Gerold Wallner


Vanitas vanitatum


 

Rezension von:

Raimund G. Philipp: Die Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen. Zur Kritik der Rückprojektion moderner Kategorien auf die Vormoderne: ausgehendes Neolithikum, die drei Dynastien. Darmstadt, wbg, 2019


 

 

Ich bespreche hier ein Buch Raimund G. Philipps, das eitel ist im doppelten Sinne des Worts: eitel als Vergeblichkeit des Unterfangens und eitel als prahlerisches Sichzurschaustellen. Beginnen wir mit dem Vergeblichen.


Titel und Untertitel des Buchs lauten in barocker Länge: „Die Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen. Zur Kritik der Rückprojektion moderner Kategorien auf die Vormoderne: ausgehendes Neolithikum, die drei Dynastien.“ Allerdings trügt der Titel, denn was vor den LeserInnen ausgebreitet wird, ist keine Geschichte Chinas, nicht im historiografischen Sinn. Und auch die zeitliche Beschränkung der Darstellung, wie sie im Untertitel angedeutet wird, trügt. Zwar werden neolithische Zivilisationen und die der ersten drei Dynastien immer wieder erwähnt, aber eben auch andere, die über diese frühe Epoche hinausreichen, auch wenn diese drei ersten Dynastien Xia, Shang und Zhou (2070-256 v.u.Z.) namentlich als die erwähnt werden, auf die sich die Untersuchung bezieht.

Die Zeit der Zhou (westliche und östliche Zhou) wiederum wird in verschiedenen Chronologien und Periodisierungen auch mit anderen Namen bedacht, auf die rekurriert wird: Zeit der streitenden Reiche, davor die Periode der Frühlings- und Herbstannalen. Dann aber kommt im Text auch noch recht unvermittelt die Qin-Dynastie vor mit dem (ersten) Kaiser Qin Shihuang Di (bekannt durch sein Mausoleum mit der Terracotta-Armee), die die Zhou ablöste. Da auch die nachfolgende Han-Dynastie in der Lektüre auftaucht, wird vom Publikum schon einiges an Vorkenntnis verlangt. Nun kann unser Autor aber davon ausgehen, dass im Zeitalter von Google und Wikipedia es kein Problem darstellen dürfte, sich jenseits des Buchs kundig zu machen.


Darüber hinaus muss in Rechnung gestellt werden – und das ergibt sich aus Vorwort, Einleitung und den ersten zwei Kapiteln des Buchs –, dass Historiografie nicht gerade Anliegen und Thema des Buchs ist. Insofern ist „Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen“ irreführend. Eher macht der Untertitel klar, worum es dem Autor geht: Er will eine grundlegende Kritik an der Verwendung zeitgenössischer gesellschaftskritischer und historiografischer Begriffe für vormoderne Verhältnisse anbieten. Dieses Unterfangen ist so redlich, wie es unoriginell ist. Philipp selbst macht den verdienten Althistoriker Christian Meier, der zur Antike Roms und Griechenlands gearbeitet hat, zu seinem Gewährsmann, den er ausführlich zitiert (S. 200-204), um darzulegen, dass für res publica und polis die Begriffe Politik und Staat laut Meier nicht die historische, vergangene Wirklichkeit treffen und sich deren Anwendung auch für den Untersuchungszeitraum in China verbietet. Ähnlich argumentiert Eske Bockelmann (2004), der in Philipps Buch nicht erwähnt wird, für das West- und Mitteleuropa der Mitte des 17. Jahrhunderts. Erst ab diesem Zeitpunkt bekämen bestimmte Begriffe wie etwa Kunst oder auch Geld ihren modernen, zeitgenössischen, uns wohlvertrauten Inhalt. Davor bezeichneten sie etwas ganz anderes.


So weit, so gut. Es ergeben sich aber im Fortgang der Lektüre einige Probleme, die das Gelingen dieser angestrebten und recht vehement vorgetragenen Kritik zum Scheitern verurteilen. Das ist einem Herangehen geschuldet, das selbst fragwürdig ist. Zum einen geht es um den Begriff Fetischverhältnis, der in einen theoretischen Rahmen eingebettet wird, der seinerseits wieder stark konstruiert erscheint. Philipp rekurriert immer wieder auf eine „Theorie der Geschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen“, als deren Urheber er Robert Kurz (1943-2012) vorstellt, dem er auch dieses Buch gewidmet hat. Nun ist das aber mit der Theorie so eine Sache. Ganz unzweifelhaft hat Kurz, anfangs vielleicht sogar erst als Bonmot und in polemischer Abkehr von einer Geschichte der Menschheit als Geschichte von Klassenkämpfen, zur Beschreibung von gesellschaftlichen Formierungen und Formationen Fetischverhältnissen größtes Augenmerk geschenkt.

Er hat dabei in Anlehnung an das Kapitel über den Warenfetisch aus dem ersten Band des „Kapital“ von Marx die Frage gestellt, ob es denn nicht sein könnte, dass die fetischistische Verkehrung sozialer Verhältnisse in dingliche, die dann das gesellschaftliche Leben quasi autonom, von außen und mit objektiver Autorität bestimmt, nicht nur an der Warenproduktion und Wertverwertung für unsere Verhältnisse, sondern auch für vorkapitalistische Verhältnisse beobachtbar und nachweisbar wäre. In diesem Fall wären die Fetischverhältnisse anders und durch anderes bestimmt.


Es wird nicht überraschen, dass als vormodernes Fetischverhältnis, das die gesellschaftlichen Beziehungen vor kapitalistischer Produktionsweise und bürgerlicher Gesellschaft antrieb und organisierte, die Religion festgemacht werden kann und von und mit ihr festgesetzte personale Bindungen, Verpflichtungen und Hierarchien, die das gesellschaftliche Getriebe anleiten. Auch Heide Gerstenberger (2006) hat die völlige Andersartigkeit der vormodernen gesellschaftlichen Verhältnisse beschrieben, wenn auch ohne dabei den Begriff des Fetischs zu strapazieren. Sie begnügt sich mit einer konzisen Beschreibung der personalen Herrschaft und ihrer Verallgemeinerung.

Philipp verwendet nun viel Papier und Druckerschwärze darauf, die verschiedenen Stellen aus Kurz’ Werken aufzuzählen und zu zitieren, in denen dieser die Religion, allgemeiner das transzendente göttliche Prinzip, erklärt, kritisiert und zur Wasserscheide gegenüber unserem gesellschaftlichen Getriebe macht. Namentlich zwei Werke werden immer wieder dem Publikum vor Augen geführt: „Geld ohne Wert“ (Kurz 2012) einerseits, ein Werk, das Kurz’ Geschichtsverständnis und sein Herangehen an die Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus, also der Warenproduktion und der Wertverwertung, darstellt. Ein Geld ohne Wert bezieht sich dabei in Anlehnung an Bockelmann, aber auch an anfechtbarere historische Darstellungen wie die von Bernhard Laum, auf die Existenz von Geld, das noch nicht die allgemeine Ware Marx’ und noch nicht im Stande war, das Kapitalverhältnis zu tragen, Geld also, das in vorkapitalistischen Sozietäten vorkam – und, wie ich sagen möchte, den Namen nicht verdiente, war es doch nichts als gemünztes Edelmetall.

Das zweite Kurz’sche Werk, mit dem uns Philipp bekannt macht, ist das früher entstandene „Geschichte als Aporie. Vorläufige Thesen zur Auseinandersetzung um die Historizität von Fetischverhältnissen“ (Kurz 2006), eine aus gutem Grund Fragment gebliebene Polemik, abfragbar auf der Homepage exit-online.org, die um die Frage der Geschichte überhaupt kreist; ob nicht Geschichte selbst dem bürgerlichen Horizont zuzuschreiben wäre als seine ureigenste Erfindung und daher eine moderne Kategorie, die nicht rückprojiziert werden dürfte. Kurz verneint dies, führt das im Fragment nicht weiter aus, besteht aber darauf, „nicht auf den geschichtstheoretischen Begriff zu verzichten“, und erklärt die Beziehung zum Geschichtsbegriff in der Wert-Abspaltungskritik als widersprüchlich und „aporetisch“. Dennoch bleibt genug Material über, um Philipp mit zitierfähigen Stellen zu versorgen und Kurz’ Standpunkt klarzumachen.


Allerdings taucht bei Philipp nun eine Unschärfe auf. Er gibt seinem Werk den Titel: „Die Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen“, doch beschränkt er sich auf die Vormoderne des Neolithikums und der drei Dynastien. Chinas Geschichte als eine von Fetischverhältnissen müsste dann wenigstens zwei davon enthalten: das vormoderne religiöse und das moderne kapitalistische; die Religion und die Warenproduktion und dazu den bruchvollen, katastrophischen, revolutionären Übergang oder besser: Umbruch. Doch das kommt nicht vor, denn Philipp beschäftigt sich nur mit dem vormodernen religiösen Fetischverhältnis. Dieses aber gibt er vor, uns in seinen Veränderungen näher zu bringen (S. 77):


Der Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat brachte männlich dominierte »Fetischverhältnisse« hervor, die die weiblich bestimmten modifizierte und als »apriorische Matrix« diejenigen des Matriarchats ablöste. Es kann vermutet werden, dass es auch im Matriarchat zu Modifikationen der »Fetischverhältnisse« kam, mit Sicherheit war das der Fall bei den patriarchalischen wie am Übergang von der Shang- zur Zhou-Dynastie demonstriert.


Diese Stelle wird dann auch noch mit einer Fußnote versehen, die da lautet:

 

Diese allgemein gehaltenen Aussagen müssen in Bezug auf die je spezifischen Sozietäten genau überprüft werden, z. B. der Longshan-Kultur, soweit sich dies für das Neolithikum überhaupt bewerkstelligen lässt.

 

Abgesehen von den grammatikalischen Unzulänglichkeiten, die immer wieder neben Rätseln der Formatierung auftauchen, zeigt sich hier ein Problem, das den Text durchzieht. Nicht nur im Titel, auch in den Kapiteln und auf vielen Seiten des Buchs wird von „den Fetischverhältnissen“ des alten Chinas gesprochen. Will man nun aber Kurz folgen, so kann es für das alte China nur ein einziges, immer wieder modifiziertes Fetischverhältnis geben, das der Religion. Die Fetischverhältnisse als historisches Vorkommnis Chinas in Philipps Titel sind also etwas anderes als die Fetischverhältnisse Kurz’. Philipp bleibt in dieser Hinsicht ganz unklar, lesen wir doch eine Seite vorher: Moritz, einer der von Philipp zitierten Sinologen

 

erkennt zumindest, dass der Machtübergang von den Shang zur Zhou-Dynastie eine Diskontinuität im »fetischistischen Herrschaftsverhältnis« darstellt und sich ein Kampf des Alten gegen das Neue (Flasch, nach Kurz; s. w. u.) bzw. eine Synthese aus beiden vollzog, der bzw. die einen längeren Zeitraum in Anspruch nahm. Diese neuen »Fetischverhältnisse« als »apriorische Matrix« wurden, hatten sie sich einmal gefestigt, nicht mehr hinterfragt, sie galt von ‚vornherein.

 

Auch dazu gibt es noch eine Fußnote:

 

Außer in Krisenzeiten, z. B. beim Übergang von einem »Fetischverhältnis« zum anderen, siehe den schon erwähnten Wechsel von Shang- zur Zhou-Dynastie.

 

Es lässt sich erahnen, wie das Buch zu lesen ist: redundant, sich wiederholend, an selbst gestellten Themen vorbei argumentierend. Im Fall der zitierten Stellen geht es darum, dass Philipp gar keinen Begriff eines religiösen Fetischverhältnisses hat, es sei denn, Kurz hätte ein passendes Zitat zur Verfügung gestellt. Ansonsten oszilliert unser Autor zwischen anekdotenhaft wiedergegebenen Episoden aus der Binnengeschichte eines religiös verfassten Chinas, die er uns als Geschichte von Fetischverhältnissen aufbinden will, sich aber nicht zu einer Historiografie durchringen kann, und dem zitatenhaften Wiederkäuen der Kurz-Werke, wobei er sich nicht entblödet (z. B. S. 92), eine Wortfolge gleich dreimal als Zitat auf einer einzigen Seite zu markieren.


Später wird das Einzigartige der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung Mittel- und Westeuropas hervorgestrichen (wiewohl das mit dem untersuchten Zeitraum, auf den Philipp immer wieder verweist, nichts zu tun hat), um darzutun, dass moderne Begriffe auf das religiös verfasste China nicht angewandt werden können, nur auf die Entwicklung Europas zur bürgerlichen Gesellschaft hin, was ja stimmt. Allerdings wird bei aller notwendigen Differenz dabei auch ein eurozentristischer Zungenschlag fühlbar, der sicherlich Raimund Philipp zuzurechnen ist, der aber auch manchmal bei Robert Kurz durchdringt. Es ist von Fall zu Fall zu entscheiden, ob die Sonderstellung Europas argumentativ befestigt werden kann oder nicht. Es gilt jedenfalls nicht für das auf S. 195 Zitierte. Zunächst lässt Philipp Kurz zu Wort kommen:

 

Zutreffend hat der liberalkonservative Schweizer Historiker Jacob Burkhard vom »Staatsbildungskrieg« der frühen Neuzeit gesprochen, denn damals entstanden die Grundstrukturen der heute noch gültigen Machtgebilde und dessen, was wir – als Kehrseite der monetarisierten Reproduktion – Politik nennen (Kurz, 2013, S. 104).

 

2013 bezieht sich auf einen Aufsatz in einem Sammelband, der postum erschien (Weltkrise und Ignoranz. Ausgewählte Schriften, Berlin 2013). Philipp fährt dann mit eigenen Worten fort:

 

Es ist an anderer Stelle schon einmal dargelegt worden und soll hier noch einmal ins Gedächtnis zurückgerufen werden, was in dem obigen Zitat anklingt: Nur in Europa der Frühmoderne kam es u. a. bedingt durch die militärische Revolution zu Staatsbildungskriegen und nur in Europa entwickelte sich daraus in einem langwierigen Prozess das moderne warenproduzierende System, dem das transzendentale Prinzip (Wertverwertung) zugrunde liegt. Nirgendwo sonst auf der Welt hat es in dieser frühen Neuzeit eine derartige Entwicklung gegeben.

 

Es wäre interessant, Kurz’ spezifischen historischen Zugang zur Formierungsgeschichte des kapitalistischen Europas zu beleuchten, vor allem seinen zustimmenden Bezug auf Geoffrey Parkers Begriff der militärischen Revolution (Parker 1990) und der von Kurz postulierten Feuerwaffenökonomie, auch weil Philipp immer wieder darauf rekurriert. Hier soll aber genügen, darauf hinzuweisen, dass unser Autor einfach die Geschichte Japans unterschlägt, die Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts ihren eigenen Staatsbildungskrieg aufweist mit einem Ergebnis, das dem westeuropäischen Absolutismus und Merkantilismus im 17. Jahrhundert augenfällig gleicht.

Der Unterschied mag dort zu suchen sein, wo der Staatsbildungskrieg in Japan gleichzeitig zu einem Einigungskrieg wurde; es ändert aber nichts daran, dass mit dieser Entwicklung Japan – ganz im Gegensatz zu China – einen Weg einschlug, der zu Modernisierung und zur Entwicklung einer kapitalistischen Gesellschaft führte. Und dass dann wieder zur selben Zeit, da Europa (und das Amerika der Vereinigten Staaten) ihren imperialistischen Unterwerfungszug rund um die Welt antraten, auch Japan seinen eigenen, genuinen Imperialismus als wohlverstandener Konkurrent anderer Staaten vorantrieb und das Spiel um die Beherrschung der Welt durch expandierende Wertverwertung mitmachte, sollte Philipps postulierte Einzigartigkeit relativieren.


Er mag nun darauf antworten, dass Japans Entwicklung durch die Einigungskriege und durch die folgende Edo-Zeit hindurch noch immer von einem religiösen Fetischverhältnis getragen und bestimmt war. Das stimmt wohl, trifft aber vice versa eben auch wieder für das zeitgleiche Europa zu. Auch hier haben wir es noch immer mit persönlichen Abhängigkeiten und Reverenzen zu tun, Feuerwaffen hin oder her. Das zeigt sich am Offizierswesen, das bis zur Französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen sich noch nach den herrschenden Arten und Ordnungen des Adels richtete, seine Söhne durch Kriegsdienste (und -beute) und Befehlsgewalt über Regimenter zu versorgen.

Die stehenden Heere, von denen Kurz in Anlehnung an Parker immer wieder spricht, waren auch nicht so bedeutend, wie es in den Aufsätzen von Kurz und den Zitaten von Philipp erscheint. Jedenfalls waren es Festungsbesatzungen von geringer Manngröße, und die ersten Kasernen, die im 18. Jahrhundert gebaut wurden, beherbergten wie die Festungen nicht nur die Mannschaften, sondern gleich deren Familien, die sich neben dem schmalen Sold durch Bebauung von Parzellen ernährten. Die alte agrarische Ordnung war also großteils noch gültig, Monetarisierung und Geldhunger hin oder her.

Und um diese kleine Polemik oder Richtigstellung abzuschließen, so soll entgegen der argumentativen Stoßrichtung von Parker und Kurz festgehalten werden, dass es nicht die stehenden Heere waren, die es im modernen Sinn ohnehin noch nicht gab, sondern die Flotten, die für die entstehenden Territorialstaaten (von Nationalstaaten kann da noch nicht gesprochen werden) finanziell zum Abenteuer wurden, wie auch die oft zitierten Festungen vor allem befestigte Häfen waren. Und die Besatzungen der Flotten wiederum wurden höchst unmodern und dem vormodernen Fetischverhältnis verhaftet zum Dienst gepresst, auf Befehl von Offizieren oder Grundherren, nicht auf der Grundlage von staatlicher Anordnung.


Es zeigt sich hier, dass Philipp keinen Begriff von einer Geschichte von Fetischverhältnissen hat, wenigstens nicht, was die Ablöse des einen durch das andere betrifft. Dass innerhalb einer religiösen Verfasstheit religionsgeschichtliche Veränderungen zu bemerken sind, erwähnt Philipp aber beispielsweise auf S. 55, wenn er von der Ablöse des höchsten Gotts (shangdi) der Shangdynastie durch den Himmel (tian) der Zhou spricht. Aber ob diese Andeutungen aus Chinas religiöser Binnengeschichte schon als Geschichte von Fetischverhältnissen durchgehen können, ist meiner Meinung nach äußerst fraglich.

Wozu er aber keinen Zugang findet, ist, wie die Religion, das religiöse Fetischverhältnis, die Gesellschaft durchdringt. Auf S. 232 zitiert er den Sinologen Chang, der als Ahnherrn der Zhou den Hou Chi erwähnt, den Herrn (oder Gott, je nachdem, wie man Lord übersetzen mag) der Hirse (Lord Millet). Philipp entgeht völlig die Einheit, die durch das religiöse Fetischverhältnis gestiftet wird, eine Einheit von Land und Gott, mehr noch: eine Identität von Land und Gott, die sich auf die Identität von Herrscher und Gott erstreckt. Es wird im Rahmen dieser Rezension wohl zu weit führen, die Verknüpfung, die untrennbare Verbindung von agrarischer Produktionsweise, von bebautem und umbautem Land, von Verwandtschaft zwischen Herrschenden, Freien (Alimentationsberechtigten) und deren Gottheiten zu erläutern.

Diese das gesellschaftliche Leben antreibende Verbindung reicht jedenfalls über die blanke Transzendenz, auf die sich Philipp in Anlehnung an Kurz beschränkt und die im ersten Kapitel ausgebreitet wird, hinaus. Und Hou Chi, Lord Millet, Hirsegott ist ein beredtes Beispiel für diese Identität von Gott, Land und den vom Land Lebenden: Die Zhou hatten ihr ursprüngliches Siedlungsgebiet und ihre erste Hauptstadt genau in dem Teil Chinas, das vom Gelben Fluss bewässert wird und als Kulturgetreide und Grundnahrungsmittel die Hirse hatte (der Lange Fluss, weiter südlich, bewässert das Reisanbaugebiet des frühen Chinas).


Kommen wir nun zur Eitelkeit, die Selbstdarstellung ist: Am Ende des Vorworts, auf S. 17, finden wir folgende Gebrauchsanweisung:

 

Abschließend muss noch auf einige Formalia hingewiesen werden. Die Publikationen und der Verweis auf einzelne Kapitel etc. werden kursiv gesetzt. Vormoderne Kategorien und Begriffe, die damit in Verbindung gebracht werden können, sind durch »…« gekennzeichnet, moderne Kategorien werden kursiv gesetzt. Begriffe, die sowohl auf die Vormoderne und auch auf die Moderne zutreffen, werden »kursiv« gekennzeichnet, z. B. »Fetischverhältnisse« als allgemeiner Oberbegriff – gedacht als kleine Hilfe, damit der geneigte Leser sich nicht im Dschungel der differenten Kategorien verläuft.

 

Da Philipp diese Formatierungen im Fluss der Lektüre dem geneigten Leser aufherrscht, muss dieser dann zum Beispiel das Folgende zu sich nehmen (S. 190):

 

Zwar wird die »religiöse Konstitution« des neolithischen und vormodernen Vor-Chinaz. T. ausführlich beschrieben, aber es ist in keiner Abhandlung erkennbar, dass durch das »transzendente göttliche Prinzip« in diesen Sozietäten eine Eigenlogik waltet, die sich durch die in der Moderne herrschende grundlegend unterscheidet. Ganz im Gegenteil wird von namhaften Sinologen der Versuch unternommen, dem vormodernen Vor-Chinader drei Dynastien den Status von Staaten anzudichten und die Herrscher werden zu Akteuren, die Politik betreiben, wobei die Wurzeln dieser vermeintlichen Staatlichkeit schon im ausgehenden Neolithikum zu finden seien.

 

Diese Art der Formatierung wird durch das ganze Buch durchgehalten und wenn sich der geneigte Leser daran gewöhnt hat, kann er sich ein kleines intellektuelles Vergnügen daraus machen, nachzusuchen, ob nicht für den einen oder anderen Begriff im Text eine der angegebenen kleinen Hilfen fehle. Davor allerdings mag er sich fragen, ob er den Text nicht auch ohne die kleinen Hilfen verstanden hätte. So könnte der geneigte Leser durchaus den Verdacht hegen, dass diese kleinen Hilfen eine Aufplusterung des Autors zu Lasten einer unterstellten Hilfsbedürftigkeit des geneigten Lesers seien oder der Autor seiner Darstellungskraft misstraue und daher zu den kleinen Hilfen greifen musste.


Ärgerlich auf jeden Fall ist auch die weiter oben erwähnte Zitatenhuberei, mit der ich zu einer abschließenden Bewertung des Bands kommen möchte. Über weiteste Strecken liest sich dieses Buch wie ein SED-Parteitagsbericht; waren es dort Lenin- und Marxzitate, die unter jedem Absatz standen, um die Richtigkeit des zuvor Gesagten zu unterfüttern, so sind es hier Kurz-Zitate, die wohl ein gutes Drittel des Texts ausmachen – teilweise gestreckt und wiederholt und mit der lustigen Bemerkung versehen, dass die Hervorhebungen im Zitat vom Urheber des Zitats stammen, auch wenn sie als Hervorhebungen nicht auszumachen sind oder nur mit mühsamer Kontrolle des Originaltextes. Dann erscheinen dort die angeblichen Hervorhebungen als mit doppelten Anführungszeichen markiert, wobei auch dort noch immer nicht klar ist, was damit gemeint ist. Egal: Im Zitat werden aus den doppelten Anführungszeichen einfache und der geneigte Leser fragt sich, warum.

Aber es muss natürlich gesagt werden, dass Raimund Philipp dem Autor Robert Kurz nichts Gutes damit tut, dass er ihn unentwegt zitiert und noch dazu den Eindruck zu erwecken versucht, er zitiere aus einem Werk, das eine konsistente Theorie, nämlich die Theorie von der Geschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen, enthält (S. 9ff im Vorwort).


Im Gegenteil, es handelt sich um ein fragmentarisches Werk, entstanden vielleicht überhaupt nur aus einer hübschen Denkfigur, aber für Kurz’ Verständnis von Gesellschaftskritik und Menschheitsgeschichte wurde dies immer wichtiger. Er hat sich mit dieser Denkfigur immer wieder auseinandergesetzt, in Polemiken wie in historischen Untersuchungen, auch wenn er dabei zu nicht immer glaubwürdigem und kritikablem Material greift, etwa den Untersuchungen Bernhard Laums, namentlich seinem Buch „Heiliges Geld“ (Laum 2022). Es würde an dieser Stelle zu weit führen, Laums historisch nicht belegte Konstruktion einer Entwicklung vom Menschenopfer hin zum „Opfergeld“ kritisch zu würdigen. Aber das ändert nichts an Kurz‘ Unterfangen, seinem theoretischen Ansatz und seiner Originalität, Geschichte gegen den Strich zu bürsten und dabei die interessantesten Ergebnisse zu Tage zu fördern.

Nur ist die Geschichte von Fetischverhältnissen keine abgeschlossene Theorie, die den Namen verdient, noch kann behauptet werden, dass Robert Kurz ein fertig entwickeltes Verständnis von vormodernen Fetischverhältnissen hat. Beispielsweise erkennt er die oben angesprochene Identität von Land, Herrschaft und Gott nicht, sondern spricht von Gottesrepräsentanzen, wo die Herrschaft selbst mit den Herrschern und in ihnen personal göttlich war. Die Selbstdarstellung der religiösen Formationen mit ihren Vergöttlichungen der Herrschenden, mit den unmittelbaren Verwandtschaften von Herrscher-, Adels- und Patrizierfamilien und Gottheiten etc., all dies spricht eine andere beredte Sprache, die Kurz nicht gehört hat.


Wenn sein historischer Zugang in seiner Originalität und seiner neuen Sichtweise auf Vergangenheit und Gegenwart zu würdigen ist, so ist doch die Lobhudelei, aus fragmentarisch verstreuten Teilen seines Werks eine „Theorie“ zu modeln, umso ärgerlicher, wenn man bedenkt, dass im Umkreis der Zeitschrift „krisis“ (von Kurz gegründet) eine konzis ausgeformte Theorie des Geschlechterverhältnisses, vorgetragen von Roswith Scholz, immer etwas abschätzig als Theorem bezeichnet wurde, auch wenn sie in die Gesellschaftskritik, die sich als Wert-Abspaltungskritik bezeichnet, Eingang gefunden hat, deren konstitutiver Bestandteil ist und nicht wie die Geschichte von Fetisch-verhältnissen ein noch nicht völlig entwickeltes Dasein führt.


Raimund Philipp tut sich aber selbst auch nichts Gutes, wenn er sich darauf beschränkt, Kurz so sehr in den Mittelpunkt der Untersuchung zu rücken. Anstatt die Erwähnung jedes Sinologen mit einem Kurz-Zitat zu beantworten, bestätigend oder kritisierend, das so in den Text eingepasst wird, als würde Kurz direkt darauf antworten, also in einem wissenschaftlichen Diskurs der Sinologie sich aufhalten, was ein übler Taschenspielertrick ist, wäre es Philipp besser angestanden, seine eigenen Argumente zu entfalten. Dann hätte er sich aber mit den konkreten Ausformungen und Vorkommnissen einer Gesellschaft wie der chinesischen befassen müssen, die im Horizont der religiösen Formation befangen war.

Dann wäre seine abschließende Kritik im letzten Teil des Buchs an VertreterInnen der Sinologie vielleicht auch etwas anders ausgefallen und hätte sich nicht darauf beschränkt, Staat, state, Politik, politics, Krieg, war, etc., wann immer diese Begriffe in den zitierten Texten der besprochenen SinologInnen vorkamen, als „modern“ mit seinem Formatierungssystem zu markieren. Er hätte vielleicht ein etwas dünneres Buch geschrieben, in dem er aber dem geneigten Leser Zugang zur chinesischen Geschichte und Zugang zu einem für moderne ZeitgenossInnen unbegreiflichen Universum verschafft hätte. So wurde dieses Buch nicht, was Titel und Untertitel versprachen, sondern eine Hagiographie des Robert Kurz, die ihm beim Thema China ebenso wenig gerecht wird, wie eine Untersuchung über den Begriff der Kunst bei Marx dem Karl Marx gerecht werden könnte, wenn sie sich bemüht, jedes nur mögliche Textfetzchen aus der MEGA, in dem das Wort „Kunst“ oder „künstlerisch“ vorkommt, als marxistische Kunsttheorie zusammenzuklittern.


 

 

Literatur


Eske Bockelmann: Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens, Springe 2004


Heide Gerstenberger: Die subjektlose Gewalt. Theorie der Entstehung bürgerlicher Staatsgewalt, Münster 2006


Bernhard Laum: Heiliges Geld. Eine historische Untersuchung über den sakralen Ursprung des Geldes, Berlin 2022 (zuerst 1924)

 

Robert Kurz: Geschichte als Aporie. Vorläufige Thesen zur Auseinandersetzung um die Historizität von Fetischverhältnissen. Erste Folge, 2006, exit-online.org


Robert Kurz: Geld ohne Wert. Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie, Bad Honnef 2012


Geoffrey Parker: Die militärische Revolution - Die Kriegskunst und der Aufsteig des Westens 1500-1800, Frankfurt am Main/New York 1990