ebd.) Hiernach treibt das heutige Finanzwesen nicht etwa den Irrsinn der Wertverwertung auf die Spitze. Vielmehr realisiert es endlich das seit jeher von bürgerlicher Ökonomie propagierte und desperat verteidigte Ideal des sich selbst perfekt regulierenden Marktes und überwindet die von Marx und anderen Kritikern gegeißelten Mängel des industriellen Kapitalismus. Auf diese Idee kamen Mainstreamökonomen bisher noch nicht; sie umgehen das Thema „Finanzwesen“, wo immer es möglich ist.

 

Was Müller nicht auffällt, sind die Widersprüche der eigenen Gedankenführung. Unmit­telbar auf das Abstreiten der Wirksamkeit des Preismechanismus für die Herstellung eines Gleichgewichts folgt der Satz: „Die Logik für das Zustandekommen eines Gleichgewichts für das einzelne Produkt ist dennoch kaum anfechtbar.“ (ebd.) Das Wort „dennoch“ bläst die mächtigen „Monopole und Oligopole“ fort und schafft so Raum für „Modellierung“ – und für den nächsten Unsinn. Er erscheint im folgenden Satz: „Spannender ist die Frage, ob es ein Gesamtgleichgewicht auf dem Gütermarkt geben kann, d.h. das Gesamtangebot aller Güter nachgefragt und gekauft wird.“ (ebd.) Wie lässt sich ein Gleichgewicht global ver­meiden, wenn es für die Einzelgüter besteht? Und umgekehrt: Bestünde es für einige von ihnen (im Extremfall für alle außer einem einzigen) nicht: welchen Sinn hätte dann noch der Begriff des „Gesamtgleichgewichts“? Müller umgeht an solchen Stellen die Frage, ob sich irgendein Teil einer verrückten Produktionsweise wie der Wertverwertung schlüssig „erklären“ oder wenigstens beschreiben lässt. Die Möglichkeit ist nachzuweisen, bevor man es versucht. Den Nachweis führte angeblich Marx. „Karl Marx hat mit seinen Reproduk­tionsmodellen die Frage bejaht. Er hält ein solches Gleichgewicht für möglich.“ (ebd.) Dazu müssten die „Monopole und Oligopole“ (oder wenigstens die Planungsbürokratien) Marx’ Reproduktionsmodelle gut studieren und richtig(!) anwenden. Warum nur klappte es nicht?

 

Eine Teilerklärung liefert Müller auf Buchseite 300: Marx habe „notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts bestimmt“. Hier reißt die Lücke des „Geht es überhaupt?“ neu auf. Müller umgeht diese Frage und gerät damit in ähnliche Hilflosigkeit, wie sie bei Apologeten des seiner Endphase zustrebenden Kapitalis­mus zu beobachten ist. Unten auf der ersten Seite des Schlussabschnitts IV formuliert er: „Was wichtig, unwichtig, wesentlich, unwesentlich ist, hängt dabei auch vom Erkenntnisin­teresse ab, d.h. davon, welche Kausalitäten gerade untersucht werden sollen.“ (S. 286) Auf den Folgeseiten stellt Müller solches Herangehen dar als geprägt von „Naturwissenschaf­ten“ – wo man sich zuerst fragen (und dies klären) würde, welche Kausalitäten überhaupt bestehen oder wenigstens bestehen könnten (womöglich solche zwischen Preis, Angebot und Nachfrage?). Während das letzte Zitat schon stark an postmoderne Beliebigkeit erin­nert, springt der Schluss desselben Abschnitts IV in frühbürgerliches Denken zurück.


„Alle Schulen [die Buchseite 317 beziffert ihre Anzahl auf 23; K.H.] akzeptieren das Zusammen­wirken von regulierenden staatlichen Einflüssen und der freien Entfaltung privater wirtschaftlicher Kräfte. In Wirtschaftspolitik und Theorie kommt es in begrenztem Maße zu einer Annäherung von Standpunkten, zu einem sich gegenseitigen Akzeptieren mit der Einräumung partieller Erklärungsmöglichkeiten, wobei nicht versäumt wird, sich gegensei­tig die Begrenztheit der Aussagen vorzuwerfen.“ (S. 323)


So wird im Sozialkundeunterricht der ideale (nichtexistente) bürgerliche Parlamentarismus beschrieben; zur Vervollständi­gung fehlt bei Müller nur noch der Erlass ökonomischer Gesetze durch eine Koalition von „Schulen“ mit ausreichender Mehrheit im Konvent der Akademie der Wissenschaften.


Der nächste Satz, der vorletzte des Buchs, verschärft dies noch: „Plurale Ökonomik, das Nebeneinander unterschiedlicher Auffassungen, ist der begrüßenswerte Versuch, die Dominanz der herrschenden Neoklassik zu brechen.“ (ebd.) Angesichts der Verhältnisse im real existierenden Ökonomiebetrieb[2] wäre ein bürgerlich-liberaler Umsturz gegen den dortigen (pseudo)wissenschaftlichen Feudaladel zweifellos angebracht. Müller aber geht mit dem zitierten Satz sogar noch einen Schritt hinter den traditionellen Marxismus zurück. Auch dieser betrieb wenig fundamentale Öko­nomiekritik, aber er orientierte sich auch nicht am bürgerlichen Pluralismus, und er strebte als Endziel nicht den perfekten Parlamentarismus an. Er wollte die Machtergreifung der im Kapitalismus Unterdrückten, gefolgt von einer Diktatur der Arbeit(swerttheorie). So deutete man den „exoterischen“ Marx.



3. Marx, wie er niemals leibte und lebte


Müllers Forderung nach mehr „Pluralismus“ steht in frappierendem Gegensatz zu einem Motiv, das erstmals auf den Buchseiten 18ff. erscheint, und einen erheblichen Teil des Buchs einnimmt: die Auseinandersetzung mit einer „Neuen Marxlektüre NML“[3], die nach Müllers Ansicht mit einer „hochselektiven Zitierweise“ (S. 228) das Kapital und andere klassische Texte inhaltlich verdrehe. Auch an dieser Stelle kommt ihm nicht der Gedanke, die Möglichkeit verschiedener Sichtweisen von Marx auf die kapitalistische Realität oder die Möglichkeit verschiedener Sichtweisen auf Marx’ Texte könnten etwas mit „Beschaf­fenheit der objektiven Realität“ zu tun haben. Dies würde in die von Exit! vertretene Sicht eines „doppelten“ („exoterischen“ und „esoterischen“) Marx führen, der seinen Gegenstand (die Politische Ökonomie als Teil des Kapitalismus) in einem Zug „verbessert“ und kritisiert, weil beides so wenig voneinander trennbar ist wie Theorien von ihrem Gegenstand. Hin­sichtlich der Deutung von Marx bezieht Müller klare Standpunkte, was „wahr“ (S. 15) ist, und bemerkt nicht, wie ihn bereits bei der Einführung dieser Kategorie die Widersprüch­lichkeit des Kapitalismus einholt: „In der Ökonomie muss eine Aussage nicht falsch sein, weil ihr Gegenteil stimmt.“ (ebd.) Dies sei „in den formalen Naturwissenschaften […] gang und gäbe und meist berechtigt.“ (ebd.) Wirklich nur dort? „Bei ökonomischen Streitfragen im Prinzip auch, kann aber oft in die Irre führen. Denn wer im formallogisch Entgegen­gesetzten verharrt, nur ein Entweder-Oder kennt, versteht nicht, die Widersprüche und die Relativität der sozialen Wirklichkeit zu denken.“ (ebd.)


Dort soll formale Logik versagen. Aber wo kann sie überhaupt versagen? Wie alle Werkzeuge versagt sie dort, wo sie nicht anwendbar ist. Glaubt man dies, muss man die Suche nach dem „wahren“ Modell aufge­ben. Der wichtigste dafür erforderliche gedankliche Schritt fällt leichter, sobald die Worte (und die Vorstellung) „sozialer Wirklichkeit“ durch „kapitalistische Wirklichkeit“ ersetzt sind. Willkommen in der irren kapitalistischen Realität einschließlich des „doppelten Marx“!


Zur Ausblendung des irren Charakters des kapitalistischen Systems zerschlagen ökono­mische Betrachtungen es in möglichst kleine Teile. So erklärt sich u.a. Müllers Vorstellung (siehe Abschnitt 2 oben) von der Möglichkeit eines Marktgleichgewichts für (eine unbestimmte Anzahl) Einzelgüter bei gleichzeitigem Nichtgleichgewicht im Gesamtmarkt. Andere Öko­nomen nutzen dazu Leitbilder wie den „schöpferischen“ Unternehmer (Schumpeter), das „repräsentative Einzelkapital“ (Michael Heinrich) oder die „kompetitive Firma“ (Mainstream). Aus deren Perspektive beinhalten Wert bzw. Kapital (d.h. sich verwertender Wert) nicht ein „gesellschaftliches Verhältnis“ (Marx), sondern erscheinen als pseudophysikalische Eigen­schaften der Warendinge, von denen die Individuen bzw. Firmen umgeben sind. Ein kom­pletter Theoriezweig der „NML“ (von dem Exit! sich absetzt!) kreist mittlerweile um die Frage, ob „der Wert“ in der Produktion oder in der Zirkulation „entstehe“. Diese Fragestel­lung ist ähnlich sinnvoll wie diejenige, ob die dem Eisen zugefügten Legierungselemente oder Wärmebehandlung(en) die Eigenschaften des Stahls zustande bringen. Allein für sich ist beides sinnlos; zur kapitalistischen Produktion gehören spezielle Formen von „Zirkula­tion“, beginnend damit, dass die kapitalistische Produktionsweise das Phänomen der sich zunehmend separierenden Zirkulationssphäre – und damit das Phänomen einer „Produk­tions“sphäre – überhaupt erst hervorbringt. Wem das nicht spätestens im Stadium des Finanzkapitalismus auffällt, der scheut sich offensichtlich vor dem logisch nächsten Schritt, die Produktion als einen ebenso absurd verselbständigten Teil des Gesamtprozesses zu erkennen, der (historisch erstmalig!) Exzesse wie die geplante Obsoleszenz „hochwertiger“ Produkte direkt neben Mangelerscheinungen bis hin zum Hunger hervorbringt.


„Der Prozess der Realabstraktion ist der Produktionsprozess selbst; hier wird in actu und mit verheerenden Folgen für Produzenten, Gesellschaft und Naturgrundlagen vom stofflichen wie vom sozialen Inhalt abstrahiert; hier wird der Wert als solcher und damit die ‚gespen­stische’ Wertgegenständlichkeit des Produkts hergestellt. Die Zirkulation als integraler Bestandteil dieses Produktionsverhältnisses (nicht umgekehrt!) misst die gesellschaftlich gültige Quantität dieser bereits vorhandenen Wertgegenständlichkeit […] aber [...] stellt sie nicht her.“[4]


Wer A sagt muss eben auch B sagen; wer nicht B sagen will, muss schon vor dem A zurückscheuen.


Ohne es zu bemerken, schlägt Müller sich an dieser Stelle auf die Seite derjenigen, die das Wesentliche in der Zirkulation suchen, und akzeptiert damit Standpunkte des von ihm andernorts massiv kritisierten „NML“-Autors Michael Heinrich. Wer die widersprüchliche Einheit von Mehrwertproduktion durch Arbeit und Mehrwertrealisierung durch Geld nicht sieht (darauf kommt weiter unten der Abschnitt 6 zurück), kann insbesondere die auf Lohnarbeit beruhende kapitalistische Warenproduktion nicht mehr gegen einfache Warenproduktion abgrenzen. „Wert“ erscheint dann nicht mehr als „komplexes“ (Müller) gesellschaftliches Verhältnis, sondern als pseudophysische Eigenschaft der Einzelware(n). Müller vermengt in der Folge begriffliche Analyse mit Beschreibung (eingebildeter) historischer Abläufe: „So wirken auch die Gesetze der vorkapitalistischen in der kapitalistischen Warenproduktion. Beim Übergang[!] von der allgemeinen[!], der einfachen zur spezifisch kapitalistischen Wa­renproduktion, zerfällt die erste nicht. Sie bleibt mit veränderter Bedeutung erhalten, wird modifiziert, weiterentwickelt[!], durch Neues angereichert.“ (S. 149) VW wäre hiernach als vergrößerte Mechanikwerkstatt zu verstehen. Analog dazu „erklären“ aktuelle Lehrbücher das „Wirtschaften“ am Beispiel von Bäckereien. Peinlich ist, sich in diesem Zusammenhang auf „dialektisch denken“ (ebd.) zu berufen. Gab es darin nicht u.a. einen Umschlag der Quantität in eine Qualität?


Müller setzt explizit noch eines drauf: Der Beginn des Kapital mit der Wertformanalyse sei historisch zu verstehen; er beschreibe das Hinüberwachsen der „allgemeinen“ Waren­produktion aus der einfachen in die kapitalistische Form. Begründet wird es mit Ausführun­gen in Lehrbüchern der DDR und UdSSR, auf die er sich positiv beruft: „Das Verfahren [von Marx; K.H.] ähnelt dem der Chemie, die mit der Analyse der chemischen Elemente beginnt, um dann die komplizierten Verbindungen zu untersuchen.“ (S. 148) Stimmt diese Analogie, dann müssten die Gesetze der „allgemeinen“ Warenproduktion vollumfänglich wirksam geworden sein, als Steinzeitjäger das erste Mal eine Beute tauschten. Zuvor schon müssten sie verborgen vorhanden gewesen sein, denn „Atome“ und deren Eigen­schaften gab es schon lange, bevor der erste Chemiker eine „Verbindung“ herstellte. Dem Autor Kuczynski scheint zumindest dies aufgefallen zu sein; in einem Zitat, auf das Müller sich positiv bezieht, verlegt er die Basis ökonomischer Gesetze noch ein weiteres Stück weg von der modernen Gesellschaft: „In der Tat gibt es aber kein Gesetz der Naturalpro­duktion, das nicht auch in der Warenproduktion wirkt. Die Wirkung ökonomischer Gesetze mag modifiziert werden, weil ihre Wirkungs-, ihre Anfangs- und Randbedingungen andere geworden sind. Außer Kraft gesetzt sind sie so wenig wie die Gesetze der Physik bei der Entstehung des Lebens.“ (S. 149) Müller kommentiert: „Genauso ist der Mensch ein Affe [...] Er hat sich wie jedes andere Lebewesen aus der ersten Zelle entwickelt und wird deren DNA darum nicht los, mit allen Folgen.“ (ebd.)


Das Wort „genauso“ reizt zum Nachsehen. Ein Biologe, der an Details von Beinknochen und Kniegelenken die Herausbildung des aufrechten Gangs studiert, fände sicherlich Ähn­lichkeiten zwischen Affenarten und Menschen. Master- und Doktorarbeiten mit solchen Themen werden en masse vergeben. Was aber fände ein Kollege, der die Entwicklung der Biosphäre studiert? Würde er die Einflüsse der zwei Spezies „Schimpanse“ und „Mensch“ ebenfalls als „sehr ähnlich“ einstufen und heutige Schadstoffkonzentrationen aus der DNA der Menschenaffen oder gar der „ersten Zelle“ erklären? Müllers Analogien zeigen besser als seine fachökonomischen Ausführungen, warum Ökonomen so große Schwierigkeiten haben einzustufen „was wichtig, unwichtig, wesentlich, unwesentlich ist“ (S. 286).



4. Mehrwert ist Naturgesetz – aber Ausbeutung ist vermeidbar


Ein Spezifikum der Kapitalismus, das ihn gegen „allgemeine“ und „einfache“ Warenpro­duktion abgrenzt, findet auch Müller: die gute alte „Ausbeutung“ (S. 177). Bemerkenswert daran ist zunächst der niedrige Stellenwert dieses Themas bzw. Phänomens. Es folgt aus ökonomischen Gesetzen, die ihrerseits Naturgesetzen untergeordnet sind – warum also befasst sich ökonomische Wahrheitssuche überhaupt mit etwas so Unwichtigem? Der Bedeutungsverlust dieses Themas ist die Folge der vorangehenden Betonung übergeord­neter Gesetzmäßigkeiten, die Müller wiederum benötigt, um eine „Modellierung“ versuchen zu können. Gesellschaftstheoretisch beinhaltet dies eine weitere Regression gegenüber dem frühen (und mittlerweile historischen) Marxismus der Zeit vor der Oktoberrevolution: Dieser hatte sich noch (zu Recht!) über die sozialen Verwerfungen im Kapitalismus empört und damit die Notwendigkeit von dessen Aufhebung begründet – samt seiner Gesetz­mäßigkeiten, egal ob spezifisch, „allgemein“ oder sonst was. Rückblickend kann man ihm vorwerfen, dass er diesen Anspruch nicht auf die Wertfom als solche ausdehnte, sondern „ökonomische Gesetzmäßigkeiten“ wie das rein quantitativ verstandene „Wertgesetz“ politisch anwenden wollte. Auf einen solchen „Sozialismus des Adjektivs“ (Robert Kurz) läuft letztlich Müllers Vorstellung vom Nutzbarmachen „allgemeiner Gesetze der Waren­produktion“ hinaus.


An Müllers Buch lässt sich der Verlauf dieser Regression besser nachvollziehen als an dem in Irrungen und Wirrungen verlaufenen realen historischen Prozess. Man liest dort: „Die kapitalistische Warenproduktion ist bestimmt dadurch, dass auch die Arbeitskraft eine Ware ist.“ (S. 150) Dadurch wird folgendes möglich: „Das Produkt wird vom Lohnarbeiter geschaffen und vom Kapitalisten angeeignet. Dies prägt die gesamte Produktionsweise.“ (ebd.) Dass „Schaffen“ sich so wenig wie „Aneignen“ mit dem im Warenbegriff versteckten „Tauschen“ verträgt, übergeht Müller. Wohl aber fällt ihm auf, dass in einfacher Waren­produktion das „Aneignen“ entfällt. Da dort noch ein direkter Bezug zwischen Erzeugung und Inbesitznahme der Ware besteht, sollte sie frei von vielen Problemen des Kapitalismus und insbesondere von Ausbeutung sein. In der Tat: „Die einfache Warenproduktion ist im Gegen­satz zur kapitalistischen frei von Ausbeutung.“ (ebd.) Gibt es sie aber überhaupt? Müller schreibt: „Es ist falsch, die einfache Warenproduktion als eine eigenständige Produktions­weise anzusehen. Sie war stets in andere Produktionsweisen eingebettet und deren[!] öko­nomischen Gesetzen untergeordnet.“ (ebd.) Unterstellt man das, darf man den Begriff „einfache Warenproduktion“ gar nicht verwenden, da er genau das suggeriert, was der zuletzt zitierte Satz (zutreffend) abstreitet: die Existenz einer solchen gesellschaftlichen Formation.


Müllers Ansicht, die Tätigkeit einfacher Warenproduzenten (oder doch: „die einfache Warenproduktion“?) könne sich vom Phänomen der Ausbeutung und allen seinen Folgen freihalten, ist die klassische Wunschvorstellung kleinbürgerlicher Warenproduzenten, von den Konsequenzen und Zumutungen der für den Kapitalismus typischen Dominanz der Warenproduktion verschont zu bleiben. Den Fakt, es nicht bis zum „richtigen“ Kapitalisten gebracht zu haben, rationalisiert solches Bewusstsein damit, man sei der bessere Waren­produzent (oder doch Kapitalist?). Um auf diese Weise die gesellschaftlichen Verhältnisse ausblenden zu können, muss die Wertform ontologisiert werden, wie es bürgerliche Öko­nomie seit jeher praktiziert. Müller nutzt seine Marxkenntnisse, um diese Ontologisierung auf den Mehrwert zu erweitern: „Auch der mittelalterliche Handwerker produziert Mehr­wert, der ihm bleibt und von dem er gut lebt.“ (S.180) Dies vollendet die Begriffsverwirrung, selbst wenn man darüber hinweg geht, dass die Formulierung „mittelalterlicher Handwer­ker“ offen lässt, ob dieser in einer anderen (welcher?) gesellschaftlichen Formation oder in einer Handwerkergesellschaft[5] lebt(e) und „arbeitet(e)“: Warenproduktion lässt sich ohne Ausbeutung betreiben, und wie den Wert gab es auch den Mehrwert schon lange vor dem Kapitalismus. Damit verschwinden alle Besonderheiten des letzteren, darunter die Verwandlung des Menschen in die „Ware Arbeitskraft“, womit die Betrachtung ca. 30 Buchseiten zuvor begonnen hatte. Übrig bleiben (bürgerliche?) Individuen, die von Waren mit ökonomisch eindeutig bezifferbarem Wert umgeben sind, so wie Fische von Wasser mit einem durch „Chemiker“ eindeutig bezifferbaren Salzgehalt.


Müller bemerkt an dieser Stelle insbesondere nicht, dass er dem Begriff des Mehrwerts alle gesellschaftlichen Inhalte nimmt. Sägt und nagelt ein Schreiner einige Stunden länger, um sich vom Erlös eine bessere Wohnung oder einige Flaschen Wein leisten zu können, oder – noch deutlicher – zimmert er sich selber ein paar schöne Möbel, dann unterscheidet sich das dafür nötige „Mehr“ an „Arbeit“ in keiner Weise von der „normalen Arbeit“, die für den „einfacheren“ Lebensstandard gereicht hätte. Wie immer sich der „Handwerker“ entschei­det: Er setzt sich selbst ein Ziel und realisiert es aus eigener Kraft – statt sich ein anderes (nicht zwingend „höheres“!) zu setzen. Um ein „Mehr“ vom „Notwendigen“ abzugrenzen, wird dann ein vom Handwerkersubjekt unabhängiges (und in diesem Sinne „objektives“) Kriterium nötig. Letztlich findet sich ein solches erst bei der physischen Subsistenz. Diesen Ansatz zu einer von der Lohnarbeit unabhängigen Definition „notwendiger Arbeit“ praktizie­ren manche Ökonomen allen Ernstes bis heute. Den Stand der Produktivkräfte, in dem der Kampf um die Subsistenz zum Alltag gehörte, hatten menschliche Gesellschaften aller­dings schon lange hinter sich gelassen, als mit Ackerbau, Sesshaftigkeit, Städten und den ersten Obrigkeiten auch die ersten „Handwerker“ erschienen.


Von anderem Charakter ist die „Mehrarbeit“ der Lohnarbeiter. Sie ist ihnen aufgezwun­gen (gewöhnlich per Drohung mit Entlassung), um Ziele des anwendenden Kapitals zu realisieren, insbesondere (aber nicht nur) die Erzielung von Profit. Die „minimale“ (ohne „mehr“) Arbeit definiert sich dann über das (zumindest kapitalismusintern) „objektive“ Kriterium, dass ab diesem Umfang der Arbeit Verwertung möglich und damit das Kapitalverhältnis existenzfähig ist. So weit hat die klassische Entgegensetzung von „notwendig“ und „mehr“ (als notwendig) Sinn – allerdings nur aus Sicht und vom Interessenstandpunkt der Kapi­tale. Für deren Reproduktion ist die „notwendige Arbeit“ notwendig; mit der Reproduktion der Lohnarbeiter hat sie wenig zu tun, sobald das Subsistenzniveau überschritten ist. Auf Lohnarbeiterseite endet „notwendige“ Arbeit dort, wo im erwünschten Umfang Lohn gezahlt werden könnte(!). Ein „objektives“ Kriterium dafür existiert dort nicht mehr. Aus ihrer Sicht ist weitere Arbeit nicht schwammig als „mehr“ zu charakterisieren, sondern mit dem sprach­lichen (negativ konnotierten) Gegenteil des Adjektivs „notwendig“, nämlich als „überflüssig“.


Müllers auf „Handwerk“ ausgeweiteter Begriff des Mehrwerts ist noch stärker verbogen als der gängige marxistische, der immerhin den Dualismus von Lohnarbeit und Kapital voraussetzt(e). Auf den ersten Blick scheint dies nur ein neues Beispiel des sich durch alle Ökonomievarianten ziehenden Motivs des Schönfärbens von Warenwirtschaft unter Zie­hung aller Register zu sein, hier des Eklektizismus. Die böse Ausbeutung wird als ver­meidbar dargestellt, der begrifflich zugehörige Mehrwert aber erlaubt, da für Ökonomen „viel“ synonym mit „gut“ ist, „mehr“ also synonym mit „besser“. Mehrwert mit „gutem Leben“ zu assoziieren, ist das Tüpfelchen auf dem i. Zugleich zeigt die Vorstellung einer ausbeu­tungsfreien Mehrwertproduktion aber auch auf, zu welchen absurden Klimmzügen apolo­getische Ökonomie bereits gezwungen ist. Um diesem Konstrukt ein Fundament zu geben, läge es nahe, die eingebildeten Gesetze „allgemeiner“ Warenproduktion auf ahistorische Eigenschaften „der Waren“ selber zurückzuführen. Damit würde jedwede Einbeziehung der gesellschaftlichen Dimension überflüssig. Marx soll es am Beginn des Kapital realisiert haben. „Marx behandelt dort die kapitalistische und die einfache Ware – richtig ist nicht ‚entweder/oder’ sondern ‚sowohl als auch’.“ (S. 150)


In der Realität findet man ausbeutungsfreie Mehrwertproduktion nicht. Müller stört sich nicht daran, sondern stellt im nächsten Schritt der „Analyse“ der ausbeutungsfreien guten einfachen Warenproduktion einen die Gesetze der „allgemeinen“ Warenproduktion verle­tzenden bösen Kapitalismus mächtiger „Monopole und Oligopole“ entgegen. Diese hindern den Handwerker daran, vom selbst erzeugten Mehrwert gut zu leben, indem sie sich mittels Kreation eines „monopolistische[n] Wert[s] (S. 183) auf seine Kosten einen „Mono­polprofit“ (ebd.) verschaffen. Der vom Oligopol ausgepresste (oft: ihm zuliefernde) Klein­kapitalist ist das finanzmarktfreie Pendant guten „schaffenden“ Kapitals, das zum Opfer eines bösen „raffenden“ wird. Beide Denkfiguren spielen eine zentrale Rolle in rechten „Kapitalismuskritiken“, die aus der Sicht des unter die Räder kommenden Kleinproduzenten geschrieben sind, und dessen (eingebildetes) historisch „gutes Leben“ (wann genau?) wie­der herstellen wollen[6] – so wie Sozialdemokraten bis heute einen Kapitalismus einfordern, in dem „guter Lohn für gute Arbeit“ gezahlt wird. Auf theoretischer Ebene entstehen so „Querfronten“ und auf politischer Ebene erstarken rechte Strömungen, die eine Rückkehr zu solchen (nie existenten) Idyllen versprechen. Zugehöriges Denken betrachtet Waren als nützliche fertige Dinge und ignoriert den Prozess der Waren- bzw. Wertproduktion als gesellschaftliches Verhältnis. Dem fertigen Warending wird positiv denkbarer Tausch- und Gebrauchswert zugeordnet, nicht aber der Prozess seines Zustandekommens durch (Lohn-)Arbeit und alle damit verbundenen gesellschaftlichen Verbiegungen. Das fertige Warending im Regal kann man nur noch verteilen und verwenden, zwei rein positiv denk­bare Vorgänge. Wie andere Ökonomen sucht Müller die „Gesetze“ dafür (wofür die „Macht“ der Monopole und Oligopole wieder verschwinden muss, und mit ihnen die gesellschaft­liche Realität, dass auf Märkten getrickst, getäuscht und noch Schlimmeres getan wird).


Denn im Durchschnitt(!) wird „nichts geraubt“ (S. 179), sondern „alles geht tauschgerecht zu“ (ebd.) „Marx gelingt der Nachweis, dass sich die Kapitalisten nicht dadurch bereichern, dass sie [wie Monopole und Oligopole?; K.H.] das Wertgesetz beim Kauf der Arbeitskraft verletzen, sondern es anwenden.“ (S. 178f.) Die weitere Argumentation ist wohlbekannt: Der Kapitalist nutzt nach dem Kauf der Arbeitskraft deren Gebrauchswert, der darin besteht, mehr Wert zu schaffen, als ihr eigener Wert beträgt. So erhalte der Kapitalist „das Recht auf den Mehrwert (S. 179; Hervorh. K.H.). An dieser Stelle beginnen nicht wenige marxis­tische Texte vom Stolz zu triefen, dass man den Kapitalismus besser als bürgerliche Öko­nomen (bzw. erstmalig überhaupt) verstanden habe. „Nachgewiesen zu haben, wie Wert entsteht, wenn alle Waren sich tauschen nach dem Prinzip der Gleichheit von Leistung und Gegenleistung ist nach Engels das ‚epochemachendste’ Verdienst seines Freundes.“ (ebd.; Hervorh. K.H.) Nun kann Müller in die Details gehen; er beginnt damit auf der näch­sten Buchseite unter der Überschrift „Modifikationen“. „DDR-Ökonomen“ folgend gelangt er über „Produktionspreis“ und „Marktpreis“ bis zum „monopolistischen Wert“ (der die „allgemeinen“ Gesetze faktisch wieder aushebelt) bis zum neoklassischen Konstrukt des „Grenznutzens“. Seine (gut nachvollziehbare) Ablehnung des letzteren Formalismus als „begriffliche Tautologie“ (S. 189) hindert ihn allerdings nicht daran, später im Buch den aus dem 18. Jhdt. stammenden Ladenhüter der Grund- und Differentialrente auszugraben und in diesem Zusammenhang das formal gleichartige Konzept einer Grenz-Produktivität zu akzeptieren. Man vermisst nur noch die DDR-Losung vom (theoretischen) „überholen ohne einzuholen“. Von Erkenntnis des Kapitalismus als System bleibt fast nichts mehr übrig.


Wir beschäftigen uns deshalb nochmals näher mit den Zitaten am Beginn des vorigen Absatzes und insbesondere mit den darin hervorgehobenen Worten, die weitere Begriffs­verwirrungen sichtbar machen. Zunächst verschafft die Tätigkeit der Lohnarbeiter den Ka­pitalisten kein „Recht“, sondern die reale verkäufliche Ware samt darin verkörpertem Wert. Die Ware verkaufen sie, wobei sie durch Lohnzahlung einen Teil des Erlöses und damit des in den Produkten verkörperten Werts an die Lohnarbeiter abtreten. Den Rest behalten sie, ein Vorgang, der als „Aneignung“ bezeichnet wird. Egal ob man diesen Ausdruck auf eine Menge an Ware („Mehrprodukt“), Wert („Mehrwert“) oder Geldware („Profit“) bezieht: wesentlich ist, dass die Inbesitznahme erfolgt, ohne dass irgendetwas dafür gegeben wird. Dies ist alles andere als „tauschgerecht“. Klassische und marxistische Ökonomen schrie­ben eine Flut von Texten über den Sachverhalt, dass die Lohnarbeiter weniger erhalten als den Wert ihrer Produkte. Betonung des quantitativen Aspekts im „weniger“ ließ sie einiges übersehen, das bereits auf qualitativer Ebene bemerkenswert ist, insbesondere den „systemnot­wendigen“ und systematischen Charakter dieses Umstands, der ihn von all den zufälligen Oszillationen der Preise gewöhnlicher Waren abhebt. Letztere können sowohl höher als auch niedriger sein, als die Ökonomen für „richtig“ halten, und heute kann dies und morgen jenes zutreffen. Die Lohnsumme aber muss dauerhaft niedriger als der Erlös aus der Gesamtheit der Endprodukte (marxistisch: V+M) sein, nicht „annähernd gleich irgendeinem (von Ökonomen ausgerechneten) X“. Schon diesen Aspekt ignoriert die Unzahl „Vertei­lungstheorien“, die (meist unter stillschweigender Voraussetzung des qualitativen Sachver­halts „dauerhaft niedriger“) einen quantitativ(!) „richtigen“ Lohn ermitteln wollen.


Gar nicht mehr befassen sich Ökonomen – marxistische eingeschlossen – mit dem rein qualitativen Sachverhalt, dass auf Seite der Kapitalisten eine Aneignung ohne Gegenleis­tung erfolgen muss. Stattdessen wird bereits die Möglichkeit solcher Vorgänge kategorisch ausgeschlossen, indem man sie als „free lunch“ lächerlich macht (im Auge hat man dabei selbstverständlich das Mittagessen der Lohnarbeiter, nicht dasjenige der Kapitalisten). Der tauschungerechte Vorgang der Aneignung reißt ein Loch in das ökonomische Ideal des Äquivalententauschs, bevor Mehrprodukt überhaupt auf die Märkte für gewöhnliche Waren gelangt, wo es getauscht werden könnte. Dieses Loch ist rein logischen Charakters und daher nicht reparabel, schon gar nicht innerhalb von (quantitativen) „Modellen“. Wirksam werden muss es spätestens, wenn Mehrprodukt auf den Markt gelangt, d.h. bei der „Reali­sierung“ von Mehrwert, woran sich daher nicht wenige Theoretiker erfolglos abarbeiteten.[7]


Neuestes Beispiel ist die Begriffsverwirrung in Müllers Buch, das als theoretisches Hauptproblem nennt zu erklären „wie Wert entsteht, wenn alle Waren sich tauschen nach dem Prinzip der Gleichheit von Leistung und Gegenleistung“ (S. 179; Hervorh. K.H.). Die Entstehung von Wert – als gesellschaftliches Verhältnis wie als Pseudoeigenschaft der Warendinge – beruht auf Arbeit und hat nichts mit Modalitäten des Tauschs zu tun. Rein durch Arbeit zu erklären ist auch die Entstehung des hier mit dem Wort Wert eigentlich ge­meinten Mehrwerts, solange dieser Begriff nicht direkt an die kapitalistische Produktions­weise mit Lohnarbeit gebunden wird, sondern „neutral“ verwendet im Sinn von „viel“ oder „mehr als x“, so dass er (laut Müller) auch durch „einfache“ Warenproduzenten erzeugt werden kann. Nach einer solchen Reduktion ist die Erklärung für „viel Wert“ simpel „viel Arbeit“ und die Erklärung für „mehr als x €“ lautet „mehr Arbeit als y Stunden“. Ein logisches Problem und damit Chance wie Anstoß zur Erkenntnis kapitalistischer Verhältnisse beginnt erst mit der Einsicht, dass die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware die Aneignung des Mehrwert genannten Wertteils ohne irgendeine Gegenleistung erzwingt. Dies verträgt sich nicht mit dem Ideal, die gesellschaftlichen Beziehungen durch gerecht gedachten(!) Tausch von Äquivalenten zu regeln. Damit hebt das reale kapitalistische System logisch seine „Politische Ökonomie“ genannte(n) Rechtfertigungsideologie(n) auf, bevor die von den Ökonomen für so wichtig gehaltenen (und umfangreich durchgerechneten) Tausch­geschäfte überhaupt einsetzen können.


Da dies ein unlösbares Problem des Kapitalismus ist, ist es in apologetischer Ökonomie nicht behandelbar. Erweitert man den Warenbegriff auf die Arbeitskraft und fordert man auch für diese die Gültigkeit des „Wertgesetzes“ gemäß marxistischem Verständnis ein, so muss man einräumen, dass ein Teil der Zirkulation gewöhnlicher Waren sich demselben Gesetz entziehe. Rechnerisch müsste die Aneignung von Mehrwert als ein Kauf zum Preis „null“ beschrieben werden, was nicht nur den Begriff (samt darin enthaltenem Ideal) von „gerechtem“ Tausch über den Haufen wirft, sondern auch die Mathematik aller gängigen ökonomischen „Modelle“. Die Widerspruchsfreiheit in der Behandlung der Ware Arbeitskraft muss erkauft werden mit fundamentalen Widersprüchen in der Behandlung der Zirkulation des Mehrprodukts bzw. Mehrwerts. Frei nach Marx: Selbst der intelligenteste und rechen­fertigste Ökonom entkommt nicht den Widersprüchen des Kapitalismus.



5. Das mysteriöse Geld – was es (nicht) „ist“


Was Müller und andere Ökonomen über die aktuellen Themen „Geld“ und Finanzwesen zu sagen haben, fasst er am Beginn des einschlägigen Kapitels zusammen: „Die Situation heute entspricht der vor über 100 Jahren: Von einem gesicherten Erkenntnisstand in der Geldtheorie kann keine Rede sein.“ (S. 215) Aber warum ist dies so? Eine Untersuchung dazu lässt sich nicht im Markt durchführen, sondern nur an den Texten der Ökonomen.


Müller bringt uns einer Erklärung näher, indem er hervorhebt: „Die Schwierigkeit ist nicht zu erklären, dass das Geld selbst eine Ware ist. Sie besteht darin zu erklären, warum eine Ware Geld wird.“ (S. 229) Diesen Satz formuliert er im Zusammenhang von Marx’ Wert­formanalyse; die Geldwerdung einer(!) Ware sei die letzte Stufe der Entwicklung, die zuvor von der von der einfachen zur allgemeinen Wertform geführt habe. „Entwicklung“ versteht er als „geschichtlichen Prozess“ (ebd.), der im Kapital sowohl begrifflich analysiert als auch historisch nachvollzogen werde. Dies lässt die (logische) Frage nach dem „warum“ binnen einer Seite Text in die (empirische) Frage nach dem „wie“ und „wann“ umschlagen und erlaubt eine Gedankenführung bis fast ins Unendliche. „Die Ursprünge des Geldes verlieren sich in den zufälligen, vereinzelten und primitiven Tauschgeschäften, die tief in die Urgeschichte zurück reichen.“ (S. 230) Zwei Minuten Lektüre führen so aus dem Spät­kapitalismus in den von Adam Smith entdeckten Urwald, wo steinzeitliche Hirsch- und Biberjäger erste Geschäfte abschlossen. Begreifen lässt sich danach so gut wie nichts mehr, denn denkbare „geschichtliche Prozesse“ gab es seit damals in reichlicher Zahl. Be­greifen lässt sich nur, warum Müllers gesamtes Geldkapitel als chaotische Sammlung von Ergüssen aller möglicher Ökonomen erscheint, denen er teils zustimmt und teils nicht.


Sieht man Geld als Ware an und will man seinen Warencharakter verstehen, gebietet elementare Logik, dass man sich zunächst allgemeiner mit „der Ware“ befasst. Diese Überlegung liefert zwar noch kein Verständnis für „das Geld“, wohl aber ein Verständnis für Müllers ahistorisches Geldverständnis: Es ist direkte Folge seines ahistorischen Verständ­nisses der Ware(nproduktion) mit „allgemeinen“ (implizit: ewigen) Gesetzen. Er kann dies angesichts der Widersprüchlichkeit des Kapitalismus allerdings nicht durchhalten und verschafft sich auf nur noch postmodern zu nennende Weise Freiheiten mit Sätzen wie: „So gibt es Geld, das zugleich Kapital ist, wie es auch Kapital gibt, das zugleich Geld ist.“ (S. 142) Dies kann man nur schreiben, wenn man im Hinterkopf denkt: „Außerdem gibt es Kapital, das alles mögliche ist außer Geld, so wie es Geld gibt, das alles mögliche ist außer Kapital.“ Der eine zitierte Satz demontiert den Geldbegriff in einem Zug mit dem Kapitalbegriff. Voll zustimmen kann man daher dem Folgesatz: „Das Beispiel zeigt, wie schwierig es sein kann, die Probleme auf den richtigen Begriff zu bringen.“ (ebd.)


Die klassische Ökonomie – und darauf aufbauend Marx – unterschied immerhin schon verschiedene Warenkategorien, nämlich das variable Kapital V, das konstante Kapital C und das Mehrprodukt M. Man könnte versuchen, das Geld und/oder seine Funktion(en) in diese Kategorien einzuordnen. Dazu müsste man allerdings einen klaren Begriff der drei Kategorien V, C und M besitzen. Dass Müller ein solcher fehlt, zeigt sich schon an ihrer Einführung. Als erstes erscheint auf S. 142 das „fixe Kapital“, eine spezielle Form des kons­tanten Kapitals, die den Ökonomen (aus gutem Grund!) seit jeher große Schwierigkeiten macht. Erklärt wird der Begriff an dieser Stelle nicht. Der allgemeinere Begriff des „kons­tanten Kapitals“ erscheint auf S. 260 als Teil des „Gesamtkapitals“ c+v, ohne allerdings die Kombination der Worte „konstant“ und „Kapital“ zu rechtfertigen. Dies wäre dringend nötig, nachdem auf S. 142 Kapital als „sich verwertender [d.h. vermehrender; K.H.] Wert“ bezeich­net wurde. Ebenso wenig gerechtfertigt wird die Bildung des Begriffs des Gesamtkapitals c+v, was allein schon deshalb nötig wäre, weil nur dessen Teil v (die lebendige Arbeit) zur Kapitalverwertung alias -vermehrung beiträgt. Hier schlägt der Umstand durch, dass Müller alles unter den Tisch kehrt, was mit der Verwandlung des Menschen in die „Ware Arbeitskraft“ zu tun hat. Obwohl er „Wert“ bis herab auf die Ebene des Einzelbetriebs und der Einzelware quantitativ auf Arbeit zurückführt, hält er es daher auch nicht für nötig zu erklären, weshalb die Gesamtarbeit nicht durch den betrieblichen Gesamtausstoß c+v+m an Ware dargestellt wird, sondern nur durch dessen Teil v+m, den Neuwert (bei Müller auf S. 261: „neu geschaffene[r] Wert“). Denn auch für Müller spielt die in c verkörperte Arbeit eine wichtige Rolle in der Thematik des Profitratenfalls (S. 268ff.) Eine Analyse der sich darum drehenden Debatten ist andernorts ausgeführt[8]; hier wird anhand von Müllers Buch nur untersucht, wie ihre Begriffsverwirrungen das Verständnis des Geldes vernebeln.

 

Müller will sich dem Phänomen der Geldware u.a. über deren Funktion nähern. „Ihre erste Funktion, die seit einiger Zeit in den Lehrbüchern nicht mehr erwähnt wird, ist ihr wesensgleich: Sie besteht darin Werte auszudrücken, sie zu messen.“ (S. 217) Dies grenzt er später gegen folgendes Geldverständnis anderer Ökonomen ab: „Die Lehrbücher, selbst die von ‚alternativen[9] Ökonomen, erwähnen drei Grundfunktionen des Geldes: Wertaufbewahrungsmittel, Tauschmittel und Recheneinheit. Von einer Wertmaßfunktion ist keine Rede mehr.“ (S. 248) Offensichtlich hat er sich nicht klargemacht, dass die „Messung“ beim Einsatz des Geldes als Tauschmittel erfolgt: Man ordnet einer Ware den Tauschwert 1€ genau dann zu, wenn (bzw. genau deshalb, weil) im Regelfall 1€ für sie bezahlt wird. Analog dazu: Man schreibt einem Objekt die Masse „1kg“ zu, wenn der Zeiger der Waage beim Auflegen bis zur Markierung „1kg“ ausschlägt. Deutlich wird die Unklarheit im Zusam­menhang eines Marx-Zitats, das Müller vor der zuletzt zitierten Passage anführt: „Geld ist Maß der Werte“ (ebd.). Wörtlich genommen lässt dieser kurze Satz offen, ob das Wort „ist“ im Sinne von „fungiert“ gebraucht wird, d.h. für ein „gesellschaftliches Verhältnis“ steht, oder ob es ein Ding charakterisieren soll wie im Satz „Das hier ist ein Auto“. Müller stellt sofort sein eigenes Unverständnis klar: „Das Maß muss von der Qualität des zu Messen­den sein.“ (ebd.) Dieses Durcheinanderwerfen von Quantitativem („messen“) mit Qualitati­vem zeigt, dass ihm – typisch für Ökonomen – jedes Verständnis für den Prozess des Messens fehlt. Ein (es gibt stets viele davon!) Maß muss die zu messende Eigenschaft in fester Quantität besitzen. Ein Metermaß muss 1m lang sein und ein Kilogewicht 1kg schwer. Alle seine sonstigen Eigenschaften, deren Kombination erst die „Qualität(en)“ von Dingen ausmacht, sind im Prinzip egal und allenfalls technisch relevant. Ein Gewicht kann flüssig oder fest sein und aus Wasser, Öl, Gold, Holz oder Aluminium bestehen, solange es nur die Masse „1kg“ besitzt. Die Bestimmung der „Masse“ sieht von allen anderen quan­tifizierbaren Eigenschaften und damit von allen Qualitäten des Objekts ab, da erst eine solche Reduktion das quantitative Vergleichen überhaupt ermöglicht. Wer – wie die Ökonomen – „mehr“ zum obersten Ziel und damit Quantitatives zur obersten (einzigen?) Qualität erklärt, kann an dieser Stelle nichts mehr begreifen. Insbesondere können Ökonomen nicht mehr begreifen, dass ein dem rein gesellschaftlichen Prozess von Warentausch alias -verteilung dienendes Maß für die Bestimmung von Tauschwerten primär die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz benötigt, nicht irgendwelche physi(kali)schen Eigenschaften.

 

Müller verirrt sich daher zwischen den Seiten 217 und 248 in die Debatten bürgerlicher Ökonomen über eine Sonderrolle des Goldes, die er letztlich akzeptiert, indem er Gold als „die Geldware“ bezeichnet, die von Papiergeld, Giralgeld etc. nur repräsentiert werde. „Der logisch-historische Zusammenhang zeigt, dass die Geldstellvertreter Abkömmlinge und keine Konkurrenten der Geldware sind. Geldzeichen sind Repräsentanten der Geldware Gold geblieben, obgleich fixe juristische Bindungen zwischen ihnen und dem Gold aufge­hoben wurden. Das Papiergeld der Zentralbanken – inkonvertible Banknoten – ist Repräsentativgeld.“ (S. 248f.) Die Bezeichnung von Geldformen als zugleich „Repräsentanten“ und „Konkurrenten“ vermengt in interessanter Weise das dingliche Verständnis des Geldes als Objekt mit demjenigen als gesellschaftliches Phänomen. Eine zugehörige alltägliche (bei Marx: „vulgäre“) Begriffsverwirrung bezeichnet routinemäßig das Verdienen (= von jemand anders bekommen) von Geld als „Geld machen“; ihre ökonomische Überhöhung will (vgl. hierzu Abschnitt 6 unten) die Zirkulation des Mehrprodukts aus fixen Beständen (Geldmengen) erklären.

 

„Der positivistische bürgerliche Alltagsverstand stellt sich das Geld gewöhnlich als krude dingliche Tatsache vor. Geld ist für ihn Ding unter anderen Dingen, als positive Menge feststellbar oder meßbar wie ein Sack Kartoffeln. Man hat es oder hat es nicht; eine Milliarde Mark ist eine Milliarde Mark wie eine Tonne Zuckerrüben eine Tonne Zuckerrüben ist. […] Als dieses fetischistische gesellschaftliche Form-Ding ist das Geld aber weder eine positive Tatsache noch eine positiv meßbare Menge. […] Daß 100 Mark nicht immer 100 Mark sind, stellt sich z.B. in einer Situation heraus, in der die Geschäfte wie leergefegt sind und 100 Mark genausogut 100 Konfettischnipsel sein könn­ten. Oder wenn umgekehrt die Geschäfte zwar voll sind, aber eine heftig spürbare Inflation die Preise derartig antreibt, daß das Geld in der Tasche zum Nichts schrumpft, obwohl es ‚positiv‘ dieselben 100 Mark zu sein scheinen wie vorher. Während der galoppierenden Benzinpreiserhöhung in den Ölkrisen der 70er Jahre drückt der Volksmund die Scheinhaf­tigkeit des Geldes durch jenen bekannten Witz aus: mich kann die Preiserhöhung nicht treffen, weil ich immer nur für 10 Mark tanke.“[10]


Durch diesen Witz schimmert – anders als durch die Schriften der Ökonomen – immerhin eine Spur Erkenntnis über die Absurdität von Geldwirtschaft durch.


Diesen (weitverbreiteten) Begriffsverwirrungen fügt Müller eine weitere hinzu, indem er die Aufgabe des Goldstandards als Aufhebung einer „juristischen Bindung“ bezeichnet statt als Aufgabe einer (rein quantitativen) „Eichung“: „1 Unze Gold ist 30$ wert“ bzw. „1$ ist der Wert von 1/30 Unze Gold“.[11] Den dinglichen Charakter dieser Relation muss er über­gehen, weil die sofort einsetzende Goldpreissteigerung dieselbe Dollarnote fortlaufend andere (unter Schwankungen kontinuierlich kleiner werdende) Goldstücke „repräsentieren“ ließ. Unter diesen Umständen können eine Dollarnote und ein fixes Goldstück nicht mehr unkritisch(!) parallel zum „Messen“ verwendet werden, so wenig wie zwei „Gewichte“, deren Massen zwar vor 50 Jahren gleich waren, sich aber wenige Jahre später um einen Faktor 3 unterschieden und heute um einen Faktor 50 unterscheiden. Physiker würden dann die Eignung beider(!) Dinge anzweifeln, als Standard gebraucht zu werden. Zumindest diesen Schritt sollten Ökonomen gehen, wenn sie schon nicht in der Lage sind, die Geldwirtschaft und damit das „Messen von Werten“ grundsätzlich infrage zu stellen.


Mit der Flucht in eine Sonderrolle des Dinges „Goldstück“ drückt Müller sich vor einer Antwort auf die Frage, warum sich in neuester Zeit die „Repräsentanten“ so rasant vermehren, nicht aber das zu Repräsentierende. Wie in vielen ökonomischen Texten verschwim­men in seinem Buch drei Themen ineinander, die auf verschiedenen Ebenen zu behandeln wären. Das erste ist die Entstehung der Geld- alias Warenwirtschaft als solche, was ein gesellschaftlicher Prozess ist. Folgt man Müllers Vorliebe für naturwissenschaftliche Analogien, wären Abhandlungen dazu das Äquivalent von Schriften über die Erfindung und Verbreitung des Maschinenbaus. Das zweite Thema ist die Geschichte der Zahlungsmittel im Kapitalismus, insbesondere ihre Entwicklung vom Edelmetall übers Papier- bis zum Giralgeld. Analoge Ingenieurabhandlungen beschrieben Dampfmaschinen, Diesel- und Elektromoto­ren, die sich in der Funktion des Antriebs in ähnlicher Weise ergänz(t)en bzw. ablös(t)en, wie es verschiedene Geldformen in der Funktion des Zahlungsmittels taten und tun.


Drittes Thema ist die aktuelle Explosion des Finanzwesens. Dazu analoge technische Schriften gibt es nicht; sie beschrieben das unverstandene Phänomen, dass immer mehr Motoren ohne erkennbaren Sinn ihre Drehzahl bis in Bereiche steigern, wo ihr Auseinan­derfliegen zu befürchten ist. Dieses dritte Thema „behandelt“ Müller durch den Verweis auf Fachleute, die alles im Griff haben. „Wahr ist zunächst, dass die Zentralbank in Form von Zentralbanknoten und -guthaben Geld schaffen kann, und sie tut das in dem Maße, wie sie dazu gezwungen ist oder es für wünschenswert hält, und die Geschäftsbanken ihre Pläne nicht durchkreuzen.“ (S. 252) Mit den Geschäftsbanken taucht sogar ein Stück Kapi­talismus und Finanzwesen auf, aber es wird schnell kleingeredet. Denn die Schöpfung von Zentralbankgeld sei gebunden an „gewisse[!] Voraussetzungen“ (S. 253), insbesondere an „die Produktions- und Preisentwicklung, das Angebot an [warum nicht die Nachfrage nach?; K.H.] Wertpapieren und Devisen [warum nicht auch an Krediten?; K.H.], und an die Bereit­schaft der Geschäftsbanken, ihrer Politik zu folgen“ (S. 253). Diese können tatsächlich nicht mehr tun als „folgen“, denn: „Das von Geschäftsbanken geschaffene Buch- oder Giralgeld ist eine Form des Kreditgelds. Seinem Wesen nach ist es eine Forderung auf Zentralbankgeld, bleibt diesem untergeordnet und ist von ihm abgeleitet. Wenn Banken Forderungen auf Zentralbankgeld in Form von Gutschriften auf Konten einräumen, ist Geld nicht geschöpft, sondern vorausgesetzt[!] worden.“ (S. 255) Alle anderen Sichtweisen liefen auf „Zauberei“ hinaus wie im Fall der „alttestamentarischen Witwe [...], deren Ölkrug während einer Zeit der Teuerung auf Gottes Geheiß nicht leer wurde“ (ebd.).


Zusammengefasst: Die Zentralbank regelt das Geldwesen zum Besten des Kapitalismus und der Markt erledigt den Rest. Mehr weiß man nicht und mehr braucht man auch nicht wissen. Damit ist die Frage nach der Konstitution dieses Systems (wozu braucht eine sich angeblich vollständig über „freie Märkte“ regulierende „Wirtschaft“ überhaupt eine Zentral­bank?) übergangen und jede gefährliche Fehlsteuerung ist für unmöglich erklärt. Behan­delt werden mehr oder weniger nur technische Aspekte des Geldwesens, und umgangen wird die Frage nach dem Grund für die Explosion der Geldmengen. Damit unterbleibt auch eine Klärung der Frage, wie sich dies mit ihrer Rolle als „Repräsentanten“ der fast kons­tanten Menge an „Geldware Gold“ verträgt. Da Müller sowohl Wert auf Arbeit zurückführt als auch mit lauter Stimme das Hohelied vom ewigen Fortschritt der Produktivkräfte singt (S. 84ff.), wäre es an dieser Stelle angebracht, noch eine Ebene tiefer zu steigen und sich damit zu befassen, was kontinuierlicher Fortschritt der Produktivität mit einem Goldstück in seiner Eigenschaft des „Wertstandards“ anstellt.


Setzt man das Zentralbankgeld als neue Geldware ein[12], verschieben die Widersprüche sich nur ein Stück: Wie verträgt sich deren Wachstum damit, dass nach Durchsetzung der Lohnarbeit in allen Regionen der Erde und in allen Bereichen der Gesellschaft das Wachs­tum der Arbeit zum Stillstand kommen muss? Aber Müller ignoriert sogar das – selbst in bürgerlicher Presse mittlerweile lang und breit diskutierte – Faktum der Finanztitelvermeh­rung, ein bemerkenswertes Beispiel für die allen Varianten von Ökonomie inhärente Reali­tätsverweigerung. Die intensive Suche nach einem funktionierendem Modell lässt völlig aus dem Blick geraten, wie sehr das zu beschreibende Original bereits ächzt und stöhnt.



6. Das mysteriöse Geld – was es (nicht) „tut“


Der von Betriebswirten oberflächlich über Geldbewegungen erfasste Umschlag und die dabei erfolgende Akkumulation des Kapitals machten schon vielen Theoretikern Probleme; Müller führt uns ein Stück näher an deren Quelle, indem er sich positiv auf ein zentrales Element des bürgerlichen Geldunverständnisses bezieht, die sogenannte Quantitätsgleichung:


„Mit einer bestimmten Geldmenge können unterschiedliche volkswirtschaftliche Werte rea­lisiert werden. Ausschlaggebend ist dafür die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, genauer: die Häufigkeit, mit der gleichnamige Geldeinheiten in einer Periode zu Zahlungen genutzt werden. Wird eine Geldeinheit durchschnittlich zweimal für Zahlungen verwendet, bedarf es nur der Hälfte der Geldmenge, die bei einer einmaligen Verwendung der Geldeinheit erforderlich ist, um die Preissumme einer Warenmenge zu bezahlen.“ (S. 225)[13]


Der Inhalt dieses Zitats wird in vielen ökonomischen Texten (teils verdeckt) akzeptiert. Es liefert neben Erkenntnis über Geld daher auch solche über ökonomisches (Un-)Denk, beginnend damit, dass Ökonomen daraus das Gegenteil seines Inhalts folgern. Während von Ökonomen beratene Zentralbanken und Finanzpolitiker große Mühe auf „richtige“ Steu­erung entweder der Geldmenge(n) oder der Umlaufgeschwindigkeit verwenden, ist nach Wortlaut des Zitats jede dieser Größen für sich allein – salopp formuliert – schnurzpiep­egal. Denn es ist nicht nur laut Inhalt der Gleichung jede Veränderung der einen durch eine passende Veränderung der anderen kompensierbar, sondern darüber hinaus unterstellt bereits das Aufstellen der Gleichung Geldmenge·Umlaufgeschwindigkeit=konstant, dass solche Kompensierungen automatisch erfolgen. Damit muss jeder Eingriff in einen der zwei Faktoren wirkungslos bleiben. Nicht wirkungslos bleiben muss (bzw. aussagekräftig wäre) eine Veränderung des Produkts von Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit; über dieses aber lassen sich die um die Quantitätsgleichung gestrickten Theoriegebilde nicht aus. Die Ökonomen konzentrieren sich auf die zwei irrelevanten Faktoren und umgehen die Befassung mit der einzig interessanten Größe, ihrem Produkt. Dieses erscheint ihnen als eine Konstante mit naturgesetzlichem Charakter, in die man gar nicht eingreifen kann. Anstelle der Frage, ob (und ggf. warum) die Quantitätsgleichung „richtig“ ist, ist daher der Frage nachzugehen, wie ökonomisches Denken dazu kommt, sie überhaupt aufzustellen.


Betrachten wir dazu zunächst auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Zirkulation der Waren- und Geldmenge, die das variable Kapital darstellt. Löhne werden üblicherweise monatsweise am Ersten ausgezahlt und im Lauf des Monats wieder ausgegeben für Güter (vorwiegend, aber nicht notwendig für Konsumgüter), die in diesem Zeitraum auf den Markt gelangen. Am nächsten Monatsersten ist eine Monatsproduktion Lohngüter verbraucht, durch ihren Verkauf gelangte die gesamte Lohnsumme zurück in die Hände der Kapitale, und kann von ihnen erneut ausgezahlt werden.[14] Dann kann der Zyklus sich wiederholen, zumindest in einem Modell, das die Dynamik des Kapitalismus und insbesondere die Kapital­akkumulation ignoriert. Geht man davon aus, dass nur einfache Reproduktion stattfindet, ergibt sich dies zwingend; daher nutzen Ökonomen diesen irrealen Sonderfall gern, um an ihm die Schlüssigkeit einer Theorie – oder der Quantitätsgleichung – zu demonstrieren. Gewöhnlich unterlassen sie allerdings den Hinweis, dass unter diesen Bedingungen die Aussagekraft der Gleichung gleich „null“ ist, denn würde am 1.1. ein Jahreslohn ausgezahlt, benötigte das System den zwölffachen Geldbestand, ohne dass im Verlauf des Jahres auch nur eine Sekunde länger gearbeitet und auch nur ein Atom irgendeiner Ware mehr produziert, gehandelt und verbraucht würde (bzw. werden müsste). Einen solchen (irgend­wie!) fixierten Umlauf der Waren unterstellt implizit das Aufstellen der Gleichung. Bei jähr­licher statt monatlicher Lohnzahlung würde lediglich jede „Geldeinheit“ um den Faktor 12 seltener zum Kaufen („Wert messen“!) benutzt, und sie läge im Gegenzug zwischen zwei solchen Verwendungen gemittelt zwölf Mal so lange irgendwo herum.


Sinngemäßes gilt für den Umschlag des konstanten Kapitals[15], der sich ausschließlich zwischen Kapitalen abspielt: Je flüssiger Verbrauch, Erneuerung und Abrechnung erfolgen, desto weniger Geldbestände (gesamtwirtschaftlich) bzw. Kapitalvorschüsse (einzelwirt­schaftlich) werden benötigt. Die Tatsache, dass die langen und stark variierenden physi­schen Lebensdauern der Kapitalgüter die Verflüssigung des Umlaufs erschweren, erzeugt die Geldform Kredit(geld). So weit ist ein Rückgriff auf die Quantitätsgleichung schlüssig.


Vielen Ökonomen gelingt es, diese Sachverhalte zu beschreiben (oder sich zumindest positiv auf die Quantitätsgleichung zu berufen), ohne sie zu begreifen. Der Mangel an Ver­ständnis wird u.a. daran sichtbar, wie selbstverständlich in Debatten über die Profitrate und ihren tendenziellen Fall ein jährlicher Vorschuss aller Kapitalteile unterstellt und dabei igno­riert wird, dass dies für variables Kapital schon empirisch grob falsch ist. Auf Müllers Buch trifft diese Kritik nicht zu; der Einfluss der Umschlagzeit der Kapitalgüter auf die Profitrate ist auf S. 261f. behandelt. Aber an anderer Stelle unterlässt Müller das Weiterdenken: Die Option, eine Verkleinerung der Geldmenge durch Beschleunigung des Umschlags zu kom­pensieren (bzw. umgekehrt), setzt einen geschlossenen Kreislauf der betrachteten Güter und damit des betrachteten Geldes voraus. Verschwände vorhandenes(!) Geld oder Ware auf irgendeinem Weg aus dem Kreislauf oder träte irgendwo „neues“ Geld oder neue Ware ein, könnte nicht mehr jede(!) „Geldeinheit“ mehrfach (tendenziell beliebig oft) an „dersel­ben“ Stelle denselben Zweck erfüllen. Ein solcher nichtperiodischer Vorgang ist die Reali­sierung (Eintritt in die Zirkulation) des Mehrprodukts.


Die obige Betrachtung enthält nur Reproduktion des bestehenden Produktionsapparats V+C (Arbeitskraft, Rohstoffe, Zwischenprodukte und Produktionsmittel). Vollständig wäre sie daher nur im irrealen Fall einer Mehrwert- und Profitsumme von „null“, in dem alle Besonderheiten der Zirkulation des Mehrwerts und insbesondere die an ihrem Beginn stehenden Vorgänge der „Aneignung“ und der „Realisierung“ ignoriert werden können (bzw. müssen). Nur in einer irrealen Nullprofit-Warenwirtschaft besteht der Ausstoß vollständig aus den Warenkategorien V und C, und nur für ein solches irreales System kann man die Quanti­tätsgleichung aufstellen und obige Schlüsse ziehen, insbesondere dass die Geldmenge prinzi­piell beliebig ist, und Schranken für sie erst durch sekundäre technische Elemente gesetzt werden (insbesondere durch die Lebensdauer(n) der Kapitalgüter und den täglichen bzw. wöchentlichen Lebensrhythmus der Lohnarbeiter).


Innerhalb der technischen Schranken kann die Zirkulation von V und C auch dauerhaft mit einer konstanten Geldmenge bewältigt werden. Dies ist eine notwendige (gewöhnlich aber übergangene) Voraussetzung, um die Quantitätsgleichung überhaupt formulieren zu können; rechnerisch deutlich macht es der (denkbare) Fall konstanter Umlaufgeschwindig­keit. Aus der Zirkulation von V und C lässt sich daher kein fundamentaler Grund für ein Wachsen der Geldmenge(n) ableiten. Kann aber auch die Zirkulation (und insbesondere Reali­sierung) des Mehrwerts M dauerhaft mit einer konstanten Geldmenge bewältigt werden? Dazu muss man sich die Zirkulation der drei Warenkategorien genauer ansehen.


Der Verkauf einer Warenmenge erfordert, dass jemand eine Geldsumme bezahlt, die zahlenmäßig gleich dem Tauschwert dieser Warenmenge ist. Damit die Gesamtheit der Kapitale innerhalb eines (jeden!) Zyklus die Warenmenge C verkaufen kann, muss inner­halb des Zyklus jemand Geld im Umfang des Tauschwerts von C einnehmen. Diesen Jemand gibt es: Es ist die Gesamtheit der Kapitale, denn alle Waren der Kategorie C wer­den von Kapitalen an Kapitale verkauft. Jeder Ausgabe eines Kapitals in diesem Handel steht eine gleich große Einnahme eines anderen Kapitals gegenüber.[16] Nicht auf den ersten Blick, wohl aber auf den zweiten, gilt sinngemäßes für die Zirkulation der Waren­menge V. Sie wird verkauft von Kapitalen und gekauft von Lohnarbeitern, wobei der Kauf aus Löhnen erfolgt, die (andere) Kapitale zahlen. Auch hier fungiert letztendlich die Ge­samtheit der Kapitale als Verkäufer wie als Käufer, ersteres direkt und zweiteres indirekt.[17]


Wie andere Ökonomen ignoriert Müller, dass die vorstehende Betrachtung vollständig die Nachfrage erfasst, nicht aber das Warenangebot. Aus dem laufenden Verkauf von V und C kann dauerhaft nur so viel Kaufkraft entstehen, wie erforderlich ist, dieselbe Warenmenge V+C aufzukaufen. Weitere Kaufkraft entsteht jedoch nicht, obwohl außerdem laufend Mehrprodukt M verkauft werden muss. Der Grund dafür, dass der Warenkreislauf keine Kaufkraft hierfür erzeugt[18], liegt in der Entstehung des Mehrprodukts bzw. Mehrwerts aus „unbezahlter[19] Arbeit“. Seine Aneignung erfolgt, ohne dass an irgendwen dafür Geld bezahlt wird. Somit erlöst niemand Geld, woraus im Gegenzug M bezahlt werden könnte. Wie Mehrprodukt per Aneignung statt Kauf in die Hände der Kapitale gelangt, so muss das Geld für seinen (erstmaligen) Kauf auf andere Weise als durch Verkäufe in die Hand der Käufer gelangen. So wie M aus einem (Markt-)Nichts kommt, d.h. in die Zirkulation von außerhalb selbiger eingespeist wird, so muss das Geld für seinen Kauf aus einem anderen (Markt-)Nichts kommen, d.h. „geschöpft“ werden.


Dieser Vorgang ist so tauschungerecht wie die Aneignung des Mehrprodukts, weshalb das ökonomische Denken ihn ausblenden muss. So entstehen in Müllers Buch Vergleiche mit „Zauberei“ und alttestamentarischen Wundern. Manche (allerdings nicht alle) rechte „Kapitalismuskritiker“ bestreiten die Möglichkeit einer Geldschöpfung mit Argumentationen, die das Spektrum von (angeblichen) Naturgesetzen bis zu (real existierenden) Buchhaltungsregeln reicht. Wie sehr das Denken an dieser Stelle eingeschränkt ist, zeigt sogar alltäglicher Sprachgebrauch: „Geld verdienen“ (d.h. von jemand anders bekommen) wird als „Geld machen“ bezeichnet. All dies erinnert stark an die Tabus „primitiver“ gesellschaft­licher Formationen, über die moderne Menschen anderenorts herzhaft lachen. Keinem von ihnen scheint hierbei aufzufallen, dass der rein technische Vorgang der Geldschöpfung so einfach ist, dass seit dem Aufkommen von „Zahlungsmitteln“ Obrigkeiten ihn einerseits mit größter Selbstverständlichkeit für ihre eigenen Zwecke betrieben (z.B. als Münzver­schlechterung), und ihn andererseits bei Untertanen als schweres Verbrechen verfolgten.


Die Quantitätsgleichung und alles darauf aufbauende Denken kann die Geldschöpfung nicht erfassen, da die Ableitung der Gleichung als einzige Vorgänge Käufe und Verkäufe (d.h. Tauschprozesse) unterstellt. Die Tatsache und die zentrale Rolle unbezahlter Mehrwertaneignung in der kapitalistischen Warenproduktion ist nicht nur unvereinbar mit der Quantitätsgleichung, sondern ebenso mit dem bürgerlichen Ideal bzw. Glaubenssatz des Äquivalententauschs. Da die zur Mehrwertrealisierung nötige laufende Geldschöpfung für die Existenz des Phänomens „Staat“ (allgemeiner: „Politik“) sorgt, bleibt auch dieses den bürgerlichen Ökonomen unbegreiflich – und ebenso marxistischen, wie Müllers Buch zeigt (für weiteres siehe die in Fußnote 8 genannte Publikation).


Nicht die „einfache“ (Müller) Warenzirkulation erklärt das Entstehen und Wachsen von Geld(mengen), sondern erst die mit der Lohnarbeit entstehende Notwendigkeit laufender Geldschöpfung. Geldmengen in Form schon existenter Metalle konnten zur Erfüllung der Geldfunktion „Mehrwertrealisierung“ so lange herangezogen werden, wie sich der frühe Kapitali­smus laufend ausreichende Mengen davon aus einem anderen (Markt-)Nichts als der Drucker­presse beschaf­fen konnte. Eine solche Quelle war die Plünderung von „Gesell­schaftsschichten oder Gesellschaften, die selbst nicht kapitalistisch produzieren“.[20] „Ausreichend“ beinhaltet u.a., dass der Wertumfang solcher Geldware größenordnungsmäßig den Anteil M des Endprodukts erreicht. So lange dies zutraf, konnte der Kapitalismus auf eigener Grundlage prozessieren, ohne dass eine harte Schranke für seine „systemnotwendige“ endlose Expan­sion sichtbar wurde.


Dieser Zustand endete spätestens mit der im Ersten Weltkrieg erfolgten Anspan­nung aller Produktivkräfte für Kriegszwecke, die das Volumen des Neuwerts V+M und insbesondere des Anteils M in einem gewaltigen Schub nach oben schraubte. Nicht zufällig mussten alle kriegführenden europäischen Nationen in dieser Zeit die Goldbindung ihrer Währung auf­geben, um explodierende Kriegskosten decken zu können. Ökonomisch ist Rüstung nichts anderes als Luxuskonsum. Konkreter: ein Teil des Mehrwerts, der kollektiv statt indivi­duell (und vollständig destruktiv!) „konsumiert“ wird. Da Staatskasse und Staat in Aneignung und „Konsum“ dieses Mehr­wertteils eingebunden sind, brachte diese Zeit als ein bleibendes Phä­nomen den Staatskredit hervor und damit eine enorme Expansion des Kreditwesens insge­samt.[21] Bürgerlichen Ökonomen blieb dieser Vorgang un­verständlich, da Mehrarbeit samt allen verbun­denen Erscheinungen mangels Bezahlung für sie unsichtbar bleibt. Den Eintritt des Mehrprodukts in die Zirkulation im Tausch gegen geschöpftes Geld verwech­seln sie mit der Erzeugung dieses Produktteils (Marxisten: mit (Mehr-)Arbeit), woraus zahl­reiche dubiose Vorstellungen über die Notwendigkeit einer „Deckung“ des Geldes durch sogenannte „wahre Werte“ entstehen. Macht man sich klar, dass die Schöpfung von Geld der Realisierung „unbezahlter“ Arbeit dient, erscheint das Gegenteil als logisch rich­tig: Das Geld kann nicht aus Arbeit, sondern nur aus einem (ökonomischen!) Nichts stammen bzw. erklärt werden, und demzufolge kann es nicht nur Formen annehmen, die sich beliebig weit von Arbeitsprodukten entfernen, sondern es muss dies irgendwann tun.


Um mit Gold­geld laufend alles Mehrprodukt zu realisieren oder auch nur das für diesen Zweck geschöpfte Papiergeld zu „decken“, müsste laufend Gold im Wertumfang dieses Mehrprodukts produziert und unbezahlt angeeignet werden, das physische Mehrprodukt also voll­ständig aus Gold bestehen. Real ist dies offensichtlich unmöglich. „Dieses von der kapita­listi­schen Entwicklung selbst erzeugte Problem auf der Ebene des Geldkapitals musste notwendigerweise die Frage nach der Rolle der Geldware im stetig expandie­ren­den Kredit­system aufwerfen. Die Rückver­siche­rung in Form des Goldstan­dards, also der Goldkon­vertibilität der Wäh­rungen, begann lästig zu werden, weil dadurch die Auswei­tung der formalen Geldfunktion im Rahmen des Kredits gebremst wurde und dessen Volu­men strukturell zu begrenzen drohte.“[22] Real liegt der Goldstandard schon lange auf dem Müll­hau­fen der Kapitalismusgeschichte. Aber egal ob und wie tief er schon darin versunken ist, tummeln sich dort bis heute rechte (aber auch „alternative“) „Kapitalis­muskritiker“ – um ihn wieder auszugraben.


Die Notwendigkeit laufender Geldschöpfung im Wertumfang des Mehrprodukts erklärt das zunehmende Expansionstempo des Finanzwesens. Die Ausbeutungsrate M/V ist zugleich das Verhältnis der laufenden Geldschöpfung zum laufenden Gesamteinkommen aus Lohnarbeit. Lässt Wachsen der physischen Produktivität dieses Verhältnis gegen „unendlich“ tendieren, entstehen aus Sicht der Lohnarbeiter märchenhaft wirkende Geld­einkommen bei denen, die direkt an die Flüsse frisch geschöpften Geldes herankommen. Zugleich tendiert das Verhältnis der jährlich nötigen Geldschöpfung M zum jährlichen Neuwert V+M gegen „1“. Da es keinen Mechanismus gibt, der kontinuierlich Geld oder Finanztitel zuverlässig vernichtet, steigt der Geldbestand (d.h. die Summe aller vergange­nen Geldschöpfungen) auch gegenüber dem Umfang des aktuellen (egal über welchen Zeitraum summierten) Warenumlaufs tendenziell ins Unendliche.[23] Die Geldmenge und mit ihr der zirkulierende Wert im Sinne von „Tauschwert“ wird dadurch ins Uferlose aufgebläht, während irgendein gegebener Gebrauchswert nur noch in homoöpathischer Dosis Wert im Sinn von Arbeit vergegenständlicht.[24] Diese Diskrepanz ist als Entwertung der Geldware relativ zur Arbeit fassbar, von Robert Kurz formuliert als Buchtitel „Geld ohne Wert“. Einen physisch definierbaren „Wertstandard“, der dauerhaft eine gegebene Menge an (abstrakter) Arbeit repräsentiert, kann es daher gar nicht geben. Darüber staunen können nur Apolo­geten, die den Kapitalismus als ein aus den drei Komponenten Gebrauchswert, Arbeit und Geld zusammengesetztes harmonisches Ganzes sehen (wollen).


Die Illusion von einer Harmonie zwischen Gebrauchswert, Arbeit und Geld bildet den unsichtbaren Kern sowohl klassischer als auch marxistischer Wertbegriffe, erkennbar u.a. daran, wie ökonomische Texte zwischen diesen drei Ebenen hin und her springen. Von Seite zu Seite, von Absatz zu Absatz oder gar von Satz zu Satz kann (z.B.) das variable Kapital V abwechselnd als die zur Reproduktion der Arbeitskraft nötige Gütermenge, als die dafür nötige Arbeit, oder als die zu ihrem Erwerb dienende Lohnsumme verstanden werden. Dieser Wirrwarr greift ein populäres (bei Marx: vulgäres) Verständnis dieser Ele­mente als sich gegenseitig bedingende Positiva auf, das Schlagworte wie „Wert(!)arbeit“, „guter Lohn für gute Arbeit“ oder „Qualität hat ihren Preis“ hervorbringt. Real zerfällt dieses Trio immer schneller. Sind alle Regionen der Erde und alle gesellschaftlichen Schichten in die Lohnarbeit einbezogen, muss der jährliche Umfang der Arbeit in Stunden zu stagnie­ren beginnen. Parallel dazu bewirkt jeder weitere Fortschritt der Produktivkräfte, dass der zur Reproduktion der Menschheit dienende Anteil V des Endprodukts und damit der in irgendeine positive Ideologie überhaupt einbeziehbare Anteil der Gesamtarbeit schrumpft, während die zur Realisierung des im Gegenzug ansteigenden Anteils M erforderliche Geldschöpfung die Geldmenge ins Unendliche explodieren lässt. Nur in der Einbildung von Ökonomen kann bzw. wird(!) all dies dauerhaft miteinander harmonieren.


Am Ende dieser Entwicklung steht nicht „weniger“ oder „zu wenig“ Wert im quantitativen Sinn, sondern das Verschwinden der positiven Wertfiktion als solcher – d.h. „gar kein Wert“ trotz immer mehr an (gut sichtbarem!) Geld.[25] Die daraus entstehende Krisenhaftigkeit des Spätkapitalismus ist längst nicht mehr auf der Geldebene alleine zu fassen. In dem Maß, wie der aus geschöpftem Geld zu kaufende Anteil M am Endprodukt V+M wächst, kann die physische Form dieses Teils sich immer weiter von dem entfernen, was Ökonomen als Ziel kapitalistischen Wirtschaftens ausgeben: die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Mit destruktiven Formen von „Produkten“ entstehen destruktive Formen von „Arbeit“ und weitere destruktive gesellschaftliche Praktiken. All dies schlägt auf den Anteil V des Endprodukts durch und droht letztlich die Bewohnbarkeit der Erde zu unterminieren. Die zum Unterhalt der Menschheit verwendbaren materiellen Mittel V und damit die Menschheit selber werden zum Anhängsel des rein dem Verwertungszweck dienenden Produkt- (und Arbeits-)Teils M, was sowohl in den Produktionsprozess als auch in die Formen des Produkt- (und Arbeits-)Teils V immer destruktivere und verrücktere Elemente einführt – statt dass wenigstens noch „Handwerker“ davon „gut leben“ (Müller) können.



7. Schlussbemerkung


Die vorstehende Auseinandersetzung mit Klaus Müllers Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Keine Ökonomiekritik kann jemals vollständig sein, denn dafür müsste ihr Gegenstand (die Politische Ökonomie) zumindest halbwegs vollständig und schlüssig sein, nicht schon auf den ersten Blick „zersplittert und zerfasert“ (Müller). Versucht man, Vollständigkeit mittels Ausarbeitung einer vollständigen positiven Theorie zu erreichen, dann gerät man – wie Müller – früher oder später in die ausgetretenen Abwege, auf denen apologetische Ökonomie den Kapitalismus gesundbeten will.




Endnoten


[1] Klaus Müller, Auf Abwegen. Von der Kunst der Ökonomen sich selbst zu täuschen, Köln 2019. Alle Seitenangaben im Artikel beziehen sich auf dieses Buch.


[2] Siehe hierzu Alan Freeman, "Die Himmel über uns. Über die Bedeutung des Gleichgewichts für die Wirtschaftswissenschaft", in: Exit! Nr.3, 2006, S. 212-241.

[3] Ob eine solche Strömung wirklich inhaltlich fassbar ist, d.h. ob die Gemeinsamkeiten über einen philologischen Zugang zu Marx (mit ausführlicher Textexegese) hinausgehen, bleibt hier dahingestellt. Müller subsumiert unter „NML“ u.a. die Autoren Backhaus, Heinrich und Elbe sowie die Zeitschriften Prokla, Argument, Krisis und Exit!.


[4] Robert Kurz, "Die Substanz des Kapitals, Teil 2", in: Exit! Nr. 2, 2005, S. 221

[5] Einer solchen Deutung leistet Müller Vorschub, wenn er (u.a.) schreibt: „Beim Übergang von der allgemeinen[!], der einfachen zur spezifisch kapitalistischen Ausprägung der Warenproduktion zerfällt die erste nicht. Sie bleibt mit veränderter Bedeutung erhalten, wird modifiziert, weiterentwickelt[!], durch Neues angereichert[!].“ (S.149)


[6] Dasselbe Bild des so anständigen wie fleißigen und produktiven Handwerkers pflegt der ökonomische Mainstream, wenn er in seinen Lehrbüchern als Beispiele für das „Wirtschaften“ Bäckereien vorführt. Vgl. hierzu vom Autor: "Des Bäckers umwerfende Theorie vom Gleichgewicht", exit-online.org  

In Müllers Buch taucht diese Profession auf S. 169 auf, ergänzt auf S. 191 durch Schmiede, Fleischer, Glasbläser und Maler. Unterlassen wird jeweils zu zeigen, wie und warum(!) Kleinbetriebe (neuerdings: „Zulieferer“) im Kapitalismus „gesetzmäßig“ unter die Räder kommen.


[7] U.a. Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Berlin 1913, online unter mlwerke.de  

Zur Kritik dieser und anderer Krisentheorien vgl. Kurz, Die Substanz des Kapitals (wie Endnote 4), S. 166ff.


[8] Siehe hierzu vom Autor: Immer mühsamer hält sich die Profitrate, 2019, exit-online.org 

Dieser Text setzt sich insbesondere auch mit dem neoricardianischen Theoriezweig auseinander, der sich eng an die „grandiosen Input-Output-Modelle Leontjews“ (Müller) anlehnt und damit gerade die Reste des Traditionsmarxismus aufsaugt.


[9] Dieses Wort wird nicht näher erläutert. Als „alternativ“ bezeichnen sich viele linke, mittlerweile aber auch nicht wenige rechte Theoretiker und Publikationen. Man erkennt auch an diesem Detail von Müllers Buch, wie „Quer­fronten“ entstehen. Solche Amalgame bringen letztlich nichts anderes zum Ausdruck als die Perspektivlosigkeit der spätkapitalistischen Gesellschaft: Im Stillstand verschwindet der Unterschied zwischen „vorwärts“ und „rückwärts“ ebenso wie derjenige zwischen „rechts“ und „links“. In postmoderner Formulierung: „Alles ist möglich“ oder „Wir wollen irgendwas“.


[10] Robert Kurz, Potemkins Rückkehr – Attrappen-Kapitalismus und Verteilungskrieg in Deutschland, Berlin 1993, S. 140f.

[11] Analog dazu in der Physik: „1kg ist die Masse dieses Stücks Platin in Paris.“ Dass mittlerweile das „kg“ anders definiert wird (siehe spektrum.de), tut der Analogie ebenso wenig Abbruch wie der Fakt, dass diverse weitere Einheiten für „Masse“ in Gebrauch (und bei Bedarf problemlos gegeneinander austauschbar) sind.


[12] Eine solche Flucht aus dem Gold wird gelegentlich versucht, wenn das physische Herangehen des „Metallismus“ (Geld = Edelmetall) an den Geldbegriff sich als unhaltbar erweist. Eng damit verwandt ist folgende Position: „Heute haben die von den Zentralbanken im Rahmen ihrer ‚Geldschöpfung’ akkumulierten handelbaren Forderungen und Sicherheiten (z.B. Staatsanleihen) die Position der Geldware inne.“ (Aus der Zusammenfassung der Krisis Nr. 2/2018, S. 5; siehe online unter krisis.org) Sinn­voller wäre darüber nachzudenken, ob das Wesentliche an einer Geldware wirklich ihre physische Form ist. Vgl. dazu: Thomas Meyer, "Wertkritik als Mogelpackung", 2020, exit-online.org 


[13] Hätte Müller etwas mehr über die von ihm betonte Geldfunktion der „Wertmessung“ nachgedacht, hätte ihm an dieser Stelle auffallen müssen, dass die Wertmessung durch den Vorgang des Bezahlens erfolgt (vgl. Endnote 11 und zugehörigen Haupttext). Zahlungsvorgänge entsprächen dann Wägungen und „Geldeinheiten“ Kilogewichten bzw. Waagen. Bürgerliche Geldtheorien, welche die „Geldmenge“ mit „Größe der Wirtschaft“ verknüpfen, entsprächen einer Physik, in der die Masse des Universums durch die Anzahl der darin aufgestellten Waagen bestimmt ist.


[14] Hier wird abgesehen von Störungen, die entstehen, wenn gebrauchswertseitig „falsche“ Güter produziert werden.

[15] Auch hier wird die in Endnote 14 angegebene Annahme gemacht. Ferner wird unterstellt, dass die Proportionen zwischen Lohngüter- und Kapitalgüterabteilung „stimmen“; dann bringt der Kauf von Kapitalgütern durch Lohn­güterproduzenten exakt das zur Lohnzahlung nötige Geld in die Hände der Kapitalgüterhersteller.


[16] Man kann daher diesen Teil der Warenzirkulation auf der Geld(!)ebene vollständig zum Verschwinden bringen, indem man alle Kapitale zu einem „Superkapital“ zusammenfasst. Vgl. dazu die in Endnote 8 genannte Publikation.


[17] Auch hier wird die bereits in Endnote 14 unterstellte Annahme gemacht.

[18] Liest man das Kapital etwas genauer als Müller, dann findet man schon sehr weit vorn darin Bemerkungen des Inhalts, dass Tausch nicht den (allgemeinen) Gewinn erklären könne. Man muss dann nur noch den einen Schritt weiterdenken, dass Tausch von „gleichem“ keinen Tausch von „mehr“ einschließen kann.


[19] Interessant ist, durch wieviele Texte dieser Ausdruck bis heute geistert, obwohl im Kapital mit viel Mühe nachge­wiesen wird, dass nicht etwa Arbeit gekauft wird, sondern Arbeitskraft. Dieser Sprachgebrauch zeigt die großen Probleme ökonomischen (und selbst ökonomiekritischen) Denkens mit allem, das nicht „tauschgerecht“ (Müller; kursive Hervorh. K.H.) ist.


[20] Luxemburg, a.a.O., S. 300. Die genannte Quelle versiegte im Verlauf des 20. Jhdts. endgültig.

[21] Einige Jahrzehnte später – auch diesmal durch einen Krieg befördert – überforderte die weiter gestiegene Produk­tivität auch die Fähigkeiten der neuen Führungsmacht USA, ihre Währung durch Gold zu „decken“.


[22] Robert Kurz, Geld ohne Wert, Berlin 2012, S. 330

[23] Nicht aber die Profitrate M/(V+C); vgl. hierzu und zum Thema des folgenden Absatzes die in Endnote 8 genannte Publikation.

[24] Mit einer simplen Rechnung lässt sich vorführen, dass letztendlich der Wert (und damit sein Teil Mehrwert) der Ware sich in genügend langer Zeit beliebig nahe der Null nähert: Claus Peter Ortlieb, "Ein Widerspruch von Stoff und Form", in: Exit! Nr. 6, S. 23-54 (Preprint online verfügbar unter math.uni-hamburg.de). Das Resultat ist mit einer instruktiven Grafik illustriert (ebd., S. 39) und bezieht sich ausdrücklich „nicht nur auf einzelne Produkte, sondern ebenso auf beliebige ‚Warenkörbe’“ (ebd., S. 40).


[25] Dieses Spannungsfeld drückt sich bereits in Buchtiteln aus: Die große Entwertung (Lohoff und Trenkle) vs. Geld ohne Wert (Kurz). Kann(!) man den ersten Titel leicht rein quantitativ verstehen, ist dies beim zweiten nicht mehr ohne weiteres möglich.