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Patrice Schlauch

 

Präödipale Monster

Zur Kritik der postmodernen Zerfallssubjektivität und ihrer destruktiven Entgrenzung



Zuerst veröffentlicht 2020 auf fractura.online

 


 








Obschon die kapitalistische Verwertungslogik als „automatisches Subjekt“ (Marx) in verselbständigter Weise auf sich rückgekoppelt ist, bleibt sie doch auf eine stoffliche und leibliche Dimension verwiesen, vermittels derer die Selbstzweckbewegung des Kapitals in Erscheinung zu treten vermag. Die gesellschaftliche Realmetaphysik, deren Logik G-W-G´ schon ihre irrationale Feindlichkeit gegen Leib und Stoff anzumerken ist, kann ohne ihre destruktive Vermittlung durch genau diese Leiblichkeit und Stofflichkeit nicht prozessieren. Wie der Wert den Gebrauchswert als „stofflichen Träger“ zu seinem inneren Komplement hat, so bleibt die negative Totalität in ihrer selbstreflexiven Umsetzung doch immer an seine leiblichen Agenten gebunden – Waren produzieren sich nicht von selbst, tragen sich bekanntlich auch nicht selbst zu Markte; genausowenig, wie sich die an Frauen delegierten Reproduktionstätigkeiten von allein erledigen. Regiert werden die Individuen dabei keineswegs nur von sogenannten „Sachzwängen“, die sich als rein äußerliche Nötigung den Einzelnen aufherrschen – als Subjekte haben sie den objektiven Zwang schon längst als Selbstzwang internalisiert, ihn als Grundprinzip ihres Daseins eingesetzt. Die „objektiven Daseinsformen“ schreiben sich dabei nicht nur als „Gedankenformen“ ins Bewusstsein der Einzelnen ein, sondern präformieren und deformieren auch deren gesamtes Triebleben. Am Skandalon, dass die Subjekte lieber bis zur Selbstaufgabe leiden und zumal in Krisenzeiten eher den Frust ausgebliebener Triebbefriedigung als Fremddestruktion ausleben statt die Verhältnisse umzustürzen, ging noch jede Revolutionstheorie zuschanden.


Die Affirmation des schlechten Ganzen durch die Einzelnen ist allerdings nicht gleichbedeutend mit der schieren Abbildung der Gesellschaft im Individuum. Die Degradierung des Leibes zum bloßen Abstraktum „Arbeitskraftbehälter“, die Reduktion des leiblichen Individuums auf die Form Subjekt, welche die Konstitution eines weiblichen Geschlechtscharakters, mithin einer Nicht-Subjektivität der auf Reproduktion, Kindererziehung und Pflege zwangsabonnierten Frauen, zu ihrer dialektischen Kehrseite hat – diese Degradierung erfolgt nicht unmittelbar, indem etwa die objektiven Formen ihren Abdruck im Subjekt hinterließen, sondern nur in vermittelter und widersprüchlicher Weise: „Das vereinzelte Individuum“ schreibt Adorno, „das reine Subjekt der Selbsterhaltung, verkörpert im absoluten Gegensatz zur Gesellschaft deren innerstes Prinzip. (…) ,Psychodynamik‘ ist die Reproduktion gesellschaftlicher Konflikte im Individuum, aber nicht derart, daß es die aktuellen gesellschaftlichen Spannungen bloß abbildete. Sondern es entwickelt auch, indem es als ein von Gesellschaft Abgedichtetes, Abgespaltenes existiert, nochmals die Pathogenese einer gesellschaftlichen Totalität aus sich heraus, über der selber der Fluch der Vereinzelung waltet.“ (Adorno 2015, S. 55f.) Das Individuum, durch und durch gesellschaftlich, ohne es unmittelbar zu sein, realisiert die allgemeine Totalität in dem, was zunächst als ihr Fernstes erscheint: in der eigenen Triebnatur.


Als mittelbar gesellschaftliche ist die Gewalt, welche das Subjekt sich selbst und anderen antut, genauso wie das kollektive Triebschicksal im Allgemeinen, den historischen Modifikationen der „gebrochenen Totalität“ (Roswitha Scholz) unterworfen. Der Konstitutionsphase des Kapitals im Zeichen der „ursprünglichen Akkumulation“ eignet eine andere Triebdisposition als dem „Gang in sich“ (Marx) der etablierten Verwertungslogik oder dem Krisenkapitalismus der Postmoderne. Letzterer gebiert einen spezifischen Sozialcharakter, der den Zerfall gesellschaftlicher Synthesis als soziopsychische Zentrifugalkraft in sich aufhebt und letzthin im Modus narzisstischer Entgrenzung des desexualisierten Triebes zur tödlichen Destruktion fortschreitet. – Die Rede ist von Amok laufenden Killerkids, deren präödipale Trieb-organisation Thema dieses Textes sein soll. Weil die Wahrheit der Gesellschaft in ihrer ultima ratio zu suchen ist, ihr Wesen vom Extrem her sich bestimmt, fällt auch vom narzisstischen Amokläufer, dessen Unheimlichkeit gerade in seiner Normalität, in seinem Dasein als ideeller Ausdruck krisenhafter Verwilderung besteht, Licht auf die psychosoziale Verfasstheit der postmodernen Gesellschaft als ganzer.


Mit den Begriffen „Amok“ oder „School-Shooting“ wird ein Phänomen bezeichnet, das in westlichen Staaten zuerst in den 1970ern aufkam und seit den 90ern in erschreckender Regelmäßigkeit Schlagzeilen macht. Wenn Jugendliche mit Messern, Pistolen, Gewehren, Sprengsätzen und anderem Kampfgerät bewaffnet versuchen, an Bildungseinrichtungen, die sie zumeist selbst früher besucht hatten oder zum Zeitpunkt der Tat noch immer besuchten, möglichst viele Menschen, MitschülerInnen und LehrerInnen, umzubringen, um sich anschließend in vielen Fällen selbst zu töten, dann sind die Ursachen hierfür nicht einfach im Konsum von Ballerspielen, in Mobbing oder einer rein soziologisch gefassten Perspektiv- und Orientierungslosigkeit zu suchen, wie immer wieder kolportiert wird. Dass Jugendliche teils schon mit 12 Jahren bis zum Äußersten gehen, erklärt sich vielmehr aus deren sozio-psychischer Disposition, einer präödipal-narzisstischen Verfasstheit, in der sie sich nicht qualitativ vom postmodernen Zerfallssubjekt unterscheiden, sondern dessen eigenstes Wesen zur letzten Konsequenz treiben. Eingedenk der Freudschen Erkenntnis, dass der pathologische Fall vom „Normalen“ nicht umstandslos zu trennen ist, sondern auf letzteren verweist, müssen auch die in Teilen zweifelsfrei pathologischen Fälle der Amok-Läufer auf ihren Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Normalität, das heißt ihrer kategorischen Verrücktheit, hin untersucht, mithin der spezielle Wahn des Amok-Läufers als triebdynamische Reproduktion des allgemeinen dechiffriert werden.


Im Folgenden wird es deshalb einerseits darum gehen, Facetten des Trieblebens zu erhellen, die den Amoklauf als solchen erst ermöglichen, ohne damit eine umfassende Deutung zu prätendieren. Andererseits geht mit der Amok laufenden Triebmodellierung eine spezifische Form der Misogynie einher, die viele Täter dazu motivierte, Frauen als erklärtes Ziel ihrer Mordtaten zu benennen und anzuvisieren. Einer von ihnen war Elliot Rodger, der 2014 sechs Menschen tötete und dreizehn weitere verletzte, als er in der Nähe des City College von Santa Barbara zuerst seine Mitbewohner tötete, um anschließend gezielt auf Angehörige von Studentinnenverbindungen zu schießen. Sein Manifest, das einigen Tätern in der Folgezeit als Inspiration galt und auch in der frauenhassenden Community der sogenannten „Incels“ gerne rezipiert wird, zeugt vom dialektischen Verhältnis, in dem die postmoderne Triebdisposition eines androzentrischen Zerfallssubjekts und dessen frauenfeindliche Ideologie zueinander stehen. Im Zuge der „Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats“ (Scholz 2011) im Krisenkapitalismus nehmen auch die sexistischen Verarbeitungsmuster der androzentrischen Subjektivität veränderte Form an; was unter dem Schlagwort der „Krise der Männlichkeit“ firmiert und deskriptiv verkürzt auf den Zerfall der Subjektform abhebt, die ihrer identitätsstiftenden Substanz mit dem Rationalisierungsschub der dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik gesamt-gesellschaftlich verlustig ging, wird vom Krisenmann selbst wiederum geschlechtlich verarbeitet: Schuld an der gescheiterten Identität des Mannes, die mehr noch ein Scheitern der Individuation überhaupt anzeigt, sind allemal die Frauen – und zwar nicht, weil sie sich dem Diktat der Reproduktion nicht mehr beugen würden, nicht hinterm Herd sich einpferchen ließen, sondern weil sie für das Aufbrechen der narzisstischen Muttersymbiose des präödipalen Mannes verantwortlich gemacht werden. Was das genau bedeuten soll, wird in Elliot Rodgers Manifest besonders deutlich, das er kurz vor seinem Amoklauf verbreitete. Das 141-seitige Pamphlet liest sich als Erklärung dafür, weshalb Frauen nicht nur sein eigenes Leben zerstört hätten, sondern auch an der Schlechtigkeit der Welt überhaupt die Schuld trügen. Was zuerst als randständig erscheinen mag – wer, abgesehen von einer abstrusen Internet-Community, macht sich schon das Gedankengut eines solchen Killers zu eigen? –, weist bei genauerem Hinsehen signifikante Parallelen zum alltäglichen Wahn auf. Rodgers Manifest bildet deshalb das Objekt dieses Textes, das über sich und über den Extremfall des Amokläufers hinausweist und den Todestrieb des herrschenden Sozialcharakters erkenntlich werden lässt.


 

1. Perhorreszierte Realität

 

Als Elliot Rodger 2014 zur Waffe greift, ist er 22 Jahre alt und entspricht dem prototypischen Sozialprofil eines Amokläufers: männlich und der Mittelschicht entstammend. Sein Manifest, das er zu Anerkennungszwecken hinterlassen hat, bildet eine Melange aus Lebensgeschichte, Ideologie und Größenwahn. Es orientiert sich chronologisch an Rodgers Lebenslauf und bekundet den Anspruch, zu erklären, weshalb er zum Killer wurde: „This is the story of how I, Elliot Rodger, came to be. This is the story of my entire life. (…). In this magnificent story, I will disclose every single detail about my life, every single significant experience that I have pulled from my superior memory, as well as how those experiences have shaped my views of the world.“ (Rodger 2014, S. 1)


Rodgers Narrativ zufolge war es die Grausamkeit der Welt, die sein Leben zerstörte. Doch nicht schon immer soll sein Leben durch die „cruelty of this world“ deformiert gewesen sein: Ihr kontrastiert er eine harmonische und konfliktfreie Kindheit, deren Zerstörung durch die Realität ihn gezwungen habe, gleichsam als Reaktionsbildung an der Welt mit Waffengewalt Rache zu nehmen. Den Einbruch des Realitäts-prinzips in seine seeligen Kinderjahre versteht Rodger als unmittelbaren Ausgangspunkt seiner Gewalttat: „I didn´t want things to turn out this way, but humanity forced my hand (…). My life didn´t start out dark and twisted. I started out as a happy and blissful child, living my life to the fullest in a world I thought was good and pure...“ (ebd.). Die ersten fünf Lebensjahre sollen eine Zeit reiner Vollkommenheit gewesen sein, an die Rodger sich nur in „memories of happiness and bliss“ zurückerinnert: „I enjoyed life with innocent bliss.“ (ebd., S. 2) Ob seine Kindheit nun so widerspruchsfrei war, wie Rodger behauptet, muss freilich bezweifelt werden; relevant ist allein, dass sein 22-jähriges Ich sich bis ins fünfte Lebensjahr als „purfiziertes Lust-Ich“ (Freud) imaginiert, das vom Realitätsprinzip noch keinerlei Einschränkungen erfahren habe. Wenn Rodger zudem seine Mutter als Garantin seiner heilen Welt ausgibt, die auch späterhin der einzige beruhigende Bezugspunkt in seinem Leben gewesen sein soll – „My mother was all I had left in this bleak world“ (ebd., S. 67) –, dann drängt sich eine Deutung dieser Phase als einer präödipal-narzisstischen Muttersymbiose geradezu auf, deren Bestimmung durch Freud in einem kurzen Exkurs eingeholt werden soll.


Der Begriff des „Präödipalen“ verweist schon dem Wort nach auf eine vor dem Ödipuskomplex liegende Phase der frühkindlichen Psychogenese, den Freud bekanntlich als Scharnierstelle der konfliktreichen Vermittlung von gesellschaftlichem Realitätsprinzip und individuellem Triebleben herausstellt. In der ersten frühkindlichen Entwicklungsphase kann noch nicht von der Existenz eines Ich gesprochen werden, das zwischen eigenem Triebleben und der Außenwelt zu vermitteln wüsste; das Kleinkind ist in diesem Stadium noch nicht in der Lage, zwischen sich selbst und den äußeren Objekten zu unterscheiden. Es befindet sich noch im Zustand einer Symbiose mit der Mutter, welche – in ihrer Eigenständigkeit noch nicht erkannt – die noch kaum ausdifferenzierten Triebbedürfnisse des Kindes befriedigt. Diese zeitlich vor dem Ödipuskomplex zu verortende psychische Entwicklungsperiode bezeichnet Freud als „präödipal“.


„Das männliche bewaffnete Kind als letzte misogyne Horrorgestalt der Moderne ist schon mehr als ein Menetekel.“


(Robert Kurz)

Die symbiotische Mutterbindung wird jedoch zunehmend durch die Realität einer versagenden Außenwelt und die ebenfalls Verzicht implizierende Eigenständigkeit der Mutter aufgebrochen, was dem Kleinkind seine ersten narzisstischen Wunden schlägt, ihm seine Beschränktheit und Ohnmacht vergegenwärtigt. Als dominanter Vertreter der versagenden Realität tritt der Vater auf, der dem Knaben – der sich solcherart in eine Rivalität zum Vater versetzt sieht – das mütterliche Objekt verbietet, wodurch der Ödipuskomplex ausgelöst wird. Die „positive“ Form des Komplexes erzeugt den Todeswunsch des Knaben gegen den Vater, um die libidinöse Beziehung zur Mutter aufrecht-zuhalten.[1] Die Übermacht des Vaters sowie die durch Kastrationsdrohung bedingte Angst drängen jedoch zur Überwindung des Komplexes, indem der Knabe das mütterliche Objekt aufgibt und sich mit dem Vater identifiziert. „Erbe“ dieser Identifikation mit dem Vater ist das „Über-Ich“, die innerpsychische Repräsentanz von Verbot und Gebot, welche die Inzestschranke aufrichtet und die libidinöse Mutterbindung teils der Auflösung und teils der Verdrängung anheim fallen lässt. Der ödipale Identifikationsprozess hebt das Realitäts-prinzip ins Ich; als Resultat der Versagung inzestuöser Triebwünsche manifestiert sich nun das Über-Ich als diejenige Instanz, die dem Ich den gebotenen Triebaufschub abringt, um unter dem Zeichen des Realitätsprinzips bestehen zu können. Das Lust-Ich, das „nichts anderes kann als wünschen, nach Lustgewinn arbeiten und der Unlust ausweichen“ (Freud 1911, S. 21), erfährt eine vehemente Einschränkung durch das Realitätsprinzip und seine repressiven Imperative von Arbeit, Entsagung und triebaufschiebender Produktivität: Die „Kultur“, bei Freud noch ahistorisch und anthropologisch gefasst, „ist unter dem Antrieb der Lebensnot auf Kosten der Triebbefriedigung geschaffen worden, und sie wird zum großen Teil immer wieder von neuem erschaffen, indem der einzelne, der neu in die menschliche Gesellschaft eintritt, die Opfer an Triebbefriedigung zu Gunsten des Ganzen wiederholt.“ (Freud 1916-1917, S. 48)[2]


Die Vateridentifikation des Knaben ist durch die Ambivalenz geprägt, einerseits wie der Vater werden zu wollen und andererseits nicht wie er werden zu können, weil die Objektbeziehung zur Mutter sich für ihn verbietet. Die Beziehung des Über-Ichs zum Ich ist deshalb eine doppelte, sie „erschöpft sich nicht in der Mahnung: ,So (wie der Vater) sollst du sein.‘, sie umfaßt auch das Verbot: ,So (wie der Vater) darfst du nicht sein, daß heißt, nicht alles tun, was er tut; manches bleibt ihm vorbehalten.‘“ (Freud 1923, S. 302) Die Vateridentifikation, deren Resultat das Über-Ich bezeichnet, bewahrt und erinnert in dieser Ambivalenz zugleich auch die Nichtidentität mit dem realen Vater, was einerseits Verbot und Einschränkung, andererseits aber auch das perspektivische Gebot umfasst, den eigenen familiären Zusammenhang zu verlassen, um als „autonomes“, androzentrisches Subjekt zu bestehen und in heterosexueller Objektbindung selbst einmal zum Vater zu werden – ein Gebot, das aus der patriarchalen Vergesellschaftung erwächst und sie zugleich garantiert, mithin die Gewalt des Geschlechter-verhältnisses zementiert.


Triebdynamisch bildet der Untergang des Ödipuskomplexes und damit die Aufrichtung der Inzestschranke und des Über-Ichs das Scharnier, die präödipale Besetzung der Muttersymbiose durch eine Objektbeziehung zu ersetzen. Die in dieser Symbiose noch narzisstisch gebundene Libido findet eine Bindung außerhalb des Ichs – das bedeutet außerhalb der Symbiose, für die kein Nicht-Ich existiert –, womit im strengen Sinne von einem Ich als der (unzulänglichen und ständig überforderten) Vermittlungsinstanz zwischen Über-Ich, Es und Außenwelt über-haupt erst die Rede sein kann. Erst in der Objektbindung und ihren Sublimierungen liegt die Möglichkeit beschlossen, Ich und Außenwelt zu unterscheiden, die in der primär-narzisstischen, präödipalen Phase noch ununterschieden zusammenfallen.


Am Ödipuskomplex als dem Kernkomplex der Psychogenese des bürgerlichen Subjekts wird deutlich, dass sich Trieb und Gesellschaft im Einzelnen begegnen, dem damit die Aufgabe zufällt, permanente Widerspruchsbearbeitung zu leisten, zu vermitteln, was am Ende nicht zu vermitteln ist und der sich letztlich um die Erfüllung seiner Triebwünsche gebracht sieht. Bei aller Präformation des Trieblebens durch die negative Totalität sperrt sich doch ersteres in kategorischer Nichtidentität gegen letztere, was sich als unabweisbarer Leidensdruck mani-festiert. Kritik, die nicht bei sich selbst bleiben will, zielt daher auf die Abschaffung dieses Leidens, das sie zu ihrem nicht-theoretischen Ausgangspunkt nimmt. Ziel der Psychoanalyse, wie Adorno sich ausdrückt, war es daher, „die Macht der Vaterimago über die Menschen zu brechen“ (Adorno 2015, S. 78), was nicht weniger bedeuten würde, als die Einzelnen mit dem Ganzen und daher mit ihrem eigenen Trieb-leben zu versöhnen.


Angesichts postmoderner Zustände wird jedoch fragwürdig, ob eine solche Schlagrichtung der kritischen Psychoanalyse weiterhin ihrem Gegenstand entspricht. Die seit den 1970er Jahren im Zuge der mikroelektronischen Revolution sich entfaltende Krise der Arbeitsgesellschaft lässt die sozio-psychische Disposition des Subjekts nicht unberührt. Der ödipale Sozialcharakter, dessen identitätsstiftende Trieb-beherrschung über Arbeit als Mittel und Zweck gleichermaßen bestimmt ist, kann im Zuge dieser Transformationen nicht fortwesen wie gehabt, ist er doch selbst ein Agent des auf seinen eigenen Grundlagen prozessierenden Kapitals. Gerät die Wertakkumulation aufgrund zuvor ungekannter Rationalisierungsprozesse in die Krise, entfaltet sich also ihr innerer Widerspruch – einerseits auf die Arbeit als wert-schaffende Tätigkeit, als Substanz des Werts angewiesen zu sein und andererseits durch den blinden Prozess der Konkurrenz ebendiese Substanz der Rationalisierung auszusetzen – zur manifesten Schranke der kapitalen Verwertungsfähigkeit[3], dann steht auch die Arbeits-identität seiner Charaktermasken auf dem Spiel.


Die Kritik am patriarchalen Familienvater und dem, wofür er steht, ist in der „vaterlosen Gesellschaft“ (Alexander Mitscherlich) wohlfeil und unwahr geworden: „Viele Kulturkritiker wenden sich noch immer entrüstet gegen die autoritäre Familie, eine repressive Sexualmoral, die literarische Zensur, die protestantische Arbeitsethik und andere Grundlagen der bürgerlichen Ordnung, die vom entwickelten Kapitalismus selbst längst untergraben und zerstört worden sind“ (Lasch 1980, S. 14), wie Christopher Lasch richtig kommentiert – der allerdings seinerseits in unverhohlener Weise für die überkommenen Sozialformen optiert, das „Streben nach Lust als sexuelle[m] Wert an sich“ und die „Befreiung der Sexualität von vielen ihrer früheren Einschränkungen“ beklagt und am Feminismus auszusetzen hat, dass dieser die harmonisch-patriarchale Familie und ihre gelungene Arbeitsteilung verächtlich gemacht habe (ebd., S. 237ff.). Das konservative Ansinnen, zur modernen, ödipalen Konstellation zurückzukehren, ist nicht nur falsch, weil es deren patriarchale Verfasstheit typisch androzentrisch ausblendet oder gar befürwortet, es verkennt zudem die historische Prozessualität des verselbständigten Fetischverhältnisses und der ihm korrelierenden Triebdispositionen. So unmöglich die Rückkehr zum fordistischen Akkumulationsregime ist, so ausgeschlossen ist auch die zur ödipalen Subjektivität. Dessen ungeachtet ist Lasch zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, dass der moderne Sozialcharakter von einem postmodernen abgelöst wurde und deshalb auch die Kritik sich nicht am sowieso historisch Überholten nochmal schadlos halten müsse, sondern die aktuelle Form der Krisensubjektivität zu fokussieren hätte.


Eben dieses Krisensubjekt überwindet den Ödipuskomplex nicht mehr, sondern sinnt stattdessen auf die Rückkehr in die vergangene Muttersymbiose. Es konfrontiert die Welt nicht im Modus der produktiv-destruktiven Bewältigung – der Beherrschung innerer und äußerer Natur –, strebt nicht danach, ihr durch formende Gewalt gegenüber zu treten, sondern perhorresziert die Realität als Bedrohung der narzisstischen Einheit und zeitigt damit eine seiner Triebdisposition entsprechende Destruktivkraft, die sich von der des ödipalen Charakters zwar der Form nach unterscheidet, aber dem Wesen nach gerade aus diesem hervorgeht – ist doch das Zerfallssubjekt nichts anderes als eben ein im Leerlauf kollabierendes Subjekt ohne identitätsstiftende Substanz. Diese Bestimmung auf der Formebene: das Weiterwesen der Subjektform bei Absenz seiner Substanz, realisiert sich in Vermittlung mit dem Triebleben als narzisstischer Sozialcharakter. Die „Krise der Männlichkeit“ hat dieses Sistieren der Psychogenese auf einem präödipalen Niveau zu seinem sozialpsychologischen Hintergrund. Oder, um den Bogen zurück zu Elliot Rodger zu schlagen, in seinen Worten: „I didn´t want to grow up. I wanted to live the life I was comfortable with. I wanted to life in a world of fairness, and I tried not to accept that it would soon come to an end.“ (Rodger 2014, S. 38) Auf den Einbruch der Realität wird nicht im Dienst eines Über-Ichs reagiert, welches unvereinbare Triebwünsche der Verdrängung überantwortet, sondern im Modus der Spaltung: all das, was im Ich Unlust erregt, wird projektiv nach außen gekehrt, während dem makellosen Ich allein es selbst als einziges, ärmliches Libidoobjekt verbleibt. Nicht zufällig expliziert Freud den Abwehrmechanismus der Spaltung im Kontext des primären Narzissmus: Das Ich „nimmt die dargebotenen Objekte, insofern sie Lustquellen sind, in sein Ich auf, introjiziert sich dieselben [...] und stößt andererseits von sich aus, was ihm im eigenen Innern Unlustanlaß wird. [...] Die Außenwelt zerfällt ihm in einen Lustanteil, den es sich einverleibt hat, und einen Rest, der ihm fremd ist. Aus dem eigenen Ich hat es einen Bestandteil ausgesondert, den es in die Außenwelt wirft und als feindlich empfindet. Nach dieser Umordnung ist die Deckung der beiden Polaritäten Ich-Subjekt mit Lust [,] Außenwelt mit Unlust (von früher her Indifferenz) wiederhergestellt.“ (Freud 1915a, S. 98)


Die Bösartigkeit der Welt, auf die Elliot Rodger zu schimpfen nicht müde wird und der er sein ganzes Leiden zu verdanken glaubt, ist für ihn wesentlich geschlechtlich bestimmt: das weibliche Geschlecht soll für sein ganzes Elend verantwortlich zeichnen. Schon der erste Satz seines Manifests lautet deshalb: „Humanity... All my suffering on this world has been at the hands of humanity, particularly women.“ (Rodger 2014, S. 1) Es wird sich zeigen, dass Rodgers Frauenhass aus einer narzisstischen Dialektik herrührt, deren Widerspruch darin besteht, in der Sehnsucht nach dem narzisstisch-symbiotischen Regress einerseits aufs weibliche Geschlecht konstitutiv verwiesen zu sein und andererseits sich durch die Eigenständigkeit realer Frauen ultimativ bedroht zu fühlen.



2. Die Dialektik narzisstischer Abhängigkeit

 

Sein obsessiver Hass, den Rodger mit der Zurückweisung („rejection“) begründet, die er durch Frauen permanent erfahre, speist sich aus dem Gefühl einer narzisstischen Insuffizienz. Das Leben mit einem „hot blonde girl“ an seiner Seite, wie er sich ausdrückt, imaginiert Rodger als absolut erfüllend, harmonisch und widerspruchsfrei. Eine Freundin würde seine Identität komplettieren, die narzisstische Wunde schließen, welche ihm die Welt geschlagen habe. Nicht als Triebobjekt im psychoanalytischen Sinne, sondern als Supplement des libidinös besetzten Ichs käme ihr die Funktion zu, die fragmentierte Symbiose zu restituieren und ihm die Anerkennung zu verschaffen, nach der er so verzweifelt strebt. „What I truly wanted... what I truly NEEDED, was a girlfriend. I needed a girls love. I needed to feel worthy as a male.“ (ebd., S. 94, Hervorhebungen i.O.) Weil Rodger so verzweifelt auf ein „girlfriend“ zur Vervollständigung seiner männlichen Identität angewiesen ist, spricht er Frauen eine entweder alle Wünsche erfüllende oder eine das ganze Leben zerstörende Macht zu; sie allein verfügten über Glück und Unglück eines Mannes. Seine Einschätzung von Frauen oszilliert deshalb zwischen Idealisierung und Verachtung. Für erstere mag eine Begegnung bezeichnend sein, die Rodger während eines Strandspaziergangs widerfährt und die er folgendermaßen schildert: „I did, however, pass by a young girl, and she was like goddess who came down from heaven. She was walking alone, in her bathing suite, with her luscious blonde hair blowing in the wind. [...] I was scared. I was scared that she might view me as nothing but an inferior insect who´s presence ruins her atmosphere. [...] The power that beautiful women have is unbelievable. They can temporarily turn a desperate boy´s whole world around just by smiling.“ (ebd., S. 76) Seine eigene Abhängigkeit gerät für Rodger zur fremden Macht der Frauen über ihn, sodass er in ihrer Nähe sogar Angst und Schrecken empfindet.


Die als göttlich attribuierte Frau mutiert allerdings umstandslos zur Hexe, sobald sie ihr Lächeln „verweigert“. Für Rodger, der selbst freilich viel zu verängstigt war, um jemals selbst auf eine Frau zuzugehen – die narzisstische Wunde einer Zurückweisung hätte er nicht ertragen –, der sich zugleich aber als Nabel der Welt begreift, scheint jede Nichtbeachtung durch eine Frau zur absichtlichen und bösartigen „rejection“ zu werden. Wenn also Rodger schüchtern und unscheinbar in den Vorlesungen des College saß, dort ein „extremely hot blonde girl“ ausmachte und dann im Menschengewirr nicht von ihr beachtet wurde, nimmt er dies als Beweis für die Grausamkeit der Frauen. Weil er fraglos alle Bewunderung dieser Welt verdient habe, kann Rodger sich nicht einmal vorstellen, dass Frauen eine eigenständige Existenz für sich, statt nur eine für ihn, besitzen. Jede Nichtbeachtung seiner narzisstischen Herrlichkeit – denn genaugenommen kommt es niemals zu wirklichen Zurückweisungen, die ja ein gewisses Engagement seinerseits voraussetzen würden –, quittiert Rodger mit Tiraden über die „evilness of women“, die noch aus seinem Leiden Befriedigung schlügen: „I started to hate all girls because of this. I saw them as mean, cruel, and heartless creatures that took pleasure from my suffering.“ (ebd., S. 41) Es ist die Dialektik der narzisstischen Abhängigkeit, die auf regressive Verschmelzung und präödipale Vereinnahmung drängt, dass sie durch die reale Eigenständigkeit der Frauen stets konterkariert wird; der Narzisst somit sein Streben nach widerspruchsloser Vollkommenheit immer nur als Scheitern erlebt und die eigene Unzulänglich-keit schließlich denen zur Last legt, an deren Nichtverfügbarkeit er ihrer gewahr wird: „My life has been wasted, all because women hate me so much.“ (ebd., S. 114)


 

3. Umverteilung des Sexus

 

Elliot Rodger ist mit seiner Ideologie nicht allein. Unter der Selbstbezeichnung „Incel“, einem Schachtelwort, das aus „involuntary“ und „celibacy“ gebildet wird und übersetzt etwa „unfreiwilliges Zölibat“ bedeutet, versammeln sich vor allem in Internetforen Männer, die sich von Frauen abgewiesen und misshandelt fühlen. Ihre unfreiwillige Enthaltsamkeit – Rodger spricht von „lonely celibacy“ – führen die Incels auf eine weibliche Macht und Logik zurück, derzufolge Frauen über den Sexus gleichsam wie über eine Ressource verfügten, die sie nur ausgewählten Männern zuteil werden ließen. Der Idealtypus Mann, den die Incels vor Augen haben und als „Chad“ bezeichnen, ist groß gewachsen, sportlich und hübsch. Wer diesen äußeren Kriterien nicht entspreche, werde von Frauen gnadenlos ignoriert, verachtet und komme nicht in den Genuss sexueller Erfahrungen.


Diese verdinglichte Verteilungslogik wird schon im 1994 erschienenen Roman „Ausweitung der Kampfzone“ des französischen Autors Michel Houellebecq erläutert. Der Protagonist, selbst schon ein ziemlich depressiver Charakter ohne „Sexualleben“, dafür aber mit genügend misogynen Gewaltphantasien, ist auf Geschäftsreise mit seinem Kollegen Raphaël Tisserand, der definitiv noch verzweifelter anmutet als der Ich-Erzähler. Mit Blick auf Tisserand, unattraktiv, um die 30 Jahre alt und noch immer „Jungfrau“, erörtert der Protagonist seine Theorie sexueller Ökonomie: „Der Sex, sagte ich mir, stellt in unserer Gesellschaft eindeutig ein zweites Differenzierungssystem dar, das vom Geld völlig unabhängig ist; und es funktioniert auf mindestens ebenso erbarmungslose Weise. [...] Wie der Wirtschaftsliberalismus – und aus analogen Gründen – erzeugt der sexuelle Liberalismus Phänomene absoluter Pauperisierung. Manche haben täglich Geschlechtsverkehr; andere fünf- oder sechsmal in ihrem Leben oder überhaupt nie. Manche treiben es mit hundert Frauen, andere mit keiner. Das nennt man ,Marktgesetz‘. [...] In einem völlig liberalen Wirtschaftssystem häufen einige Wenige beträchtliche Reichtümer an; andere verkommen in der Arbeitslosigkeit und im Elend. [...] Der Wirtschaftsliberalismus ist die erweiterte Kampfzone, das heißt, er gilt für alle Altersstufen und Gesellschaftsklassen. Ebenso bedeutet der sexuelle Liberalismus die Ausweitung der Kampfzone, ihre Ausdehnung auf alle Altersstufen und Gesellschaftsklassen. In wirtschaftlicher Hinsicht gehört Raphaël Tisserand zum Lager der Sieger; in sexueller Hinsicht zu den Verlierern.“ (Houellebecq 2017, S. 109f.) Genau diese Ansicht haben auch die Incels sich zu eigen gemacht, wenn sie am Feminismus und seinen Emanzipationsbestrebungen beklagen, er hätte die sexuelle Ordnung zerstört, in der Frauen noch eine unhinterfragt subordinierte Rolle eingenommen hätten. Rodger selbst bedient nicht nur das Konzept, sondern sogar die Metaphorik, wenn er von „sexual starvation“ (Rodger 2014, S. 47), seiner sexuellen Aushungerung, schreibt, die er als infame Ungerechtigkeit anprangert (vgl. auch ebd., S. 56). Nicht zu Unrecht also gilt Rodger der Incel-Szene als spiritus rector, dem nicht nur in ideologischer, sondern auch in praktischer Form bereits nachgeeifert wird. So etwa bekennt sich der 29-jährige Amokläufer von Toronto, Alek Minassian, der 2014 acht Frauen und zwei Männer mit einem Van überfuhr und damit tötete sowie mehrere Personen verletzte[4], auf Facebook zu Rodger als seinem großen Vorbild: „The Incel-Rebellion has already begun! We will overthrow all the Chads and Stacys! All hail the supreme gentleman Elliot Rodger!“[5]


Weil die im „Besitz“ des Sexus befindlichen Frauen diesen in ungerechter und den wahren Wert der Incels missachtender Weise nur den zwar hübschen, aber ansonsten nach Incel-Meinung stumpfsinnigen und tierischen „Chads“ zur Verfügung stellten[6], weil also das liberale Verteilungssystem in der ausgeweiteten Kampfzone infolge ungleicher Verteilung der Ressourcen – nur Frauen besitzen sexuelle Macht, die sie einsetzen könnten – sowie aufgrund des ungleichen Konsums derselben durch die animalisch rohen Schönlinge weder frei noch gleich sei, müsse ähnlich wie auf ökonomischer Ebene durch umverteilende Eingriffe für mehr sexuelle Gerechtigkeit gesorgt werden. Die gleich-sam sexual-demokratische Umverteilung der vermeintlich geldgleichen und damit radikal entsexualisierten Libido soll verschiedenartig ins Werk gesetzt werden: Prominente Phantasien bilden hierbei der Anspruch auf Vergewaltigung und die Entrechtung von Frauen, die fürderhin ihre Sexualpartner nicht mehr selbst wählen, sondern mittels einer „sexual redistribution“ zwangsliiert werden sollen.


Auch Jordan Peterson, Psychologie-Professor in Toronto und Guru der amerikanischen Alt-Right-Bewegung, engagiert sich als Männer-rechtler und Incel-Versteher. Sein Buch „12 Rules for Life. An Antidote to Chaos“, 2018 erschienen, wurde in etliche Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Das Buch, eine Mischung aus Selbsthilferatgeber für weichgekochte Krisenmänner und (pseudo)wissenschaftlicher Apologie des hierarchischen Geschlechterverhältnisses, assoziiert das Prinzip des „Chaos“ mit Weiblichkeit und das der „Ordnung“ mit Männlichkeit (Peterson 2018, S. 36).


Diese Zuordnung ist freilich keine Schöpfung Petersons, sondern existiert bereits seit der Konstitution der androzentrischen Subjektform in der frühen Neuzeit und wird nun im Zeichen der Krise männlicher Geschlechtsidentität revitalisiert. Mit dem „ökonomischen Sündenfall“ (Marx) der ursprünglichen Akkumulation wurden die in ihre feudalen Strukturen eingebetteten, bäuerlichen Bevölkerungsschichten enteignet, vertrieben und mithilfe der diabolischen „Blutsgesetzgebung“ (Marx 2008, S. 761ff.) in einem mehrhundertjährigen Prozess dem Regiment abstrakter Arbeit unterworfen. „So wurde das von Grund und Boden gewaltsam expropriierte, verjagte und zum Vagabunden gemachte Landvolk durch grotesk-terroristische Gesetze in eine dem System der Lohnarbeit notwendige Disziplin hineingepeitscht,
-gebrandmarkt, -gefoltert.“ (ebd., S. 765) Der materiellen Enteignung und Vertreibung korrespondierte ein Zurichtungsprozess der solcher-maßen zu „doppelt freien Lohnarbeitern“ degradierten Individuen. In den absolutistischen Disziplinaranstalten[7], den Zucht- und Arbeits-häusern, sowie den frühen Manufakturen sollte jener „identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen“ geschaffen werden, als welchen Adorno und Horkheimer das bürgerliche Subjekt bestimmten. Musste dieser Zwang zur Selbstaufgabe zuerst noch von staatlichen Institutionen übernommen werden, so entwickelte sich zunehmend eine Verinnerlichung des Zwangs zum Selbstzwang, welcher der Protestantismus in seinen verschiedenen Ausprägungen als Transmissionsriemen diente. Als summum bonum der protestantischen Arbeitsethik benennt Max Weber den „Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkte entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, daß es als etwas dem ,Glück‘ oder dem ,Nutzen‘ des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint.“ (Weber 2009, S. 42) Eine „rationale Lebensführung“, die sich der Arbeit als Selbstzweck unterordnet, erfordert als Programm systematischer Selbst-kontrolle eine „Disziplinierung des Körpers“ (Foucault). Das zugerichtete Individuum, welches sich nunmehr zu sich selbst als einem Abstraktum verhielt und seinen Leib als zum bloßen Trägermedium von Arbeitskraft erniedrigten Körper verstand, ist das Resultat der Disziplinierungsprozesse der frühen Neuzeit.


Eine Perspektive auf die Konstitution des bürgerlichen Subjekts, die allein die Beherrschung innerer und äußerer Natur benennt, ohne auf deren Voraussetzungen und Implikationen zu reflektieren, verbleibt jedoch im Rahmen einer androzentrischen Imagination dieses Subjekts, die seiner vermeintlichen Selbstgenügsamkeit auf den Leim geht. Es blieb der feministischen Geschichtsforschung und Theoriebildung überlassen, die Kehrseite der Subjektkonstitution zu thematisieren und deren dialektische Verwiesenheit auf eine weibliche Nicht-Subjektivität herauszuarbeiten. Dem Prozess der ursprünglichen Akkumulation korrespondierte gewissermaßen ein Prozess ursprünglicher Abspaltung (vgl. hierzu auch Scholz 1992), der sich ebenso gewaltförmig wie jener seit dem 15. bis ins 17. Jahrhundert in Form der europäischen Hexenverfolgung Geltung verschaffte.


Als bedrohliches und unbeherrschtes Naturwesen verkörperte die Hexe alles, was das sich konstituierende Subjekt an Natur- und Triebhaftigkeit abzuspalten genötigt war. Der „Konflikt zwischen Vernunft und körperlichen Leidenschaften“ (Federici 2015, S. 168f.), zwischen der protestantischen Tugend der Selbstbeherrschung und der Trieb- und Leibhaftigkeit, wurde externalisiert und in einem projektiven Akt in den als Hexen phantasierten Frauen verfolgt. Johannes Bareuther kommentiert diesen Zusammenhang folgendermaßen: „Diese Konstellation deutet darauf hin, dass die Identifikation von Weiblichkeit und unbeherrschter Natur durch die Dialektik der Selbst-beherrschung vermittelt ist. Die äußere Natur wird wenigstens teilweise zur Projektionsfläche für die innere, welche unter dem Druck der Modernisierungsprozesse, dem Zwang zum Selbstzwang, zunehmend diszipliniert werden muss. Fleischliche Gelüste werden projektiv abgewehrt, indem sie an den Frauen als den potentiellen Triebzielen bekämpft werden.“ (Bareuther 2014, S. 38) Die Hexe diente allerdings nicht nur als Projektionsfläche für die eigene Triebnatur des Subjekts, sondern mehr noch als Negativfolie einer im Entstehen befindlichen, am Abgespaltenen orientierten Weiblichkeit. In ihr manifestierte sich das verfolgte Gegenstück einer idealen Hausfrau, Mutter und Gattin. Dieses Ideal der liebenden und gefügigen Frau, dessen Revers die Hexenimago darstellte, kam erst mit der Aufklärung zu seiner vollen Entfaltung. Mit dem Ende der Hexenverfolgungen scheint der Entwurf einer bedrohlichen, unbeherrschten Weiblichkeit von einem Ideal abgelöst zu werden, das Frauen eine gezügelte, domestizierte Form der Naturhaftigkeit attestiert, sie als friedliebende und fürsorgliche Wesen beschreibt: die konstitutive Gewalt der offenen Verfolgung wurde derart durch eine verfestigte und häuslich institutionalisierte substituiert; die Subordination der Frau war nun gesamtgesellschaftlich hergestellt.


Obgleich das Hexenbild sich seither – zumindest in den westlichen Staaten – nicht mehr als übergreifender Wahn manifestierte, scheint es doch gerade in individuellen oder kollektiven Krisen des androzentrischen Subjekts, das seine eigene Zerfaserung als projizierte Bedrohung von außen erfährt, reaktiviert zu werden. Das „entfesselte Sinnenwesen“ der Frau als Hexe (Silvia Bovenschen) bedroht heute nicht mehr ein sich konstituierendes, sondern ein zerfallendes Subjekt, torpediert als Infiguration des „Chaos“ die männliche Geschlechtsidentität, ja wird förmlich zur Ursache der „Krise der Männlichkeit“ erklärt. Wie für die Incels feststeht, dass Frauen ihnen nur aufgrund ihrer Bösartigkeit den wohlverdienten Sexualakt vorenthielten, ist auch für Jordan Peterson klar, dass das weibliche Prinzip Chaos, wenn es die Oberhand gewinnt, männliche Identitäten bedroht: „The masculin spirit is under assault. It´s obvious.“[8] Die Gewaltattacken amoklaufender Incels führt er auf die Zerstörung der Monogamie zurück, die nicht zuletzt dem Feminismus anzulasten sei. Das Problem sei deshalb auch einer offen-sichtlichen und praktischen Lösung zuzuführen: „The cure of that is enforced monogamy.“[9] Ohne kulturell erzwungene Monogamie hielten sich Frauen nur an Männer mit gewissem Status, während der Rest des männlichen Geschlechts sexuell verarme, um im Bild der Incels zu bleiben. Jordan Peterson teilt daher die Ideologie der Incels und plädiert genau wie diese für eine sexual-demokratische Umverteilung der Libido zwecks Restitution männlicher Ordnung gegen das drohende weibliche Chaos.


 

4. Zwischen Hass und Mimesis

 

Der bereits weiter oben geschilderte perennierende Selbstwiderspruch des narzisstischen Sozialcharakters besteht in der Unvereinbarkeit seines regressiven Strebens nach der einheitlichen Symbiose mit dem Realitätsprinzip, das den Versuch solcher Rückkehr stets torpediert. Die fantasierte präödipale Ganzheit ist nicht zu restituieren, ihre Wiederherstellung mit der schieren Existenz äußerer Realität unvereinbar, weshalb das narzisstische Ansinnen notwendig als Scheitern sich realisiert. Um in diesem Widerspruch, wenn er schon nicht gelöst werden kann, sich doch irgend zu bewegen, erfährt das Realitätsprinzip ein nicht-ödipales – das bedeutet ein nicht über Ödipuskomplex, Inzest-schranke, Vaterautorität und Über-Ich vermitteltes – Zugeständnis vonseiten des narzisstischen Subjekts. Als notgedrungene Reaktion auf die in Permanenz versehrte narzisstische Integrität wird eine „Hilfskonstruktion“ ausgebildet, auf die ein Teil der narzisstisch gebundenen Libido vom Ich her verschoben wird. Bei dieser Hilfskonstruktion handelt es sich um das, was Freud als „Ichideal“ oder „Idealich“ bezeichnet.[10] Anders als das Über-Ich, welches aus dem ödipalen Triebkonflikt emanierte, ist das Ichideal kein Erbe einer sei´s auch unbewussten Auseinandersetzung des Individuums mit sich selbst und seiner gesellschaftlichen Existenz, mithin kein Resultat androzentrischer Subjektwerdung, sondern der Versuch, jedweden Individuationsprozess zu sistieren und am Trachten nach dem Regress festzuhalten. Das Ichideal ist keine verbietende und strafende Instanz, die dem Ich Triebopfer abverlangt und auf die repressive Verdrängung der Wünsche zielt, sondern eine Instanz zur Vermeidung jeden Gewahrens eigener Unvollkommenheit. Kurz: Das Ichideal ist im Gegensatz zum Über-Ich keine Instanz einer Überwindung der präödipalen Phase, sondern der Versuch, sie auch nach dem Einbruch der Realität noch zu konservieren. Lilli Gast bestimmt das Ichideal deshalb zutreffend als einen „Motor der weiteren Entwicklung (…) – einer Entwicklung, die sich aus dem Wunsch nach Wiederherstellung der Wunschlosigkeit und der Wiedervereinigung mit dem primärnarzißtischen Selbst-Objekt nähert. Chasseguet-Smirgel bezeichnet vor diesem Hintergrund jene Annäherung des Subjekts an die Realität über das Ichideal als ,nach vorne gerichtete Projektion des Narzißmus‘ [...]“ (Gast 1992, S. 76) – einer Entwicklung folglich, die in sich keinerlei psychogenetischen Progress birgt, nicht auf Einsicht und nicht auf Verdrängung fußt, sondern auf Rückkehr. Das Ichideal ist ein Substitut des Narzissmus: „Diesem Idealich“, so Freud in „Zur Einführung des Narzißmus“, „gilt nun die Selbstliebe, welche in der Kindheit das wirkliche Ich genoß. Der Narzißmus erscheint auf dieses neue ideale Ich verschoben, welches sich wie das infantile im Besitz aller wertvollen Vollkommenheiten befindet. Der Mensch hat sich hier, wie jedesmal auf dem Gebiete der Libido, unfähig erwiesen, auf die einmal genossene Befriedigung zu verzichten. Er will die narzißtische Vollkommenheit seiner Kindheit nicht entbehren, und wenn er diese nicht festhalten konnte, durch die Mahnungen während seiner Entwicklungszeit gestört und in seinem Urteil geweckt, sucht er sie in der neuen Form des Ichideals wiederzugewinnen. Was er als sein Ideal vor sich hin projiziert, ist der Ersatz für den verlorenen Narzißmus seiner Kindheit, in der er sein eigenes Ideal war.“ (Freud 1914, S. 60f.)


Es kann wohl ohne Übertreibung festgestellt werden, dass diese Ausrichtung aufs Ichideal – gleichbedeutend mit der gesamt-gesellschaftlichen Absenz des Über-Ichs – sich in der Postmoderne allumfassend etabliert hat: An die Stelle ödipaler Verbote ist der einzig wahre Imperativ fortwährender Selbstverwirklichung getreten, also der Versuch, Ich und Ichideal durch „Arbeit am eigenen Selbst“ zur Deckung zu bringen. Im obigen Sinne einer nicht progressiven, sondern in sich selbst verharrenden Entwicklung erscheint dieser Versuch, der gerne als „Identitätsfindung“ bezeichnet wird, als unablässiges Auf-der-Stelle-Treten. Abgedichtet gegen jeden selbstvergessenen Objektbezug hetzen die Einzelnen ihrer „Selbstverwirklichung“ hinterher und täuschen so darüber hinweg, dass von einem Ich hier schon keine Rede mehr sein kann. Zwei Apologeten der so rührigen wie stillgestellten Selbstinszenierung, Johannes Goebel und Christoph Clermont, brachten die Maxime der postmodernen Identitätsstiftung affirmativ auf den Punkt: „Lebenskunst ist eine Aufgabe, die den ganzen Mann, die ganze Frau erfordert. Denn die permanente Inszenierung eines wie auch immer gearteten ästhetischen Bildes, das sich in jeder Facette des Seins widerzuspiegeln hat und dabei noch ständiger Überprüfung unterworfen ist, bedeutet, einem anstrengenden Vollzeitjob nachzugehen, einer Tätigkeit, die ebensoviel Frustration bereithält wie Befriedigung [...] Arbeit bedeutet vor allem, an sich selbst zu arbeiten. [...] Wenn ständige (ästhetische) Selbstverbesserung das Ziel ist, müssen selbstverständlich auch alle Aktivitäten diesem Imperativ entsprechen.“(Goebel/Clermont 1997, S. 31)[11] Gleichsam als leere Hülse kompensiert das Zerfallssubjekt seine Substanzlosigkeit in der Ästhetisierung seiner äußeren Erscheinung und Lebensweise. Die gähnende Leere der ichlosen Subjekte erfährt durch den omni-präsenten Körper- und Warenkult seine bunte Camouflage: „Einen Staubsauger oder gar Kaffeefilter zum bedeutungsschweren Bestandteil einer in sich stimmigen Biographie machen zu müssen ist ein Unternehmen, das vor zwanzig Jahren Kopfschütteln ausgelöst, vor fünfzig Jahren den direkten Weg in die Psychiatrie bedeutet hätte. Doch Komplexität dieser Art ist für den Lebensästheten Alltag. Wo jedes noch so winzige Detail zum Baustein des Gesamtkunstwerks ,Ich‘ werden kann, gibt es nichts Unwichtiges.“ (ebd., S. 42) Die beiden Autoren, die so dankenswert offen formulieren, was überall der Fall ist, explizieren, als wären sie an Freud geschult, das Programm – und, was das gleiche ist, die Drohung – des präödipalen Subjekts: „Die Kindheit endet niemals. [...] Infantilität ist zum ständigen Begleiter einer Generation alternder Boys und Girlies geworden.“ (ebd., S. 40f.) Die Boys und Girlies, das sei zur Verteidigung der Kindheit jedoch an dieser Stelle angemerkt, prolongieren diese nicht einfach ins Erwachsenenleben hinein, sondern deformieren sie zur grellen Buntheit als graue Tristesse: Der postmoderne Ästhet, der, weil er ansonsten seinen Leib nicht gewahren kann, sich gerne tätowieren lässt und ununterbrochen mit der Optimierung der Inneneinrichtung seiner (links)identitär aufgemotzten Wohnung beschäftigt ist, die stimmig sein muss, weil in ihm nun wirklich gar nichts mehr stimmt, unterscheidet sich in negativer Weise definitiv vom Kind, dem im Spiel noch die Fähigkeit zur Erfahrung anzumerken ist – das Gebaren der verspielten und aggressiv nicht-ernsthaften Lebensästheten ist eine einzige Farce.


Die Selbstoptimierung kann je nach Milieu oder Szenezugehörigkeit unterschiedliche Formen annehmen. Wer den Künstler in sich gefunden zu haben glaubt – und wer glaubt das heute nicht? – rödelt im Modus anerkennungsheischender Kreativität und Individualität vor sich hin, während sich der Rest im Fitness-Studio abstrampelt, um als konfektioniertes Exemplar dem Ideal des desexualisierten Reklame-Körpers so nahe wie möglich zu kommen, oder im Yoga-Kurs die innere Mitte sucht, um nicht vollends der psychischen Desintegration anheim zu fallen. So oder so gesellt sich zur Vervollständigung der Elendsverwaltung am eigenen Leib dann noch die obligatorische Detox-Kur sowie der Genuss von Avocado-Shakes, Bulgur-Salat und glutenfreiem Gebäck, womit dann auch der letzte Zweifel am unbedingten Willen der Selbstoptimierer zur Triebbekämpfung ausgetrieben wäre.


Die unübersichtliche Vielfalt „innovativer“ Optimierungsstrategien eint das Bestreben, die Identität mit dem Ichideal herzustellen, welche ihrerseits durch die Anerkennung der Anderen – Surrogat des liebenden Blicks der Mutter – ratifiziert werden soll. Mit der Bestätigung der eigenen Optimierung durch die Außenwelt steht und fällt der Erfolg der Arbeit am eigenen Selbst. Denn wie schon der Narziss der griechischen Mythologie nicht sich selbst, sondern sein Spiegelbild liebte, bleibt auch seine postmoderne Variante auf die Spiegelung seiner Perfektion durch Dritte verwiesen. Die Fixierung aufs eigene Ich und Ichideal verbleibt nicht in abgekapselter Selbstbeschäftigung; oder präziser: wer die Trennung von Ich und Außenwelt regressiv in der Symbiose aufzuheben wünscht, muss zwischen beiden Identität schaffen, Selbst- und Fremdwahrnehmung müssen zusammenfallen. Gelingt dies nicht – und es kann nicht gelingen, da solche Identität schlicht nicht erzeugt werden kann –, gerät also die Arbeit am eigenen Selbst an seine Grenzen, dann richtet sich die Einsicht des Scheiterns in Form entweder erweiterter Triebverleugnung oder handfester Depressionen gegen das eigene Ich – solange zumindest, wie das Destruktions-potential noch nicht nach außen gekehrt wird.


Mit der Transformation des Sozialcharakters und seiner Triebdisposition vom ödipalen hin zum präödipal-narzisstischen im Allgemeinen verändert sich auch die Psychopathologie im Besonderen. Die „klassische“ Neurose, wie sie Freud zum Ausgangspunkt seiner psycho-analytischen Studien machte, kann heute als antiquiert gelten. An ihre Stelle trat seit der Mitte des 20. Jahrhunderts und zunehmend seit den 70er Jahren die Depression, die heute endgültig allen anderen psychischen Erkrankungen den Rang abgelaufen hat. Der Soziologe Alain Ehrenberg bringt die Konjunktur der Depression mit dem – in seiner Diktion eher soziologisch gefassten – Paradigmenwechsel im Übergang einer ödipal formierten Moderne zur Postmoderne in Zusammenhang: „Die Karriere der Depression beginnt in dem Augenblick, in dem das disziplinarische Modell der Verhaltenssteuerung, das autoritär und verbietend den sozialen Klassen und den beiden Geschlechtern ihre Rolle zuwies, zugunsten einer Norm aufgegeben wird, die jeden zu persönlicher Initiative auffordert: ihn dazu verpflichtet, er selbst zu werden.“ (Ehrenberg 2004, S. 4)


Die Übertragungsneurose fasste Freud in ätiologischer Hinsicht als einen Konflikt zwischen dem im Dienste des Über-Ichs stehenden Ich und dem Es. Triebwünsche, die mit dem Über-Ich, dem Vertreter des versagenden Realitätsprinzips im Ich, nicht vereinbar sind, fallen der Verdrängung anheim (Freud 1924, S. 333ff.). Erweisen sich die libidinösen Fixierungen indes als zu stark, um dauerhaft vom Ich ferngehalten zu werden, überwindet das libidinöse Streben den Widerstand und verschafft sich Geltung – nun jedoch in entstellter Form: „Die ab-gewiesenen libidinösen Strebungen bringen es zustande, sich auf gewissen Umwegen doch durchzusetzen, allerdings nicht ohne dem Einspruch durch gewisse Entstellungen und Milderungen Rechnung zu tragen. Die Umwege sind die Wege der Symptombildung, die Symptome sind die neue oder Ersatzbefriedigung, die durch die Tatsache der Versagung notwendig geworden ist.“(Freud 1916-1917, S. 343) Die im Symptom in Erscheinung tretende Neurose kann folglich als unbewusster Kompromiss im Konflikt zwischen dem Es und dem Ich bzw. Über-Ich, zwischen dem Triebwunsch und der versagenden Instanz, aufgefasst werden: der Triebwunsch findet zwar ins Ich zurück – Freud bezeichnete bekanntermaßen das Symptom als „Wiederkehr des Verdrängten“ (Freud 1915b, S. 115) –, nurmehr aber als zensierte Ersatz-handlung, deren sexueller Ursprung ihr meist nicht unmittelbar anzusehen, sondern nur in der Analyse zu dechiffrieren ist. Ein Kompromiss freilich, der für den Erkrankten bzw. die Erkrankte nicht zum Vorteil ausschlägt.[12]


Während der Neurotiker/die Neurotikerin am Konflikt zwischen Gesetz, Verbot und Triebleben leidet, der sich nicht zuletzt als Schuldgefühl bekundet, verweist die Depression sowohl in ihrer Erscheinung als auch ihrer Ätiologie weniger auf eine derartige Konfliktkonstellation, denn auf eine gewisse Insuffizienz. Ehrenberg kommentiert, die „Depression zeigt uns die aktuelle Erfahrung der Person, denn sie ist die Krankheit einer Gesellschaft, deren Verhaltensnorm nicht mehr auf Schuld und Disziplin gründet, sondern auf Verantwortung und Initiative. [...] Die Depression ist eher eine Krankheit der Unzulänglichkeit als ein schuldhaftes Fehlverhalten, sie gehört mehr ins Reich der Dysfunktion als in das des Gesetzes: Der Depressive ist ein Mensch mit einem Defekt.“ (Ehrenberg 2004, S. 9) Diese Unzulänglichkeit, die sich dem/der Depressiven als Minderwertigkeitsgefühl, geringe Selbstachtung, Frustration und als Gefühl der Leere aufdrängt, ist kein Produkt der die Neurose bestimmenden Konfliktsituation. Sie ist vielmehr das Resultat des gescheiterten Versuchs, Ich und Ichideal zur Deckung zu bringen, die Vollkommenheit des narzisstischen Selbst zu restituieren. Sie bildet das dialektische Gegenstück von Kreativität, Individualität, Flexibilität, Selbstverwirklichungs-, Innovations- und Motivationsemphase. Ein Konflikt kann sich dort überhaupt nicht entwickeln, wo es zur libidinösen Objektbesetzung schon gar nicht mehr kommt, die ja ursächlich den Konflikt und das Aufrichten eines Widerstands erst motiviert. Wo alle Libido aufs Ich und sein Ideal fixiert, also im psychoanalytischen Sinne der Bezug zur Objektwelt „desexualisiert“ ist – Freud spricht in Bezug auf die narzisstisch gebundene Libido von „desexualisiertem Eros“ –, hat das Ich nicht mehr mit verbotenen Triebregungen zu kämpfen, nur noch mit der eigenen objektlosen Leere.


Auch Ehrenberg verortet die Ursache der Depression in der präödipalen Phase: „Der Kranke befindet sich noch im Stadium der sym-biotischen Beziehung mit der Mutter. Wenn die Neurose eine Krankheit der Identifikation ist, dann ist die Borderline-Störung eine Krankheit der Identität, weil das Subjekt keine Objektbeziehungen aufbauen konnte.“ (ebd., S. 146) Und weiter: „Die Gesellschaft trägt [...] zu einer kollektiven Abwertung des Ödipus bei, also des Vaters in seiner symbolischen Funktion der Trennung des Kindes von der Mutter, einer Trennung, ohne die es nicht zum Subjekt seiner Existenz werden kann.“ (ebd., S. 151) Sosehr die Vateridentifikation die Bedingung der neurotischen Konfliktsituation und ihrer Bearbeitung durch Verdrängung darstellt, sowenig kann für die Depression die Verdrängung noch als gängiger Mechanismus angesehen werden, auf die mangelnde Identität zwischen Ich und Ideal, Ich und Außenwelt, Ich und Mutter zu reagieren. Die depressive Persönlichkeit verdrängt nicht aufgrund konflikthafter Nötigung dazu, sie agiert ihr Defizit aus – gegen sich als Sucht, Selbstverletzung, Magersucht, Selbstmord; aber auch gegen andere, die der Rückkehr in die Symbiose im Wege stehen.


Was Ehrenberg mit Fokus auf die Pathologie entfaltet, trifft den heutigen Sozialcharakter im Gesamten. Wie Freud damals stets die neurotische Verfasstheit des „Gesunden“ betonte und keine qualitative Trennung zwischen psychischer Krankheit und Gesundheit vornahm, erhellt auch die Depression die psychische Disposition von heute. Das Oszillieren zwischen Selbstinszenierung wie -optimierung und Erschöpfung ist geradezu ein allgemeines Merkmal postmodernen Daseins, die depressive Persönlichkeit sowieso schon eher die Regel als die Ausnahme.


Auch Elliot Rodger laboriert daran, seinem Ichideal zu entsprechen. Immer wieder kommt er in seinem Manifest auf die „cool kids“ zu sprechen, welchen anzugehören er bestrebt ist. Er kopiert deren „style“ von der Frisur über die Kleidung bis zum Hobby, um irgend dazuzugehören. Was an sich eine banale Sache ist, wächst sich bei ihm zur wahren Obsession aus. Als er realisiert, dass seine Bemühungen um Anerkennung keine Erfolge zeitigen, stellen sich veritable Minderwertigkeitsgefühle ein, die aber sogleich umstandslos in den Affekt gegen die „cool kids“ selbst umgemünzt werden. Rodger ergeht sich in Tiraden über die degenerierten, tierischen Kerle, deren Anerkennung er doch ersehnt: „I always felt like a loser compared to them, and I hated them for it, tough I still wanted their approval.“ (Rodger 2014, S. 31) Trotz wiederholter Enttäuschungen startet Rodger immer wieder Versuche, seinem Ichideal zu entsprechen, kauft sich neue Kleidung („to gain new boost“) und betreibt „workouts“. „I became more and more obsessed by my appearance. [...] Yes, I thought, I am the image of beauty and supremacy. I kept saying it over and over again, as if it was a mantra.“ (ebd., S. 95 und S. 99) Er changiert durchgehend zwischen Anerkennungswunsch und rigorosem Hass auf das, was er im Moment zuvor noch selber sein wollte. Rodger ist das bis zur Kenntlichkeit entstellte negative Reversbild des „unternehmerischen Selbst“, die Fratze postmoderner Selbstverwirklichung. Weil ihn die „cool kids“ an seine eigene Insuffizienz, ans Scheitern seiner Selbst-Arbeit gemahnen, plant er, sich auch an ihnen in seinem prospektiven Amoklauf schadlos zu halten. Quasi als untergeordnetes Supplement gesellt sich zu seinem Frauenhass eine Aversion gegen Männer, die seinem Ideal entsprechen: wenn er dies Leben nicht führen kann, dann soll es auch sonst niemand dürfen.



5. Der asexuelle Kampf wider den Trieb

 

Wo nur noch der Wunsch nach Spiegelung des eigenen Ichs den Umgang mit der Außenwelt motiviert, da muss auch die Fähigkeit zur Erfahrung fundamental verarmen. Erfahrung nämlich, die antizipierende Selbstüberschreitung ins Nicht-Ich, das Gewahren eines Anderen gerade in dessen Alterität, fällt – psychoanalytisch gesehen – mit libidinöser Objektbindung zusammen. Die kontemporäre Fotomanie, der Zwang, alles noch im Bild einzufangen und damit das eigene Onlineprofil zu schmücken, zeugt dahingegen weniger vom Vergnügen am Moment, eher vom kategorischen Unvermögen, noch irgendeine wie auch immer gebrochene lustvolle Beziehung zum Außen zu entwickeln. Die Welt wird zum picture, das Aufscheinen uneingelösten Glücks zur Anzahl der likes. Erfahrung wird nicht gemacht, sondern als Puzzle-stücke der eigenen Patchwork-Identität einverleibt und damit verunmöglicht. Der Rückzug aller Libido aufs Ich ist mit dessen totaler Leere identisch, würde es doch erst durch die Aussendung der Libido, also im freilich auch konflikthaften Zugehen auf die Außenwelt, zu dem, was einzig noch als Ich zu bezeichnen wäre. Den narzisstischen Sozialcharakter trifft in besonderer Weise, was bereits Adorno konstatierte: dass „das Ich zugleich negiert und in falscher, irrationaler Weise verhärtet wird.“ (Adorno 2015, S. 72) Bilden sich Erkenntnis und Bewusstsein an Erfahrung, affiziert ihre Absenz auch die Möglichkeit von Kritik als solcher. Von Denken als sublimiertem Objektbezug kann keine Rede sein, wenn alles Streben aufs eigene Idealich ausgerichtet ist, jedes triebhafte Drängen und jeder Streit um den Gegenstand ausgelöscht ist im Sumpf persönlicher Befindlichkeiten. „Die Gestalt der Triebenergie, an die nach dem Freudschen anaklytischen Typus das Ich sich anlehnt, wenn es zum obersten Opfer, dem des Bewußtseins selber schreitet, ist der Narzißmus.“ (ebd.)


Davon bleibt auch nicht unberührt, was sich heute „Sexualleben“ nennt. Der zur lustlosen Kümmerform des „healthy sex life“ rationalisierte Sexus west in den postmodern barbarisierten Verhältnissen als „Beziehungsmanagement durch Aushandeln“ (Beck/Beck-Gernsheim 1990, S. 120) vor sich hin, in der mittels „Kommunikation“ jeder „Teilhaber“ des „Projekts“ auf „seine Kosten“ kommen soll. Kommuniziert wird, weil niemand mehr was zu sagen hat und weil es den kompetenten Beziehungsarbeitern unerträglich scheint, nicht alles dem Gerede preis-zugeben. „Entsprechend“, so Daniel Späth, „feilscht das postmoderne Zerfallssubjekt um sein Begehren wie um einen Gebrauchtwagen, dessen Wert sich durch einen perennierenden Aushandlungsprozess festsetzen lasse, gewissermaßen der ,linguistic turn‘ der immer unerträglicher sich gestaltenden Alltagspraxis.“ (Späth 2014) Wo Trieb war, soll Bedürfnis werden.


Ist Erfahrung als Lust am Nicht-Ich überholt und das Ich zum Fixpunkt der Libido verkommen, dann muss der/die Andere zum Horror werden. Die bereits weiter oben zitierten  Ich-Künstler Goebel und Clermont beschreiben den Charakter der heutigen Beziehungsrealität wieder unschuldig und treffend: „[...] so tun sich offensichtlich Abgründe gerade da auf, wo die Vertrautheit vermeintlich am größten ist. Der Feind lauert nicht mehr in Moskau, sondern im gemeinsamen Bett, Saddam Hussein verliert im Gegensatz zu Katja, Ralph oder Peter jeden Schrecken.“ (Goebel/Clermont 1997, S. 39) „Was aber passiert, wenn zwei Lebensästheten aufeinandertreffen und sich gar ineinander verlieben? Die Wahrscheinlichkeit, daß persönliche Affinität und die Kompatibilität ihrer Wertecontainer simultan auftreten, geht gegen null. Auf welchem Fundament also soll das Gebäude der Beziehung errichtet werden? Es erscheint unmöglich, daß zwei Menschen jedes Detail ihres Miteinanders neu aushandeln. Schon ein gemeinsames Frühstück zweier Lebensästheten bedeutet eine Kollision fremder Welten. [...] Gleich dem lärmenden Treiben eines orientalischen Basars führen die Partner einen Preiskampf um das gute Leben. Im einen Moment verbucht man einen Gewinn und im nächsten muß man einen Rückschlag einstecken. Und da selbst der Lebensästhet hin und wieder vom ewigen Bargaining die Nase voll hat, schwelen im Miteinander permanent die unausgehandelten Konflikte zwischen zwei Moralgebäuden. [...] Somit steigt die Funktionsfähigkeit einer Partnerschaft direkt mit der Größe der Distanz.“ (ebd., S. 98ff) Die fensterlosen Monaden haben den „molekularen Bürgerkrieg“ (Enzensberger) in die Sexualität hinein verlängert, Liebschaft auf Beziehung degradiert, in der der permanente Kampf des „Bargaining“ zum modus vivendi wird und die immer noch am besten funktioniert, wenn man sich gar nicht erst begegnet. Komplement der Distanzschaffung ist jedoch die „symbiotische Verstrickung“ (Beck/Beck-Gernsheim 1990, S. 95) der Partner, die nicht miteinander, aber auch nicht von sich lassen können, ständig aufeinander hängen, nur um nicht allein zu sein und die eigene Leere zu entdecken, die man mit aktivem Beziehungsleben übertünchen möchte. Es ist nun mal das Charakteristikum der Narzissten, nicht bei sich bleiben und den Anderen als Bestätigungsmedium nicht ermangeln zu können, weshalb sie sich in unmöglichen Beziehungen gegenseitig aufreiben.


Die narzisstische Objektlosigkeit ist in den Online-Dating-Portalen ideell infiguriert: Zuerst ratifiziert man die Versachlichung des eigenen Ichs in Form schicker Bilder und einzeiliger Selbstattribuierungen, die dann auf Kompatibilität mit anderen Profilen hin abgeglichen werden. Ungeeignete Kandidaten werden effizient aussortiert, „passende“ angezeigt. Die virtuelle Welt solcher Plattformen tilgt jedes Moment der Unsicherheit und (lustvollen) Uneindeutigkeit in abgeklärten Bewerbungsgesprächen: jede/r muss wissen, worauf er oder sie sich einlässt und ob die jeweiligen „Wertecontainer“ zueinanderpassen. Das sogenannte „Sexting“, das Verschicken von Bildern der eigenen Geschlechts-teile zur Vorab-Inspektion durch den prospektiven Sexualpartner, ist dabei nur die schamlose Konsequenz der sexuellen Evaluation via Internet.


Was gerade von reaktionären KritikerInnen als Übersexualisierung angeprangert wird, ist in Wahrheit nichts als die „Desexualisierung des Sexus selbst“ (Adorno). Im Gegensatz zum Neurotiker, der die libidinöse Bindung nicht aufgab, sondern in der Verschiebung auf andere Ersatzobjekte und -ziele bewahrte, löst der Narzisst jede Bindung – oder konstituiert sie gar nicht erst. Ähnlich wie der Paraphreniker, von dem Freud in „Zur Einführung des Narzißmus“ schreibt, er scheine „seine Libido von den Personen und Dingen der Außenwelt wirklich zurückgezogen zu haben, ohne diese durch andere in seiner Phantasie zu ersetzen. [...] Die der Außenwelt entzogene Libido ist dem Ich zugeführt worden, so daß ein Verhalten entstand, welches wir Narzißmus heißen können.“ (Freud 1914, S. 42f.) Beziehungsmanagement, Internet-Dating, die Rationalisierung des „Sexuallebens“ insgesamt, sind Resultat und Ausweis einer „Desexualisierung des Eros“ (Freud), der objektlosen Fixierung der Libido im Ich. Die von konservativer Seite monierte Universalisierung der Sexualität in der Gesellschaft erweist sich als universelle Absenz des Sexus. Auch da, wo noch „gefickt“ (das heißt jede Intimität vergessen gemacht) wird, geschieht dies zumeist im Masturbationsmodus.


Die vermeintlich „übersexualisierte“ Asexualität des Narzissmus prägt durchgehend auch das Manifest Elliot Rodgers. Besessen von Sex und einer Beziehung mit einem „extremely hot blonde girl“, reproduziert er darin nur die Vorgaben eines narzisstischen Ideals. Seine Phantasien sind von Unterwäsche-Reklame nicht zu unterscheiden, weil er, genau wie er selbst ein Ideal-Boy sein will, nur ein Ideal-Girl vor Augen hat, deren Bild durch die Erfahrung von Verliebtheit zeitlebens nicht korrigiert wurde. Frauen begehrt Rodger lediglich als notwendige Ver-vollkommnung seines Idealichs. Das blonde Püppchen an seiner Seite, „thats perfect to be in a relationship with“, ist keine in ihrer Eigen-ständigkeit erkannte Andere, sondern der Nullpunkt all dessen, was Begehren bedeuten könnte. Das „blonde girl“ fungiert als bloßes Restitutum einer narzisstischen Männlichkeit, weshalb Rodger auch bei jedem „hot girl“, dessen er ansichtig wird, ohne sie je angesprochen zu haben, mit Sicherheit zu sagen weiß: „she would have made the perfect girlfriend for me.“ (Rodger 2014, S. 81)


Weil Rodger aber dies Fortschreiten zu seinem mit einem „girlfriend“ und viel Sex ausgestatteten Idealich nicht gelingt, entwirft er ein anderes Konzept, das ihm zur Wiederherstellung seiner narzisstischen Einheit verhelfen soll: All das, was er nicht erreichen kann und was ihn zugleich an seine Insuffizienz erinnert, soll abgeschafft werden. Seine Sex-Obsession schlägt um in rigorose Sexualitätsfeindlichkeit. Er entwirft eine Idealwelt, in der niemand mehr Sex hat und beschreibt seinen Einfall als einen Wendepunkt in seinem „twisted life“: „I began to have fantasies of becoming very powerful and stopping everyone from having sex. I wanted to take their sex away from them, just like they took it away from me. I saw sex as an evil and barbaric act, all because I was unable to have it. This was the major turning point. [...] This was when I formed my ideas that sex should be outlawed.“ (ebd., S. 56) Und an anderer Stelle: „I started to have the desire to create a world where no one is allowed to have sex or relationships. I again saw that as the perfect, fair world.“ (ebd., S. 65)


Wenn aber, wie oben erörtert, Sex als Ressource angesehen wird, über die Frauen verfügen, ist die sexualitätsfeindliche Idee gleich-bedeutend mit dem Hass gegen Frauen („The ultimate evil behind sexuality is the human female. They are the main insigators of sex.“ [ebd., S. 136]). Mit dem Sexualakt soll sogleich auch das gesamte weibliche Geschlecht aus der Idealwelt geschafft werden. Rodger halluziniert eine Gesellschaft, in der die gesamte Reproduktion durch künstliche Befruchtung organisiert wird, um frei von Sexualität allen Männern ein „faires“ und gleiches Leben zu ermöglichen. Doch bleibt er nicht bei den Phantasien artifizieller Zeugung stehen, sondern fordert generell die „Abschaffung“ von Frauen, die zu Reproduktionszwecken unter Quarantäne gestellt und schließlich zu großen Teilen getötet werden sollen. Rodgers kranke Gebilde kumulieren in der Vorstellung, dass die nurmehr komplett männliche Gesellschaft die Existenz von Frauen irgend-wann vollständig vergessen haben werde: „If a man grows up without knowing of the existence of women, there will be no desire of sex. Sexuality will completely cease to exist.“ (ebd.) Ein ganz und gar desexualisierter Zustand, in dem niemals wieder einem Mann narzisstische Kränkungen widerfahren werden, in dem das symbiotische Nullniveau durch absolute Erregungslosigkeit restauriert wurde, in dem Lust wie Unlust gleichermaßen unmöglich und Frauen als projektive Statthalterinnen einer versagenden Außenwelt wie einer sexuellen Trieb-haftigkeit entsorgt wurden. Elliot Rodger war nichts weniger als ein Triebtäter, vielmehr ein Täter gegen den Trieb, den er am Frauenleib dingfest machte.


 

6. Größenwahn als Selfempowerment

 

Hat das „purifizierte Lust-Ich“ einmal jede Unlusterfahrung von sich abgespalten und in die Außenwelt verlegt, bleiben ihm zwei Möglich-keiten, auf die Inkompatibilität von narzisstischem Ich und Nicht-Ich zu reagieren: Rückzug von der Realität und Vermeidung jeder Konfrontation oder ausagierende Vorwärtsverteidigung des Verschmelzungswunsches gegen die versagende Welt. Rodger substituierte sein gesamtes „social life“ durch Videospiele, fokussierte so sehr auf das Onlinerollenspiel World of Warcraft, dass sein Interesse daran, ein „cool kid“ zu sein, zeitweise erstarb. Die Realitätsflucht ins Virtuelle eröffnete ihm einen safe space gegen das bedrohliche Außen: „I had my online games to distract me from the harsh realities of life that I was too scared to face.“ (ebd., S. 41) Um nicht vom Realitätsprinzip getriggert zu werden, versenkte er sich in seinen game-character, dem er mit genügend Zeitaufwand zu der wahren Größe verhalf, die ihm im echten Leben verwehrt blieb. In erster Linie fühlte Rodger sich von glücklichen Pärchen in seiner Integrität angegriffen, musste etwa wegen einem „extremely hot blonde girl with her brute of a boyfriend“ schon am ersten Tag des Semesters seinen Soziologiekurs abbrechen, konnte tagsüber nicht am Strand spazieren gehen wegen all der unverdient Glücklichen, empfand puren Hass bei ihrem Anblick und beschrieb zwei sich Küssende als „one of the worst experiences of torture from girls“ (ebd., S. 91). Um all dem zu entgehen, flüchtete Rodger ins Online-game.


Seine Vermeidungsstrategie verkehrte sich jedoch zunehmend in ihr inneres Gegenteil, schlug in ein neues aggressives Selbstbewusstsein um. Seine wahnhaften Hassgebilde gaben ihm nach Selbstaussage die Kraft, den depressiven Rückzug in Angriff zu konvertieren; dass er allein die Wahrheit der auf dem Elend der Sexualität beruhenden Welt erkannt haben will, manifestiert sich als Wille zum Gegenschlag. Folgerichtig überwand Rodger seine Spielsucht und begann an einem Plan zur Umsetzung seines Wahns in die Praxis zu arbeiten. „I decided that my destiny in life is to rise to power so I can impose my ideology on the world and set everything right. [...] I became a new person, furiously driven by a goal. My torment would continue, but I had something to live for. I felt empowered.“ (ebd., S. 57) Derart selfempowered stellt sich freilich keine Bindung zur Außenwelt ein, nur der narzisstische Abwehrmechanismus ändert sein Vorzeichen. Zuvor schüchtern, passiv und ängstlich, imaginiert er sich nun als über der Welt stehendes gottähnliches Wesen: „Humanity has never accepted me among them, and now I know why. I am more than human. I am superior to them all. I am Elliot Rodger... Magnificent, glorious, supreme, eminent... Devine! I am the closest thing there is to an living god.“ (ebd., S. 135)


Den Größenwahn bestimmt Freud in Rekurs auf Karl Abraham und dessen Untersuchungen zur dementia praecox als Rückwendung der Libido von den Objekten aufs Ich, „diese reflexive Rückwendung ist die Quelle des Größenwahns“ (Freud 1916-1917, S. 400f.). Als Inbegriff von Objektlosigkeit – „er ist wohl auf Kosten der Objektlibido entstanden“ (Freud 1914, S. 42) – und Weltabgewandtheit ordnet er den Größenwahn also der narzisstischen Triebfixierung zu. Im Unterschied zur Neurose, die am Objekt über die Phantasievermittlung und Symptombildung festhält und dieserart die Libido bindet, bildet der Größenwahn die „psychische Bewältigung“ der aufs Ich zurück-gezogenen Libidomenge (ebd., S. 53). Der Aufweis des Zusammenhangs von Narzissmus und Größenwahn ergibt sich bei der Lektüre von Rodgers Manifest quasi von selbst. Seine Machtphantasien lassen ihn gar glauben, durch seine Gedankenkraft das Universum zu beein-flussen, um beim Lotto den Millionenjackpot abzuräumen (Rodger 2014, S. 106).


Weil sich aber seine gottgleiche Macht – seine „Allmacht der Gedanken“ (Freud 1914, S. 43), die Freud den „primitiven Völkern“ fälschlicher-weise, dem narzisstischen Kleinkind aber zurecht attestierte – immerzu als fiktiv herausstellt, Rodger nicht im Lotto gewinnt und die Frauen ihm auch weiterhin nicht in Scharen zufliegen, kann auch sein Größenwahn nicht selbstgenügsam in sich verharren. Die letzte Logik des androzentrischen Zerfallssubjekts lautet folglich: „If I can´t have it, I will destroy it.“ (Rodger 2014, S. 101)



    7. Narzissmus und Todestrieb

     

    Beim destruktiven Wahn Elliot Rodgers und anderer Amokläufer, der bis hierher in der Terminologie des Narzissmus gefasst wurde, drängt sich die Frage nach dem Zusammenhang mit dem, was Freud als Todestrieb beschrieben hat, geradezu auf. Bekanntlich kann Freuds Werk in drei Triebtheorien unterteilt werden, deren erste der Dualismus von Sexual- und Ichtrieben (Selbsterhaltungstrieben) darstellt. Das Ich galt hier zunächst lediglich „als verdrängende, zensurierende und zu Schutzbauten, Reaktionsbildungen befähigte Instanz“ (Freud 1920, S. 260). Die Auseinandersetzung mit der Paraphrenie nötigte Freud jedoch zu einer Transformation seiner ersten Triebtheorie, die er 1914 in „Zur Einführung des Narzißmus“ explizierte. Der „ursprüngliche Gegensatz von Ichtrieben und Sexualtrieben [war] unzureichend geworden. Ein Teil der Ichtriebe war als libidinös erkannt; im Ich waren – neben anderen wahrscheinlich – auch Sexualtriebe wirksam [...]“ (ebd., S. 261), was Freud dazu veranlasste, die (narzisstische) Ichlibido von der Objektlibido zu unterscheiden und damit einen neuen, allein sich im Rahmen der Libido bewegenden Dualismus einzuführen, ohne damit jedoch die Existenz der nicht-sexuellen Ichtriebe in Abrede zu stellen. 1920, sechs Jahre und einen Weltkrieg später, entwarf Freud in „Jenseits des Lustprinzips“ seine dritte Triebtheorie, die sein bisheriges Theorem des allein auf der Lust-Unlust-Dialektik basierenden Trieblebens revidierte und sich auf die Behauptung psychischer Prozesse stützte, die ursprünglicher seien als das Lustprinzip. Gemeint war damit der Todestrieb, dem nunmehr die Lebenstriebe opponieren sollten. Als Begründung für die Einführung eines jenseits des Lustprinzips liegenden psychischen Prinzips bringt Freud den Wiederholungszwang ein, den er in den Träumen von Kriegs- und Unfallneurotikern, in manchen Formen des Kinderspiels, in der therapeutischen Übertragung sowie in gewissen Charakterzwängen von Nicht-Neurotikern dingfest machte. Die Triftigkeit des Konzepts eines Wiederholungszwangs kann und soll hier nicht diskutiert werden. Auffällig ist jedoch der argumentative Fortgang vom Wiederholungszwang zum Todestrieb, der allein in Begriffen der Biologie, des Tierlebens und der Embryologie, nicht aber in denen der Psychoanalyse entfaltet wird und einer Grundlage analytischer Erkenntnisse fast vollkommen ermangelt.[13]


    Der dritten Triebtheorie gilt der Trieb nicht mehr als das „zur Veränderung und Entwicklung drängende Moment“, sondern als „Ausdruck der konservativen Natur des Lebenden“: „Ein Trieb wäre also ein dem belebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes, welchen dies Belebte unter dem Einflusse äußerer Störungskräfte aufgeben mußte, eine Art von organischer Elastizität, oder wenn man will, die Äußerung der Trägheit im organischen Leben.“ (ebd., S. 246) Der frühere Zustand, auf den der nun als träge bestimmte Trieb hindrängen soll, sei der Tod: „Der konservativen Natur der Triebe widerspräche es, wenn das Ziel des Lebens ein noch nie zuvor erreichter Zustand wäre. Es muß vielmehr ein alter, ein Ausgangszustand sein, den das Lebende einmal verlassen hat und zu dem es über alle Umwege der Entwicklung zurückstrebt. [...] Das Ziel alles Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war früher da als das Lebende.“ (ebd., S. 248) Diesem ohne jede analytische Evidenz vorgebrachten Postulat eines auf den Tod zielenden Triebes stellt Freud den Sexualtrieb entgegen, der jetzt allerdings zum Lebenstrieb desexualisiert wurde, zum „Eros, der alles Lebende zusammenhält“ (ebd., S. 259). Aus dem dialektischen und bestimmten Begriff des Sexualtriebes wird solcherart ein die Fortpflanzung der Gattung fokussierender Terminus, dessen vorige Schärfe im Durcheinander von Keimzellen und Protoplasmatierchen verloren geht. Mit der schlechten Verall-gemeinerung des Sexualtriebs zum Lebenstrieb leistete Freud der Desexualisierung des Psychischen Vorschub, die sich in der postfreudianischen Psychoanalyse etablierte und in der Selbst-Psychologie Heinz Kohuts zu sich finden sollte.


    Trotz all dieser Mängel gegenüber der zweiten Triebtheorie ist die dritte doch aus dieser hervorgegangen und es hieße die innere Entwicklung der Freudschen Gedanken zu verkennen, beide einfach unabhängig voneinander zu betrachten. Das Wahre an der dritten Triebtheorie, an ihrer Behauptung des Triebkonservatismus und seines asexuellen Charakters ist der Narzissmus selbst. Was vom Trieb als solchem nur schwerlich gesagt werden kann, trifft seine narzisstische Gestalt, seine Rückbindung ans Ich und seine Abwendung von der Außenwelt, umso besser. Oder anders: Wenn er auch nicht als anthropologische Konstante existiert, so spreizt sich doch das narzisstische Triebschicksal in seiner äußersten Konsequenz zum Todestrieb auf.


    Der französische Psychoanalytiker André Green hat den Zusammenhang von Narzissmus und Todestrieb in einigen seiner Essays behandelt. Wenn der Narzißmus zu „Ressentiment, Haß und Verzweiflung“ gerinnt, schreibt er, „geht es nicht mehr um ein Streben nach Einheit sondern nach dem Nichts, das heißt um eine Verminderung der Spannungen zum Nullniveau hin, was Annäherung an den psychischen Tod bedeutet“ (Green 2011, S. 23f.). Präziser müsste gesagt werden: das Streben nach Einheit und Nichts ist ununterscheidbar eins, denn die Symbiose ist der Tod des Individuums. Die Rückkehr zur Muttersymbiose, die narzisstische Regression, fällt mit der Progression zum Tode zusammen. Erst die Überwindung dieser Einheit stiftet die Potenz, den Anderen (und damit übrigens auch die Mutter) als solchen zu erkennen, mithin die Fähigkeit zur Objektbindung überhaupt. Die libidinöse Spannung, von der Green schreibt, konstituiert sich einzig im Objektbezug als eine zwischen Lust und Unlust; ihre Antizipation als Erfahrung im emphatischen Sinne, die der Dialektik von Ich und Nicht-Ich innewürde, wäre mit dem Begriff der Individuation gefasst. Der Narzisst stattdessen ergeht sich in seiner abgedichteten Selbst-bezüglichkeit in einer „extensiven Idee der Nicht-Befriedigung“, weil jede Lust ihn ans bedrohliche Objekt binden würde. Die Charakteristika des Todestriebs, die Rückkehr in den „Zustand absoluter Ruhe, in dem jegliche Spannung aufgehoben ist“ (ebd., S. 139), in Anästhesie und Stillstand, die Wiederherstellung einer früheren Ungeschiedenheit, sind mit denen des Narzissmus identisch. „Die narzisstische Voll-kommenheit ist nicht Zeichen von Gesundheit, sondern Trugbild des Todes. Keiner ist ohne Objekt. Keiner ist der, der ohne Objekt ist.“ (ebd., S. 208) Die Abwehr der als Bedrohung empfundenen sexuellen wie sublimierten Überschreitung seiner selbst aufs Objekt hin hat den Drang zur destruktiven Entgrenzung des Selbst zu ihrem inhärenten Korrelat.


    Es ist eben dieser narzisstische Trieb zum Tode, der sich im Amoklauf als seiner äußersten Konsequenz manifestiert. Die Restitution präödipaler Harmonie gelingt ausschließlich in der radikalsten Abkehr von der versagenden Realität in Mord und Selbstmord. Elliot Rodger begreift seine Tat als Notwehr gegen die brutale Welt und die Frauen im Speziellen, die ihm nie eine Chance gegeben hätten: „Women´s rejection of me is a declaration of war, and if it´s war they want, then war they shall have. It will be a war that will result in their complete and utter annihilation. [...] I will attack the very girls who represent everything I hate in the female gender: The hottest sorority of UCSB [University of California, Santa Barbara]. [...] Than we will see, who the superior really is!“ (Rodger 2014, S. 131f.) Was Freud fälschlicherweise zum Signum aller Lebewesen überhaupt adelte, dass sie, träge wie sie seien, sich „von Anfang an nicht haben ändern wollen“ (Freud 1920,

    S. 247) und nun alles daransetzten, ins Anorganische zurückzukehren, gilt doch allemal für Rodger und seinesgleichen, die das verun-möglichte Nirwana der Muttersymbiose durch dasjenige des Todes substituieren.


    Der Amokläufer ist kein Abbild der Gesellschaft, seine tendenzielle ökonomische Wertlosigkeit in der Krise setzt sich in ihm nicht einfach unmittelbar durch, sondern verdoppelt sich in Vermittlung mit dem Triebleben zur sozialpsychologischen Disposition des präödipalen Narzissmus. Robert Kurz hat die Dialektik von gesellschaftlicher Objektivität und Subjektivität mit Blick auf den Amokläufer treffend bestimmt: „Natürlich ist es nicht unmittelbar das realmetaphysische Vakuum des Werts, der gesellschaftlichen Form der Kapitalbewegung, das ,am‘ oder ,im‘ Subjekt handelt, sondern dieses Krisenhandeln, dieser Übergang zur entgrenzten Gewalt findet über die Transmission von Sozialisationsformen und psychischen Mechanismen statt. Dabei erweist sich gerade die vielbejubelte postmoderne Individualisierung, die in Wahrheit nur die äußerste Steigerung der abstrakten (getrennten) Subjektivität des kapitalistisch konstituierten Menschen bis zum Grad vollkommener Verlassenheit ist, als die Übergangsform zur absoluten Entselbstung, in der sich die psychischen Mechanismen des Todes-triebs bis zur unmittelbaren Manifestation entfalten [...].“ (Kurz 2003, S. 71) Immer schon war die Subjektform Mimesis ans Bestehende, Identifikation mit dem Angreifer der Fetisch-Realität. Im historischen Moment des gesellschaftlichen Zerfalls kommt diese Mimesis als eine ans Tote, an eine Form ohne Inhalt erst zu sich und die Identifikation mit dem Angreifer gerät zum Angriff, zur Vollstreckung der Krise an sich und an anderen.


    Die „Verwilderung des warenproduzierenden Patriarchats“ (Roswitha Scholz) realisiert sich mithin als Verwilderung der männlichen Geschlechtsidentität: Nicht mehr die ödipal-autoritäre Vateridentifikation, sondern das Aufgehen in der vaterlosen, jedoch nicht weniger autoritären Bruderhorde bildet ihre herrschende Ausdrucksform in der Postmoderne. Der Zerfall der androzentrischen Arbeitssubjektivität in der Fundamentalkrise muss psychoanalytisch als Regress von Ödipus auf Narziß, von Triebunterdrückung auf Triebfeindlichkeit gefasst werden. Der gesellschaftliche Untergang des Ödipuskomplexes erzeugt, weil die Form auch ohne Substanz gleichsam im zerstörerischen Leerlauf weiterprozessiert, mitnichten emanzipierte Individuen, sondern lediglich das potenzierte Nichts um sich schießender Killerkids – präödipale Monster, die der Welt nur verübeln, dass diese sich der eigenen Leere noch nicht vollkommen angeglichen hat.


     

     

    Literatur

     

    Adorno, Theodor W.: Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, in: Gesammelte Schriften 8, Frankfurt a. M. 2015.


    Bareuther, Johannes: Zum Androzentrismus der naturbeherrschenden Vernunft (Teil 1): Dämonische und mechanische Natur, in: Exit! 12. Krise und Kritik der Warengesellschaft, Angermünde 2014, S. 18-52.


    Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth: Das ganz normale Chaos der Liebe, Frankfurt a. M. 1990.


    Ehrenberg, Alain: Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2004.


    Federici, Silvia: Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien und Berlin 2015.


    Freud, Sigmund: Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens (1911), in: Studienausgabe, Band 3, Frankfurt a. M. 1975, S. 13-24.


    Freud, Sigmund: Zur Einführung des Narzißmus (1914), in: Studienausgabe, Band 3, Frankfurt a. M. 1975, S. 38-68.


    Freud, Sigmund: Triebe und Triebschicksale (1915a), in: Studienausgabe, Band 3, Frankfurt a. M. 1975, S. 75-102.


    Freud, Sigmund: Die Verdrängung (1915b), in: Studienausgabe, Band 3, Frankfurt a. M. 1975, S. 103-118.


    Freud, Sigmund, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916-17), in: Studienausgabe Band 1, S. 32-445.


    Freud, Sigmund: Jenseits des Lustprinzips (1920), in: Studienausgabe, Band 3, Frankfurt a. M.1975, S. 213-272.


    Freud, Sigmund: Das Ich und das Es (1923), in: Studienausgabe, Band 3, Frankfurt a. M. 1975, S. 273-330.


    Freud, Sigmund: Neurose und Psychose (1924), in: Studienausgabe, Band 3, Frankfurt a. M. 1975, S. 331-337.


    Gast, Lilli: Libido und Narzissmus. Vom Verlust des Sexuellen im psychoanalytischen Diskurs. Eine Spurensicherung, Tübingen 1992.


    Goebel, Johannes/Clermont, Christoph: Die Tugend der Orientierungslosigkeit, Berlin 1997.


    Green, André: Die tote Mutter. Psychoanalytische Studien zu Lebensnarzissmus und Todesnarzissmus, Gießen 2011.


    Houellebecq, Michel: Ausweitung der Kampfzone, Berlin 2017.


    Kurz, Robert: Die Welt als Wille und Design. Postmoderne, Lifestyle-Linke und die Ästhetisierung der Krise, Berlin 1999.


    Kurz, Robert: Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung, Bad Honnef 2003.


    Kurz, Robert: Geld ohne Wert. Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 2012.


    Laplanche, Jean/Pontalis, Jean-Bertrand: Das Vokabular der Psychoanalyse, 1975.


    Lasch, Christopher: Das Zeitalter des Narzißmus, München 1980.


    Marcuse, Herbert: Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud, Frankfurt a. M. 1965.


    Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Band 1, Berlin 2008.


    Peterson, Jordan: 12 Rules For Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt, München 2018.


    Rodger, Elliot: My Twisted Life. The Story Of Elliot Rodger, 2014.


    Scholz, Roswitha: Der Wert ist der Mann,1992, online unter: exit-online.org


    Scholz, Roswitha: Das Geschlecht der Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose des Patriarchats, Bad Honnef 2011.


    Späth, Daniel: Die Dialektik des Triebs in der Postmoderne, 2014, online unter: fractura.online


    Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Köln 2009.




    Endnoten


    [1] Der Ödipuskomplex liegt Freud zufolge jedoch nie in seiner „positiven“ Reinform vor. Realiter findet sich immer auch die „negative“ Form im vollständigen Komplex, nach welcher der Knabe eine libidinöse Bindung ans gleichgeschlechtliche Elternteil aufweist und dem gegengeschlechtlichen mit Feindseligkeit begegnet. Erst die Verdrängung dieser gleichgeschlechtlichen Fixierungen ermöglicht die heterosexuelle Normalität (vgl. Laplanche/Pontalis 1975, S. 351ff. und Freud 1923, S. 299ff.).


    [2] Vgl. auch Marcuse (1965), S. 9: „Das Glück muß der Disziplin der Arbeit als Vollbeschäftigung untergeordnet werden, der Disziplin der monogamen Fortpflanzung, dem geltenden System von Recht und Ordnung. Die methodische Aufopferung der Libido, ihre strikt erzwungene Ablenkung auf sozial nutzbringende Tätigkeiten und Ausdrucksformen ist Kultur.“


    [3] Vgl. hierzu die Schriften von Robert Kurz zur inneren Schranke des Kapitals, zuletzt Kurz (2012).

    [5] Vgl. https://www.cbc.ca/news/canada/toronto/what-is-an-incel-toronto-van-attack-explainer-alek-minassian-1.4633893, eingesehen am 01.12.2019. „Stacys“ bilden das weibliche Pendant zu den „Chads“, gemeint sind also hübsche Frauen.


    [6] So fragt etwa Elliot Rodger danach, warum Frauen „have a perverted sexual attraction for the most brutish of men instead of gentlemen of intelligence“ (S. 117).


    [7] Nicht zuletzt in den Heeren der absolutistischen (Proto-)Staaten wurde die Disziplinierung und Beherrschung der inneren Natur unbarmherzig eingeübt. Der Soldat, direkt oder indirekt zum Dienst gezwungen, verinnerlichte auf dem Exerzierplatz den Drill, der es ihm erlaubte, auch noch im Sterben auf dem Schlachtfeld nicht aus Reih´ und Glied zu weichen. Als atomisiertes und asozialisiertes, Sold empfangendes und (bis auf den Tod) kämpfendes Wesen ist der Soldat die Protoform des in die gnadenlose Konkurrenz geworfenen Lohnarbeiters.


    [10] Freud verwendet den Begriff teilweise synonym zu dem des Über-Ichs. Weil der Terminus des Ichideals jedoch dem Narzissmus in Freuds Werk näher steht als das Über-Ich, hat sich in der postfreudianischen Psychoanalyse sinnvollerweise die Verwendung des Ichideal-Begriffs allein im Kontext des Narzissmus durchgesetzt. Wie das Über-Ich Erbe des Ödipuskomplexes, so ist das Ichideal Erbe des primären Narzissmus. Zur Ambivalenz des Begriffs vgl. Gast (1992), S. 68ff. und Laplanche/Pontalis (1975), S. 202ff.


    [11] Gegen Goebel/Clermont im Besonderen und das postmoderne Unwesen im Allgemeinen vgl. Kurz (1999).

    [12] „Die Einzelheiten des Vorganges, durch welchen die Verdrängung eine Lustmöglichkeit in eine Unlustquelle verwandelt, sind noch nicht gut verstanden oder nicht klar darstellbar, aber sicherlich ist alle neurotische Unlust von solcher Art, ist Lust, die nicht als solche empfunden werden kann.“ (Freud 1920, S. 220)


    [13] Freud weist diesen Mangel der dritten Triebtheorie auch selbst aus: „Ich verkenne nicht, daß der dritte Schritt in der Trieblehre, den ich hier unternehme, nicht dieselbe Sicherheit beanspruchen kann wie die beiden früheren, die Erweiterung des Begriffs der Sexualität und die Aufstellung des Narzißmus.“ (Freud 1920, S. 267)