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Andreas Urban

 

Was ist Wert-Abspaltungskritik?

Eine Zusammenfassung zentraler Thesen und theoretischer Grundlagen


 

Dieser Beitrag fasst zentrale Thesen und Essentials der Wert- bzw. Wert-Abspaltungskritik zusammen. Beansprucht wird damit lediglich eine kurze und knappe Einführung in einige ihrer theoretischen Grundlagen. Für eine ausführlichere Einführung in das wert-abspaltungskritische Theoriegebäude sei auf die Bücher Die Abenteuer der Ware von Anselm Jappe (2005) sowie – unter expliziter Berücksichtigung der Abspaltungs-Dimension – Sackgasse Wirtschaft von Ernst Schmitter (2019) verwiesen.

 

Die seit 1986[1] entwickelte und vor allem mit den Namen Robert Kurz[2] und Roswitha Scholz[3] verbundene Wert-Abspaltungskritik stellt gegenwärtig den vielleicht elaboriertesten und anspruchsvollsten kapitalismuskritischen Theorieansatz dar, der vor allem auf die Analyse und Kritik der Funktions- und Strukturlogiken kapitalistischer Gesellschaften in ihrer historischen Spezifik abzielt. Obwohl selbst sehr wesentlich auf dem Werk von Karl Marx aufbauend, unterscheidet sie sich in zentralen Punkten maßgeblich von traditionellen, orthodoxen bzw. „arbeiterbewegungsmarxistischen“ Ansätzen, deren Kapitalismuskritik in erster Linie auf den Gegensatz und den sozialen Kampf zwischen einer herrschenden Kapitalisten- und einer ausgebeuteten Arbeiterklasse fokussierte. Diese Klassenkampfperspektive bildet bis heute in vielfältigen Formen die Grundlage kapitalismuskritischer und insbesondere marxistischer bzw. marxistisch inspirierter Theorieansätze. Im Mittelpunkt der Wert-Abspaltungskritik steht hingegen der Kapitalismus als Gesellschafts- und Lebensform, als ein sämtliche gesellschaftliche Ebenen durchdringendes und umfassendes soziales Verhältnis, welches das gesellschaftliche Leben maßgeblich prägt. In diesem sozialen Verhältnis kontextualisiert sie gerade auch den sich in sozialen Kämpfen ausdrückenden Klassengegensatz selbst, den sie primär als einen systemimmanenten Interessengegensatz zwischen Kapitalisten- und Arbeiterklasse auffasst. Anders als dies im Selbstverständnis der historischen Arbeiterbewegung wie auch daran anknüpfender Theorieansätze manifestiert ist, betrachtet die Wert-Abspaltungskritik also den Klassenkampf des Proletariats nicht als einen Kampf gegen den Kapitalismus, sondern vielmehr als einen Kampf um Anerkennung und bessere Lebensbedingungen innerhalb der bestehenden kapitalistischen Formen – ein Kampf, der bekanntlich mit einigem Erfolg geführt wurde, aber eben nicht die Aufhebung des Kapitalismus und des damit gesetzten Klassenantagonismus, sondern vielmehr, und ganz im Gegenteil, die weitgehende Integration und Auflösung der Arbeiterklasse ins bzw. im (Klein-)Bürgertum zur Folge hatte.


Dieser Widerspruch zwischen radikal kapitalismuskritischer Theorie auf der einen und kapitalismusimmanenter Klassenkampfperspektive auf der anderen Seite durchzieht ganz allgemein das gesamte Werk von Karl Marx. Es lässt sich in diesem Zusammenhang gewissermaßen von einem „doppelten Marx“ sprechen (vgl. Kurz 2000: 13-48): Ein großer (und vielleicht der größte) Teil des Marxschen Werkes besteht aus Überlegungen von Marx als Theoretiker der Arbeiterbewegung, ein anderer hingegen aus einer bis heute unübertroffenen, schonungslosen Analyse und Kritik des Kapitalismus als einer „fetischistischen“, um den irrationalen Selbstzweck der Kapitalverwertung zentrierten Gesellschaftsform. Auf diesen „anderen“, „fetischkritischen“, d.h. auf die Analyse und Kritik des Kapitalismus als Gesellschaftsformation zielenden Marx rekurriert die Wert-Abspaltungskritik.[4]

 

 

Kapitalismus als fetischistische und (auto)destruktive Gesellschaftsform

 





 





Die Wertkritik – und in ihrer weiterentwickelten Form die Wert-Abspaltungskritik – rekurriert auf verschiedene zentrale, in älteren orthodoxen wie auch in neomarxistischen Theorieansätzen weitgehend marginalisierte Konzepte und Einsichten aus dem Werk von Karl Marx, vor allem auf seine Theorie des Werts, des Warenfetischismus sowie seine These einer kapitalistischen Krisendynamik, wie er sie insbesondere in seinem Hauptwerk, dem dreibändigen Kapital (Marx 1973 [1867]), sowie in seinen Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie (Marx 1983a) entwickelt hat. Im Mittelpunkt steht dabei die Annahme, dass das gesamte gesellschaftliche wie auch individuelle Leben im Kapitalismus bestimmt wird durch die selbstzweckhafte Dynamik der Kapitalverwertung. Kapitalismus wird begriffen als eine „fetischistische“ Vergesellschaftungsform, die sich zwar durch das konkrete und intentionale Handeln der Menschen hindurch, dabei aber dennoch in einem dialektischen Vermittlungsprozess gleichsam hinter deren Rücken konstituiert – als eine Art verselbständigter gesellschaftlicher Zusammenhang gewissermaßen, in dem das Handeln der Menschen überwiegend einer sich quasi-naturgesetzlich entfaltenden Sachzwanglogik folgt. Das konstitutive, alle Lebens- und Handlungsvollzüge der Menschen überformende und letztlich alle Gesellschaftlichkeit stiftende Prinzip besteht dabei in besagter Verwertungsbewegung des Kapitals, von dessen Gang Wohl und Wehe der kapitalistisch vergesellschafteten Menschen, mittlerweile im globalen Maßstab, abhängt (Wohl in Hochkonjunkturen, Wehe – wie aktuell wieder in zunehmendem Ausmaß – in Finanz- und Wirtschaftskrisen).

 

Dies ist gerade nicht im Sinne eines ökonomischen Determinismus zu verstehen, wonach die Menschen nichts weiter als Marionetten einer von außen auf sie eindringenden und sie beherrschenden Kapitalverwertungslogik seien. Im Gegenteil: Ihre durch ökonomische Sachzwänge der Kapitalverwertung beherrschte Gesellschaftlichkeit stellt zu jeder Zeit ein Produkt ihrer eigenen Handlungen dar, die sich jedoch ihnen gegenüber in Gestalt gesellschaftlicher Institutionen und Strukturen verselbständigt haben (vgl. Postone 2003, S. 61f.). Diese Verselbständigung ist empirisch überaus evident: Sie kann vielleicht besonders eindrücklich daran abgelesen werden, wie in der Öffentlichkeit, in Politik, Medien, Ökonomie und Wissenschaft, über die Gesellschaft und insbesondere ihre „Wirtschaft“ gesprochen wird. Hier wird zumeist auf ökonomische Indikatoren wie etwa das „Bruttoinlandsprodukt“ oder das sogenannte „Wirtschaftswachstum“ zurückgegriffen, die über die „Gesundheit“ der Wirtschaft (und damit der Gesellschaft insgesamt) Auskunft geben sollen, und die im Bewusstsein der Menschen eine ähnliche Selbstevidenz und Selbstverständlichkeit genießen wie Naturgesetze. Das Wohlergehen der Menschen und der Gesellschaft hängt aus dieser Sicht explizit oder implizit vom Funktionieren des Kapitalverwertungsprozesses ab, d.h.

„Formen, denen es auf der Stirn geschrieben steht, dass sie einer Gesellschaftsformation angehören, worin der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert, gelten ihrem bürgerlichen Bewußtsein für ebenso selbstverständliche Naturnotwendigkeit als die produktive Arbeit selbst.“ 

                                                                                                          Karl Marx

davon, dass durch die Produktion und den Verkauf von Waren Geld auf immer höherer Stufenleiter vermehrt werden kann.[5] Und dieser Zwang zur permanenten Kapitalverwertung in Form von „Wertschöpfung“ und „Wirtschaftswachstum“ tritt den Menschen als äußerlicher, objektiver, gleichsam „natürlicher“ Sachzwang gegenüber, auch wenn es freilich die Menschen selbst sind, die durch ihr Handeln diesen Sachzwang überhaupt erst hervorbringen, weil er ein Produkt bzw. Ausdruck der historisch-konkreten Form ihrer Beziehungen unter- und zueinander darstellt. Eben für diesen Widerspruch hat Marx den Begriff des „Fetischismus“ gefunden, den er mit Blick auf das dialektische Verhältnis von menschlichem Handeln und objektiver, kapitalistischer Gesellschaftsstruktur wie folgt beschreibt:


„Sosehr nun das Ganze dieser Bewegung [die Verwertungsbewegung des Kapitals, A.U.] als gesellschaftlicher Prozess erscheint und sosehr die einzelnen Momente dieser Bewegung vom bewussten Willen und besonderen Zwecken der Individuen ausgehen, sosehr erscheint die Totalität des Prozesses als ein objektivierter Zusammenhang, der naturwüchsig entsteht; und zwar aus dem Aufeinanderwirken der bewussten Individuen hervorgeht, aber weder in ihrem Bewusstsein liegt noch als Ganzes unter sie subsumiert wird. Ihr eigenes Aufeinanderstoßen produziert eine über ihnen stehende, fremde gesellschaftliche Macht.“ (Marx 1983, S. 127)


Kapitalismus stellt mithin eine ganz spezifische und historisch einzigartige Form gesellschaftlicher Reproduktion dar, die sich von einem auf Kapitalverwertung beruhenden Produktionsprozess abhängig gemacht hat. Das ist auch gemeint, wenn Marx im Eingangszitat davon spricht, dass im Kapitalismus „der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert“ (Marx 1973 [1867], S. 95). Zwar sind es die Menschen selbst, durch die der Produktionsprozess in Gang gehalten wird und die auf diese Weise ihre eigene Gesellschaftlichkeit hervorbringen und gestalten; dies tun sie jedoch unter Bedingungen, unter denen ihre Gesellschaftlichkeit ihnen permanent entgleitet, weil die Produkte ihres eigenen Handelns ihnen gleichsam dinghaft in Gestalt objektiver Institutionen und Strukturen wie Wirtschaft, Geld, Markt, Staat usw. gegenübertreten und die von ihnen selbst konstituierten gesellschaftlichen Verhältnisse für sie undurchsichtig geworden sind.[6] So nimmt ein durch die Menschen selbst hervorgebrachtes soziales Verhältnis „die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen“ (ebd., S. 86) an – die gesellschaftlichen Verhältnisse „verdinglichen“, und nur noch in dieser „verdinglichten“ Form wird Gesellschaft sodann von den Menschen wahrgenommen und in ihrem täglichen Handeln reproduziert.


Zugespitzt hat Marx diese theoretische Bestimmung des Kapitalismus als fetischistische Gesellschaftsform schließlich in seiner Rede vom Kapital als einem „automatischen Subjekt“ (ebd., S. 169). Er hebt damit darauf ab, dass das Kapital bzw. der durch Kapitalverwertung
erzeugte „Wert“ (in Form von Mehrwert bzw. Profit) zum eigentlichen, übergreifenden Subjekt des gesellschaftlichen Prozesses wird:


„Er [der Wert, A.U.] geht beständig aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt. […] In der Tat […] wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert, sich als Mehrwert von sich selbst als ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet. Denn die Bewegung, worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwertung also Selbstverwertung. Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldene Eier.“ (ebd., S. 168f.)


Grundlage des „Werts“ und der für kapitalistische Gesellschaften konstitutiven Kapitalverwertung ist die Ausbeutung und produktive Vernutzung von Arbeit. Marx hat vor diesem Hintergrund die Arbeit stets und folgerichtig als die „Substanz“ des Kapitals bezeichnet (ebd.,
S. 53; dazu weiterführend Kurz 2004). Verausgabt wird die Arbeit in der Produktion von Waren, die anschließend profitabel auf dem Markt verkauft werden, d.h. durch ihren Verkauf einen sich in Geldvermehrung ausdrückenden Mehrwert realisieren. In diesem auf den ersten Blick banal scheinenden Zusammenhang gründet letztlich auch das Wesen und das Selbstverständnis kapitalistischer Gesellschaften als „Arbeitsgesellschaften“ wie auch ganz allgemein die Bedeutung der Kategorie Arbeit im und für das Leben moderner Menschen. Dies geht immerhin so weit, dass Arbeit (ähnlich wie „Wirtschaft“, „Geld“, „Wert“, „Wachstum“ usw.) im Bewusstsein kapitalistisch vergesellschafteter Menschen geradezu die Dignität einer quasi-natürlichen und ontologischen Wesenheit angenommen hat und diese sich ein Leben ohne Lohnarbeit in der Regel gar nicht vorstellen können. Dies ist insofern verständlich, als im Kapitalismus das Leben der Menschen in der Tat primär um Erwerbsarbeit zentriert ist. Selbst da, wo Menschen ihr Leben nicht in Arbeit zubringen, z.B. in der Freizeit oder im privaten Haushalt (etwa als „Hausfrau“), stehen sie dennoch in einem permanenten Verhältnis zur Arbeit: Freizeit ist bereits dem Wortsinne nach von Arbeit freie Zeit (vgl. Adorno 2003), während der private Haushalt und darin anfallende Tätigkeiten Teil eines von der Arbeit bzw. der Produktion abgespaltenen Bereichs der gesellschaftlichen Reproduktion sind (zur Abspaltung der Reproduktion von der Produktion siehe den nachfolgenden Abschnitt über die „Wert-Abspaltung“). Vor allem aber sind sie stets von Arbeit abhängig: vom Lohn eigener oder anderer Arbeit, der einem die (meist mit Konsum verbundene) Freizeitgestaltung überhaupt erst ermöglicht bzw. vom Lohn, den der arbeitende Partner (traditionell männlichen Geschlechts) als „Familienernährer“ nach Hause bringt. Dies gilt in ähnlicher Weise für zahlreiche weitere spezifisch kapitalistische Institutionen, die im Leben moderner Menschen eine große Rolle spielen, so etwa für die in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften institutionalisierten Formen des Altersruhestands bzw. der Pension: Auch diese gründen maßgeblich darauf, dass Arbeit verausgabt und geldförmig verwertet wird – zum einen die eigene Arbeit, um überhaupt einen Pensionsanspruch zu erwerben, zum anderen aber auch (jedenfalls bei umlagebasierten Pensionssystemen, wie sie in westlichen Industrieländern, speziell in Europa, heute vorherrschen) die Arbeit einer hinreichend großen Zahl anderer (jüngerer) Personen, aus deren laufenden Pensionsbeiträgen die Renten der bereits im Ruhestand befindlichen Bevölkerung finanziert werden. Genau darauf beziehen sich in der Gegenwart sämtliche Diskussionen um den demographischen Wandel und dessen voraussichtliche Auswirkungen auf das soziale Sicherungs- und Pensionssystem (zum Zusammenhang von Alter(n) und Wert-Abspaltung siehe ausführlich Stückler 2024).


Auf subjektiver Ebene wird daher die zentrale Rolle von Arbeit bereits für jeden Menschen ganz grundsätzlich und unmittelbar dadurch spürbar, dass das individuelle Fortkommen in der kapitalistischen Gesellschaft maßgeblich vom erfolgreichen Verkauf der eigenen oder vom Kauf der Arbeitskraft anderer Menschen abhängt. Das Schlimmste, was einem als Lohnabhängigem in der kapitalistischen Gesellschaft widerfahren kann, ist, seine Arbeit zu verlieren, denn damit ist man nicht nur von seiner materiellen Existenzgrundlage, sondern auch von jeder „Teilhabe“ an der Gesellschaft (und „Teilhabe“ an der Gesellschaft bedeutet im Kapitalismus nun einmal vor allem Arbeit und Konsum) abgeschnitten. Eben diese Erfahrung macht „Arbeit“ und insbesondere die Notwendigkeit der Verausgabung von Arbeitskraft für Menschen im Allgemeinen so evident und selbstverständlich – auch wenn daran nichts selbstverständlich oder gar „natürlich“ ist, sondern der Zwang, sich durch Erwerbsarbeit materiell reproduzieren zu müssen, ein unmittelbares und historisch-spezifisches Resultat der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse darstellt.


Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zeigt sich die zentrale Rolle von Arbeit u.a. darin, dass Massenproduktion und Massenkonsum, wie sie für entwickelte kapitalistische Gesellschaften charakteristisch sind, eine entsprechende Kaufkraft in der Bevölkerung voraussetzen, die wiederum selbst nur aus Arbeitseinkommen stammen kann, also ebenfalls auf Arbeit beruht. Auch sämtliche Staatstätigkeiten – vom Sozialstaat bis hin zu so verschiedenen Bereichen wie Sicherheits-, Sozial-, Gesundheits- oder Klimapolitik – müssen durch Abschöpfung von der gesamtgesellschaftlichen Mehrwertmasse qua Steuern finanziert werden, sind also ebenfalls stets auf eine gelingende Wertverwertung und damit auf die hinreichende Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im Verwertungsprozess angewiesen. Entsprechend großen Raum nimmt auf jeder politischen Agenda die Schaffung von Arbeitsplätzen ein. Generell ist der Staat als eine genuin moderne, kapitalistische Institution zu betrachten. Seine historisch gewachsene Funktion besteht im Wesentlichen darin, die Rahmenbedingungen der Kapitalverwertung innerhalb einer Nationalökonomie zu gewährleisten. Dazu gehören neben der Verwaltung und „Regierung“ der lohnabhängigen Bevölkerung insbesondere auch solche Rahmenbedingungen, die sich nicht oder nur unzureichend über Marktprozesse herstellen lassen, z.B. Aufbau und Erhaltung öffentlicher Infrastrukturen, Sozial-, Gesundheits-, Bildungssysteme etc. (vgl. Kurz 2010, 2011). Friedrich Engels hat dies treffend auf den Begriff gebracht in seiner Charakterisierung des Staates als „ideeller Gesamtkapitalist“.


Was also zunächst banal erscheinen mag, ist bei genauerer Betrachtung enorm voraussetzungsreich, insofern darin die Universalität der kapitalistischen Funktionslogiken sichtbar wird, sich daran also zeigt, wie umfassend diese Logiken wirksam und für den gesellschaftlichen wie auch individuellen Lebenszusammenhang in modernen Gesellschaften konstitutiv sind. Geschuldet ist diese zentrale und umfassende Rolle von Arbeit jedoch einzig und allein jener spezifisch kapitalistischen, überaus abstrakten Zwecksetzung der Arbeit, nämlich „Wertsubstanz“, d.h. Medium der Verwertung von Kapital, zu sein. Und von der erfolgreichen Kapitalverwertung, im Medium der Verwertung von Arbeit, hängt im Kapitalismus letztlich alles ab. Marx spricht vor diesem Hintergrund folgerichtig auch von „abstrakter Arbeit“: Arbeit hat unter kapitalistischen Prämissen nur noch die Funktion, einen sich in Mehrwert bzw. Profit ausdrückenden, abstrakten Geldreichtum zu erzeugen, während die konkreten Formen der Arbeit zweitrangig sind bzw. überhaupt hinter dieser abstrakten Zwecksetzung der Kapitalverwertung verschwinden (vgl. Marx 1973 [1867], S. 52).


In dieser eigentümlichen Rolle von Arbeit als Substanz des Kapitals bzw. als Medium der Kapitalverwertung kommt generell ein sehr merkwürdiger Doppelcharakter des kapitalistisch produzierten „Reichtums“ zum Vorschein. Im Gegensatz zu anderen bzw. historisch früheren Gesellschaftsformationen ist der Kapitalismus charakterisiert durch zwei sehr unterschiedliche, zueinander in einem widersprüchlichen Verhältnis stehende Formen gesellschaftlichen Reichtums: einen abstrakten Reichtum einerseits und einen stofflichen Reichtum andererseits (vgl. Ortlieb 2009, S. 27ff.). Stofflicher Reichtum besteht vor allem in konkreten Gebrauchsgegenständen, die im Produktionsprozess hergestellt werden. In allen nicht-kapitalistischen Sozietäten ist dieser stoffliche Reichtum im Prinzip mit „Reichtum“ schlechthin identisch: Hergestellt wird, was gebraucht wird, und Reichtum besteht primär darin, über die benötigten Gebrauchs-

gegenstände, Lebensmittel usw. verfügen zu können (vgl. Postone 2003, S. 296f.).[7] Im Kapitalismus zählt hingegen allein der abstrakte, aus der Logik der Kapitalverwertung resultierende bzw. diese überhaupt antreibende Geldreichtum in Form von Mehrwert oder Profit. Zwar ist auch dieser abstrakte Geldreichtum unmittelbar an den stofflichen Reichtum bzw. dessen Herstellung gebunden – immerhin müssen konkrete Produkte produziert und verkauft werden –, allerdings ist dieser gegenüber der Produktion von abstraktem, geldförmigem Reichtum im besten Fall sekundär, weshalb folgerichtig jede „wirtschaftliche Tätigkeit, die keinen Mehrwert verspricht, unterbleibt, auch wenn sie noch so viel stofflichen Reichtum hervorbringen würde“ (Ortlieb 2009, S. 28). Diese „Doppelnatur“ des Reichtums gilt analog für die Arbeit selbst wie auch für die Waren, die durch Arbeit hergestellt werden: Auch Arbeit ist sowohl „konkrete Arbeit“ durch die Herstellung konkreter Gebrauchsgüter, Lebensmittel etc., als auch „abstrakte Arbeit“ durch die Produktion von Mehrwert, in Form einer Vermehrung von Geldkapital, wobei jedoch letztere gegenüber ersterer prioritär ist. Dies hat wiederum unmittelbare Auswirkungen auf die Form und die Organisation des Arbeitsprozesses. Im kapitalistischen Produktionsprozess gilt die Arbeit nicht „als das, was sie zu sein scheint, nämlich als konkreter Herstellungsprozess [von Gütern und Gebrauchsgegenständen, A.U.][…], sondern als Verausgabung abstrakter Arbeitskraft schlechthin, als (betriebswirtschaftlich zu optimierender) Verausgabungsprozess von Nerv, Muskel, Hirn. Das ist ein durchaus praktischer Gesichtspunkt, der die gesamte Organisationsweise der Produktion affiziert und schließlich durchherrscht. Deshalb sind auch die Kriterien des Ablaufs und das betriebswirtschaftliche Reglement abstrakt-universell, völlig unabhängig vom konkreten Inhalt der Produktion.“ (Kurz 2004, S. 102) Ebenso haben die produzierten Waren eine konkrete bzw. stoffliche Seite als konkrete Gebrauchsgegenstände sowie eine abstrakte Seite aufgrund ihrer primären Funktion, durch ihre Herstellung und ihren Verkauf Mehrwert zu generieren (in der klassischen marxistischen Diskussion reflektierte sich dies insbesondere im bekannten Gegensatz von „Gebrauchswert“ und „Tauschwert“ einer Ware).


Einen wesentlichen Unterschied zu anderen kapitalismuskritischen Ansätzen, insbesondere solchen eines orthodoxen Marxismus, markieren derartige theoretische Bestimmungen des Kapitalismus als fetischistische, durch den „Wert“ und einen daraus resultierenden Widerspruch von abstraktem und stofflichem Reichtum geprägte Gesellschaftsform bereits insofern, als eine so konzipierte kritische Perspektive ungleich grundsätzlicher angelegt ist und sich nicht auf die Kritik an bestimmten systemimmanenten Phänomenen wie Ausbeutung, soziale Ungleichheit oder dergleichen beschränkt (auch wenn diese durchaus Gegenstand der Kritik sind – zumal in einer Zeit, in der soziale und ökonomische Disparitäten wieder massiv im Zunehmen begriffen sind; vgl. exemplarisch Scholz 2005, 2008). Problematisiert wird also beispielsweise nicht primär, wie dies noch für die historische Arbeiterbewegung charakteristisch war, dass die kapitalistische Produktionsweise auf einer systematischen Übervorteilung der Arbeitenden als den eigentlichen Produzenten beruht, da sich der realisierte Mehrwert gerade aus der Differenz zwischen dem im erzielten Preis zum Ausdruck kommenden Warenwert und den Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft (d.h. dem Lohn, der den Arbeitskräften für ihre Arbeit zugestanden wird) ergibt – eine Perspektive, die bis heute die Argumentationsgrundlage einer jeden immanenten, sozialdemokratischen Umverteilungspolitik darstellt.[8] Sondern entscheidend ist aus Sicht der Wert-Abspaltungskritik vielmehr der irrationale Selbstzweckcharakter der kapitalistischen Produktionsweise per se. Da nämlich die kapitalistische Warenproduktion gerade nicht – wie dies im Allgemeinen angenommen und auch seitens Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zumeist unterstellt wird – dem Zweck der Befriedigung sinnlicher, menschlicher Bedürfnisse folgt, sondern schlicht dem zwar banalen, aber deshalb nicht weniger wirkmächtigen Selbstzweck, aus einem Euro, Dollar, Yen etc. zwei zu machen, jede Bedürfnisbefriedigung also nur einen zufälligen, sekundären Nebeneffekt der Kapitalverwertung darstellt, zeitigt die kapitalistische Vergesellschaftungsform eine ganze Reihe von Widersprüchen und sogar unmittelbar destruktiven sozialen, ökonomischen und ökologischen Effekten.


Der irrationale Charakter der kapitalistischen Produktionsweise wird bereits ganz unmittelbar in jener buchstäblichen Verkehrung von Mittel und Zweck der Warenproduktion selbst sichtbar. Die ausschließlich auf Geldvermehrung ausgerichtete Mehrwertproduktion ist grundsätzlich gleichgültig gegenüber Art und (Verwendungs-)Zweck der jeweils produzierten und in Wert gesetzten Waren – das Spektrum reicht hier von Hosen, Tischen bis hin zu so destruktiven Produkten wie Streubomben (vgl. Ortlieb 2009, S. 28). Ausschlaggebend ist nicht, was und zu welchem Gebrauch etwas produziert wird, sondern einzig und allein die Chance, investiertes Kapital signifikant zu vermehren. Hingegen werden nicht oder nicht hinreichend rentable Produktionen, ungeachtet bestehender Bedürfnislagen, stillgelegt. Auf diese Weise wird etwa das ganz alltägliche, nur allzu gut bekannte kapitalistische Paradox möglich, dass Hunger und Elend in der Welt eher wieder im Zunehmen als im Abnehmen begriffen sind, obwohl die produktiven Kapazitäten des kapitalistischen Systems mittlerweile so enorm sind, dass laut der Welternährungsorganisation (FAO) die globale Lebensmittelproduktion bereits heute rund zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte. Stattdessen haben wieder „Überbevölkerungs“-Diskurse Hochkonjunktur, die als Ursache für die grassierenden Hungersnöte eine die Nahrungsmittelproduktion übersteigende Bevölkerungsentwicklung postulieren. Solche grob verzerrten und an der gesellschaftlichen Realität vorbeigehenden Auffassungen kommen vor allem dadurch zustande, dass das kapitalistische Alltagsbewusstsein (ebenso wie die meisten ökonomischen Theorien) dazu neigt, die beiden von Marx differenzierten Reichtumsformen miteinander zu vermengen bzw. zu verwechseln: Steigende Produktivität erscheint in der gesellschaftlichen Wahrnehmung per se als gut, weil dadurch für die Menschen entsprechend mehr Gebrauchswerte, insbesondere in Form von Lebensmitteln, geschaffen werden können, was wiederum hilft, den vielen Hunger in der Welt zu bekämpfen. Systematisch übersehen wird dabei, dass die hinreichende Versorgung von Menschen mit Lebensmitteln längst nicht mehr an mangelnder Produktivität scheitert, also durchaus kein Problem des stofflichen Outputs ist, sondern vielmehr einen unzureichenden Zugang vieler Menschen zu „abstraktem Reichtum“, in Form von Geld bzw. Kaufkraft, zur Ursache hat:


„Während in den vormodernen, naturalwirtschaftlichen Agrargesellschaften Not und Armut in erster Linie durch das Ausgeliefertsein an die ‚erste Natur‘ und durch den niedrigen Stand der Produktivkräfte bedingt waren, erzeugt der Kapitalismus ein sekundäres, rein gesellschaftlich bedingtes Elend. Weil der Zweck der Produktion einzig in der abstrakten Gewinnmaximierung von Geldeinheiten besteht, wird zum ersten Mal in der Geschichte nicht für die Befriedigung von Bedürfnissen produziert. Wenn nicht mindestens die durchschnittliche Profitrate zu erzielen ist, werden daher intakte Produktionsmittel auch dann stillgelegt oder heruntergefahren, wenn nebenan Menschen darben. Und wenn es das Bewegungsgesetz des automatischen Subjekts will, fließt die exorbitant gesteigerte Produktivkraft eben in Autos, Autobahnkreuze oder Raketen, während massenhaft Menschen obdachlos sind und Kinder selbst in den reichen Ländern hungern.“(Kurz 2000, S. 58)[9]


Aus genau demselben Grund der kapitalistisch prioritären Generierung abstrakten Geldreichtums führt die steigende Produktivität in der Herstellung von Gebrauchsgütern auch nicht – was längst möglich und sogar zweckmäßig wäre – zu einer entsprechenden Reduzierung der Arbeitstätigkeit, sondern erhöht, im Gegenteil, nur umso mehr den Druck, irgendwelche (in stofflicher Hinsicht noch so fragwürdige oder sogar destruktive) neue Geschäftszweige mit möglichst vielen Arbeitsplätzen zu schaffen, weil ansonsten Massenarbeitslosigkeit den Menschen ihre Existenzgrundlage und damit der Wirtschaft auch ihre Konsumenten entziehen würde. Nicht ohne Ironie hat dies bereits der berühmte britische Ökonom und Namenspatron des Keynesianismus, John Maynard Keynes, zum Ausdruck gebracht, als er einmal den Vorschlag machte, der Staat könnte zwecks Arbeitsbeschaffung gegebenenfalls private Unternehmen damit beauftragen, Löcher in den Erdboden zu graben und anschließend wieder zuzuschütten (vgl. Keynes 1936, S. 110f.). Er hat damit nur die paradoxe und im Grunde verrückte Logik kapitalistischer Arbeitsgesellschaften ausgesprochen: Arbeit schaffen – egal welche, egal wie und egal wozu.


Die Irrationalität der fetischistischen Kapital- und Wertlogik kommt sodann besonders auch in vielfältigen ökologischen Destruktionspotenzialen zutage, die mittlerweile nicht nur die nachhaltige Reproduktion der kapitalistischen „Zivilisation“, sondern das Überleben der Menschheit überhaupt zunehmend in Frage stellen. Zu denken ist hier einerseits an den fortgesetzten ökologischen Raubbau (Erdöl, Edelmetalle usw.), Umweltverschmutzung, die buchstäbliche Vernichtung ganzer Ökosysteme etc. als Folge von Wachstums- und Produktivitätsimperativen einer mittlerweile zum Weltsystem aufgespreizten Kapitalverwertungsmaschinerie, andererseits an die verheerenden Effekte des Verkehrswesens, insbesondere des automobilen Individualverkehrs, der in vielen Metropolen der Erde das Atmen inzwischen zum permanenten Gesundheitsrisiko macht[10] und global erwiesenermaßen das Klima nachhaltig beeinflusst. Die ökologischen Destruktionspotenziale der kapitalistischen Produktionsweise sind inzwischen hinlänglich bekannt, führen aber für gewöhnlich nur selten dazu, dass diese sowie die daran gekoppelte Lebens- und Gesellschaftsform als solche kritisch zur Disposition zu gestellt würde. Davon zeugen z.B. Konzepte eines „grünen Kapitalismus“ oder einer „ökosozialen Marktwirtschaft“, die sich gleichsam der Illusion hingeben, die durch die Marktwirtschaft verursachten ökologischen Verheerungen mit marktwirtschaftlichen Mitteln lösen zu können.[11] Beobachtet werden kann dies aber auch auf jeder Umwelt- und Klimakonferenz, wo regelmäßig Absichtserklärungen gegeben und Beschlüsse gefasst werden, die bereits sachlich völlig unzureichend sind – so etwa das 1,5-Grad-Ziel, das von zahlreichen Klimaforschern aufgrund der bei einer entsprechenden Klimaerwärmung zu erwartenden Konsequenzen als bei weitem zu unambitioniert beurteilt wird (vgl. Urban 2020). Die eigentliche Crux besteht dabei aber bereits viel grundsätzlicher darin, dass selbst solche sachlich unzureichenden Ziele ohne eine umfassende Veränderung in der Produktionsweise kaum zu realisieren sein werden, da unter den Bedingungen ökonomischen Wachstumszwangs das Pendel stets zugunsten des „ökonomisch Machbaren“ und gegen das „ökologisch Notwendige“ ausschlagen muss und wird (vgl. Ortlieb 2009, S. 51).


Auch die wachsende ökologische Problematik lässt sich wesentlich durch den oben skizzierten Widerspruch von abstraktem und stofflichem Reichtum erklären: Die Fokussierung jeglicher gesellschaftlichen Produktion auf die Generierung von Mehrwert (in Gestalt einer
ständigen Vermehrung von Geld) macht die kapitalistische Produktionsweise per se gleichgültig gegenüber der stofflichen Seite des Verwertungsprozesses. Zwar ist die Produktion abstrakten Reichtums stets auf die Herstellung von stofflichem Reichtum angewiesen – dies sogar umso mehr, je produktiver das System wird. Der Erhalt von stofflichem Reichtum aber, „der frei zur Verfügung steht und deshalb in die produzierte Wert- und Mehrwertmasse nicht eingeht […] ist im Vergleich zur Notwendigkeit der Kapitalakkumulation bestenfalls nachrangig, oder anders gesagt: Dient die Zerstörung stofflichen Reichtums der Wertverwertung, so wird er zerstört.“ (ebd., S. 48f.) Evident wird dies jeden Tag an der geradezu systematischen Vernichtung natürlicher Ressourcen, den verheerenden Effekten industrieller Landwirtschaft auf Böden und Biodiversität, der zunehmenden Verschmutzung von Luft und Wasser bis hin zur Beeinträchtigung des Weltklimas durch die stetig ansteigende Emission von Treibhausgasen durch Industrie, Verkehr etc. – alles im Dienste oder jedenfalls als unmittelbare Folge einer Produktionsweise, die nicht die Produktion von stofflichem, sondern die Produktion von abstraktem Reichtum, in Form von „Mehrwert“ bzw. „Profit“, zum primären Zweck allen Wirtschaftens macht (vgl. in diesem Sinne auch Postone 2003, S. 469).[12]


Ein weiterer Konnex jener ökologisch destruktiven Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise zum spezifisch kapitalistischen „Widerspruch von Stoff und Form“ (Ortlieb 2009) besteht schließlich darin, dass die Wachstums- und Produktivitätszwänge kapitalistischer Mehrwertproduktion schon mit Notwendigkeit jede „Nachhaltigkeit“ wirtschaftlichen Handelns systematisch unterminieren, da Wachstum und ständig steigende Produktivität gar nicht anders erzielt werden können, als immer noch mehr Produkte abzusetzen, also immer noch höheren stofflichen Output zu produzieren. Und dies impliziert wiederum unmittelbar, dass dementsprechend auch die industrielle Produktion immer weiter ausgedehnt, immer noch mehr Geschäftsfelder und Märkte erschlossen, folglich immer noch mehr Ressourcen
verbraucht werden müssen – mit allen damit zusammenhängenden ökologisch destruktiven Begleiterscheinungen (steigender Energieverbrauch, Ressourcenverknappung, wachsende Schadstoffemissionen etc.). In diesen Zusammenhang gehören etwa auch Phänomene wie die „geplante Obsoleszenz“: Die stetig steigende Produktivität macht es erforderlich, entsprechend mehr Waren abzusetzen, damit die Produktion hinreichend rentabel bleibt. Eine wesentliche Strategie besteht vor diesem Hintergrund darin, Produkte (z.B. elektronische Geräte) möglichst kurzlebig herzustellen, damit in absehbarer Zeit ein neues Produkt angeschafft bzw. gekauft werden muss. Dies geschieht etwa durch den Einbau von Sollbruchstellen, die bewirken sollen, dass das Gerät möglichst bald nach Ablauf der Garantiezeit den Geist aufgibt, aber auch durch moralischen Verschleiß, durch kulturindustrielle „Moden“ oder durch die Entwicklung immer neuer Warenmodelle und technischer Updates. Daraus ergeben sich wiederum eine Reihe von ökologisch relevanten Folgeproblemen, etwa stetig wachsende Berge von Elektroschrott und anderem Müll. Auf dem mittlerweile erreichten Stand der Produktivkräfte produziert der Kapitalismus also im wahrsten Sinne des Wortes für die Müllhalde (vgl. Konicz 2020, S. 323ff.).


Alle systemimmanenten Versuche, diesen destruktiven Potenzialen der kapitalistischen Produktionsweise zu begegnen bzw. entgegenzuwirken, sind im Prinzip schon von vornherein zum Scheitern verurteilt, da sie sich zwangsläufig darin erschöpfen müssen, diese destruktiven Potenziale im allerbesten Fall zu kompensieren oder ihre Effekte zeitweilig zu mildern bzw. zeitlich hinauszuschieben. Ein symptomatisches Beispiel in diesem Kontext sind etwa sogenannte „End-of-Pipe-Technologien“ wie z.B. Partikelfilter, die industrielle Schadstoffemissionen verringern sollen. Als Technologien, die lediglich dem Produktionsprozess nachgeschaltet sind, d.h. den Produktionsprozess als solchen, mit all seinen permanent steigenden Wachstums- und Produktivitätszwängen, gerade unangetastet lassen, sind diese schon per se ungeeignet, irgendein Emissionsproblem nachhaltig zu lösen. Allfällige Reduktionen von Schadstoffemissionen durch Partikelfilter werden bei weiter steigender Produktivität und einem entsprechend steigenden Produktausstoß durch einen entsprechenden Anstieg industrieller Emissionen zwangsläufig aufgewogen und mit der Zeit wieder ein- bzw. überholt (vgl. Cunha 2016, S. 32ff.). Dies gilt im Prinzip analog für zahlreiche andere Strategien wie etwa „erneuerbare Energien“ (Solarenergie, Windkraft etc.). Auch die Energiegewinnung durch erneuerbare Energien wird schwerlich „nachhaltig“ sein können, wenn damit ein global immer schneller steigender Energiebedarf gedeckt werden muss (noch dazu, wenn, wie geplant, in absehbarer Zeit auch der gesamte Autoverkehr auf Elektroantrieb umgestellt werden soll). Nur durch diesen grundlegenden Widerspruch von abstraktem und stofflichem Reichtum, von Ökonomie und Ökologie, wird letztlich auch erklärlich, weshalb trotz eines seit den 1980er Jahren extrem gestiegenen ökologischen Bewusstseins sich an der ökologischen Situation nicht nur nichts geändert, sondern diese sich sogar noch weiter zugespitzt und bis heute enorm verschärft hat.


Zur Irrationalität und den höchst (auto-)destruktiven Potenzialen der kapitalistischen Produktionsweise, wie sie heute vor allem an der ökologischen Problematik sichtbar werden, gehören aber nicht zuletzt auch unmittelbar ökonomische Effekte und Widersprüche, die der Logik der Kapitalverwertung als solcher inhärent sind. Selbstzerstörerische Tendenzen entfaltet die kapitalistische Gesellschaft also nicht nur dadurch, dass sie beharrlich ihre eigenen ökologischen Grundlagen vernichtet – worauf sich bislang jede gesellschaftliche Diskussion über kapitalistische „Grenzen des Wachstums“ beschränkt –, sondern dass sie im Prinzip sogar ökonomisch sprichwörtlich an dem Ast sägt, auf dem sie sitzt. Laut der Wert-Abspaltungskritik inhäriert der kapitalistischen Produktionsweise die Tendenz, ihre eigene Substanz – die Arbeit – infolge ihrer Wachstums- und Produktivitätsdynamik aus dem Produktionsprozess zu eliminieren, damit aber auch Grundlage und Gegenstand der Wertverwertung, eben die Ausbeutung von Arbeit, sukzessive zu unterminieren (vgl. Kurz 1986; Jappe 2005, S. 119-154; Ortlieb 2009). Die im Kapitalismus vorherrschende Konkurrenz um Marktanteile und Profite treibt Unternehmen dazu, den Arbeitsaufwand in der Produktion stetig zu senken, um produktiver und damit kostengünstiger als die Konkurrenz produzieren zu können. Dies geschieht insbesondere durch die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen und die Einführung innovativer Fertigungstechnologien – eine Entwicklung, die seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert beobachtet werden kann, sich heute allerdings, auf dem mittlerweile erreichten technologischen Niveau, mit immer schnellerer Geschwindigkeit vollzieht. Die damit einhergehende, für eine „Arbeitsgesellschaft“ geradezu fatale Tendenz zur Eliminierung menschlicher Arbeitskraft aus dem Produktionsprozess kann zwar kompensiert werden, solange neue Geschäftszweige, neue Märkte usw. in großer Zahl neue Arbeitsplätze schaffen und anderswo überflüssig gewordene Arbeit quasi in den Produktionsprozess reabsorbiert wird (vgl. Kurz 1986, S. 31f.). Auf lange Sicht, bei immer weiter steigender Produktivität, muss jedoch irgendwann ein Punkt erreicht sein, an dem das hohe Produktivitätsniveau der Tendenz nach mehr Arbeit überflüssig macht, als durch Prozess- und Produktinnovationen, neue Geschäftsfelder etc. neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Auch hier greift die Wert-Abspaltungskritik wesentlich auf Diagnosen von Karl Marx zurück, der diese Tendenz bereits im 19. Jahrhundert – wohlgemerkt zu einer Zeit, als der Kapitalismus seinen größten Akkumulationsschub (nämlich jenen der fordistischen Phase und der wirtschaftlichen Prosperität nach dem Zweiten Weltkrieg) erst noch vor sich hatte – vorhergesehen und als „prozessierenden Widerspruch“ des Kapitalismus bezeichnet hat:


„In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und die selbst wieder […] in keinem Verhältnis steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie, oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Produktion. […] Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch (dadurch), daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren sucht, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt.“ (Marx 1983, S. 600, 601f.)


Damit, so Marx, müsse auf lange Sicht „die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen[brechen](ebd., S. 601). Den Punkt, an dem dieser von Marx diagnostizierte „prozessierende Widerspruch“ in das Stadium seiner Krisenreife eintritt, sieht die Wert-Abspaltungskritik mit der „dritten industriellen Revolution“ der Mikroelektronik (Computer, IT-Technologien, Robotik) seit den späten 1970er Jahren erreicht. In der Tat gibt es eine ganze Reihe von Indizien, die diesen Befund auch empirisch stützen – etwa einen seither global zunehmenden Trend zur Massenarbeitslosigkeit, ein deutliches Sinken nationalökonomischer Arbeitsvolumina in praktisch allen westlichen Industrieländern[13] oder die kräftigen Verschiebungen im Verhältnis von offenen Stellen und Arbeitslosen seit den 1970er und 1980er Jahren.[14] In den Sozialwissenschaften reflektieren sich entsprechende Tendenzen bereits seit vielen Jahren in Diagnosen einer „Krise der Arbeit“ bzw. einer „Krise der Arbeitsgesellschaft“, auch wenn diese in der Regel das allgemeine Krisenpotenzial für die kapitalistische Produktionsweise eher zu unterschätzen neigen. Und mit der aktuellen Digitalisierung (Stichwort „Industrie 4.0“ und „Künstliche Intelligenz“) dürften sich einige dieser Tendenzen in naher Zukunft noch deutlich verschärfen.


Was die an Marx anschließende Krisentheorie der Wert-Abspaltungskritik besonders originell macht, ist, dass sich dadurch auch weitergehende Erklärungsansätze für verschiedene Entwicklungen der letzten Jahrzehnte vor dem Hintergrund von Globalisierung und Neoliberalismus ergeben, etwa die Herausbildung eines von der Realökonomie völlig entkoppelten Finanzmarkts und die dort stattfindenden, seit Jahren beklagten spekulativen Exzesse oder die Tendenz zur Auslagerung von Produktionskapazitäten westlicher Konzerne in periphere Weltmarktregionen, in der Absicht, die hiesigen Niedriglohnstrukturen profitträchtig zu nutzen. Ein großer Teil der zeitgenössischen, auch in den Sozialwissenschaften vorherrschenden Globalisierungs- und Neoliberalismuskritik neigt dazu, derartige Entwicklungen und Tendenzen ursächlich, explizit oder implizit, vor allem auf die marktradikalen Ideologien und die Machenschaften von multinationalen Konzernen, profitgierigen Finanzmanagern und Spekulanten sowie von willfährigen Politikern zurückzuführen (siehe prominent globalisierungskritische Initiativen wie Attac). Solche Erklärungsversuche leiden darunter – wie auch der marxistische Theoretiker Paul Mattick zu Recht kritisiert (vgl. Mattick 2012, S. 76) –, dass diese im Grunde nicht zu erklären vermögen, weshalb die Gier seit den 1980er Jahren plötzlich so massiv zugenommen haben soll. Darüber hinaus werden bei solchen, auf die Gier von Konzernen und Spekulanten abhebenden Erklärungsversuchen zentrale Grundmotive kapitalistischer Investionsentscheidungen wie Profitmaximierung, Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit etc. schlicht negiert. Aus Sicht der Wert-Abspaltungskritik und der von ihr entwickelten Krisentheorie lassen sich diese jüngeren Entwicklungen als Phänomene bzw. Konsequenzen einer fundamentalen Krise der Kapitalverwertung selbst interpretieren. Aufgrund einer ständig steigenden Kapitalintensität (und gleichzeitig schrumpfenden Arbeitsintensität) durch fortschreitende Automatisierung bewegt sich die Rentabilität der industriellen Produktion zunehmend gegen Null (Marx nannte dies „tendenziellen Fall der Profitrate“). Das treibt Konzerne zwecks Kostensenkung zur globalen Diversifizierung ihres Betriebskapitals, um durch niedrigere Lohnkosten die Profite auf einem hinreichend hohen Niveau in Relation zu ihrem stetig steigenden Kapitaleinsatz zu halten. Die sich verschlechternden Verwertungsbedingungen in der Realökonomie bewirken wiederum eine zunehmende Überakkumulationstendenz des Kapitals, das daher in Ermangelung anderer, hinreichend rentabler Investitionsmöglichkeiten in die Spekulation auf den nunmehr ebenfalls globalen Finanzmärkten drängt (vgl. Kurz 1995, 2005; Konicz 2016).


Auch allgemeinere neoliberale Restrukturierungen des (Wohlfahrts-)Staates, wie sie sich seit den 1980er Jahren zusehends vollzogen haben, lassen sich auf diese Weise wesentlich besser und umfassender erklären, als durch eine bloß ideologische, marktradikale, gleichsam
ökonomistische Doktrin, auf die der Neoliberalismus häufig reduziert wird, nach der der Staat nunmehr nach marktlogischen Gesichtspunkten umgestaltet werde. Denn auch die „neoliberale Wende“ fällt historisch insofern mit der „Krise der Arbeit“ zusammen, als sie als eine politische Antwort auf den in den 1970er Jahren manifest werdenden Rückgang der wirtschaftlichen Wachstumsraten, auf das Versagen der bis dahin dominanten keynesianischen Wirtschaftspolitik, auf steigende Arbeitslosigkeit und Inflation sowie auf eine massiv angewachsene Staatsverschuldung verstanden werden kann. Aus dieser Perspektive lässt sich das seit den 1980er Jahren installierte neoliberale Programm also auch als eine Form des politischen und wirtschaftlichen Krisenmanagements deuten, das etwa durch Privatisierung öffentlicher Institutionen und einen fortschreitenden Abbau bzw. eine radikale Umgestaltung sozialstaatlicher Strukturen die Staatsschuldenkrise zu lösen trachtete – mit den bekannten und seither vielbeklagten Folgen zunehmender Ökonomisierung von ursprünglich marktfernen Bereichen, etwa des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens, sowie einer fortschreitenden Prekarisierung von Lebensverhältnissen. Durch eine Deregulierung der Finanzmärkte wurde wiederum die tendenzielle Verlagerung der Kapitalverwertung von der stockenden realökonomischen Akkumulation in eine primär spekulative Finanzblasen-Ökonomie ermöglicht, was seither den Anschein eines neuen, quasi „finanzgetriebenen“ Akkumulationsmodells entstehen ließ. Auf diese Weise wurde nicht zuletzt die wachsende Verschuldungsdynamik vom Staat auf die Finanzmärkte bzw. durch eine massive Ausweitung von Krediten auch auf den Privatbereich

verlagert[15] – ein Krisenmanagement, mit dem es tatsächlich gelang, die drohende Krise effektiv, wenn auch unter großen Friktionen (z.B. periodische Finanz- und Wirtschaftskrisen in zahlreichen Ländern der Welt), quasi durch das „gigantischste kreditfinanzierte Konjunkturprogramm, das es je gegeben hat“ (Meinhard Miegel, zit. nach Ortlieb 2019, S. 314) um mehr als zwei Jahrzehnte zu verzögern. Auch diese Einschätzung steht in Widerspruch zur gängigen Sicht der Dinge im Kontext einer immanent bleibenden Neoliberalismuskritik, die im Allgemeinen davon ausgeht, dass der Neoliberalismus und hier vor allem die ins Groteske gesteigerten Finanzmarktexzesse die Ursache für die zunehmenden realökonomischen Krisentendenzen seien. Aus wert-abspaltungskritischer Sicht ist das exakte Gegenteil zutreffend: Die spekulativen Exzesse auf den Finanzmärkten sind nicht Ursache, sondern Symptom einer fundamentalen Krise der Kapitalverwertung selbst. Auch hier kann auf kritische Einsichten von Marx zurückgegriffen werden, der sich stets darüber im Klaren war, dass ein Trend zur Spekulation im Grunde ein kapitalistisches Krisenphänomen darstellt:

 

„Gerade das wiederholte Auftreten von Krisen in regelmäßigen Abständen trotz aller Warnungen der Vergangenheit schließt indessen die Vorstellung aus, ihre letzten Gründe in der Rücksichtslosigkeit einzelner zu suchen. Wenn die Spekulation gegen Ende einer bestimmten Handelsperiode als unmittelbarer Vorläufer des Zusammenbruchs auftritt, sollte man nicht vergessen, daß die Spekulation selbst in den vorausgehenden Phasen der Periode erzeugt worden ist und daher selbst ein Resultat und eine Erscheinung und nicht den letzten Grund und das Wesen darstellt. Die politischen Ökonomen, die vorgeben, die regelmäßigen Zuckungen von Industrie und Handel durch die Spekulation zu erklären, ähneln der jetzt ausgestorbenen Schule von Naturphilosophen, die das Fieber als den wahren Grund aller Krankheiten ansahen.“ (Marx 1972 [1857], S. 336)

 

Diese Kritik von Marx kann umstandslos auf heutige Formen der Neoliberalismuskritik und andere Erscheinungen einer „verkürzten“ Kapitalismuskritik übertragen werden, welche neoliberale Restrukturierungen, „Finanzmarkt-Kapitalismus“ und Spekulation als Ursache und nicht als Symptom einer zunehmenden Krisenhaftigkeit und Instabilität des Kapitalismus selbst auffassen.

 

Mit der globalen Finanzkrise von 2007/2008 ist das neoliberale Krisenmanagement an seine Grenzen gestoßen, und infolge der durch die Finanzkrise notwendig gewordenen Rettung des Banken- und Geldsystems ist sodann auch die Verschuldungsdynamik wieder von den
Finanzmärkten zu den Staaten zurückgekehrt, die seither in einer Form von „neoliberalem Keynesianismus“ (Kurz 2013, S. 127) ein Fortschreiten der Krise zu verhindern suchen. Der sich zunehmend verschärfende Krisencharakter dieser Entwicklungen kann u.a. daran abgelesen werden, dass die politischen Handlungsspielräume vor dem Hintergrund von explodierenden Staatschulden bei gleichzeitig stagnierender Wirtschaftsleistung zusehends kleiner werden: In der aktuellen Situation scheinen die Staaten nur noch die Wahl zu haben, die Krise entweder durch eine radikale Austeritätspolitik zu bewältigen zu versuchen, was jedoch einhergeht mit einer weiter forcierten Demontage sozialstaatlicher Strukturen und darüber hinaus ein erhöhtes Risiko einer Deflation und damit einer weiteren Verschärfung der ökonomischen Krise mit sich bringt. Oder aber sie reagieren auf die Krise mit Konjunkturprogrammen, Niedrigzinspolitik, Gelddruckerei etc., um so Wirtschaft und Finanzsystem zu stützen, was aber nur, quasi umgekehrt, ein weiteres Anwachsen der Staatsschulden bedeuten kann und darüber hinaus erhebliche inflationäre Risiken in sich birgt (vgl. Konicz 2016, S. 81ff.).


Dieser zunehmend enger werdende politische Handlungsspielraum und insbesondere das Problem explodierender Staatsverschuldung hat mittlerweile ein neues, sonderbares Phänomen sogenannter „gescheiterter Staaten“ hervorgebracht. Betroffen davon waren und sind bislang insbesondere Staaten in peripheren Regionen des kapitalistischen Weltsystems (vor allem Afrika, Südostasien und Lateinamerika), die auf dem heute erreichten Produktivitätsniveau der kapitalistischen Produktionsweise auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig sind. Dort gehen staatliche Strukturen, in Ermangelung einer weltmarktfähigen Nationalökonomie, tendenziell in Erosion über, und es breiten sich zunehmend anomische und bürgerkriegsähnliche Zustände aus (vgl. Bedszent 2014). Drastisch verschärft wurde dieser sich schon länger abzeichnende Prozess ebenfalls durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007/2008, in deren Zuge mittlerweile auch Länder der kapitalistischen Zentren zunehmend in die Nähe des staatlichen Scheiterns rückten (z.B. Griechenland).

 

Als ein erstes Zwischenresümee kann somit festgehalten werden, dass die Wert-Abspaltungskritik mit ihrer theoretischen Bestimmung des Kapitalismus als einer „fetischistischen“, um Arbeit und die „Verwertung des Werts“ zentrierten Gesellschaftsform – anders als viele andere „kapitalismuskritischen“ Ansätze und Bewegungen – auf die radikale Kritik der kapitalistischen Grundlagen per se abzielt. Kapitalismus gilt ihr als nicht substantiell reformierbar (besonders nicht unter den Bedingungen seiner fundamentalen Krise), vielmehr wäre eine Perspektive der vollständigen und kompromisslosen Überwindung des kapitalistischen Wertvergesellschaftungszusammenhangs insgesamt zu erarbeiten. Der grundsätzlich angelegte, auf basale kapitalistische Funktionszusammenhänge bezogene Zugang bietet dabei auch eine theoretisch anspruchsvolle Erklärung für viele aktuelle gesellschaftliche Probleme und Tendenzen wie Armut, Hunger, Umweltzerstörung oder die zunehmende Instabilität und Krisenhaftigkeit der Weltwirtschaft, die bei einem immanent bleibenden Problemzugang nicht zureichend in ihren tieferen gesellschaftlichen Ursachen erfasst werden können. In bester Tradition (aber durchaus auch in radikaler Zuspitzung) der Kritischen Theorie, die als erste im Anschluss an Marx kapitalismuskritische Perspektiven jenseits kategorial weitestgehend affirmativer orthodoxer und „arbeiterbewegter“ Marxismen eröffnet hatte, folgt sie der zentralen Überzeugung, dass Kritik sich nicht darin erschöpfen kann, bloß „irgendwelche Misstände“ abstellen zu wollen, sondern diese Missstände vielmehr als verknüpft „mit der ganzen Einrichtung des Gesellschaftsbaus“ (Horkheimer 1937, S. 261) analysieren und einer radikalen Kritik unterziehen muss.



Warenproduzierendes Patriarchat


Das von Roswitha Scholz seit den frühen 1990er Jahren entwickelte Konzept der „Wert-Abspaltung“ (vgl. Scholz 1992, 1998, 2005, 2009, 2011, 2013) hat eine bedeutende Weiterentwicklung der ursprünglich nur als „Wertkritik“ firmierenden Theorie gebracht. Besonders hervorzuheben ist ihr im Jahr 2000 erstmals veröffentlichtes und 2011 neu aufgelegtes Buch Das Geschlecht des Kapitalismus (Scholz 2011), in dem sie ihre Theorie erstmals systematisch und umfassend entfaltete (auf dieses Buch werden sich daher auch die folgenden Ausführungen maßgeblich stützen).

 

Das Konzept der „Wert-Abspaltung“ bedeutet insofern eine erhebliche Weiterentwicklung der Wertkritik, als damit eine Reihe von Phänomenen und sozialen Ungleichheitsdimensionen in den Fokus rücken, die in älteren wertkritischen Arbeiten, besonders aber in orthodox-marxistischen Ansätzen, bis dahin weitgehend dethematisiert geblieben waren, insbesondere eine Analyse und Kritik des modernen Geschlechterverhältnisses, aber auch anderer Ungleichheitsdimensionen wie Rassismus, Antisemitismus oder Antiziganismus (dazu z.B. Scholz 2005, 2007). Die Wert-Abspaltungstheorie lässt sich begreifen als der Versuch einer theoretischen Vermittlung feministischer Theorie und Kritik des Geschlechterverhältnisses mit der radikal kapitalismuskritischen Perspektive der Wertkritik. Sie greift dabei auch auf verschiedenste feministische Ansätze zurück, in der Absicht, diese für eine kapitalismuskritische Theorie des modernen Geschlechterverhältnisses fruchtbar zu machen. Dies umfasst etwa feministische Arbeiten zur geschlechtsspezifischen Trennung von Produktion und Reproduktion (z.B. Ostner 1978; Beer 1990; Haug 1994) und einem damit assoziierten, spezifisch modernen „System der Zweigeschlechtlichkeit“ (Hagemann-White 1984, S. 83), zu kulturellen Bildern und Imaginationen von „Frauen“ und „Weiblichkeit“ (z.B. Bovenschen 1980; Honegger 1991), zu geschlechtsspezifischen Formen von Sozialisation und Individuation sowie damit verbundenen „männlichen“ und „weiblichen“ Geschlechtscharakteren und Identitäten (z.B. Hausen 1976; Becker-Schmidt 1991) wie auch zum Androzentrismus als einem „psychogenetischen Unterbauphänomen“ (Becker-Schmidt 1987, S. 216) moderner Gesellschaften.

 

Die vielleicht wesentlichste theoretische Innovation der Wert-Abspaltungstheorie besteht darin, dass sie „Geschlecht“ nicht bloß, wie bis dahin in der feministischen Theorie üblich, auf einer soziologischen Oberflächenebene als soziale Strukturkategorie analog zu „Klasse“ bestimmt, die ungleiche Lebenschancen zuweise, oder, wie es heute in den Gender Studies weit verbreitet ist, als soziale bzw. kulturelle „Konstruktion“, sondern viel grundsätzlicher im Sinne bzw. als Produkt eines gesellschaftlichen Formprinzips, das wiederum aus der historisch-spezifischen Form kapitalistischer Vergesellschaftung resultiert und die Gesellschaft als ganze strukturiert (vgl. Scholz 2011,
S. 117). Die zentrale These von Scholz lautet, dass das Geschlechterverhältnis, d.h. die für moderne Gesellschaften charakteristische Dominanz von Männern und die materielle wie symbolische Unterordnung von Frauen und „Weiblichkeit“, in einem unmittelbaren Bedingungsverhältnis zur kapitalistischen Form der Gesellschaft steht und daher entsprechend theoretisiert und kritisiert werden muss.

 

Hinsichtlich ihres kritischen Kapitalismusverständnisses schließt sie dabei zunächst direkt an die oben skizzierte wertkritische Perspektive an, insbesondere auch an deren Kritik früherer „arbeiterbewegungsmarxistischer“ Ansätze:


„Der absurde Selbstzweck der totalitären Waren- und Geldform selbst ist das Problem, während die ‚gerechte Verteilung‘ innerhalb dieser Form den Systemgesetzen und damit den systemischen Restriktionen unterworfen bleibt, also eine bloße Illusion ist. Eine bloße Umverteilung in der Waren-, Wert- und Geldform, wie immer sie vorgenommen wird, kann weder die Krisen verhindern noch die globale, kapitalistisch erzeugte Armut überwinden; nicht die Abschöpfung des abstrakten Reichtums in der unaufgehobenen Geldform ist das entscheidende Problem, sondern diese Form selbst.“ (ebd., S. 19)


Über die Position der Wertkritik geht sie nun jedoch insofern hinaus, als sie davon ausgeht, dass Wert- und Kapitallogik mit ihren Widersprüchen und ihren sozial, ökonomisch und ökologisch destruktiven Potenzialen nicht das einzige Formprinzip moderner kapitalistischer Gesellschaften darstellen. Die Wertkritik bleibe laut Scholz, ganz wie frühere marxistische Ansätze auch, gegenüber dem Geschlechterverhältnis indifferent und verharre so gesehen selbst in der Tradition bürgerlich-androzentrischer Theoriebildung. Denn durch die alleinige Fokussierung auf den „Wert“ und die „abstrakte Arbeit“ würden für die kapitalistische Vergesellschaftung sehr wesentliche Momente ausgeblendet und faktisch dethematisiert, die wiederum im Zusammenhang mit dem modernen Geschlechterverhältnis stünden. Die kapitalistische Gesellschaft mit ihren zentralen Kategorien von Ware, Wert, Kapital, Arbeit, Geld usw. habe nämlich, so Scholz, gewissermaßen eine Rückseite, einen dunklen, vom Wertverhältnis quasi abgespaltenen Bereich, der Momente der gesellschaftlichen Reproduktion und des sozialen Lebens umfasse, die von der Logik der Kapitalverwertung nicht oder nur unzureichend erfasst werden könnten, die also aus dem kapitalistischen Verwertungszusammenhang gleichsam herausfielen, aber nichtsdestoweniger für das Funktionieren des Verwertungsprozesses und die darüber gestiftete gesellschaftliche Synthesis von eminenter Bedeutung, ja geradezu Grundvoraussetzungen der Wertvergesellschaftung selbst seien, ohne die sich die kapitalistische Gesellschaft nicht zu reproduzieren vermöge. In diesen Bereich fallen insbesondere solche Tätigkeiten, die im Kapitalismus, komplementär zum Bereich der Arbeit bzw. der Produktion, der Sphäre der häuslich-privaten Reproduktion zugeordnet werden, wie z.B. Kinderbetreuung, Haushalt, (Alten-)Pflege und dergleichen. Und dies ist ein Bereich, der geschlechtsspezifisch besetzt ist, insofern die ihm zugeordneten Tätigkeiten im Kapitalismus traditionell an Frauen delegiert werden. Während Erwerbsarbeit wie auch generell die gesamte öffentliche Sphäre (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft etc.) strukturell Männern vorbehalten ist (oder dies jedenfalls lange Zeit war), so ist der davon abgespaltene Bereich der Reproduktion, des privaten Haushalts, in den letztendlich alle Tätigkeiten und Äußerungen der menschlichen Zuwendung, der Hege und Pflege, bis hin zur „Liebe“ und Erotik ausgelagert sind, bis heute ein fast ausschließlich weiblicher Handlungs- und Lebensbereich. Mit dieser Auslagerung und Delegation reproduktiver bzw. (wie es heute in feministischen Kontexten überwiegend heißt) „Care“-Tätigkeiten ist zugleich eine Marginalisierung und Abwertung derselben wie auch von Frauen insgesamt verbunden. Dies schlägt sich insbesondere darin nieder, dass Care-Tätigkeiten unbezahlt oder – sofern entsprechende Tätigkeiten im Sozial- und Dienstleistungssektor „professionalisiert“ sind – unter den Bedingungen schlechter Entlohnung und zumeist auch prekärer Arbeitsverhältnisse verrichtet werden müssen.


„Frauen obliegt die Sorge für den einzelnen wie für die Menschheit. Dabei werden ihre Taten gesellschaftlich minderbewertet und in der Theoriebildung vergessen, wobei im Prozeß der Sexualisierung der Frau ihre Unterordnung unter den Mann beschlossen liegt und ihre gesellschaftliche Marginalisierung eingeschrieben ist. […] Das warenproduzierende Zivilisationsmodell hat somit Frauenunterdrückung, die Marginalisierung von Frauen sowie damit gleichzeitig einhergehend eine Vernachlässigung des Sozialen und der Natur zur Voraussetzung. Diese Momente werden in die Reproduktionssphäre abgedrängt und führen dort ein abstraktes, borniert-privates Dasein.“ (ebd., S. 119f.)


Eben das ist, was Roswitha Scholz „Wert-Abspaltung“ nennt – die Abspaltung solcher Momente des gesellschaftlichen Lebens, die nicht im „Wert“ aufgehen, und ihre Delegation an den weiblichen Teil der Bevölkerung. Und diese Abspaltung reproduktiver Tätigkeiten an Frauen ist laut Scholz wiederum untrennbar mit den kapitalistischen Funktionslogiken verflochten: „Der Grundwiderspruch der Wertvergesellschaftung von Stoff (Inhalt, Natur) und Form (abstrakter Wert) ist geschlechtsspezifisch bestimmt. Alles, was in der abstrakten Wertform an sinnlichem Gehalt nicht aufgeht, aber trotzdem Voraussetzung gesellschaftlicher Reproduktion bleibt, wird an die Frau delegiert.“ (Scholz 1992, S. 23) Der daraus hervorgehende „weiblich“ codierte Bereich der Reproduktion, der im Weiteren mit dem privaten Haushalt auch einen spezifisch „weiblichen“ Lebenszusammenhang konstituiert, stellt gewissermaßen „das Nicht-Warenförmige in der Warengesellschaft“ (Kurz 1992) dar.


Diese geschlechtsspezifische Abspaltung hat nicht nur eine materiell-strukturelle Dimension, wie sie sich in der kapitalistischen Trennung von Produktion und Reproduktion historisch manifestiert hat, sondern auch eine kulturell-symbolische und sozialpsychologische Dimension. Im Zuge der Abspaltung werden nämlich „nicht nur bestimmte Tätigkeiten, sondern auch Gefühle und Eigenschaften (Sinnlichkeit, Emotionalität, Verstandes- und Charakterschwäche usw.) an ‚die Frau‘ delegiert bzw. ihr zugeschrieben und in sie hineinprojiziert“ (Scholz 2011, S. 22). Hingegen steht der „Mann“ in der kapitalistischen Moderne für „Durchsetzungskraft (in der Konkurrenz), Intellekt (hinsichtlich kapitalistischer Reflexionsformen), Charakterstärke (in der Anpassung an kapitalistische Zumutungen) u.ä.“ (ebd.).


„Der Mann wird als Held und als werktätig gedacht. […] [Er] befindet sich ständig im Wettbewerb mit anderen. Diese Vorstellung bestimmt auch die Vorstellungen vom Gemeinwesen in der christlich-abendländischen Geschichte insgesamt. Mehr noch: Leistungsfähigkeit und -willigkeit, rationelle, wirtschaftliche, effektive Zeitverausgabung, Konkurrenz und Profitstreben bestimmen das Zivilisationsmodell auch in seinen objektiven Strukturen als Gesamtzusammenhang, seine Mechanismen, seine Geschichte ebenso wie die Handlungsmaximen der Einzelnen.“ (ebd., S. 119f.)


Darüber hinaus wurde Männlichkeit in der modernen Entwicklungsgeschichte stets mit „Kultur“, Weiblichkeit dagegen projektiv mit „Natur“ gleichgesetzt – ein kulturelles Muster, das vor dem Hintergrund der Wert-Abspaltung nicht zufällig das wissenschaftlich-moderne Prinzip der Naturbeherrschung mit der Unterordnung und Beherrschung der Frau und alles Weiblichen zusammengehen lässt (vgl. Scholz 1992; dies. 2011, S. 120; in diesem Sinne auch Scheich 1993; Bareuther 2014). Generell ist die moderne Gesellschaft durch einen tiefsitzenden kulturellen Androzentrismus geprägt, in dem der Mann gewissermaßen als Mensch schlechthin erscheint (vgl. Scholz 2011, S. 119). Der Soziologe und Philosoph Georg Simmel hat dies treffend als „Hypostasierung des Männlichen zum Allgemein-Menschlichen“ (vgl. Simmel 1985 [1910]) auf den Begriff gebracht. Diese Gleichsetzung von Mann und Mensch – bei gleichzeitigem Ausschluss von Frauen – lässt sich weit bis in die Aufklärungsphilosophie hinein zurückverfolgen, wie in wert-abspaltungskritischen Kontexten etwa am Beispiel von Immanuel Kant nachgewiesen wurde (vgl. Späth 2012). Dieser Androzentrismus, der den Mann gleichsam als gesellschaftliche Norm setzt, ist wiederum untrennbar verbunden mit einer kulturellen Abwertung von Frauen und „Weiblichkeit“ – für Scholz ein kulturell-symbolischer Niederschlag jener spezifisch modernen geschlechtlichen Abspaltung. Sie spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „androzentrischen gesellschaftlichen Unbewussten“ (Scholz 2011, S. 120), das die moderne Gesellschaft in vielfältiger Weise strukturiere. Auf einer sozialpsychologischen Ebene präge dieser moderne Androzentrismus als „psychogenetisches Unterbauphänomen“ (Becker-Schmidt) etwa auch geschlechtsspezifische Formen „männlicher“ und „weiblicher“ Identitätsentwicklung. Dies zeige sich z.B. an der „in der bürgerlich-patriarchalen Kleinfamilie bestehende[n] Notwendigkeit der Desidentifikation des Jungen (der später dominiert) mit der Mutter, um ein Selbst ausbilden zu können […], die mit einer Verdrängung des Weiblichen einhergeht; aber auch [am] umgekehrte[n] Vorgang, daß sich Mädchen mit der Mutter gleichsetzen, um eine weibliche Identität entwickeln zu können und bereit zu sein, eine untergeordnete Rolle (nicht nur) im häuslichen Bereich einzunehmen.“ (ebd.)


Die Verdrängung bzw. Abspaltung des Weiblichen und das damit einhergehende asymmetrische und hierarchische Geschlechterverhältnis sei damit also nicht, etwa im Sinne eines traditionellen Basis-Überbau-Modells, allein aus der kapitalistischen Trennung von Produktion und Reproduktion abzuleiten, sondern habe vielfältige kulturell-symbolische und sozialpsychologische Bezüge und sei letztlich sogar „in psychischen Tiefenschichten verankert“ (ebd., S. 121). Die geschlechtliche Abspaltung bestimme auf diese Weise als „gesellschaftlich-kulturelles Grundmuster und sozialpsychologischer Mechanismus in Vermittlung mit der geschlechtsspezifischen Funktionsteilung die Gesellschaft als Ganzes […] (ebd.).

 

Kapitalismus konstituiert sich demzufolge maßgeblich durch eine Abspaltung des Weiblichen von der männlich definierten und codierten Wertform. „Der Wert ist der Mann“ (Scholz 1992), während das „weiblich“ codierte Abgespaltene das „Andere“ der Wertform repräsentiert, ohne das jene gleichwohl nicht existieren kann. Der gesellschaftliche Gesamtzusammenhang im Kapitalismus bestimmt sich in diesem Lichte also laut Scholz keineswegs, wie es noch im Kontext der ursprünglichen Wertkritik erschien, „allein aus der fetischistischen Selbstbewegung des Geldes und dem Selbstzweckcharakter der abstrakten Arbeit […]. Vielmehr findet eine geschlechtsspezifische ‚Abspaltung‘ statt, die mit dem Wert dialektisch vermittelt ist. […] Es handelt sich um die beiden zentralen, wesentlichen Momente desselben in sich widersprüchlichen und gebrochenen gesellschaftlichen Verhältnisses, die auf demselben hohen Abstraktionsniveau erfaßt werden müssen.“ (Scholz 2011, S. 21) Das Abgespaltene ist daher auch nicht bloß als eine Art „Subsystem“ der Gesellschaft zu begreifen oder, wie das Geschlechterverhältnis bis dahin in marxistischen Ansätzen bis herauf zur Wertkritik überwiegend erschien, als ein „Nebenwiderspruch“ gegenüber dem Wert und des durch ihn konstituierten Klassenantagonismus, sondern als etwas, das „wesentlich und konstitutiv für das gesellschaftliche Gesamtverhältnis [ist] (ebd.). Die kapitalistische Gesellschaft „kann nicht existieren, ohne daß bestimmte Tätigkeiten und Verhaltensformen wie ‚Liebe‘, Hege, Pflege usw. in Bereiche ‚abgeschoben‘ werden, die der Wertlogik mit ihrer Moral von Konkurrenz, Profit, Leistung usw. entgegengesetzt sind – also in den Reproduktions-bereich, die Privatsphäre, die Familie, und die dabei gewissen Personen zugewiesen werden, nämlich den Frauen, die diese dem ‚Wert‘ entgegengesetzten Eigenschaften besitzen bzw. denen sie zugeschrieben werden.“ (ebd., S. 123) Daraus folgt wiederum, dass zwischen Wert und Abspaltung kein „logisch-immanentes ‚Ableitungsverhältnis‘“ (ebd., S. 21) besteht, d.h. das Abgespaltene kann nicht unmittelbar aus dem Wertverhältnis abgeleitet werden und umgekehrt. Vielmehr sind beide als dialektisch miteinander vermittelt zu denken: „Die Abspaltung ist der Wert und der Wert ist die Abspaltung. Beides ist im anderen enthalten, ohne deshalb jeweils mit ihm identisch zu sein“ (ebd.). Wert und Abspaltung sind somit, historisch wie auch logisch, gleichursprünglich:


„Beide sind jeweils die Voraussetzung für die Konstitution des anderen. Insofern stellt das Verhältnis Wert-Abspaltung gewissermaßen eine Metastruktur gegenüber der reduktionistischen Annahme dar, allein der Wert sei das Konstitutionsprinzip, das Wesen warenproduzierender Gesellschaften.

Das weibliche Abgespaltene ist so das Andere der Warenform als ein für sich stehendes; andererseits bleibt es aber unselbständig und minderbewertet, gerade weil es sich um das abgespaltene Moment im Zusammenhang der gesellschaftlichen Gesamtreproduktion handelt. Man könnte somit sagen: Entspricht der Ware die abstrakte Form, dann dem Abgespaltenen die abstrakte Formlosigkeit; ja man könnte beim Abgespaltenen geradezu paradox von einer Form der Formlosigkeit sprechen […]. Die warenförmig-androzentrische Wissenschaft und Theorie vermag diesem Verhältnis nicht Rechnung zu tragen, da sie das aus der Warenform Herausfallende als ‚Nichtlogisches‘ und ‚Nichtbegriffliches‘ aus ihrer Theoriebildung und ihren Begriffsapparaturen herauskatapultieren muß.“ (ebd., S. 24)


Die Wert-Abspaltungskritik integriert auf diese Weise das moderne Geschlechterverhältnis in die wertkritische Analyse und macht es dabei als konstitutives Moment kapitalistischer Vergesellschaftung kenntlich. Aus der Perspektive der Wert-Abspaltung ist die hierarchische Unterordnung von Frauen, wie sie die moderne Gesellschaft kennzeichnet, nicht bloß ein historisches Relikt vormoderner, patriarchaler Gesellschaften, das sich lediglich mit modernen kapitalistischen Strukturen verschränkt, sondern sie ist ein unmittelbares Produkt der Waren- und Kapitallogik selbst. Daraus folgt freilich nicht, dass das moderne Geschlechterverhältnis keine Vorgeschichte hat, die sich laut Scholz in der Tat bis in die griechische Antike zurückverfolgen lässt.


„Allerdings nimmt das Geschlechterverhältnis in der Moderne doch eine gänzlich neue Qualität mit der Verallgemeinerung der Warenproduktion an, wenn die ‚abstrakte Arbeit zum tautologischen Selbstzweck‘ wird […] und sich Produktions- und Reproduktionsbereich trennen, wobei der Mann hauptsächlich für den Produktionsbereich, die öffentliche Sphäre überhaupt, und die Frau primär für den – minderbewerteten –Reproduktionsbereich zuständig ist.“ (ebd., S. 117)


Erst im 18. Jahrhundert, im Zuge der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise und insbesondere mit der historischen Herausbildung der bürgerlichen Kleinfamilie habe sich das moderne System der Zweigeschlechtlichkeit entwickelt und sei es zu einer „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ (Hausen 1976) gekommen. Davor seien Frauen eher als gleichsam „andere Variante des Mann-Seins“ (Scholz 2011, S. 127) betrachtet worden.


„Obwohl Frauen auch damals als minderwertig galten, hatten sie über informelle Wege durchaus noch viele Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen, solange sich eine Öffentlichkeit im großen Maßstab wie in der Moderne noch nicht herausgebildet hatte. Der Mann hatte in vormodernen Gesellschaften eher eine symbolische Vorrangstellung […]. Frauen wurden noch nicht ausschließlich als Hausfrau und Mutter definiert, wie dies ab dem 18. Jahrhundert komplementär zu den Zuschreibungen für Männer der Fall war, die nun für die neu herausgebildete hypertrophe Form von Öffentlichkeit zuständig sein sollten. Der weibliche Beitrag zur materiellen Reproduktion wurde in agrarischen Gesellschaften ähnlich wichtig erachtet wie der des Mannes […].“ (ebd., S. 127f.)


Kapitalismus konstituiert demnach ein patriarchales Verhältnis eigener Art – Scholz spricht vor diesem Hintergrund von Kapitalismus als einem „warenproduzierenden Patriarchat“ (Scholz 2009).

 

Die geschlechtsspezifische Abspaltung gilt laut Scholz im Prinzip uneingeschränkt auch heute noch unter den Prämissen „weiblicher Emanzipation“ und der postmodernen Aufweichung von Geschlechternormen und -identitäten, da ein großer Teil der Frauen, so wie Männer, inzwischen einer Erwerbstätigkeit nachgeht, wie umgekehrt auch Männer stärker als früher in Haushalt und Kinderbetreuung involviert sind. Trotz dieser zweifellos gravierenden Veränderungen im Geschlechterverhältnis würden allerdings laut Scholz im Wesentlichen auch heute noch Frauen die Hauptlast an Haushalts-, Pflege- und Kinderbetreuungstätigkeiten tragen, selbst dann wenn sie berufstätig sind, wodurch Frauen in der gegenwärtigen Situation häufig sogar durch Beruf und Haushalt doppelt belastet seien. Auch seien Frauen bis heute trotz aller „Gleichstellungspolitik“ in Führungspositionen stark unterrepräsentiert und überwiegend in schlechter bezahlten „Frauenberufen“ zu finden. Generell bestehe in der Erwerbssphäre nach wie vor eine eklatante Benachteiligung von Frauen, etwa in Form einer beträchtlichen
Einkommensschere zwischen Männern und Frauen („gender pay gap“) (vgl. Scholz 2011, S. 129; dies. 2013, S. 59f.). Die Wert-Abspaltungskritik richtet sich damit vor allem gegen solche feministischen Positionen, die im zunehmenden Vordringen von Frauen in den Arbeitsmarkt und der postmodernen Aufweichung „männlicher“ und „weiblicher“ Identitäten und Geschlechterrollen eine substantielle Veränderung im Geschlechterverhältnis erkennen wollen. Besonders kritisch steht sie dabei neueren poststrukturalistischen und (de)konstruktivistischen Ansätzen, etwa im Kontext des Queer-Feminismus, gegenüber, die sie in einer postmodernen Tendenz zur „Kulturalisierung des Sozialen“ verortet (vgl. Scholz 2011, S. 7ff.; kritisch zu queeren und dekonstruktivistischen Ansätzen aus Sicht der Wert-Abspaltungskritik vgl. auch Scholz 1995; dies. 2011, S. 201ff.). Diese würden das Geschlechterverhältnis primär auf kulturelle Konstruktionsleistungen reduzieren, während gesamtgesellschaftliche und historische Zusammenhänge, wie sie Scholz mit ihrem Konzept der „Wert-Abspaltung“ in den Blick nimmt, weitestgehend unberücksichtigt blieben. Auch wenn postmoderne Veränderungen im Geschlechterverhältnis wie die Aufweichung von Geschlechternormen und -identitäten, die zunehmende politische „Gleichstellung“ der Geschlechter, die Integration von Frauen in die Erwerbssphäre etc. nicht von der Hand zu weisen seien, so bleibe davon laut Scholz jedoch die übergreifende kapitalistische Wert-Abspaltungsstruktur im Wesentlichen unberührt, was sich in weiterhin bestehenden Geschlechterhierarchien und damit verbundenen Benachteiligungen von Frauen niederschlage. Die Wert-Abspaltung und das aus ihr resultierende asymmetrische Geschlechterverhältnis sei vor diesem Hintergrund nicht als etwas Statisches, als eine „starre Struktur“ (Scholz 2011, S. 128) aufzufassen, sondern als ein historisch-dynamischer Prozess, wodurch die Abspaltungsstruktur nicht immer dieselbe bleibe, sondern sich im Laufe der Zeit verändere, ohne dadurch jedoch notwendigerweise aufgehoben zu werden. So hatte die Wert-Abspaltung in der fordistischen Ära der 1950er und 1960er Jahre mit ihrem Modell des männlichen „Familienernährers“ und der dazu komplementären weiblichen Rolle der „Hausfrau“ eine andere Form als heute in der sogenannten Postmoderne mit ihrem Ideal der Karriere, Familie und Haushalt vereinbarenden „Superfrau“. Veränderungen im Geschlechterverhältnis, wie sie heute im Kontext von Gleichstellung, weiblichen Berufskarrieren, Hausmännern, Väterkarenz usw. zu konstatieren sind, seien daher nicht mit einer Aufhebung der übergreifenden, das moderne Geschlechterverhältnis konstituierenden Wert-Abspaltungsstruktur zu verwechseln (siehe hierzu auch Urban 2021). Eine solche wäre ausschließlich in einer gemeinsamen Aufhebung mit der Wertform, d.h. der kapitalistischen Gesellschaftsform als solcher, zu erreichen (Scholz 2011, S. 129ff.).

 

Der Weg zu einer Überwindung des asymmetrischen Geschlechterverhältnisses kann daher laut Scholz auch nicht umgekehrt über die bloße Aufwertung von Weiblichkeit und „weiblich“ codierten Tätigkeiten führen, wie dies beispielsweise von differenzfeministischen
Ansätzen verfolgt wird. Scholz besteht demgegenüber darauf, dass das abgespaltene „Weibliche“ im Kontext der Wert-Abspaltungsform „nicht das irgendwie ‚bessere‘ gegenüber der warenförmigen ‚Männlichkeit‘“ sei, da es sich um eine „negative Einheit von Warenform und ‚Abgespaltenem‘“ (ebd., S. 25) handle. „Daraus resultiert wiederum, daß auch Frauen, die (nur) im Reproduktionsbereich tätig sind (eine Bestimmung, die empirisch nicht für jede Frau gelten muß), eine bornierte und entfremdete Existenz führen, die sich spiegelbildlich zur Entfremdung der abstrakten Arbeit im betriebswirtschaftlichen Funktionsraum des Kapitals verhält.“ (ebd.)


Genauso wenig sei es sinnvoll, wie es ebenfalls häufig von feministischer Seite praktiziert wird, weibliche Reproduktions- bzw. Care-Tätigkeiten mit dem abstrakten Arbeitsbegriff zu belegen, diese also in Aufwertungsabsicht als „Arbeit“ zu definieren (ebd., S. 21, 118). Denn in diese abgespaltenen Tätigkeiten „gehen Gefühle, Emotionen und Haltungen mit ein, die der ‚betriebswirtschaftlichen‘ Rationalität im Bereich der abstrakten Arbeit entgegengesetzt sind und sich der Arbeitskategorie widersetzen, auch wenn sie von zweckrationalen Momenten und protestantischen Normen nicht völlig frei sind“ (ebd., S. 22). Sowohl gleichheits- als auch differenzfeministische ebenso wie heute in der Geschlechterforschung dominante (de)konstruktivistische Ansätze leiden demnach darunter, dass sie die übergeordnete, in der kapitalistischen Form der Gesellschaft begründet liegende Wert-Abspaltung unberührt lassen, damit aber auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen des asymmetrischen Geschlechterverhältnisses und der daraus resultierenden Unterordnung und Minderbewertung von Frauen im Prinzip selbst reproduzieren: Gleichstellungsansätze, indem sie die androzentrische, am bürgerlich-modernen Mann gebildete Norm unangetastet lassen und zur Norm auch der weiblichen Sozialisation machen wollen; Differenzfeminismen, indem sie das abgespaltene „Weibliche“ affirmieren, idealisieren und lediglich gegenüber dem warenförmigen „Männlichen“ aufwerten wollen; (de)konstruktivistische und queere Ansätze, indem sie „Geschlecht“ auf seine kulturell-symbolischen Dimensionen reduzieren, während materiell-strukturelle Aspekte des modernen Geschlechterverhältnisses und ihre Beziehung zur kapitalistischen Form der modernen Gesellschaft weitgehend dethematisiert bleiben.

 

Zusammenfassend kann mithin festgehalten werden, dass Roswitha Scholz mit ihrer Wert-Abspaltungstheorie im Prinzip eine kapitalismuskritische Theorie des modernen Geschlechterverhältnisses formuliert. Die Wert-Abspaltung repräsentiert für Scholz die
zutiefst androzentrische Grundstruktur kapitalistischer Gesellschaften, von der alles nicht in der Wertform Aufgehende wie Sinnlichkeit, Emotionen, Zuwendung, Natur usw. abgespalten und als „weiblich“ codiert wird. In dieser gesellschaftlichen Grundcodierung der Wert-Abspaltung liegen für sie daher auch das hierarchische Geschlechterverhältnis und die Unterordnung sowie strukturelle Benachteiligung von Frauen in modernen Gesellschaften begründet. Da Wert und Abspaltung gleichursprünglich und dialektisch miteinander vermittelt sind, kann eine Überwindung des asymmetrischen Geschlechterverhältnisses allein über die Aufhebung der Wert(abspaltungs)vergesellschaftung als solcher führen (und umgekehrt). Kapitalismus ist aus dieser Perspektive eine durch und durch patriarchale Gesellschaftsform, ja überhaupt erst im Kapitalismus kommt das Patriarchat voll zur historischen Entfaltung, indem es in der negativen Einheit von Wert und Abspaltung erstmals – in Gestalt eines „warenproduzierenden Patriarchats“ – eine den gesamten gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang umgreifende, totale Form annimmt.




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Endnoten


[1] Publikationsmedium war zunächst die Zeitschrift Marxistische Kritik. Daraus gingen später die Zeitschriften Krisis und – seit 2004 – EXIT! hervor.


[2] Seine bekanntesten Bücher sind Kollaps der Modernisierung (1991), Schwarzbuch Kapitalismus (2009, zuerst 1999), Weltordnungskrieg (2003), Das Weltkapital (2005) und Geld ohne Wert (2012).


[3] In Buchform von ihr erschienen sind Das Geschlecht des Kapitalismus (2011, zuerst 2000) und Differenzen der Krise – Krise der Differenzen (2005).


[4] Für eine ausführliche Zusammenfassung von „exoterischem“ und „esoterischem“ Marx, mit besonderem Fokus auf eine kategoriale Kritik der Arbeit, siehe Hemmens 2025.


[5] Marx hat diese dem kapitalistischen Wirtschaften zugrundeliegende Verwertungslogik auch in seiner berühmten Formel G – W – G’ ausgedrückt: Geld (G) wird in die Produktion von Waren (W) investiert, um sodann durch den Verkauf der Waren Profit zu erzielen, d.h. mehr Geld (G’) zu erhalten.


[6] Berühmt geworden ist in dem Zusammenhang auch das Marxsche Diktum aus dem Warenfetisch-Kapitel im Kapital: „Sie wissen es nicht, aber sie tun es“ (vgl. Marx 1973 [1867], S. 88).


[7] Dies gilt selbst für die bereits in vorkapitalistischen Gesellschaften vorkommende Praxis der Anhäufung von Edelmetallen wie Gold oder Silber. Denn auch hier war der „Reichtum“ primär ein stofflicher, insofern er an den jeweiligen stofflichen Träger gebunden blieb, etwa an die konkrete Beschaffenheit des Edelmetalls. „Wertvoll“ war dieses also z.B., weil es glänzte, weil es selten war etc. Vor allem aber hatten Edelmetalle in vorkapitalistischen Gesellschaften, selbst noch in ihrer Form als Münzen – anders als heutiges Geld – zu keiner Zeit die
Funktion eines allgemeinen Äquivalents (dazu Kurz 2012, S. 86-111; Bockelmann 2020, S. 15-145).


[8] Auch der darin angelegte, vor allem in orthodoxen Marxismen betonte Antagonismus von Kapital und Arbeit kann (wenngleich selbst theoretisch auf Marx zurückgehend) durch die „fetischkritische“ Perspektive von Marx als ein sekundäres Epiphänomen qualifiziert werden. Denn die fetischistische Konstitution der kapitalistischen Gesellschaft umfasst letztlich beide, sowohl Arbeitende als auch Kapitalisten: „Das Kapital ist also produktiv … (als) Personifikation und Repräsentant, verdinglichte Gestalt der ‚gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit‘ oder der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit … Es erscheint als Zwang, den die Kapitalisten sich wechselseitig und den Arbeitern antun – also in der Tat als Gesetz des Kapitals gegen beide.“ (Marx, zit. nach Kurz 2000, S. 61)


[9] Ähnlich, wenn auch etwas polemischer, fasst Knut Hüller diesen paradoxen und geradezu absurden Zusammenhang von Armut, Hunger und der vorherrschenden kapitalistischen Form der Reichtumsproduktion zusammen: „Praktisch zeigen sich die Absurditäten [der kapitalistischen Wertlogik, A.U.] darin, dass es wachsenden Teilen der Menschheit an Lebensmitteln und Wohnraum mangelt, während man berghohe Gebäude errichtet, Sonden zu anderen Sternen schickt und eine zigfache Vernichtungskapazität für die gesamte Biosphäre aufbauen und unterhalten kann. Ökonomen fassen dies zusammen als ‚optimalen Umgang mit knappen Ressourcen‘.“ (Hüller 2015, S. 9)


[10] Laut Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2019 sterben jährlich mehr als sieben Millionen Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung – Tendenz steigend. Noch nicht berücksichtigt sind dabei die unzähligen Verkehrstoten, deren Zahl 2015 bei weltweit rund 1,25 Millionen pro Jahr lag. Kritisch zum „automobilen Kapitalismus“ vgl. Kurz 2020.


[11] Die wahrscheinlich avancierteste und theoretisch elaborierteste Form jener Intention, die durch kapitalistische Wachstumszwänge bewirkten ökologischen Destruktionspotenziale auf kapitalistischem Boden zu bewältigen, verkörpern aktuell Ansätze und Konzepte einer sogenannten „Postwachstumsgesellschaft“. Diese laufen, soweit ich sehe, auf die Illusion einer auch in Zukunft geldvermittelten, auf Lohnarbeit beruhenden (ergo kapitalistischen) Gesellschaft ohne Wachstum hinaus.


[12] Bereits Marx hat unmissverständlich – wenn auch primär mit Blick auf die damals rasch voranschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft – auf die zunehmend schädlichen Konsequenzen der kapitalistischen Produktionsweise für Mensch und Natur hingewiesen: „Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land […] von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Marx 1973 [1867], S. 529f.)


[13] Unter „Arbeitsvolumen“ versteht man die Zahl aller in einem Jahr in einer Nationalökonomie geleisteten Arbeitsstunden. In Deutschland – um hier nur ein konkretes Beispiel zu nennen – lag diese Zahl im Jahr 2014 auf demselben Niveau wie im Jahr 2000 und deutlich niedriger als noch 1991 (vgl. Urban 2018, S. 11). Deutschland ist dabei nicht einmal ein besonders repräsentatives Beispiel, da es sich punkto Arbeitsvolumen – zumindest zum damaligen Zeitpunkt 2014 – aufgrund einer extremen Exportorientierung im Vergleich zu vielen anderen Ländern in einer noch vergleichsweise guten Lage befand.


[14] In Deutschland etwa von 2:1 im Jahr 1980 auf 6:1 im Jahr 2014. Das heißt, der Anteil von Arbeitslosen ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz hat sich in diesem Zeitraum ungefähr verdreifacht (vgl. Urban 2018, S.11).


[15] Dies äußert sich insbesondere in einer seither explodierten Privatverschuldung. In den USA sollen mittlerweile 80 Prozent der Bevölkerung verschuldet und/oder von prekären Arbeitsverhältnissen betroffen sein (vgl. Temin 2017).